Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Philosophie eines Yankee.

Gemächlich einherwandernd, traf Plenty's Gesellschaft am fünften Tage nach dem Aufbruch von Quivira in der Nachbarschaft von Santa Fé ein. Der Zuñi-Gobernador hatte sich Tags zuvor mit seiner Enkelin westlich gewendet. Der Umstand, die letzten Mittel vernichtet zu haben, durch welche er selbst oder seine Nachkommen zu einem abermaligen Besuch der Ruinenstadt hätten veranlaßt werden können, schien ihn heiter gestimmt zu haben. Bei ihm befand sich Gill. Seine Habe war durch zwei Pferde vermehrt worden, welche Plenty und Perennis ihm schenkten.

Angesichts der Stadt Santa Fé gesellte ein Bekannter Plenty's, von einem Ausfluge heimkehrend, sich zu diesem. Die Geschäftsangelegenheiten, welche die Beiden eifrig verhandelten, bewogen Perennis und Burdhill, eine Strecke hinter ihnen zurückzubleiben. Schweigend ritten die jungen Leute nebeneinander her. Sie hatten sich Jeder seinen besonderen Betrachtungen hingegeben, welche am wenigsten den Charakter sorglosen Errichtens von Luftschlössern trugen. Mehrfach, wenn er glaubte, es unbemerkt thun zu dürfen, betrachtete Burdhill den träumerisch vor sich niederschauenden Gefährten von der Seite. Eine Frage schwebte ihm auf den Lippen; doch wie sich scheuend, seine Gedanken zu offenbaren, sah er jedesmal wieder in eine andere Richtung.

Perennis bemerkte es nicht. Im Geiste weilte er bereits in Santa Fé in seinem Hause, vernahm er den Gruß seiner lieblichen Nachbarin, folgte er ihr nach in die kühlen, gastlichen Räume ihres väterlichen Hauses. Seine Sehnsucht wuchs in demselben Maße, in welchem die Erinnerung an sein fernes Heimatland, an den Karmeliterhof und dessen Bewohner erbleichte. War doch nichts geschehen, was das Andenken hätte neu beleben können. Keinen einzigen Brief hatte er von dort erhalten. Und doch versprach Lucretia so heilig, ihm zu schreiben, ihm von Station zu Station treue Kunde nachzusenden. Und dabei schauten ihre klaren, redlichen Augen so ernst, und bat sie ihn so innig mit Wort und Blick, sie nicht zu vergessen. Und nun war er selber vergessen. Wenn er bei seiner Ankunft in Santa Fé keine Nachricht vorfand, was sollte er dann noch in der Heimat? Konnte er da, wo sein Onkel so lange lebte und sich zufrieden fühlte, nicht ebenfalls sich nützlich machen? Und dann die Nachbarschaft – seine Gedanken stockten. Holde Bilder umgaukelten ihn. Süße Stimmen vibrirten in seinem Herzen. Wie sie ihm die Arme entgegenstreckte, die liebliche Eliza – war es Eliza? War es nicht Lucretia, dieses liebe Engelsantlitz? Eliza hatte er seit Wochen nicht gesehen; kein Wunder, daß ihre Züge mit dem der ihr in mancher Beziehung ähnlichen Lucretia ineinander verschwammen, die jugendliche Verwandte sich immer wieder in seinen geistigen Gesichtskreis eindrängte.

»Wir haben lange genug für einen Mann gestanden, um Freunde zu werden,« störte Burdhill ihn plötzlich aus seinen Träumen, und sich ihm zukehrend, meinte er einen eigenthümlichen Ausdruck der Befangenheit in dem männlich kühnen Antlitz zu entdecken.

»Gewiß sind wir Freunde geworden,« bekräftigte Perennis, indem er dem Gefährten treuherzig die Hand reichte; »so gute Freunde, daß wir auch fernerhin für einen Mann stehen werden. Denn ich müßte mich sehr über mich selber täuschen, fühlte ich noch viel Neigung, in meine Heimat zurückzukehren, wo man mich vergessen zu haben scheint.«

»So hätten Sie kaum Lust, Ihr Haus mir käuflich zu überlassen?« fuhr Burdhill zögernd fort, jedoch in Perennis' Antlitz Erstaunen entdeckend, fügte er mit wachsender Befangenheit hinzu: »Das heißt, ich möchte Sie nicht dazu überreden – ich meine nur, wenn Sie überhaupt Ihres Hauses sich entäußern wollen, zahle ich Ihnen mehr dafür, als jeder Andere. Sind Sie mit sechstausend Dollars nicht zufrieden, so gebe ich auch mehr.«

Perennis vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken. Zu schroff war der Contrast zwischen seinem bisherigen Ideengange und der Aufforderung zu einer geschäftlichen Verhandlung.

»Plenty bot mir fünfzehnhundert,« versetzte er gutmüthig spottend.

»Wer weiß, was er bezweckte,« erwiderte Burdhill, »er hat seine eigene Art, und viele Menschen giebt es nicht, die ihn richtig beurtheilen. Doch bestimmen Sie den Preis, ich gestehe offen, mir ist daran gelegen, zu einem festen Eigenthum zu kommen.«

»So plötzlich?« fragte Perennis verwundert.

