Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Siebzehntes Kapitel.

Es war ein Winterabend. Dicke Schneeflocken wirbelten lustig durcheinander.

»Aber du liest ja gar nicht? Du siehst über die Zeitung weg, Karl.«

»Ich denke,« gab der Professor würdevoll zurück.

»Ich will dich auch nicht stören.« Marie Ellers nähte emsig an ihrem Kinderkleidchen weiter. Ihr weiches Gesicht hatte jenen resignierten Ausdruck, den die Frauen so bald in der bürgerlichen Durchschnittsehe bekommen. Arbeiten, essen, schlafen! Eigentlich sind sie froh, daß sie nicht zu denken brauchen. Man nimmt das Leben, wie es ist. Ein ruhiges Eheglück, wo das Herz niemals aus dem Takte kommt. Gewohnheit und nochmals Gewohnheit! Einige gehen dabei innerlich zu Grunde, die meisten versimpeln; wenn sie die goldene Hochzeit feiern, sind sie regelmäßig sehr glücklich.

Frau Marie war es noch nicht recht klar, zu 316 welcher von den beiden Kategorien sie einst gehören würde. Mutig war sie nicht und aus einer kleinen Stadt. Darum hatte sie noch immer die Wallungen ihres Blutes gedämpft. Und wer sie sah, so frisch, so hübsch, so fleißig in dem hellerleuchteten Verandazimmer inmitten der kleinstädtischen Einrichtung, der hätte sicher den alten Mann um dieses warme, zufriedene Ehenest beneidet. Es ist doch etwas Schönes um die Vernunftehe! Sie konserviert. Wenn Kinder kommen, sind sie gutartig, keine Geistesriesen, der brauchbarste Mittelschlag für den Beamtenkörper. In der zweiten Ehe waren hier die Kinder ausgeblieben. Sie sehnten sich auch beide nicht danach. Und doch sind Kinder der beste Kitt. Mit ihnen wird die Frau wieder jung, hoffnungsfreudig. Sie sollte freilich zum großen Teil dem Manne gehören, jene ehrgeizige, abgöttische Mutterliebe gerade solcher Frauen. »Du wenigstens sollst einmal glücklich werden!« Aber sobald die Heiratszeit kommt, sind auch die Mütter alt und vernünftig geworden. »Gutes Gemüt . . . Geld . . . Es geht nichts über die Ruhe und eine gesicherte Position. Die Herzen finden sich.« Die haben leicht raten, denen das Blut nicht mehr heiß zum Herzen strömt. Vielleicht haben sie auch recht. Das giebt gute, ruhige Staatsbürger. Nur die Rasse leidet darunter.

Der Professor blätterte um, las einen Augenblick 317 sehr interessiert und stand dann auf. »Da ist ja auch eine Kritik über die neueste Novelle dieses Hochstaplers. Endlich ein gerechter Rezensent!«

»Welches Hochstaplers?«

»Nun, dieses Silowstrem, der vermutlich ein ebenso großer Verbrecher werden wird wie sein Vater.« Er hielt die Hand gegen die wohlige Wärme des Porzellanofens.

Die Professorin zuckte unwillig mit der Achsel. »Was hast du nur gegen den Grafen? Mögen deine Erzählungen auch zehnmal wahr sein, mir ist er noch immer der Angenehmste, und wenn er kommt . . .«

»Werde ich ihn vor die Thür setzen.«

»Karl!«

Er strich seinen Rücken an den Kacheln und blickte sie feierlich aus seinen Schweinsäuglein an. ›Ob ich's ihr sage?‹ Seit zwei Tagen nahm Los Brief alle seine Gedanken in Anspruch. Nicht, daß er seine Frau besonders geliebt hätte! Er hatte ein unter archäologischen Studien sehr verkümmertes Herz; aber er wollte doch der alleinige Besitzer dieses reizenden Bijous sein. Dazu war er eitel, ein Pedant und hatte die feste Ueberzeugung, daß sein Professorentitel, der Kaufpreis, nicht zu niedrig für ihre Schönheit gewesen war. Dennoch traute er ihrer gleichmäßigen Liebenswürdigkeit nicht. ›Alle Weiber 318 schwindeln!‹ Darum hatte er auch auf die erste Erwähnung von des Grafen häufigen Besuchen seine Vasen und Inschriften im Stich gelassen und war nach Berlin geeilt. ›Wenn ich dabei bin, passiert nichts!‹ Marie hatte ihn damals sofort durchschaut, und der Mangel an Vertrauen verletzte sie sehr.

