Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Der Haß eines Weibes.

Das Geräusch, mit welchem Plenty die Wandthüren hinter sich schloß, war längst verhallt, da stand Perennis noch immer neben seinem Stuhl, sich mit der Hand schwer auf denselben stützend. Seine Blicke hafteten starr an dem geheimen Ausgange, als hätte er erwartet, Plenty wieder eintreten zu sehen. Endlich seufzte er tief auf.

»Eine starke Arznei verabreichte er mir,« sprach er wie unbewußt, »aber eine wirksame, doppelt wirksam durch die Art, in welcher sie geboten wurde.«

Schwerfällig ließ er sich vor dem Tisch nieder. Schon als Plenty ihn verließ, verschleierte Dämmerung dessen knochige Züge. Seitdem war es ganz dunkel geworden. Das nach der Straße hinausliegende Fenster zeichnete sich indessen deutlich aus. Tiefe Stille herrschte ringsum. Der abgeschlossene Raum schien mit Grüßen angefüllt zu sein, mit Grüßen entsendet einem frischen und bereits mit Rasen überwucherten Grabe, entsendet lebenswarmen Lippen aus weiter, weiter Ferne. Freundliche Augen lächelten ihm aus der dunkeln Umgebung tröstlich zu; sehnsüchtig breiteten sich ihm Arme entgegen. Sein Blick streifte den sich matt auszeichnenden Brief auf dem Tisch. »Eine Stunde werden Sie gebrauchen um den Inhalt kennen zu lernen,« hatte Plenty zu ihm gesagt. Hastig zündete er die Lampe an, dann öffnete er das Packetchen. Es enthielt eine Anzahl in Heftform vereinigter beschriebener Blätter. Die Handschrift erkannte er als die seines Onkels.

»Wem mein langjähriger Freund diese Blätter einhändigt,« begann er zu lesen, »der kann nur mein perennirender Neffe Matthias Rothweil sein; zugleich ein Mann, der pietätvoll meine letzten Wünsche, und wie ich hoffe, zu seinem eigenen Glück getreulich erfüllte. Perennis also! Vernimm meine Abschiedsworte und beherzige sie, als ob ich persönlich vor Dir stände. Mir ein Bild von Dir in Deinen Mannesjahren zu entwerfen, ist mir ebenso unmöglich, wie Dir, Deinen Onkel Dir zu vergegenwärtigen, von welchem dem kleinen Knaben kaum noch eine klare Erinnerung geblieben sein kann. Das hindert indessen nicht, daß ich mit treuen, väterlichen Empfindungen zu Dir spreche, Du dagegen gewiß mit ebenso treuen kindlichen Gesinnungen meine Rathschläge entgegennimmst. Ueber meine Vermögensverhältnisse habe ich Dir nichts mitzutheilen. Es ruht Alles in den Händen meines Freundes Plenty. Er vertritt mich nach meinem Tode. Indem ich dies niederschreibe, bezwecke ich nicht nur, meinem langjährigen treuen Nachbarn den letzten mir möglichen Beweis meines unbegrenzten Vertrauens zu liefern, sondern auch Dich gegen Nachtheil zu schützen. – Mag ich scheinbar mein Besitzthum auf dem alten Erdtheil, den Karmeliterhof, vergessen haben, so hörte ich doch nie auf, Demjenigen, der ihn seit meiner Abreise verwaltete, denjenigen, die ihre Zuflucht dort suchten, ein warmes Andenken zu bewahren. Leider zwang mich ein böses Verhängniß, meinen Aufenthaltsort zu verheimlichen. Den Bewohnern des tiefverschuldeten Gehöftes sind dadurch gewiß manche Sorgen bereitet worden, allein sie werden dafür nach meinem Tode reich entschädigt werden. Denn Derjenige, der den Schatz von Quivira hob, braucht mit seinen Mitteln nicht zu geizen. Und von meinem alten zuverlässigen Wegerich erwartete ich ja weiter nichts, als die Erhaltung der kleinen Scholle Landes für mich und meine Erben. Schon damals, als ich der Heimat Lebewohl sagte, stand mein Entschluß fest, meine Tage in Frieden zu beschließen; das aber wäre mir auf dem Karmeliterhofe nie möglich gewesen. Es wäre mir nicht möglich gewesen, hätte ich meinen hiesigen Aufenthaltsort verrathen. Nicht allein brieflich sondern sogar persönlich hätte man dieselben feindseligen Verfolgungen fortgesetzt, welche mir die Heimat in so hohem Grade verleideten. Wenn dies gelesen wird, liege ich in meinem Grabe. Ich mag also an dieser Stelle ein offenes Bekenntniß ablegen, Auskunft über Alles ertheilen, was mich im Leben bedrückte und marterte; was in seiner Wirkung erst gemildert wurde, als ich in Santa Fé mit meinem Freunde Plenty bekannt wurde, mich innig an ihn anschloß, mit ihm unter den ihn hart treffenden Schlägen litt, mit ihm glücklich war, wenn ein versöhntes Geschick ihm verheißend lächelte. Gott segne meinen Freund Plenty. Gott segne tausendfach seine Stieftochter Eliza, meinen herzigen Liebling, diesen Himmelstrost, dem ich so manche frohe Stunde verdanke. – – –

