Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Die Terrassenstadt

Die Zeit verrann. Der Abend senkte sich auf die stille Gebirgslandschaft. In den Thälern schlich bereits Dämmerung einher, als die Höhen noch in rosigem Licht schwammen. Als aber auch hier die Schatten sich verdichteten, trat der abnehmende, jedoch beinah volle Mond in seine Rechte ein. Es war eine wunderliebliche Nacht. Kein Lüftchen regte sich. Still lagen die Ruinen. Wie einsame Schildwachen, eingehüllt in weite, faltige Mäntel, nahmen sich die kleinen Cedernbäume aus, welche vereinzelt in dem alten Mauerwerk Wurzel geschlagen hatten. Regungslos schienen sie den Heimchen zu lauschen, welche in großer Zahl das Trümmerfeld belebten, heute, wie vor Hunderten von Jahren ihre Liedchen in die Nacht hinausschrillten, als hätten sie, seit unberechenbaren Zeiten in nie gestörtem Frieden lebend, von den Wesen erzählen wollen, die einst das Plateau ihre Heimat nannten, zwischen den engen Mauern ihrer Stadt sorgten und liebten, in der ihnen eigenthümlichen ungeschulten Weise Pläne für die Zukunft, für das Blühen ihres Stammes, für das glückliche Gedeihen ihrer Nachkommen entwarfen. Menschen wie Pläne waren verschollen; vergessen war Alles: ihr Lieben, ihr Sorgen, ihr Hoffen! Wie sangen die Heimchen so lustig zwischen Schutt und morschem Gestein! Wie schaute der Mond so nachdenklich auf die stille Erde nieder! Bläuliches Licht umlagerte das Plateau, spielte zwischen Ruinen und immergrünen Bäumen. Die Pferde und Maulthiere hatten sich im Freien gelagert. Im Schutz des Gemäuers schliefen die Menschen. Nur Burdhill durchstreifte die weitere Nachbarschaft, während Perennis, welcher die erste Lagerwache übernommen hatte, vor dem Küchenfeuer saß. Der Zusammenstoß der feuchten Atmosphäre mit der über dem sonnendurchglühten Plateau lagernden warmen Luftschicht, erzeugte eine gewisse Schwere, welche den Schlaf der rastenden Mannschaft zu einem bleiernen machte. Perennis hatte die Empfindung, als ob deren tiefe Athemzüge störend auf seinen Ideengang einwirkten. Er erhob sich, und um der lebhaft schaffenden Phantasie neue Nahrung zu bieten, unternahm er einen Spaziergang zwischen den Ruinen hin. Der Mond stand hoch, die Schatten des Mauerwerks und der Cedern auf das geringste Maß beschränkend. Deutlich traten die Umrisse der alten Baulichkeiten hervor; deutlich zeichneten sich die Fundamentmauern der kleinen eingestürzten Gemächer aus. Melancholischem Sinnen hingegeben, erreichte er das Ende des Trümmerfeldes, wo sich eine weitere Aussicht über das Plateau hin eröffnete. Im Begriff, den Weg um die Ruinenstadt herum einzuschlagen, glaubte er, in dem tiefen Schatten eines Mauerrestes eine Bewegung zu entdecken. Argwöhnisch spähte er hinüber. Ein lichterer, formloser Gegenstand fesselte seine Aufmerksamkeit. Derselbe verlängerte sich nach Oben, bis endlich die Umrisse einer menschlichen Gestalt sich von dem Schatten trennten. Es rief fast den Eindruck hervor, als ob dieselbe, eingehüllt in ein weißes Laken, dem Erdboden entstiegen sei. Verrath befürchtend, trat Perennis auf sie zu, aber schon nach den ersten Schritten blieb er wieder stehen. Der vollen Beleuchtung des Mondes ausgesetzt, bot sie nämlich einen Anblick, daß er die Zuverlässigkeit seiner Sehkraft bezweifelte. Wohl erkannte er eine weiße Decke mit schmalen dunklen Streifen, wie solche von den Pueblo-Indianern an Stelle von Mänteln getragen werden; allein das Haupt, welches über die schmalen Schultern der offenbar schlanken Gestalt emporragte, widersprach so sehr allen Vorstellungen, daß er seine Augen rieb, um den vermeintlich getrübten Blick zu klären. Doch die sich geräuschlos nähernde Erscheinung veränderte sich nicht. Wie um sich gegen die feuchte Nachtluft zu schützen, hatte sie die Decke unterhalb des Kinns zusammengezogen. Das Antlitz erschien bei der unbestimmten Beleuchtung dunkel, im Gegensatz zu dem Haar, welches in üppigen, schneeweißen Wellen bis über die Schultern niederfloß. Der Gedanke an eine Gefahr lag Perennis fern, denn wer auch immer dort oben in feindlicher Absicht umherschlich: am Wenigsten hätte er sich offen genähert, und doch fehlte ihm im ersten Augenblick die Ueberlegung, die seltsame Erscheinung anzureden.

»Señor,« tönte ihm endlich eine sanfte Mädchenstimme in dem mangelhaften Spanisch der Pueblo-Stämme entgegen, »hört Ihr die Zuñis? Im Mauerwerk halten sich Alle verborgen, die vor vielen, vielen Wintern gestorben sind. Kommt, ich will Euch zeigen, wo sie dem großen Montezuma ihre Opfer darbrachten. Die Zuñis opfern ihm noch immer, aber heimlich, sehr heimlich, denn die Männer in den schwarzen Röcken wollen die Zuñis strafen und ins ewige Feuer werfen.«

Die junge Fremde kehrte sich ab. Sie erwartete, daß Perennis ihr folgen würde. Dieser zögerte. Er erwog noch, ob er die Freunde unbewacht lassen dürfe, als zwischen den Cedern hervor ein Schatten neben ihn hinglitt.

»Folgen Sie ihr,« vernahm er Burdhill's flüsternde Stimme, »folgen Sie, wohin Sie geführt werden mögen. Ich sehe solche Erscheinungen nicht zum ersten Mal. Erzürnen Sie dieselbe nicht, sondern suchen Sie ihre Freundschaft,« und bei den letzten Worten verschwand er wieder zwischen den Cedernbüschen.

