Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

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Zwanzigstes Kapitel.

Die Märchennacht

Es war zur späteren Nachmittagsstunde, aber noch immer lagerte glühender Sonnenschein auf der Stadt und der nahrungslosen Ebene. Die Straßen hatten noch nicht begonnen, sich abendlich zu belegen. Plenty war in Eliza's Begleitung auf die Landstraße hinausgeritten. Perennis befand sich wieder in seinem Hause. Nachdem er im Gasthofe gespeist hatte, war er mit seinen Habseligkeiten ganz nach demselben übergesiedelt. Die Sauberkeit der kühlen Räume sprach ihn nicht minder an, als die tiefe Stille, welche in denselben herrschte und seinen Betrachtungen gleichsam Vorschub leistete. Bald in diesem, bald in jenem Gemach hielt er sich auf. Mit wehmüthiger Theilnahme prüfte er die hundertfältigen Gegenstände, welche sein Onkel aus allen Richtungen so gewissenhaft zusammengetragen hatte. Alles stand und lag, wie die nun schon längst im Tode erstarrte Hand es einst ordnete. Er versuchte, sich den alten Herrn zu vergegenwärtigen, wie derselbe enthusiastisch unter seinen Schätzen wirkte, wie er mit liebevollen Blicken die eine oder die andere Reliquie prüfte, sich auch wohl in jene Zeiten zurückzuversetzen trachtete, in welchen dieselben Reliquien die sagenhaft erscheinenden Häuslichkeiten entschwundener Volksstämme schmückten, von braunen Männern, Weibern und Kindern im täglichen Gebrauch gehandhabt wurden. Lebhafter arbeitete seine Phantasie; weiter zurück schweiften seine Gedanken. Unbewußt lenkten seine Betrachtungen in die Bahnen ein, auf welche der Forschungseifer den todten Verwandten einst führte. Die Menschen, welche jene seltsamen Gefäße aus Thon formten, die Messer, Pfeil- und Speerspitzen aus dem härtesten Gestein meißelten: wo waren sie geblieben? Wo spielte der Wind mit dem Staub ihrer Gebeine? Und ihn selbst hatte das Geschick dazu auserkoren, auf der Heimstätte eines entschwundenen Geschlechtes in Schutt und Moder zu wühlen und nach Schätzen zu suchen. Er entsann sich des räthselhaften Schriftstücks. Bizarren Träumereien huldigend, nahm er vor dem Schreibtisch Platz. Die in dem Götzen verborgen gewesenen Papiere lagen vor ihm. Neben denselben thürmten sich die Scherben des zerbrochenen Gebildes übereinander. Wie unbewußt entfaltete er die Schriften, las er die geheimnißvolle Kunde über den Verbleib der von den mittelalterlichen Mönchen gesammelten Schätze. »Nombrado por Carlos Quinto de Gran Quivira,« sprach er laut, als er am Schluß der von dem sterbenden Kaziken der Vergessenheit entrissenen Mittheilungen anlangte. Das Geräusch, mit welchem Jemand die Hausthür öffnete, störte seinen Ideengang. Das vergilbte Papier mit den untrüglichen Zeichen eines hohen Alters legte er nieder, und in die Halle tretend, erkannte er seinen Reisegefährten Dorsal.

»Willkommen in meinem eigenen Hause!« begrüßte er denselben herzlich; »wer hätte je geahnt, daß ich noch einmal ein Fleckchen Erde bis in den Mittelpunkt unseres Planeten hinein mein Eigenthum nennen würde!«

»Ein schönes Bewußtsein,« antwortete Dorsal sorglos, »ich errieth den Verlauf Ihrer Angelegenheit, sobald ich die Fensterladen geöffnet sah, und eilte hierher, um Ihnen meinen Glückwunsch darzubringen. Ich hoffe, Ihre Erwartungen sind übertroffen worden.«

»Bestimmte Erwartungen hegte ich nie,« versetzte Perennis, »allein Haus und Hof ist immerhin Etwas, und diese Alterthümer hätte der Verstorbene nicht für alles Geld der Erde hingegeben. Freilich, die Begriffe über deren Werth sind getheilt.«

»Unterschätzen Sie ihn nicht,« fiel Dorsal lebhaft ein, während seine Blicke von Brett zu Brett über die langen Reihen der Thongefäße hinglitten, »ich bin zwar kein Kenner, dagegen erlebte ich, daß ein mittelmäßig erhaltener altmexikanischer Krug mit Silber aufgewogen wurde. Und gar diese selten schönen Exemplare; wahrhaftig, in der Sammlung ist ein Vermögen enthalten, im Vergleich mit welchem das Haus mehr als eine allerdings sehr annehmbare Zugabe erscheint.«

Perennis' Antlitz erhellte sich. Vermuthete er ein aus Höflichkeit übertriebenes Urtheil, so trug dasselbe doch nicht wenig dazu bei, Plenty's berechnendes eigennütziges Verfahren in einem grelleren Lichte erscheinen zu lassen.

»Ein Vermögen, welches keine Zinsen einträgt,« hielt er für angemessen vorübergehend in Plenty's Rolle einzutreten, »deshalb aber nicht minder mir werth und theuer. Zu einem Verkauf würde ich mich nur dann entschließen, wenn ich die Ueberzeugung hegen dürfte, daß die Sammlung nicht zerrissen und zerstreut würde.«

»Wozu sich hundertfach Gelegenheit bietet,« erklärte Dorsal mit großer Entschiedenheit, »ah – wie freundlich,« fuhr er fort, als sie in das Arbeitszimmer traten, »also hier hat der ehrwürdige Herr, dieses Original von einem scharfsinnigen Handelsmann und einem fanatischen Alterthümler gewirkt und geschafft. Hier sind noch die Spuren seiner letzten Arbeit – ein zertrümmertes Gebilde –« und er nahm einen der größeren Scherben des Götzen, wie um ihn aufmerksam zu betrachten, in der That aber, um an demselben vorbei einen Blick auf die geöffneten Papiere zu werfen, »sicher stand er im Begriff, die Fragmente zusammen zu kitten.«

»Eine ziemlich gelungene Nachahmung,« bemerkte Perennis etwas befangen, »es entglitt meiner Hand –«

»Wie bedauerlich,« fiel Dorsal ein, den Scherben fortgesetzt drehend und wendend »mag's eine Nachahmung sein, ein gewisser Werth kann ihm nicht abgesprochen werden –« er stockte. Es war ihm gelungen, auf dem vergilbten Papier einige Worte zu entziffern. Als er aber unten deutlich las: »Nombrado por Carlos Quinto de Gran Quivira,« erschrak er so heftig, daß er jede Vorsicht vergaß und nicht sogleich weiter zu sprechen vermochte. Perennis entging sein befremdendes Wesen nicht. Er folgte der Richtung seiner Blicke, und nachtheilige Folgen von einer anscheinend unabsichtlichen Indiscretion fürchtend, schlug er die Papiere zusammen, wodurch die um dieselben befestigt gewesene Hülle frei gelegt wurde. Dorsal hatte sich gesammelt und beobachtete wieder seine heitere sorglose Ruhe.

