Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Sechstes Kapitel.

Denn ich habe sie nie geliebt!« Es waren die letzten Worte seiner Tagebuchbetrachtung. Draußen wehte ein frischer Wind; die Gardinen an dem angelehnten Fenster flatterten. Eine kühle, gewürzige Luft drang herein. Der Graf war in der besten Stimmung. Während er den Rauch einer Henry Clay von gestern durch die Nase blies, erging er sich in die Phantasien über seine Zukunft.

»Ich werde mich hüten, ihr etwas von meiner Reise zu sagen. Eine kleine Verstimmung – man trennt sich da leichter. Und von Bord der ›Atlanta‹ datiert: Du siehst mich niemals wieder. Sei glücklich! – Sterben wird sie daran schwerlich!«

Der Gras wohnte jetzt eine Etage tiefer; es war ein Chambre garnie zweiter Klasse mit separatem Eingang. Ein geräumiges Zimmer mit dem charakteristischen Ameublement, dem roten, schlecht gebürsteten Plüschsofa, den wackligen Fauteuils und dem 138 ausgetretenen Teppich; am Fenster der beim Althändler erstandene Nußbaumschreibtisch mit den unverschließbaren Schubladen, die einen öligen Geruch ausströmten. Es herrschte die schönste Unordnung. Das Bett vor der Seitenthür war ungemacht, auf dem Sofatisch unter Büchern, Schlipsen, Zigarrenasche stand die Kaffeetablette. Ueber allem jene ganz bestimmte, aus Staub, kaltem Zigarrendampf und dem Odeur der Patschuliseife gemischte Atmosphäre eines unaufgeräumten Zimmers, welche durch den Luftzug vom Fenster her nur langsam sich verflüchtigte. Es klopfte.

»Wer ist da?« Der Graf vermutete den Briefträger. Es war elf Uhr.

»Ich!«

Er erkannte die Stimme nicht gleich. »Wer ist das ›Ich‹?«

»Ich – Lo!«

»Ah!« Er war so überrascht, daß er den Schlüssel nach der verkehrten Seite drehte.

»So beeile dich doch etwas!« Durch die Thür drängte sich schnell Lo Rinows hohe Gestalt hindurch. Es mußte etwas Schreckliches vorgefallen sein. So hatte er sie noch nie gesehen: grünblaß, um die dunkeln Augen blaue Ringe, das Haar unordentlich wie die ganze Toilette.

»Was ist vorgefallen?«

139 Sie brach in ein hohes, heiseres Lachen aus, »Futsch!« und auf einen Fauteuil beinahe taumelnd wiederholte sie nochmals:

»Futsch, futsch – alles futsch!«

»Aber wie hat er nur etwas merken können?« fragte er stotternd und ebenso blaß wie sie. »Ich bin doch so vorsichtig gewesen. Nichts Geschriebenes – kein Wort! Wer sollte uns belauscht haben?«

Sie sah ihn verständnislos an und schüttelte den Kopf. Doch bei einem Blick auf das unaufgeräumte Zimmer schien sie ihn zu begreifen. »Ah! Ihr habt wohl recht nett gefeiert gestern abend, und du hast noch nicht ausgeschlafen? Ich sage dir: Futsch – futsch! Verstehst du noch nicht?«

»Aber es ist vielleicht nur ein Verdacht, Argwohn?« fuhr er, beharrlich denselben Gedanken verfolgend, fort. »Es wird schon alles wieder ins rechte Geleise kommen! Beruhige dich nur, Kind!« Als er ging, um eine halbgeleerte Portweinflasche vom Schreibtisch zu holen, merkte er, daß ihm die Kniee schlotterten. »Hier nimm!« Er setzte das Weinglas vor sie auf den Tisch und nahm in der Sofaecke Platz.