Perennis säumte nicht länger. Burdhill's räthselhafte Worte vermochte er nicht zu deuten, doch brachte er die seltsame Erscheinung in Beziehung zu den geheimnißvollen Reden des alten Häuptlings und zu dem eigenen Unternehmen. Außerhalb des Bereichs der Trümmer war die Fremde stehen geblieben, um sich nach ihm umzuschauen. In wenigen Schritten gelangte er dicht vor sie hin und erkannte nunmehr mit Erstaunen ein Albinomädchen, eins jener auffälligen Naturspiele, wie solche namentlich bei den Zuñi-Indianern nicht selten, und von diesen mit ehrerbietiger Scheu als eine Art höherer Wesen betrachtet werden. Das Antlitz, in welches er schaute, war von zarter Schönheit, dagegen verlieh die krankhafte Geistesrichtung, geschürt durch den Aberglauben der Stammesgenossen, demselben einen unbeschreiblich leidenden Ausdruck. Das Haar schien aus blendend weißer Flockseide gewebt zu sein, der leiseste Luftzug spielte mit demselben wie mit Eiderdaunen. Die großen Augen waren weit geöffnet, doch schwand in der nächtlichen Beleuchtung der Eindruck, welchen sie durch die eigenthümliche röthliche Färbung der Iris vielleicht am Tage erzeugten. Perennis entdeckte nur, daß sie, wenn auch nicht blöde, doch schüchtern blickten, obwohl ihre eigentliche Thätigkeit, wie bei nachtliebenden Thieren, erst nach dem Sinken des sie blendenden Tagesgestirns begann.

»Ich folge,« redete er, eingedenk des Rathes Burdhill's, die junge Albino an, als diese ihm ins Wort fiel.

»Meine Freunde in der Zuñi-Stadt sehen am Tage mehr als ich, aber sie sahen nicht die Fremden hier oben. Ich gleiche dem Ziegenmelker. Am Tage sitze ich im dunkelsten Winkel des Hauses meines Großvaters. Die Sonne haßt mich, sie brennt meine Augen. Der Mond ist mein Freund. Ich sehe die Heimchen im Schatten der Steine, ich sehe Alles.«

Sie kehrte sich ab und schritt davon. Perennis, nicht länger in Zweifel, trat an ihre Seite. Ihren späten Besuch erklärte er sich durch die Voraussetzung, daß sie zur nächtlichen Stunde diejenige körperliche Bewegung suche, welche ihr am hellen Tage in Folge der Empfindlichkeit ihrer Augen versagt blieb.

»Wer ist der Vater Deines Vaters, und wie soll ich Dich nennen?« eröffnete er ein neues Gespräch, nachdem sie einige Schritte gegangen waren.

»Montezuma ist der Vater aller Zuñis,« antwortete die junge Albino lebhafter, »die Zuñis sind seine Lieblingskinder. Mein Vater ist gestorben. Der Gobernador Pedro Pino ist sein Vater. Ich heiße Kohena Ascheki. Pino und Ascheki ist eins. Beides sind Bäume, die im Winter grünen. Ich bin die weiße Tanne. Mein Haar ist weiß. Menschen mit vielen Wintern tragen Schnee im Haar. Mein Haar war weiß, als ich noch auf Händen und Füßen ging.«

»Kohena ist ein schöner Name,« versetzte Perennis vorsichtig, »und ein Vorzug ist's, solch weißes Haar zu besitzen.«

»Ich trüge lieber schwarzes, wie meine Zuñi-Schwestern. Dann könnte ich im Sonnenschein mit der Hacke auf die Felder gehen. Warum brennt die Sonne meine Augen? Mein Haar ist weich wie Spinngewebe, die in der Luft kreisen. Die Spinngewebe lieben den Sonnenschein, warum nicht mein Haar?«

»Die Zeit mag Deine Augen an den Glanz gewöhnen,« suchte Perennis die junge Albino zu beruhigen, als diese ihn wieder unterbrach. »So sprach ein weiser Freund des Gobernadors zu mir. Rothweil nannte er ihn. Seine Worte sind nicht eingetroffen. Oft versuchte ich in den hellen Glanz zu schauen, aber ich mußte die Augen schließen. Ich bleibe, was ich bin; ich will nichts anderes sein. Die Zuñis sagen, ich sei ein Zaubermädchen. Ich weiß es nicht. Aber was ich sage, geschieht. Pedro Pino wollte mit dem klugen Freunde nach Quivira ziehen. Er fragte mich. Ich rieth ihm, er möge warten, und so geschah es.«

Bevor Perennis in seinem Erstaunen über die neuen Eröffnungen zu antworten vermochte, bog seine Führerin in einen Cedernhain ein. Derselbe war so dicht, daß er hinter sie treten mußte. Nach einigen Schritten erreichten sie einen freien Platz von mäßigem Umfange. Am Rande desselben blieb die Albino stehen, und vor sich zur Erde weisend, lenkte sie Perennis' Blicke auf ein ovales Becken in dem steinigen Erdreich von etwa sieben Fuß Länge. Federngeschmückte Stäbe und seltsames Netzwerk umringten die Vertiefung, anscheinend eine Opferstätte. Auf deren jedem Ende war ein Brett aufgerichtet worden, welches tief geschnitzte Figuren und mehrere Abbildungen von Sonne, Mond und Stern auf der Vorderseite trug. Anhäufungen von verwitterten und in Staub zerfallenen ähnlichen Brettern und Federstäbchen erzählten von langen Zeiträumen, in welchen die Opferzeichen immer wieder erneuert worden.

»Hierher gehen die Zuñis, um Montezuma zu besänftigen,« flüsterte Kohena geheimnißvoll, »Montezuma ist großmüthig. Er duldet, daß die weißen Männer in schwarzen Röcken die Zuñi-Stadt besuchen und viele kluge Worte sprechen.«

Sie zog ein Lederbeutelchen unter ihrer Decke hervor, griff mit drei Fingern hinein, führte die Hand zum Munde und blies den Inhalt, anscheinend stäubendes Mehl, über die Opferstätte hin. Dann trat sie schweigend zurück, und gleich darauf befanden sich Beide außerhalb des Haines, wo die Albino die Richtung nach dem östlichen Plateaurande einschlug.

»Nicht alle Weißen sind Freunde der braunen Menschen,« begann sie wie im Selbstgespräch, »manche sind gut, manche schlecht. Rothweil war ein großer Freund der Zuñis. Er brachte ihnen Stoffe, Hacken und Beile; auch Zucker und Kaffee; dafür gaben sie ihm kostbares Pelzwerk. Rothweil war ein guter Mann. Er ist jetzt todt.«

»Ich heiße Rothweil,« versetzte Perennis.

»Ich weiß es,« antwortete Kohena, ohne Ueberraschung zu verrathen, »deshalb bin ich heraufgekommen.«

»Dein Großvater überbrachte Dir die Kunde?«

»Er überbrachte sie. Als die Sonne schlafen ging, begab ich mich auf den Weg. Ihr spottet nicht der Nachrichten, welche unter den Zuñis leben und die seit zahllosen Wintern der Vater dem Sohne anvertraute.«

»Ich verlache Nichts, was einem anderen heilig.«

»Wir wollen sehen,« hieß es eintönig zurück. Darauf versank die Albino in Schweigen, welches sie selbst dann bewahrte, als Perennis eine neue Unterhaltung anzuknüpfen suchte.

