Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Neuntes Kapitel.

Berlin, im Oktober.

Ich habe Ihren Auftrag ausgeführt, Herr Doktor Lerden; freilich war es nicht leicht. Ihren gräflichen Protegé konnte ich auch bei Frau Rinow nicht auftreiben. Vielleicht sein und mein Glück! Denn was ich da über ihn gehört habe, paßt auf Ihren »Kapitalmenschen« schlecht, auf einen adeligen Lumpen sehr gut. Ich bin ganz au fait und hätte ihm meine nunmehr unumstößliche Ansicht zweifelsohne ins Gesicht gesagt. Zum Spion passe ich nicht. Darum habe ich auch Ihren Auftrag, bei Frau Rinow über den soi-disant Grafen Silowstrem einige Erkundigungen einzuziehen, nur ungern übernommen. Was ihn hier hält, weiß ich. Sie fügten damals auf der Gare du Nord noch scherzend hinzu: Bringen Sie ihn mir tot oder lebendig; aber bringen Sie ihn! – Tot wäre jedenfalls besser. Doch ich langweile Sie mit meiner Einleitung.

173 Ich kam heute abend zu Frau Rinow und mitten in eine Gesellschaft hinein. Eine nette Gesellschaft! Sie, der Sie soziale Studien dieser Art lieben, werden sicher über die Zusammensetzung besser orientiert sein. Von der nicht abzuschüttelnden Schulfreundin und der buckligen Baronesse – jedenfalls eine Reminiscenz aus Frau Rinows Tauzstundenzeit und der begreiflichen Schwärmerei des Backfisches für Adel und Tanzsporn – bis zu der Kohlenhändlerswitwe, deren plumpe Finger mit dem aufdringlichen Brillantring man nur zu malen braucht, um sich das übrige Porträt zu ersparen – so ziemlich alles, was die Weltstadt bei solchen Gelegenheiten als ihr würdiges Strandgut auszuspeien pflegt. Schon wie ich kam: Dieser kleine Korridor mit der herabgeschraubten Gasflamme, der widerliche Patschuligeruch, den ein roter Damenmantel mit wertlosem Pelzbesatz ausströmte. Wir Künstler haben vieles durch den Instinkt. Und so wußte ich sofort, daß bei dieser auffallend großen Frau Rinow sich die Natur keinen schlechten Witz gemacht hatte, wie Sie meinten. Geist und Form harmonieren. Man nahm mich übrigens trotz meiner Künstlerschäbigkeit sehr zuvorkommend auf, vielleicht gerade deshalb. Ich war froh, daß das Abendessen im Berliner Zimmer schon vorüber war, die Herren waren meist im Giebelzimmer. Die Verbindungsthüren waren weit 174 geöffnet. Der Rauch der Zigarren zog langsam in dichten Schichten vorüber. Ihren Doktor Jäger erkannte ich sofort. Die Herren standen die Büchertitel musternd, gestikulierend, schlüpfrige Anekdoten austauschend. Der Salonapostel saß vor dem Mitteltisch, in seine Journale vertieft, und trank jedenfalls nur aus Zerstreutheit ein Glas Mosel nach dem andern, während er gedankenvoll die Zigarre in die Aschenurne stampfte. Wahrhaftig, ein Kopf zum Malen! Ihr Graf wurde auch noch erwartet, um elf Uhr oder später. Das ist wohl so eine »Salonlicenz«!

Ich war vorläufig überflüssig und hatte mich in der dämmerigen Ecke verkrochen. Rinow, der am Eßtisch präsidierte, saß mir gerade gegenüber. Wieviel Tage der Mensch wohl noch zu leben hat? Die Damen saßen in den verbrauchten Siestaposen gähnend, strickend, träumend – Frau Lo allein auf dem Sofa. Sie hatte den gelangweilten Zug um den Mund, der solch pikanten Gesichtern, die man nur im Feuer, plaudernd, geistreich, graziös die Grenze des Erlaubten streifend, sehen soll, etwas unendlich Schlaffes und Verlebtes giebt.

