Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Die Schatzgräber

So lange das Geräusch der Davoneilenden vernehmbar und deren Gestalten nothdürftig zu unterscheiden waren, blickte Perennis ihnen nach, als hätte er die Wirklichkeit bezweifelt. Zu jäh war der Kontrast zwischen der Spannung, mit welcher er eben noch dem Erfolg des abenteuerlichen Unternehmens entgegen sah, und den Empfindungen der Besorgniß, welche der Angriff auf das Lager und die weidenden Thiere wachgerufen hatte. Erst der Zuñi brachte ihn wieder zum Bewußtsein der augenblicklichen Lage.

»Sucht den Schatten,« sprach er warnend, »die Apaches sind eine verrätherische Nation. Um sich eines Verfolgers zu entledigen, schießen sie Jeden nieder. Das Feuer zeigt ihnen ihr Ziel.«

Mechanisch trat Perennis zu dem Häuptling, an welchen die Albino sich ängstlich anschmiegte.

»Wir hätten sie begleiten sollen,« antwortete er erregt, »hier ist Alles sicher genug, und dort mögen unsere Büchsen fehlen.«

»Geht hinüber,« versetzte der Zuñi, »ja geht nur. Kohena ist nicht geeignet für einen Kampf; sie darf nicht unbeschützt bleiben. Aber ich höre den Hufschlag von Pferden. Sie nähern sich. Vielleicht gelingt's uns, das eine oder das andere einzufangen. Wo eins bleibt, sammeln sich die übrigen gern; setzen ihnen die Apaches nach, so müssen wir versuchen, sie zu vertreiben.«

Perennis lauschte. Er unterschied, daß in der That mehrere Pferde sich von der Wüste her näherten, als hätte der Schein des Feuers sie angezogen. Bald darauf erkannte er auch einen schmalen Schatten, zu welchem die hintereinander galoppirenden Thiere sich vereinigten. Doch mit derselben Spannung, mit welcher er und der Zuñi in die Wüste hinausspähten, wurden sie selbst von Sculpin und dessen Genossen überwacht, die, auf dem mit mancherlei Hindernissen bedeckten Erdboden einherkriechend, ihnen Zoll um Zoll näher rückten.

»Es sind Pferde, aber auf ihrem Rücken sitzen Männer,« sprach der Gobernador in seiner nachdenklichen Weise, indem er die Büchse zur Verdeutlichung emporhob. Dann richtete er einige Worte an Kohena, die folgsam niederkniete und nicht minder gespannt den herbeistürmenden Reitern entgegensah.

»Zwei Pferde,« ertönte eine sanfte Stimme, »das eine trägt eine Frau, das andere einen Mann.«

»Greift Niemand uns an, so haben wir keine Ursache, unsere Büchsen zu gebrauchen,« versetzte der Zuñi, und er stellte die seinige wieder vor sich auf die Erde.

Offenbar hatten Sculpin und seine Genossen zur Zeit ihre Aufmerksamkeit ebenfalls den fremden Reitern zugekehrt; denn anstatt sich auf den Zuñi und Perennis zu werfen und die nichts Ahnenden wehrlos zu machen, wie sie ursprünglich beabsichtigten, säumten sie jetzt, um den Zweck der geheimnißvollen Fremden kennen zu lernen und einen günstigeren Zeitpunkt zum Angriff abzuwarten.

Da tönte eine helle Frauenstimme durch die Nacht.

»Señor Rothweil!« schallte es laut und mit einem Ausdruck von Todesangst, »Señor Rothweil! Halten Sie ein, man will Ihnen den Schatz von Quivira entreißen!«

Ein schäumendes und keuchendes Pferd traf neben dem Feuer ein, wogegen das Zweite, weniger schnell, zurückgeblieben war. Kaum stand Ersteres, als Clementia, sobald sie des vortretenden Perennis ansichtig wurde, vom Sattel glitt und mit fliegendem Haar auf ihn zueilte.

»Señor Rothweil!« wiederholte sie, »liegt das Gold noch verborgen, so zeigen Sie's nicht! Ihr Leben schwebt mit dem Schatz in Gefahr!« und die Arme um seinen Nacken schlingend, preßte sie sich an ihn, als hätte sie einen ihm bestimmten Todesstreich in Empfang nehmen wollen. »Tag und Nacht bin ich geritten, seitdem ich es auskundschaftete,« fuhr sie beinah athemlos fort, »ich fürchtete, zu spät zu kommen – man will Sie berauben – man ist in der Nähe! Jeden Augenblick können sie eintreffen, und dann ist's zu spät!«

Clementia's Begleiter war jetzt ebenfalls herangekommen. Anstatt sich aber dem vor Erstaunen sprachlosen Perennis zuzugesellen, ritt er dem andern Pferde nach, welches, sobald es sich frei fühlte, davontrabte.

Weder Perennis, noch der Zuñi oder die versteckt lauernden Räuber bemerkten daher, daß sein Antlitz zum größten Theil durch ein Tuch verhüllt war, welches er unterhalb der Augen quer um dasselbe geschlungen und am Hinterkopf zusammengeknotet hatte.

»Wer sollte kommen, wer mich angreifen?« fand Perennis endlich Worte und als hätte in dem sorglosen Tone seiner Stimme etwas Zurückweisendes für sie gelegen, trat Clementia einen Schritt zurück, »und käme Jemand, er würde nichts finden, als diese leere Grube. Nein, hier liegt der Schatz nicht; auf einer andern Stelle muß er gesucht werden.«

»So holen Sie ihn zu einer andern Zeit, zu einer Zeit, in welcher man nicht Ihren Spuren folgt. Und liegt ihnen nichts an dem Schatz, so sollen ihn wenigsten diejenigen nicht besitzen die mich marterten und quälten, mir einen Mord zur Last legten, wo ich nur aus Nothwehr Jemand verletzte, die ich noch mehr hasse, als das Scheusal, dessen wilden Angriff ich mit einem blindlings geführten Messerstoß lohnte!«

Sie sprach noch, und Perennis, der Zuñi und Kohena den Rücken dem Feuer zugekehrt, sahen gespannt auf sie hin, als Manuel auf Händen und Knien hinter den frisch aufgeworfenen Erdwall schlich und mit äußerster Vorsicht in die Grube hinabspähte. Statt eines mit Schätzen gefüllten Kellers, erkannte er nothdürftig eine leere, unregelmäßige Vertiefung, und ebenso schnell gewann er volles Verständniß für Perennis' letzte Bemerkung, daß das Gold auf einer andern Stelle zu suchen sei. Die Warnung Clementia's aber konnte er nur auf sich und seine Genossen beziehen, und namenlose Wuth ergriff ihn, als er sich durch sie eines Schatzes beraubt sah, welchen er bereits in den Händen zu halten glaubte.