»Nicht so plötzlich,« hieß es zurück, »seit Jahresfrist gehe ich mit solchen Gedanken um, und schon früher hätte ich mit Ihnen darüber gesprochen, allein eine unerklärliche, ich möchte sagen, kindische Scheu hielt mich ab. War ich aber einmal entschlossen, so fehlte mir wieder die Gelegenheit. Jetzt hingegen, da Santa Fé vor uns liegt, muß es herunter von meinem Herzen; und standen wir bisher für einen Mann, so darf ich wohl versuchen, in einer ernsten Sache Ihre Freundschaft für mich in Anspruch zu nehmen.«

Perennis, wie von einer trüben Ahnung beschlichen, fühlte das Blut kälter durch seine Adern rieseln. Es kostet ihn Mühe, seine heitere Ruhe zu bewahren, indem er antwortete:

»Mit Freuden sage ich Ihnen meine Dienste zu; denn Unmögliches werden Sie nicht von mir verlangen.«

»Nichts Unmögliches, sondern nur ein Wort zu meinen Gunsten. Es ist ein Geheimniß. Sie besitzen Plenty's Vertrauen in einem höheren Grade, als irgend ein anderer Mensch sich rühmen kann. Zaghaftigkeit liegt mir sonst fern, allein in dieser Angelegenheit bin ich ein Kind geworden.«

Perennis sah zwischen den Ohren seines Pferdes hindurch. Er bemühte sich, wenigstens äußerlich seinen Gleichmuth zu bewahren. Hätte Burdhill indessen nicht so viel mit sich selbst zu thun gehabt, so würde ihm schwerlich entgangen sein, daß er die Farbe wechselte und seine Faust sich etwas fester um die Zügel schloß.

»Für wen möchte ich freudiger eintreten, als für einen treuen Reisegefährten?« bemerkte er, wie seine Worte von den grauen Kirchthürmen der Stadt ablesend.

»Wohlan denn, Mr. Rothweil, ich führe nun schon seit acht Jahren Plenty's Handelskarawane zwischen dem Missouri und Santa Fé hin und her; und wenn ich als armer Bursche anfing, so habe ich mir im Lauf der Zeit doch eine hübsche Summe erspart und durch glückliche Spekulationen vergrößert. Ursprünglich zum Advokaten bestimmt, gefiel mir das Leben im Freien besser. Ich sagte daher den Kollegien Lebewohl, und bis heute habe ich es nicht bereut. Als ich vor acht Jahren – ich zählte damals kaum zwanzig – zum erstenmal nach Santa Fé kam, war Plenty's Tochter noch ein Kind. Doch schon damals hatte ich meine Freude an ihr, und diese Hinneigung zu dem lieben Kinde wuchs mit jedem Male, daß ich nach halbjähriger Abwesenheit vom Missouri hierher zurückkehrte. Auch Ihren Onkel begleitete ich vielfach, und kurz, wie solche Reisen nur waren, meinte ich doch nach jeder Heimkehr, daß Eliza doppelt so lieblich erblüht sei. Mein Anliegen an Sie errathen Sie gewiß, und was ich selbst nicht über mich gewinne, kann Ihnen nicht schwer werden, mit einigen Worten bei Plenty einzuleiten.«

»Das ist ja prachtvoll,« versetzte Perennis, aber der Ton seiner Stimme strafte seine Worte Lügen, »nur Eins wäre zuvor zu erwägen – ich meine – nun – wie Miß Eliza –«

»Wir sind eines Herzens und einer Seele,« fiel Burdhill begeistert ein, und es schwand die letzte Spur von Befangenheit aus seinem Wesen, »schon vor Jahresfrist tauschten wir das Gelöbniß, und zwei Reisen legte ich seitdem zurück und jedesmal mit der Hoffnung, daß bei meiner Heimkehr Eliza ihrem Vater ihr Herz geöffnet haben würde, so war es wenigstens zwischen uns verabredet, allein auch ihr hatte der Muth gefehlt. Sie ist eine zu treue Tochter; sie fürchtet den Eindruck, welchen ihr Vorschlag der Trennung von ihm unausbleiblich auf ihn ausüben würde. Und er hat sich in der That so sehr an sie gewöhnt; es ist ja kein Wunder, daß er ohne sie ein elender Mann wäre. Ich gebe ihr Recht. Ihre Bedenken sind aber die meinigen geworden. Ihr zu Liebe möchte ich Plenty nicht aus seiner glücklichen Ruhe reißen, indem ich ihn aufforderte, mir sein theuerstes Gut zu überlassen. Anders gestaltet es sich dagegen, nachdem ich sein Nachbar geworden bin. Eine eigentliche Trennung findet dann nicht Statt, und erläutern Sie ihm die Sachlage ein wenig, möchte es ihm vielleicht nicht so schwer werden, auf unsere Wünsche einzugehen.«

»Weiß Miß Eliza um Ihre Absicht, mich mit in das Geheimniß zu ziehen?«

»Sie weiß es nicht. Noch weniger ahnt sie, daß ich den Plan hege, Ihnen das Haus abzukaufen. Sprach sie doch offen ihre Genugthuung darüber aus, in Ihnen wieder einen freundlichen Nachbarn gewonnen zu haben. Aber ich bin überzeugt, mit Thränen des Glücks in ihren lieben Augen würde sie Ihnen danken –«

»Wenn ihr neuer Nachbar sich entschlösse, so schnell als möglich das Feld zu räumen,« fiel Perennis lachend ein, aber in seinem Lachen offenbarte sich eine so tiefe Bitterkeit, daß Burdhill ihn befremdet von der Seite betrachtete, dann aber begütigend sprach:

