Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Alte Freunde.

Nachdem Gertrud auf die Dorfstraße hinausgetreten war, stand Jerichow noch lange in dem Ausgang der Laube. Seine großen milden Augen waren dahin gerichtet, wo die schlanke Gestalt seinen Blicken entschwunden war. Jetzt, da er sie nicht mehr sah, war ihm als hätten im Traume ihn zwei Gestalten umgaukelt, von welchen Beiden er mit gleicher unwiderstehlicher Zauberkraft angezogen wurde.

»Nicht um meine Seligkeit möchte ich diese Stunde hingeben,« wiederholte er wie unbewußt Gertruds eigene Worte. Er trat in die Laube zurück. Noch hinfälliger schien er geworden zu sein. –

Gertrud hatte um diese Zeit den Wagen erreicht. Sie nannte dem Kutscher den Namen eines Dorfes. Dann stieg sie ein, und sich in die eine Ecke schmiegend, zog sie den Schleier noch tiefer über ihr Antlitz. Es war eine unwillkürliche Bewegung, wie um die ganze übrige Welt von sich auszuschließen, mit ihren Gedanken allein zu sein.

Beinahe eine Stunde gebrauchte der Wagen, um sein Ziel zu erreichen. In ein langgestrecktes Kirchdorf bog er ein. Es war dasselbe, in welchem Gertrud zum letzten Mal einem Kirchweihfest beiwohnte. Heute lagen die sich zu beiden Seiten aneinander reihenden Gehöfte und strohgedeckten Hütten still. Die Sonne ging eben zur Rüste. Es war die Zeit, zu welcher die Menschen sich nach vollbrachtem Tagewerk um ihre Tische zu versammeln pflegen. Ungefähr in der Mitte des Dorfes fuhr der Wagen nach einem größeren Gehöft hinauf. Kaum hielt er vor der Thür des niedrigen Wohnhauses, als eine kräftige Männergestalt in derselben erschien und ihn mit sichtbarem Befremden betrachtete. Der Kutschenschlag öffnete sich, und einen Irrthum vermuthend, näherte Bartel sich demselben. Seine Bewegung wurde zögernder, als eine dunkel gekleidete Dame sich anschickte auszusteigen. Er war so überrascht, daß er ihr seine Hand nicht zu bieten wagte. Nur den Kutschenschlag hielt er bescheiden, während er mit der ändern Hand ehrerbietig die Mütze zog.

Da tönte von der Hausthür eine helle Stimme zu ihm herüber.

»Das ist die Gertrud!« rief Kathrin mit freudigem Erstaunen aus, und im nächsten Augenblick legte sie einen nur wenige Monate alten Säugling in Bartels Arme, und mit der einen Hand Gertruds Schleier zurückschlagend, wie um sich zu überzeugen, daß sie sich nicht täusche, schlang sie den andern um deren Nacken, und die auf einen solchen Empfang nicht Vorbereitete an sich ziehend, herzte und küßte sie dieselbe, daß ihr fast der Athem verging.

»Bist Du es denn wirklich?« fragte die biederherzige junge Frau immer wieder, und immer wieder preßte sie Gertrud an sich, unbekümmert was sie an deren Anzug zerdrückte und zerknitterte, und weit entfernt davon, wie Bartel, durch die äußere Veränderung eingeschüchtert zu werden, so lange sie nur das vertraute Antlitz vor sich sah; »aber das ist dankenswerth, daß Du Deine alten Freunde nicht vergessen hast. Und wärst du nicht, Gertrud, der Bartel liefe heute noch als heirathslustiger Bursche herum, ohne daß sich Jemand seiner erbarmte. Denn ich wäre gut genug ohne ihn fertig geworden, und zehn Andere hätte ich obenein gefunden. Ja, Gertrud, sieh ihn nur an, wie er da steht, der hoffärtige Fahnenschwenker!« und laut lachte die junge Mutter, indem sie auf Bartel wies, der mit dem Kinde auf den Armen nicht recht wußte, woran er war.