»Wer ist es,« forschte Perennis lebhafter, und vorübergehend vergaß er die Gefährten und den Zweck, zu welchem sie sich entfernt hatten, »wer könnte ein größeres Recht hier besitzen, als ich?«

»Der Stärkere,« rief Clementia leidenschaftlich aus, »thun Sie Alles, nur den Schatz geben Sie ihnen nicht preis, warten Sie bis zu einer günstigeren Zeit, gönnen Sie ihnen nicht den Triumph –«

Sie schrie laut auf und brach in die Kniee.

Ein Schatten war von der Grube her unbemerkt und mit der Gewandtheit eines sprungfertigen Tigers hinter ihr vorübergeglitten. Eine leichte Hand schien sie zu berühren, und doch war es ein Todesstoß gewesen, welchen die bewehrte Faust nach ihr führte. Während aber Perennis, den wahren Zusammenhang immer noch nicht ahnend, sich zu der vermeintlich Ohnmächtigen niederbeugte, der Gobernador dagegen sich der entsetzten Albino zukehrte, sprang Manuel, das blutige Messer in der Faust, zurück und dicht an dem Feuer vorbei. Um Clementia's Warnung zurückzuhalten, war er zu spät gekommen, jedoch früh genug, um sich ungestraft nicht nur für den Verlust des Goldes, sondern auch dafür zu rächen, daß sie bei einer früheren Gelegenheit sich seinen hinterlistigen Nachstellungen gewaltsam entzog. Die in wilder Befriedigung funkelnden Augen hielt er bei seiner Flucht auf Perennis und den Gobernador gerichtet, um einen etwaigen Angriff von dorther zu begegnen. In seiner blinden Raserei gewahrte er daher nicht, daß auf der andern Seite des Feuers Jemand aus der Dunkelheit auftauchte. Erst als er, seine Eile beschleunigend, mit demselben zusammenprallte, kehrte er sich ihm zu.

»Cristobal!« rief er zurücktaumelnd aus, als er diesen, der das blutige Tuch von seinem Antlitz gerissen hatte, erkannte, und wiederum hob er das Messer.

»Für meine Schwester!« gellte ihm Cristobals Stimme in die Ohren, und die von des jungen Mannes Hand entsendete Pistolenkugel schlug ihm durch die Brust und warf ihn zu Boden. Seines Todes gewiß, versuchte Manuel den in seinem Gurt steckenden Revolver zu ziehen. Doch Cristobal stand über ihm. »Und das ist für mich!« rief er wieder aus, indem er ihm eine zweite Kugel durch den Kopf sandte.

Dies Alles war das Werk weniger Sekunden, so daß die anwesenden Zeugen in ihrer Bestürzung den so schnell aufeinander folgenden und in der unbestimmten Beleuchtung gleichsam verschwimmenden Ereignissen nicht zu folgen vermochten. Perennis, vollständig rathlos, hielt das Haupt Clementia's, die auf die Seite gesunken war und sich lang ausstreckte. Wie und wo die mörderische Waffe sie getroffen hatte, wußte er nicht. Sein ganzes Denken und Empfinden galt einer mit dem Tode Ringenden, der auch nur Erleichterung zu verschaffen, außerhalb des Bereiches der Möglichkeit war. Erschüttert rief er ihren Namen, erschüttert forderte er den Gobernador auf, Hülfe zu leisten. Selbst das zweimalige Knallen von Cristobals Pistole veranlaßte ihn kaum, aufzuschauen.

Wie durch einen Schleier hindurch sah er einen zu Tode Getroffenen hinstürzen, dann kehrt er sich Clementia wieder zu. Der Gobernador stand hochaufgerichtet da, die Büchse zum Schuß bereit in beiden Händen, die Blicke dahin gerichtet, von woher er einen neuen Angriff befürchtete. Seine sonst so träumerischen Augen schienen plötzlich die Eigenschaft nachtliebender Thiere angenommen zu haben. Er unterschied in geringer Entfernung die zusammengekauerten Schatten Sculpins und Bunslows, welche nach dem Falle Manuels die Fassung verloren hatten und sich offenbar scheuten, im Kampfe mit einem stärkeren Feinde ihr eigenes Leben zu wagen. Denn auf die wilde Beß, die gezwungene, wenn auch leichtfertige Begleiterin auf ihren Raubzügen, die Angesichts der blutigen Scenen plötzlich eine Andere geworden zu sein schien, konnten sie nicht länger rechnen. Sie verhielt sich, als sei sie durch den Anblick des grausigen Mordes in Stein verwandelt worden. Mit keiner Wimper hätte sie gezuckt, wäre Cristobal, derselbe Cristobal, welcher ihrem Tänzer, dem Manuel, die schwere Gesichtswunde verdankte, vor sie hingetreten, um sie für den gewaltsamen Tod seiner Schwester zur Rechenschaft zu ziehen.

Da drang wieder das Stampfen einer Anzahl scharf getriebener Pferde herüber. Sculpin und Bunslow, die Rückkehr Plenty's und seiner Leute vermuthend, verschwanden zwischen den nahen Mauertrümmern, um von dort aus den weiteren Verlauf der sich gleichsam überstürzenden Ereignisse zu überwachen. Ihre Besorgniß wurde erhöht durch den Umstand, daß die Pferde sich aus der Richtung näherten, in welcher sie die eigenen Thiere untergebracht hatten. Waren es Apaches, so konnten sie darauf rechnen, die Wüste zu Fuß verlassen zu müssen. Die wilde Beß schloß sich ihnen nicht an. Die stand fortgesetzt da, wie aus Erz gegossen. Und näher kamen die geheimnißvollen Reiter und, durch das von Cristobal aufs Neue geschürte Feuer gelenkt, geraden Weges auf die geöffnete Grube zu.

