Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Die Ruinen von Quivira

Wo nicht Bodenerhebungen von beträchtlicher Höhe sich vorschieben, ist die Kirche von Quivira, in Folge der ungewöhnlich transparenten Atmosphäre, auf eine mäßige Tagesreise hin in allen Formen deutlich erkennbar. Diese Kirche, oder vielmehr Kathedrale, wie sie in den alten spanischen Berichten genannt wird, ragt noch an dreißig Fuß hoch über ihre Umgebung empor. Die innerhalb derselben befindlichen Mauertrümmer berechtigen zu der Annahme, daß ihre ursprüngliche Höhe mindestens fünfzig Fuß betrug, mit Rücksicht auf die Materialien, welche beim Bau zur Verfügung standen, immerhin ein erstaunliches Werk. In Kreuzesform errichtet, mißt sie in der Länge hundertundfünfzig Fuß, in der Breite etwa siebenzig. Die aus unbehauenen, mittelst Lehmerde verbundenen Kalksteinen aufgeführten Mauern haben eine Stärke von sechs Fuß und entbehren jeder kunstvollen Architektur; dagegen sind manche der noch vorhandenen Tragebalken mit hübschen Schnitzereien versehen. Dem Umstande, daß Thüren und Fenster nicht überwölbt gewesen, sondern Planken sie überdachten, ist wohl der verhältnißmäßig schnelle Verfall des oberen Theils des schweren Gebäudes zuzuschreiben.

Mit den es umringenden Schuttanhäufungen, den noch mit dem Mauerwerk vereinigten Balken, den Resten einer festgezimmerten Gallerie und den geräumigen Seitengemächern, bietet das einst von den spanischen Mönchen gegründete Gotteshaus einen überaus melancholischen Anblick. Der Charakter unheimlicher Oede wird erhöht durch die nähere und weitere trostlose Umgebung. Kaum noch erkennbar schließt sich an die Kirche ein Kloster an. Abgesondert von diesem, erheben sich die letzten Ueberreste einer Kapelle. Eine niedrige zerfallene Mauer umschließt den Kirchhof, und weit hinaus nach allen Richtungen erstrecken sich die Trümmer von Häuserreihen, zwischen welchen die schmalen Straßen kaum noch erkennbar. Hier und da haben sich wohl noch einzelne Räumlichkeiten der Erdgeschosse erhalten, allein dieselben liegen so versteckt zwischen Schutt und Trümmern, und sind von oben so schwer belastet, daß das Eindringen mindestens als ein Wagniß erscheint. Was die Menschen einst veranlaßte, sich mitten in dieser wasserarmen Wüste anzusiedeln: aus den noch vorhandenen Spuren ist es nicht zu entziffern. Runde Cisternen deuten darauf hin, daß man die Wolkenniederschläge zum täglichen Bedarf sammelte; dagegen entdeckt man nirgend die Spuren einer Wasserleitung, mittelst deren den Feldern die erforderliche Feuchtigkeit zugeführt worden wäre. Befanden sich ergiebige Wasseradern in der Nähe, so sind dieselben, der sorglichen Hände entbehrend, längst versandet und versiegt. Auf dem Rücken einer Hügelkette läßt sich noch eine gut angelegte Landstraße verfolgen; aber schon nach kurzer Strecke verschwindet sie spurlos im Wüstensande. Uralte Cedern, welche mitten auf derselben Wurzel schlugen und gediehen, geben Kunde, wie lange der alte Weg nicht mehr von genug Füßen getreten wurde, um das sich hervorstehlende organische Leben bereits im Keim zu ersticken. Unzählige Scherben seltsam bemalter Thongefäße, in der Zeichnung an den altägyptischen Geschmack auffällig erinnernd, bedecken weit und breit den Erdboden. Dazwischen liegt hin und wieder ein künstlich ausgehöhlter Stein, wie solche heute noch in bewohnten Indianerstädten zum Zerreiben von Weizen und Maiskörnern benutzt werden.

Dies ist die Stadt Quivira, von welcher die alten spanischen Mönche und Berichterstatter mit so viel Begeisterung sprechen, die Stadt, welche man als den Mittelpunkt einer reichen Provinz betrachtete, und in welcher endlich das den Schachten der nahen Gebirge entnommene Gold bedachtsam angehäuft und schließlich vergraben wurde.

