Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Drittes Kapitel.

Lerden besuchte den »Salon« sehr selten. Der Umzug nach seiner Villa, Studien, der Wunsch, allein zu sein . . . Er hatte eine Menge leere Ausflüchte. Der »Salon« saß streng über ihn zu Gericht.

»Vielleicht sind wir ihm nicht vornehm genug . . . wer kennt die Laune solcher reichen Leute?« Das waren die »Schäbigen«; sie schauten sehr höhnisch drein.

»Oder andre Engagements!« riet Jäger mit einem schlauen Blinzeln seiner vorgequollenen Augen. »Man weiß, wie die Lebewelt von heute sich amüsiert . . .« Der große Schellagg blies sich auf und schwieg.

»Jedenfalls ist es mir zu langweilig, darüber nachzudenken,« endete Frau Klara die Unterhaltung. »Wenn er nicht will – nun gut! Als ob wir ihn nötig hätten!« Im Herzen aber verletzte sie seine Fahnenflucht tief.

Lerden war bei dem Unwillen des »Salons«, 52 der in dem eisigen Gruß der Frauen und der übertriebenen Höflichkeit der Herren seinen charakteristischen Ausdruck fand, sehr kühl. Vornehm, abgeschlossen lebte er schon seit dem Februar in seiner schönen Villa – zum großen Aerger seines Dieners und der Mamsell, die ihr geliebtes Potsdamerviertel noch gerade als mit Zinnen und Vorsprüngen gezierte Wand erkennen konnten. ›Er ist verrückt,‹ dachte sie und rechnete ihre Schwenzelpfennige höher; er that melancholisch tiefere Griffe in die Zigarrenkiste seines Herrn und fing aus Langweile ein Verhältnis mit der schon etwas bejahrten Dame an.

Lerden empfand die Langweile dieser freiwilligen Verbannung weniger. Morgens bei der glimmenden Importzigarre das Durchblättern der Zeitungen, ein interessanter Fall in der klinischen Wochenschrift; dann die Dusche, die Toilette umständlich wie bei einer Dame, pünktlich um zwölf das Dejeuner. Nachmittags beinahe dasselbe Programm mit der seltenen Variation einer Eisenbahnfahrt nach Berlin; statt der Toilette der Schlaf. Zuweilen, wenn Lerden einsam beim Diner saß in seinem altdeutschen, äußerst vornehm eingerichteten Zimmer, und die schweren Regentropfen an die gemalten Fensterscheiben schlugen, hatte er Anwandlungen von Katzenjammer über dieses unthätige Leben. »Ich habe Anlage zum Spleen!« war das Resumé, denn weder der heulende 53 Lokomotivenpfiff, der durch die rauschenden Regenwasser zu ihm herüberdrang, reizte ihn, noch die Fülle von feingestochenen Einladungen auf der Kartenschale. Er blieb die Nächte lange auf. Schriftstellerische Versuche, die Lektüre des neuesten Maupassant, manchmal etwas graue Wissenschaft – nicht zu viel – seine Nerven litten darunter. »Was thut's? Früher oder später . . .« Feige war er nicht!

Als der Schnee im Park wie schmutziger Krystallzucker durch die blätterbedeckten Wege schimmerte, ließ er seine Pferde vom Schiffbauerdamm kommen An seinen einsiedlerischen Gewohnheiten änderte dieser Vormittagsritt auf dem Trakehner wenig, nur die paar Straßenjungen regten sich auf, wenn das schöne, glänzende Tier vorgeführt wurde. Sonst sahen ihn auf den Reitwegen des Grunewaldes, dessen Ausläufer fast an seinen Park grenzten, höchstens die alten Holzweiber und verschlafenen Strolche, die in diese einförmige Kiefernlandschaft mit ihrer mürrischen Stille sehr gut paßten.

Aber einmal – es war ein Vormittag im Frühling, lau, luftig – verführten ihn die blinkenden Helme und das muntere Schwatzen der »Franzer«, die von einer Felddienstübung zu Hause marschierten, ein gutes Stück mitzureiten. Die bewundernden Blicke der Offiziere für sein Rassepferd schmeichelten ihm. Als er am Kurfürstendamm umdrehen wollte, 54 fiel plötzlich die Musik ein. Der Trakehner ging à travers, bäumte und erwiderte jeden Sporendruck durch einen Seitensprung. Es war ein hübsches Schauspiel: das tänzelnde, nervöse Pferd, wie es, den kleinen Kopf mit den feurigen Augen ganz angezogen, schnaubte und schäumte – und dieser elegante Reiter, der, die Kandarenzügel ganz kurz, leicht seitwärts gebeugt, vergebens seiner Herr zu werden suchte.

»Du hast deine Eigensinnsfalte auf der Stirn, Gert; da geht's nie!« sagte plötzlich eine Stimme auf dem Bürgersteig. Da verstummte auch grade die Musik. Das Pferd stand, zitternd, mit großen, ängstlichen Augen. Lerden drehte sich um. »Du – Lo? welch glücklicher Zufall! – Warte!« er war schon mit einem Fuß aus dem Bügel.