»Lange bevor ich meinem durch ungünstige Verhältnisse verarmten jüngeren Bruder den Karmeliterhof abkaufte, lebte ich in einer Universitätsstadt – was soll ich hier Namen nennen? – an welche ich durch meine Stellung gefesselt war. Ich hatte keine Ursache, mit dem Geschick zu hadern. Unverheirathet führte ich ein behagliches Junggesellenleben. Nichts störte mich, meinen Forschungen nach Herzenslust obzuliegen und zugleich meinen, von diesen abhängigen Liebhabereien zu fröhnen. Wenn ich bis ins reifere Alter hinein gegen weibliche Reize unempfindlich blieb, so hegte ich doch ein gewisses krankhaftes Verlangen, Jemand um mich zu sehen, der mir in uneigennütziger Liebe zugethan. Der Zufall führte mir einen hübschen, gänzlich vereinsamten Waisenknaben in den Weg. Da er mir besonders wohlgefiel entschloß ich mich leicht, ihn zu adoptiren und, indem ich ihm auf dem Pfade des Lernens gewissenhaft zur Seite stand, mir selbst dadurch den Zwang aufzuerlegen, mich zeitweise von meinen eigenen anstrengenden Arbeiten loszureißen. So verrannen mehrere Jahre, als ein Fall eintrat, welchen ich nicht vorgesehen hatte, und der in seinen Folgen einen überaus trüben Schatten auf mein ganzes Dasein warf. In meiner Leidenschaft für römische Alterthümer, bei deren oft sehr mühsamer und kostspieliger Gewinnung mein, von dem guten Plenty so hoch gepriesenes, kaufmännisches Talent zuerst geweckt und ausgebildet wurde, begab ich mich nach einem Badeort, in dessen Nachbarschaft bedeutende Ausgrabungen stattgefunden hatten. Dort lernte ich eine alleinstehende junge Italienerin kennen, durch deren ersten Anblick ich mich wunderbar gefesselt fühlte. Niemand kannte sie näher. Man hielt sie für eine begüterte Dame, welche, obwohl ein Bild der Gesundheit, an den Heilquellen Kräftigung suchte. Unser Verkehr wurde bald ein sehr reger. Ihr lebhafter Geist bezauberte mich ebenso, wie sie die Unterhaltung mit dem etwas ernsten Gelehrten augenscheinlich fesselte. Und so bildete sich schnell eine Neigung, auf welcher wir glaubten unser irdisches Glück aufbauen zu können. Unter den Betheuerungen treuer Anhänglichkeit und des Versprechens eines baldigen Wiedersehens schieden wir voneinander. Sie selbst war unzweifelhaft in einer sehr günstigen Lebenslage, und gab vor, nur noch ihre äußeren Verhältnisse ordnen zu müssen, um dann in meine Arme zu eilen. Monate vergingen. Bald aus dieser, bald aus jener Stadt erhielt ich die liebevollsten Briefe von ihr. Ich beantwortete dieselben mit gleicher Herzlichkeit, und kein einziges mal schrieb ich, ohne heiße Sehnsucht nach unserer baldigen Vereinigung zu offenbaren. Mein Vertrauen in ihr Gemüth wurzelte ja eben so fest, wie die Bewunderung ihrer hervorragenden Reize. Den Wissenschaften und Forschungen eifrig ergeben, befremdete es mich nicht, daß sie so häufig ihren Wohnsitz wechselte und stets die ihre Gesundheit stählende Luftveränderung als Ursache angab. Ich war zufrieden mit Allem, was sie that und sagte, behielt allein die Zeit im Auge, in welcher wir durch kirchlichen Segen vereinigt werden sollten. –

»Seit mehreren Wochen hatte ich auffälliger Weise nichts von ihr gehört. Da führte der Zufall mich nach einer benachbarten, größeren Stadt. Ich besuchte sonst nie Theater; da man aber dort allgemein von den hervorragenden Leistungen einer gastirenden Tänzerin sprach, und ich an dem fremden Ort meine Abende nicht besser zu verbringen wußte, so entschloß ich mich, gegen meine Gewohnheit und Neigung, einen Blick auf das angekündigte Ballet zu werden. Gleichgültig betrachtete ich den mit bizarren, olympischen Szenen bemalten Vorhang. Die Musik stimmte an; der Vorhang glitt empor, aber wer beschreibt mein Entsetzen, als ich Lucile, meine eigene Lucile, begrüßt von betäubendem Applaus auf die Bühne schweben sah. Ich war so bestürzt, daß ich kaum noch wußte, was um mich her vorging und, befürchtend, Aufsehen zu erregen, mich leise bis in den schattigsten Hintergrund zurückzog. Ich wollte das Haus verlassen, doch es hielt mich wie mit Zauberbanden, und mit jedem Male, daß Lucile auf der Bühne erschien, überzeugte ich mich mehr, daß meine Augen mich nicht täuschten, daß ich schmachvoll hintergangen worden war, indem sie aus irgend einem geheinmißvollen Grunde ihren wahren Stand vor mir verschwieg. Damit sollte indessen mein Leid an jenem Abend nicht enden; denn fast athemlos auf sie hinstarrend, entdeckte ich, wie sie zärtliche Grüße nach einer die Bühne beinahe begrenzenden Loge hinübersandte, aus welcher es aus der Mitte einer Anzahl Uniformen Blumen und Kränze förmlich auf sie einregnete. Ach, diese Verrätherin! Noch heute sehe ich sie im Geiste, wie sie sich dankend nach dieser Loge hin verneigte, und zwar mit Blicken, wie ich glaubte, sie nur allein an ihr kennen gelernt zu haben.

»Wie ich aus dem Schauspielhause kam, ich weiß es heute nicht mehr; ich war vernichtet. Daß Lucile eine Tänzerin, hätte ich gern verziehen, allein daß sie es bedachtsam verheimlichte, mich täuschte, mir liebeglühende Briefe schrieb, wahrend sie vor Anderen ihre Reize zur Schau stellte, das war mehr, als ich zu fassen vermochte. Noch selbigen Abends trat ich die Heimreise an, fest entschlossen, jedes öffentliche Aufsehen vermeidend, das mich bisher so hoch beglückende Verhältniß durch Abbrechen des Briefwechsels einschlummern zu lassen. Ich erwähne hier, daß mein Adoptivsohn, der damals sechszehn Jahre zählte, allgemein als in natürlicher verwandtschaftlicher Beziehung zu mir stehend galt, ein Verdacht, welchen zu widerlegen ich mir nicht die Mühe gab. Ich folgerte, daß die heiligsten Betheuerungen die Menschen nicht vom Gegentheil überzeugen würden, mein ängstliches Verneinen nur dazu diene, sie in ihrem vorgefaßten Glauben zu bestärken. Und was kümmerte es mich schließlich, wie man die Beziehungen zwischen mir und dem Knaben beurtheilte, welchen ich dazu bestimmt hatte, bis an sein Lebensende meinen Namen zu tragen. Hatte er mir doch nie Ursache gegeben, den in einer gewissen poetischen Laune ausgeführten Schritt zu bereuen. –

»Zwei Tage waren seit jenem verhängnißvollen Abend verstrichen, und den Anblick fremder Leute scheuend, hatte ich meine Wohnung mit keinem Schritt verlassen, als kurz vor Abend plötzlich ein Wagen vorfuhr und ich, ahnungsvoll ans Fenster tretend, zu meinem Entsetzen Lucile aussteigen sah. Und wiederum war ich durch diesen unerwarteten Anblick so gelähmt, daß ich erst dann das Fenster zu verlassen vermochte, als hinter mir die Thür geöffnet wurde. Ich kehrte mich um, und vor mir stand Lucile.