Sie erreichten die Nähe des Plateaurandes. Dort hatten sie eine Stellung, daß Perennis das zarte Antlitz seiner Führerin in allen seinen Linien genau zu betrachten vermochte. Was am Tage vielleicht störend wirkte, die eigenthümliche Färbung der Augen, ging auch hier verloren. Um so auffälliger trat dafür die Schönheit der bleichen, wie Atlas schimmernden jugendlichen Züge hervor. Trotz der seltsamen Sprache, welche Kohena führte, bezweifelte Perennis nicht, daß sie im Vollbesitz eines klaren Denkvermögens und ihre eigenthümlichen Anschauungen nur durch ihr Aeußeres und die von diesem abhängige Begegnung ihrer Stammgenossen bedingt wurden.

Die Sicherheit, mit welcher sie sich zwischen den Spalten und Rissen im Gestein, die, je näher dem Felsenrande, sich um so häufiger wiederholten, einherbewegte befremdete ihn kaum noch, obgleich dieselbe im Widerspruch stand zu ihrer zarten, schmächtigen Gestalt. Als aber der schauerliche Abgrund sich vor ihnen öffnete, Perennis, wie von Schwindel ergriffen, etwas zurückblieb, Kohena dagegen mit unverminderter Eile nach vorn schritt und erst stehen blieb, als die nach Hunderten von Ellen zu berechnende Tiefe dicht vor ihren Fußspitzen gähnte, beschattete jener unwillkürlich seine Augen, um nicht Zeuge einer unabweislich erscheinenden Katastrophe zu sein. Eine seltsame Beklemmung schnürte ihm die Brust zusammen. Er wagte nicht einmal, einen Warnungsruf auszustoßen, aus Besorgniß, daß der erste Ton seiner Stimme die junge Nachtwandlerin hinabsenden würde. Erst als sie, ohne ihre Stellung zu verändern, ihm das weiß umfluthete Antlitz wieder zukehrte, gewann er seine Fassung zurück. Sie winkte ihn zu sich. Allein nur bis auf Schrittesweite wagte er, sich ihr zu nähern. Er fürchtete für sich, fürchtete für sie. Ihn beschlich die Empfindung, als hätte die grausige, mit gleichsam gespenstischen Lichtreflexen und schwarzen Schatten geschmückte Tiefe ihn zauberisch angezogen; als hätte er sich kopfüber hinabstürzen müssen, um fallend an der senkrechten Felswand hin den gewaltigen Höhenunterschied in kürzester Frist zu durchmessen.

»Da unten ist's schön,« erklärte die Albino mit ihrem sanften, jetzt aber ein wenig gehobenen Organ, »schöner ist's hier oben. Ich sehe weit ins Land der Moquis und der feindlichen Navahoes hinein, weit in das Land der hungrigen Apaches,« und sie begleitete ihre Worte mit einer Armbewegung, von welcher Perennis fürchtete, daß sie ihr Gleichgewicht stören müsse. Er schloß die Augen wieder. Kohena achtete seiner nicht, sondern fuhr fort: »Vor vielen, vielen Zeiten lebten die Zuñis hier oben. Dann zogen sie in das Thal hinab, um bei ihren Maisfeldern zu wohnen. Da kam eine große Wasserfluth. Es strömte vom Himmel, es strömte aus der Erde, daß sie sich hier herauf flüchteten und auf den Trümmern der alten Stadt eine neue bauten. Denn sie hofften vergeblich, daß das Wasser sich verlaufen und ihre Felder frei legen würde. Endlich beschlossen die Zauberer und weisen Männer einen jungen Krieger und ein Mädchen zu opfern. Und so geschah es. Die zum Wassertode bestimmten jungen Leute wurden mittelst Riemen zusammengeschnürt und von dieser Stelle aus hinabgestoßen. Alsbald begannen die Fluthen zu fallen und zu versinken. Der geopferte Jüngling aber und die Jungfrau trieben an diesen Felsen und verwandelten sich in Stein. Hier stehen sie noch gerade so, wie damals, als die Zuñis wieder in das trockene Thal hinabstiegen, ihre untergegangene Stadt neu aufbauten und Mais und Weizen auf die Felder streuten.«

Bei den letzten Worten neigte Kohena sich über den Abgrund, und den rechten Arm ausstreckend, wies sie auf einen gigantischen Pfeiler, welcher, an der Basis des Plateau's mit diesem zusammenhängend, bis zu dessen Oberfläche hinaufreichte.

Sinnend betrachtete Perennis das merkwürdige Gebilde. Bei der nächtlichen Beleuchtung und der geisterhaften Vertheilung von Licht und Schatten, gehörte in der That keine außergewöhnlich kühne Phantasie dazu, die äußeren Formen zweier sich umschlingenden Riesenleiber zu entdecken.

»Ich sehe es, ich sehe es,« versetzte er nach einer langen Pause ängstlich und nur darauf bedacht, Kohena von dem Abgrunde zurückzulocken.

»Ihr glaubt die Worte, die seit vielen Jahren bei den Zuñis leben?«

»Ich glaube, was ich von Dir höre, glaube, was ich sehe,« erklärte Perennis bereitwillig, um das Mädchen zu beruhigen.

»So sollt Ihr mehr sehen, mehr hören,« fuhr Kohena fort, »folgt mir. Ich will Euch in die Stadt führen. Ihr sollt sie sehen, die Männer in schwarzen Röcken, die mich nach Dingen fragen, die ich für mich behalten möchte.«

Nachlässig setzte sie sich in Bewegung. Doch anstatt sich südlich zu wenden, wo der Pfad lag, auf welchem Perennis das Plateau erstiegen hatte, schlug sie die nördliche Richtung ein. Dabei hielt sie sich fortgesetzt auf dem Rande des Felsens, bald die von dem abströmenden Wasser gerissenen Rinnen überspringend, bald sie umgehend, wenn deren Breite ihre Kräfte überstieg. Perennis folgte ihr klopfenden Herzens und in sicherer Entfernung von dem Abgrunde. In jedem Augenblick fürchtete er, sie in der schauerlichen schwarzen Tiefe dieser oder jener Spalte verschwinden zu sehen. Er ging mit sich zu Rathe, ob es nicht vorzuziehen sei, nach dem Lager zurückzukehren und dadurch die Albino zu zwingen, von ihrer gefährlichen Wanderung abzustehen, allein Burdhill's Rath war ein zu entschiedener gewesen, zu entschieden klangen des seltsamen Mädchens Worte. Er mußte folgen, sollte das Ziel, welches sein verstorbener Onkel zu erreichen sich vergeblich bestrebte, nicht seinem Gesichtskreise entrückt werden.

Kohena war schweigsam geworden. Perennis, dem ihr eigenthümlich weißleuchtendes Haupt gleichsam als Wegweiser diente, scheute sich, sie durch Fragen zu neuen Kundgebungen zu bewegen. Und so ging es weiter und immer weiter, bis sie endlich auf die tief gekerbte Nordseite des Plateau's herumgelangten.