Der Abend war hereingebrochen. Der zunehmende, aber noch verstümmelte Mond wehrte mit Erfolg der nächtlichen Finsterniß. Geisterhaft erhob sich die alte Kirche in die sommerlich warme Atmosphäre; geisterhaft lagen ringsum die Trümmer der untergegangenen Stadt. Außer dem Gezirp der Heimchen, die in zahlloser Menge das Gemäuer belebten, war kein Geräusch vernehmbar. Gebleichte Reste harzreicher Balken ragten aus dem Schutt hervor. Von dem Mondlicht gestreift, erinnerten sie an die letzten irdischen Ueberreste eines verschollenen Geschlechtes von Riesen. Gebeine und Schädel, durch frühere Schatzgräber zu Tage gefördert, verwitterten im Schatten der noch offenen Gruben; andere, zum Theil wieder verschüttet, lugten gespenstisch unter Sand und Geröll hervor. Sie unterschieden sich kaum noch von Erde und Gestein. Wer den einen oder den anderen Schädel prüfte, hätte ihm schwerlich angesehen, ob einst eine härene Kutte ihn bedeckte, eine Stahlhaube oder eine nach wildem Geschmack geordnete Federkrone. Mit der Asche von Unterdrückern wie Unterdrückten spielte der Wind. Die letzten Ueberreste der morschen Gebeine bleichten abwechselnd Sonne, Regen und Schnee. Wer weiß heute noch von ihnen mit überzeugender Sicherheit zu erzählen? Die vom heißen Wüstensande umhüllte Sphinx birgt kein unlösbareres Räthsel, als die Vorgeschichte des Volksstammes, der einst hier lebte und wirkte. Selbst die Schilderungen der kühnen Conquistadoren tragen nur zu häufig den Stempel der Uebertreibung und daher des Sagenhaften. Diejenigen aber, die vielleicht im Stande gewesen wären, genauere Auskunft zu ertheilen, die einst in der alten Kathedrale das Hochamt abhielten, strenge aber klug ihre neugeschaffenen Gemeinden regierten, sie verbluteten insgesammt unter den Händen erbarmungsloser Feinde.

Stille des Todes herrschte überall, in dem geräumigen Schiff der Kirche, in den unbedachten Gängen und Hallen der Klostertrümmer! Stille in den von Flugsand bedeckten und mit stacheligem Gestrüpp bewachsenen Straßen; in den zahlreichen Häuserruinen, die einst von frischem fröhlichem Leben widerhallten! Wann nahm der letzte der Bewohner Quivira's Abschied von der ausgestorbenen Heimstätte? Was sagten seine Worte, was seine Blicke, als er den Gräbern seiner Vorfahren den Rücken kehrte?! –

Es mochte eine Stunde nach Sonnenuntergang sein, als von der Südseite der Stadt her eine Gruppe menschlicher Gestalten sich der Kirche näherte. Drei Männer waren es und eine Frau. Um keine Spuren auf den schmalen sandigen Straßenflächen auszuprägen, wählten sie vorsichtig ihren Weg über die Trümmer. Vielfach zögerten sie, um zu lauschen und, so weit das Mondlicht sie begünstigte, in die Ferne zu spähen. Zuweilen sprachen sie in flüsterndem Tone zu einander, wie aus Besorgniß, daß ihre Worte über die Grenzen der Stadt hinausgetragen werden könnten.

Vor dem die Kirche begrenzenden Friedhofe, oder vielmehr Beinfelde, blieben sie stehen, und so regungslos verhielten sie sich, wie das sie umringende Gestein. Da drang der zitternde Ruf eines Uhus von der andern Seite des hohen Gemäuers herüber, und alsbald setzte die Gesellschaft sich wieder in Bewegung. Behutsam auf den mit Trümmern bedeckten Boden achtend, schritt sie um die Kirche herum, und vor ihr lagen die zerfallenen Klostermauern. Wiederum zögerte sie, wie unentschieden über die einzuschlagende Richtung, als aus dem Schatten ein einzelner Mann ihr entgegentrat. Zugleich ertönte Manuels gedämpfte Stimme:

»Gehen sie in dieser Nacht nicht ans Werk, so mögen wir uns ihnen ebenso gut offen vorstellen. Nach Sonnenaufgang übersieht der Burdhill nicht die Spur eines Hamsters. Kein Stein hier herum, den er seit Mittag nicht aufmerksam betrachtet hätte.«

»Zum Henker, warum mögen sie nicht gleich an die Arbeit gegangen sein?« fragte Sculpin den Mexikaner, welcher, vertraut mit der Umgebung, die Rolle eines Kundschafters übernommen hatte, »Zeit haben sie nicht zu verlieren, sollen ihre Thiere in dieser erbärmlichen Gegend nicht verdursten.«

»Sie mögen sich zuvor die Gelegenheit angesehen haben,« lautete Manuels Antwort, »und ferner ist da das weißhaarige Mädchen. Es scheut das Sonnenlicht. Ohne Ursache haben sie unterwegs nicht gezögert, bis der Mond wieder Leuchtkraft erlangte. Ich kenne den Zuñi. Gegen den Willen des weißhaarigen Geschöpfes thut er keinen Schritt. Aber ich denke, sie lassen nicht mehr lange auf sich warten. Sie trafen wenigstens keine Vorbereitungen für eine ruhig zu verschlafende Nacht.«

»So müßten wir uns verbergen?« fragte Bunslow dringend.

»Es eilt nicht,« erklärte Manuel, »eine Viertelstunde gebrauchen sie, um von dem Weideplatz hierher zu kommen. Sie erwarten ein gut Stück Arbeit.«

»Woraus schließt Ihr das?« fragte Sculpin.

»Weil sie die Thiere pflöckten und die Geräthschaften von den Sätteln nahmen. Karamba! Sie möchten ihnen bis zur Stunde des Aufladens Futter gönnen. Wie sind unsere eigenen Thiere untergebracht?«

»Ebenfalls gepflöckt,« antwortet Cuchillo, »in 'ner grasigen Schlucht stehen sie, und weit genug, daß ihr Wiehern nicht herüberdringt.«

»Gut,« versetzte Manuel, »so schleiche nach ihrem Lager und verbirg Dich in dessen Nähe. Sind sie mit der Arbeit hier so weit fertig, daß wir nur zuzugreifen brauchen, so schneidest Du ihre Thiere los; schieße dem einen und dem andern einen Pfeil in den Leib und jage sie auf die Ebene hinaus, und meinen Kopf verwette ich, daß bis auf den Zuñi und das Mädchen alle hineilen, um sie wieder einzufangen. Kehren sie dann zurück, so finden sie ihr Gold in guten Händen, wenigstens in Händen, die es nicht leicht wieder herausgeben.«

»Es sei denn, sie wären mit 'nem Antheil zufrieden, um Blutvergießen zu vermeiden,« bemerkte Beß, ihre eigene flüchtige Besorgniß verheimlichend.

