Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Fünftes Kapitel.

Die Vorladung.

»Und lassen Sie sich recht bald auf dem Karmeliterhofe sehen;« das waren die letzten Worte, welche Lucretia an Perennis richtete, als derselbe in später Nachmittagsstunde sich von ihr und Wegerich verabschiedete. Heiter sagte er zu. Die trüben Eindrücke, welche er auf der alten Heimstätte empfangen hatte, waren gemildert, sogar verwischt worden durch das süße Lächeln seiner jungen Verwandten, durch ihr zutrauliches Wesen und den herzigen Muthwillen, welcher in ihrem Verkehr mit dem überglücklichen Wegerich allmälig zum Durchbruch gelangte.

Seitdem war ein Tag verstrichen und noch einer, zwei Tage, an welchen er sein anspruchsloses Quartier kaum verließ, um im Freien sich zu ergehen. Die übrige Zeit verbrachte er mit Schreiben von Briefen, welche sich auf seinen Beruf bezogen, und auf die Schritte, welche er einzuschlagen gedachte, um sich eine auskömmliche Lebensstellung zu sichern. Ursprünglich Maler, erreichten seine Werke doch nicht jene Höhe, welche ihm sofort einen Weltruf und damit willige Abnehmer seiner Arbeiten verschafft hätte. Außerdem befand er sich nicht in einer Lage, mit Geduld von der Zeit die Verwerthung der Erzeugnisse seiner Kunst erwarten zu können. Seine Wünsche und Hoffnungen beschränkten sich daher vorläufig auf Verbindungen mit Zeitschriften, laut deren er sich zur Lieferung von Zeichnungen zu Holzschnitten verpflichtete. Diese Thätigkeit hatte eine längere Unterbrechung erlitten, als er im spätesten zulässigen Alter auf ein Jahr bei einem Reiterregiment eintrat. Wieder zu seinem Beruf zurückgekehrt, waren seine mühsam ersparten Geldmittel beinah erschöpft. Denn um auch als Soldat die Stunden der Muße dem Erwerb zu widmen, hätte er weniger jung und lebenslustig sein, weniger leichtfertig vom Glück das Höchste und Beste für die Zukunft erhoffen müssen.

Einer gerichtlichen Vorladung, welche ihn nach seiner Vaterstadt rief, war er gern gefolgt, doppelt gern, weil dieselbe eine geheimnisvolle und daher seiner Phantasie reichen Spielraum zum Errichten von Luftschlössern gewährte. Ob seine Mittel einige Wochen früher oder später versiegten, kümmerte unter solchen Umständen den leichtfertigen, fahrenden Künstler wenig. Je schneller die Noth herantrat, um so früher war er gezwungen, zum Zeichenstift zu greifen; und erreichte er auf der ihn weit von Norden herführenden Reise nichts, als einen flüchtigen Anblick seiner ersten Heimstätte, so meinte er schon dadurch allein einen unveräußerlichen Schatz gewonnen zu haben.

Am dritten Tage nach seinem Eintreffen begab er sich zur anberaumten Stunde mit seiner Vorladung nach dem Büreau des ihm namhaft gemachten Notars. Derselbe stellte sich ihm sogleich mit lebhafter Theilnahme zur Verfügung. Dessen Schreiber, welcher, durch die offene Thür sichtbar, im Nebenzimmer über seine Arbeit geneigt, ihm den Rücken zukehrte, beachtete Perennis anfänglich nicht. Erst nachdem er die zu seinem Ausweis dienenden Papiere vorgelegt hatte und der Notar den Namen Splitter rief, wurde er aufmerksam auf ihn. Der Gerufene erhob sich, und Perennis glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er denselben Menschen erkannte, von welchem vor einigen Tagen Lucretia auf dem Ufer des Rheins so vertraulich Abschied genommen hatte. Nur älter und verbitterter schien er ihm, daß es ihm förmlich widerstrebte, sich Lucretia's liebliche Erscheinung an seiner Seite zu vergegenwärtigen.

Er war so überrascht, daß er die höfliche Verneigung des Sekretärs kaum erwiderte; dagegen sah er durchdringend in die unsteten Amphibienaugen, sich fragend, ob dieselben wirklich fähig, sich mit dem Ausdruck des Entzückens in denen eines vertrauensvoll zu ihm aufschauenden jungen Mädchens zu spiegeln. Splitter, welcher Perennis eben so wenig kannte, wie er ahnte, daß dieser ihn nicht zum erstenmal sah, wurde durch den forschenden Blick offenbar peinlich berührt. Unruhig spähte er bald in diese bald in jene Richtung, und wie erleichtert richtete er sich etwas höher auf, als der Notar ihn anredete.