Endlich hielten sie vor derselben. Ihrer zwölf mochten es sein. An der Spitze Hall auf einem Maulthier, neben ihm ein anderer geistlicher Herr, auf der rechten Seite der Alkalde einer kleinen Stadt, von welcher aus die Bewegungen Plenty's und Rothweils überwacht worden waren. Hinter diesen folgte ein Trupp bewaffneter Mexikaner. Auch sie hatten seit dem frühen Morgen in der Nachbarschaft geweilt, jedoch so weit von den Ruinen, daß sie, ohne selbst entdeckt zu werden, durch Kundschafter sich Kenntniß von dem Treiben in der alten Trümmerstadt zu verschaffen vermochten. Auf diese Weise erklärt es sich, daß sie, hätte man statt des Kreuzes, wirklich die Schätze aufgedeckt gehabt, gerade zur entscheidenden Stunde eingetroffen wären. Ihre Kundschafter hatten die fünf Pferde und Maulthiere der Räuber gefunden und dieselben für Plenty's Eigenthum haltend, der Sicherheit halber mitgenommen.

Als Hall in der Nähe der Grube anhielt, blendete ihn anfänglich das lodernde Feuer. Er bemerkte daher nur Perennis, den Zuñi-Häuptling und Cristobal. Ueber die von dem Schatten des Erdaufwurfs bedeckten Gestalten Clementia's, Manuels und der jungen Albino glitten seine Blicke hinweg. Perennis hatte sich erhoben und wieder zur Büchse gegriffen.

Neben ihn hin trat Cristobal, während der Gobernador Kohena mit seinem Körper deckte. So erwarteten sie die Anrede der Fremden.

Ein zweiter Blick überzeugte Hall, daß Plenty und dessen Leute nicht anwesend. Er deutete es dahin, daß man bereits mit dem Bergen des gehobenen Schatzes beschäftigt. Der Erdwall hinderte ihn, in die Grube hinabzuschauen.

»Ich komme zur rechten Zeit,« redete er Perennis höflich an, »etwas später, und ich fand den Keller, in welchem das unserer Kirche angehörende Gold untergebracht wurde, leer. Ihr Fundgeld, obwohl Sie mir nur vorgegriffen haben, soll ihnen nicht vorenthalten werden; dagegen lege ich hiermit Beschlag auf Alles, was die geöffnete Höhle birgt und geborgen hat. Zugleich fordere ich Sie im Namen der Behörde auf,« und er wies auf den neben ihm haltenden Alkalden, »wenn noch irgend welche Angaben zu machen sind, dieselben an mich zu richten.«

»Sie kommen gerade zur rechten Zeit,« wiederholte Cristobal gehässig Halls Anrede, und er nahm ein flackerndes Holzscheit von dem Feuer, »gerade zur rechten Zeit, um einer armen Seele den letzten geistlichen Zuspruch zu gewähren. Für den Mörder ist's freilich zu spät,« und im Vorbeigehen stieß er Manuels Leiche mit dem Fuße, »und schwerlich würde es ihm viel genutzt haben; aber hier meine Schwester, Sie kennen sie gut genug; das arme Ding ist Tag und Nacht geritten, um mich in Manzana aufzusuchen; dann begaben wir uns hierher, um die Herren auf Ihren Besuch vorzubereiten. Ich hielt sie längst für todt, dahingeschieden mit dem Bewußtsein, einen Mord begangen zu haben; und doch wäre Dem da nur sein Recht geschehen. Jetzt weiß sie's freilich besser,« und mit glühenden Blicken betrachtete er Hall, der um den Erdaufwurf herumgeritten war, dann aber, sobald er Clementia erkannte, die er in Santa Fé wähnte, vor Bestürzung kein Wort hervorzubringen vermochte.

»Sie ist immer noch schön,« brach Cristobal das plötzlich eingetretene Schweigen wieder mit drohendem Hohn, »es wird indessen nicht mehr lange dauern. Sie stirbt beruhigt, das weiß ich, denn wir trafen ebenfalls zur rechten Zeit ein, um das Bloslegen des Schatzes zu verhindern. Sie glauben's nicht, ehrwürdiger Vater? Blicken Sie doch hinein in die Grube, ob Sie etwas finden, was Ihren Geschmack reizt.«

Hall war abgestiegen, und während die Reiter einen Halbkreis um ihn bildeten, kniete er vor Clementia nieder. Eine Weile betrachtete er sinnend das schöne bleiche Antlitz, welches die röthliche Flamme des von Cristobal leicht geschwungenen Feuerbrandes voll beleuchtete. Perennis war hinter ihn getreten. Angesichts der Sterbenden vergaß er, daß man wirklich herbeigeeilt war, um ihm das zu entreißen, was als sein Eigenthum zu betrachten er so vollkommen berechtigt zu sein glaubte. Noch weniger brachte er Halls Anwesenheit in Beziehung zu seinem Zusammentreffen mit Dorsal in der Zuñi-Stadt. Der Gobernador stand noch immer neben seiner Enkelin. Indem er sich in der Zuñi-Sprache leise mit ihr unterhielt, gewann sein hageres Antlitz immer mehr den Ausdruck innerer Verzückung.

Da schlug Clementia die Augen auf. Sobald sie aber Hall erkannte, schloß sie dieselben wieder.

»Fort von mir,« flüsterte sie, jedoch laut genug, daß Perennis und Cristobal es verstanden, »ich kann ohne Sie sterben – fort – Señor Rothweil will ich sprechen – ich habe Niemand ermordet –«

»Ihre Sinne sind umnachtet,« versetzte Hall feierlich, und er erhob sich; dann zu Perennis, der neben die Sterbende hinkniete und das von Blut getränkte Kleid zu öffnen und die Wunde zu untersuchen trachtete, »liegt es in Ihrer Macht, sie zu trösten, so versuchen Sie Ihr Bestes, und möge Ihr Thun gesegnet sein. Sie war immer excentrisch. Lassen Sie sich nicht stören, wenn sie auch jetzt noch –«

»Fort,« flüsterte Clementia wiederum, Perennis' Hand ergreifend, »ich will in Frieden sterben.«

Hall trat einige Schritte zurück, wogegen Cristobal auf ihrer andern Seite niederkniete.

»Legen Sie ihr Ohr an meinen Mund,« fuhr sie zu Perennis fort, »eilen Sie – meine Füße sind bereits todt – ich fühle sie nicht –« und als Perennis sich über sie hinneigte, flüsterte sie weiter: »Man schickte mich ab, um Sie zu hintergehen – mich kümmerte nicht, was d'raus wurde. Ich hatte nichts Besseres gelernt – die Furcht vor einer schrecklichen Strafe zwang mich. Nachdem ich in Ihre Augen gesehen hatte, gelang mir der Betrug nicht weiter; auch nicht, als man mich bedrohte und strafte. Ihre Augen haben mich verfolgt bei Tage und bei Nacht – ich konnte nicht anders – ich mußte Ihnen nach – wollte Sie warnen – geben Sie das Gold nicht meinen Feinden – sie konnten mich retten – aber – sie verdarben mich – heilige Jungfrau – Maria –«

Das waren ihre letzten Worte. Noch immer über sie hingeneigt, lauschte Perennis vergeblich auf neue Kundgebungen. Er meinte, sich nicht von ihr losreißen zu können.