»Ich hoffe, es liegt nichts Beleidigendes in meinem Anliegen, von welchem ich nicht einmal weiß, ob Eliza es billigt. Ein Anderes ist es dagegen, wenn Thatsachen sprechen. Das Bedauern über den Verlust eines lieb gewonnenen Nachbarn, und daß Eliza Sie lieb gewann, weiß ich aus ihrem eigenen Munde, würde gleichsam übertäubt durch die glückliche Zukunft, welche sich vor uns eröffnete. Und endlich Sie selbst, Mr. Rothweil, der Sie stets mit so viel aufrichtiger Verehrung, sogar herzlicher Zuneigung von Eliza sprachen, würde es Ihnen selbst nicht eine innere Befriedigung gewähren, läsen sie in ihrem lieben Augen nur Glück und Freude, und dürften Sie sich sagen, durch Ihren Entschluß das Glück des treuen Kindes vervollständigt zu haben?«

Hei, wie solche, von blindem Egoismus getragene Worte zweischneidigen Messern ähnlich in Perennis' Brust wühlten, er die Zähne so fest aufeinander preßte, seine Augen so starr geradeaus schauten, um das zu verheimlichen, was ihn förmlich vernichtend bewegte! Den Schatz von Quivira, von welchem ihn anscheinend nur noch ein Schritt trennte, hatte er verloren, ohne dadurch auch nur eine Probe seiner Jugendheiterkeit einzubüßen. Doch was war das sagenhafte Gold, und hätte sein Werth nach Millionen berechnet werden müssen, im Vergleich mit dem kostbaren Schatz, nach welchem zu streben schon allein ihm als ein Glück erschien, und der nun ebenfalls seinem Gesichtskreise entrückt werden sollte! Als vereinsamter Fremdling und mittellos war er in Santa Fé eingezogen, um ebenso mittellos in seine Heimat zurückzukehren. Hier wie dort war er Zeuge fremden Glückes gewesen; hier wie dort mußte er Anderen überlassen, woran sein eigenes Herz sich so gern gehangen hätte. Und wiederum lachte er herbe, sogar gehässig in den hellen Sonnenschein hinaus, daß es den treuherzigen Burdhill aufs Neue peinlich berührte.

»Erstaunen Sie nicht über meine verzweifelte Laune,« kehrt er sich diesem zu, denn er fühlte, daß er ihm eine Erklärung seines seltsamen Benehmens schuldete, »aber ist's nicht zum Verzweifeln, daß, nachdem ich kaum ein winziges Stückchen Erde mein Eigenthum nannte, ich schon wieder gezwungen werde, die Landstraßen als meine Heimat zu betrachten? Auch in meinem Vaterlande besitze ich ein Haus, wenn auch mit wenig mehr als einem Scheinanrecht; aber wunderliche Menschen wohnen in demselben, Eulen und Fledermäuse. Hahaha! Hier wie dort ein eigenes Haus, und doch keine Heimat –«

»Ich nehme meine Bitte zurück,« unterbrach Burdhill ihn ängstlich, »ich konnte nicht ahnen, daß ich mit derselben eine wunde Stelle berührte. Nein, um den Preis, Sie unzufrieden zu wissen, könnte ich meinen Herd nicht da begründen, von wo ich meinen Freund verdrängte. Es mag sich auf der anderen Seite von Plenty's Besitzthum vielleicht eine Gelegenheit bieten, wenn auch keine so günstige; und dann dieses behagliche Zusammenleben der Nachbarn –«

»Und der tägliche Anblick Ihres und der guten Eliza Glücks,« versetzte Perennis gefaßter, und sich selbst marternd, fügte er hinzu: »wahrhaftig, Sie verstehen es, Bilder zu malen, vor welchen man ewig weilen möchte; in der That, ein schönes Bild, ein reizvolles Idyll; aber trotz der freundlichen Gesinnungen für den guten Nachbarn, würde der Gedanke bei Ihnen fortleben: ›Wenn wir auf der anderen Seite wohnten –‹«

»Uns Allen thun Sie Unrecht,« fiel Burdhill überzeugend ein, »Sie urtheilen grausam –«

»Ich urtheile, daß wir Alle Menschen und daher menschlichen Regungen unterworfen sind,« fuhr Perennis fort, »und gerade das bestimmt mich, Ihren Vorschlag eingehend zu prüfen und zu überlegen –«

»Und ohne Bitterkeit?« fragte Burdhill hastig, indem er dem Gefährten die Hand reichte.

»Ohne Bitterkeit,« bestätigte Perennis, die gebotene Hand kräftig drückend, »dagegen mit herzlicher Theilnahme für meine liebliche Nachbarin, diesen freundlichen Hausgeist, dem es zuerst gelang, mich mit der fremdartigen Umgebung des Westens auszusöhnen, aber deren Nachbar ich nun wohl die längste Zeit gewesen bin –«

»Um bis zum letzten Athemzuge unser verehrter und lieber Freund zu bleiben.«

»Das klingt verlockend. Doch bin ich nicht mehr an die Scholle gebunden, dann, fürchte ich, werden sich bald genug wieder Länder und Meere zwischen uns drängen. Aber fort mit diesen Bildern! Lassen wir vorläufig die Hoffnung obenan stehen, daß ich mich bald an Ihrem beiderseitigen Glücke weide. Und glücklich werden müssen Sie, denn der Segen meines alten Onkels wohnt in dem Hause und wird sich Jedem fühlbar machen, der in demselben seinen Herd begründet.«

»Und wird Jeden begleiten, der aus demselben fortging, und hoffentlich nicht so weit, daß er unserem Gesichtskreise entschwand,« versetzte Burdhill mit dem ganzen Egoismus eines von goldigen Liebesträumen Umfangenen.