»In dem Fach R, ganz oben, finden Sie ein schwaches Actenheft,« sprach er geschäftlich, »überschrieben ist es: ›In Sachen der Familie Rothweil;‹ bringen Sie mir dasselbe.«

Splitter verschwand. Der Notar, gewahrend, daß Perennis jenem starr nachsah, bemerkte, wie um die kurze Pause auszufüllen, mit gedämpfter Stimme:

»Noch etwas unbeholfen; ich beschäftige ihn erst seit gestern, hoffe indessen, daß er sich schnell einarbeitet.«

»Mir ist, als wäre ich ihm früher begegnet,« ergriff Perennis die Gelegenheit, Näheres über Splitter zu erkunden, »aber nicht hier in der Stadt.«

»Wohl möglich,« fiel der Notar ein, »er ist lange Jahre auf einem Landrathsamt, etwa eine Meile von hier, beschäftigt gewesen. Vielleicht trafen Sie dort mit ihm zusammen, und er hat ja eins von jenen Gesichtern, welche man nicht leicht vergißt.«

»Im langjährigen Dienst allmälig eine Art Schreibmaschine geworden, mag die Wärme des Fühlens und Denkens bei ihm abgestumpft sein,« entgegnete Perennis zweifelnd.

»Wie bei vielen Menschen, deren Wissen und Können nicht über das eines täglich aufziehenden Uhrwerks hinaus reicht,« hob der Notar an, als Splitter wieder in der Thür erschien und ihm das Heft überreichte. Er warf einen Blick auf die Aufschrift und nickte billigend. »Es ist gut,« fügte er hinzu, »schließen Sie die Thür.«

Splitter entfernte sich. Er schien die Anwesenheit eines Fremden vergessen zu haben, so maschinenmäßig bewegte er sich einher. Indem er aber die Thür zudrückte, warf er einen argwöhnischen, sogar feindseligen Blick auf Perennis. Es offenbarte sich in demselben, daß er um jeden Preis die Beziehungen zu erfahren wünschte, in welchen er zu dem Besitzer des Karmeliterhofes und zu Lucretia stand, aber auch daß die Ueberraschung, mit welcher Perennis ihn kurz zuvor betrachtete, peinlich in ihm fortwirkte und ihn beunruhigte.

»Um zu dem heutigen Termin zu erscheinen, haben Sie eine weite Reise unternehmen müssen,« begann der Notar, nachdem Beide einander gegenüber vor dem Schreibtisch Platz genommen hatten, und nachlässig öffnete er den nur wenige Bogen enthaltenden Umschlag, »allein da diese Angelegenheit in nächster Beziehung zu dem Karmeliterhofe und dessen Besitzer steht, konnte dieselbe füglich nicht einem ändern Gericht überwiesen werden. Sie mußten entweder selbst kommen, oder Jemand hier bevollmächtigen. Letzteres wäre mit vielen Schwierigkeiten verknüpft gewesen, weil Sie voraussichtlich der einzige Rothweil sind, der in den Gang der vorliegenden Sache eingreifen kann.«

»Als fahrender Künstler bin ich nicht an die Scholle gebunden,« erklärte Perennis sorglos, »ob hier oder dort, meine Werkstätte ist immer da, wo ich mich gerade befinde.«

»Um so besser,« versetzte der Notar und sogleich auf den Zweck des Termins eingehend, fuhr er fort: »Ihr Herr Vater lebt nicht mehr?«

»Er starb vor Jahren. Den Todtenschein brachte ich mit,« antwortete Perennis gespannt, ahnungslos um was es sich handelte.

»Ihre Mutter starb noch früher?«

»Auch deren Todtenschein ließ ich mir ausfertigen.«

»Sie besitzen Geschwister, die mit Ihnen als gleichberechtigt zu den Ansprüchen Ihres Vaters betrachtet werden müssen.«

»Nur zwei Schwestern.«

»Besaßen Sie mehr Geschwister?«

»Noch zwei; sie starben im Jugendalter. Sollten deren Todtenscheine gewünscht werden, so kostet es mich nur einen Brief.«

»Sie sind unentbehrlich. Haben Sie sich mit den Vollmachten Ihrer Schwestern versehen?«

»Ich hielt es für überflüssig.«

»Nicht überflüssig,« fiel der Notar beinah ungeduldig ein, »denn in Folge dieses Versäumnisses bin ich gezwungen, einen neuen Termin anzuberaumen, bis zu welchem Sie die erforderlichen Dokumente herbeigeschafft haben können.«

»Das klingt, als ob ich von meinen verstorbenen Eltern noch irgend eine bisher nicht geahnte Erbschaft zu erwarten hätte.«

»So wissen Sie noch nichts?« fragte der Notar erstaunt.

