Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Achtzehntes Kapitel.

Die Testamentseröffnung.

Ein Tag war vergangen und noch einer; als erfüllt galten die Förmlichkeiten, welche die Eröffnung des Testamentes bedingte.

Perennis hatte Plenty nicht öfter besucht, als es ihm zur Förderung seiner Zwecke unerläßlich erschien. Das Mißtrauen, welches der auf die Kostbarkeit seiner Zeit sich berufende Yankee ihm einflößte, wurde noch erhöht, als am zweiten Tage auf einem Morgenspaziergange eine tiefverschleierte Mexikanerin im Vorüberschreiten ihm einen offenen Zettel darreichte. Auf demselben stand: »ein Freund Ihres verstorbenen Onkels warnt Sie vor dem habsüchtigen Plenty. Sehen Sie zu, wem Sie Ihr Vertrauen schenken. Auf Ihre Diskretion bauend, wird erwartet, daß Sie dieses Papier sofort vernichten.«

Als Perennis aufschaute, war die geheimnißvolle Fremde im Begriff, in eine Querstraße der Vorstadt einzubiegen. Er erkannte nur noch, daß sie durch schönen Wuchs und anmuthige Bewegungen sich auszeichnete. Seinen Entschluß, ihr zu folgen, gab er ebenso schnell auf, wie derselbe erwachte, und in der nächsten Minute wiegte der Brief sich als kleine Schnitzel um ihn her in der stillen Morgenluft. Träumerisch sah er den an Schneeflocken erinnernden Papierrestchen nach; ein bitteres Lächeln trat auf seine Züge.

»Man hält mich für einen Knaben,« sprach er in Gedanken, »als ob der erste Eindruck, welchen ich von dem Manne empfing, nicht genügend gewesen wäre,« und mißmuthig setzte er seinen Spaziergang fort. An Eliza dachte er, wie an ein Bild, vor welchem er ein Weilchen bewundernd gestanden hatte. Ein trüber Schatten fiel von dem Vater auf die liebliche Tochter. Heimliche Scheu erfüllte ihn, im näheren Verkehr mit Beiden die letzte freundliche Erinnerung gänzlich zu zerstören.

Die Stunde, welche man zur Eröffnung des Testamentes bestimmte, war da. Pünktlich trafen Plenty und Perennis in dem Gerichtsgebäude zusammen. Auf des Richters Frage, wodurch Perennis sich legitimire, nahm Plenty sogleich das Wort.

»Ich bürge für ihn,« sprach er so gleichmüthig, als hätte es sich um den Verkauf eines Sattels oder einiger Decken gehandelt, »nebenbei besitzt er mehr Pässe und Dokumente, als erforderlich, ein Dutzend offenherziger Deutsche zu legitimiren.«

Ueberraschte es Perennis, daß Plenty, der selbst keinen Blick in seine Papiere geworfen hatte, sich so kaltblütig zu seinem Bürgen aufwarf, so wuchs seine Ueberraschung zum Erstaunen, als der Richter die Schriftstücke zurückwies und sich mit Plenty's Zeugnis zufriedengestellt erklärte. Dann holte er zwei mit mehreren Siegeln versehene Briefe hervor, deren einen er Perennis mit der Aufforderung darreichte, sich von der Unverletztheit der Siegel zu überzeugen. Den anderen legte er neben sich auf den Tisch.

»Er scheint nicht viel Worte gemacht zu haben,« bemerkte er im Geschäftston, »doch um Jemand zum Universalerben einzusetzen, bedarf es keiner Papierstöße.«

Er nahm den Brief zurück, brach die Siegel, und das Dokument entfaltend, las er die Eingangsformel ziemlich ausdruckslos vor. Erst als er zu den eigentlichen Bestimmungen gelangte, erhob er seine Stimme ein wenig.