»Es ist vorbei mit ihr,« drang Cristobals Stimme rauh zu seinen Ohren; »was hilft's, daß ich's an dem Manuel rächte? Die Tochter meiner Mutter macht's nicht lebendig.«

Hall warf einen besorgten Blick auf das entstellte Antlitz des jungen Mannes. Mochte das Bild der Todten ihn immerhin ergreifen, höher stand ihm das sagenhafte Gold, in dessen Besitz er noch zu treten hoffte.

Perennis, nachdem er seine Hand einige Sekunden auf Clementia's Stirn hatte ruhen lassen, erhob sich. Er war todtenbleich. Wie geistesabwesend sah er langsam im Kreise umher. Ueberall begegnete er düsteren Physiognomien. Nur die Nähe der Ermordeten hatte verhindert, daß der von Habgier getriebene Priester sich nicht längst mit neuen Fragen an ihn wendete. Da drängte eine weibliche Gestalt sich zwischen den Reitern hindurch. Sie schien Keinen zu sehen, Niemand sehen zu wollen. Flüchtig betrachtete sie die matt beleuchtete Todte; dann kauerte sie sich neben derselben nieder, wie um sie zu bewachen, Haupt und Arme auf den Knieen rastend.

»Wir sehen uns heute zum ersten Mal,« redete Hall endlich Perennis höflich an, »und abgesehen von den hier stattgefundenen furchtbaren Ereignissen, kann ich nur bedauern, von einem Fremden Rechenschaft fordern zu müssen.«

»Ich bin bereit, Rechenschaft über Alles abzulegen, für das ich Anderen gegenüber verantwortlich zu sein glaube,« versetzte Perennis noch unter dem vollen Eindruck von Clementia's letzten Worten.

»Wohlan, Señor Rothweil, so mache ich von meinen Recht Gebrauch, Auskunft über das zu erbitten, was in dieser Grube gefunden wurde. Erwägen Sie, daß wenn Sie meinen Worten mißtrauen, eine höhere Instanz darüber zu entscheiden haben wird, wer von uns mit größerer Befugniß hier erschien.«

Perennis lächelte unsäglich bitter.

»Blicken Sie hinein in die Grube,« sprach er mit unverkennbarer Verachtung; »außer dem verrosteten Grabkreuz fanden wir nichts. Kennen sie aber den Versteck des Schatzes, wie aus Ihren Worten hervorzugehen scheint, so müssen Sie vertraut mit der Bedeutung des Kreuzes sein.«

Hall erbleichte. Er begriff, daß er, um sich des Goldes zu bemächtigen, dennoch zu früh eingetroffen war.

»Es bezeichnet die Lage des Schatzes,« versetzte er erzwungen ruhig, »und wenn Sie der Ehrenmann sind, für welchen ich Sie halte, werden Sie von jetzt ab Hand in Hand mit mir gehen.«

»Ich bin zwar berechtigt, den Schatz zu heben, dagegen ist dessen Lage nicht mein Geheimniß,« antwortete Perennis, indem er auf den Zuñi-Häuptling wies.

»Wohlan, Pedro Pino,« wendete Hall sich an diesen, »wir kennen uns schon lange. Ihr seid ein Christ; es muß Euch klar sein, daß Ihr der Kirche Gehorsam schuldet.«

Der Gobernador, anstatt ihm eine Antwort zu ertheilen, kehrte sich der Albino zu, ein kurzes Gespräch mit ihr eröffnend.

»Ihr seid ein Bürger Neu-Mexiko's und den Gesetzen des Staates unterworfen,« nahm der Alkalde nunmehr das Wort, »Ihr werdet uns die Lage des Schatzes von Quivira bezeichnen, oder ich bürge nicht für die Folgen.«

Der Gobernador warf dem Mexikaner einen verachtungsvollen Blick zu; um seine eingefallenen Lippen spielte von Fanatismus getragener Hohn. Wie um sich der Nähe Kohena's zu versichern, legte er die Hand auf deren seidenhaariges Haupt. Er wollte sprechen, als das Geräusch sich schnell nähernder Männer vernehmbar wurde und gleich darauf Plenty's metallene Stimme herüberschallte.

»Ein einzelner Apache!« rief er sorglos aus, »dem José schoß er einen Pfeil durch den Arm, wofür der Gill ihm 'ne Kugel so zierlich durch den Kopf jagte, als hätte er Zirkel und Winkelmaß dabei benutzt. Die Signalschüsse hier trieben uns zur Eile. Fort sind die Gäule, aber nicht weit, calculir' ich; sie aufzutreiben bedürfen wir nur 'ne Kleinigkeit Sonnenlicht – aber beim Allmächtigen! Wen haben wir hier?« und schneller legte er die letzte kurze Wegstrecke zurück. Ihm auf dem Fuße folgte Burdhill. Die übrigen Leute hatten sich auf den Weg begeben, die verjagten Thiere wieder einzufangen.

Perennis schritt den Eintreffenden entgegen, um sie auf den ihrer harrenden grausigen Anblick vorzubereiten, als Plenty, der unterdessen bei dem Schein des von Cristobal geschürten Feuers alle Anwesenden flüchtig gemustert hatte, wieder in die Worte ausbrach:

»Halloh, Mr. Hall, was in der Hölle Namen führt Sie mit einem ganzen Troß hierher? Calculir', sie haben Wind von dem Schatz von Quivira erhalten! Sollt' mich kaum überraschen, beanspruchten Sie ihn als Eigenthum Ihrer allmächtigen Kirche!«

»Als das unveräußerliche Eigenthum meiner Kirche,« hielt Hall für angemessen, durch eine gerade Antwort die von Plenty gestellte Frage der ihr beigelegten Lächerlichkeit zu berauben, »und zwar auf doppeltem Wege: Zunächst hörte der Schatz nie auf, Eigenthum der Kirche zu sein, und ferner hat der verstorbene Rothweil vor seinem Ende, im Bewußtsein, menschlichen Irrthümern unterworfen gewesen zu sein, wie im Vertrauen auf die Heilsmittel seiner Religion, darauf bezügliche Schritte gethan.