»Welch ein Wiedersehen war das! Mein Seelenzustand konnte ihr unmöglich entgehen; allein sie deutete ihn als Schuldbewußtsein, denn anstatt sich mir zu nähern, wie es wohl zu erwarten gewesen wäre, blieb sie an der Thüre stehen, ihre prachtvollen Augen mit unheimlichem Funkeln bald auf mich, bald auf meinen Adoptivsohn Konrad gerichtet, der mit einer schriftlichen Arbeit beschäftigt, am Tische saß. Ich war so ergriffen, daß ich kein Wort hervorzubringen vermochte. Und so standen wir einander gegenüber wohl eine Minute, die mir wie eine Ewigkeit erschien. Als ich aber auch dann noch kein Wort des Willkommens für sie hatte, richtete sie sich mit einer unnachahmlichen Würde empor, und mich durchdringend anschauend und zugleich auf den Knaben weisend, sprach sie mit eigenthümlich zitternder Stimme:

›Es wäre wohl früher Zeit gewesen, mich vertrauensvoll über den wahren Sachverhalt zu unterrichten, und nicht erst dann, nachdem eine Umkehr unmöglich geworden!‹

»Hatte ich bisher gezagt, so kehrte bei dieser Anschuldigung meine Entschlossenheit zurück. Was ich kurz zuvor nicht über mich gewonnen hätte, jetzt gelang es mir leicht. Ob sie nur gekommen, um einen Bruch herbeizuführen; ob sie bei etwaigen Nachforschungen nach mir getäuscht worden und eifrig die Gelegenheit ergriff, um eine Versöhnung und Einigung anzubahnen, mit ihrer Anklage mir zuvorzukommen, wer hätte das bei Jemand entscheiden können, dessen Lebensberuf, mit jedem Kleide auch den Charakter zu wechseln, Gefühle zu veranschaulichen, von welchen sein Herz nichts wußte?

»Ruhig und kalt antwortete ich:

›Hätte ich mir Ihnen gegenüber einen Mangel an Vertrauen zu Schulden kommen lassen, so würde ich nicht wagen, in Ihre Augen zu schauen.‹

›Der da ist wohl überflüssig,‹ bemerkte sie majestätisch, indem sie wieder auf den Knaben wies, doch entging mir nicht, daß sie sich entfärbte, und vielleicht nur, um ihre Erregung zu verheimlichen, nahm sie auf dem nächsten Stuhle Platz.

»Ich schickte den Knaben hinaus, und mich ihr zukehrend, fuhr ich mit gewaltsam erzwungener Selbstbeherrschung fort:

›Wenn Sie beabsichtigen, einen unheilbaren Bruch herbeizuführen, so sind Sie in der Wahl der Mittel nicht glücklich gewesen. Ich hatte ihnen weder Etwas anzuvertrauen, noch Etwas zu verheimlichen. Müßte ich dagegen Ihren, unzweifelhaft durch Andere angeregten Verdacht bestätigen, so entzöge diese Angelegenheit sich Ihrem Richterspruch.‹

»Sie betrachtete meine Erklärung augenscheinlich als eine Bestätigung; ich aber fühlte mich in meiner Stimmung nicht berufen, sie eines Anderen zu belehren. Doch bis in die Seele hinein verletzte mich das feindselige Lächeln, welches auf ihre Lippen trat und dem schönen Antlitz den Ausdruck einer zornigen Rachegöttin verlieh.

›Sie sind wenigstens aufrichtig,‹ sprach sie langsam, als hätte sie jedem Wort einen Gifttropfen beimischen wollen.

›Zu aufrichtig, um zu verheimlichen, daß ich vor zwei Tagen ein Theater besuchte, in welchem ich beobachtete, wie eine gefeierte Tänzerin ihren Bewunderern mit holden Liebesgrüßen dankte,‹ antwortete ich ebenso langsam.

»Heute würde ich freilich schonender zu Werke gegangen sein und, anstatt feindselige Gefühle zu schüren, durch weniger herbe Mittel die nothwendig gewordene Trennung herbeigeführt haben. Doch ich war noch nicht gereift genug, um meinem Traume von irdischer Glückseligkeit ohne Kampf entsagen zu können.

»Auf meine Erwiderung erbleichte Lucile tödlich. Ihre Kräfte drohten, sie zu verlassen, so daß tiefes Mitleid mich beschlich. Hätte sie in jener Minute nur mit einem Wort, mit einem Blick Verständigung gesucht, ich wäre darauf eingegangen, so aufrichtig habe ich dieses Weib geliebt. Doch die Erschütterung, welche meine mittelbare Anklage bewirkte, war von nur kurzer Dauer. In dem Kampfe, der vielleicht in ihrem Innern tobte, siegte die südliche, rachsüchtige Natur über die milderen Regungen; und daß sie milder, sogar der mildesten Regungen fähig gewesen, das habe ich nie bezweifelt. Nur ihre Triumphe waren ihr Unglück. Sie erzeugten nicht allein einen unbändigen Stolz, sondern sie boten demselben auch täglich neue Nahrung.

›Wissen Sie, ob es nicht in meinem Plane lag, Ihnen durch die gelegentliche Entdeckung meines Berufes eine gewiß nicht unfreundliche Ueberraschung zu bereiten?‹ fragte sie scharf, und wären ihre Blicke Dolche gewesen, sie hätten nicht drohender funkeln können.