»So gebe ich denn meinen freien, von keiner Seite beeinflußten Willen dahin kund,« hieß es, »daß mein Bruder, wenn er noch lebt, oder dessen Kinder in den unumschränkten Besitz meiner ganzen Habe treten, jedoch unter der unantastbaren Bedingung, daß mindestens Einer von ihnen zur Eröffnung des Testamentes sich hier in Santa Fé einstellt. Sollten innerhalb zweier und eines halben Jahres weder mein Bruder noch eins seiner Kinder, noch ein anderer an deren Stelle tretender Verwandter es für der Mühe werth gehalten haben, sich persönlich nach meinem Ende und meinen rechtsgültigen Verfügungen zu erkundigen, so verliert dieses Testament seine bindende Kraft und es tritt ein zweites, an meinen Freund Plenty adressirtes in volle Geltung. – Hier ist es,« schaltete der Richter ein, indem er den neben ihm liegenden Brief emporhob und wieder hinwarf; dann las er weiter: »Was ich zunächst meinem Bruder oder dessen Kindern vermache, besteht aus einem am Marktplatze gelegenen Hause sammt Allem, was es enthält. Mögen sie damit, so viel oder wenig es sein mag, nach Willkür verfahren und es ihnen gesegnet sein. Zugleich ernenne ich meinen langjährigen Nachbarn und Geschäftsfreund, den Mr. Plenty, zum Testamentsvollstrecker. Etwaige Zweifel über meinen Nachlaß oder Anfechtungen ist er befugt, nach seinem eigenen Ermessen zu schlichten und zu ordnen, ohne daß irgend eine Person Einsprache dagegen erheben dürfte. So verfügt und beschlossen bei klarem Bewußtsein –« folgten die Unterschriften, Tag und Jahreszahl.

»Das wäre Alles und wenig genug obenein,« schloß der Richter, indem er Perennis das Testament einhändigte, »Sie treten hiermit in den Besitz des Hauses, und aufrichtig wünsche ich, daß die Erbschaft sich schließlich als umfangreicher ausweise, als nach diesem Schriftstück zu erwarten wir Ursache haben.«

Perennis stand nicht gleich eine Erwiderung zu Gebote. Hatte er hier doch kaum mehr erfahren, als ihm in der Heimat bereits mitgetheilt worden war. Wie ein Alp wälzte es sich auf seine Seele, daß er in so hohem Grade abhängig von dem guten Willen Plenty's , desselben Mannes, vor welchem er kurz zuvor so geheimnißvoll und dringend gewarnt wurde.

Herbe Enttäuschung prägte sich daher in seinem Antlitz aus, als er nach kurzem Sinnen sich Plenty zukehrte. Derselbe wechselte eben mit dem Richter einige gleichgültige Bemerkungen, und kümmerte sich anscheinend am wenigsten um die in dem Testament mit Bezug auf ihn selbst ausgesprochenen Bedingungen.

»So bin ich aufs Neue in die peinliche Lage versetzt, Ansprüche an Ihre kostbare Zeit erheben zu müssen,« redete Perennis ihn mit verbittertem Ausdruck an, als Plenty seine Hand ergriff, dieselbe nachlässig schüttelte und in die Worte ausbrach:

»Darum keine Sorge! Bei der Geschäftsstille verwerthe ich meine Zeit gern auf andere Art, und jede Stunde, welche ich Ihnen opfere, wird pünktlich berechnet. Haben Sie aber Ihr gutes Geld für 'ne Sache hingegeben, so kann von peinlicher Lage nimmermehr die Rede ein, calculir' ich. Ist's Ihnen recht, so lassen wir die Siegel gleich entfernen. Es hindert Sie dann nichts, sich im eigenen Hause so bequem einzurichten, wie möglich. Wünschen Sie eine Haushälterin, so ist bald eine gefunden; ziehen Sie vor, als Junggeselle im Gasthofe Ihre Mahlzeiten einzunehmen, so hat Keiner dagegen etwas einzuwenden. Sind Sie dagegen geneigt, sich als Nachbar bei mir in Kost zu geben – und Sie würden viel Zeit dabei sparen – so berechne ich Ihnen Gasthofspreise und nicht einen Cent mehr.«

»Ich ziehe das Gasthofsleben vor,« antwortete Perennis, der wiederum eine Gaunerei zu wittern meinte, »uns Beiden wird dadurch manche Unbequemlichkeit erspart.«

»Durchaus keine Unbequemlichkeit,« versetzte Plenty nachlässig, »wo für zwölf Personen gekocht wird, und so stark ist mein Hausstand, findet auch der Dreizehnte Platz, und wer für seine Kost zahlt, braucht sich nicht zu geniren, zuzulangen, doch – wie's Ihnen gefällt. Wir leben hier in einem freien Lande, calculir' ich, wo es Jedem unbenommen bleibt, sich auf seine eigene Art durchzuschlagen oder zu verhungern. Und nun, Gentlemen,« kehrte er sich dem Richter zu, »möcht' ich rathen, baldigst ans Werk zu gehen. Ich setze voraus, Mr. Rothweil sehnt sich darnach, ein leibeigenes Dach über seinem Kopfe zu wissen.«