Gertrud aber, Angesichts dieser freundlichen Scenen wie von einem heimlichen Weh durchzuckt, fühlte Thränen in ihre Augen dringen. Sie trat vor Bartel hin, und ihm das Kind abnehmend, küßte sie dasselbe zum Entzücken seiner Eltern.

»'s ist ein Junge,« waren die ersten Worte, welche Bartel, nunmehr seiner Last ledig, hervorzubringen vermochte.

»Vier Monate und sechszehn und einen halben Tag ist er alt,« fügte Kathrin schnell hinzu.

»Und Bartolomäus ist er getauft,« floß es freier von des jungen Bauern Lippen.

»Und mit den Zähnen geht er um,« ergänzte Kathrin.

»Mir soll er am ähnlichsten sein,« meinte Bartel selbstzufrieden.

»Andere sagen wieder mir, und ich glaub's selber,« erklärte Kathrin furchtbar weise, »aber was stehst Du, Bartel, laß ausspannen –«

»Nein, nein,« unterbrach Gertrud sie schnell, und das Kind noch einmal küßend, gab sie es an seine Mutter zurück, »der Wagen mag halten bleiben. Bevor ich diese Gegend verlasse, komme ich noch einmal hierher. Nur begrüßen wollte ich Euch heute Abend, nur mich überzeugen von Eurem Wohlergehen – aber ich sehe, dem Bartel bin ich fremd geworden,« und sie reichte ihm die Hand, worauf dieser mit einer militairischen Verneigung antwortete.

»Fremd geworden nicht,« entschuldigte er sich, »aber zehnmal hätte ich Ihnen begegnen können –«

»Und haben vergessen, daß wir damals den Tanzreigen eröffneten,« fiel Gertrud ein, und von Minute zu Minute wurde es ihr leichter, die noch immer sie bedrückende Traurigkeit zu besiegen, »und ebenso vergessen, daß Sie mich mit Du anredeten, als wir zu Zweien auf dem Pferde saßen –«

»Recht so, Trude,« nahm Bartel nunmehr entzückt das Wort, und Gertruds offene Hand in seine Linke legend, ließ er die Rechte mit mäßiger Gewalt in dieselbe fallen, »ich hab's Dir immer angesehen und oft genug gesagt, daß in Dir Besseres, als 'n purer Tanzteufel stecke; und nachdem die Kathrin ihre Eifersucht überwunden hatte, ist sie zahm geworden wie 'n Osterlamm. Und jetzt erst, da der Junge da ist, kränkt sie's nicht mehr, und ritten wir zu Zweien auf einem Gaul zehn Meilen weit über Land.«

»Wofür die Trude sich bedanken würde,« versetzte Kathrin, »denn betrachte sie nur, die würde sich schier hüten, mit solchem wüsten Gesellen Staat zu machen – wahrhaftig, die Gertrud von früher ist's trotzdem nicht mehr –«

»Ja, ja, die bin ich noch,« unterbrach Gertrud ihre redseligen Freunde, »und ist's heute nichts mehr mit dem Ritt, so habe ich ein anderes Anliegen, ein ernstes Anliegen an Euch Beide – das heißt, für Jemand, den ich vor großem Herzeleid bewahren möchte.«

»Was Du willst, Gertrud, soll geschehen für jeden Andern, und doppelt gern für Dich selber,« erklärte Bartel, und ihren Gast zwischen sich nehmend, führten sie denselben ins Haus, wo das Abendbrod bereits auf dem Tische dampfte.