»In der That eine Fälschung,« bemerkte er nachlässig, »hier sind die Spuren, daß ein Stück eingekittet wurde, und das geschah nicht vor hunderten von Jahren.«

Gleichmüthig und dadurch Perennis eine Antwort ersparend, legte er den Scherben wieder zu den ändern, und munter plaudernd ließ er sich durch alle Räumlichkeiten des Hauses führen.

Die Zeit enteilte und die Hitze des Tages begann sich zu mäßigen, als Dorsal sich endlich verabschiedete. Perennis begleitete ihn bis vor die Thür. Ehe er ins Haus zurückkehrte, sandte er einen Blick nach Plenty's Veranda hinüber. Statt des gewinnsüchtigen Yankees gewahrte er den schwarzen Majordomo und dessen braunen Zögling, die beide, ihre Cigarretten rauchend, langsam auf und ab wandelten. Sie nicht weiter beachtend, entfernte er sich. Doch es schien, als sollte er heute nicht zur Ruhe kommen; denn er hatte sich kaum in das Arbeitszimmer begeben, als in der Halle leichte Schritte laut wurden. Ueberrascht kehrte er sich um, und vor ihm stand eine dunkel gekleidete Frauengestalt, welche den schwarzen Reboso bedachtsam so über ihr Haupt gezogen hatte, daß dessen breite Spitzeneinfassung ihr Antlitz bis zu den schwellenden Lippen eines lieblich geformten Mundes herunter verschleierte. Scharf kontrastirte zu dem dunkeln Gewände das zarte, runde Kinn, während die Augen wie schwarze Diamanten zwischen den künstlich aneinander gereihten Maschen hindurchfunkelten.

Perennis erschrak. Er glaubte dieselbe Gestalt zu erkennen, welche ihm die geheimnißvolle Warnung übermittelte.

»Habe ich die Ehre, Herrn Rothweil, den Besitzer dieses Hauses zu begrüßen?« fragte eine weiche, melodische Stimme.

»Rothweil ist mein Name,« antwortete dieser, sich höflich verneigend, »und ich habe in der That vor wenigen Stunden erst die Erbschaft des verstorbenen Bruders meines Vaters angetreten.«

»Den Heiligen sei Dank,« versetzte die Mexikanerin tief aufseufzend, und als sei es zufällig geschehen, ließ sie den Reboso auf ihre Schultern niedergleiten, »meine scheinbare Zudringlichkeit wird Sie nicht länger befremden, wenn Sie erfahren, daß meine Mutter und ich dem theuren Dahingeschiedenen zum höchsten Danke verpflichtet gewesen.«

Während dieser Anrede hatte Perennis Zeit gefunden, sein erstes Erstaunen zu besiegen.

»Gutes über einen verstorbenen Angehörigen zu vernehmen, kann nur innige Befriedigung erwecken,« sprach er, indem er der Fremden den Vortritt ließ und sie durch eine ehrerbietige Bewegung einlud, auf einem der Stühle vor dem Arbeitstisch Platz zu nehmen, »ich setze indessen voraus, daß der Dahingeschiedene bei Lebzeiten Ihre freundlichen Gesinnungen kennen lernte, wodurch der Ausdruck irgend welchen Dankes an dieser Stelle als ungerechtfertigt erscheinen muß.« »Leider, leider ist es uns nicht vergönnt gewesen, unserem Wohlthäter so zu danken, wie es im Einklänge mit unseren Empfindungen gestanden hätte,« versetzte die Mexikanerin schnell und im Tone ihrer Stimme verrieth sich eine durch warmen Eifer erzeugte Zutraulichkeit, »denn durch ihn sind wir vor großem Elend bewahrt worden, als wir fast mittellos in dieser Stadt eintrafen und in unserer Noth nicht wußten, wohin wir uns wenden sollten. Wir hatten zwar die sichere Aussicht, über kurz oder lang der mißlichen Lage, in welche wir durch den plötzlichen Tod meines Vaters gestürzt wurden, entrissen zu werden, allein bis dahin konnten die Wogen des Elends längst über uns zusammengeschlagen sein. Da führte mich der Zufall mit Herrn Rothweil zusammen. Ich faßte Vertrauen zu ihm, und großmüthig gewährte er uns in Form eines Darlehns eine Unterstützung, mehr, als ausreichend, uns über die traurigen Zeiten hinwegzuhelfen. Bald nach seinem Tode trat die günstige Wandlung in unseren äußeren Verhältnissen ein, also zu spät, um das Darlehn zurückerstatten zu können. Und so bleibt uns nur der einzige Ausweg, die drückende Schuld, begleitet von unserm Dank, an seinen Erben abzutragen.«

Bei den letzten Worten bebte ihre Stimme. Die großen dunklen Augen richtete sie voll auf Perennis. Sie schienen erhöhten Glanz zu gewinnen; aber ein gewisser flehender Ausdruck ruhte in denselben, indem sie eine schwere Börse hervorzog und dreihundert Dollars in Gold auf den Tisch zählte.

Perennis glaubte zu träumen. Erst als er die Goldstücke klirren hörte, kehrte seine Fassung zurück.

»Sollte mein verstorbener Verwandter Ihnen diese kleine Summe nicht als Erbtheil zugedacht haben?« fragte er, förmlich zusammenschauernd unter dem bis in seine Seele hineindringenden sengenden Blick, »ich für meine Person kann sein Verfahren nur so deuten, zumal weder Schuldschein noch Zeugen –«

»Sie kannten Herrn Rothweil nicht, oder Sie würden den Gedanken an eine Zeugenschaft bei seinen großmühtigen Handlungen mit Entrüstung zurückweisen,« fiel die Mexikanerin vorwurfsvoll ein. »Werden die Bedenken durch diesen Einwand noch nicht besiegt, so muß ich nothgedrungen hervorheben, daß wir nicht gewohnt sind, von Wohlthaten zu leben. Behandeln wir die Angelegenheit doch geschäftlich und stellen Sie einen Empfangschein aus. Wäre es doch möglich, daß die fragliche Summe sich später dennoch irgendwo verzeichnet fände.«

Perennis schwankte noch immer. Der Eindruck, welchen die mit allen exotischen Reizen geschmückte Mexikanerin auf ihn ausübte, war ein solcher, daß er glaubte, durch die Annahme des Geldes sich in ihren Augen herabzuwürdigen.