Dort, wo die Terrassenstadt beinahe zu ihren Füßen lag, blieb die Albino stehen. Träumerisch sah sie in die grausige Tiefe hinab, träumerisch nach der heimatlichen Stadt hinüber. Vereinzelte Lichtstreifen, von Feuern ausgehend, welche ihren Schein durch offene Thüren auf die vor denselben liegenden Plattformen hinaussandten, bezeichneten nothdürftig den Umfang des merkwürdigen Häuserhaufens. Perennis stand so weit hinter ihr, daß nur der obere Theil desselben in seinen Gesichtskreis gelangte.

Da kehrte die Albino sich ihm zu, und wie über den zerrissenen Felsenrand hinschwebend, trat sie vor ihn hin.

»Wir müssen hinunter,« sprach sie sorglos, als wären nur einige Stufen zu überwinden gewesen, »ich kenne einen sicheren Weg, auf welchem nach jedem Regen das Wasser lachend hinuntertanzt.«

Sie ergriff seine Hand und führte den willenlos Folgenden von dem Abgrunde zurück und an eine Stelle, auf welcher eine schmale Wasserrinne sich dem Rande zu in den Felsen hineinsenkte. Eine kurze Strecke drang das Mondlicht in die Spalte hinein. Dort aber wurde sie so schwarz, wie aus einer trüben Winternacht geschnitten. Perennis spähte hinab. Eine Biegung der Spalte entzog ihm den Anblick auf das Thal. Er würde es sonst schwerlich über sich gewonnen haben, Angesichts der furchtbaren Tiefe seiner Führerin zu folgen. Jetzt hingegen, da diese, noch immer seine Hand haltend, in die Rinne trat, war ihm, als ob er mit Zaubergewalt hinabgezogen worden wäre. Nach den ersten zwanzig Ellen niederwärts erreichten die stufenartig übereinander gethürmten Felsblöcke ihr Ende.

»Setzt Euch nieder,« rieth die Albino mit klarer Stimme, indem sie ihre Hand aus der seinigen zurückzog, »hinauf können uns nur noch Flügel tragen. Es giebt keinen anderen Weg, als hinab. Ich werde vorausgleiten. Bald leuchtet uns wieder der Mond. Er ist unser Freund. Ihr würdet sonst hinabstürzen.«

Perennis fühlte das Blut in seinen Adern stocken. Daß Umkehr unmöglich, hatte er längst begriffen. Wie der Höhenunterschied von beinahe tausend Fuß an senkrechten Wänden hin überwunden werden könne, vermochte er nicht, sich vorzustellen. Ein krankhaftes Gefühl beschlich ihn. Nicht einmal zu sprechen wagte er aus Besorgniß, dadurch die seiner Umgebung zu zollende Aufmerksamkeit zu beeinträchtigen. Dem Beispiel Kohena's folgend, setzte er sich in die durch atmosphärische Einflüsse geglättete Rinne nieder. Dieselbe schnitt scharf und keilförmig in das Gestein ein, so daß, indem er sich gewissermaßen einklemmte, die Schnelligkeit seiner Bewegung von Händen und Füßen abhängig wurde und daher in seiner Willkür lag. Dazu wirkte die mondhelle Atmosphäre auch in der schattigen Tiefe noch immer hinreichend, um das weißlockige Haupt seiner Führerin vor sich unterscheiden zu können. Zuweilen erschien es ihm, als ob dasselbe mit einer milden Leuchtkraft begabt gewesen wäre. Die Sicherheit aber, mit welcher die Albino vor ihm einherglitt, verlieh ihm neuen Muth und damit jene Ruhe, welche erforderlich, die ihm durch einzelne Vorsprünge gebotenen Vortheile auszunutzen.

Endlich gelangte seine Führerin zu einem Halt; gleich darauf stand er neben ihr auf einer Art Plattform, welche ringsum von senkrechten Wänden begrenzt war. Perennis sah nach oben. Kaum hundert Fuß hatten sie im Ganzen niederwärts zurückgelegt, und doch erschienen ihm die mondbeleuchteten Ränder so unendlich hoch, daß er meinte, bereits die Hälfte des entsetzlichen Weges hinter sich zu haben.

»Dunkel ist's hier,« begann die Albino nach einer kurzen Pause, »doch ich sehe Alles, jeden Stein, jeden Vorsprung. Ich sehe die Augen meines Freundes –«

»Aber ich, Kohena,« fiel Perennis ein, »meine Augen gleichen nicht den Deinigen. Das Wenige, was ich unterscheide, dreht sich im Kreise.«

»Der Mond wird dem Freunde der Zuñis wieder leuchten,« versetzte Kohena zuversichtlich.

Dann schritt sie, Perennis' Hand ergreifend, um einen durch das stürzende Wasser von dem Plateau theilweise losgespülten Thurm herum, und in der nächsten Minute betraten sie eine von härteren Gebirgsschichten gebildete Abflachung, auf welcher plötzlich das helle Licht des Mondes sie überströmte. Perennis war geblendet. Er beschattete wieder seine Augen. Den Anblick der Terrassenstadt, von welcher ihn der senkrechte Absturz trennte, wirkte ebenso verwirrend auf ihn ein, wie das Grausen, welches der Gedanke an die Fortsetzung des Weges ihm einflößte. Kohena war bis auf den äußersten Rand der Abflachung vorgetreten. Wie um Perennis Zeit zu gönnen, die gefährliche Anwandlung von Schwäche zu besiegen, schaute sie träumerisch in das Thal hinab. Seinen ganzen Muth zusammenraffend, trat Perennis neben sie hin. Doch wenn er anfänglich zurückbebte, es ihn trieb, sich an den hinter ihm aufstrebenden Felsen festzuklammern, so überwog das Erstaunen über die sich vor ihm eröffnende Aussicht bald jede andere Empfindung. Wie ein Meer bläulichen Lichtes dehnte es sich vor ihm aus. Aus demselben ragten nach allen Richtungen die jenen Regionen eigenthümlichen gigantischen Plateaus empor, hier schattig und schwarzen Wällen ähnlich, dort mild beleuchtet. Hell glitzerte es, wo der Mond sich in dem vielfach gewundenen Zuñiflüßchen spiegelte. Weiße Nebelstreifen erzeugten die Täuschung, als seien in dem umfangreichen Thale noch die letzten Reste der sagenhaften Fluth in Form von langgestreckten Seen zurückgeblieben. Die Terrassenstadt schlummerte mit ihren Bewohnern. Die übereinander gethürmten Häuserwürfel mit ihren Licht- und Schattenseiten zeichneten sich zur Stunde fast deutlicher aus, als am hellen Tage. Hin und wieder tönte das Bellen eines Hundes herauf; in weiterer Ferne antwortete ein diebischer Coyote mit jauchzendem Gekläff. Leise und doch wieder so klar drang es herauf, indem die Schallwellen sich ihren Weg durch die reine Atmosphäre bahnten. Ein geisterhaftes, und doch ein entzückendes Bild! Der Zauber der nächtlichen Landschaft wurde erhöht durch die Sagen, welche ihre und ihrer Bewohner Geschichte durchwebten.