Dann folgte eine kurze Unruhe, indem der junge Erbe des Hofes einem Dienstboten übergeben wurde und man Gertrud beim Ablegen behülflich war. Als sie aber bald darauf um den schweren eichenen Tisch saßen, da ging es an ein Plaudern und Erzählen, als wären die Ereignisse eines Jahrhunderts zu verhandeln gewesen. Das Innere eines Bauernhauses war Gertrud nichts Neues, und doch erschien ihr heute Alles so ganz anders. Die niedrig hängende Decke, die geweißten Wände, der Alkoven mit dem blaugewürfelten Himmelbett, die schweren eichenen Schemel und Stühle, die kleinen Fensterscheiben, und dies alles beleuchtet von einer röthlich brennenden Lampe: Nach ihrer künsterlischen Mitwirkung in dem zur Darstellung gelangenden Zaubermärchen, nach ihrem schmerzlichen Abschied von Jerichow, meinte sie in der That in die Behausung der sieben Zwerge eingetreten zu sein, wo tiefer, endloser Friede sie umfing, wo alle Hände sich regten, ihr zu dienen, ein Gefühl heimatlicher Ruhe in ihr zu wecken. Und dann wieder das herzliche Lachen des jungen Paares, indem Jeder in seiner Sorgfalt für sie es dem Andern zuvorthun trachtete. Sie selbst hielt man augenscheinlich für eine vom Glück begünstigte vornehme Dame, trotzdem sie sich die äußerste Mühe gab, den Irrwisch früherer Jahre neu zu belegen. Was ihr auf der Bühne so leicht geworden wäre, hier gelang es ihr nur unvollkommen. Ueber ihre Stellung in der Welt wechselte sie nicht viele Worte mit ihren Gastfreunden. Als aber die Mahlzeit beendigt war und außer dem schlummernden Kinde, einer spinnenden Katze und einem zottigen Schäferhunde, kein Zeuge mehr in dem Gemache anwesend, da drückte Gertrud zunächst Kathrin und dann dem Bartel noch einmal herzlich die Hand, und an den Dank für die freundliche Erinnerung, welche sie ihr bewahrten, knüpfte sie die bei ihrem Eintritt in das Haus angedeutete Bitte.

»Aber es muß heimlich geschehen, darf nur zwischen uns Dreien bleiben,« sprach sie ernst, »denn dränge es an die Oeffentlichkeit, so würde es Jemand ins Verderben stürzen, der's zwar tausendfach verdient, den ich aber um Anderer willen schonen möchte.«

Sie zögerte, wie um aus den auf sie gerichteten Augen den Ausdruck der Dienstfertigkeit herauszulesen, und der Zusage des Beistandes sicher, fuhr sie fort:

»Ihr kennt einen gewissen Splitter, der seit einiger Zeit so fleißig auf dem Karmeliterhofe verkehrt?«

»Der früher Schreiber bei dem Advokaten,« versetzte Bartel zustimmend, »jetzt ist er für sich; er soll damit umgehen, das Mädchen auf dem Hofe zu heirathen.«

»Und das darf nicht geschehen,« versetzte Gertrud heftig, »nein, lieber sehe ich das arme Geschöpf in seinem Sarge, als in der Gewalt dieses Ungeheuers. Wollt Ihr mir helfen, es zu hintertreiben?«

»Ei, freilich und ohne Bedenken,« antwortete Kathrin mit großer Entschiedenheit.

»Das heißt, wenn's auf erlaubte Weise auszuführen geht,« fügte Bartel bedächtiger hinzu.

