Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Zwölftes Kapitel.

Melden Sie mich der gnädigen Frau!«

»Gnädige Frau ist sicher zu sprechen!«

Es machte den Grafen etwas stutzig, dieses gewandte Berliner Stubenmädchen, in dessen keckem, lächelndem Gesicht noch ein ganz andrer Kommentar zu liegen schien. Warum kam er so oft? Aber er hatte ein Gewissen, das sich schnell beruhigte. Sie würde nie eine Thorheit begehen! Und er? O, er kannte doch die Frauen, und die Verhältnisse hatten ihn ja mit dem nötigen Skeptizismus gewappnet, um unverwundbar zu sein. Was er hier suchte, war ja nicht sie. Ruhe, Einsamkeit. – Er fühlte sich heimisch in diesen kleinen, anspruchslosen Zimmern mit den alten, vertraulich blinkenden Möbeln. Man vergißt. Und er schlürfte ihn in kleinen, ängstlichen Zügen, diesen Trank des Lethe und der Gesundung.

Mit schweren Regenböen peitschte der Herbst die Fenster, ließ das Feuer im Kamin unruhig hin 208 und her flackern und lächelte dann wieder aus seinen grauen, kalten Nebeln so melancholisch heiter. Der gute Graf kam sehr oft und hatte zuweilen merkwürdige Hallucinationen. Vor allem nach jenen stimmungsvollen Nachmittagen auf der Veranda mit der bleichen Herbstsonne, dem welken Laub und jenem müden Flüstern, das wie eine Todesahnung die Natur durchzittert – wenn dann die fahle, schnelle Herbstdämmerung sie einhüllte. Kein Laut! Die Brandungswellen der Weltstadt reichten nicht bis hierher. Da spielte des Grafen Phantasie. »Du sitzest hier in einem kleinen, weltverlorenen Nest mit ihr, die dir gehört, und niemand kann dich finden, Glücklicher! Das andre aber ist nur ein häßlicher Traum.« Erst der gedehnte, heisere Pfiff des Zuges riß ihn unsanft in die sorgenvolle Wirklichkeit zurück. »In zehn Minuten kannst du in Berlin sein!« Dann erschien ihm auch sein hübsches Frauenideal in einem andern Lichte. Wie ruhig, wie sicher sie war! Und dazu paßte sehr gut eine gewisse freundschaftliche Vertraulichkeit, deren Grenze nie gestreift wurde. Die Professorin war eine keusche, etwas schüchterne Natur, weich, ohne sentimental zu sein, und der Graf merkte es ganz gut, wie sie allen gefährlichen Gedanken vorsichtig den Schild ihrer kleinbürgerlichen Moral entgegenhielt.

Ob die hübsche Lo etwas ahnte? Vielleicht. 209 Denn der reizbare, mürrische Gesell am Kurfürstendamm machte ganz deutliche Versuche, das Netz zu zerreißen. Aber er hatte die Art der Schwachen, in kleinen Reibereien, Nadelstichen, Nergeleien seine Kraft zu verpuffen. Und das verfing nicht bei dieser spöttischen, geschmeidigen Natur, die keine Gelegenheit zu Scenen gab und seinen auffällig wechselnden Stimmungen dieselbe lächelnde Ruhe entgegensetzte. Ueber seine Besuche bei der Professorin sagte der Graf natürlich kein Wort. »Sie würde mir den Genuß sofort vergiften!«

Ob das ein Unglück gewesen wäre? Die beiden spielten ein gefährliches Spiel. Wie Kinder, die ein kitzelndes Verlangen verspüren, die auf den Holzscheiten hüpfende Flamme zu haschen – sie sieht so unschuldig aus und thut sicher nichts – und auf einmal lichterloh brennen, so spielten die beiden in der Villa mit der Leidenschaft. Ihn erfaßte sie zuerst. Anfangs wußte sie nicht, was das zu bedeuten hatte, diese Einsilbigkeit, diese abgebrochenen Sätze, die aus einer vertrockneten Kehle kamen. »Warum kann er mir nicht mehr ins Auge sehen?« Und als sie endlich erriet mit der Feinfühligkeit der Frau, aus einem einzigen Blicke, den er verstohlen auf sie richtete und darauf, wie auf einem verbotenen Wege ertappt, rasch senkte, fühlte sie sich zu sicher oder zu schwach.

210 ›Ich verstehe nicht, wie Frauen sich wegwerfen können! Man hat doch Pflichten!‹ Als wenn der Appell an eine hausbackene Moral eine wirkliche Leidenschaft bannen könnte! Noch glaubte sie es. Und wie um in der Charakterstärke sich zu üben, schrieb sie täglich lange Briefe an ihren Gemahl.

