Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

Das Kirchweihfest.

Eine halbe Stunde stromabwärts, in dem auf dem Ufer des Rheins sich weithin erstreckenden Kirchdorf war am Sonnabend Abend die Kirmeß mit allem Pomp eingeläutet worden; mit allem Pomp, welcher einem Fest gebührt, dessen Dauer altherkömmlich auf drei volle Tage berechnet ist. Man hatte eine Puppe, den neugierigen Zachäus, ausgestopft und nicht nur mit wenig biblischen, sogar abgetragenen Kleidern umhüllt, sondern ihm auch einen dreieckigen Hut mit gewaltigen Federbusch auf den breiten Strohkopf gedrückt. Dann hatte man ihn unter Musikbegleitung im Triumph durch's ganze Dorf getragen und endlich, in Ermangelung des historischen Feigenbaumes, auf einer mächtigen, vor dem Dorfkruge errichteten Stange befestigt und diese, um die Täuschung zu vervollständigen, mit einem stattlichen Erlenzweig gekrönt. Zum Schluß überreichte jeder junge Bursche seiner auserkorenen Tänzerin den Strauß von künstlichen Blumen, wofür er von dieser grüne oder rothseidene Bänder erhielt, dazu bestimmt, im untersten Knopfloch der Jacke getragen zu werden. Der Sonntag Morgen wurde darauf mit dem Kirchenbesuch, dem üblichen Fahnenschwenken und noch zu erledigenden häuslichen Vorrichtungen ausgefüllt; und als endlich Nachmittags nach Schluß der Messe die Fahne abermals vor der Kirchenthür geschwenkt wurde, da galt dieses als ein Zeichen, daß nunmehr der lustigere und geräuschvollere Theil der Kirmeßfeier seinen Anfang nehmen könne.

In hellen Haufen umstanden die Dorfbewohner den Fahnenschwenker, einen hübschen, kraftvollen jungen Mann in hellvioletter kurzer Jacke, rother Schärpe und rother Mütze, welcher mit seiner ausgestreckten breiten, kurzschäftigen rosarothen Fahne einige Wendungen ausführte und dadurch Raum für seine Vorstellungen erzwang.

Die Musik stimmte die uralte Schwenkmelodie an, und hoch in die Luft flog die Fahne, um im Zurücksinken von dem geschickten Träger wieder aufgefangen zu werden. Dann aber beschrieb er mit derselben nach allen Richtungen hin, bald wagerecht, bald senkrecht Kreise und Achten, und zwar so gewandt und mit einer solchen Kraft, daß das breite Tuch wohl knatterte und flackerte, dagegen kein einziges sichtbares Fältlein schlug.

Ja, das war noch ein Anblick. Die Dorfbengels vergaßen die in den Meßbuden erstandenen Brummeisen, und die noch kleinere Gesellschaft ihre Kirmeßwecken, um von Bäumen und Zäunen herab sich nach Herzenslust an dem prächtigen Schauspiel zu weiden. Denn um in den Kreis hineinzugelangen, hätten sie mit den breiten Schultern der Tänzer, oder den noch breiteren, faltenreichen Röcken der Tänzerinnen versehen sein müssen. Und Alles drängte sich herum, Jung und Alt, und wo die Aussicht durch die Vorderleute verlegt wurde, da sah man wenigstens hin und wieder das Fahnentuch über den Köpfen emportauchen, hörte die Musik, zu welcher Pauke, Trompete und Klarinetten sich einigten. Nur eine einzelne Person stand abseits auf einer niedrigen Feldsteinmauer, als hätte sie sich für zu vornehm oder zu gering gehalten, sich unter die Dorfbewohner zu mischen. Es war Gertrud, der unstete Irrwisch, die tanzlustige Rheinnixe. Auch sie hatte sich festtäglich gekleidet, doch war ihr dunkelfarbiger Rock mehr nach städtischer Mode zugeschnitten, und die mit weißen Strümpfen bekleideten Füße wurden von Schuhen umschlossen, so zierlich und klein, als hätte sie dieselben von einem zwölfjährigen Dorfmädchen entlehnt gehabt. Einen Strauß trug sie nicht, ein Zeichen, daß sie im Dorfe nicht zu Hause gehörte. Aber auch im entgegengesetzten Falle würde kaum Jemand gewagt haben, sie gleich auf drei Tage zu seiner Tänzerin zu wählen; noch weniger hätte sie selbst sich Jemand auf drei Tage zugesagt.

Was sie dorthin führte, ob Lust an heiterem Volksgetümmel, ob die unbesiegbare Neigung, sich nach dem Takte der Musik von kräftigen Armen im Kreise schwingen zu lassen: aus ihrem ernsten Antlitz mit den leicht gerunzelten Brauen hätte es schwerlich Jemand herausgelesen. Sie aber zu fragen, fehlte den Meisten wohl die Lust, sobald sie den spöttischen Zug um die etwas zusammengepreßten frischen, rothen Lippen gewahrten. Konnte man doch nicht wissen, ob sie die erste Anrede nicht mit einer spitzfindigen Bemerkung lohnte. Trotzdem streifte sie mancher verlangende Blick aus lustigen Männeraugen, und sie hätte so blind sein müssen, wie sie jetzt scharf unterschied, wäre ihr entgangen, daß neben jenen freundlichen Blicken sich auch andere auf sie hefteten, welche sie am liebsten hätten verscheuchen mögen. Und welche junge Dorfschöne wäre gleichgültig geblieben, wenn sie entdeckte, daß die Augen ihres Tänzers trotz des prächtig geschwungenen Fahnentuches immer wieder den schlanken Irrwisch suchten.

»Da ist der Irrwisch,« raunte eine junge Bäuerin ihrer Nachbarin heimlich zu, und empor flogen die Lippen so verachtungsvoll, als wäre das bloße Nennen des Namens schon ein Fehl gewesen.