Perennis sah befremdet auf.

»Was sollte ich wissen oder erfahren haben?« fragte er zögernd.

»Stehen Sie nicht in brieflichem Verkehr mit dem Bruder Ihres Vaters, dem Herrn Rothweil in Santa Fé?«

Perennis schaute immer verwirrter darein.

»In Santa Fé?« fragte er verwundert, und er entsann sich der Orte, welche Wegerich ihm genannt hatte; »also dort weilt er? Nein von hier aus verkehrt Niemand brieflich mit ihm, es wäre sogar unmöglich gewesen, weil er störrisch Namen und Lage seines Aufenthaltortes verschwieg.«

»So gab er wenigstens Nachricht von seinem Leben?«

»Sehr selten, und dann nur dem Verwalter des Karmeliterhofes, einem betagten Gärtner. Die letzte Nachricht traf vor mehr als Jahresfrist ein. Der alte Wegerich sieht indessen täglich einem Briefe von ihm, oder seinem persönlichen Eintreffen entgegen.«

»Errathen Sie nicht den Zweck, zu welchem Sie hierher beschieden wurden?« fragte der Notar, Perennis fest anschauend.

»Wohl gar auf meines Onkels Veranlassung,« hob dieser befremdet an, als der Notar ihn mit einer gewissen Theilnahme unterbrach.

»Auf seine allerdings nur mittelbare Veranlassung, indem Ihr Onkel schon vor einem Jahr das Zeitliche segnete.«

»Ohne seine Heimat, ohne den Karmeliterhof wiedergesehen zu haben?« versetzte Perennis ungläubig und bedauernd, »der arme Wegerich; das wäre ein harter Schlag für ihn. Es bliebe dem alten Manne nichts Anderes übrig, als mit leeren Händen von seiner langjährigen, tiefverschuldeten Heimstätte abzuziehen; und da ist noch eine entfernte Verwandte, die eben erst auf dem Karmeliterhofe eine bescheidene Zufluchtstätte gefunden zu haben meint.«

»Vielleicht läßt sich Alles noch halten,« versetzte der Notar lebhaft und ermuthigend, »denn nach diesen Mittheilungen zu schließen,« und er berührte mit der Rückseite der Hand das Aktenheft, »hat er ein Testament deponiert. Der Ernst aber, mit welchem das dortige Gericht diese Angelegenheit betreibt, legt die Vermutung nahe, daß Ihr verstorbener Onkel etwas besaß, was des Testirens werth gewesen. Vielleicht liegende Gründe, Häuser, oder Bergwerksantheile.«

»Oder, wie auf dem Karmeliterhofe, Alterthümer, also Gegenstände, die nur für den Liebhaber von Werth,« schaltete Perennis ein, »denn so viel ich über den alten Herrn vernahm, wäre ihm alles Andere eher zuzutrauen gewesen, als das Sammeln und Sparen von Reichthümern.«

»Es käme immerhin auf eine Probe an,« meinte der Notar bedächtig, »leicht wird es uns allerdings nicht gemacht, den Wortlaut des Testamentes kennen zu lernen. Doch zuvor eine Frage: Verfügen Sie über etwa tausend Thaler, um dieselben zur Wahrung Ihrer Rechte einzulegen?«

»Nicht tausend Groschen,« antwortete Perennis lachend.

»Leben Ihre Schwestern in Verhältnissen, welche es ihnen ermöglichen, jede eine Summe von etwas fünfhundert Thalern vorzuschießen?«

»Als Beamtenfrauen befinden sie sich wohl in einer sorgenfreien Lage, müssen das Ihrige aber sehr zusammenhalten. Am allerwenigsten dürften sie geneigt sein, ihre kleinen Ueberschüsse zur Führung eines mehr als zweifelhaften Erbschaftsprozesses beizusteuern.«

»Nicht zu Prozeßkosten soll das Geld dienen,« versetzte der Notar, »doch halten wir uns zunächst an das, was hier vor uns liegt. Sie sind der englischen Sprache mächtig?«