»Ich kenne einen Ausweg,« antwortete er endlich zögernd, »der eigentliche Testamentsvollstrecker ist mein Nachbar Plenty –«

»Nicht von ihm sprechen Sie,« unterbrach die Mexikanerin ihn mit offen zur Schau getragenem Widerwillen, »unmöglich können Sie beabsichtigen, Vertrauen zu einer Person bei Jemand zu erwecken, der kurz zuvor mit Ueberlegung, sogar auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden, Sie vor derselben Person warnte.«

»Liegt denn hinter Plenty eine Vergangenheit, welche eine derartige Warnung rechtfertigt?«

»Bezweifeln Sie, daß ohne aufrichtige und begründete Besorgniß für Sie meine Mutter und ich jemals gewagt haben würde, fast unmittelbar nach Ihrem Eintreffen Argwohn gegen Ihren Nachbarn zu erwecken?«

»Ich leugne nicht, daß der kalt berechnende, eigennützige Amerikaner einen ungünstigen Eindruck bei mir hinterließ,« nahm Perennis wieder das Wort, und indem er sich in das Anschauen der unter tropischer Sonnengluth gereiften Schönheit versenkte, erbleichte mehr und mehr Eliza's erstes Bild, »allein etwas giebt es, was warm für ihn spricht, ich meine seine Tochter –«

»Seine Stieftochter,« verbesserte die Mexikanerin, »und als solche ist sie, wie ich hörte, im Vollbesitz aller Vorzüge, welche ihre Eltern ausgezeichnet haben sollen. Ob es von Vortheil für sie gewesen, weiblichen Beschäftigungen entzogen und dafür mit dem eigennützigen Abwägen dieser oder jener Spekulation gemartert zu werden, wage ich nicht zu entscheiden. Mir flößt das arme ahnungslose Wesen die aufrichtigste Theilnahme ein.«

»Welche die freundliche Buchhalterin im vollsten Maße verdient, erklärte Perennis, »ein anderes Urtheil bildete sich bei mir wenigstens nicht während der wenigen Minuten unseres geschäftlichen Verkehrs.«

»So lassen Sie auch hier nur den geschäftlichen Verkehr gelten,« kam die Mexikanerin gewandt auf ihren ursprünglichen Zweck zurück, und sie wies nachlässig auf das Geld.

Perennis, dem vollen Zauber der vor ihm sitzenden verlockenden Erscheinung unterworfen, gab den letzten Widerstand auf. Er nahm die zunächstliegende Feder, prüfte das trockene Dintenfaß, lächelte über seine Gedankenlosigkeit, und die Feder hinwerfend, zog er ein Blatt Papier vor sich hin. Einige Male schwankte die seiner Brieftasche entnommene Bleifeder hin und her, dann schrieb er:

»Dreihundert Dollars, von welchen behauptet wird, daß sie von meinem Onkel, dem verstorbenen Herrn Rothweil in Santa Fé, ohne Empfangschein entliehen worden, sind mir an dem heutigen Tage von –«

Er kehrte sich der Mexikanerin zu, welche, unbemerkt von ihm, alle auf dem Tische liegenden Gegenstände mit Flammenblicken gemustert hatte.

»Um Ihren Namen muß ich bitten,« sprach er, wie sich entschuldigend, zu ihr.

Diese lächelte zweifelnd.

»Clementia Onega,« antwortete sie darauf bereitwillig.

»Señorita Clementia Onega ausgezahlt worden,« schrieb Perennis; dann fügte er hinzu: »ich betrachte diese Summe so lange als einen mir geleisteten Vorschuß, bis der Nachweis geliefert wurde, daß mein verstorbener Onkel sie in der That nur als Darlehn hingab.«

»Der Nachsatz war überflüssig,« bemerkte Clementia, nachdem Perennis ihr die Quittung vorgelesen hatte, und spöttisch warf sie die Lippen empor, »doch er hindert nicht, und meine Mutter und ich mögen aufathmen.«

»Ist es nicht ein Fluch, gerade da, wo man es am wenigsten erwartet und noch weniger wünscht, das Geld als einzig vermittelndes Element betrachten zu müssen?« fragte Perennis, als Clementia die Quittung nachlässig zu sich steckte.

»Bieten aber Geschäftsfragen nicht oft genug Anknüpfungspunkte für eine spätere Freundschaft?« frage Clementia heiter zurück, indem sie sich der Thür zu bewegte.

»Möchte ich doch eine solche Hoffnung hegen dürfen,« betheuerte Perennis, und er trat an Clementia's Seite. In seinen Blicken aber und in der zitternden Stimme offenbarte sich, in wie hohem Grade es dieser gelungen war, ihre bannenden Zauberkreise um ihn zu ziehen. Er war blind für das, was in ihrem Wesen und Sprechen an eine zügellose Vergangenheit in oft schreckenregender Umgebung erinnerte. Die strengen Unterweisungen einer verhältnismäßig kurzen Reihe von Monaten harten genügt, das üppige, tadellose Werk einer schöpferischen Natur mit einer Anmuth zu umkleiden, welche das Auge blendete, die Sinne verwirrte, berauschte.

»Ob wir uns wiedersehen, ist vom wetterwendischen Schicksal abhängig,« entgegnete Clementia bedauernd und dadurch das Feuer in seinen Adern noch mehr schürend.

Sie trat vor Perennis hin, wie ihm den Weg zur Hausthür verlegend. Süße, träumerische Befangenheit spielte auf ihrem schönen Antlitz, doch als wäre dieser künstlich erzeugte Ausdruck dennoch durch wahre, unwiderstehliche Regungen bedingt worden, schoß es blutroth in ihre Wangen. Flüchtig glitten ihre feuchten Blicke an der männlich schönen Gestalt hinauf und hinunter, und als sie endlich wieder auf den sie entzückt gleichsam umfangenden Augen haften blieben, wich die flammende Gluth jäh von ihren Zügen zurück. Im Kampfe des äußeren Zwanges mit der plötzlich erwachten eigenen, kaum noch eine Schranke kennenden wilden Leidenschaft, hatte Ersterer den Sieg davongetragen, sie bis in die innersten Lebensfasern hinein erschütternd. Sie war wieder die gehorsame Sklavin ihrer unerbittlich strengen Gebieter.