Er schritt auf die Thür zu, es Perennis und dem Richter anheimgebend, ihm zu folgen oder zurückzubleiben. Ersterer verschloß den unversehrten Brief. Perennis blickte unterdessen Plenty nach. Bei jeder neuen Mahnung an dessen kleinliche Gewinnsucht, fühlt er seine Abneigung gegen ihn wachsen. Und doch war er an ihn gekettet, konnte er keinen Schritt ohne seine entscheidende Stimme thun. Ihm war zu Muthe, als hätte er, hineingeschleudert in eine neue Welt, um jeden Bissen Brot einen Kampf gegen Hinterlist, Lug und Trug aufnehmen müssen.

»Folgen wir ihm,« störte der Richter ihn jäh aus dem Chaos seiner Gedanken. Er griff nach seinem Hut und sie traten auf die Straße hinaus. Plenty erwartete sie in der Thür. Spöttisch lächelnd betrachtete er Beide, und sorglos über Wetter und Wärme plaudernd, schlug er die Richtung nach der verwaisten Heimstätte ein.

Vor derselben eingetroffen, prüfte der Richter das durch ein darüber genageltes Brettchen geschützte Siegel des Eingangs. Es war unverletzt. Plenty brach es, zog einen Schlüssel hervor und öffnete die seit zwei Jahren nicht aus ihren Fugen gewichene Thür. Eintretend, befanden sie sich in einer Räumlichkeit, ähnlich der Vorhalle in Plenty's Hause. Auch hier lag auf jeder Seite ein Fenster, deren Laden von innen befestigt und versiegelt waren. Bevor man Perennis Zeit zur Umschau gönnte, wurden alle Siegel, auch die der nach dem Hofe öffnenden Thüren und Fenster beseitigt, ebenso von den Hintergebäuden. Als nirgend eine Spur des Eindringens wahrnehmbar, kehrte der Richter sich Perennis zu.

»So will ich denn der Erste sein, der Sie zur Uebernahme Ihres Erbes beglückwünscht,« sprach er, ihm die Hand reichend, »mögen Sie Ihren Herd hier gründen oder in die alte Heimat zurückkehren: Ueberall hin begleitet Sie mein Wunsch, daß Sie nie weniger Achtung bei Freunden und Bekannten genießen mögen, als Ihr verstorbener Verwandter während seines langjährigen Aufenthaltes an diesem Ort sich einer solchen erfreute.« und Plenty vertraulich Zunickend, empfahl er sich.

»Ich calculir', wir fassen Ihre Erbschaft jetzt etwas näher ins Auge,« kehrte Plenty sich Perennis zu, sobald der Richter das Haus verlassen hatte, und langsam schritten sie in die Halle zurück, »wir können sie zugleich oberflächlich taxiren, damit wir ungefähr wissen, wie hoch Ihr Vermögen sich beläuft. Für das Haus zahle ich Ihnen zu jeder Stunde fünfzehnhundert Dollars, keinen Cent mehr ist es werth. Die Mauern bestehen aus ungebrannten Ziegeln, und um es mit dem meinigen zusammenzuwerfen, bedarf es eines kostspieligen Umbaues. Nach dem anderen Gerümpel frage ich nicht,« und er schwang die Hand im Kreise, Perennis' Aufmerksamkeit auf die an den Wänden angebrachten Bretter hinlenkend, auf welchen alterthümliche Thongefäße und Theile von solchen peinlich geordnet sich aneinander reihten, »wollen Sie aber den Schund los sein, berechne ich das Stück durch die Bank mit fünfzehn Cent; 's wird mich Mühe kosten, ihn wieder an den Mann zu bringen, calculir' ich.«

»Und das war der vertraute Geschäftsfreund meines armen Onkels,« dachte Perennis während des letzten Theils von Plenty's Rede, dann antwortete er, mit Mühe seinen ganzen Unmuth niederkämpfend: »Es erscheint mir etwas früh, schon jetzt über das Haus zu verfügen; bin ich doch in Zweifel, ob ich nicht dennoch mich zum Hierbleiben entschließe.«