Perennis fühlte sich leicht am Arme berührt. Er erschrak. Ein Blick auf das weißumflossene Antlitz versetzte ihn in die Wirklichkeit zurück.

»Wir müssen hinab,« flüsterte Kohena ihm zu, wie ihre Worte vor den überhängenden Felsmassen verheimlichend, und ihm voraus schritt sie auf der gesimsartigen Fortsetzung der Abflachung um den Thurm herum. Mit der einen Hand die Augen gegen den Blick in die Tiefe schützend, mit der anderen sich an der abgerundeten Felswand hintastend, folgte Perennis. So gelangten sie abermals in eine tiefe, keilförmige Ausspülung des Plateau's hinein, welche an ihrem Ende wieder als Weg, oder vielmehr als Leiter benutzt werden konnte. Und hinab ging es von Neuem, auf schwindelnden Umwegen in andere Spalten und immer wieder hinab.

In demselben Grade aber, in welchem das Thal ihnen in verhältnißmäßig kurzer Zeit näher rückte, befestigte sich Perennis' Ruhe, bis sie endlich auf den Hügeln eintrafen, welche sich an die Basis des Plateau's gleichsam anlehnten. Dort trat Perennis wieder an der Albino Seite, und schnellen Schrittes sich zwischen den verworrenen Höhen hindurchwindend, erreichten sie nach kurzer Wanderung die Stadt. Vor derselben blieb Perennis stehen. Er konnte sich einen langen Blick auf den mondbeleuchteten Häuserhaufen nicht versagen, der mit seinen unregelmäßigen Abstufungen und von Stockwerk zu Stockwerk führenden Leitern im Mittelpunkt bis zu sieben Stockwerk hoch, emporragte. Wie ausgestorben lag die merkwürdige Stadt da. Nur dumpfe Schläge, dem Geräusch von Schmiedehämmern ähnlich, schienen aus dem Innern der Erde heraufzudringen.

Doch die Albino gönnte Perennis nicht lange Zeit. Sie wies auf den Mond und nach der Richtung hinüber, in welcher die Sonne den Plateaus entsteigen mußte, und seine Hand ergreifend, bog sie mit ihm in den nächsten Weg ein. Derselbe schied die neueren Bauwerke, eine Art aus zusammengefügten und übereinander gethürmten Häuserwürfeln bestehende Vorstadt, von der eigentlichen Terrasse. An einer alterthümlichen Kirche kamen sie vorbei. Abgesondert stehend, zeichnete sie sich nur durch den größeren Umfang, eine schmale Gallerie oberhalb des Eingangs und zwei kleine Thürmchen von den andern Baulichkeiten aus. Der Kirche gegenüber erhob sich ein Haus, in dessen Erdgeschloß man nicht nach dortiger Sitte mittelst Leitern von dem flachen Dach aus gelangte, sondern durch eine regelrechte Thür zur ebenen Erde. Auch ein kleines Fenster mit Glasscheiben war in der Vorderwand angebracht worden, ein Zeichen größerer Wohlhabenheit der Bewohner oder vielmehr Besitzer. Vor dies Fenster führte die Albino Perennis. Flüsternd rieth sie ihm, aufmerksam durch dasselbe zu spähen, worauf sie die Thür geräuschvoll öffnete und im Innern des Hauses verschwand. Anfänglich bemerkte Perennis nur ein Häufchen glimmender Kohlen in dem abgelegensten Winkel. Ein Schatten glitt vor dasselbe hin, und nach einigen Minuten beleuchtete die unter einem Rauchfang auflodernde Flamme Kohena's zarte Gestalt. Sobald das von ihr auf die Kohlen gelegte Reisig sich entzündete, hatte sie sich, den hellen Glanz scheuend, abgekehrt. Deutlich bemerkte Perennis, wie von dem Druck der aufsteigenden Wärme das weiße Seidenhaar sich regte, als hätte es in der That nur aus Spinngeweben bestanden. Ein zweiter Blick belehrte ihn, daß statt der Eingeborenen, weiße Menschen den mäßig großen Raum bewohnten. An den Wänden hingen Kleidungsstücke, wie solche von civilisirten Menschen getragen werden. Mehrere leichte Koffer, zum Verpacken auf Maulthierrücken geeignet, standen an der gegenüberliegenden Wand. Zwei Männer hatten sich zur Nachtruhe in Decken gehüllt, ihre Sättel als Kopfkissen benutzend. Beim Aufflackern des Feuers richteten sie sich empor. Indem sie ihre Aufmerksamkeit dem Albino-Mädchen zukehrten, entzogen sie Perennis ihre Physiognomien. Er achtete daher weniger auf ihre Personen, als auf die Worte, welche sie an das Mädchen richteten.

»Kannst Du denn gar keine Ruhe finden?« tönte eine ruhige Stimme zu ihm heraus, und seine Blicke hafteten wieder an Kohena, welche selbst im Schatten ihre Augen noch mit beiden Händen bedeckte.

»Ich ruhe, wenn andere Menschen wachen,« antwortete Kohena sanft klagend, »mein Tag ist, wenn der Mond scheint, meine Nacht, wenn die Sonne das Thal sengt.«

»Du darfst nicht vergessen, armes Kind, daß auch andere Menschen der Ruhe bedürfen. Du solltest sie nicht im Schlafe stören. Komme morgen in die Kirche. Verschleiere Deine Augen und komm und bete. Die heilige Jungfrau wird Dich stärken und Dir die Sonne lieb machen.«

»Ich störe Niemand; ich gehe dahin, wohin ich will. Niemand achtet auf mich. Die Nacht ist mein Tag. Ich habe mir die schwachen Augen nicht gegeben.«

»Und doch willst Du den Tag zu einer Reise benutzen?« ertönte eine andere Stimme, welche Perennis veranlaßte, den Sprecher schärfer ins Auge zu fassen. Derselbe wendete sein Antlitz mit einer Bewegung der Ungeduld dem Nachbar zu, und Perennis glaubte seinen Sinnen nicht trauen zu dürfen, als er das Profil seines Reisegefährten Dorsal erkannte. Sein Erstaunen war so überwältigend, daß er die nächsten gewechselten Worte überhörte. So sehr er sich anstrengte, er fand keine Erklärung für dessen Anwesenheit in der Zuñi-Stadt, und zwar in Gesellschaft eines Mannes, welcher augenscheinlich ein Diener der Kirche war.

