Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Siebentes Kapitel.

Man sagt, daß in jedem Verbrechen etwas Entnervendes liegt. Seitdem waren Monate vergangen. Es war Herbst, ein mürrischer, neblicher Herbst. In den ersten Wochen nach dem Zusammenbruch der »Firma Rinow« ging es am Kurfürstendamm oft sehr stürmisch zu. Da kamen Gläubiger, ohne die Ueberschuhe auszuziehen, ohne den Cylinder vom Kopf zu nehmen, ja ohne anzuklopfen in Fritz' Arbeitszimmer. Doch ihre brutalen Bemerkungen: »Ja, warum haben Sie mich denn noch acht Tage vorher angepumpt, wo Sie doch schon ganz genau wußten? Wir werden Sie schon kriegen, Sie Schwindler, Sie!« – trafen den furchtbar gealterten Mann, der an seinem Schreibtisch nur nervös mit den Füßen scharrte und seine erregten Entgegnungen mit lächerlichem Umherfuchteln der knochigen Hände begleitete, lange nicht so schmerzlich als die Besuche der Kleinen. Zum Beispiel die Frau des 154 Flickschusters, die zuweilen mit dem blaßwangigen Kinde auf dem Arm im Korridor stand und vertraulich sagte: »Na, acht Mark werden doch noch da sein, und wir brauchen es sehr nötig.« Oder der bucklige Korbmacher, der, fortwährend hustend, über die Reichen tobte. Es kamen viele dieses Genres; eine Lampenschirmmacherin, ein Buchbinder, eine entsetzlich vermagerte Stickerin, in deren weißen, durchsichtigen Ohren eine ganze Geschichte des Elends und des Hungers zu lesen stand – alle in der Ueberzeugung, daß man doch ein Erbarmen haben müsse mit den Unglücklichen, die ihren Verdienst nach Groschen und Pfennigen rechneten, und die so mitleidlos von dem großen Krach verschlungen wurden. Das sind die wahrhaft tragischen Typen, die »Kleinen«, weil etwas echt Menschliches, Unmittelbares in ihren Hungergestalten und lächerlich kleinen Forderungen liegt. Wir können Millionen verlieren und alles starken Herzens über uns zusammenbrechen sehen, aber der Augenblick, wo man den abgescheuerten Rohrstuhl unsers Kindes, an dessen zerkreilten und verbogenen Seitenlehnen man die dicken, rosigen Finger noch unermüdlich auf und ab rutschen zu sehen glaubt – zur Auktion hinabträgt, zwingt uns, mit zitternder Hand nach den feuchten Augen zu tasten.

Frau Lo faßte alles ziemlich humoristisch auf. »Frauchen, gehen Sie nur wieder! Sie versäumen 155 sich hier ganz unnötig!« sagte sie zur Schusterfrau. Und wenn sie den großen Herren in dicken, flockigen Ueberziehern mit starker Stimme und gebogener Nase ihr ruhiges: »Ziehen Sie wenigstens die Gummischuhe aus! Sie machen ja den Teppich schmutzig!« zurief, so klang das so drollig-ernst, daß die »bedrippt« oder knurrend abzogen.

Zuweilen ließ Fritz durchblicken, daß sie doch eigentlich auch ihr Vermögen und die kostbare Einrichtung in die Masse werfen müßte, um die Prozente zu erhöhen; doch in ihrer vernünftigen Art wies sie ihn zurecht. »Das würde ein Prozent mehr sein, und ich könnte im Tiergarten Blätter harken helfen. Du hättest eben nicht so hoch spielen sollen, mein Lieber!«

*

Allmählich kam die alte Einförmigkeit in das Leben der Familie Rinow zurück. Die Gläubiger hatten einen Accord bewilligt, aus dem Schiffbruch wurde manches gerettet. Nur der einzige, dessen Energie das Entschwundene hätte wieder erringen können, konnte nicht mehr. Die bis zum letzten Moment des Riesencoups zäh gebliebene Kraft war gebrochen, und es lag etwas unendlich Trostloses in den unzähligen Versuchen dieser Ruine, die alte, 156 rastlose Arbeit wieder zu beginnen; immer sank er wieder matt zurück.