»Recht so, junger Mann,« fiel Plenty etwas lebhafter ein, »man muß nie in der Uebereilung handeln, und als Nachbar sollen Sie mir willkommen sein.«

Perennis lächelte spöttisch. Er erwog, wie lange der schlaue Yankee ihn als eine auszupressende Citrone betrachten würde, und fuhr mit seinen Einwänden fort:

»Und die Alterthümer? Ich denke, mein seliger Onkel bezahlte wohl etwas mehr, als fünfzehn Cent pro Stück.«

»Ein Vermögen kosteten ihn die Scherben,« bestätigte Plenty entrüstet, »Tausende und Tausende von Dollars gab er für die Erlangung derselben hin, anstatt sein schönes Geld in Grundbesitz anzulegen. War er selber aber kurzsichtig genug, den Plunder oftmals mit Gold aufzuwiegen, so setzte er schwerlich voraus, daß ein Anderer ebenso einfältig sein würde. Wie gesagt: fünfzehn Cent pro Stück, auch zwanzig, und nicht 'nen Strohhalm mehr. Ueberlegen Sie, ob Sie den Ballast länger beherbergen oder gar mit nach dem Osten schleppen wollen, 'ne gute achtspännige Fuhre ist's mindestens, oder ob's nicht gescheiter, ihn gleich loszuschlagen.«

»Was wollen Sie selber damit?« fragte Perennis, um Plenty's Gewinnsucht von ihm selbst in grelles Licht gestellt zu hören.

»Ich?« frage Plenty und grübelnd schloß er das eine Auge, während er das andere über die beschwerten Bretter hinschweifen ließ. »Hm, ich stapele den Trödel in einem Winkel meines Lagerhauses auf, calculir' ich, und kommt heute oder morgen ein verschrobener Professor oder 'n sonstiger wahnsinniger Häring von 'nem Gelehrten, der nach solchen Sachen aus ist, so versuch' ich's, ihm den Kram anzuhängen. Zahlt er eine gute runde Summe, so mag er sich 'n paar Dutzend Dinger auswählen; den Rest behalte ich für andere Gelegenheiten auf Lager.«

»Sie würden immerhin ein gutes Geschäft machen.«

»Ohne Zweifel,« gab Plenty lachend zu, »wenn ich meine Hand überhaupt an eine Sache lege, so geschieht's nicht zum Zeitvertreib, sondern um Profit zu machen. Je größer der Profit, um so herzlicher die innere Befriedigung, calculir' ich.«

In Perennis erneuertem Lächeln offenbarte sich Geringschätzung.

»Nun, Mr. Plenty,« sprach er mit einer Würde, welche selbst dem calculirenden Yankee sichtbar Achtung einflößte, »von Ihrem Standpunkte aus mag der Plan viel Verlockendes haben, allein böten Sie mir das Zehnfache, so würde mich das nicht bestimmen, auch nur den kleinsten Scherben dafür hinzugeben. Ich bilde mir ein, mein todter Onkel, wüßte er, daß ich Das, was er mit so viel Opfern an Zeit, Geld und Mühe sammelte, wie werthlosen Kehricht behandelte, würde sich in seinem Grabe umkehren.«

»Lieb wär's ihm schwerlich, allein die Todten hätten viel zu thun, wollten sie noch lange ihren Nachlaß überwachen. Nein, Mr. Rothweil, Ihr guter Onkel liegt am Auferstehungstage noch ebenso säuberlich auf dem Rücken, wie in der Stunde, in welcher wir ihn in seinen Sarg betteten.«

»Das mag sein,« versetzte Perennis, und er gab sich kaum noch Mühe, seinen Widerwillen zu verbergen, »der Verstorbene fand in dem Sammeln von Alterthümern einen Lebensgenuß, zu welchem er vollkommen berechtigt war, und meine Pflicht ist es, seine Liebhabereien zu achten. Es ist genug, daß er im Vorgefühl seines Todes der fernen Verwandten gedachte, die sich nie um ihn kümmerten, allerdings auch nicht konnten, und seiner letzten freundlichen Erinnerung wäre ich unwürdig, wollte ich durch das Verschleudern seiner Schätze einen so traurigen Mangel an Pietät offenbaren. Nein, die Alterthümer behalte ich. Sollten meine Verhältnisse sich dagegen so gestalten, daß ich gezwungen wäre, mich von ihnen zu trennen, so geschähe es nimmermehr auf dem Wege des Handels. Es würde sich in Santa Fé wohl eine Stätte finden, wo ich sie als ein Geschenk des Verstorbenen hinterlegen könnte, mit der ausdrücklichen Bedingung, sie nie aus einander zu reißen, sondern zu Gunsten der Wissenschaft als Basis eines zu gründenden Museums zu betrachten.«