»Der Tanzteufel hat sie hergetrieben,« hieß es ebenso heimlich zurück, »und der Tanzteufel steckt drin und lugt ihr aus den Augen, oder sie würde sich schämen, ohne Begleitung so weit herzukommen.«

»Sie hat einen bösen Blick,« bemerkte wieder eine Andere, »ich möchte sie sehen, wenn sie bei unserm gelehrten Herrn Pfarrer zur Beichte ginge; der würde nicht viel Umstände machen und ihr den Gott sei bei uns bald genug austreiben. Und besessen ist sie, das kann Jeder sehen, wenn's ihr glückte, Einen zum Tanz zu verführen, und die Augen wie glühende Kohlen in ihrem Kopf brennen.«

»Nein, ehrliche Augen sind das nicht,« raunte es von einer andern Seite herüber, »sie ginge sonst wohl zur Beichte. Und wer sah je, daß ein sterblicher Mensch seine Füße stellte, wie ein Uhrwerk? Ich verschwöre mich darauf, die berührt beim Tanzen den Erdboden nicht, und gerade das macht die Dorfburschen wahnsinnig nach ihr.«

»Ihr solltet etwas Anderes in Euere Mäuler nehmen, als schlechte Reden über das arme Ding,« warf ein junger Bauer, der das Gespräch trotz der schrillen Klarinetten erlauscht hatte, sich zu Gertruds Vertheidiger auf.

»Sie mag bleiben, wo sie zu Hause gehört,« hieß es hoffärtig zurück.

»Sie wohnt in der Stadt,« fuhr jener fort, »und wenn sie 'nen Tanz machen möchte, sucht sie die Dörfer auf. Denn auf den städtischen Tanzböden geht's wild genug her, zu wild für'n sittsames Frauenzimmer, und das soll man an der Gertrud ehren.«

»Die hat 'nen Tanzteufel im Kopf,« kicherte es von mehreren Seiten höhnisch.

»Hat sie einen Tanzteufel im Kopf, so hat Jeder von Euch deren d r e i e , oder Ihr gönntet dem armen Dinge 'mal 'nen Solo mit dem Einen und dem Ändern, 's ist Mancher hier, der ihr gern 'nen Strauß verehrte, wäre sie bei uns eingepfarrt. Geht sie aber nicht zur Beichte, so hat sie vielleicht 'ne andere Religion, und das kümmert Niemand.«

»Dem hat sie's schon angethan mit ihren Feueraugen,« flüsterte es spöttisch hinter dem Burschen.

Dieser kehrte sich um.

»Mir und vielen Andern,« versetzte er lachend, »und wenn sie das Dorf verläßt, ohne mit mir geländert zu haben, will ich heute Abend noch mein neues Kamisol beim Zachäus über den breiten Rücken ziehen,«

Wer weiß, welche böse Reden noch gefallen wären, hätte die Musik auf ein Zeichen des Fahnenschwenkers ihre Arbeit nicht eingestellt. Das Gedränge löste sich auf, vergessen war der Irrwisch, und paarweise ordneten sich Alle zum Festmarsch nach dem Tanzplatz. Und ein stattlicher Zug bildete sich im Umsehen. Vorauf die Musik. Hinter dieser in angemessener Entfernung schritt, stolz um sich schauend, der Schwenker, die Fahne in der rechten Faust, deren Griff kühn auf die Hüfte gestützt. Dann folgten die Tänzer und Tänzerinnen, hinter diesen alte Leute und Kinder, jene der eigenen Jugend gedenkend, diese voller Mißmuth, nicht längst zu den Erwachsenen zu zählen. Gertrud hatte ihren Platz auf der Mauer immer noch nicht verlassen. Der Zug mußte ja vor ihr vorüber. Unbekümmert um die freundlichen und feindlichen Blicke, welche sie jetzt wieder verstohlen suchten, beobachtete sie das muntere Treiben. Dabei blieb der Ausdruck ihres schönen Antlitzes unverändert; unverändert prägte sich die leichte Falte zwischen den starken schwarzen Brauen aus, unverändert lagerte Spott um den lieblichen Mund. Nur wer auf ihre kleinen Füße sah, hätte vielleicht bemerkt, wie die Spitze des rechten Schuhs sich leise hob und senkte und, wie von unwiderstehlicher Tanzlust getrieben, in ihrer wenig wahrnehmbaren Bewegung genau Takt mit der einen Geschwindmarsch aufspielenden Musik hielt.

Die Spielleute schritten vorüber.

»Gertrud, mir einen Solowalzer«!« ertönte eine heitere Stimme aus dem sich nahenden Zuge.

Gertrud gab sich das Ansehen, den Ruf nicht vernommen zu haben.

»Recht so, Trude!« rief eine Mädchenstimme, »hier ist kein gebührlicher Ort zum Auffordern!«

»Mir 'nen Länder! Mir 'nen Walzer! Mir 'nen Galopp!« übertönte es aus verschiedenen Richtungen die Musik, und dazwischen erschallten wilde Jauchzer, die einen spottend, die ändern herausfordernd. Gertrud fühlte, daß alle Blicke auf sie gerichtet waren, allein sie stand da, wie mit der Mauer verwachsen; nur der tanzlustige Fuß regte sich leise.

Jetzt näherte sich der Fahnenschwenker. Seine Haltung und der aufwärts gedrehte Schnurbart verriethen, daß er noch nicht lange aus der Armee entlassen worden. Seine violette Jacke schmückten noch keine Bänder. Die Einen glaubten, daß er einen Schatz in der Garnison zurückgelassen habe; Andere, daß der Soldatenstand den reichen Bauersohn hoffärtig gemacht und er auf eine Freie nach Geld aus sei. Die Wahrheit aber wußten nur er selber und die schönste Büdnertochter des Dorfes. Sie meinten indessen, daß es die Leute nicht scheere, wenn sie Gefallen aneinander gefunden hätten, und gedachten der erstaunten Reden, wenn der stolze Fahnenschwenker am dritten Kirmeßtage von seiner Herzallerliebsten die Bänder öffentlich angeheftet erhielt. Bis dahin aber sollte Jeder noch vollkommen frei sein, wollten Beide sich daran ergötzen, wie alle Mädchen des Dorfes ihm nachschauten, bereitwillig zusagten, wenn er ihnen einen Tanz anbot, sich sogar nicht scheuten, den eigenen Tänzer vor dem Fahnenschwenker ein wenig zurückzusetzen. Und um diesen zu ehren, ließen die Burschen Manches über sich ergehen. Denn der Fahnenschwenker war heute Hauptperson, und daß er dies selber wußte, bewies er durch eine gewisse Ritterlichkeit, mit welcher er im Vorüberschreiten die Fahne gar anmuthig vor der Gertrud neigte, zum Zeichen, daß er sie für ein ehrliches Mädchen halte und keinen Augenblick anstehen, sie in seinen Schutz zu nehmen.