»Die Ungewißheit, sogar Unwahrscheinlichkeit des Wiedersehens,« hob sie mit ihrem eigenthümlich vibrirenden, tiefen Organ an, »ermuthigt mich zur Abtragung einer zweiten Schuld. Als ich das Geld von Ihrem Verwandten entlieh, bat ich ihn im Auftrage meiner Mutter, uns den Zinsfuß zu berechnen und zu bestimmen. Darauf lachte der gutmüthige Herr. ›Damit jede kränkende Empfindung beseitigt werde,‹ sprach er wohlwollend, ›bedinge ich mir aus, bei der Zurückzahlung Sie küssen zu dürfen.‹ Von Dank erfüllt sagte ich zu, und so löse ich denn mein Versprechen in der mir vorgeschriebenen Weise,« und bevor Perennis den wahren Sinn ihrer Worte vollständig begriff, hatten ihre heißen Lippen die seinigen flüchtig berührt, und flink wie eine gescheuchte Antilope glitt sie aus der Hausthür.

Perennis stand wie betäubt, er meinte, geträumt zu haben, im Traum geküßt worden zu sein.

»Clementia,« flüsterte er vor sich hin, wie um sich zu überzeugen, daß er wache, »Clementia – werde ich Dich wiedersehen, oder war es nur ein Meteor, welcher an meinem Lebenshimmel dahinschoß, um im endlosen Weltraum auf ewig zu verschwinden?«

Hastig trat er in die Thür. In einer der auf den Platz mündenden Straßen glaubte er die schlanke Gestalt mit dem schwarzen Reboso zu erkennen. Er hatte sie kaum entdeckt, da wurde sie durch eine neidische Hausecke seinem Gesichtskreise wieder entzogen. Und war sie es denn auch gewesen? Aehnliche Gestalten belebten den Platz, und andere, welche nicht im Entferntesten an sie erinnerten. Mit dem Eintritt der Kühle leerten sich die Häuser. Männer, Weiber, Greise und Kinder suchten sich für die Unthätigkeit des Tages durch Bewegung im Freien zu entschädigen.

Perennis sah nach der anderen Seite hinüber. Vor dem Hause Plenty's wandelten der schwarze Majordomo und sein brauner Zögling noch immer auf und ab. Wie er sie haßte, diese Müßiggänger, diese Zeugen seiner Besuche, den schwarzen mit den wunderlich rollenden Augäpfeln, und den braunen mit dem trägen, verschlafenen Wesen.

Ueber den ganzen Platz spähte er. Nichts entdeckte er, was seinen Blick freundlich berührt hätte. Sogar das tiefe Blau des abendlich sonnigen Himmels und die sich vor demselben scharf abhebenden altersgrauen Bauwerke störten ihn. Mißmuthig begab er sich ins Arbeitszimmer zurück. Sein erster Blick fiel auf die in drei Reihen geordneten Goldstücke. Mit einer heftigen Bewegung schob er sie unter die Papiere. Wilder kreiste sein Blut. Sollte er die zutrauliche, sogar zärtliche Annäherung einer ihm fremden Landessitte zuschreiben, oder war es mehr, als eine Bevorzugung, zu welcher sein todter Onkel ahnungsvoll die erste Ursache gab? Er schloß die Augen. Ueber Länder und Meere hinweg schweiften seine Gedanken. Vor seiner Seele erstanden die räthselhafte Rheinnixe und Lucretia, seine kindlich treuherzige, junge Verwandte. Deutlich erkannte er sie, aber wie durch einen dichten Schleier hindurch, um gleich darauf wieder die leidenschaftliche Mexikanerin mit dem sengenden Gluthblick an deren Stelle treten zu sehen. Wollte sie ihn denn tödten, seinen Geist in Wahnsinn umnachten, daß sie mit diesem ersten Kuß einen Scheidegruß auf ewig verband? Er meinte in dem abgeschlossenen Raum den Athem zu verlieren, meinte, daß die Zimmerdecke sich senke, tiefer und tiefer, um ihn zu zermalmen, zu vernichten.

Ins Freie hinaustretend, fiel sein erster Blick auf zwei gesattelte Pferde, die vor dem Hause Plenty's von dem schwarzen Majordomo und dessen braunen Gefährten fortgeführt wurden. Plenty und Eliza, die eben abgestiegen waren, standen unter der Veranda und blickten den Pferden nach. Unbemerkt wollte er sich zurückziehen, als Beide seiner ansichtig wurden. Plenty nickte ihm nachlässig zu und begab sich in seine Halle, wogegen Eliza, über dem linken Arm die Schleppe ihres Reitkleides, in der rechten Hand eine leichte Gerte, zu ihm herüberkam. Wenn aber kurz zuvor Clementia mit ihrem unheimlichen Zauber sein Gehirn in Flammen setzte, so zog es jetzt, da er in die freundlichen blauen Augen sah, die so offen, so redlich blickten und, bevor die Lippen sich öffneten, ihm einen herzlichen, nachbarlichen Gruß zusandten, wie süßer Friede in seine Brust ein. Ihn beschlich ein Gefühl, als hätte er sich gegen sie vergangen gehabt, als hätte er beschämt die Blicke vor ihr senken müssen. Sobald sie aber, jede Linie an ihr holde Jungfräulichkeit, jede Bewegung natürliche sittige Anmuth, ihm die Hand reichte, da meinte er, diese liebe, kleine Hand nie wieder lassen zu dürfen, um sich an ihr zu halten, vor einem Sturz in einen Abgrund von unermeßlicher Tiefe, vor einem Dahinsinken in Nacht und Wahnsinn zu bewahren.

»Herr Nachbar,« redete Eliza ihn an, »wir sind früher heimgekehrt, als ursprünglich unsere Absicht gewesen. Ich wiederhole daher meines Vaters Einladung, den heutigen Abend mit uns zu verbringen – vorausgesetzt, Sie sind nicht durch anderweitige Verpflichtungen gebunden.«

»Immer geschäftlich vorsichtig und bedachtsam,« antwortete Perennis, wie sich mühsam unter einer schweren Last hervorarbeitend, »welche Verpflichtungen könnten mich an einem fremden Ort hindern, einer solchen Einladung zu folgen?«

»Weniger geschäftlich vorsichtig, als nachbarlich rücksichtsvoll,« versetzte Eliza lächelnd, »es sollte Ihnen eine bequeme Handhabe geboten werden, im Falle Sie allein zu bleiben wünschten.«

»So nehme ich das gedankenlos hingeworfene Wort mit Beschämung zurück,« erklärte Perennis, und er wollte mit ihr nach der anderen Veranda hinüberschreiten, als Eliza ihm mit holdseligem Erröthen wehrte.

»Auf die Gefahr, wiederum zu geschäftlich vorsichtig zu erscheinen,« sprach sie mit gutmüthigem Spott, und sie wies nach Perennis' offener Hausthür hinüber, »ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Sicherheit unserer Stadt keine derartige, daß sie Gewähr für das Nichteindringen Unberufener in offene Häusern leistete.«

Perennis verschloß lachend sein Haus.