»Ei, das ist mir neu,« entgegnete Plenty heiter, doch lag gerade in dieser Heiterkeit der bitterste Hohn, »wir hätten uns also die wenig bequeme Reise sparen können. Verdammt, Mr. Rothweil, da bliebe Ihnen nichts weiter übrig, als auch Ihr Haus mit Allem, was drum und dran hängt, an die Herren abzutreten, calculir' ich.«

»Es sei denn, wir einigten uns,« schaltete Hall entgegenkommend ein, »und da möchte ich zunächst mir den Vorschlag erlauben, ohne Zeitverlust mit dem Freilegen des Goldes fortzufahren.«

»Natürlich, Mr. Hall,« spöttelt Plenty wieder, »aber wie denkt mein Freund Pedro Pino darüber? Hält der gute Gobernador nicht für rathsamer, die Sache jetzt auf sich beruhen zu lassen und später, wenn wir sicher sind, nicht gestört zu werden, den Versuch zu erneuern?«

In diesem Augenblick drängten Sculpin und Bunslow sich zwischen den Reitern hindurch. »Calculir', die möchten ebenfalls 'ne Hand auf den Schatz legen,« fuhr der berechnende Yankee sorglos fort, als er der beiden Pferdediebe ansichtig wurde. »Verdammt! Da wäre ja die ganze Gesellschaft beisammen, die von dem Burdhill beim Moro so zierlich belauscht wurde,« und durchdringend heftete er seinen Blick auf die wilde Beß, deren Haupt er über den Erdwall hinweg entdeckte, »gut Glück zu Dir Beß! Schade drum, daß Du kein vernünftiges Frauenzimmer geworden bist.«

»Unsere Thiere fordern wir zurück,« antwortete Sculpin trotzig, »Niemand hatte ein Recht, sie von da fortzunehmen, wo wir sie gepflöckt ließen.«

»Und Niemand denkt daran, sie Euch vorzuenthalten,« versetzte Hall, »allein einige Aufschlüsse möchtet Ihr zuvor dem Alkalden ertheilen, zum Beispiel über das, was Ihr hier suchtet.«

»Nicht weniger und nicht mehr suchten wir, als Einer der hier Anwesenden,« erwiderte Sculpin herausfordernd.

»Auch ich möchte zuvor noch ein Wort mit Euch sprechen,« betheiligte Cristobal sich nunmehr an dem Gespräch, und es befand sich wohl Niemand im Kreise, der nicht aus seiner Stimme eine ernste Drohung herausgehört hätte.

»Und ich nicht minder,« fügte Burdhill hinzu, »ich möchte Näheres über den Apache erfahren, der auf einen unserer Leute einen Pfeil abschoß, und dafür von einem andern mit einer guten Kugel bezahlt wurde.«

Sculpin, der dem befremdet auf ihm ruhenden Blick Perennis', der ihn offenbar wiedererkannte, auszuweichen suchte, wollte eine seinen freien Abzug erwirkende Antwort ertheilen, als des Gobernadors Stimme die Aufmerksamkeit Aller auf sich lenkte. Er hatte den Erdwall erstiegen, von welchem aus er die Köpfe der Reiter noch etwas überragte. Mit der linken Hand stützte er sich auf seine Büchse; in das mehr und mehr erglühende Morgenroth schauend, erhielt sein hageres Antlitz wieder jenen schwärmerischen Ausdruck, welcher ihn gewissermaßen als einen Anbeter des ewigen Lichtes und des feurigen Ostens kennzeichnete. Die Albino kauerte vor dem Feuer. Unter der Decke auf Ihrem Schooß lag das Pergamentleder mit der Bilderschrift. Mit der einen Hand ihre Augen beschattend, schürte sie mit der andern die Gluth, auf welche Cristobal mehrere Kloben morschen Cedernholzes geworfen hatte. Die ihr zuströmende Wärme spielte mit dem weißen seidenähnlichen Haar. Noch zarter erschienen bei der doppelten Beleuchtung der Flammen und des anbrechenden Tages der lieblich geformte Mund und das zierlich abgerundete Kinn.

»Aus drei Richtungen sind hier Männer erschienen,« hob der Gobernador an, und beim ersten Ton seiner Stimme trat eine Stille ein, gegen welche sogar das Knistern des brennenden Holzes scharf kontrastirte; »von der Landstraße kamen Leute, welche kein Haus ihr eigen nennen. Der eine erschlug eine weiße Frau und verblutete dann selber; einem anderen wurde für einen Pfeil eine Kugel zurückgegeben. Was wollten sie hier? Sie haben es ausgesprochen. Sie wollten den Schatz von Quivira mit fortnehmen. Wußten sie, wo er lag? Nein. Dann kamen Männer von Santa Fé. Zwei trugen schwarze Röcke, die andern verstanden den Lasso zu schwingen. Sie nannten das Gold von Quivira ihr Eigenthum. Sie wollten es holen. Wußten sie, wo es lag? Nein! Es kam ein Mann übers große Wasser. Gute Freunde begleiteten ihn hierher. Er suchte den Schatz von Quivira. Wußte er, wo er verborgen war? Ja! In seiner Hand befindet sich das Papier, aus welchem ein todter Kazike spricht. Ein Mann, der's auf gute Art gewann, hat es ihm geschenkt, es ist sein Eigenthum –«

»Das leugne ich,« fiel Hall zuversichtlich ein, »der niedergeschriebene Wille jenes Mannes wurde hinfällig, sobald er sterbend sein Testament in die Hände seines Beichtvaters niederlegte.«

»Darüber mögen wir später rechten, jetzt aber hat der gute Gobernador das Wort,« versetzte Plenty in seiner beißend heiteren Weise, und er weidete sich sichtbar an der sich in Perennis' Antlitz ausprägenden Verwirrung.