Gertrud erröthete vor Freude über diesen Beweis der Achtung, und zum ersten Mal, seitdem sie auf der Mauer stand, wichen ihre Brauen auseinander, spielte statt des Trotzes ein freundliches Lächeln um ihre Lippen. Denn was fragte sie danach, ob man sich in dem Zuge zuflüsterte, sie habe es auf den Fahnenschwenker abgesehen; ob die Burschen ihren stattlichen Kameraden beneideten, die bitterbösen Dorfschönen sie mit den Blicken hätten vergiften mögen.

»Gertrud!« rief der Fahnenschwenker mit weithinschallender Stimme, »Jungfer Gertrud, ich bitte um die Ehre des ersten Tanzes! Wenn's Dir recht ist, tritt hierher an meine Seite!«

Ein zustimmendes Hurrah lief durch die Reihen der Burschen, welchen allen der Fahnenschwenker aus der Seele gesprochen hatte. Aber erst als helle spöttische Stimmen sich erhoben und in erzwungen scherzhaftem Ton die Tänzer an ihre Pflicht erinnerten, gelangte Gertrud zu einem Entschluß. Leicht wie eine Feder schwebte sie von der Mauer, daß die Burschen wiederum in wilden Jubel ausbrachen, und als er verstummte, oder vielmehr in der geräuschvollen Musik sich gleichsam verlief, da schritt sie so stolz und erhaben wie eine Königin neben dem Fahnenschwenker einher. Dieser aber schaute herausfordernd um sich, als hätte er sich mit Jedem im Zweikampf messen wollen, der seiner Tänzerin auch nur mit einer Miene zu nahe getreten wäre. Doch auch seitwärts schaute er verstohlen, sich weidend an der Anmuth, mit welcher Gertrud nach dem Takte der Musik ihre Füße stellte, und an der Bescheidenheit, mit welcher sie, um nicht zudringlich zu erscheinen, sich einen ganzen Schritt entfernt von ihm hielt und am wenigsten Schadenfreude zur Schau trug. Und als man sich endlich an den Anblick gewöhnt hatte und Jeder sich mit dem zu schaffen machte, was ihm am nächsten, da benutzte er die Gelegenheit, der Gertrud zuzuraunen, daß sie ein braves Mädchen sei und er sich's zur Ehre rechne, trotz aller Dorfburschen und Dorfmädchen den Ball mit ihr zu eröffnen.

»Und ich dank's Ihnen, daß Sie mir solche Ehre erweisen,« antwortete Gertrud eben so heimlich, und indem sie der nächsten Stunden und des lustigen Reigens gedachte, glühte heller Enthusiasmus aus ihren Augen, »auch dafür dank' ich, daß Sie nicht schlecht von mir denken, weil ich eine Stunde Wegs gewandert bin, um mir die Gelegenheit zu einem Tanz nicht entgehen zu lassen. Tanze ich doch für mein Leben gern, und mein Bestes will ich leisten, wenn wir zusammen in die Reihe treten.«

»Recht so, Jungfer Trude,« versetzte der Fahnenschwenker, und herausfordernd strich er mit der freien Hand seinen Schnurrbart, »thue Dein Bestes uns Beiden zu Ehren, und aus dessen Maul eine böse Rede über Dich ihren Weg findet, dem geb' ich's zurück, so wahr ich Bartel Baumbach heiße.«

»Und daß Sie sich eines armen Mädchens annehmen und ihm eine kleine Lust gönnen, Bartel, das vergess' ich Ihnen nicht, und würde ich hundert Jahre alt,« entgegnete Gertrud mit überzeugender Wärme, »denn mir ist nicht um schöne Worte zu thun; aber das Tanzen ist mir angeboren, und eine Stunde im lustigen Reigen macht Vieles gut, was sonst nicht zur Freude für mich.«

Sie waren vor dem Dorfkruge eingetroffen, in dessen oberem Stockwerk ein umfangreicher Raum zu dem Ball hergerichtet worden. Doch das Wetter war klar; ein ebener Platz dehnte sich vor dem Kruge aus; wer hätte sich da zwischen vier Wände mögen einpferchen lassen!

Die Spielleute erhielten zwei Bänke und einen Tisch für Noten und Getränke, der Platz wurde geräumt, und Jauchzer auf Jauchzer drang zu dem verschrobenen Zachäus hinauf, indem die Paare sich zum Reigen ordneten. Hoch prangte die Fahne auf einem Sägebock, welchen man schnell herbeigeschafft harte. Unterhalb derselben standen Bartel und Gertrud, bereit, auf das erste Zeichen sich zu umschlingen.

»Einen langsamen Walzer!« kommandirte Bartel. Die Spielleute prüften noch einmal die Stimmung ihrer Instrumente. In diesem Augenblick schlüpfte ein schönes, großes, flachsblondes Mädchen dicht hinter dem Bartel vorüber.

»Bartel,« tönte es ihm so leise, wie ein Lufthauch ins Ohr, »Du bist ein ganzer Mann, und ich dank Dir's, daß Alle neidisch auf die Gertrud schauen.«

Bartel blinzelte listig, indem er einen Blick des schönen Mädchens erhaschte. Die Worte klangen gut genug, und doch meinte er, einen Zug des Schmollens um die üppigen Lippen zu entdecken, die er Tags zuvor zum erstenmal küßte, einen versteckten Ausdruck der Besorgniß in den großen, hellblauen Augen, die es ihm schon seit Monaten angethan hatten; aber mit der schönen Tänzerin an seiner Seite, achtete er dessen nicht. Das Schmollen hoffte er zu seiner Zeit schnell genug zu vertreiben, und in den hellblauen Augen wollte er sich tagtäglich spiegeln; aber heute, da er noch seinen freien Willen hatte, mußte er sich als einen ganzen Mann zeigen, mußte er mit der Gertrud tanzen, wollte er dem schönen, großen Mädchen eine rechte Augenweide sein, bevor er dieses selbst in seine Arme nahm.