»Wie viel werde ich noch lernen müssen, bevor ich mir die zu einem Hausbesitzer gehörenden Gewohnheiten angeeignet habe!« rief er klagend aus, indem sie sich langsam der anderen Veranda zubewegten.

»Ihre Nachbarn werden mit Freuden das Ihrige dazu beitragen, Sie als solchen auszubilden,« versetzte Eliza mit einem Anfluge von Muthwillen, »es ist das Geringste, was wir in Erinnerung des tiefbetrauerten, alten Freundes thun können. Auch er soll anfänglich etwas unpraktisch gewesen sein.«

»Möchte nur ein wenig von dem meinem Onkel zu Theil gewordenen Wohlwollen auf mich übertragen werden. Aber ich fürchte, es fehlen mir jene Eigenschaften, welche ihn in so hohem Grade auszeichneten.«

»Recht herzliches Wohlwollen sogar tragen wir unserm neuen Nachbar entgegen,« und die redlichen Augen voll auf Perennis gerichtet, fügte Eliza heiter hinzu: »an Ihnen aber ist es, sich dasselbe zu erhalten, und was dazu gehört, ich dächte, das überstiege keines Sterblichen Kräfte.«

»Vielleicht dennoch. Ihr Herr Vater hat seine eigenthümliche Weise; einem Fremden muß es schwer fallen, sich sein Vertrauen zu erwerben.«

»Seine Eigenthümlichkeiten begründen sich ebenso wohl auf einen nie schlummernden Geschäftseifer, wie auf unerschütterliche Rechtschaffenheit.«

»Und eine große Unduldsamkeit gegen Fremde.«

»Welche den Fremden selbst am meisten zu statten kommt,« erklärte Eliza auf Perennis' Einwand mit einem bezeichnenden Lächeln.

Sie waren vor der Hausthür eingetroffen. Eliza nahm den Vortritt, wie um Perennis den Weg ins Innere des Hauses zu zeigen.

Dieser folgte ihr sinnend, die Blicke fest auf die holde Gestalt gerichtet, die so ruhig, so würdevoll und doch so jugendlich anmuthig gleichsam einherschwebte. Zu kurze Zeit war erst seit seinem Verkehr mit Clementia verronnen, deren sengende Blicke er noch in seiner Brust zu fühlen meinte, um nicht vergleichende Betrachtungen anzustellen. Er entsann sich der Glorien, wie solche auf alten Bildern die Heiligen umgeben.

Auch Eliza erschien ihm wie mit einer Glorie geschmückt, aber einer Glorie, gewebt aus den edelsten Eigenschaften eines Weibes, welches gewohnt ist, in unbegrenzter Selbstlosigkeit die eigenen Neigungen und Vortheile denen Anderer unterzuordnen.

Ein unbeschreibliches Gefühl innerer Befriedigung beschlich ihn, indem er dieselbe Luft einathmete, welche das liebliche Haupt umfächelte. Heimatliche Bilder schwebten ihm vor, ohne zu ahnen, wie solche in Beziehung zu der sich vor ihm einherbewegenden Gestalt zu bringen seien. Auch hier wirkte ein Zauber auf ihn ein, aber nicht jener berauschende, der in einem dumpfen, leidenschaftlichen Sehnen gipfelt, wie er kurz zuvor einem solchen in seinem Verkehr mit Clementia unterworfen gewesen.

Dagegen erstanden vor seiner rastlos schaffenden Phantasie holde Scenen häuslichen Glücks und süßen Friedens, in welchen Eliza – er wußte nicht, woher es kam – den Segen spendenden Mittelpunkt bildete.

Nur Sekunden verrannen, aber eine Welt voll Betrachtungen drängte sich in dem verschwindend kurzem Zeitraum zusammen.

Sie schritten um den langen Tisch der Vorhalle herum, und gleich darauf öffnete sich unter Eliza's Hand eine Thür, welche in ein geräumiges, mit einfachem Kalkanstrich überzogenes Zimmer führte. Zwei Fenster und eine breite Thür öffneten nach dem Hofe hinaus. Von diesem wurden sie durch einen überdachten Gang getrennt, welcher, nach mexikanischem Baustil, ganz um den rechteckigen Hofraum herumführte.

Dieser selbst war in ein Gärtchen verwandelt worden, in dessen Mitte eine gemauerte runde Cisterne zur Aufnahme des Regen- und Schneewassers diente. Durch die Bedachung der Hofveranda den Tag über gegen den Einfluß der Sonne geschützt, herrschte in dem Zimmer erquickende Kühle. In gleicher Weise wurde das Licht des scheidenden Tages gedämpft. Einfache aber sehr sauber gearbeitete Möbel, mehrere gute Lithographien an den Wänden und ein den ganzen Fußboden bedeckender Teppich verliehen dem salonartigen Raum den Charakter des Behaglichen. Derselbe wurde erhöht durch einen gedeckten Tisch in der Mitte des Zimmers. Ein Pianino, mit großem Kostenaufwande über die Prairien geschafft, und ein mit reich gebundenen Büchern beschwerter Tisch zeugten dafür, daß Plenty auch für die geistigen Genüsse seines lieblichen Buchhalters reichlich Sorge trug, vor Allem aber durch eine sorgfältige Erziehung den Boden für solche vorbereitet hatte.

Beim ersten Anblick der freundlichen Umgebung athmete Perennis tief auf; dann kehrte er sich seiner Führerin mit den Worten zu: »Wer hätte dies Alles hier im ›Fernen Westen‹ gesucht!«

Eliza lächelte triumphirend.

»Ich scheue mich fast, einen Wunsch auszusprechen,« bemerkte sie mit innigem Ausdruck, »denn es vergeht nicht mehr Zeit, als der Posttrain gebraucht, von hier an den Missouri und zurück zu reisen, und er ist erfüllt.«

Sie trat an den Büchertisch; bald diesen, bald jenen Band aufhebend und wieder hinlegend, fuhr sie in ihrer ruhigen, verständigen Weise fort: »Sie sehen, nicht nur englische Bücher sind hier vertreten, sondern auch die Werke unserer besten deutschen Dichter, und Manches befindet sich unter diesen, welches ich der Güte Ihres Onkels verdanke. Heute begreife ich es mehr und besser, als bei seinen Lebzeiten, wie er alles Mögliche aufbot, meinen Gesichtskreis ein wenig zu erweitern. Hier sind auch Bilderwerke; vielleicht beschäftigen Sie sich mit denselben – nur so lange, bis ich –« mit lieblicher Unbefangenheit hielt sie die über ihren linken Arm hängende Schleppe des Reitkleides etwas nach vorn, worauf sie dieselbe wieder an sich zog. Dieser Bewegung folgte eine leichte Verneigung, und sich der offenen, zweiflügeligen Thür zukehrend, verschwand sie auf der Veranda.