»Nur so lange noch möchte ich Plenty's Nachbar bleiben, bis ich über die Alterthümer verfügte,« bemerkte Perennis erzwungen sorglos. Dann spornte er sein Pferd, daß es sich erschreckt emporbäumte, und im scharfen Trabe ging es auf die Stadt zu. Gleich darauf befanden sie sich in Plenty's und dessen Geschäftsfreundes Gesellschaft. Unbekümmert, ob er die beiden Herren in ihrem Gespräch störte, warf er eine heitere Bemerkung dazwischen. Ein Wort gab das andere, und wer, vertraut mit dem Zweck, zu welchem die Reiter vor vier oder fünf Wochen auszogen, denselben heute begegnet wäre, der hätte kaum bezweifelt, daß der langsamer nachfolgende Train den ganzen Schatz von Quivira mit sich führte. Plenty erkannte seinen jungen Nachbarn kaum wieder, so gut gelaunt erschien er ihm, so bereit war er, gegen seine frühere Gewohnheit, an jedes leicht hingeworfene Wort irgend eine scherzhaft Bemerkung zu knüpfen.

So ritten sie durch die Stadt; und als sie endlich auf dem Marktplatz eintrafen, begrüßte Perennis jubelnd sein Haus, begrüßte er jubelnd die liebliche Eliza, welche sie unter der Veranda empfing, Alle mit gleicher Herzlichkeit willkommen hieß, Allen das gleiche Lächeln spendete.

»Auch Ihr Haus entbehrte nicht der Aufsicht und ordnender Hände,« sprach sie zu Perennis, bevor dieser sich in seine Wohnung zurückzog. Dabei lachte sie holdselig, sogar mit einem Anfluge von Muthwillen, als hätte sie längst gewußt, daß der Schatz von Quivira auch fernerhin nur noch eine Sage im Volksmunde bleiben würde. Perennis dankte ebenso herzlich und heiter für die freundliche Fürsorge. Seit einer Stunde war er scharfsichtiger geworden. Wollte er in dem offenen Wesen Eliza's doch nur jene bezaubernde Zutraulichkeit entdecken, wie sie von dem heranwachsenden lieblichen Kinde seinem verstorbenen Onkel vielleicht entgegengetragen wurde; und er selbst war ja dessen Erbe.

»Den Abend verbringen Sie bei uns,« bedeutete Plenty ihn so gleichmüthig und kalt, daß Perennis zögerte, die Einladung anzunehmen, »aber übereilen Sie sich nicht. Ich werde Sie abholen.«

Perennis wollte mit Burdhill einen Gruß, wohl auch einen Blick des Einverständnisses wechseln, allein derselbe war in Erfüllung seiner Obliegenheiten mit Menschen und Thieren in dem Nebengebäude verschwunden. Statt dessen traf sein Blick in das erhaben lächelnde Antlitz des schwarzen Majordomo, der sich ehrerbietig verneigte und das, was Andere vielleicht in Worte gekleidet hätten, durch das eigenthümliche Rollen seiner gewaltigen Augäpfel zu offenbaren suchte. –

Noch trafen die Strahlen der niedrig stehenden Sonne die flachen Dächer der Stadt, da saß Perennis an dem Schreibtisch in dem Arbeitszimmer seines verstorbenen Onkels. Vor ihm lagen geordnet die Scherben des zertrümmerten Götzen und die langen Register der Alterthümer. Sinnend betrachtete er die beiden zähnefletschenden Fratzengesichter des Ungethüms.

Wie hatte sich Alles geändert seit dem Tage, an welchem er in sein Erbe einzog und aus dem Innern des seltsamen Gebildes das Gold und Schätze verheißende Schriftstück ihm entgegenfiel. Damals erschien ihm dessen Inhalt als der Ausfluß einer krankhaften Phantasie; und als schließlich der Traum zerfloß, glaubte er dennoch einen unberechenbaren Verlust erlitten zu haben. An jenem Tage war auch Clementia gekommen, jene verführerische Circe. Sie begrüßte ihn in eines Anderen Auftrage, und als sie den Verrath bereute, mußte sie denselben durch ihren Tod sühnen.

»Arme Clementia,« dachte er halblaut, »wie waren die Blicke ihrer exotischen Augen doch so sengend heiß, ihre Lippen so warm,« und jetzt, nur wenige Wochen später, lag sie kalt und starr in abgeschiedener Wüste. Wie erschien ihm sein Haus so groß, so öde und leer! Als Rettung aus endlosen Wirren betrachtete er, in Burdhill Jemand gefunden zu haben, der ihn von der Last des Grundbesitzes befreite, daß er wieder hinausschweifen konnte in die weite Welt, nicht länger an diesem oder jenem Orte zu weilen brauchte, als seine Laune es ihm eingab. In seinem Hause mochte Eliza für einen Anderen schalten und walten als getreue Gattin, als umsichtige Gehülfin – tiefer neigte er sein Haupt. So wehe wurde ihm ums Herz, so vereinsamt fühlte er sich in der Fremde, so namenlos elend, als hätte er sich nie wieder zu regem Schaffen und Streben emporraffen können. Nach der Heimat sehnte er sich auf der andern Seite des Ozeans, nach dem Karmeliterhofe, nach Allen, die er dort kennen lernte, mochten sie immerhin seiner nicht mehr gedenken. Und Lucretia, die sich so vertrauensvoll, so zärtlich an ihn anschmiegte, ihm so kindlich treuherzig in die Augen schaute! Ihm war, als hätte er zu ihr eilen, sie in seine Arme nehmen, das Haupt auf ihre Schulter legen und ihr Alles klagen müssen, was er seit der Trennung von ihr erlebte und erfuhr. Von der todten Clementia wollte er ihr erzählen und von seiner holdseligen Nachbarin; von den glücklichen Träumen, welche in seinem Verkehr mit ihr entstanden, von der herben Täuschung, die darauf folgte, von der verzweifelten Anstrengung, welche es ihn kostete, das zu verheimlichen, was Niemand ahnte oder worüber er sich selbst erst dann klar geworden, nachdem ihm die Unmöglichkeit der Verwirklichung seiner jungen Hoffnungen vor Augen geführt worden.