Ein kräftiger Paukenschlag erdröhnte; Geigen und Klarinetten fielen ein: Jauchzer auf Jauchzer stieg zu dem grämlichen Zachäus empor, und dahin schoben sich die Paare im weiten Kreise. Vorauf der Fahnenschwenker und Gertrud, und wer in der langen Reihe nicht gleich Raum fand, der verfolgte mit erstaunten Blicken die Gertrud, die sich um ihren stattlichen Tänzer drehte, als hätten ihre kleinen Füße in der That den kurzen Rasen nicht berührt. Der Bartel aber hatte unter den Soldaten Manches gelernt, was ihm jetzt zu statten kam, so daß die Leute vor Verwunderung schier die Sprache verloren. Denn nach der ersten Runde drehte er selber sich nicht mehr; sondern seiner Tänzerin Hand hochhaltend, gab er ihr Raum, daß sie um ihn herumschwebte, bald nach rechts, bald nach links und beständig in dem festen Takte, welchen er auf dem Rasen stampfte.

Dreimal herum war Bartel mit seiner leichtfüßigen Tänzerin gekommen, als ein Schlag auf die Schulter ihn störte und er kameradschaftlich gebeten wurde, eine Tour mit der Gertrud zu erlauben.

Großmüthig gab er nach, großmüthig duldete er, daß immer neue Tänzer sich zu ihr herandrängten und sie nicht zur Rast kommen ließen. Aber die Gertrud war unermüdlich. Ihr Antlitz glühte wohl, jedoch von dem wilden Blut, welchem bei den Klängen der Musik die Adern zu enge wurden und das sich am liebsten durch die schwellenden Lippen und die sammetweichen Wangen einen Weg ins Freie gebahnt hätte. Und dabei athmete sie so ruhig, wie nur je auf ihrem Wege von dem Festungsgraben nach der Fischstelle des alten Ginster. Es war in der That zum Erstaunen.

Der erste Tanz neigte sich seinem Ende zu. Bartel drehte sich mit dem schönen, flachshaarigen Mädchen im Kreise; ging's auch nicht so leicht, wie mit der Gertrud, so ging's doch leicht genug. »Hast's recht gemacht,« flüsterte das schöne Mädchen, »der Gertrud gönn' ich's, daß Du ihr die Ehre erweisest, denn mit ihren feinen Wendungen machte sie Dich glänzen, und das hat mir gefallen. Doch jetzt mag sie sich 'nen Anderen suchen, und mit ihren Hexenaugen findet sie Tänzer genug.«

»Aber Keiner, der's versteht wie ich, Kathrin,« antwortete Bartel, »und hab' ich sie hergeführt, muß ich auch für sie sorgen, wie sich's schickt.«

»Der Irrwisch tanzt freilich besser, als ich,« versetzte Kathrin mißmuthig, »und das ist mein Stolz; ich möchte nicht springen, wie die, daß die Leute mich beredeten und sagten, ich sei von 'nem Tanzteufel besessen.«

»Hast Recht, Kathrin, besser als die Gertrud kann's kein Mädchen lernen, aber gleich nach ihr kommst Du; und tanze ich mit ihr gern, so trete ich mit meinem Schatz doppelt gern in die Reihe. Doch auf Reputation muß ich halten, und so lange die Trude auf dem Platze ist, darf sie keinen Tanz versäumen; ist mir's doch selber 'ne Lust, mit dem leichtfüßigen Ding den Leuten 'ne Augenweide zu geben.«

»So gieb ihnen 'ne Augenweide,« versetzte Kathrin, indem sie durch eine lebhafte Bewegung Bartel zwang, mit ihr aus der Reihe zu treten.

»Meine Herzallerliebste bleibst Du dennoch,« suchte Bartel gutmüthig zu beschwichtigen, und da Gertrud eben von einem Burschen aus dem Reigen geführt wurde, trat er schnell vor sie hin.

»'ne kurze Rast und dann die Schlußrunde,« redete er sie an, die rothe Mütze über seinem Haupte schwingend.

»Ich brauche keine Rast,« versetzte Gertrud leidenschaftlich, »zwölf Stunden könnt' ich tanzen, ohne zu ermüden,« und in der nächsten Sekunde hielt Bartel sie im Arm, und mit einem weithin schallenden Jauchzer stürmte er mit ihr in den Kreis hinein. Wie aber der Anfang des Tanzes, so bot auch der Schluß ein wahres Schauspiel; selbst die störrischen Gemüther neigten sich dem graziösen Irrwisch zu, welcher nach der ersten Runde wieder den Armen Bartels entschlüpfte und in den zierlichsten Windungen um den kraftvollen Burschen herumglitt, als ob er in ihren Händen nur ein Spielball gewesen wäre.

Die Musik verstummte. Mit Flaschen und Gläsern wogten die Burschen in dem Gedränge hin und her, und wer in Gertruds Nähe kam, der unterließ nicht, ihr ein Glas von dem eigen gebauten rothen Landwein anzubieten.

Doch nur aus des Fahnenschwenkers Glas nahm sie einen Trunk, sich entschuldigend, daß der Wein ihr beim Tanz den Athem verkürze. Solche Ausrede ließ man gelten. Die Kathrin aber wurmte der dem Fahnenschwenker gewordene Vorzug in einem Maße, daß sie ihn, als er ihr den zweiten Trank bot, stolz zurückwies und ihm rieht, sein Glück bei dem Irrwisch weiter zu versuchen.

»Bleibst dennoch meine Herzallerliebste,« antwortete Bartel verstohlen, »und der nächste Tanz ist der unsrige.«

Daß Kathrin die Lippen höhnisch emporwarf, sah er nicht, nicht, daß ihr vor Zorn das Wasser in den Augen zusammenlief; und als er sie darauf beim nächsten Tanz suchte, da war sie verschwunden, um erst dann wieder auf dem Platz zu erscheinen, als er sich mit Gertrud im Kreise drehte.

Neue Vorwürfe folgten, neue Liebesworte. Ein beständiges Hadern und Versöhnen war es zwischen den heimlichen Liebesleuten, ein Hadern und Versöhnen, von welchem kein Anderer etwas erfuhr als sie Beide allein.

Nur Gertrud entging es nicht. Mochte sie in den Reigen eingetreten sein, oder rastend im Gedränge weilen: Ihre Blicke brauchten den Bartel oder die Kathrin flüchtig zu streifen, und der trotzige Zug um ihre Lippen bewies, daß sie deren Stimmung ebenso schnell errieth.