Plenty senkte die Mundwinkel, dann spitzte er die Lippen und stieß einen zischenden Ton der Verwunderung aus. Sich auf den Hacken umdrehend, verbarg er, wie es in seinen scharfen Augen blitzartig aufleuchtete.

»Wär's nicht gegen die Höflichkeit,« bemerkte er spöttisch, »so möchte ich Sie einen Grünen nennen. Doch Sie werden mit der Zeit lernen, dem Klingen blanker Dollars den Vorzug vor dem nüchternen Danke alter Bücherwürmer zu geben.«

Perennis schwieg. Um die ihm peinliche Unterhaltung abzubrechen, warf er noch einen prüfenden Blick um sich, worauf er an Plenty's Seite in das Nebenzimmer trat.

Wie in der Vorhalle herrschte auch hier eine Sauberkeit und Ordnung, als ob am frühen Morgen erst eine geschäftige Hand mit dem Staubwedel über alle Gegenstände hingefahren wäre. Seit zwei Jahren hatten die unverletzten Siegel vor Thüren und Fenstern gelegen, und doch entdeckte man nirgend ein Spinngewebe. Auf dem Schreibtisch stand Alles so, wie der Verstorbene es selber geordnet hatte. Mehrere Bücher lagen auf demselben, einzelne aufgeschlagen, andere geschlossen und mit Papierstreifen als Lesezeichen zwischen den Blättern. Auch Federn waren zur Hand und umringten eine schwere, zum Dintenfaß hergerichtete Streitaxt von Grünstein. Den Mittelpunkt bildete ein altmexikanischer Götze, ein liegendes Ungethüm ohne Hinterleib, dafür mit zwei Vorderkörpern und zwei Köpfen. Die dicklippigen Rachen waren mit natürlichen Fuchszähnen dicht besetzt, während bläuliche Steine den ganzen Körper mosaikartig schmückten. Bei genauerer Prüfung entdeckte man indessen, daß das wunderliche Scheusal nur eine Nachbildung aus Thon, vielleicht darauf berechnet, ungeübte Forscher zu täuschen. Vor demselben lag ein fingerdicker Folioband. Mechanisch schlug Perennis ihn auf. Derselbe enthielt Register von Alterthümern nebst zahlreichen Anmerkungen.

»Kaufmännische Bücher sind nicht vorhanden?« sprach er beiläufig.

»Gut bemerkt,« antwortete Plenty mit einem grimmigen Lächeln, »in Ihnen steckt mehr von einem geriebenen Geschäftsmann, als Sie selbst ahnen.«

Perennis fühlte das Blut in seinem Antlitz emporsteigen.

»Ich fragte gedankenlos,« erwiderte er stotternd, »mir liegt nichts ferner, als mich um die Rechnungen Verstorbener zu kümmern. Mein Onkel war Herr seiner Habe, und hätte er für gut befunden, sie zu verbrennen, so besäße Niemand ein Recht, ihn deshalb zu tadeln.«

»Die Rechnungsbücher hat er in der That verbrannt,« erklärte Plenty sorglos, »Oder vielmehr mich sie in seiner Gegenwart verbrennen lassen. Ich calculir', der Alte schämte sich, so viel gutes Geld für schlechten Schund hingegeben zu haben, und wünschte, es vor seinen Erben zu verheimlichen. Das da ist sein Kleiderschrank,« sprang er ab, indem er mit Perennis nach dem abgelegten Winkel der an sein eigenes Haus grenzenden Seitenwand hinüberschritt und das ziemlich unförmliche Stück Möbel öffnete, »'s ist jetzt leer, wie Sie sehen. Des Nachbars Kleider gab ich dem Zuñi, seinem alten Majordomo, mit auf den Weg. 's wär nur Mottenfraß gewesen, zumal er dem Ungeziefer einen so bequemen Eingang verschafft hatte,« und nachlässig wies er auf zwei in den oberen Theil der Thürfüllung gesägte Sterne, »pah, als ob Kleiderplunder nicht auch ohne frische Luft verstocken könnte; aber er hatte seine Schrullen.«