»Ziemlich geläufig.«

»Wie steht es mit dem Spanischen?«

»Zehn Monate trieb ich mich im Auftrage mehrerer illustrirten Zeitschriften auf den Kriegsschauplätzen in Spanien umher, und in zehn Monaten lernt man viel, wenn man auf Lernen angewiesen ist.«

»Das genügt. Die uns übersendeten Schriftstücke sind in englischer und spanischer Sprache verfaßt. Sie mögen also die deutsche Uebersetzung mit den Originalen vergleichen. Hier in der Uebersetzung heißt es nun, daß der an dem und dem Datum verstorbene Herr Rothweil auf dem Gericht zu Santa Fé ein Testament hinterlegte, in welchem er über seine ganze Habe frei und endgültig zu Gunsten seiner nächsten Verwandten, verfügte. Als Bedingung der Eröffnung stellte er fest, daß eine Uebermittlung des Testamentes nach Europa unter keinen Umständen statt zu finden habe. Diese Bedingung erscheint in so weit gerechtfertigt, als der Verstorbene unstreitig davon ausging, daß bei brieflichen Transactionen, zu bewirkenden Verkäufen und Uebermittlungen von Geldern bei der großen Entfernung die Erben zu leicht benachteiligt würden, wogegen in persönlicher Vertretung der Erbansprüche jeder Uebervortheilung vorgebeugt wird. Jedenfalls berechtigt diese Anordnung zu der Erwartung, daß der Werth der Erbschaft im Verhältniß zu den Mühen und Kosten steht, welche die Eröffnung bedingt.«

»Und was sich höchst wahrscheinlich auf einen historischen Werth beschränkt,« versetzte Perennis mit gutmüthigem Spott; »deuten Sie es indessen nicht als Herzlosigkeit, wenn ich trotz der Kunde von dem Ableben eines nahen, mir allerdings seit meiner frühesten Kindheit entfremdeten Verwandten, der Sache eine heitere Seite abzugewinnen suche. Wir dürfen nämlich nicht übersehen, daß mein alter Onkel ein Gelehrter gewesen, Gelehrte aber erfahrungsmäßig zu den aller unpraktischsten Spekulanten gehören. Hätte er sich in einer günstigen Lage befunden, so würde der Karmeliterhof heute schwerlich eine Ruine inmitten einer Wüstenei sein.«

»Gelehrte sind unberechenbar,« wendete der Notar ein, »der Münzsammler verhungert oft bei seinen goldenen und silbernen Medaillen, die ein Vermögen repräsentiren – doch enthalten wir uns vorläufig eines Urtheils und prüfen wir in erster Reihe die Kundgebungen des Gerichtes in Santa Fé. Da heißt es:« und er senkte den Blick wieder auf die deutsche Uebersetzung, »laut letztwilliger und gerichtlich beglaubigter Verfügung, ist der in Deutschland lebende Bruder des Verstorbenen, und im Falle von dessen Ableben seine unmittelbare Nachkommenschaft aufzufordern, sich zur Eröffnung des Testamentes und zur Uebernahme der Hinterlassenschaft nach Santa Fé zu verfügen. Stellvertretungen werden nur anerkannt, wenn ein Mitglied der Familie, ausgerüstet mit den Vollmachten der übrigen Mitglieder, deren Rechtsansprüche mit den seinigen zugleich geltend macht. Sollte der Bruder des verstorbenen Rothweil oder dessen Kinder auf Grund der oben angedeuteten Bestimmungen sich weigern, die Erbschaft anzutreten, so haben sie dies innerhalb einer Frist von vier Wochen nach Bekanntwerden der Verhältnisse vor einer Gerichtsperson zu erklären, und die Ansprüche gehen auf die noch lebenden entfernteren Verwandten über. Findet sich auch unter diesen Keiner, der bereit ist, die Testamentsbedingungen zu erfüllen, so ist das Gericht in Santa Fé ermächtigt, das Testament in Gegenwart eines gewissen Plenty und dreier anderer Zeugen zu vernichten, und es tritt dann ein zweites, für einen solchen Fall berechnetes, ebenfalls auf dem Gericht in Santa Fé hinterlegtes in Kraft. Diese letzte Bestimmung wird auch in ihrem ganzen Umfange rechtsgültig, wenn nach Ablauf zweier Jahre, genau vom Todestage des Verstorbenen ab gerechnet, sich kein Erbe gemeldet haben sollte.«

»Dies ist also der Hauptinhalt der mir zur Förderung anvertrauten Sache,« schloß der Notar seinen Bericht; »den ersten gebotenen Schritt vollführte ich, indem ich Sie, den ältesten und nächsten Blutsverwandten hierher beschied. An Sie und Ihre Geschwister tritt dagegen die Aufgabe heran, die Erklärung zu Protokoll zu geben, ob Sie gesonnen sind, die Erbschaft anzutreten.«

»Wissen Sie denn, was es heißt, sich als Erbe meines Onkels zu erklären?« rief Perennis klagend aus, und sein darauf folgendes Lachen verrieth wenig Lust, auf das ihm zweifelhaft scheinende Verfahren einzugehen.