»Verdacht? – Argwohn?« Endlich verstand sie ihn. »Unsinn! Dazu ist er ja viel zu dumm! Auf was für Gedanken du auch kommst!« fuhr sie kopfschüttelnd fort. »Wir sind ruiniert! Das ist schlimmer.«

140 »So erzähle doch!«

Sie wußte nicht recht, wo sie anfangen sollte, so wirr war ihr im Kopf. Erst als ihr Auge zufällig auf den Pfeilerspiegel gegenüber fiel, gab ihr das verfallene, in Stunden um Jahre gealterte Gesicht, vor allem aber die Thatsache, daß die Taille am Halse falsch zugehakt war und das kurze Haar unordentlich über die niedrige Stirn fiel, die Ueberlegung zurück.

»Wie ich nur aussehe! Gieb mir mal deine Taschenbürste, Hans.« Sie strich sich mit ein paar zitternden Strichen das Stirnhaar zurecht und ging dann im Zimmer mit mühsamer Haltung auf und ab.

»Aber es war doch leichtsinnig von dir, Lo, um diese Zeit zu kommen. Richtig ist das schwerlich. Wenn dich nun jemand gesehen hat!«

Die Aufregung kam wieder. »Wollt ihr mich verrückt machen mit eurer Moral? Denn weiter soll es ja doch nichts sein. Wenn es einem Manne schlecht geht, muß man erst recht bei ihm bleiben. Philister! Und wie ekelhaft mir jetzt der Mann ist! . . . O!«

Sie setzte sich in den Fauteuil. »Also . . . Mama hatte uns gebeten, das Fest in der Villa nicht mitzumachen. Eine barocke Idee! Aber man muß alten Leuten doch solchen Gefallen thun. Es war auch angenehmer wegen Fritz. Er will bei solchen 141 Gelegenheiten immer den Gesunden spielen. Und mit ihm zu tanzen als Gaudium für die Anwesenden – danke! Ich mache da auch leicht eine lieblose Bemerkung. Wir verlebten einen ganz netten Abend. Mama war auch bei uns und mein Mann ganz ausgelassen. Ob er nichts geahnt hat? Denn ich habe ihn noch niemals so viel von seinem langweiligen Aufschnitt essen sehen. Seit drei Jahren kein andres Abendbrot, das charakterisiert den Mann! Von dem folgenden weiß ich kaum etwas, nur daß es mich ganz ahnungslos traf.«

Und doch stand ihr die Scene so genau vor Augen, wie ihr Mann vor einer Stunde die Korridortreppe emporstieg. Dieser tappende Schritt, schwer, in ungleichen Zwischenräumen, daß sie eine Art Mitleid erfaßte! Und nun erst im Zimmer, ganz wie ein Betrunkener. Sie saß im Erker über ihre Handarbeit gebeugt. Erst als er stolpernd an den Tisch stieß, sah sie auf.

»Was ist denn los?« Sie erhob sich halb. Aber er arbeitete sich von Stuhl zu Stuhl tastend durch, und als er endlich den Tritt zum Erker überwunden hatte, war sie entsetzt. Das Gesicht gelb, den Unterkiefer mit dem Apostelbart herabhängend wie bei einem Schwachsinnigen, die wasserblauen Augen tot, ins Leere gerichtet. Doch bei der Berührung dieser klebrigen, kalten Hand erfaßte sie der 142 Ekel. Sie stand auf, weil sie zum erstenmal den lieblosen Gewohnheitskuß fürchtete.

»Nun, so sprich doch!«

Und er, ihre weiße Hand in der seinen pressend, sagte in Absätzen: »Nicht wahr, du wirst mich auch so lieb haben? Nicht wahr, Lo?« Sie stand auf, weil sie der physische Widerwillen vor diesem Schemen übermannte. »Nun?«

»Ich bin bankerott, Kind! Wir werden noch einmal anfangen müssen.«

»Bankerott?« Sie war eine Sekunde sprachlos, so traf sie der Schlag. Das Blut schoß ihr nach dem Herzen, und darauf fühlte sie eine so maßlose, gar nicht in Worte zu fassende Empörung über den »Betrug«.