Langsam bewegte er sich dem nächsten offen stehendem Zimmer des Hinterhauses zu. Perennis folgte ihm zögernd. Lebhafter, denn bisher, gedacht er der geheimnißvollen Warnung. Widersinnig, unnatürlich erschien ihm die Gemeinschaft der lieblichen Buchhalterin mit dem Manne, welchen sie Vater nannte. War doch Alles, was er in seinem Verkehr mit Plenty erfuhr, mehr als geeignet, sein Mißtrauen gegen ihn zu erhöhen. Indem die lange knochige Gestalt vor ihm herging, sandte er einen Blick durch das mit einem einfachen weißen Kalkanstrich versehene Zimmer, dessen Hauptmöbeleinrichtung aus Wandbrettern mit Büchern und Alterthümern bestand. Es rief für ihn den Eindruck hervor, als ob die wenig kunstvollen Erzeugnisse längst in Staub zerfallener Geschlechter verdrossen auf seinen Führer niederschauten. Er konnte nicht fassen, daß der Verstorbene Jemand zum Vertrauten wählte, dessen Ansichten den seinigen so schnurstracks entgegenliefen.

»Hier ist sein Schlafzimmer,« hob Plenty wieder an, sobald er die Schwelle überschritten hatte, »in dem Bett da ist er gestorben. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch ließ ich's vor dem Versiegeln mit frischer Wäsche überziehen. Er meinte, es müsse sich wohnlich ausnehmen, wenn der Eine oder Andere seiner Verwandten hier einkehre.«

»Wohnlich genug sieht es aus,« versetzte Perennis ernst, und einen wehmüthigen Gedanken zollte er dem Dahingeschiedenen, der auf der Schwelle des Todes mit so viel Anhänglichkeit und freundlicher Sorge derjenigen gedachte, um welche sich früher zu kümmern ihm Zeit und Ruhe gefehlt hatten.

»Es hindert Sie nichts, sogleich einzuziehen,« erklärte Plenty, »Sie sparen dadurch die Miethe im Gasthofe, ich rechne, einen halben Dollar auf den Tag, und ein halber Dollar will verdient sein, calculir' ich. Da, hier ist Alles zu Ihrem Empfange bereit, fügte er hinzu, »Waschbecken, Seife, Handtuch, bei Gott, das Wasser ist in den zwei Jahren noch nicht eingetrocknet, wer hätte das für möglich gehalten!« und er tauchte die Finger in das halbvolle Becken, und sie schüttelnd, bedeckte er den Tisch so schnell mit Spritzflecken, daß Perennis meinte, sich getäuscht zu haben, als er schon vorher einen Tropfen dicht neben der Schüssel zu bemerken glaubte.

»Wunderbar in der That,« gab dieser träumerisch zu, »sogar unerklärlich; zwei Jahre sind ein langer Zeitraum.«

»Und dennoch erklärlich,« erwiderte Plenty, »wenn man in Betracht zieht, daß der gute Nachbar die Schüssel bis an den Rand zu füllen pflegte. Und dann das Abschließen der Luft.«

»Trotzdem athmet man leicht hier; nicht die Spur verdumpfter Kelleratmosphäre.«

Plenty kehrte sich schnell ab.

»Ein wunderlicher alter Gentleman war er immerhin,« erzählte er gleichmüthig, indem er dem Arbeitszimmer wieder zuschritt, als wäre ihm der Aufenthalt in dem Sterbegemach unangenehm gewesen, »in Geschäften so scharf wie ein Rasirmesser, und in seinen Liebhabereien ein Kind. Bei Gott, da entsinne ich mich eines Auftrages: ›Plenty‹, sprach er eines Tages zu mir, ›die Geschichte mit dem Testament auf dem Gericht ist Humbug. Hab's nur gethan der Form wegen und damit das Haus auf legalem Wege in den Besitz irgend Jemandes kommt. Hab' da noch über den vornehmsten Theil meiner Habe zu verfügen, und das kann nur geschehen, wenn der Erbe hier eingezogen ist. Denn verlautet, wo meine Schätze stecken, so stiehlt sie irgend ein Schurke, bevor der richtige Eigenthümer sich hier umgesehen hat.‹ Ja, so sprach mein guter Nachbar; nachher aber hat er vergessen, mir Näheres darüber mitzutheilen, und ihn darum zu befragen, lag nicht in meiner Natur, calculir' ich.«