»Ein gemeingefährliches Subjekt!« Er klopfte an die Brusttasche, wo der Brief knitterte. »Ich habe es schwarz auf weiß!«

»Dann zeige doch!« Eine leichte Röte stieg ihr den Nacken empor. »Ihr solltet edler sein und ihn nicht für Dinge ganz verantwortlich machen, für die er doch nur halb kann.«

»Du bist für einen jungen Mann eine zu hübsche Protektorin!«

»Fürchtest du etwa?«

Seine Schweinsaugen funkelten grünlich. Allerdings fürchtete er. Eingestehen wollte er diese menschliche Schwäche jedoch nicht. Darum begann er im Kathederton: »Ich vertraue dir ganz, mein liebes Kind!«

»Das ist doch selbstverständlich!«

»Aber die Welt verleumdet!«

»Mag sie! Es wird nicht das letzte Mal sein. Jedenfalls, wenn Graf Silowstrem kommt, werde ich ihn allein empfangen, da du so abhängig von der Meinung andrer bist.«

319 »Du trittst sehr bestimmt auf! Daß ich selbständig in meinem Urteil bin, dafür bist du der beste Beweis.«

»Du sprichst in Rätseln!«

»Na, denkst du vielleicht, ein andrer Mann mit meiner Stellung, meinem bekannten Namen würde dich geheiratet haben?«

Sie fuhr zusammen.

»Die Kollegen haben gelächelt. Wo ich Geld, Familie, Verbindungen haben konnte . . . hole ich mir dich . . . aus einer kleinen Stadt. Ich habe eben nur mein Herz gefragt. Ich habe auch auf so manches verzichtet, liebes Kind!«

»Und ich?« Sie warf das Kleid auf den Nähtisch und erhob sich.

Wer wohl von den beiden mehr aufgegeben hatte? Sie, das junge, blühende Weib . . . Und doch brachte sie die häßliche Antwort nicht über die Lippen, welche ihr auf der Zunge lag: »Als wenn der Ruhm die Jugend ersetzen könnte.«

›Der Hieb sitzt,‹ dachte er, als sie schwieg, und fuhr ermahnend fort: »Sieh mal, ich wollte dich damit auch auf deine Pflicht aufmerksam machen. Es ist mir natürlich nicht angenehm, zuhören zu müssen, wenn jemand behauptet, du wärst nahe daran gewesen, deine Pflicht zu brechen.«

»Wer hat das gesagt?«

320 »Rege dich nicht auf!«

»Und wenn es ein Mann war, hast du es ihn ungestraft sagen lassen?« Jede Spur von Gutmütigkeit war aus ihrem Gesichte gewichen. Sie hatte doch Blut!

»Ich werde doch niemand ohrfeigen und mich dann schießen wie ein Student. Das überlasse ich Leuten wie deinem Grafen, obgleich ihm wohl keiner Satisfaktion geben wird.«

»Mit dem also bringt man mich zusammen? Der arme Prügelknabe für alle! – Du bist heute sehr ehrlich gewesen,« fuhr sie erbittert fort. »Man läßt seine Frau ruhig beschimpfen! Ist das dein Vertrauen? Du hast mich aufgeklärt. Kommen wir zu Ende! Jetzt thut's mir leid, daß ich meine Pflicht dir gegenüber nicht schon längst gebrochen habe!«

»Marie! Marie! Was hast du gesagt?« stieß er heiser hervor.

»Was du gewollt hast!« Sie war kreideweiß, ihre Augen flammten dunkel. Er war feige. Ein neuer Wutanfall mußte zum skandalösesten Bruch führen. Darum bezwang er sich schier übermenschlich.

»Hier!« Er riß den Brief aus der Tasche. »Vielleicht begreifst du jetzt? Wenn ich den nicht bekommen hätte . . .«

Sie griff mit zitternder Hand nach dem Papier 321 und setzte sich an den Mitteltisch. Unterdes durchmaß er in halblautem Selbstgespräch, wie das seine Art war, mit schlürfenden Schritten das Zimmer. Er betrachtete sie durch seine Kneifergläser genau. Erst ein bißchen ängstlich, daß sie ihm den parfümierten Wisch gleich vor die Füße werfen könnte; dann argwöhnisch, als purpurne Blutwellen über ihr Gesicht fluteten; zuletzt überzeugt, daß doch etwas Wahres an der Beschuldigung sein müsse, denn sie war wieder ganz weiß geworden. ›Da sieht man ja.‹ Was er aber nicht sah, war das eigentümliche Flimmern in ihren Augen, die zusammengepreßten Zähne. Frau Marie las mit pedantischer Langsamkeit Wort für Wort; zuweilen zeigte sie auf ein undeutlich geschriebenes. »Was heißt das hier?«

». . . Während Ihrer Reise . . . Ein guter Freund rät Ihnen, Ihre Frau nicht wieder allein zu lassen . . . Dem großen Fehltritt könnte ein größerer folgen . . . Fragen Sie doch einmal, wie sie sich mit dem Herrn Grafen oft bis spät in die Nacht amüsiert hat?« Er brauchte seine Promenade nicht zu unterbrechen, weil er den Brief auswendig konnte. Sie wiederholte alle seine Auskünfte in gleichem Ton, wie ein Automat.