Weiter grübelte und sann er, während draußen die Schatten sich verlängerten, die röthlichen Sonnenstrahlen leise von den Dächern fortglitten und schließlich nur noch an den Kirchthürmen hafteten. Vor seinen geistigen Blicken verkörperte sich gleichsam die holde Bewohnerin des Karmeliterhofes; er fühlte den Druck ihrer kleinen, zarten Hand, hörte ihre herzige Stimme, indem sie ihn liebevoll zu trösten suchte, indem sie derjenigen grollte, welche sie als die Ursache seines Trübsinns betrachtete, indem sie ihm vorhielt, daß er sie noch habe und sie ihm seinen Kummer schwesterlich tragen helfen wolle. Um ihn herum aber schwebte, wie ein Psyche mit duftigem Flügelpaar, jenes räthselhafte Wesen, welches er bei der Marquise belauschte, schritt barfuß im heißen Staube der unstete Irrwisch mit dem trotzigen Blick und dem glockenhellen, muthwilligen Lachen, als ob es zwei von einander getrennte Personen gewesen wären. Doch ein Anderer tauchte noch vor ihm auf, ein Mann mit eigenthümlichen Amphibienaugen und bedächtig geregelten Worten, daß er sich von ihm angewidert fühlte; trotzdem mußte er ihm nur Gutes wünschen, Gutes um der getreuen Lucretia willen. Auch seine Stimme glaubte er zu hören indem er sich zum Gruß höflich verneigte und um die Ehre bat, ihn als Verwandten anreden zu dürfen.

Da knarrte hinter ihm eine Thür. Verstört kehrt er sich nach dem Geräusch um, und er bemerkte zu seinem Erstaunen, wie das große leere Kleiderspinde behutsam von innen geöffnet wurde. Einen mit bösen Absichten in das Haus Eingedrungenen in demselben vermuthend, erhob er sich hastig. Die Thüre wich ganz zurück und in das Zimmer trat Plenty, auf dem knochigen Antlitz sein gewöhnliches spöttisches Grinsen.

»Ich komme auf dem nächsten Wege,« redete derselbe ihn an, und sorglos strich er seinen langen Kinnbart, »auf einem Wege, welchen mein guter Nachbar Rothweil und ich bei Tage und bei Nacht wohl tausend Mal gingen, wenn wir ohne Zeugen ein Stündchen verplaudern oder irgend 'ne feine Spekulation berathen wollten. Auf der anderen Seite in meinem Hause befindet sich eine ähnliche Einrichtung. Wir waren die Männer dazu, die dicke Lehmmauer eigenhändig zu durchbrechen – nur meine Eliza kennt das Geheimniß – und die beiden Schränke mit doppelten Thüren zu versehen.«

Nachlässig warf er sich auf einen Stuhl; dann fuhr er fort: »Damals ahnten wir nicht, welchen Werth dies Institut noch einmal für uns gewinnen würde. Durch diese vier Thüren gelangte ich auch zu meinem guten Nachbarn, als der Tod ihn bereits gepackt hatte. Auf den ersten Blick überzeugte ich mich, daß es vorbei mit ihm sei; ich brauchte ihm nur die Augen zuzudrücken. Darauf nahm ich, wie es zwischen uns verabredet worden, alle seine Rechnungsbücher und Schriften und begab mich auf den Rückweg. Ich befand mich noch in dem Spinde, als sein alter Zuñi – ist seitdem auch gestorben, war nämlich des Gill Vater – heimkehrte. Durch die Löcher der Thürfüllung warf ich einen Blick zurück, und da ich sah, daß der alte Einfaltspinsel statt eines Arztes zwei Pfaffen herbeigeholt hatte, hielt ich es für der Mühe werth, eine Kleinigkeit zu lauschen. Und das hat sich bezahlt gemacht, calculir' ich. Die beiden Gentlemen neigten sich über den Todten und plauderten und beteten zu ihm – auch der Zuñi mußte sich in 'nen Winkel hinknieen und beten – und schließlich gaben sie ihm eine Feder in die Hand, und während der Eine leuchtete und das Papier hielt, schrieb der Andere mit der Todtenhand den Namen unter das, was man in der Geschwindigkeit aufgesetzt hatte. Dem Zuñi redeten sie vor, daß sein Herr, der sich im Leben nicht viel um Religion gekümmert habe, als reuiger Katholik gestorben sei, worauf sie ihn bedeuteten, hinzugehen und mich zu rufen. Die kurze Zeit des Alleinseins benutzten die beiden scharfen Gentlemen, in alle Winkel des Schreibtisches zu spähen, und hätten sie nur 'ne Schusterrechnung gefunden, sie wäre nicht liegen geblieben, calculir' ich. Verdammt! Diese Beutelschneider, die uns das Geheimniß des Schatzes von Quivira ablauschten, wären längst hier, um Beschlag auf die Erbschaft zu legen, hätt' ich's dem Hall bei den Ruinen nicht klar gemacht, daß ich ihm so aufmerksam auf die Finger sah. Er wird sich zweimal bedenken, jetzt noch mit dem letzten Willen eines reuig Gestorbenen aufzutreten, calculir' ich.