›Wäre die Wirkung eine andere gewesen, als die der zufälligen Entdeckung?‹ fragte ich ruhig zurück.

»Sie erhob sich zornsprühend.

›Herr Doctor!‹ rief sie aus, ›so wären Ihre Huldigungen nicht an mich verschwendet worden, hätten Sie gewußt, daß dieselben einer Tänzerin dargebracht wurden?‹

›Wohl schwerlich,‹ lautete meine bittere Antwort.

›Und ich,‹ erwiderte sie, wie von tödtlichem Hasse beseelt, ›wenn auch dem bösen Schein unterworfen, welcher sich schwer von meinem Berufe trennen läßt, ich hätte ihnen dennoch meine Unbescholtenheit als mein höchstes Gut zugetragen. Dagegen hätte es meinen Ansichten nicht entsprochen, in Ihrem Herzen die Nachfolgerin Jemandes zu werden, die – nun, Sie erlassen mir nähere Erörterungen – und des armen Knaben Schuld ist es nicht – doch leben Sie wohl, Herr Doktor Rothweil! Eine Tänzerin scheidet von Ihnen, aber nicht auf Nimmerwiedersehen!‹ und ich entsetzte mich förmlich vor dem feindseligen Ausdruck ihres strahlend schönen Antlitzes –, ›eine Tänzerin wird Ihnen Wermuth in jeden Becher träufeln, aus welchem Sie Freude zu trinken hoffen! Eine Tänzerin wird Sie in Ihren Träumen besuchen, wird nicht aus Ihrer Seele weichen, bis Ihnen das Auge bricht! Ueberall, wo Sie gehen und stehen, wird die Tänzerin zur Hand sein, Sie zu quälen und zu martern, immer wieder neue Beziehungen zu Ihnen anzuknüpfen, wo Sie es gerade am wenigsten erwarten! Leben Sie wohl, Herr Doktor! und wenn Sie von meinen Triumphen hören und lesen, dann brüsten Sie sich damit: Diese Lucile, um deren Gunst Tausende und Hunderttausende buhlen möchten, sie hat mich geliebt, ich habe sie geküßt und geherzt! Sie hätte mein Abgott werden können, ich aber zog es vor, sie in eine Furie zu verwandeln, die mich auf Schritt und Tritt bis ins Grab hinein verfolgt!‹

»Während sie solche Worte zu mir sprach, stand sie da, wie durch einen dämonischen Bann gefesselt. Später wurde mir wohl klar – es mag thöricht aus dem Munde eines alten Mannes klingen – daß ein so tiefer Haß, eine so unversöhnliche Feindschaft nur einer ebenso tiefen und makellosen Neigung entkeimt sein könne. Allein in jenem Augenblick, in welchem sie mir nicht mehr als die holde Lucile früherer Tage erschien, kannte ich nichts Anderes, als die Empfindungen ängstlicher Bewunderung. Denn in ihrem Zorn bot sie ein Bild, wie ich nie zuvor eins sah, nie eins nachher. Sie war ein Dämon in dem Gewande der Grazien, zugleich dräuend und verlockend.

»Als sie zur Thür hinausrauschte, blieb ich noch immer wie erstarrt stehen. Es fehlten mir der Muth und die Fassung, den einfachsten Pflichten der Höflichkeit zu genügen. Aber an's Fenster trat ich, um ihr einen letzten Blick nachzusenden, bevor der Wagen sie in sich aufnahm und davontrug. Doch die Zeit verrann und sie erschien nicht. Minute folgte auf Minute, und ich sah sie nicht ins Freie treten. War sie auf halbem Wege stehen geblieben, zweifelnd, ob sie umkehren, ein letztes versöhnliches Wort an mich richten solle? Oder gar erwartend, daß ich ihr nacheilen würde, um sie zurückzuführen? So frage ich heute noch als alter Mann, der auf seinem Grabe wandelt. Indem ich die Hand aufs Herz lege, muß ich antworten: Ja, sie harrte nur auf ein Zeichen, um in meine Arme zu fliegen, mir Alles, ihre Triumphe, ihren Beruf zum Opfer zu bringen. Und ich dagegen? Hätte die Zimmerthür sich geöffnet, wäre sie in derselben erschienen, in den Augen nur ein Funken freudiger Spannung: in meine Arme, an meine Brust hätte ich sie gezogen, um sie nie wieder von mir zu lassen; zu sehr hatte ich sie geliebt. Das Zünglein der Waage schwankte lang hin und her. Keiner wollte den ersten Schritt thun, und so trennten sich zwei Herzen, die vielleicht für einander bestimmt gewesen, um später Eines des Anderen mit Groll und Haß zu gedenken.

»Endlich trat sie aus der Hausthür und in meinen Gesichtskreis. Ihr Antlitz vermochte ich nicht zu unterscheiden; aber ich gewahrte, wie sie ein weißes Tuch von ihren Augen zurückzog. Schnell legte ich meine Hand ans Fenster um es zu öffnen. Der Riegel widerstrebte meinem Druck; und als er endlich nachgab, da rollte der Wagen eilig davon. Dem Kutscher war offenbar die Weisung zugegangen, keine Zeit zu verlieren. Gleich darauf bog er in die nächste Querstraße ein. Das war das Letzte, was ich von ihr sah. Gehört habe ich dagegen um so mehr von ihr. Denn kein neues Jahr schloß sich an das alte an, ohne daß ich von ihr einen Gruß erhalten hätte. Und welchen Gruß! Unheimlich starrte mir jedesmal die fein geschriebene Adresse auf dem duftenden Brieflein entgegen, und doch konnte ich nicht anders, ich mußte den Inhalt lesen.