Und als hätte der Graf dies ihr allein vorschwebende Bild auch sehen können, fuhr sie mit leiser Stimme fort: »Denn er betrog mich – mich allein! Ihm konnte es ja egal sein, ob er verlor oder gewann mit seinem Vabanquespielen. Wie lange hält er denn noch aus? Was würden ihm auch Millionen nützen?« Und mit jener Ungerechtigkeit, deren eben nur Frauen fähig sind, fügte sie hinzu: »Das durfte er überhaupt nie!«

»Aber Lo, du hast ja doch alles gewußt!«

»So? Habe ich das? Dann mußte er als Mann, der die Sache versteht, doch der Klügere sein. Das ist ein leerer Einwand.«

143 »Er hat dich nun einmal so geliebt, Lo!« Er wollte sie beruhigen und erreichte das Entgegengesetzte.

Sie sprang auf. »Quäl mich nicht! Du schreibst wohl einen Roman à la Marlitt? Ich gab ihm meine Jugend, er mir sein Geld. Doch die Wahrheit ist euch nie sentimental genug!«

»Und was willst du thun?«

»Weiß ich's?« Sie ging schweigend im Zimmer auf und ab und legte dann stehenbleibend ihre Hand auf die Schulter des Grafen. Er rührte sich nicht.

»Schatz, ich habe an jenen Abend gedacht, damals, weißt du, als du mich zum erstenmal küßtest!« Durch den Ton zitterte etwas Träumerischweiches.

Die Erinnerung war ihm nicht lieb. Dieser leichtsinnige Kuß, der sein Leben bestimmte! Der wonnevolle Schauder jener Stunde kam ihr jetzt mitten im Elend wieder zurück. Und sich ganz zu ihm herabbeugend, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Nicht wahr, du verläßt mich nicht?«

»Gewiß nicht!« Und doch hätte ein einziger Blick auf das aufgeschlagene Tagebuch vor ihm ihr die Wahrheit enthüllt. Warum regte sich bei ihr nicht die Neugierde? Aber auch ohne das würde sie bei nüchternem Sinn den Kontrast gefühlt haben, namentlich sie, deren Spott hier alles herauszufordern schien: das unordentliche Schlafzimmer, die bestaubten Möbel, dieser kalte Kuß, den der zusammengesunkene 144 Mann ihr flüchtig auf die blasse Wange hauchte. Und dort die verzehrende Wonne jenes Liebestraumes in dem wollüstig-dämmerigen Gemach; alles vornehm, reich, abgetönt wie die dicken Teppiche und die roten Reflexe vom Kamin auf den dunkeln Möbeln. Sie waren beide schon eine Etappe tiefer im wahren Zigeunertum.

»Ich habe nur an dich gedacht, mein lieber Hans. Du bist ja der einzige,« fuhr sie, seinen Kopf streichelnd, fort. »Vielleicht war es gut gemeint vom Schicksal?«

Sie wurde gegen ihre Gewohnheit sentimental, die hübsche Lo. Dazu log sie auch ein wenig. Aus Aufregung? Aus alter Gewohnheit? Denn wie sie ohne ein Wort, ohne ihn auch nur anzusehen, an Fritz Rinow vorbeigestürzt war, hatte sie einen einzigen Gedanken hinter der Stirn: fort! Dann war sie, den kecken Strohhut ganz aus dem Gesicht, ziellos umhergeschweift durch die Straßen, durch den Tiergarten. Tausend Gedanken schossen ihr durch das Hirn, gestaltlos, wirr, alles überflutet von einem dumpfen Wehegefühl. In den einsamen Wegen des Tiergartens – nach dem Gewitter hauchten die betropften, im herrlichsten Grün glitzernden Blätter einen starken, erfrischenden Duft aus; der gelbe Sand glänzte; feuchter warmer Dunst stieg aus dem wassergetränkten Erdboden und gab den 145 von einem kühlen, reinen Luftstrom durchflossenen Waldgängen etwas so Frisches, Neugeborenes – steigerte es sich bis zu einem Gefühl unendlichen Elendseins, das all die lockenden Vogelstimmen und rauschenden Blätter dieser friedlichen, leuchtenden Natur als hämische Freude über ein verlorenes Menschenschicksal deutete. Der Spiegel des neuen Sees blitzte herüber. Sie setzte sich auf eine Bank und sah in stumpfer Versunkenheit auf die gekräuselte Wasserfläche. Der »Unsterbliche« fiel ihr ein, und die stolze Herzogin, wie sie, über die Galerie ihres Schlosses gebeugt, die ruhigen Wasser der Loire an sich vorüberfließen sah und an eine verzweifelte Lösung dachte.