»Wohin soll ich reisen?« hatte Kohena auf Dorsals Bemerkung schüchtern geantwortet, »begleite ich den Vater meines Vaters hierhin und dorthin, so thue ich seinen Willen. Ich hänge eine Decke über meinen Kopf, und die Sonne findet mich nicht.«

»Ich hatte einen Traum,« suchte Dorsal, auf die indianischen Ideen vorsichtig eingehend, die Albino zu weiteren Offenbarungen zu bewegen, »ich sah Dich und Deinen Großvater mit weißen Männern reiten, weit, weit fort. Ihr zoget durch Wildnisse, in welchen keine Menschen leben; dann sah ich Euch in einer zerfallenen Stadt und ich hörte, wie du den Namen Quivira aussprachst.«

Er zögerte, um den Eindruck zu beobachten, welchen seine Worte auf die Albino ausübten. Da diese aber, fortgesetzt ihre Augen beschattend, regungslos dastand, fuhr er in noch milderem Tone fort:

»Träume sind oft Eingebungen des Himmels, aber auch des Teufels. Träumend sah ich Dich und Deinen Großvater brennen im ewigen Feuer. Weiße Männer hielten ein sprechendes Papier in den Händen. Dein Großvater hatte es ihnen gegeben, und deshalb wand er sich in den schrecklichsten Qualen. ›Kohena!‹ rief er jammernd aus, ›warum hast du mich verleitet, den rechtmäßigen Besitzern das Papier vorzuenthalten?‹«

Die Albino verharrte in ihrer gebeugten Stellung. Sobald Dorsal aber geschlossen hatte, durchlief krampfhaftes Zittern ihre schlanke Gestalt. Eine Weile schwankte sie. Sie hätte dem sorgsam umhüllten Ansinnen Dorsals vielleicht nachgegeben und, eingeschüchtert, wie sie war, bei ihrem Großvater zu seinen Gunsten gewirkt, wäre sie nicht durch das Bewußtsein, von Perennis beobachtet zu werden, in ihrem ersten Entschluß bestärkt worden. Doch wie Perennis sie gespannt beobachtete, ruhten auch Dorsals und Brewers Blicke erwartungsvoll auf ihr. Endlich ließ sie die Hände von ihrem Antlitz sinken, und dem Feuerschein ängstlich ausweichend, sah sie nach dem dunkeln Fenster hinüber. Der Eigenschaft ihrer Augen war es zuzuschreiben, daß sie durch die Scheiben hindurch Perennis' Antlitz erkannte, und aus demselben gleichsam neue Kraft schöpfend, antwortete sie entschlossen:

»Auch ich habe einen Traum gehabt. Ich sah Männer in schwarzen Röcken, und die befahlen aus einem Buche: Ehre Deinen Vater und Deine Mutter. Wenn der Vater meines Vaters spricht, lausche ich seinen klugen Worten. Was er mir sagt, thue ich. Ein sprechendes Papier ist nichts. Bringt man zwei sprechende Papiere zusammen, so sind sie stärker, als alle weisen Worte der Männer, die gekommen sind, um den Kindern der Zuñis schöne Namen zu geben. Mehr weiß ich nicht. Ich gehe. Das tanzende Feuer sticht meine Augen. Der Mond ruft mich. Er ruft: Kohena Ascheki!«

Sie zog die Decke um sich zusammen und an den beiden, sie argwöhnisch betrachtenden Männern vorbei, trat sie ins Freie hinaus. Ohne sich nach Perennis umzuschauen, schritt sie nach der Kirche hinüber und von da dem nördlichen Ende der Stadt zu. Perennis folgte ihr; erst als sie die äußerste Ecke der eigentlichen Terrasse erreichte, begab er sich wieder an ihre Seite. Die heftige Aufregung, in welche er durch das Erkennen Dorsals versetzt worden war, hinderte ihn, rückwärts zu schauen. Es wäre ihm sonst schwerlich entgangen, daß jene Männer von der Hausthür aus mit leise geflüsterten Ausdrücken des Erstaunens ihm nachspähten und erst dann sich in das zu ihren gelegentlichen Besuchen eingerichtete Gemach zurückzogen, nachdem er mit seiner Begleiterin ihren Blicken entschwunden war.

Vor dem würfelförmigen Eckhause blieb die Albino stehen, und den einen Fuß auf die unterste Sprosse der nach oben führenden Leiter gestellt, mit der rechten Hand eine höhere Sprosse ergreifend, kehrte sie sich Perennis zu.

»Alle Häuser, alle Gemächer, alle Thüren öffnen sich vor mir,« sprach sie geheimnißvoll, »wenn die Zuñis das weiße Zauberhaar sehen, fragen sie nicht, wohin es geht. Wen ich führe, sehen sie nicht. Mein Freund darf nicht sprechen. Er soll nur sehen. Ich will ihm das sprechende Leder zeigen, nach welchem die Männer in den schwarzen Röcken ihre Hände ausstrecken. Ihr habt es gehört. Ihr habt es gesehen. Das sprechende Papier bringt Ihr, um die sprechenden Bilder zu holen: Ihr seid der richtige Mann. Die Zauberbilder dürfen nicht aus dem Besitz der Zuñis kommen. Ich werde sie selber tragen und mit Euch ziehen. Pedro Pino will es so und er bleibt bei mir. Ich kann die Zauberbilder nicht deuten. Ihr seid klug. Habt Ihr gefunden, was Ihr sucht, so ist es gut, und ich kehre mit den Zauberbildern hierher zurück.«

Bevor Perennis Zeit fand, eine Antwort zu ertheilen, stieg Kohena behende die Leiter hinauf. Perennis säumte nicht. Seine Führerin hatte kaum durch die Oeffnung in der Brüstung das hofartig eingerichtete flache Dach betreten, als er die letzte Leitersprosse verließ.

Zusammenhängend mit den Nachbarhäusern, waren die Vorhöfe nur durch niedrige Lehmmauern von einander geschieden. Dem Mittelpunkte der Stadt zu erhoben sich neue, nebeneinander geschichtete Häuserwürfel, in die man indessen durch Thüren gelangte, während der weitere Verkehr in die Stadt hinein und hinauf wieder durch Leitern vermittelt wurde. Je höher hinauf, um so häufiger wurden die Häuserreihen unterbrochen, bis endlich die obersten Stockwerke nur noch aus vereinzelten Würfeln bestanden.

Mit reger Theilnahme, wenn auch nur flüchtig, betrachtete Perennis das Gewirre von mondbeleuchteten Mauern, und anderen, die, beschattet, scharf gegen Erstere contrastirten. Wohin er seine Aufmerksamkeit wendete, überall gewahrte er Leitern, deren einer Baum als Handhabe beim Ersteigen, hoch in die nächtliche Atmosphäre emporragte. Anstatt den Weg aufwärts fortzusetzen, schritt die Albino eine Strecke auf den nördlichen Vorhöfen hin; dann bog sie in eine Oeffnung zwischen zwei Häusern ein, und gleich darauf befanden sie sich in einem finsteren Gange. Derselbe führte unter den oberen Stockwerken hin und endigte auf einem größeren Hofe, welcher von mehreren zusammenstoßenden Hausdächern gebildet wurde. Dort stieg Kohena Perennis voraus wieder in das Erdgeschoß hinab. Unten angekommen, ergriff sie seine Hand.