»Das klingst geheimnißvoll,« versetzte Perennis, und argwöhnisch sah er in das beinah einfältig verschlossene Antlitz des Yankees, »und mehr noch: mir sogar unverständlich. Vielleicht ein Irrthum oder eine falsche Auffassung; denn wie konnte der Verstorbene von Schätzen sprechen, die sein Eigenthum, von welchen er aber fürchtete, daß sie ihm entwendet werden würden? Giebt es doch Mittel und Wege genug, sie sicher anzulegen.«

»Auch mir unverständlich,« entgegenete Plenty, »hätte er mir nur eine einzige Silbe gesagt, bevor der Tod ihn unversehens ereilte. Wer weiß, was er damit meinte, daß sein richtiges Testament Humbug – pah–«

Er hob den Götzen empor und betrachtete ihn aufmerksam. Nach allen Seiten drehte er ihn, und immer spöttischer wurde der Zug um seine glatt geschorene schmale Oberlippe.

»Ein gescheiter Herr, und trotzdem auf solche Art sich hinter's Licht führen zu lassen,« fuhr er fort, ohne Perennis' Ungeduld zu beachten, »ein Einbrecher, der des Nachts diese Bestie holt, bringt sie am Tage wieder; denn die ist gefälscht, glasirt und aus so gutem einheimischen Thon gebrannt, wie nur je eine gehenkelte Suppenschlüssel. Und doch beschwor mein guter Nachbar, das zweiköpfige Scheusal sei mehr werth, als ein halbes Dutzend einköpfiger englischer Rennpferde, und dabei hantirte er es, als sei es aus den feinsten Glasfäden gesponnen gewesen.« Er klopfte auf das eigenthümliche Gebilde; »und hohl ist's obenein,« bemerkte er geringschätzig, »da, hören Sie« – er klopfte wiederum, ging dabei aber ungeschickt zu Werke, daß es seiner Hand entglitt, auf das steinerne Dintenfaß fiel und in Scherben zerbrach.

»Wenn er das noch erlebt hätte!« rief er schadenfroh aus, und fest in Perennis' Augen schauend, bannte er gleichsam dessen Blicke, »ich calculir', mit unserer Freundschaft war's vorbei.«

»Das ist bedauerlich,« sprach Perennis vorwurfsvoll, denn es empörte ihn, daß ein Lieblingsstück seines Onkels in so wegwerfender Weise behandelt wurde. Er senkte die Blicke auf die Trümmer; fast gleichzeitig griff er mit einem Ausruf des Erstaunens nach einer Papierrolle, welche aus dem kopflosen geborstenen Rumpf hervorragte.

»Das ist großartig! Das ist unglaublich!« offenbarte Plenty nun ebenfalls sein Erstaunen, »aber das sieht ihm ähnlich! Er hatte seine Schrullen, und wundern sollt's mich nicht, hätte er, statt einem guten gewissenhaften Freunde, die Schätze, von welchen er mir erzählte, dieser zähnefletschenden Bestie anvertraut.«

Perennis betrachtete ihn forschend. Er wußte nicht, sollte er an seine Mitwissenschaft glauben, oder nicht. Erst nach einer längeren Pause, als Plenty fortgesetzt den Ausdruck namenlosen ehrlichen Erstaunens und dann wieder spöttischer Ueberlegenheit bewahrte, neigte er zu der Ueberzeugung hin, daß in der That nur ein Zufall gewaltet habe.

»An dem Götzen ist allerdings nicht viel verloren,« brach er endlich wieder das Schweigen, welches Plenty dazu benutzt hatte, mehrere Scherben zu prüfen und festzustellen, daß an dem hohlen Gebilde mit vieler Mühe ein Stück losgeschliffen und, nach Hineinschieben der Rolle, wieder sorgfältig eingekittet worden war, »er scheint sogar zur Zertrümmerung bestimmt gewesen zu sein, gleichviel durch welche Mittel dieselbe schließlich bewirkt worden wäre.«