Der Graf war fast täglich im Hause. »Sie sind uns ein guter Freund in der Not gewesen!« sagte sie offiziell, und alle stimmten eifrig zu. Denn den Skeptischen, die ein »Verhältnis« dahinter witterten, schloß das achselzuckende: »Aber sagen Sie doch selbst, diese Frau? Er konnte ja niemals mit ihr auf die Straße gehen,« der meisten den Mund.

Der Graf litt schwer unter diesem Verhältnis, das beinahe die nüchterne, gleichmäßige Form einer Ehe angenommen hatte. Morgens, wenn er kam, auf dem halbdunkeln Korridor der konventionelle Kuß, in dem nichts von dem fieberhaft verlangenden der Leidenschaft glühte. Er blieb ganze Tage da. Fritz Rinow lag auf einem Sofa im Nebenzimmer in dem wachen Schlummer solcher Kranken. Doch selbst, wenn er argwöhnisch durch die Thür gelauscht hätte, er würde aus dem ruhigen Gespräch über Litteratur oder Tagesneuigkeiten nie etwas von Liebe haben durchzittern hören. »Was wollen Sie heute zu Mittag?« war so ziemlich das vertraulichste, was sie sich diesem selbstlosen Hausfreund gegenüber schon gestatten konnte. Der Graf wurde dick; ein breites, rotes Gesicht, in dessen blauen Augen auch bei Frau Los niedlichsten Bonmots nie etwas wirklich Vergnügtes blitzte. Oft war er Mittagsgast. Ein 157 langweiliges Diner! Sie waren wirklich einander ähnlich, Fritz Rinow und der Graf. In beiden Gesichtern ein Zug des Leidens und der Apathie. Dabei aßen sie viel. Rinow mit der charakteristischen Gier solcher Kranken, die gerade dies Krankhafte für gesund halten; mäßig wie er war, trank er nur Wasser, und es ging Frau Lo kalt durch den Körper, wenn er das Glas eine Weile in der heftig zitternden Hand hielt und dann mit deutlichem Gurgeln hinuntergoß. Dagegen trank der Graf viel von dem Moabiter Klosterbräu zu der guten Hausmannskost, deren Zubereitung jetzt Frau Lo aufs sorgfältigste überwachte.

Am ödesten aber waren doch jene Spätnachmittage, die man in Rinows Arbeitszimmer verbrachte. Eigentlich war es wunderbar gemütlich. Nur der Kamin brannte, und sein rotes Licht spielte ganz gespenstisch aus den goldbedruckten Einbänden des Bücherregals, auf der Chaiselongue, wo man bald Fritz Rinows graublasses Gesicht, bald seine behaarte Wachshand erblicken konnte. Lo und der Graf saßen am Kamin wie in alten Zeiten, beinahe in derselben Attitüde. Draußen wehte der Wind, der hohle Lokomotivenpfiff drang herüber, das schwere Rollen der Stadtbahnzüge zitterte durch das Haus, und man glaubte den Dampf zu riechen, der in der regenschweren Luft bis zum Erkerfenster kroch. Niemand sprach. 158 Es war der Ehebruch in seiner entnervendsten Form. Auf der Chaiselongue der nichtsahnende Gatte, der, sich hin und her wälzend, immer wieder alle Phasen des Riesencoups durchging und, weil er keinen Rechenfehler entdecken konnte, leise über sein Elend stöhnte. Die beiden vor dem Kamin ganz phantastisch beleuchtet: Frau Lo mit weitvorgestrecktem Fuß, daß man die wunderbar feine, in dem durchbrochenen Seidenstrumpf doppelt reizvolle Fesselung bewundern konnte, mit ihren Gedanken weit weg, in ehrgeizige Träume eingewiegt. Denn erst jetzt im Elend zeigte sie jene biegsame, keinen Mißerfolg scheuende Energie, welche den Redakteuren, der Kritik, dem »Salon« alle möglichen Zugeständnisse abzwang, um den Geliebten bis zur Unsterblichkeit hinauf zu bugsieren. Jedenfalls war es ein eigentümlicher Dankesblick, kritisch-kühl, den er zuweilen verstohlen von dem Saffianpantoffel über das runde Knie, die hübschen Wellenlinien ihrer Büste bis zu dem anmutigen Ansatz des Halses und dem liebenswürdigen klugen Kokottenprofil gleiten ließ – so langsam, ein wahres Studium! Nur ein schnelles, haßerfülltes Aufleuchten war in seinen Augen zu bemerken, dem ganz unerhörte Gedanken folgten. Zuweilen trafen sich ihre Blicke, aber um rasch sich auf die hüpfenden Kaminflammen herabzusenken oder den grotesk-beweglichen Schatten in der Halbdämmerung zu folgen.