»O, das werde ich nie thun!« Und so seltsam sind die Gedankensprünge eines überreizten Hirnes, daß plötzlich, klar bis ins kleinste Detail, ihr eine Rachephantasie vorschwebte. Sie wollte zurückgehen zu Fritz, ihm die Wangen streicheln, ihn trösten. »Mein Freund, du mußt auf andre Gedanken kommen!« Sie wollte ihn selbst hinführen an den Kamin. »Dort auf jenem Stuhl lag ich in seinem Arm, Lippe an Lippe, Leib an Leib. Und du ahntest nichts, als ich so überschwenglich glücklich war an jenem Abend; dachtest wohl über dich und deinen guten Appetit, du alter Mann! Und das haben wir oft gethan, mon cher, beinahe vor deinen Augen!«

146 Durch die Büsche blitzte eine Uniform, ein leichtes Sporenklirren ward hörbar. Sie sah auf. Ein Paar kam vorüber. Er: ein Dragoneroffizier, ein leidlich-hübsches Filougesicht mit schiefer, schmaler Nase und langem, semmelblondem Schnurrbart; dabei in den grauen Augen so etwas Kühles, Zielbewußtes. Er hatte auch nur ein ironisches Nasenzucken dafür, als das bildhübsche Geschöpf an seiner Seite auf einmal erschreckt ihre mit dem Ehering geschmückte Hand aus der seinen zog, und auf diesem blassen, nervösen Gesichtchen das ganze Geständnis einer beim Ehebruch ertappten Frau lag.

»Jeder, wohin er gehört!« Sie folgte noch lange mit den Augen dem Paar, und in die Bewunderung für diese kleine, graziöse Figur mit den fast kindlichen Formen unter dem duftigen Sommerkleide mischte sich kein Gefühl des Mitleids für die Verführte oder der Verachtung für jenen selbstzufriedenen Burschen, der, ganz Modemann, schleppenden Schrittes, nachlässig gebeugt, sie so sicher zum Abgrund führte.

Auf einmal war sie nüchtern. Gehen wir zu ihm! Das Auskunftsmittel war ja so naheliegend, natürlich, daß sie sich über den langen, nutzlos zurückgelegten Weg wunderte. Aber wie sie so verständig noch die Einzelheiten überlegte – der riskante Gang in seine Junggesellenwohnung, die Auseinandersetzung, oder wenn er nicht da war – erschreckte sie die 147 logische Ruhe ihrer Gedanken doch einigermaßen. Sie war auf dem Punkte, eine zweite Herzlosigkeit zu begehen. »Es wäre doch am Ende . . . Jedenfalls ist es die einzige Rettung.« Um ihr Gewissen einigermaßen zu beruhigen, steigerte sie sich in eine krankhafte Begeisterung hinein. »O, er liebt mich! Ich thue da etwas, was er schon längst sehnsüchtig erwartete.« Die noch zuckenden Nerven thaten das ihrige. Zuletzt schien es ihr sogar eine Art Heroismus, daß sie mit einem Male alles beiseite warf, trotz engherziger Moral und der zum bösesten Klatsch verzogenen Lästermäuler. Sie war eine recht moderne Frau!

