Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Fünftes Kapitel.

Sie saßen in Lerdens Wohnzimmer: der Graf und Lerden. Die Markisen waren herabgelassen. Eine wohlthuende Kühle war in dem Gemach und ein träumerisches Halbdunkel. Eine vereinsamte Fliege summte auf der Fensterbank.

»Draußen ist es wie in der Wüste. Als wenn der Samum wehte!« Der Graf strich sich mit dem Taschentuch über die schweißbedeckte Stirn und schlug die bestaubten Reitstiefel zusammen, daß die Sporen klirrten.

»Warum reiten Sie auch an solchen Nachmittagen?« Lerden lag auf der Chaiselongue und studierte träge gähnend einen Sonnenstrahl, der das Zimmer in zwei dunkle Hälften teilte. Millionen von Staubatomen tummelten sich lustig darin.

»Weil ich's nicht ewig so haben kann,« ließ sich der Graf von seinem Rohrstuhl am Fenster vernehmen. »Nicht immer wird jemand so 99 liebenswürdig sein wie Euer Gnaden und mir den ganzen Stall zur Verfügung stellen. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen.«

»Kein Weihrauch!«

»Also ein ander Lied. – Wohnen da drüben nicht Ellers?«

»Jawohl; in einer von den buntglacierten Dutzendvillen. Ein netter Backofen zu dieser Jahreszeit. Der Mann hat mir sogar seinen Besuch gemacht. Ein zweifelhaftes Vergnügen. Diese Sommerfrischler sind überhaupt gräßlich.«

»Und sie kommt heute auch? – Ein fesches Weib! . . . und solch ein Mann dazu – eigentlich unglaublich.«

»Möglich . . . Aber immer die Weiber. Ich denke, wir wollten Siesta halten?«

»Jawohl.«

Mit der Siesta war es übrigens so eine Sache bei beiden. Jedenfalls wahrten sie die Illusion. Der Graf in seinem Rohrstuhl, gegen Lerdens Polizeiblick durch den auf das Fensterbrett gestützten Arm geschützt, schaute hier durch die nicht ganz herabgelassene Markise auf die weißen Rouleaux des Ellersschen Sommerasyls. Außer des Professors längster Perücke, die, ebenso farbig schillernd wie die Ziegelarabesken an den Fenstern, auf eine Weile sichtbar war, sah er nichts. »Wahrscheinlich ruht 100 sie auch. – Hoffentlich kommt Lo heute nicht. Vielleicht giebt's ein Gewitter, eine Sündflut, ein Erdbeben; mir egal!«

Er beugte sich vor und preßte die Stirn gegen die Scheiben. Mit dem Gewitter hatte es noch gute Weile. Der Himmel war mit durchsichtigem Hitzdunst überzogen, wolkenlos; die Sonne strahlte ganz weiß, unerbittlich. Kein Lüftchen regte sich. Die Blätter hingen welk am Gesträuch, und es war, als wenn die Luft über ihnen leicht flimmerte. Die Natur war matt. Unten in dem umgitterten Hühnerhof kauerten die Hühner apathisch, die Köpfe nach den schattigen Ecken gewandt. Nur die Fliegen fühlten sich behaglich; sie saßen in großen Klumpen auf dem Gitter und sonnten sich. Es war still. Vom Pferdestall her hörte man zuweilen ein Pferd ungeduldig scharren oder ein schweres Schnaufen. »Es wird kein Gewitter geben, oder es kommt zu spät,« entschied sich der Graf endlich.

»Gut! Wenn sie kommt, werde ich ihr alles sagen. Es ist beinahe der letzte Termin!« Ihr alles sagen? – Er hatte immer so gute Vorsätze, wenn sie weg war. Aber wenn sie kam, da lähmte ihm ihr Blick ordentlich die Kraft, und es gab keinen geduldigeren und feinfühligeren Liebhaber als ihn. Wegen der scharfen Entgegnung im Tiergarten hatte er sie schon lange um Verzeihung 101 gebeten. »Unnötig, mein Lieber! Deiner bin ich ja sicher.«

Wie sicher sie seiner übrigens war, das hätte sie aus dem verlangenden Blick lesen können, der auf den Fenstervorhängen der Gelehrtenvilla ruhte. Das war so eine Frau, wie sie ihm in der Phantasie schon lange geschwebt hatte, blond, hingebend, mit nicht zu viel Verstand, aber Herz. Es war ihm neulich wie Schuppen von den Augen gefallen bei jener Ovation, die im Grunde so schmachvoll für ihn war und ihn ganz zum »Akademiker« stempelte, der auch seinen Palmenfrack einem Paar schöner Schultern und einem süßen Mund verdankt. »Welcher Takt bei ihr!« Das war die rechte Frau. Und was sie da auch zischelten von einer kleinen Liebelei mit Lerden, wobei ihr Herz sich so stark engagiert hätte, daß der Weltmann sich lieber zurückzog, das war der grüne Neid gegen diese einzige Frau. Man brauchte bloß in ihre Augen geschaut zu haben, diese wunderbaren Blauaugen, deren Ausdruck, oft wechselnd wie der der See, doch immer rein und keusch war.