»Das Haus wurde also versiegelt, und dagegen konnte vor Ablauf der bestimmten Frist Niemand Einspruch erheben, und nach dieser Richtung hin hatten die beiden geistlichen Herren sich bei Abfassung ihrer Schrift wohl in der Eile nicht vorgesehen. Trotz des Versiegelns hatten Eliza und ich freien Zutritt hier, und konnten daher den alten Scherbenplunder nicht nur frei von Staub erhalten, sondern auch die Räumlichkeiten ein wenig lüften, wie wir's dem guten Nachbarn versprochen hatten. Die Eliza hätt's beinahe verrathen, als sie Alles zu Ihrem Empfange herrichtete und in der Hast einige Tropfen Wasser –«

»Ich sah es, ja, ich bemerkte es, hielt es aber für Täuschung,« versetzte Perennis erstaunt, und er strich mit der Hand über seine Augen, wie um eine ihn marternde Vision zu verscheuchen, und die Blicke zu dem ihn scharf, jedoch wenig auffällig beobachtenden Plenty erhebend, fügte er hinzu: »Das muß eine treue Freundschaft gewesen sein, wo ein solcher Grad von Vertrauen waltete.«

»Nun ja, wir waren gute Nachbarn, calculir' ich; Einer half dem Andern auf die Sprünge, und Beide hatten wir unseren klingenden Profit davon.« Bei den letzten Worten schnitt Plenty ein Gesicht, als hätte der Verlust einer mit Vortheil verbundenen angenehmen Nachbarschaft ihm noch nachträglich Bauchgrimmen verursacht, worauf er in seinem ausdruckslosen harten Schellenton fortfuhr: »'s hätte Keiner geglaubt, aber bei allen seinen Gelehrtenschrullen steckte in dem Alten viel gesunder Menschenverstand. Sein Urtheil entschied oft schneller und sicherer, als mein Grübeln und Calculiren, und nachdem ich das erst heraus hatte, gab's für mich keinen Grund mehr, irgend etwas vor ihm zu verheimlichen. Sie erriethen wohl längst, daß wir selbander den Wisch in das Unthier von 'nem Götzen praktizirten. Ihm zu Liebe heuchelte ich nämlich Theilnahme für seine Kindereien, und komme ich heute darauf zu sprechen, so geschieht's, weil er mir Mancherlei mit Rücksicht auf seinen Erben auftrug. ›Ich habe einen Neffen und der heißt Perennis,‹ erklärte er, ›und der wird gewiß selber kommen. Doch wer auch immer in den Besitz meines Nachlasses tritt und die Schrift mit Ihrer Beihülfe findet, dagegen das nicht vollbringt, was ich am Liebsten selbst zu Ende geführt hätte, der ist mit dem Hause und den Alterthümern abgefunden. Verkauft er aber nur einen Scherben davon, so sind Sie ermächtigt, mit meinem eigenen Gelde die ganze Sammlung zu erstehen und in meinem Namen an das erste beste Institut zu verschenken. Will mein Erbe sie behalten oder selbst angemessen verschenken, so hindert ihn nichts; der Schatz von Quivira entschädigt ihn reichlich dafür. Sollte mein Erbe indessen die Angelegenheit mit dem Schatz als eine leere Sage betrachten, so ist's sein eigener Schade. Besucht er dagegen die Ruinenstadt und seine Mühe erweist sich als erfolglos, so hat er die letzten Pflichten gegen mich erfüllt und dann erst soll er mein Universalerbe sein.«

Hier holte Plenty einen versiegelten packetartigen Brief hervor und warf ihn nachlässig auf den Tisch. Dabei schloß er das eine Auge, und die schmalen Lippen zwischen die Zähne klemmend, sah er auf Perennis mit einem Ausdruck, von welchem es zweifelhaft, ob Schadenfreude oder versteckte Theilnahme denselben bestimmten.

»Das ist wunderbar,« versetzte Perennis, der mit wachsender Spannung gelauscht hatte; »bin ich aber nicht seit dem Tage der Eröffnung des Testaments bereits Universalerbe, zumal ich, ohne diese Bestimmungen zu kennen, im Sinne des Verstorbenen handelte?«

»Wichen Sie um die Breite eines Strohhalms davon ab, so besaßen Sie wohl das Haus hier,« bemerkte Plenty gleichmüthig, »allein die vierundsechzigtausend Dollars – ohne die Zinsen – waren Sie los, calculir' ich; die wären sammt dem Alterthümerschund in den Besitz von irgend eines Museums übergegangen.«

»Vierundsechzig – was?« fuhr Perennis auf, der glaubte, mißverstanden zu haben.