Und der Zuñi, die Unterbrechung nicht beachtend, fuhr fort:

»Zu dem sprechenden Papier gehören die Bilder, welche die Hand des todten Kaziken malte. Eins ist ohne das Andere nichts werth; Beides zusammen dient dem richtigen Manne. Nur noch einen Weg brauchen wir auszumessen und die Sonne bescheint nach ihrem Aufgange einen goldenen Berg –«

»Was säumen wir noch, alter Pedro?« nahm Hall einfallend im freundlichsten Schmeichelton das Wort, »laßt uns den Schatz aufdecken, damit wir uns nicht vergeblich erhitzen. Und mehr noch: Der Erfolg stimmt milder und versöhnlicher.«

Der Gobernador sah durchdringender auf den Priester. Um seine schmalen Lippen zuckte ein Lächeln der Geringschätzung, und unverweilt nahm er seine Mittheilungen wieder auf:

»Vor vielen Wintern begab mein Vater sich mit einem Manne hierher, welcher dieselbe Schrift trug. Sie wollten den Schatz aus der Erde graben, allein es sollte nicht sein. Die Todten von Quivira, deren Gebeine heute an der Sonne bleichen, litten es nicht. Sie lenkten die Gedanken der Medicinfrau, die meinen Vater begleitete, daß sie zur Umkehr rieth. Was die Väter meiner Väter bestimmten, lebt heute noch. Tod und Verderben trifft Jeden, der die vergrabenen Schätze fremden Augen zeigt. Noch einmal habe ich es versucht, Jemand auf die Spuren nach dem Golde zu führen. Nur noch ein Schritt, und es liegt offen. Soll ich den Schritt thun? Nein; denn die Geister der Todten in Quivira haben den Sinn Kohena's geleitet,« und würdevoll wies er auf die vor dem Feuer kauernde Albino, »was die Geister riethen, sie hat es zu mir gesprochen. Zwei todte Menschen liegen hier, ein Dritter nicht weit abwärts. Soll ich zusehen, wie die andern sich vor dem Golde von Quivira in Wölfe verwandeln? Nein, Kohena hat genug Blut gesehen. Soll ich dem richtigen Manne den Schatz zeigen? Nein. Erschlüge man ihn nicht auf dem Heimwege, so raubte man es ihm in der Stadt Santa Fé –«

»Unsinn, alter Bursche,« fiel Plenty achselzuckend ein, »wir sind Mannes genug, 'ne Schiffsladung Gold in der Stadt so gut zu vertheidigen, wie auf der Landstraße, calculir' ich.«

»Schaffen wir den Schatz gemeinschaftlich nach Santa Fé,« suchte Hall, seiner Erregung kaum noch Herr, im versöhnlichsten Tone zu vermitteln, »ist er in Sicherheit, so mag ein richterlicher Spruch darüber entscheiden.«

»Ein Spruch, welcher der Kirche Alles gut schreibt, was sie mit ihren langen Fingern erreicht, calculir' ich,« höhnte Plenty grimmig, »nein, ehrwürdiger Vater, wir nehmen das Gold an uns, und Denjenigen will ich sehen, der's versucht, es uns abzustreiten. Ich kenne ein Mittel – hoho! ein unfehlbares Mittel,« und spöttisch lachte er über die Grube hin.

»Ich höre, wie Männer sich um Sachen streiten, welche ihre Augen nicht sehen,« nahm der Gobernador das Wort, »liegt das Gold vor ihnen, so fliegen die Messer in die Hände und die Büchsen an die Schultern, und mir fällt's zu, die Leichen mit dem Schatz auf ewig zu begraben. Nein, es soll nicht sein.« Er rief der Albino einige Worte in der Zuñi-Sprache zu. Diese zog das Pergamentleder hervor und legte es so auf die rothe Gluth, daß es fast augenblicklich zusammenschrumpfte und, flüchtig emporlodernd, in schwarze Asche zerfiel.

»Pedro! Reitet Euch der Teufel?« rief Plenty aus und er eilte auf die andere Seite des Erdaufwurfs um die Bilderschrift zu retten. Plötzlich aber taumelte er zurück. Ueber Manuels Leiche stolpernd, hatte er die todte Clementia erkannt, neben welcher die wilde Beß noch immer Wache hielt.

»Mord und Todtschlag!« Das waren die einzigen Worte, welche er hervorzubringen vermochte. Dann erfolgte tiefe Stille. Erst nach einer Minute kam wieder Leben in die Versammlung. Nachdem Plenty das erste Entsetzen niedergekämpft hatte, trat der calculirende Yankee wieder in seine vollen Rechte ein. Er wähnte, daß der Gobernador in kluger Voraussicht den Kunstgriff nur angewendet habe, um den Priester zu täuschen, aber hinlänglich unterrichtet sei, um zu seiner Zeit von dem Kreuze aus die letzte Linie zu schlagen und zu vermessen.

»Wer das gethan oder verschuldet hat, den möge eine Strafe treffen, wie er sie verdient,« sprach er ernst, und auf die todte Clementia weisend, richtete er seine Augen durchdringend auf Hall, »der Gobernador aber hat Recht; er räumt die Ursache aus dem Wege, welche diesen beiden Menschen das Leben kostete und vielleicht noch mehr Menschen das Leben kosten würde.«

Er kehrte sich dem Häuptling zu. Derselbe war verschwunden. Während alle Blicke an Plenty's Lippen hingen, war er unbemerkt in die Grube hinabgeglitten. Leises Knirschen lenkte die Aufmerksamkeit Aller auf ihn hin. Wer nicht zu Pferde saß, sprang nach dem ringförmigen Sandwall hinauf, und da sah man den alten Zuñi, wie derselbe die beiden Arme des Kreuzes ergriffen hatte und dieses, unter Aufbietung seiner äußersten Kräfte, bald nach rechts, bald nach links herumdrehte.

»Haltet ein!« rief Hall, von einer dunklen Ahnung beschlichen, leidenschaftlich aus, während Plenty in ein höhnisches Lachen ausbrach; denn er begriff, daß es schon nach der ersten Bewegung unmöglich geworden, eine Linie von unbestimmter, jedenfalls über fünfhundert Ellen hinausreichender Länge nach dem in der verbrannten Bilderschrift bezeichneten Ziel hinzuschlagen.

»Was beginnt Ihr?« frage auch Perennis bestürzt, und wollte in die Grube hinabsteigen, als es dumpf krachte, und der Gobernador, das Kreuz in den Händen, bis an die gegenüberliegende Uferwand zurücktaumelte. Einen prüfenden Blick warf er auf das von Rost zerfressene Eisen, welches tief unten abgebrochen war, und in einer Weise, daß, abgesehen von der Verschiebung des noch im Erdboden haftenden Theils, an ein Zusammenfügen der zerbröckelnden Bruchenden nicht mehr gedacht werden konnte. Dann schleuderte er das Kreuz nach dem Erdwall hinauf, daß es gerade vor Hall zu liegen kam.