»Zunächst heißt es, eine Weltreise antreten, welche sich dennoch reich bezahlt machen dürfte.«

»Ich muß Sie eines Anderen belehren: Zunächst heißt es, von dem weit über seinen Werth verschuldeten, fast in Trümmer liegenden Karmeliterhofe Besitz zu ergreifen und damit die Verpflichtung zu übernehmen, einen nicht unbeträchtlichen Berg von Zinsen für Kapitalien zu zahlen, von welchen man nie einen Pfennig sah. Nein, die Sache ist zu ernst, um sich auf gut Glück in ein Meer von Sorgen zu stürzen.«

»Sie ziehen nicht in Betracht, daß die zu erhebende Hinterlassenschaft möglichen Falls doppelt, wenn nicht zehnfach entschädigt.«

»Oder daß mein guter Onkel mit seinem Rechtlichkeitsgefühl vielleicht vorzog, seine nächsten Verwandten zu belasten, um fremde Gläubiger zu befriedigen.«

»In Ihrer Besorgnis übertreiben Sie,« nahm der Notar dringend das Wort, »denn wo bleibt die Logik, wenn die Behörde in Santa Fé so viel Staub aufwirbelte, ohne irgend eine Garantie, daß die betreffenden Erben nicht vergeblich in Mühen und Kosten gestürzt würden?«

»Was kümmert die Behörde sich viel um Mühen und Kosten Anderer?« erwiderte Perennis heiter, »die ist froh, die ganze Geschichte auf bequeme Art abzuschütteln. Ich bin überzeugt, daß meine Schwestern und deren Männer genau ebenso denken, wie ich. Gerne, wie ich eine solche Reise zurücklegte, muß ich unter den obwaltenden Verhältnissen davon abstehen.«

»Ich betrachte diesen Ausspruch nicht als entscheidend. Setzen Sie sich zuvor mit Ihren Geschwistern in Einvernehmen, und dann überlegen Sie für Ihre Person noch zweimal, bevor Sie die Erbschaft verwerfen. Vergegenwärtigen Sie sich Ihre Empfindungen, wenn Sie später erführen, daß Andere sich in eine recht erhebliche Hinterlassenschaft theilten.«

»Alles erwäge ich; aber da ist noch ein anderer Faktor, dem Rechnung getragen werden muß. Woher sollte ich, abgesehen von der Last des Karmeliterhofes, das Geld zu dem gedachten Zwecke nehmen? Meine Subsistenzmittel liegen eben in der Ausübung meiner bescheidenen Kunst, und ich möchte den großmüthigen Menschenfreund sehen, der einem fahrenden Farbenklexer auf das, was er zu leisten hofft, auch nur hundert Thaler borgte.«

»Handeln Sie nicht übereilt,« warnte der Notar ernst, »nehmen Sie die Sache in die Hand, als ob Sie mit der Reise eine Pflicht erfüllten, und ich bin überzeugt, Sie finden unter Ihren Freunden Manchen, der gern bereit ist, Sie zu unterstützen. Ich selbst will das Meinige dazu beitragen, nur geben Sie das Unternehmen nicht von vorn herein auf.«

»Und kehre ich zurück, so habe ich das Vergnügen, Jahre hindurch an der Abtragung meiner Schulden zu arbeiten,« rief Perennis wieder klagend aus. »Das aber wären trübe Aussichten. Und dann der Karmeliterhof und die Hypotheken – mir schwirrt der Kopf, wenn ich daran denke – und dennoch – möchte ich – reisen –«

Er sah träumerisch ins Leere. Vor seinem Geiste verkörperten sich Bilder ferner Zonen, zu welchen die ersten Umrisse in seinen Jünglingsjahren gezogen wurden. Frische Waldesluft umhauchte ihn. Seltsam geschmückte kriegerische Gestalten erstanden in seiner Phantasie. Auf unabsehbaren Ebenen bewegten sich lange Karawanen einher; sich selbst, den gedienten, waffenkundigen Reitersmann, sah er auf dem Rücken eines wildmähnigen Steppenpferdes –

»Nun?« störte der Notar, der ihn so lange beobachtet hatte, seine Träume.