»Vierundsechzigtausend Dollars,« wiederholte Plenty geringschätzig; »nun ja, trotz seiner Gelehrtennatur, war mein Nachbar ein spekulativer Kopf, und was wir Beide in die Hände nahmen, das glückte. Aber dreimal – nein fünfmal so viel war's geworden, hätte er nicht stets mit seinen verhenkerten Gelehrtenschrullen zu kämpfen gehabt, und die kosteten ihn viel Geld und Zeit. Denn Niemand wird behaupten, daß seine Reisen zu den Eingeborenen ihm auch nur einen Kupfercent eintrugen. Im Gegentheil, die verschlangen schweres Geld, und ich hätte einfältiger sein müssen, als er glaubte, calculir' ich, hätt' ich's für Wahrheit hingenommen, wenn er, heimkehrend, mir 'ne Kiste verrotteten Scherbenkrams zeigte und heilig beschwor, daß seine Fahrt sich nicht nur bezahlt gemacht, sondern ihm auch einen Berg Goldes eingetragen habe. Mit solchen Trödeleien ging also manches schöne Tausend Dollars drauf; machte ich aber einmal Miene, ihm die Alterthumskrankheit zu verleiden und abzugewöhnen, so sprach er drei Tage lang kein Wort mit mir. Einmal dachte ich daran, während seiner Abwesenheit den ganzen Plunder aus dem Wege zu räumen und zu vergraben, um ihn dadurch fürs Geschäft allein brauchbar zu machen, aber ich überlegte, daß er als einzelner alter Mann wohl zu seinen Liebhabereien berechtigt sei, und dann war's zweifelhaft, ob er's überlebte. Mindestens lag die Gefahr nahe, daß er mit den Scherben auch den Sinn für Spekulationen verlor. Ich gönnte ihm also seinen Genuß und verfiel auf einen anderen Plan: Um ihn zu übersättigen und den Kram lächerlich zu machen, schenkte ich ihm jeden alten geborstenen Topf – gleichviel, wie alt oder neu – und jeden alten verwitterten Scherben, der mir in die Quere kam; aber anstatt in sich zu gehen, freute er sich jedesmal wie ein Kind, wenn auch oft genug zum Schein. Und gab ich ihm wirklich einmal unwissentlich ein brauchbares Stück, dann nannte er mich seinen guten Nachbarn, und ich mußte mir die Schmach gefallen lassen, daß er behauptete, in mir hätte etwas Besseres gesteckt, als ein Geldmacher und Spekulant; Gelehrter hätte ich werden müssen, und wer weiß heute, welchen Unsinn er in seiner Freude sonst noch auskramte. Aber ein guter Nachbar war er trotzdem.

»Die vierundsechzigtausend Dollars sammt Zinsen – abgerechnet meine Spesen – sind also Ihr Eigenthum und stehen zu jeder Zeit zu Ihrer Verfügung. Zweifel sind nicht mehr möglich, calculir' ich. Ich erkannte Sie schon am ersten Tage, und keine Macht der Erde kann Ihnen das Geld jetzt noch streitig machen,« und wiederum betrachtete er Perennis aufmerksam.

Dieser hatte das Haupt geneigt, schien kaum noch zu hören, was Plenty zum ihm sprach. Es schwebte ihm vor, mit wie viel anderen Empfindungen er diese Kunde aufgenommen hätte, wären die Hoffnungen, welche er vor Stunden noch glaubte nähren zu dürfen, nicht durch Burdhills Geständniß unheilbar zertrümmert worden. Aber als ob Plenty in seinem Innern gelesen hätte, fuhr derselbe fort:

»Mein guter Nachbar hatte mancherlei Schrullen. So meinte er, daß nur sein Neffe Perennis der Erbe sein könne, und wie sich's machen würde, wenn Sie die Eliza heiratheten und gemeinschaftlich mit ihr den geheimen Durchgang belebten. Doch die Herzen der Menschen lassen sich nicht hantiren wie Dollars, calculir' ich, sonst sollt's mir recht gewesen sein.« Er säumte ein Weilchen, wie sich weidend an dem Anblick Perennis', der ein wenig mehr in sich zusammengesunken war und bleich vor sich niederstarrte. Plötzlich ergriff er dessen Hand, und den Zeigefinger seiner Linken auf Perennis' Brust stellend, als hätte er ihn durchbohren wollen, nahm er seine Mittheilungen wieder auf:

»Nein, Mr. Rothweil, die Herzen lassen sich nicht hantiren, wie gute Dollars; so müssen Sie denken, wenn Sie ein Mann sind. Was die Eliza nicht merkte, was dem Burdhill entging, ich hatt's in den ersten vierundzwanzig Stunden weg, und ich wiederhol's, mir war's recht gewesen, schon allein um meines guten Nachbarn willen. Aber 's ist nichts damit, calculir' ich. Bald nach unserer Heimkehr hat's mir die Eliza anvertraut, und dann weinte das arme Kind seine bitteren Thränen. Der Burdhill mußte ihr Allerlei verrathen haben, was zwischen Ihnen und ihm unterwegs verabredet worden; denn sie sagte, der Burdhill verdiene, daß sie ihn verschmähe, weil er 'ne Mittelsperson wählte. Und dann Sie gar noch aus Ihrem Hause zu vertreiben! Aber sie verzieh's ihm, weil er dabei mehr an mich dachte. Dem Burdhill habe ich durch einen Händedruck gesagt, wie ich über die Sache denke. Er ist ein treuer Bursche, und seine Familie wird keine Noth leiden. Damit ist indessen nicht gesagt, daß Sie mir nicht ebenso willkommen gewesen wären. Doch ich wiederhol's noch einmal –« und wiederum stach der lange Finger nach Perennis' Brust – »die Herzen lassen sich nicht hantiren wie Dollars, die man nach Belieben in Düten zusammenpacken kann; Sie hingegen sind ein Mann, der sich in alle Lagen zu schicken weiß, aber auch ein Mann, der getrost vor jedes brave Mädchen, und besäße es Millionen mit 'nem ehrlichen Antrage hintreten darf, calculir' ich.«