Und so sehr liegt der Sorte das Komödiantentum im Blute, daß sie ihre Rolle mit Verve, Gefühl, mit feuchtschimmernden Augen spielte und in der Aufregung alles vergaß, die verzweifelt nüchternen Motive, die bis zum Abstoßenden naturalistische Staffage dieses Liebesrausches, ja daß sie selbst Komödie spielte. Ob Lüge, ob Wahrheit, ihm war das so gleichgültig. Das Haus brach über ihm zusammen. Wie, warum; wer hat Zeit, danach zu fragen? Nur daß sie auch litt, war ihm eine melancholische Freude.

»Also alles ist aus?«

»Hast du denn nicht zugehört?«

»Ja, ich weiß nur nicht, was werden soll.«

148 »Werden?« Sie sah ihn befremdet an.

»Du kannst doch nicht hier bleiben, Schatz. Oder doch?« Er wunderte sich, daß er überhaupt etwas sagen und müde dazu lächeln konnte. »Das wäre ein sonderbares Brautgemach!«

»Ah! Wegen des Geldes? Wir leben ja nicht in Gütergemeinschaft. Ein Vermögen ist es freilich nicht; für den Anfang jedenfalls genug. Wir gehen außer Landes, weit weg, irgend wohin.«

Das war ihm denn doch zu viel. Das sollte das neue Leben, die fremde Welt sein! Die Aussicht brachte sein erstarrtes Blut in Wallung. »Und da sollen wir wohl von meiner Schriftstellerei leben? Eine kuriose Zumutung von dir, welche die Geschichte meines Ruhmes am besten kennt! Asphaltarbeiter, Pferdebahnschaffner, wenn's hoch kommt Kassendiener. Und du wirst mir jeden Mittag mein Essen im Topf bringen.«

»Welche Phantasie!«

»Die Wahrheit! Wenn du so ein Leben aushalten kannst – mir recht.«

»Das heißt also,« sagte sie, den Strohhut aufsetzend und die Nadel bedächtig vor dem Spiegel durchs Haar steckend, »daß du keinen Mut hast, nicht einmal den Wunsch . . . Man verführt, um zu verlassen. In einer Novelle nennst du das Blasphemie – im Leben? Aber ich bin dir darum gar nicht 149 böse,« fügte sie ruhig hinzu. »Man vertaxiert seine und andrer Gefühle. Gott, das wird mir noch oft passieren! Adieu, Hans! Es giebt noch andre Wege!«

Und anstatt mit dem einzigen ehrlichen: »Ich liebe dich nicht!« die Sache zu beenden, sprang er auf, ergriff ihre Hand, die schon den Thürdrücker gefaßt hatte, und zog Lo zum Fauteuil zurück. »Nein! So darfst du nicht gehen!« Der Schwächling! Wenn sie Gift nähme oder in den Kanal ginge, war sein erster Gedanke. Unnötige Angst! Von der todesmutigen Sorte war sie nicht. Aber den schwachen Herzen schlägt immer zur Unzeit das Gewissen. Er überhäufte sie mit Liebkosungen, mit Küssen. »Du sollst nicht umsonst an mich geglaubt haben! Was du alles für mich gethan hast! Wie wir zu einander stehen, das wissen wir beide allein.« Mit der Phrase umging er geschickt die Lüge.

Die hübsche Lo ließ ruhig alles über sich ergehen und durchschaute ihn nicht. Sie gehörte eben zu jenen Frauen, welche die Liebe nur aus Romanen kennen und darin nie weiter kommen.