»Nicht eines Dollars Werth gebe ich heraus,« erklärte Sculpin leidenschaftlich, »und wenn aus der Grube ihnen einige Büchsenläufe entgegenlachen, werden sie froh sein, mit heiler Haut und leeren Taschen abziehen zu können. Paßt's ihnen nicht, so sind wir in der Grube immer noch im Vortheil.«

»Wir werden sehen,« wendete Manuel kurz ein, »vorläufig sollen sie den Schatz ungestört bloslegen, und das geschieht schwerlich lange vor Sonnenaufgang, zwar, sie wissen, wo sie ihn zu suchen haben.«

»Wenn eine Wache im Lager bleibt?« fragte der Apache.

»So bist Du der Mann, ihr selber einen Pfeil zwischen die Schulterblätter zu schießen,« versetzte der Mexikaner kaltblütig. »Doch nun begieb Dich auf Deinen Posten; verbirg Dich so, daß du den oberen Rand der Kirche im Auge behältst. Ich werd' ein Zeichen geben; sobald Du das bemerkst, ist's Zeit anzufangen, und nicht früher.«

Der Apache verschwand zwischen den Trümmerhaufen. Gleich darauf bemerkten ihn die Zurückbleibenden auf einer Bodenerhebung außerhalb der Stadt, wo er vorsichtig den weiter abwärts gedrängter stehenden Cedernbüschen zuschlich.

Manuel hatte unterdessen einen höheren Schutthaufen erstiegen und spähte nach der Thalsenkung hinüber, in welcher Plenty und seine Gesellschaft lagerten.

Nicht am vorhergehenden Abend, wie die Desperados berechneten, sondern erst um die Mittagszeit waren sie daselbst eingetroffen. Anstatt aber sogleich mit ihrer Arbeit zu beginnen, hatten sie zunächst die ganze Ruinenstadt und deren Umgebung abgespürt. Dann erwarteten sie im Lager die Dunkelheit, um es der Albino zu ermöglichen, bei der milden Mondbeleuchtung ihr weiteres Verfahren zu beobachten.

Es galt dies als eine Bedingung, von welcher der Gobernador nicht abließ, und in die man, seinen eigenthümlichen Anschauungen Rechnung tragend, gern willigte.

Eine Viertelstunde und länger hatte Manuel auf seinem erhöhten Standpunkte zugebracht, während die Genossen ihn gespannt beobachteten, als er plötzlich zu ihnen niederglitt.

»Sie kommen,« flüsterte er erregt, »wie schwarze Schatten taucht's hinter den Hügeln auf. Wir haben gerade noch Zeit, uns zu verbergen. Wem aber daran gelegen ist, daß der Plan nicht mißlingt, der muß sogar seinen Athem überwachen. Denn Burdhill hat Ohren wie ein Luchs, der schon einmal im Eisen saß.«

Bei den letzten Worten schritt er davon, und in seinen Spuren folgten Sculpin, Bunslow und die wilde Beß.

Die Spannung Aller wuchs jetzt mit jeder neuen Minute. Der Gedanke, daß die Schätze der alten Mönche nach mehr als zweihundertjähriger Rast endlich wieder ans Tageslicht gezogen werden sollten, wirkte so berauschend auf die drei Räuber ein, daß die Besorgniß schwand, dieselben vielleicht erst nach hartnäckigem Kampfe gewinnen oder, unterliegend, den kühnen Versuch mit dem Leben bezahlen zu müssen.

Sculpin und Bunslow, obwohl so gewiegte Pferdediebe, wie nur je einer in der Provinz Neu-Mexiko mit genauer Noth dem Strange entronnen, fügten sich bereitwillig allen Anordnungen Manuels, der sich nicht nur bei früheren Gelegenheiten mit ihrer Umgebung vollständig vertraut gemacht hatte, sondern auch in der Verfolgung eines klug entworfenen Planes sich ihnen so weit überlegen zeigte.