»Nie würde ich Jemand zu einer unerlaubten Handlung rathen,« nahm Gertrud wieder das Wort, »dieser Splitter ist nämlich mein Todfeind, und ich besitze Mittel, so auf ihn einzuwirken, daß er sich wenigstens besinnt. Ist aber Zeit gewonnen, so ist Alles gewonnen. Doch ich wiederhole noch einmal, was wir verabreden, muß ein Geheimniß bleiben, um Anderer willen. Tritt er gutwillig zurück, so mag er der Strafe entgehen; andernfalls hat's mit unserm Geheimniß ein Ende, und er mag kennen lernen, was es heißt, von der Polizei aufgesucht zu werden.« Düsteres Feuer leuchtete bei diesen Worten aus ihren Augen, daß es Bartel und Kathrin förmlich mit Scheu erfüllte, dann fügte sie anscheinend sorglos hinzu: »Mit einem Schuldigen ist's freilich anders, als mit Einem der nichts verbrach; und daß er schuldig ist, weiß ich gut genug, wenn ich auch nicht im Stande bin, die Beweise dafür vorzulegen. Aber ein Anderer besitzt sie, der ihm aus irgend welchen mir unbekannten Gründen wohl will, und dessen Wünschen und Ansichten ich persönlich nicht zuwider handeln möchte. Thut's ein Dritter für mich, so liegt kein Arg drin, und ist das Verhängniß erst über ihn hereingebrochen, sind schließlich Alle damit zufrieden. Was geschehen soll, muß aber noch heute Abend geschehen, und Euch Beiden kommt's unmöglich darauf an, zu einem guten Zweck eine halbe Nacht zu opfern. Heute kann ich nicht ausführlicher sein, gute Kathrin; die Sache hat Eile und mit drei Worten ist's nicht erklärt; dagegen mag der Bartel Dir Alles anvertrauen, wie sich's gehört zwischen rechtschaffenen Eheleuten, wenn er wieder heimkehrt. Und ich setze voraus, Du bist's zufrieden, wenn Dein Mann mich jetzt in meinem Wagen zur Stadt begleitet. Eine gute halbe Stunde gebrauchen wir bis dahin, und dieser Zeitraum genügt mir, ihn über Alles genau zu unterrichten; und das verspreche ich Euch, daß deshalb Keiner von Euch in Ungelegenheit geräth. Dagegen erwerbt Ihr Euch den Dank lieber und guter Menschen, wenn es gelingt, die Hochzeit nur um einige Tage hinauszuschieben. Heute ist Freitag, übermorgen erfolgt das letzte Aufgebot, und am nächsten Dienstag soll die Trauung stattfinden. Glückt mein Plan, so hat der Aufschub nichts Auffälliges. Schlimmer wäre es, müßte ich am Dienstag, also im letzten Augenblick selbst eingreifen. Sträuben wird Splitter sich wohl; zu genau weiß er, daß seine Rettung allein von der Hochzeit abhängig, aber Andere wissen das ebenfalls, und das ist ein Segen.«

Nachdem Gertrud geendigt hatte, reichten Bartel und Kathrin ihr zum Zeichen des Einverständnisses die Hände. Es geschah mit einer gewissen achtungsvollen Scheu; denn trotz des vertraulichen Verkehrs erkannten sie das Uebergewicht Gertruds an, ohne die eigentliche Ursache dafür zu ahnen.

Wie Gertrud gesagt hatte, geschah es. Eine halbe Stunde später erreichte der Wagen die Stadt, wo Bartel sich von ihr trennte. Sie selbst begab sich nach dem Telegraphen-Amt. »Kommen Sie ohne eine Minute Zeitverlust nach dem Karmeliterhofe! Bei Eintreffen des dieser Tage fälligen Amerika-Dampfers sofort an den auf demselben befindlichen Passagier, Herrn Rothweil zu befördern,« lautete die Botschaft, welche sie nach der betreffenden Hansestadt abschickte, und dann erst betrachtete sie ihr Tagewerk als beendigt.