»›Die Fäden, welche hinüber und herüber gewebt wurden, sie sind noch nicht zerrissen. Es leben noch die alten Beziehungen. Zu geneigtem Andenken empfiehlt sich eine Tänzerin.‹ So ungefähr lautete der jedesmalige Neujahrswunsch. Welch giftiger Haß lag in diesen wenigen Worten! Und dennoch, welche tiefe Leidenschaft gehörte dazu, welche Liebe, um solchen Haß zu erzeugen! Ich fragte mich oft, ob eine Wandlung im entgegengesetzten Sinne noch möglich, und ich mußte es verneinen. –

»Indem die Jahre schwanden, gewöhnte ich mich gewissermaßen an die unheimlichen Briefe. Hätte einmal einer gefehlt, ich würde ihn vermißt haben. Im Uebrigen vermied ich sorgfältig, Lucile's weiteren Lebenslauf zu verfolgen. Ich fürchtete, von den gewöhnlichen Erfahrungen einer Tänzerin zu hören, und begnügte mich, bald in dieser, bald in jener Zeitung das überschwängliche Lob ihrer Leistungen zu lesen.«

Eine Weile sah Perennis auf das in seinen Händen befindliche Papier, ohne weiter zu lesen.

Die Buchstaben liefen vor seinen Blicken ineinander, gestalteten sich zu einem Antlitz, welches ihn mit eisig kalter Ruhe betrachtete. »Die Marquise,« entwand es sich mit dem Ausdruck namenlosen Erstaunens seinen Lippen. Er entsann sich jenes, augenscheinlich vom wildesten Haß diktirten Briefes, welchen er als Lesezeichen in dem Arbeitszimmer auf dem Karmeliterhofe gefunden hatte, und er begriff, daß derartige Verfolgungen den sich nach Frieden sehnenden Mann hatten von dannen treiben müssen.

»Ihr so nahe und doch nicht den wahren Sachverhalt zu ahnen,« folgten seine Gedanken aufeinander. Andere Gestalten verkörperten sich in seiner fieberhaft erregten Phantasie. Der alte Ginster mit seinen düsteren Ankündigungen, dessen Enkelin, die gelehrige Schülerin der einst so hoch gefeierten Lucile – lustiger Gesang schallte zu ihm herein, mit welchem eine Gesellschaft sorgloser Mexikaner über den Marktplatz schritt, und vor seinen Augen verdeutlichte sich wieder die Schrift des Verstorbenen.

»Jahre gingen dahin,« hieß es weiter, »doch nicht mehr froh und sonnig, wie in jenen Zeiten, da Lucile mir noch fremd war. Indem ich mich aus einer Umgebung fortsehnte, in welcher ich auf Schritt und Tritt an meine erbitterte Feindin, die ich ja noch immer liebte, erinnert wurde, erschien es mir wie ein Wink vom Himmel, als ich meines Bruders Absicht erfuhr, den Karmeliterhof zu verkaufen. Ohne mich zu besinnen, gab ich alle Beziehungen auf, welche mich an meine bisherige Heimat fesselten, und einige Wochen später übernahm ich das schon damals ziemlich verwahrloste Gehöft. Doch in meiner Hoffnung, mich dadurch gegen fernere Nachstellung zu schützen, in tiefer, ländlicher Einsamkeit ungestört meinen Studien leben zu können, fand ich mich getäuscht. Denn einer der ersten Briefe, welchen ich in meinem neuen Heim erhielt, war ein von Lucile's Hand geschriebener. Ich hätte verzweifeln mögen, bei diesen neuen Beweisen eines unversöhnlichen Hasses, und schon damals tauchte der Gedanke in mir auf, den Ozean zwischen sie und mich zu legen. Solche Erfahrungen konnten nur dazu dienen, meine Scheu vor andern Menschen zu steigern. Mein Verkehr beschränkte sich schließlich auf ein gelegentliches Plauderstündchen mit einem Fischer, Namens Ginster, dessen Fischgerechtigkeit ihn in nähere Beziehung zu dem Karmeliterhofe brachte. Wollte ich einmal in ein dankbares Antlitz schauen, so besuchte ich eine sehr entfernte Verwandte, die auf einem benachbarten Dorf lebte und sich mit ihrem Manne kümmerlich durchs Leben schlug.

»Was mich zu Ginster hinzog, war wohl der Umstand, daß auch er unter schweren Schicksalsschlägen zu leiden hatte. Zuerst verlor er seine Frau, welche ihm zwei Töchter hinterließ. Beide waren auffallend schöne Mädchen, besonders die ältere. Leider blieb dieselbe nicht unempfindlich gegen die bewundernden Blicke der Männer, was dahin führte, daß sie eines Tages verschwand, und trotz der Aufrufe, welche ich in Ginsters Namen durch alle Zeitungen erließ, nicht mehr zu ihm zurückkehrte. Zu dem von Ginster angeregten Glauben hinneigend, daß ein Fluch auf dem alten Gehöft ruhe, hielt mich jetzt nur noch die Sorge um meinen Adoptivsohn. War der erst ins Leben getreten, daß er meiner nicht mehr bedurfte, dann wollte ich meinem Vaterlande, in welchem ich so viel erduldete, auf ewig den Rücken kehren. Was später aus mir wurde, beunruhigte mich am wenigsten. Denn das Geld hatte keinen Werth mehr für mich. Leicht gab ich es aus, und am leichtesten, wenn es galt, meinem Adoptivsohn den Weg durch die lustige Studentenzeit zu ebnen.

»Das vierundzwanzigste Jahr lag hinter ihm, und seit zwei Jahren hatte ich ihn nicht gesehen. Daß seine Briefe an mich seltener wurden, seine Anforderungen an mich dagegen sich steigerten, verzieh ich ihm in der zuversichtlichen Hoffnung, daß er bald in der Lage sein würde, sich mit eigenen Kräften durchs Leben zu schlagen. War ich doch selber jung gewesen, und für das Schwinden meines kleinen Vermögens hatte ich jetzt ebenso wenig Sinn, wie für den fortschreitenden Verfall des Karmeliterhofes. Da traf mich ein herber Schlag. Ein bedeutender Wechsel meines Adoptivsohnes wurde mir präsentirt, und ich mußte ihn einlösen, wollte ich nicht sein Verderben herbeiführen. Zum erstenmal überhäufte ich ihn mit ernsten Vorwürfen; zugleich forderte ich ihn auf, mir eine genaue Schilderung seiner Lage zu geben. Eine Antwort ließ lange auf sich warten, und als sie eintraf, gestand er mir, daß er ein Verhältniß mit einem armen jungen Mädchen angeknüpft habe, und nur auf eine auskömmliche Stellung warte, um sich zu verheirathen. Bevor ich mich zu einer Antwort auf die leichtfertige Ankündigung entschlossen hatte, traf ein zweiter Brief ein. Die Adresse war von Lucile's Hand geschrieben. Als ich denselben öffnete, fiel mir ein Theaterzettel entgegen, auf welchem der Name des Darstellers einer kleinen Nebenrolle mit einem Blaustift durchstrichen und durch den Namen Konrad Rothweil ersetzt worden war.