»Entglitt's nicht meiner Hand, so hätte das Geheimniß noch hundert Jahre in dem Bauch dieses verdammten Drachen hausen können calculir' ich,« betheuerte Plenty, »es sei denn, wir hätten ein darauf bezügliches Schriftstück entdeckt – aber Mann, was stehen Sie da wie ein abgetriebener Gaul vor seiner neuer Stallthür, und halten die Rolle, die ihre hunderttausend Dollars werth sein mag, zwischen den Händen, als ob's 'ne Pulvermine wäre?«

Perennis blieb noch immer sprachlos. Besorgniß erfüllte ihn, den Inhalt der mit so viel Bedacht verheimlichten Rolle kennen zu lernen. Ihm war, als hätten mit deren Oeffnen die plötzlich ins Leben gerufenen überschwänglichen Phantasien und Hoffnungen auf eine glänzende, unabhängige Zukunft zerschellen müssen, wie der vor ihm liegende Götze. Plenty hingegen, um die schmalen Lippen das charakteristische, auf Verheimlichung seiner Gedanken berechnete Lächeln, welches sich wunderlich in den langen Kinnbart verlief, hob wieder gedehnt an:

»Möchte ich doch darauf wetten, daß dies das richtige Testament ist, wenn er das andere Humbug nannte. Jedenfalls ist's Ihr Eigenthum, und es müßte Ihnen daran gelegen sein, es kennen zu lernen, calculir' ich. Wollen Sie's ungestört lesen, so ist mir's recht und ich gehe meiner Wege. Wenn nicht, so möcht' ich Ihnen zu erkennen geben, daß Zeit mehr werth ist, als Geld.«

Wie aus einem Traum erwachend, richtete Perennis sich auf. Argwöhnisch blickte er in Plenty's Augen. Es widerstrebte ihm offenbar, bei seinen weiteren Forschungen den schlauen Yankee zum Zeugen zu haben, und doch mußte er sich sagen, daß der Vertraute seines Onkels kaum viel Neues erfahren würde, dagegen, wenn er es ehrlich meinte, mindestens einzelne Aufschlüsse von ihm zu erwarten seien. Seine Entscheidung folgte schnell.

»Sie waren der Freund meines verstorbenen Onkels,« hob er an, unbekümmert um das verschmitzte Grinsen, mit welchem Plenty die nach seiner Meinung diplomatische Einleitung bahnte, »ich darf daher wohl daraufrechnen, daß Sie etwas von dem Wohlwollen, welches Sie für ihn hegten, auf mich übertragen.«

»In Geschäften erreicht selbst brüderliche Liebe ihr Ende,« antwortete Plenty belehrend, »denn gerade in Geschäften ist nichts störender, als sich von sentimentalen Empfindungen leiten zu lassen, calculir' ich, oder solche bei Anderen vorauszusetzen. Freie Hand muß Jeder behalten, um nicht hinterher als Verräther zu erscheinen, wenn die beiderseitigen Ansichten über Dieses oder Jenes auseinander laufen.«

»Gewiß, gewiß,« gab Perennis zu, ohne die vernommenen Worte recht erwogen zu haben, »und meine Absicht ist es am wenigsten, ihnen die Hände binden zu wollen. In Ihrer Willkür liegt es dagegen, Ihren Rath mir zu ertheilen oder vorzuenthalten. Ich bitte Sie daher, zu bleiben. Sie begreifen, von Hause aus kein Geschäftsmann –«

»Hab's auf den ersten Blick erkannt,« schaltete Plenty ruhig ein, indem er vor dem Tisch Platz nahm und Perennis durch ein Zeichen aufforderte, seinem Beispiel zu folgen.

Dieser setzte sich nieder.

»Nein, ich bin kein Geschäftsmann,« wiederholte er, »und ich mache kein Geheimniß daraus. Aus Ihren Andeutungen aber und der Art der Verpackung dieser Rolle geht unzweifelhaft hervor, daß der Verstorbene die Oeffentlichkeit so lange wie möglich auszuschließen wünschte.«

»Ganz damit einverstanden,« antwortete Plenty billigend, »wo's der Vortheil bedingt, darf das eigene Ohr nicht hören, was die Lippen sprechen.«

»Wo es der eigene Vortheil bedingt,« wiederholte Perennis in Gedanken; dann öffnete er den schmalen Riemen, mit welchem die etwa drei Finger dicke Rolle umwunden war. Plenty hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt. Aufmerksam überwachte er die Finger, die mit unsicheren Bewegungen das in Heftform zusammengelegte Papier glattstrichen.


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