Splitter befand sich um diese Zeit in seiner ärmlichen Junggesellenwohnung, die er in eine Art Winkelconsulenten-Büreau verwandelt hatte. Bunt lagen in derselben seine wenigen Habseligkeiten durcheinander. Seine Umgebung trug den Charakter einer Stätte, auf welcher man nur noch gezwungen einige Tage weilt, um sie dann mit einer helleren und freundlicheren zu vertauschen. Unruhig wandelte er auf und ab. Er sehnte den Dienstag herbei, der ihn an ein Ziel führen sollte, an welchem er nicht nur geschützt gegen die Folgen der Vergangenheit, sondern auch auf eine sorgenfreiere Zukunft rechnen durfte. Er war im Laufe des Tages auf dem Karmeliterhofe gewesen, und hatte dort von einer schwarz gekleideten, tief verschleierten Dame gehört, welche Vormittags längere Zeit bei der Marquise verweilte. Das undurchdringliche Geheimniß, in welches dieser Besuch sich hüllte, diente am wenigsten dazu, seine Besorgnisse zu verscheuchen. Wie ein Alp ruhte es auf seiner Seele; denn wer hätte genauer gewußt, als er selber, daß Perennis' Heimkehr spätestens gegen Ende der nächsten Woche zu erwarten stand. In seinen düsteren Grübeleien störten ihn schwere Schritte, welche die Treppe heraufkamen und sich seiner Wohnung näherten.

»Das ist seine Thür dort,« hieß es endlich, »Sie werden ihn wohl zu Hause treffen.«

Splitter überrieselte es eiskalt. Er entsann sich keines Menschen, von dem er einen Besuch zu erwarten hätte, und am wenigsten zur späten Abendstunde.

»Herein!« brachte er auf das bescheidene Klopfen mühsam hervor, und erleichtert seufzte er auf, als ein einfacher Bauersmann bei ihm eintrat. In der Voraussetzung, daß derselbe gekommen, um sich in irgend einer Prozeßsache Raths bei ihm zu holen, fragte er ausnehmend freundlich und herablassend:

»Was bringen Sie, mein Freund?«

»Ich bringe nichts, Herr Splitter,« antwortete Bartel, welchem Gertrud sein Verhalten genau vorgeschrieben hatte, »dagegen möchte ich etwas erbitten.«

»In welcher Sache?« forschte Splitter befremdet, denn der ruhige offene Blick des jungen Bauern gefiel ihm nicht.

»In Ihrer eigenen,« hieß es höflich, »und in der einer jungen Dame auf dem Karmeliterhofe.« Hier zögerte Bartel ein Weilchen, dann fügte er in demselben zuversichtlichen Tone hinzu. »Sie stehen nicht mehr bei dem Advokaten in Diensten und haben selber 'n Büreau für Privatsachen eingerichtet?«

»Ganz recht, mein Freund. Wünschen Sie eine Eingabe aufgesetzt zu haben?«

»Nichts von der Sorte, Herr Splitter, ich wollte Sie nur auffordern, mir die Briefe auszuhändigen, welche Herr Rothweil im Laufe des letzten Jahres an das Fräulein auf dem Karmeliterhofe schrieb, und dann die fünfzehnhundert amerikanischen Dollars, welche er ebenfalls an sie abschickte, und die für die Frau Marquise bestimmt gewesen.«

Während Bartel noch sprach, suchte Splitter den Rand des Tisches, um sich auf denselben zu stützen. Sein Gesicht hatte eine fahle Farbe angenommen; seine Augen schienen sich zu verglasen; mehrfach öffnete er den Mund, wie um Bartel zu unterbrechen, vermochte aber keinen Laut hervorzubringen. Endlich gewann er seine Fassung einigermaßen zurück.

»Ich verstehe Sie nicht,« hob er stotternd an, »wie kommen Sie überhaupt zu dieser unsinnigen Aeußerung? Ist Ihnen denn klar, wessen Sie mich beschuldigen, und was Ihnen bevorsteht, wenn ich die Sache zur Anzeige bringe?«

Die wachsende Zuversicht Splitters schüchterte Bartel offenbar ein; allein eingedenk der Rathschläge Gertruds, fuhr er nach kurzem Ueberlegen fort:

»Vielleicht wendete ich mich an die unrechte Person. Ich hätte wohl lieber zu dem Advokaten gehen sollen, der Ihnen die Vollmacht des Fräuleins ausfertigte, oder zur Polizei, und die ist findig. Brachte sie doch vor anderthalb Jahren heraus, daß ein vollkommen unbescholtenes Mädel wegen strafwürdigen Benehmens auf offener Straße, eine Verwarnung erhielt.«

Schwerer stützte Splitter sich auf den Tisch. Seine Kniee vermochten kaum noch die Last des Körpers zu tragen. Vor seinem Geiste aber schwebte der wilde Irrwisch, der damals so geheimnißvoll verschwand, schwebte die schwarz gekleidete Dame, welche sich zur Marquise begeben haben sollte.