Perennis blickte ihr nach.

»So zutraulich, und doch so frei von jeder Gefallsucht,« reihten sich seine Gedanken aneinander, »so würdevoll und doch so jugendlich anmuthig.«

Sinnend kehrte er sich dem Büchertisch zu, und mechanisch den nächsten Quartband aufschlagend, betrachtete er Reineke Fuchs, den hinterlistigen Verräther und Gauner.

»Willkommen, Nachbar!« ertönte es neben ihm wie eine gesprungene Schelle, jedoch als habe eine Lederumwickelung des Klöppels den rauhen, unmelodischen Klang etwas gemildert.

Perennis kehrte sich schnell um, und vor ihm stand Plenty, dessen Schritte der weiche Teppich bis zur Unhörbarkeit gedämpft hatte. Er war so verwirrt, daß er beinahe vergaß, die gebotene Hand anzunehmen. Im ersten Augenblick hatte er die Empfindung, als ob Reineke Fuchs, den er gedankenlos betrachtete, sich plötzlich verkörpert, das Buch verlassen habe und darauf sinne, ihm irgend einen argen Streich zu spielen. Bemerkte Plenty aber seine Ueberraschung, so beachtete er sie nicht, und weiter rasselte er in seinem sanftesten Schellenton:

»Noch einmal willkommen unter meinem Dach, und so oft es Ihnen beliebt, sehen Sie mein Haus als das Ihrige an. Bin ich nicht daheim, so finden Sie in Eliza meine gewissenhafte Vertreterin. Hab's mit Ihrem ehrenwerthen Onkel ebenso gehalten, und der war ein Mann, calculir' ich, der trotz seiner Vorliebe für Spielereien den Werth eines Cents so gut kannte, wie meine Eliza die Tasten ihres Instrumentes dort, und das will viel sagen.«

»Ich bin erstaunt,« suchte Perennis seine erste Verwirrung stotternd zu erklären, »zunächst die freundliche Umgebung – so Vieles, was hier im Westen zu finden ich nicht erwarten konnte – und endlich –«

»Endlich meine Person?« fügte Plenty gut gelaunt hinzu, »nun ja, wenn der Mensch den Tag über sich mit Waaren, Zahlen und vor allen Dingen mit Leuten abgequält hat, die auf ihren eigenen Vortheil ebenso bedacht sind, wie man selber, so ist's wohl gut, eine Stätte zu besitzen, auf welcher man nichts mehr von Geschäften hört oder sieht und für künftige Spekulationen den Verstand klärt. Zwischen diesen vier Wänden kenne ich keine Geschäfte, und meine Eliza denkt ebenso, calculir' ich.«

»Wenn ich das von mir behaupten könnte!« versetzte Perennis freier, aber noch immer betrachtete er seinen Gastfreund, als hätte er in ihm den kalt berechnenden Yankee nicht wiedererkannt, oder sein jetziges Wesen für eine schlau angelegte Maske gehalten, »wir Künstler arbeiten, wo wir stehen und gehen. Kaum einer Physiognomie begegne ich, die nicht den Gedanken in mir anregt, sie zu irgend einem späteren Gebrauch aufs Papier zu werfen.«

»Richtig, Künstler sind Sie,« bemerkte Plenty. Dann leuchtete es hell in seinen Augen auf, und ein Blatt Papier und eine Bleifeder nehmend, reichte er Perennis Beides. »Da, Mann,« fuhr er lebhaft wie von kindischer Neugier beseelt, fort, »zeigen Sie mir, was Sie können. Zeichnen Sie – nun – sagen wir, die Leute, welche im Laufe des Nachmittags Sie besuchten. Oder sind Sie von Besuchen verschont geblieben?«

Ahnungslos setzte Perennis sich nieder, und während Plenty ihm mit eigenthümlicher Spannung über die Schulter sah, entstanden auf dem Papier innerhalb weniger Minuten die unverkennbaren Gesichtszüge Dorsals.

»Mein Reisegefährte,« sprach Perennis, indem er das Portrait dem anscheinend aufs Tiefste erstaunten Plenty überreichte.

»Ihr Reisegefährte,« wiederholte dieser nachdenklich, »hm, ich kenne ihn nicht persönlich, aber er muß getroffen sein, calculir' ich – bei Gott, wer hätt's geglaubt – und mit so wenig Strichen. Aber bitte, Nachbar, noch eins« – und er legte das Papier wieder vor Perennis hin. Dieser zögerte. Er wußte selbst nicht, warum er sich scheute, so gut es gehen wollte, Clementia's Züge zu entwerfen. Und obwohl er nur kurze Zeit mit ihr verkehrte, hatte ihr Bild sich seinem Gedächtniß doch eben so fest eingeprägt, wie das des Reisegefährten im Verlauf von Monaten. Und mehr noch: ihm war, als hätte das schöne Antlitz sich neckisch zwischen seine Augen und das Papier geschoben.

»Weiteren Besuch haben Sie nicht bei sich gesehen?« fragte Plenty, als Perennis noch immer säumte.

»Nein – und dennoch,« antwortete dieser, seine Befangenheit verheimlichend, »aber ich sah die Person nur flüchtig – es würde nicht glücken,« und tiefer über das Papier geneigt, begann er ruhig zu zeichnen.

Plenty, in seinem knochigen Antlitz den Ausdruck des noch aus dem offenen Buch listig hervorblinzelnden Reineke, spähte wieder über Perennis' Schulter. Das unmelodische Lachen, in welches er ausbrach, bewies, daß er die eigenen Gesichtszüge erkannt hatte.

»Nun ja,« bemerkte er noch immer lachend, »der alte Galgenvogel ist heut ebenfalls bei Ihnen gewesen –«

In diesem Augenblick trat Eliza an den Tisch. Sie trug wieder ein helles Kleid. Wie um das Ende der Tagesarbeit dadurch anzudeuten, hatte sie eine rothe Rose auf ihrem Haupt befestigt, der einzige Schmuck außer einem schweren, goldenen Medaillon mit dem Portrait ihrer Mutter, welches von ihrem Halse niederhing. Mit den Ausdrücken der Ueberraschung betrachtete sie die ihr von Plenty gereichten Zeichnungen, dieselben heiter als ihr Eigenthum erklärend. Dann forderte sie die Herren auf, an dem gedeckten Tisch Platz zu nehmen.

Zugleich erschienen der schwarze Majordomo und sein brauner Adjutant, jeder eine brennende Lampe auf den Tisch stellend, worauf sie sich zur Bedienung anschickten.