Er ließ Perennis Hand fahren. Dieser kehrte sich nach dem Tisch um, den Kopf in beide Arme auf den Tisch stützend. Plenty betrachtete ihn prüfend. Sobald er aber entdeckte, daß von dem geneigten Antlitz ein Tropfen auf die Tischplatte fiel, räusperte er sich so stark, daß das ganze Gemach zu zittern schien. Er hatte sich geräuspert, und doch kam er über den Ton einer gesprungenen Hausglocke nicht hinaus, indem er wieder anhob:

»Ich kann's mir denken, daß meine Art, in fremde Geheimnisse einzudringen, Ihnen nicht gefällt. Und doch muß Ihnen daran gelegen sein, daß die beiden verliebten jungen Leute nicht ahnen, wie's hier steht,« und abermals stach der lange Finger nach Perennis' Herzgegend, »noch haben sie nichts gemerkt; denn die haben nur Augen und Ohren Einer für den Andern. Ich dagegen versteh's, die Menschen zu beobachten, 's Spekuliren macht überhaupt scharf, calculir' ich. Daß ich aber zu Ihnen darüber spreche – hm, ich gehe davon aus, daß eine starke Arznei zur rechten Zeit wirksamer, als überzuckerte matte Pillen so nach und nach, und daß es männlich, die Verhältnisse gerade in's Auge zu fassen. So glaube ich auch, Sie entscheiden sich allmälig dafür, sobald Ihre Angelegenheiten geordnet sind, diese Stadt wieder zu verlassen, und ich tadle Sie deshalb am wenigsten. Sie müssen noch einmal in die Welt hinaus, calculir' ich, müssen andere Menschen sehen und kennen lernen, dürfen nicht zu Athem kommen; denn eine Natur wie Sie, vergißt nicht leicht und auch nur dann, wenn ein angemessener Ersatz für das Verlorene ihren Weg kreuzt. Daß das aber bald geschehe, wünsche ich Ihnen von Herzen, schon allein um meines guten Nachbarn willen. Sind Sie erst entschlossen, Ihr Haus zu verkaufen, so soll der Burdhill Ihnen einen entsprechenden Preis dafür zahlen – mehr als fünfzehnhundert Dollars – bei Gott! als ich Ihnen damals die fünfzehnhundert bot, zitterte ich, daß Sie's annehmen würden. Den Alterthümerkram mitschleppen können Sie nicht. Was er meinen guten Nachbarn kostete, würde kein vernünftiger Mensch dafür zahlen, und ihn billiger fortzugeben, wäre nicht im Sinne meines guten Nachbarn gehandelt, calculir' ich. Dagegen giebt's hier und im Osten Institute, die sich glücklich schätzen, den Plunder geschenkt zu erhalten und das zu vermitteln, bin ich bereit, ohne einen Cent Spesen zu berechnen, meinem guten Nachbarn zu Liebe.«

Er lächelte grimmig, strich seinen langen Kinnbart und erhob sich. Perennis folgte seinem Beispiel. Die ihm verabreichte Medizin war in der That eine wirksame gewesen. Denn außer der etwas veränderten Farbe seines Antlitzes und dem träumerischen Blick, verrieth nichts seinen überstandenen Seelenkampf. Aufrecht und fest war seine Haltung; kräftig drückte er die Hand des theilnahmslos dareinschauenden Yankee's, der mit so viel Begeisterung von seinen Dollars sprach und dabei über die zartesten Gemüthsregungen calculirte, als hätte er auch solche von Jugend auf, wie seine Dollars, im täglichen Gebrauch hantirt. Ein seltsames Stück von einem Menschen war dieser Yankee, ein goldener Kern in einer rauhen, eisenfesten Schale.

»Wir haben uns gegenseitig verstanden,« sprach Perennis, Plenty fest in die Augen schauend, und aufrichtige Hochachtung offenbarte sich in seiner Stimme, »waren Sie mein treuer Rathgeber bis zu dieser Stunde, so werden Sie es bleiben, bis wir von einander scheiden – und weiter noch –«

»Gewiß, gewiß, junger Mann,« fiel Plenty ein, um jedem Kompliment auszuweichen, »wir haben uns verstanden, und das war gut – doch hier liegen die Briefschaften meines guten Nachbarn. Kam ein Anderer an Ihrer Stelle, gleichviel, wie er sich geberdete, so wären sie ungelesen ins Feuer gewandert. Eine Stunde oder so herum werden Sie daran zu lesen haben, calculir' ich, und so lange dauert's bis zum Nachtessen. Bis dahin will ich Sie nicht stören. Wenn Sie fertig sind, kommen Sie herum und setzen Sie Ihr munterstes Gesicht auf. Sie mögen mir immerhin einmal so verstohlen in die Augen schauen, und wenn ich 'ne Kleinigkeit mit den Lidern zwinkere, so ist's ein Zeichen, daß wir einander verstanden haben. Es liegt oft ein großer Trost in kleinen Dingen, calculir' ich.«

Er kehrte sich hastig ab, und bevor Perennis ein Wort zur Erwiderung fand, hatte die Schrankthür sich hinter ihm geschlossen.


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