»So waren also meine letzten freundlichen Hoffnungen zertrümmert. Undank hatte ich geerntet, wo ich zuversichtlich glaubte, auf Dank rechnen zu dürfen. Unbesiegbarer Leichtsinn hatte vernichtet, was treue Fürsorge mit so vielen Opfern einleitete. Lange starrte ich auf die blauen Schriftzüge. Ich wußte ja, von wessen Hand sie herrührten. Dann stieg der Verdacht in mir auf, daß das Ganze nur ein des Grundes entbehrender Racheakt meiner unversöhnlichen Feindin. Um mich zu überzeugen – und ohne Beweismittel konnte ich den jungen Mann nicht verdammen – entschloß ich mich zu der Reise nach der Stadt, deren Namen der Theaterzettel trug. An meinem Ziel eingetroffen, vermied ich bedachtsam eine Begegnung mit Konrad. Statt dessen begab ich mich des Abends in das Schauspielhaus. Lucile hatte mich nicht getäuscht. Ich erkannte meinen Adoptivsohn in der Maske eines elenden angehenden Possenreißers, der obenein, soviel ich davon verstand, recht herzlich schlecht spielte. Lucile, die an demselben Abend in einem Ballet auftrat, wollte ich nicht sehen. Ich fürchtete, von ihr erkannt zu werden, fürchtete einen ihrer höhnischen, gehässigen Blicke. Tief gebeugt kehrte ich nach dem Karmeliterhofe zurück. Ich ging mit mir zu Rathe, ob es nicht angemessen sei, mich von dem leichtsinnigen jungen Manne loszusagen, und dennoch zögerte ich mit diesem letzten Schritt. Ich wollte zuvor erfahren, wie er sich mir gegenüber stellen würde. Da erhielt ich wieder einen Brief von Lucile. Bangen Herzens erbrach ich ihn. ›Zu der bevorstehenden Verlobung Ihres Herrn Sohnes mit einer Tänzerin, sendet ihre Glückwünsche eine Tänzerin,‹ lautete dessen ganzer Inhalt. Von wildem Zorn ergriffen, zerriß ich das Schreiben.

»Ich wollte es unbeachtet lassen. Lucile sollte wenigstens nicht den Triumph feiern, mich unmittelbar zu irgend einer Handlung getrieben zu haben. Ob sie durch ihren Einfluß meines Konrads Uebergehen zur Bühne und seine Verlobung verschuldete, wage ich nicht zu entscheiden; wohl aber war ich zu der Annahme berechtigt, daß, hätte es in ihrer Macht gelegen, mir den Kummer zu ersparen, sie nie ihre Hand dazu geboten haben würde. Ich hatte eine Tänzerin verschmäht, dafür sollte mein Sohn – und dafür hielt sie den Konrad unzweifelhaft – mir eine Tänzerin ins Haus bringen! Das war ihr Gedanke; ich kannte sie zu genau.

»Endlich nach langem Harren erhielt ich einen Brief Konrads. Er bat mich um Verzeihung, wenn die Ansichten seines Vaters nicht mit den seinigen übereinstimmen sollten, und schließlich forderte er meinen Konsens zu seiner Verheirathung.

»Ich antwortete umgehend, daß ich den Fortbestand unserer Beziehungen davon abhängig mache, daß er der Bühne entsage und zu einem, seinen Kenntnissen entsprechenden Beruf zurückkehre. Ferner kündigte ich ihm an, daß wenn er wirklich später in einer auskömmlichen Stellung sich zu verheirathen wünsche, ich mit meinem Konsens nicht zurückhalten würde, unbekümmert um das, was seine erwählte Braut früher gewesen. Auch hielt ich ihm vor, daß er nicht einmal für nothwendig erachtet habe, mir den Namen des betreffenden Mädchens mitzutheilen. Ausdrücklich aber machte ich ihn auf die Folgen aufmerksam, wenn er meinem Willen zuwider handeln würde. Ich hatte ihm also einen Weg angegeben, auf welchem er mit Ehren an sein Ziel gelangen konnte. Daß er nicht darauf einging, kann mir nie zur Last gelegt werden; noch weniger die Folgen, welche sich an seine Handlungsweise knüpften.

»Und die Folgen waren entsetzlich! Ein halbes Jahr verstrich, ohne daß ich eine Silbe von Konrad hörte, als er eines Tages gerade vor dem Karmeliterhofe als Leiche aus den Fluthen gezogen wurde. Was ich beim Anblick des armen Todten empfand – warum soll ich es heute noch schildern? Meine alte Zuneigung zu ihm machte sich geltend; und in solcher Stimmung bot ich das Aeußerste auf, ihn als meinen, beim Uebersetzen über den Strom verunglückten Adoptivsohn, beerdigen zu lassen. –

»Nach diesen letzten schrecklichen Erfahrungen wurde der Aufenthalt auf dem Karmeliterhofe mir unerträglich. Kein Tag verging, an welchem ich nicht befürchtete, von Lucile ein Beleidschreiben zu erhalten. Sogar der Strom, den ich sonst über Alles liebte, hatte seinen Reiz für mich verloren, seitdem ich ihn als den Mörder des unglücklichen jungen Mannes betrachtete. Ich ging, ohne Angabe meines Zieles; und als ich erst im Westen unter Beihülfe meines treuen Freundes Plenty festen Fuß gefaßt hatte, kannte ich nur noch die einzige Sorge, die Spuren hinter mir so zu verdecken, daß selbst der tödtlichste Haß vergebens nach denselben suchen mußte.