»Ich könnte ein Reisigbündel anzünden und leuchten,« sprach sie, »aber meine Augen hassen das Feuer,« und ihn mit sich fortziehend, vertieften sie sich in ein solches Labyrinth von Gängen und kleinen Vorrathsräumen, daß Perennis meinte, den Weg nie wieder hinauszufinden. Einzelne der kellerartigen Gemächer erhielten von oben ein wenig Licht, andere von den Seiten. In anderen glimmten erlöschende Feuer, umringt von schlafenden Gestalten. Selten richtete die eine oder die andere sich bei ihrem Eintreten auf; sobald man die Albino erkannte, gab man sich keine Mühe mehr, deren Begleiter genauer zu beobachten. Man sank zurück und zog die Decke übers Haupt, wie in Besorgniß, das Zaubermädchen in seinem geheimnißvollen Treiben zu stören. Endlich nahm Kohena ihren Weg wieder aufwärts durch zwei Stockwerke hindurch; zugleich wurden die dumpfen Schläge wieder vernehmlicher, welche bereits vor der Stadt Perennis' Aufmerksamkeit erregt hatten. Noch einige Schritte und Kohena zog ihn in ein erhelltes Gemach, in welchem er, nach der langen Wanderung im Finstern anfänglich geblendet, undeutlich die Gestalt eines die Trommel rührenden Mannes gewahrte. Bei seinem Eintritt verstummten die dröhnenden Schläge, mit welchen derselbe die über ein ausgehöhltes Stück Holz gespannte Ziegenhaut traf, und er erkannte Pedro Pino, den Zuñi-Gobernador, der ihm zum Gruß die Hand entgegenstreckte. Sein zweiter Blick galt einer Schilfmatte, welche neben dem munter flackernden Kaminfeuer aufgehangen worden war und gewissermaßen einen Ofenschirm vertrat. In dem Schatten hinter derselben saß eine zweite, augenscheinlich alte Albino, welche die Hände auf ihrem Schooße um ein zusamengerolltes, pergamentartiges Stück Leder gefaltet hielt. Kohena begab sich zu ihr hinüber und kauerte an ihrer Seite nieder, worauf Beide sich flüsternd in ein ernstes Gespräch vertieften.

»Ihr seid gekommen,« redete der Häuptling Perennis an, und etwas zur Seite rückend, lud er ihn ein, neben ihm auf einer Matte Platz zu nehmen, »Kohena ist ein kluges Mädchen; ich wußte, daß sie Euch finden und hierherführen würde. Ein gewundener Weg ist's bis in diesen Winkel. Die Männer, die gekommen sind, um zu taufen, betreten ihn nicht. Sie möchten mich bedrohen, erführen sie, daß ich nicht vergessen habe, was ich von meinem Vater, mein Vater von seinem Vater lernte. Mein todter Freund Rothweil war ein weiser Mann, er war ein guter Mann. Oft hat er hier gesessen. Ihn störte nicht, wenn ich Worte sang, welche die Zuñis vor vielen hundert Jahren gesungen haben. Er schickte den Sohn seines Bruders; ihm will ich zeigen, was er selbst nicht mehr sehen konnte. Kein anderer hätte es erfahren. Da ist es,« und er wies auf die Lederrolle in den Händen der alten Albino; »Eure Schrift ist nichts ohne die meinige, das Leder mit den Bilderzeichen nichts ohne Euer Papier. Beides ist nichts werth ohne Jemand, der die Zeichen zu deuten versteht. Ich werde daher mit Euch ziehen. Kohena soll uns begleiten. Durch ihren Mund spricht das Schicksal. Bevor die Sonne zweimal untergegangen ist, sind wir weit von hier.

»Es sind Männer in der Stadt, welche nach Eurem Schriftstück forschen,« versetzte Perennis, sobald der Häuptling nach seiner langen Rede eine Pause eintreten ließ.

»Ich weiß es,« antwortete dieser ruhig, »meine Geheimnisse kümmern sie nicht. Mögen sie nach Belieben in der Kirche sprechen; die Zuñis hören ihre Worte gern, riechen gern den Rauch ihrer mit Harz bestreuten Kohlenpfanne; sie lassen ihre Kinder mit Wasser taufen, mehr haben sie nicht nöthig.« Er richtete einige Worte in der Zuñi-Sprache an die alte Albino, welche in ähnlicher Weise antwortete; dann kehrte er sich Perennis wieder zu: »Ihr versteht nicht, was sie sagt; sie will, daß Kohena die Zauberrolle trage und Euch nach Quivira begleite, wo die Rolle geöffnet und betrachtet werden soll. Die Männer, die gekommen sind um zu taufen, dürfen nicht sehen, wohin wir uns wenden. Wir gehen ihnen aus dem Wege. Der Mond leuchtet die ganze Nacht. Wenn die nächste Sonne schlafen gegangen ist, mögt Ihr Euch zur Reise rüsten. Das ist der Wille der Tochter meiner Schwester dort, und Kohena hat ihn von ihr erfahren. Wollt Ihr die Frau begrüßen, so thut's. Reicht sie Euch die Hand, so geschieht's zur Euerm Besten.«

Perennis erhob sich und trat vor die alte Albino hin. Mit einigen freundlichen Worten, welche Kohena verdolmetschte, drückte er ihr die Hand; als er darauf wieder neben dem Gobernador Platz nahm, schob dieser Brot und Salz vor ihn hin.

»Ihr sollt die Stadt nicht verlassen, ohne unter meinem Dach gegessen zu haben,« sprach er feierlich, »hier hat der Bruder Eures Vaters oft gesessen, und ich erzählte ihm von den todten Zuñis. Er liebte die Todten und suchte nach Dingen, welche durch ihre Hände gegangen waren. Er braucht das Gold nicht mehr, das in Quivira vergraben wurde; Ihr seid jung; Euch mag's nützen. Mir ist's nichts werth. Unheil würde die Zuñi-Stadt treffen, brächte ich es hierher. Die Väter der letzten Quiviras haben es so bestimmt. Qualvoll sterben muß jeder Sohn Montezuma's der seine Hand nach dem Golde ausstreckt. Mit den Weißen ist es anders. Der Fluch der Todten Quiviras ist für sie ein Windhauch.«

Er zog die Trommel wieder vor sich hin und griff nach dem Schlägel.

»Eßt,« sprach er, »eine halbe Stunde säumen wir, dann führe ich Euch zu Euren Freunden hinauf. Wenn die Sonne über die Berge schaut, sind wir oben. Niemand darf sehen, daß Ihr die Stadt verlaßt, Niemand errathen, wo Ihr gewesen. Es giebt Augen hier, die Alles erfahren möchten.«

Dröhnend fiel der Schlägel auf das straffe Trommelfell. Nach einer längeren Pause begann der alte Häuptling nach dem Takte der von ihm erzeugten wilden Musik zu singen. Zuerst langsam, dann lauter und lauter, daß es unheimlich zwischen dem Gemäuer widerhallte. Die beiden Albinos hatten jede einen getrockneten Flaschenkürbis zur Hand genommen und schüttelten rasselnd die in demselben befindlichen Maiskörner zu dem Takt der Trommel. Endlich stimmten auch sie mit in den Gesang ein. Es war ein nur wenig modulirendes Summen, welches von den sich kaum regenden Lippen floß.