Eine Dame hatte sich ans Harmonium gesetzt und spielte als etwas schwere Verdauungsmusik eine Bachsche Fuge. Sie spielte gut. Sonst würde sie bei der Gesellschaft schwerlich diesen gläubigen, weltentrückten Ausdruck hervorgezaubert haben. Zigeuner 175 sind doch wahrlich keine Stimmungsmenschen. Aber diese mächtig schwellenden Accorde rissen sie doch fort. Es war Stimmung darin, eine schwere, feierliche, die auch Ihren Doktor ernst auf das Weinglas starren ließ. Die Lichter der Porzellankandelaber auf dem Harmonium flackerten. Wie in der Kirche! Und als ich auf das aschgraue Gesicht Rinows sah, wie er mit einem matten Lächeln, die Hände über der Brust gefaltet, die Augen halb geschlossen, den Tönen lauschte, kam es mir vor wie eine vorzeitige Totenmesse. – Ich suchte auch die Frau. Man kann an Frauenhänden zuweilen die dankbarsten Studien machen. Und diese weißen, hübschgeformten Hände, die nervös an den Fransen der Seitenlehne spielten, sagten mir mehr als die ausdruckslos auf Fritz Rinows Apostelgesicht gehefteten Augen. Hier konnte jemand etwas nicht erwarten.

Der Kommentar gab sich von selbst. Als die Töne verklungen waren, besannen sich die Zigeuner auf ihr eigentliches Selbst. Man erwachte, räusperte sich und zuckte die Achseln.

»Na, Herr Doktor?« sagte ein Herr. Die andern stießen sich lächelnd an und beachteten Jäger aufmerksam.

Der sah auf, und einen vorsichtigen Blick auf Frau Lo werfend, die durch ein lautes Witzwort die Reaktion zu beschleunigen suchte, murmelte er: »Wenn aber der Tröster kommen wird!«

176 Man verstand; die Köpfe fuhren zusammen. »Sie meinen also wirklich? – Der Graf . . . Das ist doch zu schamlos!«

»Geschmackssache. – Ja, ja, mein Junge,« fügte er kopfnickend hinzu, als wenn er zu Fritz Rinow, seinem Visavis, spräche, der noch der Fuge zu lauschen schien.

»Oft werden wir wohl nicht mehr das Vergnügen haben.

»Tabes dorsalis, meine Herren – letztes Stadium,« und ohne sich um den plötzlich doch ernst gewordenen Ausdruck der Gesichter zu kümmern, »als vielbeschäftigter Arzt wird man hart. Nur die Diagnose. Ja, wenn man sich um jedes alte Weib, das stirbt, grämen sollte . . . Ob sie wohl wohnen bleiben werden, wenn der da hinüber ist? Eigentlich das verständigste . . . Ist doch ein verfluchter Kerl der Graf!«

Ein verfluchter Kerl scheint er mir allerdings zu sein. Und darum, denke ich, lassen Sie ihn, wo er ist.

*

Es war über zwölf, als der Graf, jenem unerklärlichen Impulse folgend, welcher die Menschen immer wieder zum Orte ihres Verbrechens treibt, vor dem Rinowschen Hause am Kurfürstendamm stand. »Ob ich noch hineingehe? Man amüsiert sich auch ohne mich gut genug.« Die quietschenden 177 Töne eines Manopan erklangen. Man tanzte nach der abgedroschenen Melodie eines Gassenhauers. Durch die herabgelassenen Stores sah er schattenhaft die Gestalten der Tanzenden sich vorüberbewegen. »Sie hat gute Nerven.« Und wenn er sie erst gesehen hätte, die hübsche Lo, wie sie atemlos mit dunkelroten Wangen und blitzenden Augen, die Ausgelassenste von allen, über das Parkett flog, würde er nicht geahnt haben, daß dieser mänadenhafte Rausch gewaltsam erzwungen war. »Dies unerträgliche Doppelleben! Nur betäuben, betäuben!« Und doch war es sicher der beste Teil ihres Wesens, der sie im Lichterglanz, unter der lustigen Zigeunergesellschaft, wie wahnsinnig lachen, singen, tanzen ließ, während nebenan Fritz Rinow todmatt auf dem Sofa lag und wie im Delirium die Bachsche Fuge vor sich hin summte. Der Graf horchte lange. Der Nachtwächter ging nochmals an ihm vorüber. »Wohl ein Verliebter . . . Bei dem Wetter!« Durch das dunstige Gewölk starrte der blasse Mond und tauchte den Kurfürstendamm in sein fahles Licht. ›Daß ich diese Frau gerade heute treffen mußte! War es ein Fingerzeig des Schicksals, war es Hohn?‹ dachte der Graf. Sein Blick flog über die graue, schlafende Ebene. ›Weit da drüben, im Nebel versteckt, liegt auch ihr Haus;‹ und plötzlich drehte er sich um und ging fort. 178

 


 


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