Lautlos folgten sie ihm in die Kirche. Das von oben hereinfallende Mondlicht erhellte und belebte eigenthümlich den umfangreichen Raum. Nur die wilde Beß, dieses leichtfertige Mannweib, bewahrte ihren Gleichmuth. Sie erwog nicht irgend welche Möglichkeiten. Mit sorgloser Neugierde gedachte sie der nächsten Stunden. Ob Berge Goldes ihr lachten oder eine Handvoll Dollars – wenn sie nur in den Stand gesetzt wurde, aus dem Verhältniß einer gewissen Leibeigenschaft zu treten. Sculpins und Bunslows dagegen bemächtigte sich nach ihrem Eintritt in den düsteren Raum in erhöhtem Grade ein Gefühl der Abhängigkeit von ihrem Führer. Diesem wurde es dadurch erleichtert, ihre Bewegungen zu lenken, sie gleichsam zu seinen Werkzeugen zu machen. Geräuschlos durchmaßen sie das Schiff der Kirche der Länge nach bis zu einem Trümmerhaufen, auf dessen Stelle einst der Altar gestanden hatte. Von dort begab Manuel sich nach der Kirchhofsseite hinüber, wo die Bedachung eines Fensters der auf ihr ruhenden Last nachgegeben hatte und eine breite Spalte vom obersten Rande der Mauer bis auf eine Höhe von etwa acht Fuß über dem ursprünglichen Erdboden entstanden war. Leicht schwang Manuel sich über einen Schuttwall in die sich nach oben erweiternde Spalte hinein, und dann eine Seite als Treppe benutzend, auf welcher die vorspringenden Steine förmlich Stufen bildeten, gelangte er eben so leicht aufwärts. Vorsichtig, wie Alle sich einherbewegten, konnte nicht vermieden werden, daß zuweilen ein Stein sich löste und in die Kirche hinabrollte. Doch das Geräusch verhallte dumpf zwischen den Ruinen, mahnte aber Jeden, den in einer Breite von sechs Fuß vor ihm schroff aufsteigenden Weg tastend zu prüfen, bevor er ihm das Gewicht seines Körpers anvertraute. So erreichte Manuel den höchsten Rand der Mauer; anstatt indessen denselben zu betreten, schmiegte er sich fest an ihn an, in dieser Lage sich auf der breiten und sicheren Oberfläche so weit vorwärts schiebend, daß die ihm folgenden Gefährten und die wilde Beß bequem Platz hinter ihm fanden. Sie lagen dort oberhalb der ungefähren Mitte des Kirchhofes; hatten es aber in ihrer Gewalt, sich auf drei Seiten der Ruine herumzubewegen, je nachdem sie eine freie Aussicht nach dieser oder jener Richtung hin zu gewinnen wünschten.

Längere Zeit verstrich in lautloser Stille, als die gespannt lauschenden Desperados das Poltern unterschieden, mit welchem Menschen ohne Vorsicht über das lose Gestein hinschritten. Bald darauf vernahmen sie Stimmen, die laut zu einander sprachen und beim Einherwandeln auf dem hindernißreichen Boden sich gegenseitig riethen.

Näher ertönten die Schritte, näher das Sprechen, welches als unverständliches Murmeln nach der breiten Kirchenmauer heraufdrang, bis endlich zwei Gestalten den Kirchhof betraten und auf die Spalte zu bogen, in welcher die Räuber ihren Weg aufwärts genommen hatten. Leicht erkannten diese im Mondlicht den langen Zuñi-Häuptling. Ihm zur Seite schritt behende das Albinomädchen, das weiße Haar von jedem Lufthauch leise schwingend, die hellfarbige Decke eng um die Schultern zusammengezogen. Etwas weiter zurück folgten in einer Gruppe Plenty, Perennis und Burdhill und drei Packknechte.

Gill und ein Packknecht waren zum Schutz der Thiere im Lager zurückgeblieben. Alle, bis auf Kohena, trugen Schußwaffen, mehrere auch Schaufeln oder Hacken und unter den Armen größere Bündel dürren Reisigholzes. Eine kurze Strecke hatten sie auf dem vielfach durchwühlten alten Kirchhofe zurückgelegt, als der von der hohen Kirchenmauer geworfene Schatten Alle bedeckte.

Vor der ungefähren Mitte der Mauer blieb der Gobernador stehen, und alsbald versammelten sich seine Freunde um ihn. Einige Worte richtete er in der Zuñi-Sprache an die Albino, welche diese in derselben Weise beantwortete, dann kehrte er sich den Gefährten zu.

»Wir sind zur Stelle,« sprach er feierlich; eine Störung haben wir nicht zu befürchten, und so mögen die Schrift und die Bilder sprechen. Ohne das wissen wir weniger, als die Grillen, die zwischen dem Gestein singen. Die Augen Kohena's sind im Mondlicht scharf; aber sie weiß die Schrift nicht zu deuten. Wer sie zu deuten versteht, dessen Augen sind für den Tag geschaffen und nicht für die Nacht. Sie bedürfen des Feuers um zu lesen; ich bedarf des Feuers, um die Bilder zu deuten.«

Er sprach noch, da lag Burdhill bereits auf den Knieen. Ein Weilchen regte er sich, während andere Hände ihm zerknickte Reiser darreichten; dann flammte es vor ihm empor, das nahe Mauerwerk und das aufgeworfene Erdreich des Kirchhofes mit röthlichen Reflexen schmückend. Auch die es umringenden Menschen beleuchtete das Feuer seltsam, die bärtigen Gesichter der Weißen, das hagere Antlitz des Gobernadors, das weiße Haar der ihre Augen beschattenden Albino, und endlich mehrere grinsende Todtenschädel, welche von früheren Schatzgräbern in einem Anfall grimmigen Hohnes über die vergebliche Arbeit inmitten gebleichter Gebeine wunderlich gruppirt worden waren.

Nach kurzer Berathung wurden zwei Packknechte angewiesen, das Feuer lodernd zu erhalten, worauf der Gobernador, Plenty, Perennis und Burdhill sich in den Schein desselben niedersetzten. Kohena hatte so Platz genommen, daß der Schatten ihres Großvaters sie bedeckte.