»Was geht das mich an?« fand er endlich wieder Worte, »was kümmert mich die Polizei sammt ihren Verwarnungen? Gehen Sie hin zu ihr – doch nein – die junge Dame, deren Sie erwähnen, ist meine verlobte Braut; ich kann nicht dulden, daß sie als Zeugin gegen Fremde aufgerufen wird, oder gar gegen mich, wenn ich Sie recht verstehe – Unsinn – wessen Zeugenschaft habe ich zu fürchten? Doch ich danke Ihnen für die Mittheilung – ich werde mit meiner Braut darüber sprechen – sie wird lachen über den Unsinn.«

»Thun Sie das lieber nicht,« rieth Bartel mit unerschütterlicher Ruhe; »aber 'nen andern Weg möchte ich Ihnen zeigen, auf welchem der Unsinn ohne viel Geschrei aus der Welt geschafft wird. Was meinen Sie, wenn Sie die Hochzeit einige Wochen aufschieben? Die Sache mit den Briefen und dem Gelde könnte unterdessen ohne Schaden für irgend Jemand abgemacht werden.«

Splitter versuchte, sich entrüstet aufzurichten, allein es gelang ihm nicht. Dagegen offenbarte sich in seiner Stimme ein so hoher Grad von Feindseligkeit, daß selbst der unverzagte Bartel Scheu vor ihm empfand.

»Glauben Sie wirklich,« fragte er, »ich würde auf eine solche verrückte Zumuthung eingehen? Ich rathe Ihnen, stehen Sie zu Ihren Worten –«

»Ich stehe schon zu meinen Worten,« fiel Bartel erregter ein, »und was ich spreche, kann ich verantworten. Aber mit Ihnen ist nicht gut fertig werden, und da mögen Andere versuchen, ob sie besser fahren.«

»Wohin wollen Sie?« fragte Splitter, als Bartel sich anschickte, zu gehen.

»Ich übergebe die Sache der Polizei. Die kann machen was sie will, und ich brauche keine Zeit zu verlieren.«

»Wer ertheilte Ihnen überhaupt den Auftrag, bei welchem Sie nur in Verdrießlichkeiten verwickelt werden können?«

»Das ist Nebensache. Die mich beauftragten, wissen was sie wollen.«

»Warten Sie einen Augenblick. Es ist vielleicht thöricht von mir, allein ich darf den Namen meiner Braut nicht öffentlich mißbrauchen lassen. Um solchen Preis aber bin ich bereit, ein Opfer zu bringen.«

»Sie wollen die Hochzeit aufschieben?«

»Meiner Braut zu Liebe thue ich Manches.«

Bei dieser, seine Schuld gleichsam beweisenden Zusage lächelte Bartel verschmitzt.

»Sie geben mir das schriftlich?« fragte er.

Splitter fuhr empor. Doch sich schnell wieder fassend, begann er langsam auf- und abzuwandeln. Bartel beobachtete ihn argwöhnisch. In seine Betrachtungen tiefer einzudringen, vermochte die einfache Natur zwar nicht. Allein so viel begriff er, daß Gertruds Anklagen eines sicheren Grundes nicht entbehrten.

Plötzlich blieb Splitter vor ihm stehen. Sein Antlitz war ruhiger geworden. Wie Nadelspitzen richteten sich die zusammengezogenen Pupillen auf den ehrlichen Bauern. Versteckter Hohn lagerte um den breiten Mund.