Die Zeit verrann im Fluge. Die Sonne senkte sich; abendliche Kühle wirkte erquickend auf die unermüdliche Gesellschaft. Als aber die Dämmerung sich einstellte, da wurde von dem Rasenplatz auf den Tanzboden übergesiedelt, wo Lampen und Lichter brannten, die Planken sich bogen und krachten unter der Wucht, mit welcher schwere Füße den Takt stampften.

Gertrud hatte sich in einem Winkel niedergelassen. Ein Weilchen wollte sie sich des Anblicks noch erfreuen und dann unbemerkt verschwinden. Doch trotz ihrer Gegenrede wurde sie immer wieder in den Kreis hineingezogen, indem man sich auf ihr Versprechen berief, von welchem sie selbst nichts wußte. Und so kam es, daß mehrere junge Männer, durch den Genuß des Weines erhitzt, die verstohlen der Thür Zuschleichende aufhielten und mit flammenden Blicken und herausfordernden Worten sich gegenseitig ihre Beute streitig machten. Den Worten folgten drohende Geberden; es bildeten sich Parteien, die anfeuerten oder zur Ruhe ermahnten. Ein Bursche hatte Gertruds Hand ergriffen und suchte sie in den Kreis hineinzuziehen. Gewandt befreite sie sich; durch die offene Thür wollte sie entfliehen, als auch dort erhitzte Gesichter sich ihr entgegenstellten. Da die Musik schwieg, die Stimmen sich aber weit über das gewöhnliche Maß erhoben, so unterschied Gertrud die über sie ausgesprochenen Schmähungen ebenso genau, wie die zu ihren Gunsten lautenden Worte. Sie wünschte sich fort, und doch sah sie kein Mittel, zu entkommen. Als aber der Kampf unvermeidlich erschien und zwei Burschen, jeder schwörend, ihr Versprechen gehalten zu haben, mit den feindseligsten Absichten einander gegenübertraten, kehrte sie sich ihnen furchtlos zu.

»Niemand habe ich etwas versprochen,« rief sie hell, »und wenn ich auch danke für jeden Tanz und für den frohen Nachmittag, so hab' ich doch meinen freien Willen,« und trotzig sah sie in die glühenden Gesichter, und höher schien ihre Gestalt zu werden, indem sie das seinen Banden entschlüpfte schwere Haar nachlässig über die Schultern zurückstrich.

»Die Gertrud hat Recht!« antwortete eine lustige Stimme aus der Mitte des Saales, »sie mag selber entscheiden, wem sie die Ehre giebt, und ich bin der Mann, d'rauf zu achten, daß Keiner sie zwingt,« und kräftig drängte der Fahnenschwenker sich zwischen den ergrimmten jungen Leuten hindurch.

»Sie will nach Hause! Laßt den Irrwisch laufen!« erhoben sich mehrere Mädchenstimmen im Hintergrunde, »laßt sie hinaus, bevor sie 'ne Rauferei anzettelt!«

»Sie geht, wenn's ihr zu Sinn ist, tanzt, solange es ihr gefällt!« antwortete Bartel heftiger, »ich habe die Gertrud hierher genöthigt, und meine Sache ist's, für sie zum Rechten zu sehen.«

Hohnlachen ertönte im Hintergrunde, verstummte aber sogleich wieder vor Bartels vermittelnder Stimme.

»Ist das 'ne Art, die Lust zu stören?« rief er aus, »hier steht die Gertrud, und Keiner ist auf dem Platz, dem sie nicht bereits 'ne Ehre erwiesen hätte; und wer nichts versprochen hat, braucht nichts zu halten.«

»'ne schöne Ehre! »hieß es wieder spöttisch aus dem Gedränge, daß es wie ein Blitz in Gertruds Augen aufleuchtete.

»Gertrud!« kehrte Bartel sich dieser zu, »mach' dem Streit ein Ende; sage, ob Du noch tanzen willst!«

»Nun ja, noch einen Tanz, und das soll der letzte sein,« antwortete Gertrud, und sie gab sich das Ansehen, als ob sie kein Gewicht auf die Schmähungen lege.

»Der letzte soll's sein!« wiederholte Bartel laut, und das Getöse ringsum verstummte, indem Jeder gespannt auf den Endausgang der Störung harrte, »doch nun wähle Dir 'nen Partner, Jungfer Trude, und Den will ich sehen, der Einsprache dagegen erhebt.«

Gertrud sandte einen Blick im Kreise herum. Trotz der tiefen Stille verrieth sie weder Furcht noch Besorgniß. Sie sah voraus, daß ihre Entscheidung, wie sie auch ausfallen mochte, ihr neues Aergerniß eintragen würde.

»So mache ich von meinem Recht den gebührenden Gebrauch,« sprach sie nach kurzem Sinnen, »und Alle, die mir heute eine Ehre erwiesen haben, werden damit zufrieden sein. Mit dem Fahnenschwenker bin ich zuerst auf den Platz getreten; wenn's ihm ansteht, gehört ihm mein letzter Tanz.«

Ohrenbetäubender Jubel verrieth, daß die unerwartete Entscheidung in der That auf allen Seiten befriedigte.

»Einen langsamen Walzer!« kommandirte Bartel, indem er Gertrud in seine Arme nahm, denn wohl wußte er, daß gerade bei den gemessenen Bewegungen er selbst am meisten mit zur Geltung kam; »Platz da vorn! In die Reihe getreten, wer nur noch 'nen Fuß heben kann!«

Polternd und schrillend fiel die Musik ein. Die glückliche Abwendung eines ernsten Zwistes hatte Alle noch heiterer gestimmt. Fester legten sich die Arbeit gewohnten Arme um die breiten Hüften der kräftigen Dorfschönen, lauter fielen die dicksohligen Stiefel auf den stäubenden Fußboden, und wer nur noch so viel Athem in der Brust besaß, um eine Tabakspfeife anrauchen zu können, der schickte einen Jauchzer in die Welt hinaus, daß der ganze Dorfkrug in seinen Fundamentmauern zu erbeben schien.

Geigen- und Klarinettenlärm! Stampfen, Schurren und Jauchzen! Der ganze Saal drehte sich. Jeder hatte nur noch Gedanken an sich selbst und seine Bewegungen. Keiner achtete auf den Andern. Trüber brannten Lichter und Lampen vor dem aufwirbelnden Staube.