»Auf dem Kirchhofe der großen Parochie-Kirche, im Mittelpunkte der rechten Seite, nach Maßgabe der Figur Nummero Eins, befindet sich eine Vertiefung. Wenn man daselbst gräbt, stößt man auf zwei Glocken,« las Perennis den ersten Absatz seiner Schrift, während der Zuñi behutsam ein pergamentartig gegerbtes Stück Leder vor sich auf dem Erdboden ausbreitete.

»Zunächst müssen wir die Bedeutung der Nummero Eins kennen lernen,« bemerkte Plenty, der trotz der ihm zu andern Natur gewordenen Vorsicht, seine tiefe Spannung nicht ganz zu verheimlichen vermochte.

»Hier ist Nummero Eins,« erklärte der Zuñi, auf ein etwa handgroßes, roth gefärbtes unregelmäßiges Viereck weisend, »hier ist die Vertiefung,« und er stellte die Fingerspitze gerade in die Mitte des Vierecks auf einen schwarzen Punkt; »aber die Glocken liegen nicht hier. Sie sind so versteckt worden, daß mit der Schrift allein Niemand sie findet. Hier ist die eine Ecke der Kirche, hier die andere. Hier ist die Mitte der Kirchenmauer. Die Fußspuren führen von der Mitte des Kirchhofes genau nach der Mitte der Mauer. Zwölf Schritte von dem Mittelpunkt des Kirchhofes und vier von der Mauer: dort muß die Erde geöffnet werden.«

Als er schwieg, hafteten noch alle Blicke an der seltsamen Malerei. Unwillkürlich zählte Jeder die in dem Felde gezeichneten, als menschliche Fußspuren zu erkennenden Fährten. Zwölf schwarze liefen von dem schwarzen Punkte aus, vier blaue standen ihnen von dem Rande aus entgegen.

»Die Glocken müssen wir zuerst finden,« brach Perennis das plötzlich eingetretene tiefe Schweigen.

»Die Glocken,« wiederholte der Gobernador.

»Die Glocken,« klang es sanft aus dem Hintergrunde, wo die Albino träumerisch über den vom Mondlicht getroffenen Theil des Kirchhofe hinspähte.

Der Zuñi erhob sich und wand ein Lasso von seinen Hüften, und das eine Ende Perennis reichend, schritt er mit dem andern nach der nächsten Kirchenecke hinüber. Burdhill und Plenty folgten, und mit deren Hülfe gelang es ihnen leicht, die Mitte der Mauer festzustellen. Auf dem bezeichneten Punkte stieß Burdhill einen Spaten in die Erde. Mehr Mühe verursachte es, den Mittelpunkt des Kirchhofes auszumessen. Von diesem schritt der Gobernador in grader Linie auf den Spaten zu, vor welchem man einige glimmende Reiser übereinandergeschichtet hatte. Nach zurückgelegtem zwölften Schritt stieß Burdhill einen andern Spaten dicht vor des Gobernadors Fußspitze in die Erde. Der Rest der Entfernung bis zur Kirchenmauer betrug in der That nur vier Schritte. Diese letzte Messung galt als Probe auf die Berechnung des Häuptlings im Verein mit der Bilderschrift, und alsbald begannen die Männer sich mit Hacken und Spaten in die Erde hineinzuwühlen. Sie befanden sich dort offenbar auf einer Stelle, auf welcher man der Nähe des Kirchenfundamentes wegen am wenigsten einen Schatz vermuthet hat, und die daher bis jetzt noch Niemand aufgegraben hatte.

Denn nachdem man die obere Schuttschicht entfernt hatte, stieß man auf festgelagerten Sand, der sich verhältnißmäßig leicht bearbeiten ließ. Die zwischen dem Erdreich schaffenden Männer aber konnten dem Ergebniß ihrer Mühe nicht mit ängstlicherer Spannung entgegen sehen, als die vier Genossen oben auf der Kirchenmauer, welche ihre Köpfe so weit über den Rand hinausgeschoben hatten, daß sie, ohne selbst entdeckt zu werden, die sich unten abspinnende Scene zu überwachen vermochten. Für die Scene an sich hatten diese am wenigsten Sinn; und doch hätte man dieselbe mit einem Blatt aus einem aufgeschlagenen Märchenbilderbuch vergleichen mögen: Das sorgfältig geschürte Feuer sandte seine Beleuchtung nur theilweise in die sich schnell vertiefende Grube hinein und streifte die Schultern und Häupter der in derselben befindlichen drei Männer. Die andern standen auf dem Rande der Vertiefung und schauten regungslos hinab, bereit, den einen oder den andern Gefährten abzulösen. Endlich knirschte es unter dem Spaten und weiter neigten sich die oben Stehenden über die Oeffnung hin. Es war nur ein Schädel, welcher von dem Eisen getroffen worden war und gleich darauf stückweise nach der Sandanhäufung hinaufflog. Zermorschte Rippen- und Armknochen folgten nach. Unterhalb der letzten Ueberreste eines dort Beerdigten konnten die Glocken nicht verborgen sein. Die Aufmerksamkeit kehrte sich daher nach der andern Seite hinüber, und mit erhöhtem Eifer wurde gegraben und geschaufelt. Wiederum glitt ein Spaten von einem festen Gegenstande ab; noch einige Schaufeln Erde wurden entfernt, und als man mit einem brennenden Reisigbündel hinableuchtete, gewahrte man in der That den oberen Theil einer kleinen Kirchenglocke. Der in der alten Schrift enthaltenen Andeutungen eingedenk, vermied man vorsichtig, die mit einer dicken Kruste überzogene Glocke aus ihrer Lage zu entfernen. Dagegen begann man die Ufer der Höhle ringsum zu unterminiren. Nur die Seite, auf welcher das Gerippe gelegen hatte, blieb verschont. Und so wurde auch die zweite Glocke entdeckt.