159 »Wann wird das enden?« Die träumerische Ruhe der Umgebung reizte ihn, weil sie ihn zu höhnen, ihm ironisch zu sagen schien: »Du wirst ja doch nichts ändern, mein Guter – also keinen Skandal!« Und er blieb ruhig. Jeder Pendelschlag der Rokoko-Uhr fand ihn schwerfälliger, apathischer. Es gab keine Rettung.

Die Zeit schlich. An einem solchen Abend wurde es dem Grafen klar, daß auch Frau Lo am Ende ihrer Kraft war. Ein langes, düsteres Schweigen war vorhergegangen. Da brach es durch.

»Fritz, wir könnten doch eigentlich einmal eine Gesellschaft geben!«

»Wie meinst du?« fragte er, sich aufrichtend.

»Eine Gesellschaft – natürlich nichts Offizielles, ganz zwanglos, ein paar alte Freunde.« Sie hatte das Gesicht verzogen wie ein gelangweiltes Kind und war offenbar gar nicht gewillt, die zornige Handbewegung des Grafen oder sein zwischen den Zähnen hervorgepreßtes: »Bist du denn toll?« zu verstehen.

»Ich verkomme nämlich vor Langweile, gewiß und wahrhaftig! Ohne dir oder dem Herrn Grafen zu nahe treten zu wollen. Ich will auch mal wieder lachen.« Sie log nicht. Und man konnte es diesem müde in dem Schaukelstuhl ausgestreckten Körper, dem blassen Gesichtchen mit der verdrießlich 160 herabhängenden Unterlippe wohl ansehen, daß sie die entnervende Langweile dieses unseligen, durch die schleichende Krankheit des Gatten unbestimmt sich ausdehnenden Verhältnisses satt hatte und als echtes Weltstadtkind nach Gesellschaft und Aufregung ordentlich dürstete.

Fritz Rinow war sofort einverstanden. Nicht etwa, weil er sich wohler gefühlt hätte – man brauchte nur seine unbeholfenen Bemühungen, von der Chaiselongue sich zu erheben, sehen – aber es war geradezu seine fixe Idee, nicht krank scheinen zu wollen. So machte er täglich mit den eigentümlich steifen Knieen und den ängstlich vorgestreckten Händen eine kleine Promenade, bis er auf den nächsten Stuhl fiel, aber nie, ohne dem Grafen oder Lo, die ihm zusprangen, ärgerlich zuzurufen: »Was wollt ihr eigentlich: Es geht ja viel besser?«

»Jawohl, Lo, das war eine gute Idee! Zerstreuung wird mir auch sehr gut thun.« Und er machte ein paar tappende Schritte nach dem Kamin. Es schnitt dem Grafen ins Herz. 161

 


 


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