»Wozu – Gert? Bloß um mich zu begrüßen . . . das kannst du auch vom Sattel aus haben. Ich bin ja groß genug!«

»Und dir geht's gut? – Ich hätte dir schon einen Besuch machen sollen, aber du weißt ja, ein bißchen Nonchalance . . .« Er machte sein liebenswürdigstes Gesicht. »Euer Spree-Athen bekommt mir nicht. Ich habe mich schon auf meine Landgüter zurückgezogen. – Ein bißchen verrückt – was?«

»Du bist so lange unter den Wilden gewesen, mein guter Gert . . .«

55 »Daß ich selbst so ein Halbwilder geworden bin? Ach nein! Die gute Schule des ›Salons‹ hält vor.«

»Na, na!« Sie drohte mit dem Finger. »Aber wenn du mich versöhnen willst, kommst du ein paar Schritte bis zu unsrer Wohnung mit.«

»Und mein Pferd?«

»O, wir werden schon jemand finden zum Halten. Wir, F. Rinow und Gemahlin, sind leider noch nicht in der Lage, sich solch noble Passionen gestatten zu können. Aber so ein schönes Pferd vor unserm Hause auf und ab geführt – das stärkt den Kredit!«

*

Lerden mußte sich durchaus auf die Chaiselongue mit dem Büffelfell setzen. Dann holte sie Zigarren und steckte sich selbst eine Zigarette an. »Als wenn du in einem Indianerwigwam wärst, nicht wahr? Aber es soll eine wirkliche Friedenspfeife sein!« Dabei blies sie mit gespitzten Lippen den Rauch von sich. Er freute sich an ihrem pikanten Gesichtchen und der drolligen Weise, wie sie seine Orientreise besprach. »O Gert, ich kenne dich! Die Weiber . . . Hast du deinen Harem mit?« Das klang so frivol, aber es stand ihr. Mit ihr konnte man doch wenigstens deutsch reden! Er hatte ihr gegenüber immer das Gefühl gehabt, als wenn sie sein guter Kamerad wäre.

In dem sehr sorgfältig aufgeräumten Zimmer war es ihm sehr heimisch. Zum Ueberfluß holte sie 56 eine blitzende Tablette mit Wein und Gläsern herbei. »Marsala! Was wir lieben! Stoß an, Gert!«

Wie angenehm sie alles zu machen verstand! Sie mußte eine gute Hausfrau sein . . . Jetzt erst dachte er daran, daß sie verheiratet war. »Ihr seid wohl verdammt gelehrt?« fragte er mit einem Blick auf die Bücher und die vielen Journale auf dem Mitteltisch, während sie mit Interesse seinen Trakehner betrachtete, der gerade kurbettierte.

»Ja, ja, gelehrt! Ich lese ihm jeden Abend eine Stunde vor, und er blinzelt auf der Chaiselongue mit den Augen dazu. Das ist unsre ganze Wissenschaft!«

Aus ihrem herzlosen »Er« erriet er so ziemlich die ganze Liebesgeschichte. Aber es machte ihm ein grausames Vergnügen, sie etwas zu quälen. »Ihr Verheirateten seid doch recht glücklich! Jeder sorgt für den andern; man verliert den Egoismus . . .«

Ein spöttischer Blick ihrer dunkeln Augen traf ihn. »Warum du so etwas redest, Gert? Als ob du das Leben nicht zur Genüge kenntest!« und ihren frivolen Ton anschlagend: »Liebesheiraten haben für mich immer einen Beigeschmack von Kartoffeln mit Salz. Ich habe nie dafür inkliniert. – So ist es besser. Er liebt mich, ich habe ihn ganz gern, und wir werden wohl in Ehren ein sehr hohes Alter erreichen.«

57 »Vielleicht,« sagte er skeptisch und schnippte die Asche seiner Zigarre geschickt in den Becher. »Die großen Aufregungen bleiben einem da im allgemeinen erspart – höchstens den Magen ruiniert man.«

»Gert, du bist gottvoll! Wieso?«

»Weil ich schon lange auf den Gedanken gekommen bin,« näselte er, nachdenklich an seiner Zigarre ziehend, »daß unsre Magenleiden hauptsächlich auf unsre moderne Ehe zurückzuführen sind. Es bleibt einem da re vera nichts übrig, als den Magen zu poussieren.« Er hatte die Gewohnheit, sein wahres Gesicht unter irgend einem Cynismus zu verstecken. Er täuschte sie vollkommen. »Pfui Teufel! Ihr vom ›Salon‹ gehört alle auf die Straße!« Das war seine wahre Meinung. Er schlürfte nachdenklich seinen Marsala und dachte dabei an eine andre, die einer solchen Frivolität nie fähig gewesen wäre – an ihr süßes Gesicht und an ihre »katholischen« Augen, die ihm einst gelächelt und dann in einem edeln Feuer ihn angesprüht hatten. Ah! diese Empörung, die darin lag! ›Aber wozu sich aufregen?‹ Das war abgethan.