Es war ersichtlich, daß die auf dem Pergament verzeichnete Linie mitten zwischen beiden hindurchgezogen worden war, es also nur einer geringen Abweichung bedurft hätte, sie ganz zu verfehlen. Bis zur Hälfte hinunter wurden die Glocken frei gelegt; dann begaben sich Alle wieder nach dem Feuer hinüber.

Die Spannung aller Betheiligten, bis auf den Gobernador und Kohena, war eine förmlich krankhafte. Nur noch in gedämpftem Tone wagte man zu sprechen. Nach diesem ersten Beweise, daß in dem alten Dokument keine Täuschung waltete, beobachtete man mit unverkennbarer Ungeduld den Zuñi, als dieser sich der Albino zukehrte und einige Bemerkungen mit ihr wechselte. Schließlich neigte diese zustimmend ihr Haupt, und die Decke über sich hinziehend, sank sie gleichsam in sich zusammen, wie um sich fröstelnd dem Schlafe hinzugeben. Der Häuptling hatte wieder das Pergamentleder vor sich ausgebreitet, während Perennis die alterthümliche Schrift in Händen hielt. Beinah athemlos sahen Alle den ersten Kundgebungen des Häuptlings entgegen. Dieser hatte die Fingerspitze innerhalb des rothen Vierecks auf den Punkte gestellt, welcher den Fundort der Glocken bezeichnete. Von hier aus glitt der Finger nach zwei gelben Kreisen hin, durch deren Mittelpunkt eine schwarze gerade Linie gezogen und um etwas einen Fuß verlängert worden war. Auf der einen Seite dieser Linie liefen wieder die menschlichen Fußspuren hin. Neben jeder einzelnen waren auf der andern Seite zwei Hände mit gespreizten Fingern, zwar roh, aber deutlich erkennbar, mit brauner Farbe gezeichnet. Laut zählte der Häuptling die Spuren. Es waren ihrer sechsundzwanzig.

»Zehn Finger bei jeder Fußspur,« erklärte er darauf, »jede Fußspur eine Elle mal zehn. Laßt uns hören, was Euer Papier spricht.«

»Nichts Anderes, als was die Zeichen besagen,« antwortete Perennis, dann las er vor.

»Zieht man die Linie über die Oeffnungen, welche die zwei Glocken zurückgelassen haben, so erblickt man östlich der Straße, zwischen der Kirche und der Stadt entlang, in der Entfernung von etwa dreihundert Ellen einen Hügel, welcher mit beiden Glocken eine genaue Linie bildet. Am Fuße dieses Hügels befindet sich ein Keller von zehn Ellen oder mehr im Umfang, welcher den großen Schatz birgt.«

Nach dieser, mit der Malerei übereinstimmenden und leicht verständlichen Erklärung, erhoben sich Alle. Der Zuñi und Perennis ergriffen Jeder ein Ende des Lassos, und während Plenty und Burdhill in die Grube hinableuchteten, befestigten sie den straff gezogenen Lasso mittelst zweier in die Erde gestoßener Spaten so, daß er genau über die Mitte der beiden Glockengehänge hinlief. Auf dem östlichen Ende des Lassos wurde darauf ein angekohlter und noch glimmender Pfahl aufrecht in die Erde gesteckt; in der Entfernung von ungefähr dreihundert Schritten auf einem Hügelabhange ein zweiter, nachdem zuvor der mit dem Lasso und dem ersten Feuerbrand in eine unzweifelhaft gerade Linie zusammenfallende Punkt aufgesucht worden war. Ein peinlich gemessener Lasso wurde darauf benutzt, von der äußersten Glocke aus die Entfernung von zweihundertundsechszig Schritten oder vielmehr Ellen, nach Maßgabe der Zeichnung, in der Richtung nach dem zuletzt aufgestellten Feuerbrand abzustecken, wo alsbald ein Feuer aufflammte, zu dessen Nahrung nunmehr Balkenreste aus den Trümmerhaufen herbeigeschafft wurden.

»Hier sitze ich,« erklärte der Gobernador, nachdem er das Pergamentleder im Schein des Feuers wieder auseinandergerollt hatte, und sein Finger ruhte auf dem äußersten Ende des von offenen Händen und Fußspuren begleiteten Striches. Dort war mit schwarzer Farbe ziemlich geschickt ein Kreuz gezeichnet worden, dessen drei Enden in herzförmig verschlungene Arabesken ausliefen. Von dem Mittelpunkt jeder der Arabesken hatte man wieder Linien gezogen, die sich so mit einander vereinigten, daß die beiden Außenlinien ein gleichschenkeliges Dreieck bildeten, welches die von dem Mittelkopf ausgehende genau halbirte, dann aber bis zum Rande des Pergamentes sich verlängerte. Dort endigte sie in einem gelben Berge, welchen unregelmäßige Zeichnungen von Steinen in einem Kreise umgaben.