»Da es sich nur um einen Gang zum betreffenden Beamten handelt,« sprach er erzwungen gleichmüthig, »so kann die Civiltrauung eben so gut acht bis vierzehn Tage später erfolgen. Wer sich anmaßt hinterlistig in meine persönlichen Verhältnisse eingreifen zu dürfen, ahne ich nicht. Aber ich traue ihm die Fähigkeit zu, auf leeren Schein hin, mir und meiner Braut viel Aerger, wohl gar Sorgen zu bereiten, mag immerhin die Aufklärung nicht lange auf sich warten lassen.«

Er nahm vor dem Tisch Platz und griff nach Papier und Feder. Ein Weilchen grübelte er, dann schrieb er mit fester Hand:

»Mir alle Rechte vorbehaltend, gebe ich einem an mich gerichteten geheimnißvollen Ansinnen in so weit nach, daß ich die Hochzeit mit meiner verlobten Braut, Fräulein Lucretia Nerden, anstatt auf den nächsten Dienstag, auf einen anderen, näher zu bezeichnenden Tag verlege.«

Nachdem er die Bescheinigung noch einmal aufmerksam geprüft hatte, reichte er sie Bartel. Dieser las sie mit Bedacht durch und nickte zufrieden.

»Das genügt,« sprach er, indem er sich zum Gehen anschickte.

»Rathen Sie Ihren Aufraggebern dringend, meine Bereitwilligkeit nicht falsch zu deuten.« bemerkte Splitter gehässig, und Bartel eines Scheidegrußes nicht würdigend kehrte er sich von ihm ab.

Bartel lachte vor sich hin, indem er das Zimmer verließ und sich die nur sehr dürftig beleuchteten Treppen hinuntertastete.

Er hatte das Haus kaum verlassen, als Splitter das Licht auslöschte und ebenfalls hinabstieg. Vor die Hausthür tretend, spähte er die Straße aufwärts und abwärts. Von Bartel war nichts mehr zu entdecken. Langsam schritt er davon. Allmälig gelangte er in einen lichteren Stadttheil. Dort zog er an der Glocke des Hauses, dessen Fenster bis auf zwei zur ebenen Erde bereits dunkel waren. Eins der Letzteren öffnete sich, und ein Herr fragte nach seinem Begehr.

»Ich bin es, der Splitter,« antwortete dieser höflich. »Ein Umstand von größter Wichtigkeit zwingt mich zu der späten Störung. Nur eine Frage wollte ich mir erlauben. Es haben sich Verhältnisse geltend gemacht, welche das Verlegen des Tages meiner Verheirathung wünschenswerth erscheinen lassen. Steht etwas im Wege, wenn ich mich für einen späteren oder früheren Tag entscheide?«

»Nichts, Herr Splitter. Sind mit dem letzten Aufgebot alle Bedingungen erfüllt, so bedarf es nur, daß Sie zu irgend einer Bureaustunde mit ihrer Fräulein Braut vorsprechen, und in wenigen Minuten ist Alles erledigt. Mit der kirchlichen Trauung können Sie es ja halten, wie es Ihnen am besten paßt.«

»Meinen aufrichtigen Dank. Ich werde also die zum Dienstag getroffene Verabredung nicht inne halten und Ihrem Rathe gemäß handeln. Noch einmal bitte ich um Verzeihung für die späte Störung.«

»Wer im Begriff steht, sich ins Ehejoch zu beugen, hat das Privilegium, die ihn quälende Unruhe auch seine Mitmenschen fühlen zu lassen,« hieß es lachend zurück.

Splitter stimmte in das Lachen ein. Nach einem letzten höflichen Gruß schloß sich das Fenster, und Splitter trat den Heimweg an.

Als er eine Viertelstunde später wieder in seinem Zimmer auf- und abwandelte, hätte man ihn für erkrankt halten können, so glühte sein Antlitz. Angst wechselte auf demselben mit wildem Hohne ab, teuflische Schadenfreude mit marternden Besorgnissen.


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