»Jetzt hinaus,« bat Gertrud leise, als sie sich mit ihrem Tänzer der Thür wieder näherte, »bis an die Treppe halten Sie meine Hand, dann finde ich den Weg allein.«

Sie hatte kaum geendigt, da drängte Bartel sich mit ihr beinahe unbemerkt auf den Flur hinaus. Gleich darauf hatten sie die Treppe erreicht. Aber auch dort gab Bartel ihre Hand nicht frei, nicht einmal unten auf dem Flurgange, wo nur noch Kinder nach den dumpf niederschallenden Klängen sich im Kreise drehten.

»Nicht auf die Straße hinaus,« rieth Bartel, als Gertrud ihm die Hand entziehen wollte, »nein, es geht noch Mancher ab und zu, und der Teufel steckt in den Burschen, wenn ihnen der Wein zu Kopf gestiegen ist.«

Gertrud, die nichts ängstlicher scheute, als abermals der Mittelpunkt einer geräuschvollen Scene zu werden, ließ sich willig aus der Hinterthür über den Hof und durch den Garten führen, wo ein schmaler Weg zwischen den Feldern und Gärten hinlief.

»Hier warte,« flüsterte Bartel ihr zu, indem er sie in den Schatten eines Fliederbusches drängte, »aus dem Dorf und auf den Weg will ich Dich bringen und in allen Ehren, oder es ereignet sich, daß ein hitziger Kopf Dir noch Ungelegenheit bereitet.«

Bevor Gertrud zu antworten vermochte, sprang er davon, und in der nächsten Minute verhallten seine schnellen Schritte zwischen den Gärten.

Gertrud, die keine Furcht kannte, war im Begriff, dennoch ihren Weg heimwärts allein zu suchen, als sie hinter sich im Garten ein Geräusch zu vernehmen meinte, wie wenn Jemand, behutsam einherschleichend, mit den Kleidern Buschwerk oder die Wegeinfassung streifte. Dann verstummte die Bewegung, um gleich darauf hinter ihr, jedoch durch die Garteneinfriedigung und Buschwerk von ihr getrennt, abermals kaum zu unterscheidendes Rauschen zu erzeugen.

Argwöhnisch spähte sie um sich. Der Himmel war sternenklar; allein die Schatten zwischen den Obstbäumen mit den schwarzen Scheunen und Ställen im Hintergrunde vermochten selbst ihre scharfen Augen nicht zu durchdringen.

Plötzlich drang der flinke Hufschlag eines trabenden Pferdes zu ihr herüber. Schnell kam es näher, und als sie endlich die Umrisse eines Reiters unterschied, ertönte auch schon Bartels Stimme.

»Gertrud!« rief er ihr gedämpft zu, »schnell hierher und hinauf auf den Gaul – Zeit zum Satteln nahm ich mir nicht – in 'nem Viertelstündchen bring' ich Dich weiter, als Du in 'ner halben Stunde läufst, noch schneller bin ich zurück. Zu lange darf ich nicht auf dem Tanzboden fehlen, oder die losen Mäuler lassen kein gutes Haar an uns Beiden.«

Das Geräusch in dem Garten hatte Gertrud vergessen, oder sie schrieb es einer Katze oder einem raubgierigen Marder zu. Ohne Säumen neben das Pferd hintretend, wollte sie Einwendungen erheben, als Bartel ihr die Hand reichte.

»Komm, Mädchen,« sprach er, fortgesetzt seine Stimme dämpfend, »bist gewandt wie 'ne Grasmücke; stell' Deinen Fuß auf den meinigen, nimm einen Schwung nach oben, und du sitzest so sicher, wie auf 'ner Ofenbank.«

»Ich saß noch nie auf einem Pferde –« hob Gertrud an, und doch erschien es ihr so verlockend, von einem solchen getragen zu werden.

»Schnell, schnell, Jungfer Gertrud, ich habe keine Zeit zu viel,« unterbrach Bartel sie hastig.

Gertrud wollte seinen Rath befolgen, als eine leichte Hand ihre Schulter berührte. Zugleich vernahm sie eine vor Erregung bebende Mädchenstimme:

»Also deshalb hat man den Tanzboden verlassen?« fragte Kathrin, und eine unbeschreibliche Verachtung offenbarte sich in ihren Worten; »hab's mir gedacht, und um's mit eigenen Augen zu sehen, kam ich hierher. Und auf Dein Pferd willst Du sie nehmen, Bartel? Ei, was scheust Du Dich lange? Mich kümmert's nicht, und Deine Schuld ist's am wenigsten, wenn der Irrwisch es Dir mit seinem bösen Blick und dem Tanzspuk angethan hat. Du bist nicht der Erste, bleibst auch nicht der Letzte, dem sie den gesunden Kopf verdreht.«

»Ist's ein Unrecht, wenn Jemand einem Andern eine Gefälligkeit erweiset?« fragte Gertrud stolz, »oder habe ich mich dazu gedrängt?«

»Nein, nicht dazu gedrängt,« nahm Bartel mißmuthig das Wort, »hab' aber bei den Soldaten gelernt, was eines Mannes Ehre ist; und wenn ich die Gertrud zum Tanz führte, ist's nicht mehr als meine Schuldigkeit, ihr auf den Weg zu helfen. Vergiß das nicht, Kathrin, meine Herzallerliebste bleibt Du dennoch.«

»Meinst Du?« fuhr Kathrin zornig auf, »wir wollen sehen, wer Dir die nächsten Bänder verehrt. Magst sie Dir von Jemand einknüpfen lassen, der mehr versteht, als Lesen und Beten, von Jemand, der nicht wie ein Christ tanzt, sondern wie'n Irrwisch über den Erdboden hingleitet.«

»Kathrin, sei gescheit –«

»Ich gehe,« fiel Gertrud leidenschaftlich ein, »mich in den Staub treten zu lassen habe ich nicht nöthig, und so ehrlich, wie das ehrlichste Dorfmädchen, bin ich ebenfalls.«

Sie wollte an dem Pferde vorbeischlüpfen, als Bartel sich ihr zuneigte und ihre Hand ergriff.