Es war in der That, wie Plenty gesagt hatte. Mit keiner Silbe wurde des Geschäftslebens gedacht. Des alten Yankee's Stimme behielt zwar fortgesetzt ihren harten Klang, aber in seinen Worten wie in seinen Bewegungen bewies er eine Zuvorkommenheit, wie Perennis sie bisher an ihm nicht für möglich gehalten hätte. Eliza vertrat die Dame des Hauses in einer Weise, welche von der sorgfältigen Erziehung Kunde gab. Nie verlegen um eine Antwort, stets bereit, die Unterhaltung neu zu beleben, offenbarte sie in ihrem ganzen Wesen jene weibliche Würde, welche, getragen von dem Bewußtsein, sich auf ihrer Stelle zu befinden, ihr einen unbeschreiblichen Liebreiz verlieh. Durch Thür und Fenster strömte erquickende, abendliche Kühle herein. Der feurige El Paso-Wein wirkte bei dem alten Yankee wie bei Perennis. Lebhafter wurde die Unterhaltung und heiterer. Im Geiste durchzogen sie nahrungslose Wüsten, besuchten sie seltsame, reichbelebte, terrassenförmige Städte und andere, von welchen nur noch Trümmer vorhanden. Die geheimnißvolle Warnung hatte Perennis vergessen. Sein Herz öffnete sich; vertrauensvoller wurden seine Mittheilungen über die Vergangenheit und die ferne Heimat. An den verschleierten, scharf forschenden Blick Plenty's gewöhnte er sich schnell, nicht minder an den ausdruckslosen Ton seiner Stimme. Er sah Eliza ihn aufmerksam bedienen, aus seinen Augen seine Wünsche gleichsam herauslesen, und solchem vermittelnden Einfluß nachgebend, schwand allmälig das Vorurtheil, welches er gegen den verschlossenen und eigennützig berechnenden Geschäftsmann gefaßt hatte.

Die Nacht schritt vor. Die Plätze an dem Tisch vertauschte man mit anderen auf der den Hof umschließenden Veranda, wo blühende Rosen, Levkoyen und Reseda, die feuchte Athmosphäre mit ihrem Duft erfüllten. Es war eine Märchennacht. Perennis meinte zu träumen, wenn die ruhige, melodische Stimme Eliza's mit dem stumpfen Ton einer gesprungenen Schelle abwechselte, kalte Einwürfe mit freundlichen, verständigen Auseinandersetzungen sich kreuzten, theilnahmlose Behauptungen durch sanfte Gegenbemerkungen gemildert, ihres oft feindselig scharfen Charakters entkleidet wurden. Perennis Cigarrette glimmte mit der seines Gastfreundes um die Wette. Mehrere Glühwürmer belebten die duftenden Sträucher auf dem Hofe. Zwischen den schwarzen Schatten riefen sie den Eindruck hervor, als hätten auch dort rastende Menschen sich mit dem in Maisstrohhülsen gerollten Tabak vergnügt.

Es war eine Märchennacht. – –

Auf dem Hofe in dem abgeschlossenen Hause hinter der Kirche saßen zu derselben Stunde ebenfalls drei Menschen in eifrigem Gespräch beieinander. Flaschen und volle Gläser lachten ihnen wohl zu, dagegen blieb ihnen fern jene sorglose Heiterkeit, welche die kleine Gesellschaft in Plenty's Hause charakterisirte. Zwischen ihnen auf dem Tisch lagen mehrere in Schweinsleder gebundene alte Werke und Karten, welche augenscheinlich vergangenen Jahrhunderten angehörten. Was die vergilbten und von den Würmern angebohrten Bücher enthielten, reizte ihre Theilnahme mehr, als der goldige Wein. Dort hatten sie gesessen seit Einbruch der Dunkelheit. Die Kunde, welche Dorsal überbrachte, hatte Alle tief erregt und ihren Plan mit dem letzten Willen des verstorbenen Rothweil vollständig umgestoßen. Sie betrachteten ihn nur noch als letztes Mittel, wenn alle anderen ihre Wirkung versagen sollten. Was sie bisher für unglaublich hielten, fanden sie bald in diesem, bald in jenem Buch bestätigt. Je länger sie die zwischen ihnen schwebende Frage verhandelten, je ausführlicher schilderte Dorsal die in Perennis' Wohnung gemachte Entdeckung, um so zuversichtlicher wurden sie in ihren Muthmaßungen und Forderungen.

»Das wirkliche Vorhandensein des Schatzes darf wohl kaum noch angezweifelt werden,« erklärte Hall, seine Hand auf eins der geöffneten Werke legend; »Otermin in seinem Rapport, der ihm offenbar von den beiden entflohenen Mönchen in die Feder diktirt wurde, spricht zu überzeugungsvoll. Das Versteck des Geldes kannten die Flüchtigen dagegen nicht. Sie wußten eben nur, daß man es durch Vergraben zu retten hoffte.«

»Die Umgebung von Quivira soll im weiten Umkreise von Schatzgräbern und Abenteurern durchwühlt worden sein,« bemerkte Brewer zweifelnd.

»Und immer vergeblich,« erwiderte Hall; »die Masse des in Quivira angehäuften Geldes war zu groß; nimmermehr hätte dessen Auffinden verheimlicht werden können. Es handelt sich also nur darum, das Versteck auszukundschaften.«

»Welches unstreitig sehr genau beschrieben ist,« warf Dorsal ein, »Ich las die alte Schrift zwar bruchstückweise, allein genug davon, um mir darüber ein Urtheil zu bilden. Wie sicher der Verstorbene von dem Erfolg überzeugt gewesen, beweist die mehrfache beiläufige Erwähnung eines großen Vermögens. Da indessen sein Haus sammt den Sammlungen nur einen verhältnißmäßig geringen Werth repräsentirt, kann er sich nur auf den Schatz bezogen haben, welchen er so gut wie gewiß in den Händen zu halten glaubte. Und er war ein zu nüchterner, verständiger, alter Mann, um sich zum Erbauen von Luftschlössern hinreißen zu lassen.«

»Von dem Vorhandensein eines Dokumentes, schließend mit den Worten »Nombrade por Carlos Quinto de Gran Quivira,« hörte ich mehrfach, allein ich hielt es für eine Fabel,« wendete Brewer ein. »Es wäre erstaunlich, daß nicht schon früher Jemand sich die Aussagen irgend eines Nachkommens der Bewohner der Ruinenstadt zu Nutze machte.«

»Wer weiß, wie lange das Schriftstück als Amulet in einem indianischen Zaubersack verborgen gewesen,« entgegnete Dorsal.

»Ohne von dem Besitzer benutzt zu werden?« fragte Hall sinnend.