»So viel zur Erklärung meines Verfahrens, welches in der alten Heimat gewiß einen trüben Schatten auf meinen Namen geworfen hat. Ich war aber zu demselben berechtigt; denn mich trug das Bewußtsein, nichts begangen zu haben, was mich der unermüdlichen Nachstellungen Jemandes werth gemacht hätte, den ich einst über Alles liebte. Glückliche, sehr glückliche und zufriedene Jahre habe ich seitdem in Santa Fé verlebt. Ich gab mich frei meinen Forschungen hin, war zugleich Handelsmann, und auf beiden Feldern stand mir das Glück zur Seite. Perennis! Es ist ein freundlicher Gedanke, welchen ich mit ins Grab nehme, daß gerade Du diese Worte liesest, sie also nicht durch Feuer jedem andern Auge entzogen werden. Denn Du, dem ich meinen eigenen Namen Matthias gab und denselben mit dem Zunamen Perennis schmückte, Du wirst in treuer Erinnerung Deines alten Onkels keinen Mißbrauch mit Dem treiben, was ich hier vor Dir offenbarte, sondern da, wo es angemessen erscheint, die Steine, welche man wegen meines seltsamen Verfahrens auf mich werfen könnte, abwehren. Perennis, Du bist der Erbe meiner irdischen Habe, aber auch meiner martervollen Geheimnisse. Diese ehre und achte, wie sie es verdienen. Das aber, was ich gleichsam spielend erwarb, möge es Dir zum Segen gereichen. Im Vertrauen auf Dein dankbares Herz, richte ich noch einige Bitten an Dich. Gleichviel, ob Du in Santa Fé Deinen Herd begründest, oder zurückkehrst nach Europa, verwende einen Theil Deines Goldes dazu, den Karmeliterhof mit Ehren von seinen Schulden zu entlasten und ihm ein freundliches Kleid anzuziehen. Mit dem Karmeliterhof vereinigt ist der alte Wegerich, dessen Zukunft ich Dir ans Herz lege. Willst Du den Hof dann verkaufen, so ist es wenigstens keine Ruine, auf welche die Leute vielleicht mit mancher unfreundlichen Bemerkung über den alten Rothweil bieten. Zu denjenigen, welchen ich in den bösesten Unglückstagen meinen Schutz zusagte, ohne zu wissen, wie und wovon ich ihnen denselben hätte gewähren sollen, gehört eine Familie Schmitz, jene entfernten Verwandten, deren ich bereits oben erwähnte. Wegerich wird darüber nähere Auskunft ertheilen. Wer von dieser Familie noch lebt, der soll sich Deines Beistandes erfreuen, wenn es nothwendig sein sollte; vor allen Dingen aber das einzige Töchterchen, dem ich, um es als Beziehung zwischen ihr und mir gelten zu lassen, in der Taufe den Namen Lucretia beilegte. Sollte das Kind verwaist sein, so nimm Dich seiner getreulich an; und es kann Dir ja gleichgültig sein, ob Du einige Hände voll Gold mehr oder weniger von dem Schatz von Quivira in meinem Sinn verwendest. Im Uebrigen verfahre mit Deinem Reichthum nach Belieben – und Du hast ja noch Geschwister.

»Und nun noch ein letzter Auftrag: Es ist nicht zu erwarten, daß Lucile in irgend welchen Beziehungen zur Bühne steht. Sie wird sich längst ins Privatleben zurückgezogen haben. Ihren Wohnsitz auszukundschaften kann bei der einstigen Berühmtheit der Graniotti, unter welchem Namen sie auftrat, keine großen Schwierigkeiten verursachen. Ihr bringe persönlich oder schriftlich meinen letzten Scheidegruß. Sie soll wissen, daß ich ihr von Herzen alles Leid verzeihe, welches sie mir bereitete. Ihr sollst Du mittheilen, daß ich jetzt in meinem hohen Alter und vor den Pforten des Todes keine Ursache mehr gehabt habe, irgend etwas zu verheimlichen oder schön zu färben. Betheure ihr in meinem, in eines Todten Namen und bei dessen Hoffnung auf einen ewigen Frieden, daß ihr Argwohn, betreffs meines Verhältnisses zu dem armen unglücklichen Konrad, meinem Adoptivsohne, ein ungerechtfertigter gewesen. Scheidend begrüße ich sie noch einmal mit den versöhnlichsten Empfindungen. Indem ich dies mit zitternder Hand niederschreibe, ersteht sie vor mir in der vollen Anmuth ihrer Jugend. Ich vergesse, daß sie mit mir alterte; kann mir nicht vergegenwärtigen das strahlend schöne Antlitz, gebleicht und von Furchen durchzogen, ihre majestätische Gestalt wohl gar gebeugt, nicht mehr einherschwebend, wie getragen von Schwingen – weg mit diesen Bildern – Lucile, ernste Todesgedanken beschleichen mich; sie weihen meinen letzten Gruß. Lucile! Du hast mich angefeindet, verhöhnt und verfolgt; ich habe mich gewunden in dem schmerzlichen Bewußtsein, Deinen Haß nicht zu verdienen, und doch hörte ich nie auf, Dich zu lieben. Lucile, lebe wohl! Beschleichen Dich ähnliche Empfindungen, wenn auch nur im Traume? Ich weiß nicht, soll ich Dir es wünschen, oder nicht gönnen. Wird diese Botschaft Dich jemals erreichen? Wird derjenige überhaupt kommen, dem mein Freund Plenty allein diesen Brief einhändigen darf? Ich hoffe es zuversichtlich, und diese Hoffnung erfüllt mich mit heiterem Frieden.