». . . Ja, sie ist eine schöne Frau! Beherzigen Sie die Warnung, welche in diesem Schlußsatz Ihres ergebensten X liegt! . . .«

322 Doch je mehr sich bei ihm die Ueberzeugung der Schuld festsetzte, um so unangenehmer wurde ihm der Gedanke, sie vielleicht lassen zu müssen. Er würde nicht so leicht ein solches Kleinod wiederbekommen, eine so gute Hausfrau. Und mit einer gewissen Großmut, die nicht frei von Egoismus war, entschuldigte er sie. ›Wir vergehen uns alle einmal. Natürlich übertreibt der Brief unsinnig. Selbst wenn er die Widerstrebende geküßt hätte? – Eheleute haben sich schon ganz andre Sachen vergeben!‹ Und es war ihm ein ganz angenehmer Kitzel, daß auch diese unnahbare Moralistin ein klein wenig abgeschwenkt war. ›Wenn man ihnen so etwas gelegentlich unter die Nase reiben kann, parieren sie besser.‹

Sie legte den Brief sorglich zusammen und schob ihn in das Couvert. Diese mechanische Ruhe überzeugt ihn vollständig. Jetzt kommt das Geständnis. Statt dessen stand Frau Marie langsam auf und sah nach der Stutzuhr auf ihrem Schreibtisch. Die Stille wurde ihm plötzlich beängstigend. ›Die Sache ist wohl viel bedenklicher, als ich annahm,‹ dachte er und ging nach dem Vertikow, wo die Feiertagszigarre aufbewahrt war, zuweilen auch seine Beraterin bei sehr verwickelten Sachen. Während er noch kurzsichtig zwischen den Kisten herumtastete, fragte sie kalt:

»Wann kam der Brief?«

»Vor einigen Tagen.«

323 »Und du zeigst ihn mir jetzt erst?«

»Ich war mir noch nicht ganz klar, ob . . .«

»Du warst also thatsächlich mißtrauisch, glaubtest wirklich?« Ihre Stimme klang so unnatürlich ruhig.

Eine diplomatische Antwort war am Platze, da hatte er zum Glück die Zigarrenkiste gefunden. »Einen Augenblick, Marie!« – Seine Stirn umdüsterte sich. »Wer ist an den Zigarren gewesen?«

»Niemand als ich.«

»Du rauchst doch nicht. – Es fehlen zehn Stück.«

Sie mußte sich besinnen. Jetzt an Zigarren zu denken, kam ihr so unmöglich vor. – »Ach ja, der Graf Silowstrem hat davon geraucht.«

»So? Meine besten Zigarren? Keinem Kollegen biete ich sie an, ich selbst rauche sie nur selten – und dieser Schwindler muß davon haben!«

»Ich werde es nicht mehr wieder thun, Karl . . . Aber beantworte mir meine Frage: Glaubst du wirklich? Ich hätte mich also bereits vergessen?«

Der Professor machte eine höhnische Handbewegung nach der Zigarrenkiste. Neidische Eifersucht quoll ihm empor. »Für den Galan natürlich das Beste! – Ja, allerdings, gnädige Frau! Bis dato hatte ich noch gezweifelt, jetzt glaube ich. Schämen solltest du dich, deinen Mann so betrogen zu haben! Pfui über die hübsche Larve und das gute Herz! O ja, das gute Herz! Deiner Liebenswürdigkeit traue ich 324 schon lange nicht mehr. Wenn Katzen Milch genascht haben, streichen sie sich schnurrend. Damit soll der Ehemann ganz dumm gemacht werden. Zumal in der letzten Zeit . . . ›Keine Vergnügungen!‹ Du wolltest nicht einmal zum Rennen, zu dem uns mein verehrter Freund, der Doktor Lerden, so liebenswürdig die Billets geschickt hatte, weil dieser Silowstrem auch da war und du meine scharfen Augen fürchtetest. Freilich, als ihr euch erst gesehen hattet, da war jede Haltung vergessen, und ihr wäret euch am liebsten weinend in die Arme gefallen. – Ja, mein Herzchen, das sieht dein kurzsichtiger Mann!« Er wollte wieder auf sie los, aber ihre drohende Ruhe schüchterte ihn ein.