»Im Roman Blasphemie – im Leben? Gemeinheit! Sprich das nur ruhig aus! Es trifft mich nicht.« Und mit der unnatürlichen Ruhe seiner Sprechweise standen die zitternden Finger seiner auf ihr dunkles Haar gelegten Hand im beredtesten 150 Widerspruch. Doch man soll nie den letzten Atout ausspielen in solchen Dingen. »Ich habe dir mein Wort gegeben als Edelmann – und wenn ich auch nichts wäre als ein bankerotter Zigeuner, ich werde es halten.«

Das kluge Köpfchen da ahnte gar nicht, wie richtig es gespielt hatte. Sein Wort brechen? Niemals! Denn mit jenem Eigensinn, der nun einmal der Charakter der Schwachen ist, hatte er sich in allem Elend seines Lebens an diesen vagen, äußerlichen Ehrbegriff gehalten. Und wahrlich, es war eine seltsame Ironie des Schicksals, daß gerade jener barock-ritterliche Zug seines Wesens, sein Grafenschild von allem reinhalten zu wollen, ihn dem wahren Zigeunertum in die Arme trieb.

Beim Weggehen sagte Lo, jetzt wieder ganz guter Stimmung: »Ich habe überlegt, lieber Schatz. Kein unerquickliches Schauspiel, das ist doch am besten. Die Zeit arbeitet langsamer, aber sicherer. Vergiß nicht, bald nach dem Kurfürstendamm zu kommen. Du sollst alles beim alten finden!«

Als sie leichtfüßig die Treppe hinabgestiegen war, sah sich der Graf verwundert im Zimmer um. Traum oder Wirklichkeit? Doch die kahle, ungemütliche Umgebung, ihr fröhliches: Auf Wiedersehen! das ihm noch in den Ohren klang, zwang ihn zu einer nüchternen Auffassung. »Jetzt ist es 151 wenigstens fertig.« Aus dem Hangen und Bangen endlich einmal zu einem unentrinnbaren Entschlusse gekommen zu sein, hatte für ihn etwas Beruhigendes, so daß er mit automatenhafter Accuratesse zum letzten Besuche in der Lerdenschen Villa Toilette machte.

*

Es war eine kurze Unterredung.

»Ich kann nicht.«

»Warum?«

»Es ist unnütz, danach zu fragen, weil ich es weder sagen kann noch will.«

»Ich bin Ihr Beichtvater nicht.«

»Adieu! Und seien Sie mir nicht böse!«

»Adieu!«

Als sie sich in der Thür die Hand drückten, sah Lerden dem Grafen noch einmal prüfend ins Gesicht. »Es war eine hübsche Phantasie, cher comte!« Und weil er ein schmerzliches Zucken in dem Gesicht des andern gewahrte, fügte er herzlich hinzu: »Ich kann Ihnen nicht helfen? Mein Einfluß reicht zuweilen sehr weit. Wenn also eine Möglichkeit ist?«

Es war eine starke Versuchung. Vielleicht, daß diese mächtige Hand noch einmal alles entwirren konnte. Doch war es Scham über die eigne Schwäche, Feigheit – der Graf schüttelte den Kopf. Lerdens Rat: Sie werden sich doch nicht für ein 152 Frauenzimmer aus dem »Salon« oder einen ganz falschen Ehrbegriff opfern, wußte er im voraus. Und er wollte sich den einmal gefaßten Entschluß nicht entreißen lassen.

»Trotz alledem, mein Herr Graf, bedenken Sie stets, daß hier einer vor Ihnen steht, der Sie gern hat und dem auch in Zukunft kein Opfer leicht zu groß wäre, wenn Sie seiner je bedürfen sollten.«

»Das weiß ich!« erwiderte der Graf schlicht.

»So vergessen Sie wenigstens meine Villa nicht ganz! Vorläufig bleibt hier alles beim alten. Bis der Verkauf oder so etwas endgültig geregelt ist, können noch viele Monate hingehen. Die Pferde werde ich so wie so behalten, weil ich mich von den Tieren schwer trennen könnte. Unterdessen benutzen Sie meinen Marstall und meine Villa, so oft Sie wollen!« 153

 


 


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