»Da habt ihr den Wegweiser,« sprach er ruhig, »fragt das Kreuz, wo das Gold verborgen ist, und hört, was es antwortet.«

Nach dieser letzten Handlung, deren Bedeutung Keiner unterschätzte, schien Erstarrung sich Aller ermächtigt zu haben. Schweigend beobachtete man den Gobernador, wie er die Grube verließ und wieder neben die Albino hintrat. Diese erhob sich. Einige Worte sprach sie zu ihrem Großvater. Dieser warf die Büchse auf die Schulter, ergriff Kohena's Hand und entfernte sich mit ihr in der Richtung nach dem Lager. Stumm und noch immer unter dem vollen Eindruck des Gedankens, daß mit einem einzigen Schlage die Nutznießung eines ihnen unermeßlich erscheinenden Schatzes den Menschen auf unberechenbare Zeiten verloren gegangen, blickten Alle dem Häuptling nach. Eine eigenthümliche Würde umfloß die lange, hagere Gestalt, indem sie mit dem schlanken, leichtfüßigen Mädchen dem flammenden Osten zuschritt.

Da weckte das Poltern und Stampfen mehrerer Pferde die Gesellschaft aus ihrem Brüten. Als man sich nach dem Geräusch umsah, erblickte man Sculpin und Bunslow in voller Jagd das Weite suchend. Es war ihnen gelungen, durch Zerschneiden der Zügel ihre Pferde zu befreien. Vielleicht hatte auch der Eine oder der Andere, ihre Feindschaft fürchtend, ihnen ein Thier unbemerkt frei gegeben.

»Laßt sie laufen,« rief Plenty aus, und er erschien sorgloser, denn je zuvor, »dem Galgen entlaufen sie schwerlich; hier aber sind wir wohl fertig, calculir' ich, und sich Perennis zukehrend, fügte er hinzu: »hab's immer für Unsinn gehalten und geschah's nicht meinem alten Nachbarn zu Liebe, hätten keine zehn Locomotiven mich hierhergeschleppt.«

»Sie sind verantwortlich für Alles,« brachte Hall mühsam hervor.

»Will's gern verantworten,« erwiderte Plenty grinsend. Ein Schatten glitt über sein knochiges Antlitz, als sein Blick Clementia streifte, »doch hier giebt's andere Arbeit für Sie, und er wies auf die Todte, »viel Säumens ist in dieser dürren Einöde nicht, calculir' ich, und da schlage ich vor, wir begeben uns ans Werk, Jemand die letzte Ehre zu erweisen, der wohl ein besseres Loos verdient hätte.«

Er fühlte seine Hand ergriffen. Als er sich umkehrte, sah er in das durch die Schnittwunde entstellte Antlitz Cristobals. Unbeschreiblich düster blickte der junge Mann.

»Die Heiligen mögen es ihnen vergelten,« sprach er rauh, »meine Schwester ist sie immer geblieben, was auch vorgefallen sein mag. Haben Sie eine Stelle für mich zur ehrlichen Arbeit, so lassen Sie mich mit Ihnen ziehen. Ich hab's satt hier herum.«

»'nen Platz, Obdach und Brot,« versetzte Plenty ernst, »wer bei mir seine Schuldigkeit thut, findet keine Ursache, es zu bereuen, calculir' ich.« Er nickte Perennis spöttisch zu, und dann zu Burdhill: »es ist hell genug, um die Gäule zu sammeln, oder wir erleben, daß die beiden entsprungenen Schufte noch einige mitgehen heißen.«

Nachdem Burdhill sich entfernt hatte, kehrte er sich der todten Clementia wieder zu. Die wilde Beß kauerte so regungslos neben ihr, als sei ihr Leben ebenfalls entflohen gewesen.

»Halloh, Beß,« redete er sie rauh an, »für 'nen Menschen, der's ehrlich meint, ist's zur Umkehr nie zu spät. Auch für Dich findet sich in meinem Hausstande noch Gelegenheit, Dich nützlich zu machen. Bist 'ne handfeste Person, und mir immerhin lieber, als Jemand, der mit Gottes Wort um sich wirft und hinterher den Leuten die Kehle zuschnürt.«

Beß blickte zu ihm auf. Zwei große Thränen rollten über ihre gebräunten Wangen. Sie sagten mehr, als sie mit der ganzen Beredsamkeit Halls hätte ausdrücken können.

Perennis aber sah auf Plenty, als hätte er seinen Sinnen nicht getraut. Bewunderte er an dem stets berechnenden und spekulirenden Yankee die Gleichgültigkeit, mit welcher er den Verlust des fast in den Bereich ihrer Hände gerückten Schatzes beurtheilte, so setzte ihn geradezu in Erstaunen die Menschenfreundlichkeit, die in einem Herzen wohnte, welches er bisher für verknöchert gehalten hatte. Er konnte es nicht fassen, und doch war Täuschung unmöglich.

Was Hall empfand, nicht der aufmerksamste Beobachter hätte es aus seinen Zügen herausgelesen. Der feierliche Ernst seiner Haltung verbarg, daß selbst in diesem Augenblick seine Berechnungen weit über die Grenzen der Gegenwart hinausreichten. Mit demselben feierlichen Wesen forderte er seine Begleitung auf, abzusitzen und zur Bestattung der Todten zu schreiten.

Behutsam wurde sie in der tiefen Gruft auf frisch gebrochene Cedernreiser gelegt und mit solchen bedeckt. Dann trat Hall in die Rolle des Seelsorgers ein. Er verstand es, seine Zuhörer zu fesseln. Was auch immer ihm sonst zur Last gelegt werden konnte: Das Gebet, welches er heute für eine reuig Gestorbene über die offene Grube hinsprach, es fand seinen Weg bis vor den Thron des Allmächtigen.

»Amen,« schloß er seine Grabrede. »Amen,« wiederholten alle Zuhörer. Als habe sie nur auf dieses Signal gewartet, sandte die Sonne hinter den östlichen Höhen hervor ihre ersten Strahlen herüber. Blendender Glanz überströmte die falbe Wüste und die graue Trümmerstadt. Dann begannen die Arme sich zu regen. Eine Viertelstunde Arbeit, und über der Gruft wölbte sich ein Sandhügel. Unterhalb desselben schützte eine Lage Steine die Todte gegen die Angriffe der wilden Bestien. Das verrostete Kreuz wurde zu Häupten des Hügels aufgestellt.