»Keine tragischen Attitüden, gnädige Frau! – Und mir mit solcher Miene gegenüberzutreten! Ich sollte glauben? – An dich? Ha! Ha!« Dann stimmte er seinen Ton etwas herab. »Ich hätte dir verziehen, der reuigen Sünderin hätte meine Mannesehre dies Opfer gebracht. Jetzt hast du es verscherzt. Ich werde dies ertragen, und vor den Leuten werden wir uns sogar vertragen, weil der Skandal einer plötzlichen Trennung mir meine Stellung hier unmöglich machen würde.«

»Mannesehre? Du bist ja gar kein Mann!« Sie sprach sinnlos wie er.

Sein Gesicht wurde lang, der Unterkiefer sank ihm herab. Das war der Schlag mitten ins Gesicht. 325 Man sah es an den krankhaften Bewegungen seines Kehlkopfes, wie er vergeblich diese Beleidigung herunterzuwürgen suchte.

»Und was das Ertragen anbelangt,« fuhr sie fort, »so bist du mir jetzt unerträglich. Wir sehen uns noch einmal wieder, und da sollst du mir auf deinen Knieen abbitten, was du heute gesagt hast. Dem Gott sei Dank, der mir die Augen geöffnet hat!«

»Du gehst zum Grafen Silowstrem?« preßte er hervor und legte die Hand auf die Thürklinke, ihr den Ausgang zu wehren.

»Vielleicht weiß er meine Ehre besser zu schützen wie du!«

Und wieder wich er vor dem stolzen Ausdruck ihres Gesichtes zur Seite.

Sie ging noch einen kurzen Moment in das Schlafzimmer, wo ihr kleines Stieftöchterchen friedlich schlummerte. Ihr wurde es schwer ums Herz, wie niemals im Leben. Aber ihr Auge blieb trocken. Sie kniete vor dem Bett nieder und küßte innig die Kinderhand, welche sich über den Rand gestreckt hatte. »Du verlierst deine Mutter, doch es ist nicht meine Schuld!« Das Kind rührte sich. Frau Marie huschte rasch aus dem Zimmer.

»Bist du hier, Mutter? – Küsse mich doch!«

Doch schon war die Mutter aus dem Hause, welches sie nie wiedersehen sollte.

326 Frau Marie ging den Weg nach dem Bahnhof sehr rasch, immer in der Befürchtung, »Er« könne ihr nachkommen oder jemand nachschicken. Erst als sie im Coupé saß, dachte sie über das Geschehene nach. ›Wie war es eigentlich gekommen? Wie konnte vor allem die Entscheidung so rasch fallen?‹ Sie rekapitulierte die Scene. Sie hatte nur gethan, was sie mußte. Ja, das war so seine Art: Der feige, gleisnerische Anfang, das mißtrauische Aushorchen, dann der brutale Schlag. Sie hatte alle kleinlichen Launen des alten Mannes mit liebenswürdiger Selbstverleugnung ertragen. Und dieser Mann glaubte nicht einmal an sie? Aber mit der Zaghaftigkeit einer innerlich doch schwachen Natur fragte sie sich weiter: ›Mußte es sein? Wenn es sich um einen andern gehandelt hätte als diesen Grafen, den einzigen Menschen, welchen sie hier gern hatte, würde sie nicht dem Professor achselzuckend den Brief zurückgegeben haben: Da nimm das Gewäsch und glaube es, wenn du Lust hast! . . .?‹ Doch gerade bei dem Gedanken an den Grafen begann ein heißes Hassen in ihr gegen den Gatten aufzukeimen, der kritiklos jede Klatscherei nachbetete. »Ich verabscheue ihn!« Und es war keineswegs die nachzitternde Empörung allein, es war jene Tropfen für Tropfen gesammelte unbewußte Abneigung, welche in jeder Bewegung, jeder Schwäche, jeder 327 Prätension des alten Mannes ihre Nahrung gefunden hatte. Auf einmal bei einem ungeschickten Druck auf eine verborgene Feder des Herzens schäumt das gefüllte Maß über, die schwachen Bande, welche Gewohnheit und Pflicht um das gebrechliche Gefäß geschlungen, springen, und das Ueberflutende heißt Haß.

Der Zug lief langsam in die Station »Großgörschenstraße« ein. Marie dachte an das, was notwendig gethan werden mußte. ›Erst gehe ich zum Grafen – ob es gewagt ist oder nicht –, dann fahren wir heraus; die beiden sollen sich gegenüberstehen, und »Er« soll um meine Verzeihung betteln. Erhören werde ich ihn nicht. Morgen fahre ich zu den Eltern. Das ist das Schlimmste, denn ich fürchte, sie verstehen mich nicht.‹ 328

 


 


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