Um die ihm angebotene Gastfreundschaft nicht zurückzuweisen, aß Perennis von dem dünnen Maisgebäck. Dann schweiften seine Blicke wieder in dem Gemach herum, welches seiner dunkeln Lage wegen für die Albinos besonders eingerichtet worden war. Er bewunderte die Sauberkeit des tennenartigen Fußbodens, die Ordnung, welche zwischen den an den Wänden hängenden und in den Winkeln über einander und nebeneinander geschichteten Gegenständen herrschte. Selbst die Luft, welche er einathmete, verrieht, daß man in der, einem Ameisenhaufen ähnlichen Stadt den Werth der Ventilation zu schätzen wußte.

Die Zeit verrann. Wilder tönten die Zauberweisen des Häuptlings, heftiger traf der Schlägel die Trommel und durchdringender rasselten dazu die Albinos mit ihren Kürbissen. Es war ein ohrenzerreißendes Geräusch in dem abgeschlossenen Räume; aber geduldig lauschte Perennis. In den Blicken, welche er abwechselnd dem Gobernador und den beiden Frauen zusandte, offenbarte sich sogar eine gewisse Aufmunterung. Er kannte keine andere Art, seinen Dank für das von seinem Onkel auf ihn übertragene Wohlwollen zu offenbaren.

Ein mit äußerster Gewalt auf das Trommelfell geführter Schlag beschloß das Konzert; zugleich erhob sich der Gobernador.

»Wir müssen fort,« sprach er zu Perennis, der ebenfalls aufgestanden war, »noch eine Stunde und die Stadt ist so lebendig, wie ein Bienennest, welches der Bär störte.«

Er schritt dem Ausgange zu. Perennis trat noch einmal vor die beiden einsamen Wesen hin, welche die Wohlthaten des Tageslichtes nie kennen lernten, nie kennen lernen sollten. Trübe schaute die Aeltere empor, als er ihr treuherzig die Hand drückte. Kohena lächelte in ihrer stillen, leidenden Weise, als er von baldigem Wiedersehen sprach. Dann folgte er dem Häuptling, der in der Thür bereits auf ihn wartete. Eine kurze Strecke leuchtete ihnen der auf den Gang fallende Feuerschein. Der Gobernador stieß eine Thür auf, und sie befanden sich auf einer Plattform, von welcher aus sie einen Theil des südlichen Stadtabhanges zu überblicken vermochten und zugleich das Plateau vor sich sahen. Der junge Tag hatte sich bereits angemeldet. Ein orangegelber Streifen säumte den östlichen Horizont ein. Kühl strich die erwachende Morgenbrise aus den nahen Schluchten über die Terrassenstadt hin. Bald hier bald dort erhellten sich die aus krystallisirten Gips hergestellten Scheiben, welche statt der Fenster in die Mauern eingefügt worden waren. Die nicht nach Uhren ihre Zeit eintheilenden betriebsamen Bewohner witterten gleichsam den Morgen und rüsteten sich zu des Tages Arbeit. Und wiederum meinte Perennis in eine Märchenwelt versetzt zu sein. Zu wenig entsprach die Umgebung jenen Bildern, welche er sich von den fernen abgeschiedenen Wildnissen entworfen hatte.

Hinauf und hinunter ging es die Leitern, je nach dem der Häuptling den Weg abzukürzen wünschte. Hinauf nach den Dächern, entlang die luftigen Straßen und wieder hinunter auf die niedrigen Vorhöfe, bis sie endlich in der Nähe der Kirche den Erdboden erreichten. Hinter dem Fenster, durch welches Perennis Dorsal belauscht hatte, brannte Licht. So viel er bei der milden Beleuchtung des Mondes zu unterscheiden vermochte, stand neben der Hausthür ein gesatteltes Maulthier. Ob es einen Reiter gebracht hatte oder Jemand davontragen sollte, gern hätte er es gewußt; allein er durfte keine Erkundigungen einziehen. Seitdem er Dorsal gesehen hatte, seitdem er dessen an Kohena gerichteten Worte erlauschte, war er argwöhnisch geworden. Ueberall meinte er von Feinden umringt zu sein, bereit, ihm das streitig zu machen, was er der Güte seines Onkels verdankte.

Rüstigen Schrittes wanderten die beiden Gefährten der Landstraße nach, bis sie den sich nach dem Plateau hin abzweigenden Pfad erreichten. Als sie in denselben einbogen, herrschte bereits Zwielicht. Mit Gold und Purpur schmückte sich der Osten. Bleich, wie nach langer, beschwerlicher Fahrt, neigte der Mond sich den westlichen Höhen zu. Bald darauf nahm der sich aufwärts windende Pfad ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie hätten sonst vielleicht bemerkt, wie ein Reiter von der Zuñi-Stadt her den Weg an dem Plateau vorbei nach der Sierra Madre im scharfen Trabe verfolgte. Nach seinem Aeußern zu schließen, war er ein mexikanischer Packknecht. Sein Ziel war Santa Fé. Der Brief, welchen er mit größter Eile befördern sollte, trug die Aufschrift: »An den hochwürdigen Herrn Hall.«

Die halbe Höhe des Plateau's hatten die beiden frühen Wanderer noch nicht erreicht, da schwamm die sich zu ihren Füßen ausdehnende Landschaft im hellsten Sonnenschein. Auf den Vorhöfen der Terrassenstadt regte es sich, Ameisen vergleichbar. Schwarz gekleidete Frauengestalten mit Thonkrügen auf den Köpfen, stiegen geschickt die Leitern hinauf und hinunter, um den Tagesbedarf an Wasser in die kleinen Häuslichkeiten zu schaffen. Perennis meinte einen Blick rückwärts in vergangene Jahrhunderte zu thun. Truppweise eilten Männer, Weiber und Kinder abgelegenen Feldern zu. Schwarze und weiße Schaafheerden belebten die umfangreichen Weideplätze. Pferde, Esel und Rinder grasten in der Nähe des plaudernden Zuñi-Flüßchens.

Auf dem obersten Rande des Plateaus traten Plenty und Burdhill den beiden Wanderern entgegen. Bald darauf saßen Alle in der Trümmerstadt in einem schattigen Winkel. Eifrig beriethen sie ihre Pläne für die nächste Zukunft, von welchen sie befürchteten, daß sie von den in der Stadt weilenden Fremden durchkreuzt werden könnten.

»Also Dorsal,« sprach Plenty grinsend vor sich hin, »ei, ei, wer hätte das gedacht. Aber es befremdet mich nicht. Es konnte kaum anders kommen, calculir' ich.«


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