»Zeigen Sie mir einen Eingeborenen, der des Lesens kundig,« versetzte Dorsal geringschätzig, »und dann, hier schreibt's Castaneda ausdrücklich,« und er wies auf ein anderes offenes Buch, »daß Jeder mit einem qualvollen Martertode bestraft wurde, welcher den Weg zu den Schätzen, gleichviel, ob bereits gewonnenen oder noch in den Bergwerken schlummernden, offen legte. Die Furcht vor einem schrecklichen Ende ist im Laufe der Generationen eine Art geheiligter Gewohnheit bei den abergläubischen Eingeborenen geworden. Wer aber das Schriftstück besaß, hatte schwerlich eine Ahnung von dessen Werth.«

»Oder er überzeugte sich von dessen Werthlosigkeit,« bemerkte Hall, jedoch nur in der Absicht, den ausgesprochenen Zweifel, im Einklang mit seinen eigenen Anschauungen, widerlegt zu hören.

»Möglich genug wäre es,« gab Dorsal zu, »denn um die dunklen Mittheilungen erfolgreich zu benutzen, bedarf es vielleicht eines besonderen Schlüssels; ist das aber der Fall, so hat der verstorbene Rothweil einen solchen besessen.«

»Sie entdeckten nichts Derartiges?«

»Nur das Schriftstück des Carlos Quinto. Mehr auszukundschaften, dürfte sehr schwierig sein. Ich bemerkte wenigstens, daß der junge Rothweil die Urkunde ängstlich meinen Blicken entzog. Er muß also deren Werth nicht nur genau kennen, sondern auch auf Grund ausreichender Informationen, den Schatz bereits als Eigenthum betrachten. Daher würde auch der Versuch, das Dokument zu erlangen, an seiner Wachsamkeit scheitern, und Plenty ist der Mann dazu, den einmal erwachten Argwohn nach besten Kräften zu schüren.«

»Um schließlich die Hand selbst auf das Gold zu legen.«

»Keinesfalls läßt er sich mit Wenigem abspeisen, wenn Rothweil ihn auffordert, ihm bei dem Unternehmen zur Seite zu stehen.«

»So entschloß er sich zu der Reise?«

»Wenn es geschah, würde er mich schwerlich zum Vertrauten gewählt haben; und ich verdenk's ihm nicht; die Kunde davon, dränge sie in die Oeffentlichkeit, würde ohne Zweifel eine gute Anzahl von Abenteurern auf seine Spuren locken. Unsere Aufgabe muß daher sein, ihn und seine Bewegungen zu überwachen. Mir schwebt ein Plan vor, freilich noch in unbestimmten Umrissen. Ich denke daran, das, was zu suchen, uns selber die Mittel fehlen, von Anderen aufdecken zu lassen, dann aber im entscheidenden Augenblick die Rechte der Kirche zu vertreten.«

»Die vielleicht längst verjährt sind,« bemerkte Brewer ungläubig.

»Sie können nicht verjähren, und ginge ein anderes Jahrhundert darüber hin,« eiferte Hall, »von den Angehörigen unserer Kirche ist das Gold gewonnen und gesichert worden, und die alten Berichte zeugen dafür, daß das Anrecht an dasselbe niemals als erloschen betrachtet wurde.«

»Wie lauten Clementia's Nachrichten?« fragte Dorsal.

»Mag sie selber sprechen,« versetzte Hall mißmuthig, »nach ihrer Heimkehr schloß sie sich ein. Ich vermied den Zwang, um keine aufregende Scene hervorzurufen. Ihre durch irgend einen Umstand erzeugte üble Laune mag zur Zeit verraucht sein.«

Er klingelte. Alsbald erschien Clementia. In dem Bewußtsein, von den drei Herren prüfend betrachtet zu werden, hatte sie den Reboso, dieses Zaubermittel gefallsüchtiger Mexikanerinnen, so um ihr Haupt gelegt, daß ihr schönes Antlitz an jene, mit kluger Berechnung gemalten Madonnenbilder erinnerte, welche dazu bestimmt sind, auf die Sinne andächtiger Verehrer berauschend einzuwirken. An den Tisch tretend, warf sie den von Perennis ausgefertigten Empfangschein auf denselben.

»Meines Auftrages entledigte ich mich,« sprach sie anscheinend unbefangen, »ist das Geld verloren, so wissen Sie, daß es nicht an meinen Händen kleben blieb.«

»Er wäre nicht der Erste, der sich vor Deinen Reizen beugte,« versetzte Dorsal mit einem bezeichnenden Lächeln.

»Ich will ihn nicht als meinen Sklaven sehen,« erwiderte Clementia heftiger, als sie vielleicht beabsichtigte, »schicken Sie mich, zu wem Sie wollen, sein Haus betrete ich nicht wieder, und müßte ich deshalb –« sie verstummte erbleichend.

»Das ist Nebensache,« nahm Hall nunmehr mit niederschmetternder Gelassenheit das Wort, »vorläufig wünsche ich zu wissen, was Du bei ihm entdecktest.«

»Schwerlich mehr, als Derjenige der vor mir sein Haus verließ,« antwortete Clementia trotzig und ihre dunklen Augen auf Dorsal richtend, schienen dieselben Funken zu sprühen; »ein Haufen Scherben und Papiere lagen auf dem Tisch. Einen Blick in dieselben zu werfen gelang mir nicht. Und was hätte es geholfen? Verstände ich's Lesen, möcht's vielleicht besser für mich gewesen sein. Er wollte das Geld nicht nehmen; ich hatte meine Noth, ihn dazu zu bewegen.«

»Geh, Clementia,« befahl ihr Gebieter, die Brauen tief runzelnd, »überlege Dir Alles – aber Alles – noch einmal recht genau. Vielleicht lautet Dein Bericht morgen anders.«

Clementia schritt ohne Gruß davon.

»Ein Dämon steckt in dem Weibe,« bemerkte Dorsal sinnend, »es sollte mich nicht überraschen, hätte der blondhaarige Deutsche ihr besonders gut gefallen. Ihr zu großes Vertrauen zu schenken, erscheint mir nicht rathsam.«

»Sie weiß, was für sie auf dem Spiele steht,« erklärte Hall sorglos, »und ihre Vergangenheit möchte sie für zartere Regungen abgestumpft haben.«

»Der Teufel steckt mehr oder minder in allen Weibern,« sprach Dorsal unzufrieden. Dann nahm er eine Cigarrette, während Brewer die Gläser füllte. Dichter rückten die drei Herren um den Tisch und die aufgeschlagenen Bücher zusammen, und mit gedämpften Stimmen beriethen sie bis tief in die Nacht hinein.

Auch hier dufteten Levkoyen und Reseda, jedoch ohne daß deren süßer Athem viel beachtet worden wäre. Glühwürmer durchirrten das schwarze Gesträuch. Mit den Leuchtkäfern um die Wette funkelten die Sterne.

Es war eine Märchennacht.


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