»Und so lebe denn wohl, Du schöne, Du herrliche Welt! In Dir habe ich gelitten, in Dir habe ich genossen. Ein glücklicher Lebensabend krönte mein irdisches Dasein; ich habe keinen Grund mehr zu klagen. Lebt wohl, Alle, die Ihr auch nach meinem Tode mir noch einen freundlichen Gedanken zollt.«

Hier schloß der Brief. Lange, nachdem Perennis ihn gelesen hatte, sah er noch auf ihn hin. Was er in seinem kurzen Verkehr mit der Marquise auf dem Karmeliterhofe ahnte: daß mehr als bloße Laune sie bewegte, auf dem alten Gehöft zu wohnen, ihn sogar mit Geldmitteln zur Reise zu versehen, das fand er hier unwiderleglich bestätigt. Denn die Marquise, welche noch immer mit Enthusiasmus an dem Beruf hing, dem sie durch einen Unglücksfall gewaltsam entrissen wurde, die alten Erinnerungen aber dadurch rege hielt, daß sie heimlich ein junges Talent ausbildete, sie konnte keine Andere sein, als jene Lucile, welche einst alle Welt durch ihre Anmuth entzückte. Und prägte sich in ihrem ruhigen kalten Antlitz nicht aus, daß sie jetzt die Fähigkeit des Hassens besaß, wie ihr einst die Göttergabe einer glühenden Liebe eigenthümlich gewesen? Er versuchte, sich die schöne hohe Gestalt zu vergegenwärtigen, rief sich einzelne ihrer geheimnißvollen Bemerkungen ins Gedächtniß zurück. Heute waren ihm dieselben kein Räthsel mehr. Aber ein anderes Räthsel tauchte vor ihm auf, ein Räthsel so verlockend, sogar berauschend, daß er meinte, den geistigen Blick nicht von demselben losreißen zu können: Die Enkelin Ginsters, der unstäte Irrwisch, die bezaubernde Rheinnixe; stand sie nicht in irgend einer Beziehung zu dem verstorbenen Onkel oder der Marquise? Er sann und sann. Nirgends entdeckte er einen Anknüpfungspunkt; aber lebhafter schwebte ihm die Marquise vor. Es drängte ihn, die Kunde von demjenigen ihr zuzutragen, den sie so viele Jahre hindurch mit ihrem Haß verfolgte, und der nun still in seinem Grabe ruhte. Er sehnte sich, ihr zu beweisen, daß sie ein treues Herz unverdient anfeindete, ein Leben verbitterte, dessen letzter Athemzug ihren Nahmen hauchte. Wie nahm sie die Kunde auf? Wie löste sich das Räthsel, welches in seinen Augen noch immer das trotzige Fischermädchen umhüllte? Und Lucretia, welche der Verstorbene so warm seinem Schutze empfahl? Welchen Empfang hatte er von ihr zu erwarten, von ihr, die weinend an seinem Halse hing, als er im Begriff stand, die Reise über den Ozean anzutreten?

Es klopfte leise an die Schrankthür. Perennis erschrak. Ihm war, als hätte Jemand durch die kleinen Oeffnungen in der Thürfüllung hindurch aus seiner Haltung Alles lesen müssen, was ihn in den letzten Minuten so ernst bewegte. Bevor er antwortete tönte eine süße herzige Stimme vertraulich hinter der Thür hervor.

»Ich soll unsern guten Nachbarn aus seinen Träumen stören. Mein Vater läßt ihn mit bestem Gruß bitten, seine Zeit weise einzutheilen, seinen Freunden zu geben, was den Freunden gebühre, seinen schwermüthigen Betrachtungen dagegen keine Sekunde mehr, als ihnen rechtlich zustehe.«

»Ich komme, ich komme,« antwortete Perennis, hastig auf die durch die Bretter gedämpfte Stimme zuschreitend. Die Schrankthür öffnete sich und ihm entgegen trat Eliza. Zutraulich seine Hand ergreifend, blickte sie ihm in die Augen, als hätte sie ihm einen Herzensdank darbringen wollen. Wehmütig sah Perennis zu ihr nieder. Wie unwillkürlich küßte er sie auf die Stirn. Sie duldete es mit zartem Erröthen, wie vielleicht einst die väterlichen Liebkosungen seines Onkels.

»Möge das Glück nicht müde werden, Ihnen zu lächeln,« sprach er, »Ihnen und Allen, die zu Ihnen gehören.« Ach, was hätte er ihr nicht Alles sagen mögen!

Eliza lächelte träumerisch. Was lag ihr wohl näher, als der Gedanke an den biederen Burdhill?

Gewandt und anmuthig, wie gewiß unzählige Male bei Lebzeiten seines Onkels, half sie Thüren und Fensterladen zu schließen. Dann nahm sie Perennis' Hand, und ihn nach dem Schrank führend, sprach sie mit der ihr eigenthümlichen verständigen Ruhe:

»Ich will es sein, welche Ihnen zuerst den Weg von Haus zu Haus zeigt.«

Perennis wußte nichts zu antworten. Alles schien sich verschworen zu haben, ihn an das Zerfließen eines kaum in's Leben getretenen entzückenden Traumes zu mahnen.

Als er, noch immer von Eliza geführt, in die hellerleuchtete Eßhalle eintrat, streckten Plenty und Burdhill ihm mit herzlichem Gruß die Hand entgegen. Burdhills Antlitz strahlte, indem er sich alsbald Eliza zukehrte. Plenty, dieser beständig calculirende Yankee, hielt seine Hand etwas länger und drückte sie, als hätte er sie zermalmen mögen. Dabei schloß er, verabredeter Maßen, zwinkernd das rechte Auge, während die beiden Mundwinkel sich so tief senkten, daß es zweifelhaft erschien, ob sie jemals ihren Weg aus dem langen Kinnbart zurückfinden würden.

Niemand fragte nach dem Inhalt des Briefes und den in demselben etwa noch ausgedrückten Wünschen des todten Nachbarn; aber alle Hände regten sich, alle Worte und Blicke, selbst die aus den majestätisch rollenden Augen des schwarzen Majordomo, waren darauf berechnet, die Empfindungen der Vereinsamung von ihm fern zu halten. Ahnte doch Jeder, daß die Tage des nachbarlichen Beisammenweilens gezählt seien.


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