Perennis reichte ihm die Hand.

»Die Sehnsucht treibt mich in die Ferne,« sprach er, und lebhafter kreiste das Blut in seinen Adern, »die verständige Ueberlegung warnt mich dagegen vor Schritten, deren Folgen vielleicht mein ganzes Leben verbittern. Das Für und Wider muß ich sorgfältig gegen einander abwägen, bevor ich mich entscheide. Doch eine andere Frage: Mir fällt schwer auf die Seele, daß der alte Wegerich die Wahrheit nicht ahnt und zuversichtlicher denn je auf die Heimkehr seines Herrn rechnet. Und dann ist da noch Jemand, eine entfernte Verwandte, es wäre zu traurig, geriethe sie in die Lage, sich nach einem anderen Unterkommen umsehen zu müssen.«

»Auch dafür schaffen wir Rath,« erklärte der Notar theilnahmvoll, »zuvörderst verheimlichen wir den Sachverhalt so lange, bis wir mit der Trauernachricht die entsprechenden Trostesgründe verbinden können. Ein anderer Vorschlag wäre – und er erleichtert Ihnen vielleicht den Entschluß – mit den Hypotheken-Gläubigern eine Vereinbarung zu treffen, laut deren dieselben, nachdem Sie die Erbschaft angetreten haben, bis zu Ihrer Rückkehr Alles seinen ruhigen Gang gehen lassen. Es wird sich dann ja ausweisen, ob Sie den Hof behalten, oder sich auf dem Wege der Subhastation desselben entledigen –«

»Halten Sie ein!« rief Perennis scherzhaft abwehrend aus, »mir schwindelt bei dem Gedanken an so viele Tausende von Thalern, die mir zur Last gelegt werden sollen, wie ich bisher in meinem Leben nicht über Hunderte auf einmal verfügte. Ein Chaos ist es, in welches Sie mich hineindrängen! Wie viel glücklicher war ich, so lange ich nur einiger Streifen Papier und einer mittelguten Bleifeder bedurfte, um mich unabhängig zu fühlen. O Du armer Wegerich und Du arme Lucretia! Muß ich Euch denn in einen Ocean von Zweifeln und schließlich ins Elend stürzen? Nein, ich bringe es nicht fertig,« und er erhob sich, »mögen Beide sich noch eine Weile in freudigen Hoffnungen wiegen; kann aber die Wahrheit nicht länger vorenthalten werden, so kommen die Tage der Sorge ja noch immer frühe genug.«

»Geduld,« beruhigte der Notar zuversichtlicher, indem er Perennis bis an die Thür begleitete, »zu überschwänglichen Hoffnungen rathe ich ebenso wenig, wie eine allerdings noch etwas zweifelhaft erscheinende Angelegenheit im Voraus als eine verlorene zu betrachten. Wo bliebe schließlich die Energie, klammerte man sich bei jedem Unternehmen immer an die ungünstigsten Möglichkeiten an?«

»Die Schulden, die Schulden,« erwiderte Perennis kläglich.

»Auch an diesen Gedanken gewöhnt man sich, und leider oft nur zu leicht,« fiel der Notar lachend ein, »hoffentlich sind bei unserer nächsten Zusammenkunft Ihre letzten Zweifel geschwunden, und dann nehmen wir die Sache gemeinschaftlich in die Hände.«

»Ich weiß nicht, was ich wünschen, was ich hoffen soll,« klagte Perennis wiederum, »meine Seelenruhe ist auf alle Fälle dahin. Diese Berge von Verantwortlichkeiten! Doch es muß überwunden werden,« und dem Notar noch einmal die Hand drückend, empfahl er sich.

Als Splitter auf des Notars Ruf eintrat, um das Aktenheft wieder in Empfang zu nehmen, war seine Haltung fast noch unterwürfiger geworden. Auf dem sommersprossigen Gesichte aber ruhte es wie der Ausdruck eines Menschen, der tödlich beleidigt wurde und heimlich auf Rache sinnt. Halb von den Lidern verschleiert blickten die unsteten Augen. Deren Pupillen hatten sich scheinbar in kleine stechende Punkte verwandelt. Hätte ihn Jemand nach dem Umfange der Arbeit gefragt, welche er während Perennis' Anwesenheit in dem Nebenzimmer vollendete, so würde er schwerlich haben Auskunft ertheilen können.


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