Langsam folgte der Zuñi mit dem Finger dieser Linie, welche wiederum zahlreiche Fußspuren und gespreizte Hände zu beiden Seiten begleiteten.

»Dort liegt das Gold,« schloß er, die Fingerspitze auf den gelben Berg stellend, und düster blickte er im Kreise, als wäre er sich eines Fehls gegen den verschollenen Volksstamm bewußt gewesen, der einst Jeden mit dem Martertode bedrohte, welcher den fremden Eindringlingen den Weg zu den verschütteten Goldminen zeigte, »es ist eine weite Strecke; viele Finger mal viele Ellen,« und er wies wieder auf die von dem Kreuz ausgehende Linie.

»So liegt hier das Kreuz,« bemerkte Perennis enttäuscht.

»Fanden wir nicht die Glocken?« antwortete die Albino sanft.

»Grabt,« fügte der Gobernador hinzu, »das Kreuz zeigt Euch den Weg.«

»Aber vorsichtig,« wendete Perennis sich an die Gefährten, unbeirrt durch das spöttische Lachen Plenty's, »finden wir das Kreuz, gleichviel ob liegend oder stehend, so genügt die leiseste Bewegung desselben, die Linie zu verrücken und jede weitere Nachforschung erfolglos zu machen.«

»Erfolglos,« spöttelte Plenty wieder, doch war diese Bemerkung mehr ein Ausbruch seiner Ungeduld, als der erschütterten Hoffnung. Denn er leitete von jetzt ab mit seinem praktischen Sinn selbst die Arbeit, und beschrieb zunächst einen so großen Kreis, daß sich Alle zugleich innerhalb desselben mit ihren Werkzeugen beschäftigen konnten.

Die Arbeit begann darauf wieder mit einem Eifer, welcher der Ausdruck einer gleichsam tödtlichen Spannung war. Hacken wurden geschwungen, Schaufeln in die Erde gestoßen, und schnell wuchs der Wall, welcher sich außerhalb des Kreises bildete. Fuß um Fuß vertiefte sich die Grube in dem seit Jahrhunderten dort zusammengewehten Flugsande. Mitternacht war längst vorüber; der Mond neigte sich dem Westen zu; eine kühle Brise sprang auf und verkündete die Nähe des Morgens, und noch immer schaufelten und scharrten die Männer. Der Sand schien kein Ende nehmen zu wollen. Regungslos, wie eine Statue, sah der Häuptling in die Tiefe. Auf seine lange Büchse gelehnt und mit dem hageren, von dem nahen Feuer röthlich beleuchteten braunen Antlitz, glich er einem, viele Generationen überlebenden Zauberer eines verschollenen Geschlechtes, welcher, des rastlosen Erdenwallens müde, sich selber in die vor ihm gähnende Gruft zu legen sehnte. Kohena, deren Zustimmung er bei jeder neuen Bewegung einholte, saß vor dem Feuer. Zum Schutz der Augen hatte sie wieder die Decke über ihr Haupt gezogen. Sie schien zu schlafen. Plötzlich ertönte aus der Grube ein Ausruf freudigen Erstaunens. Neben der, der Stadt zunächst liegenden Uferwand war man auf einen festen Gegenstand gestoßen, welcher sich bei genauerer Prüfung als der Gipfelknauf eines fast bis ins Innerste hinein vom Rost zerfressenen eisernen Kreuzes auswies. Die Richtung hatte man beim Schlagen der Linie bis auf wenige Fuß getroffen, dagegen war man bei der Längenmessung beinah um die ganze Breite der Höhle über das Ziel hinausgerathen. Sorgfältiger ging man von jetzt ab zu Werke. Vorsichtig mit den Händen scharrend, legte man allmälig den Querbalken des Kreuzes blos und ein kurzes Ende des Schaftes. Auch hier hatte man mit leicht zu bewältigendem Sande zu thun. Es sprach dies dafür, daß das Kreuz einst zum Andenken an einen dort begrabenen Oberen der Mönche oder getauften Kaziken errichtet wurde, oder, vielleicht hart an einem Wege stehend, die vorübergehenden Eingeborenen an die Allgewalt des Christenthums erinnern sollte. Ohne Zweifel hatte es sich ursprünglich frei erhoben, war aber durch die von den wüsten Ebenen hereinwehenden und mit dem leichten Erdreich spielenden Winde im Laufe der Zeit versandet und verschüttet worden. Obwohl von dem Eisen wenig mehr, als eine Rostverkrustung übrig geblieben war, ließen sich doch die Formen der Arabeskenknäufe noch hinlänglich genau verfolgen, um den Mittelpunkt jedes einzelnen genau feststellen zu können. Der Mittelpunkt des Kreuzes entsprach dem des oberen Knaufes, und konnte daher zuversichtlich als der Ausgangspunkt der das gleichschenkelige Dreieck halbirenden Linie betrachtet werden. Ebenso walteten über die Vorderseite des Kreuzes keine Zweifel, nachdem durch Schaben mit Messern das Vorhandensein der letzten Reste unentzifferbarer Bildwerke oder Buchstaben festgestellt worden. Dicht vor der Vorderseite erhob sich indessen die Uferwand. Es mußte daher, um Raum zu dem Messen und Abschnüren zu gewinnen, die Grube nach dieser Richtung hin erheblich erweitert werden. Mit frischen Kräften ging man wieder ans Werk. Plenty leuchtete mit brennenden Reisigbündeln hinab. Anscheinend spöttisch warnte er vor der Berührung des Kreuzes und ermunterte er zu neuen Anstrengungen.