»Du kommst hoffentlich bald zurück. Dein Bericht über die etruskische Base hat mich sehr interessiert. Aber es wäre doch besser, wenn Du mir mündlich mehr mitteilen könntest.« Und gleich darauf erlag sie im Nachsatz der Schwäche. »Sei meinetwegen nur außer Sorge und bleibe!« Ob sie vielleicht auch fürchtete, ihm nicht mehr ins Auge sehen zu können?

In der Liebe war sie noch ein Kind. Wie wäre sie sonst darauf gekommen, dem Grafen einzelne Briefe ihres Gatten vorzulesen? Uebrigens recht unschuldige, langweilige, salbungsvolle Briefe.

»Ich kann allerdings verstehen, daß Du Dich nach einem direkten und innigen Austausch der Gedanken sehnest. Und wenn ich auch im Lande des Frühlings nicht jene Leere empfinden kann, welche Du unter den dicken Herbstnebeln der Mark naturgemäß ohne mich empfinden mußt, so denke ich doch oft und mit Sehnsucht an unser glückliches Zusammenleben. Die klugen Dummköpfe, welche da behaupten, daß große Verschiedenheit des Alters höchstens eine 211 eheliche Kalthaustemperatur gestatte, möchte ich auf Dich verweisen! Solche Briefe wie Du schreibt man nur . . .«

Bei der Stelle hielt sie inne. »Das folgende würde Sie schwerlich interessieren.«

Und der Graf, vom Gifte des »Salons« infiziert, ergänzte den Schluß, verstand dieses plötzliche Abbrechen. ›Sie liebt ihn nicht!‹

Doch ehe er noch weiter schließen konnte, erinnerte sich die Professorin ihres besseren Selbst. »Ich habe meinem Mann noch gar nicht geschrieben, daß Sie jetzt öfters kommen, Herr Graf. Das Wichtigste vergißt man.«

Er richtete sich im Fauteuil ein wenig auf. »Und ist das nötig?«

»Um Mißdeutungen zu vermeiden.«

»So plötzlich die Angst? Aber thun Sie es auf jeden Fall!« Auch ihm kam die Besinnung zurück. ›Genug, daß ich allein unglücklich bin. Warum andre noch mitziehen? – Und wenn ich es doch thäte, thun müßte?‹ Niemand kann über sich selbst hinaus. Wie die Wellen einer schweren Sturzsee wogten die Gefühle über den Schwächling hinweg. ›Ich will nicht – nein! – nein!‹ Und aus seinem gequälten Herzen rang sich eine gar nicht zum Unterhaltungsthema passende Aeußerung ganz unvermittelt empor. »Man lebt nur einmal!«

212 »Nur einmal!« wiederholte sie. Sie verstanden sich.

Das Gespräch stockte, wurde dann wieder gezwungen lebhaft bei einem ganz gleichgültigen Gegenstande – der kindische Versuch, etwas zu verschleiern, was man bereits enthüllt hat. Ihre Augen wichen sich geflissentlich aus. Es war ganz die Situation von zwei Menschen, die sich in derangierter Toilette plötzlich begegnen und sich darüber schämen, ärgern, obgleich sie halb unbewußt diese Begegnung selbst vorbereitet haben. Dem Grafen drängte sich sofort die Frage auf: ›Soll ich leichtsinnig sein – oder nicht?‹ Aber die Frau war im Augenblick entschlossen, es um keinen Preis zu sein. Sie grollte dem Grafen, sich selbst noch mehr, die es so weit hatte kommen lassen. Was zwischen ihnen beiden in der Luft geschwebt, unklar, nebelhaft, jetzt hatte es sich zur bestimmten Form zusammengeballt: Ehebruch! Am gedankenlosen Spiel mit aufkeimenden Gefühlen hatte sie sich ergötzt. Auf einmal sah sie klar und ganz nahe die Möglichkeit des häßlichsten Fehltritts vor sich – und fuhr erschrocken zurück.

*

Einige Tage später kam der Graf wieder. Das Mädchen zuckte lächelnd die Achseln. »Gnädige Frau ist nicht zu Haus!« Und doch hatte er soeben Marie 213 deutlich hinter den Gardinen des Verandazimmers gesehen. »Dann nicht!« Er hatte verstanden und wiederholte den Besuch nie mehr. Auch er bebte vor der Sünde zurück, gerade weil er diese Frau wirklich liebte. 214

 


 


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