»Damit die Leute uns bereden, als hätten wir uns auf unrechten Wegen befunden,« sprach er ernst, »mir wäre damit ebenso wenig gedient, wie Dir; und was ich einmal gesagt habe, das geschieht. Hier ist mein Fuß, und nun herauf nach dem Gaul; war's heller lichter Tag, wollt' ich nicht davon ablassen, was ich mir einmal in den Kopf setzte. In 'ner halben Stunde bin ich zurück, Kathrin,« und versöhnlich klang seine Stimme, »und dann sollst Du sehen, ob ich's Tanzen bei dem kurzen Ritt verlernte. Der Gertrud aber sind wir's schuldig, Kathrin. Hab's in Deinen Augen gelesen, wie's Dir gefiel mit uns Beiden –«

»Reite drei Tage und drei Nächte,« eiferte Kathrin, »mich soll's nicht kränken; reite bis an den jüngsten Tag, und fragt mich Jemand nach Dir, will ich's ihm erklären, daß Du unschuldig, wie'n neugeborenes Kind, und wohl ein Stärkerer als Du, vor 'nem bösen Blick oder 'nem Liebestrank hätte zusammenbrechen müssen.«

»Kathrin, Du sprichst anders, als Du denkst,« suchte Bartel noch immer zu besänftigen, »und bestreitest Du das, dann möchte' ich wieder unter die Dragoner gehen und mein Lebenlang zweierlei Tuch tragen. Die Gertrud ist 'n verständiges Mädchen; die trägt Dir's nicht nach –«

»Ich trage keinem Menschen Böses nach,« unterbrach ihn Gertrud, »aber fort will ich jetzt auf die eine oder die andere Art. Morgen sollt Ihr vergeblich nach mir ausschauen; denn um das Bischen Lust bin ich betrogen worden.«

Bartel, um die peinliche Scene abzukürzen, zugleich aber von Trotz erfüllt, bei Kathrin auf so viel bösen Willen zu stoßen, zog Gertruds Arm empor. Diese verstand den Wink. Ihren Fuß stellte sie auf den des Fahnenschwenkers, ein heftiger Schwung brachte sie nach oben, und in der nächsten Sekunde saß sie vor Bartel und von seinen Armen gehalten auf der Kruppe des Pferdes.

»Nun noch 'nen herzlichen Händedruck von Dir,« kehrte Bartel sich der in der Dunkelheit verschwimmenden Gestalt Kathrins zu, »reich mir die Hand, Mädchen, zum Zeichen, daß Du nichts Arges von mir denkst, von mir nicht, auch nicht von der Gertrud.«

»Hast keine Hand frei,« antwortete Kathrin leidenschaftlich, »mußt ja eine Andere halten, die Dir näher ist – da – hier sind die Bänder,« und Gertrud und Bartel hörten, wie es knackte, indem sie den seidenen Kirmeßschmuck in Stücke riß – »laß sie Dir von dem Irrwisch an's Kamisol nesteln –« und manches bittere Wort wäre im Zorn noch von ihren bebenden Lippen gefallen, Worte, welche Gertrud vielleicht bewegten, von ihrem Sitz zu gleiten und trotzig ihren eigenen Weg zu gehen, hätte Bartel nicht die Hacken seiner Stiefel dem Pferde heftig in die Seiten geschlagen, daß dieses erschreckt zusammenfuhr und im Galopp davonpolterte.

»Bartel, Bartel!« rief Kathrin dem Scheidenden entsetzt, jedoch vorsichtig die Stimme dämpfend, nach, denn ein solches Ende des Zankes hätte sie am wenigsten erwartet, »Bartel!« noch einmal: »Bartel! nur ein Wort – 's ist Alles gut!«

Das Poltern der schweren Hufe drang matter herüber. Kathrin lauschte mit vorgebeugtem Oberkörper. Das Poltern verstummte ganz. Deutlicher ertönte dafür das schwere Stöhnen der Baßgeige und das schrille Moduliren der Klarinette.

Kathrin seufzte. Wie um ihre Thränen selbst vor den Sternen zu verheimlichen, trat sie in den Schatten des Fliederstrauches zurück. Ob Zorn ihr dieselben erpreßte, ob sie dem Bartel galten, der Gertrud oder der eigenen Heftigkeit, wer hätte das in der Dunkelheit zu unterscheiden vermocht? Das Schnarren der Baßgeige, das Jodeln der Klarinette, wie drang es so höhnisch herüber. In jedem Jauchzer, welcher durch die Nacht schallte, meinte sie bösen Spott zu erkennen. Endlich ertrug sie es nicht länger. In den Weg tretend, schlug sie die Richtung nach dem elterlichen Gehöft ein. Unbemerkt wollte sie durch die Hinterthür ihr Kämmerchen aufsuchen. Sie fühlte, daß sie nicht unter die lustige Kirmeßgesellschaft gehörte.

Der schwere Ackergaul, welcher Bartel und Gertrud auf seinem Rücken trug, leistete unterdessen sein Bestes. Im Galopp eilte er um das Dorf herum und in die Landstraße hinein, daß Gertrud Hören und Sehen verging und sie in jedem Augenblick fürchtete, zur Erde geschleudert zu werden. Doch starke Arme umschlangen sie, und indem sie, einen sicheren Halt suchend, ihr Haupt an Bartels Schulter lehnte, hörte sie das Knirschen, mit welchem er die Zähne aufeinander rieb. Dabei trafen seine Stiefelabsätze immer wieder den Gaul, als hätte er mit der Last vor sich gerade in den Tod hineinreiten wollen. Das Soldatenblut war rege geworden, das Soldatenblut, welches im tollen Rennen nicht fragt, ob es im nächsten Augenblick, den geöffneten Adern entrinnend, den grünen Rasen färbt.

Das Dorf lag weit hinter ihnen, als er endlich die Gangart des Pferdes mäßigte.

»Es ist genug,« redete Gertrud ihn sofort an, »ich dank's Ihnen, daß Sie mich bis hierher brachten, nun aber will ich gehen. Das Dorf betreten zu haben, bereue ich; aber ich fand nichts Arges darin, daß ich mir 'ne Lust suchte.«

»Ich bringe Dich so weit, wie ich versprach,« antwortete Bartel kurz, »und daß Du heute gekommen bist, war mir 'ne rechte Herzensfreude; kämst Du morgen wieder, tanzt' ich mit Dir allein.«

»Damit die Leute mit Fingern auf mich wiesen? Nein, ich hab' meinen Fuß zum letzten Mal ins Dorf gestellt.«

»Zwingen kann ich Dich nicht, aber sagen, wie ich's meine. Du bist ein ehrliches Mädchen, ich selber hab' ein gutes Gewissen, und wer uns Arges zutraut, mag selber nicht viel Gutes denken,« und wiederum vernahm Gertrud das Knirschen seiner Zähne.