»Gebt dem Sande die Hölle,« sprach er ungewöhnlich munter, »die aufgehende Sonne muß ihr verschlafenes Gesicht in dem Golde spiegeln. Haben wir bereits so viel gefunden, finden wir auch mehr, calculir' ich.«

Wer, nicht vertraut mit der Sachlage, solche Worte hörte, konnte nur glauben, daß man, anstatt auf ein verrostetes Kreuz, auf den eigentlichen Schatz gestoßen sei.

Einen solchen Eindruck gewannen wenigstens Sculpin, Manuel und Bunslow, welche ihr luftiges Versteck verlassen und, unter dem Schutze des zerfallenen Gemäuers und des von den Schatzgräbern erzeugten Geräusches, sich so nahe herangeschlichen hatten, daß sie nicht nur die von dem Feuer beleuchtete Stätte nothdürftig übersehen, sondern auch die außerhalb der von einem Erdwall umgebenen Grube gesprochenen Worte verstehen konnten. Bei Plenty's jüngster Bemerkung schwanden ihre letzten Zweifel. Manuel und Bunslow anheimgebend, die Schatzgräber fernerhin zu überwachen, schlich Sculpin nach dem Friedhofe zurück, und dicht an die Kirchenmauer tretend, stieß er mit dem Kolben seiner Büchse einige Mal an dieselbe. Auf dieses Signal richtete die oben zurückgebliebene Beß sich auf die Kniee empor, und sich durch Mauerwerk gegen die Blicke der Schatzgräber geschützt wissend, setzte sie ein bereit gehaltenes Schwefelholz in Brand, es aber sogleich wieder verlöschend. Noch zweimal wiederholte sie der Sicherheit halber das Signal; dann war Alles wieder öde und still. Nur das Schurren war in nächster Nähe vernehmbar, mit welchem Beß die Mauer verließ, um sich Sculpin zuzugesellen.

»Ist der Schatz gefunden?« fragte sie flüsternd. »Gefunden und blosgelegt; wir brauchen nur zuzugreifen,« antwortete Sculpin, wie gegen einen Erstickungsanfall kämpfend, »aber nun zeige Dich als ein gewiegtes Frauenzimmer. Nicht mit 'nem Auge darfst Du zucken, wenn's d'rauf ankommt.«

»Sorgt nicht um mich,« erwiderte Beß gleichmüthig; dann folgte sie Sculpin, welcher sich auf demselben Weg, den er gekommen war, zu den Genossen zurückbegab.

Die Männer in der Grube arbeiteten noch immer angestrengt. Endlich aber ertönte des bedachtsam leuchtenden Plenty Stimme:

»'s ist genug! Wir können jetzt heran!« und gleichzeitig stellten die unten befindlichen Männer ihre Arbeiten ein.

Als sei dies ein Signal für die im Lager weilenden Wachen gewesen, drang ein gellender Schrei von dort herüber. Dann unterschied man das dumpfe Getrappel fliehender Pferde. Die bei der Grube versammelten Männer waren erschrocken aufgefahren und standen sprachlos. Ein Schuß, augenscheinlich im Lager abgefeuert, belebte sie indessen sogleich wieder.

»Apaches,« sprach der Gobernador warnend, indem er aus dem Schein des Feuers trat und die Albino in den Schatten zog.

Im nächsten Augenblick hatten die Männer die Grube verlassen und zu ihren Waffen gegriffen. Bestürzt vergegenwärtigten sie sich die Folgen, wenn es den vermeintlichen Apache-Räubern gelungen sein sollte, sich aller ihrer Thiere zu bemächtigen. Zu ihrem Nachtheil gereichte außerdem, daß der niedrig stehende Mond seine Leuchtkraft zum Theil verloren hatte, man also nicht mehr, wie bis vor Kurzem, in weiterem Kreise nothdürftig um sich zu spähen vermochte. Der Osten hatte sich zwar geröthet; allein eine Stunde dauerte es noch, bevor das Tageslicht ihre Bewegungen begünstigte.

»Der Teufel über das Apache-Gesindel,« bemerkte Plenty mit seiner unerschütterlichen Ruhe, indem er das Schloß seiner Büchse prüfte, als Burdhill ihn schnell unterbrach.

»Wir dürfen keinen Huf verlieren, wollen wir die Wüste überhaupt gesund verlassen,« sprach er dringend. »Wir müssen hinüber! Der Gobernador mag zum Schutz des Mädchens hier bleiben, und Sie, Mr. Rothweil, zum Schutze Beider. Lugen Sie scharf aus, und bietet sich Gelegenheit, so merken Sie sich die Richtung, in welcher die Thiere entfliehen oder davongetrieben werden.«

Gleich darauf eilte er, gefolgt von Plenty und den Packknechten nach der Thalsenkung hinüber, aus welcher das Gellen der Wachen in längeren und kürzeren Pausen herüberdrang.


 << zurück weiter >>