Den erschossenen Mörder scharrte man weiter abwärts in den Sand ein. Auch ihm wurde ein Gebet gesprochen; aber so theilnahmlos klang es, so kalt und handwerksmäßig, daß man ihm nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. Liegt es doch in der Natur des Menschen, der Gottheit vorzugreifen und schon auf Erden zu richten. –

Und nun hatte man bei den Ruinen in der That nichts mehr zu suchen. Plenty's Thiere waren wieder im Lager zusammengetrieben worden. Obwohl die beiden Gesellschaften dasselbe Reiseziel hatten, zog man doch vor, sich gegenseitig zu meiden. Bevor man sich trennte, bat Plenty den Priester um eine kurze Unterredung. Sie gingen abseits, und längere Zeit dauerte es, bis jeder wieder zu seinen Gefährten zurückkehrte. Plenty schaute sorglos, sogar mit spöttischer Heiterkeit darein. An dem Priester wollte Perennis dagegen entdecken, daß er etwas bleicher geworden und die Lippen fest aufeinander preßte. Plenty's letztes Wort war gewesen: »Versuchen Sie es mit Ihren Ansprüchen. An vierundsechszigtausend Dollars sind's, die ich noch in Händen halte, und das Haus ist unter Brüdern seine sechstausend Dollars werth.«

Mit einem kurzen »Adios« begab Hall sich an die Spitze seines Zuges. Plenty sah den Davonreitenden ein Weilchen nach. Auf seinem knochigen Antlitz arbeitete es, als hätten heiterer Spott und grimmige Verachtung auf demselben im Kampfe mit einander gelegen.

»Der kommt nicht wieder,« sprach er vor sich hin. Dann kehrte er sich Perennis zu, welcher sich nur schwerfällig unter den Eindrücken der jüngsten Ereignisse hervor zu arbeiten vermochte.

»Halloh, lassen Sie den Kopf nicht hängen,« rief er aus, indem er ihm freundschaftlich auf die Schulter schlug, »ich hab's immer behauptet, die Angelegenheit mit dem Schatz sei Humbug. Ich versprach's meinem guten Nachbarn, sonst wär's mir nie eingefallen, nach demselben suchen zu helfen. Sie aber haben nunmehr die Pflichten der Pietät trotz aller Hindernisse erfüllt, und es kann Sie kein Vorwurf mehr treffen, calculir' ich. Zum Henker mit allem Golde, das wir schließlich nimmer gefunden hätten. Bilden Sie sich ein, Sie hätten in 'nen leeren Keller geschaut, anstatt in das Sandloch, und Sie sind ebenso klug. Noch einmal, zum Henker mit allen Schatzgräbereien. In fester Arbeit und feiner Spekulation liegt die eigentliche Quelle des Reichthums, das lernte ich schon damals, als ich noch als Zeitungsjunge um 'nen Cent 'ne halbe Stunde trabte. Auch mein guter Nachbar war trotz seiner Narrheiten nicht ganz blind dafür, calculir' ich.«

Perennis sah in Plenty's Augen, wie nach einer Lösung für dessen räthselhafte Andeutungen suchend. Doch das knochige Yankee-Gesicht war verschlossener, denn je zuvor. Weder die Merkmale friedlicher, milder Regungen, noch die gehässiger waren auf demselben bemerkbar.

»Mit Rücksicht auf den fraglichen Schatz bekenne ich mich zu Ihrem Glauben,« sprach er nach kurzem Sinnen, »erblühte mir aber kein materieller Gewinn, so werde ich doch oft und gern an diese Tage meines Reiselebens zurückdenken. Freundliche und wehmüthige Erinnerungen weben sich durcheinander; die einen können nicht ohne die anderen sein,« und auf den Hügel weisend, fügte er ernster hinzu: »Ich kann es nicht fassen, daß sie, dieses Bild üppiger Lebenskraft, so still da unten liegt.«

»Feine Grundsätze,« versetzte Plenty mit seinem tonlosesten Lachen, »wer sich so über Verluste zu trösten weiß, in dem steckt ein gutes Stück von 'nem Spekulanten. Und die da unten im Sande? Nun, wir wollen nicht klagen. Die Vorsehung kann sich nicht, wie 'n Kleinkrämer, um jede einzelne Person kümmern. Geschah's aber, dann möchte man versucht sein, ihr die Gerechtigkeit abzusprechen. Zum Henker!« und die beiden Mundwinkel neigten sich bedenklich nach unten, während das eine Auge sich schloß, »die Clementia sah ich heute nicht zum ersten Mal – in einer anderen Umgebung wäre was Besseres draus geworden, calculir' ich. Vielleicht ist sie jetzt am glücklichsten.«

»Arme Clementia,« sprach Perennis träumerisch vor sich hin. Plenty beobachtete ihn scharf, sogar argwöhnisch, als hätte er sich mit den Bildern vertraut machen wollen, welche ihm vorschwebten.

»Dem guten Gobernador wird die Zeit lang werden,« unterbrach er Perennis' Ideengang, »und wollen wir nicht trotten, wie 'n reiselustiger, halb verhungerter Coyote, gebrauchen wir 'ne gute Viertelstunde, um hinüberzukommen.«

Er winkte Cristobal und der wilden Beß, die auf einigen Mauertrümmern saßen und, die traurigen Blicke auf das verrostete Grabkreuz gerichtet, hin und wieder eine kurze Bemerkung austauschten.

»Wem gehören die beiden Gäule da drüben zwischen dem Gemäuer?« fragte er.

»Der eine mir, den andern hat meine Schwester von Santa Fé bis hierher geritten,« antwortete Cristobal, ein gutes Pferd obenein, oder es hätte es nicht geleistet.«

»So mag die Beß es besteigen,« gebot Plenty, »reitet nach dem Lager hinüber und bestellt, man möchte etwas von 'ner Mahlzeit für uns bereit halten. Je eher fort aus dieser Gegend, um so besser für Menschen und Vieh, calculir' ich.«

Eine Stunde später verließ die kleine Karawane die mit dürftigem Gras bewachsene Thalsenkung. Den Apache hatte man eingescharrt und menschenfreundlich einige Felsblöcke auf sein Grab gewälzt, den Wölfen zum Hohn, welche einzeln und paarweise die Lagerstätte umkreisten. Um die Mittagszeit warfen die Reisenden von einer Anhöhe aus den letzten Blick auf die in der hohen Sonnengluth scheinbar zitternde Kirche von Quivira, das Einzige was dem Auge von der Ruinenstadt noch erreichbar.


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