»Es war eine Uebereilung,« versetzte sie ernst, »wußte ich, wie Sie mit der Kathrin standen, hätt' ich's nimmermehr geduldet, daß Sie mich auf den Tanzplatz führten.«

»Du redest, wie Du's verstehst,« antwortete Bartel rauh, »daß wir den Kirmeßreigen eröffneten, war 'ne Ehre für uns Beide, und wer 'ne Ursache zum Anfeinden sucht, der findet sie in der Kirche vor dem Hochaltar. Ich will nichts mehr davon hören.«

Eine Weile blieben sie stumm. Das Pferd schnaubte; dröhnend fielen die breiten Hufe auf die staubige Straße.

»Wir sind schon über die Hälfte des Weges hinaus,« nahm Gertrud das Gespräch endlich wieder auf, »die andere Hälfte gehe ich in 'ner kleinen halben Stunde.«

»Ich bringe Dich so weit, wie mir's ansteht.«

»Im Dorf wird man über Ihre Abwesenheit erstaunen.«

»Mögen sie denken und reden, wie's Jedem sein dummer Verstand eingiebt; mich scheert's nicht.«

»Die Kathrin schaut bange nach einem Tänzer aus.«

»Es sind deren genug auf dem Platz, mag sie sich einen nach ihrem Geschmack aussuchen.«

»Ich aber will nicht Ursache sein, daß sie vergeblich wartet, nicht, daß mir Jemand Uebles nachträgt.«

»Wer Dir Uebles nachträgt, hatt's mit mir zu thun.«

Eine Strecke ritten sie wieder schweigend, dann fragte Bartel, heiser vor Erregung:

»Du kommst morgen nicht zum Tanz?«

»Nicht morgen, nicht übermorgen, mein Lebtag nicht wieder.«

»Ich hätt' Dich sonst ausgezeichnet, hätte Dir den schönsten Strauß verehrt und Dich um seidene Bänder gebeten.«

»Ich will keinen Strauß, verschenke keine Bänder, nicht 'mal dankenswerth ist der Vorschlag, weil's 'ne Andere kränken soll. Aber für die Begleitung danke ich, und jetzt will und muß ich gehen.«

»Du sollst Deinen Willen haben,« versetzte Bartel wild, »und wenn ich was bedaure, so ist's, daß nicht heller Tag leuchtet, nicht das ganze Dorf um uns herumsteht.«

Bei den letzten Worten zog er das Haupt des auf seinem unsicheren Sitz wehrlosen Mädchens an sich, und drei Mal küßte er es auf die Lippen, daß Gertrud fast der Athem verging. Im nächsten Augenblick stand sie auf der Erde. Durch eine gewaltige Anstrengung war es ihr gelungen, sich von den starken Armen zu befreien.

»Ihr Küssen kränkt mich nicht,« sprach sie in bitterem Spott, »geschah's doch ebenso gut im Zorn, wie Sie im Zorn der Kathrin entgegen waren. Noch einmal dank' ich für den guten Willen,« und sich kurz abkehrend, schritt sie davon.

Bartel ritt neben ihr.

»Und geschah's im Zorn, daß ich Dich küßte,« sprach er ebenfalls spöttisch, »so geschah's auch in allen Ehren, und wenn ich Dir einmal von Diensten sein kann, so sag's frei heraus. Denn küss' ich erst ein Mädchen, so hab' ich's auch gern. Und nun lebe wohl, Gertrud. Wenn Du wolltest, wie ich, brächte der Gaul uns Beide heut noch auf den Tanzboden.«

»Reiten Sie nur allein heimwärts,« antwortete Gertrud kalt, »hat der Irrwisch Ihnen heute gefallen, so ist's morgen vergessen.«

»Den heutigen Tag vergesse ich Dir nicht, einer Anderen nicht!« rief Bartel laut aus. Seine Absätze trafen das Pferd mit voller Kraft, und im wilden Galopp ging's wieder auf das Dorf zu. Gertrud wanderte ruhig ihres Weges. Mechanisch ließ sie die Ereignisse des Nachmittags vor ihrem Geiste vorüberziehen. Des Zusammentreffens mit der Kathrin gedachte sie nur beiläufig. Dagegen schwelgte sie in der Erinnerung der, im Gegensatz zu den Uebungen bei der Marquise, nach dem Takte einer allerdings wenig künstlerischen Dorfmusik geregelten Tanzbewegungen. Wer sie im Arme hielt, wer sie herumschwang, ob sie beneidet oder angestaunt wurde, blieb ihr gleichgültig. In ihrer Phantasie entstanden Zukunftsbilder, weit glänzender noch, als solche ihr von der Marquise verheißen worden waren. Sie träumte von hochgebornen Herren, welche ihr ähnlich zu Diensten waren, wie heute der stolze Fahnenschwenker.

Der Bartel hingegen hatte nicht lange gebraucht, um in's Dorf zurückzukehren. Und als er wieder auf dem Tanzplatz erschien und sich überzeugte, daß Kathrin nicht anwesend, da brach er in eine Fröhlichkeit aus, wie sie bisher Niemand an ihm bemerkte oder für möglich gehalten hätte. Ein Glas Wein nach dem andern stürzte er hinunter; regellos tanzte er bald mit diesem, bald mit jenem Mädchen, ohne sich auf länger, als zwei, drei Runden zu binden. Dabei glühte Kampfeslust aus seinen Augen, daß Niemand wagte, in seiner Nähe Befremden darüber zu äußern, daß die Kathrin zugleich mit der Gertrud verschwunden war. Wo man aber seine Gedanken über den unerhörten Fall austauschte, da geschah es abseits und so leise, daß es nicht über die nächsten Ohren hinausdrang.

Als die Hähne zum zweiten Mal krähten und der Osten sich zu röthen begann, riß der Bartel durch gleichsam krampfhaft geräuschvolles Wesen auf dem Tanzboden noch immer alle Anderen mit in den Strudel der Kirmeßlust hinein.

Die Hähne krähten zum dritten Male, und noch immer schrummte der Baß, trillerten die Klarinetten und kreischten die Geigen.


 << zurück weiter >>