Wenn die hübsche Lo gewußt hätte, welch doppeltes Gesicht dieser Lerden hatte! Aber sie traute ihm gar keine Gefühlsduseleien zu.

»Warum kommst du eigentlich nicht mehr in den ›Salon‹?«

58 Er hatte keine Lust, eine Lüge zu sagen. »Weil es mir nicht mehr paßt.«

»Mir auch nicht! Aber wir haben jetzt eine famose Acquisition gemacht.«

»Ah! Euer Graf? Ich verstehe! Natürlich hat er etwas pecciert. Auß. Abg. taxiere ich . . .«

»Jedenfalls hat er Talent,« entgegnete sie trotzig und trommelte auf dem Tisch.

»Meinst du? Ich habe seine Novelle gelesen . . . passabel. Aber daß sich der ›Salon‹ darüber so aufregt! Seid ihr denn ganz des Teufels . . . Du auch, Lo? Ich sah deinen klugen Kopf bei Schellaggs bombastischer Kritik ordentlich zwischen den Zeilen hervorlugen. Vornehmer Realismus . . . tief empfunden. Es muß mit dem ›Salon‹ sehr abwärts gehen, wenn ihr solche Aushängeschilder braucht!«

»Aushängeschild?« Sie erregte sich bei der Debatte. »Du kommst von der andern Seite des Erdballs, das merkt man.«

Er lächelte. »Sollte mein Urteil wirklich so gelitten haben? Oder deins? Ihr mögt eure geheimen Zwecke haben; der ›Salon‹ braucht etwas Neues, Modisches, wie ihr eine neue Frühjahrstoilette, und wenn ihr euch die nicht leisten könnt, so laßt ihr euch ein altes Fähnchen auffärben, stutzt es nach der neuesten Mode zu, sagt aller Welt: ›Es ist neu, bei allen Heiligen!‹ und glaubt schließlich 59 selbst daran. – Graf! das umnebelt euch auch die Sinne.«

Sie schwieg und dachte nach. Seine kühle Art, das Ding beim rechten Namen zu nennen, machte Eindruck. Was sollte sie sagen? Die Wahrheit? Jamais! Sie ging zur Korridorthür und inspizierte den halbdunkeln Raum, während er ihr verwundert nachsah. »Wenn du die Wahrheit wissen willst, Gert, er ist arm, elend!« Und nun entwarf sie ihm eine lebhafte Schilderung dieses traurigen Schicksals. »Ein Talent, weiter nichts. Ich weiß das am besten. Aber sollte ich ihn gehen lassen mit einem bequemen ›Es thut mir leid!‹ wie einen Bettler? Andre hätten es gethan. Aber man hat doch ein Herz . . . und das Ungewöhnliche reizte mich. Es mag auch Eitelkeit dabei sein. Denn im ›Salon‹ kann ich ja die Meinung machen, wie ich will. Früher hat es mich amüsiert; jetzt, wo es ernst wird, wo ich helfen kann, empfinde ich es wie eine Wohlthat.«

»So, so! Die neueste Form von Wohlthätigkeit! Ihr lockt dem Publikum sehr unnötig das Geld aus der Tasche. Freilich, das ist seine Sache . . . Nichtsdestotrotz ein hübscher Zug, meine hübsche Lo! Ihr Weiber habt in den tausend Fältchen eures Herzens immer so viel Gemütlichkeit und Schlauheit, daß ihr uns sehr über seid.«

»Ehrt mich!« – Ihr spöttisches Naturell brach 60 sich wieder Bahn. »So heirate doch! Allein schon die Freude der Mutter. – Das Leben ist doch eine reizende Komödie!«

»Das werde ich hübsch bleiben lassen,« meinte er leichthin und schlug sich mit der Reitgerte an den modischen Lackstiefel. »Aber deinem Grafen werde ich vielleicht einen Besuch machen. Meine Protektion ist zuweilen auch etwas wert.«

Er brach auf. Sie begleitete ihn bis zu seinem Pferde. Der Trakehner war unwirsch über das Pflastertreten und wollte nicht aufsitzen lassen.

»Laß ihn nach Hause führen und bleib bei uns zu Tisch!« riet sie.

»Weil der Gaul will? Nein, meine Gnädigste. Ich habe eine leichte Hand, aber . . .« er ballte lächelnd die Faust, daß die Nähte des roten Reithandschuhs krachten, »aber sie kann auch verdammt hart sein. Lassen Sie die Zügel los!« Er war mit einem geschmeidigen Sprung im Sattel. »Adieu!«

»Adieu! Vergiß den Grafen nicht!« Und sie sah noch eine Weile bewundernd dem schönen Halbblut nach, wie es in einem wunderbar gestreckten Galoppsprung über den aufwirbelnden Sand des Kurfürstendammes flog. 61

 


 


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