»Freilich der da,« – und er schielte vorsichtig nach der Chaiselongue herüber, wo nur ein hoher, weißer Kragen und ein in den Lichtstrahl gehaltener Maroquinschuh den Schläfer verriet – »war schon solcher Seitensprünge fähig. Unter der Kühle, der Sicherheit gab es ein ›Etwas‹, ein gärendes, 102 unbändiges ›Etwas‹, wie bei all diesen kalten Menschen. Oder war er vielleicht doch so verlebt, gleichgültig, daß er trotz seines bekannten Glücks bei Frauen sie satt hatte, weil er ihnen eben nichts mehr geben konnte, weder Herz noch Sinnlichkeit?«

Klug war der Graf nie aus ihm geworden. »Sollte doch etwas vorgefallen sein zwischen diesen beiden?« Aber er verwarf den Gedanken sofort und lehnte sich, unwillig über sich selbst, in den Rohrstuhl zurück.

Er kam dabei in den Lichtstreif.

»Stören Sie mir meine Kreise nicht,« bemerkte Lerden von der Chaiselongue.

»Sie haben einen leisen Schlaf.«

»Ach was, ich habe so wenig geschlafen wie Sie. Ich habe mit mir und einem Entschluß gekämpft. Das hält immer schwer.«

»Der wäre?«

Lerden erhob sich und ging mit lautlosen Schritten ein paarmal im Zimmer auf und ab, dann schlug er dem Grafen auf die Schulter. Er that dies oft, aber ohne Kordialität. »Ein sogenanntes neues Leben anfangen. Uebermorgen bin ich nicht mehr hier.«

»Und ich?« Der Graf streckte ihm beide Hände hin. »Das würde mich sehr unglücklich machen!«

»Sie sind, was man einen guten Kerl nennt, 103 cher comte! Mir wird's auch nicht leicht. Doch ich habe einen Vorschlag: begleiten Sie mich.«

Der Graf fuhr zusammen: »Wenn ich reich wäre . . . doch so . . .«

»Wir wollen einmal ganz ehrlich sein, Herr Graf.« Lerden machte seine Hände von denen des andern los. »Die Luft hier taugt nichts für Sie. Für mich auch nicht. Aber ich bin passé und habe einen andern Standpunkt. Sie werden im ›Salon‹ verkommen, sage ich Ihnen, wie die andern allesamt drin verkommen sind. Eine von den elastischen Naturen, die jedes Nadelöhr ohne Schaden passieren, sind Sie nicht.«

Der Graf schaute unverwandt nach dem buntglacierten Hause da drüben. Er zauderte. Bei Lerden war die Rettung. Zugleich bäumte sich sein Stolz auf, sein Silowstremscher Stolz, daß der Nachkomme von Pfeffersäcken ihm solches Anerbieten machen durfte. Sie hatten einmal über Familien und Stammbäume gesprochen, und Lerden hatte erzählt, daß seine ein uraltes, süddeutsches Patriziergeschlecht sei, welches auf seinen vornehmen Bürgernamen zu stolz war, als daß es nach dem Betteladel begehrte. Das war ein hochmütiges Wort, ganz in Lerdens Manier. Einer von den Dutzendmenschen war jener da nicht. Jetzt zur Unzeit erinnerte sich der Graf daran. Es wurmte ihn.

104 Lerden ahnte, was den andern schweigen ließ. Und ganz wegwerfend, als wenn es sich um eine Bagatelle handelte, sagte er leichthin: »Sie denken an das Geld? Nicht hübsch unter guten Bekannten. Ich will Ihnen nichts schenken. Nur heraus möchte ich Sie haben! Damit ist mir genug. Sie am Gängelbande zu führen, bin ich nicht alt und Sie nicht jung genug.« Und als jener noch schwieg: »Fassen Sie wenigstens einen Entschluß. Handeln Sie einmal kopflos.« Er zog ein Geldstück aus der Tasche. »Gerade oder ungerade? Da haben wir beide keine Gewissensbisse nachher nötig. Oder ist es der frische Ruhm, der Lorbeer, den Sie nicht gern verwelken lassen möchten?«

»Der Ruhm? Stecken Sie das Geldstück wieder ein. Ich komme mit.«

»Das war recht!« Sie schüttelten sich herzlich die Hand.

»Und nun wollen wir das Geschäft in Ruhe besprechen, Graf.

»Wenn zwei sich associieren wollen, muß Klarheit zwischen ihnen sein. – Ich erscheine Ihnen blasiert. Das bin ich, aber die Verhältnisse haben mich dazu gemacht. Denken Sie sich ein schwächliches Kind, vom ersten Lallen an in dem maßlosen Luxus eines nie überschätzten Reichtums eingebettet wie die Puppe in der Watte. Vater, 105 Diener, Ammen thun ihr möglichstes, diesen Einzigen zu verhätscheln. Und wenn der kleine Tyrann tobt: ›Warum ist der braune Pony noch nicht gesattelt? Ich habe den Reitknecht doch um halb zehn befohlen!‹ so lobt man noch seine kindische Energie höchlichst. ›Der junge gnädige Herr‹ – ich war vielleicht sechs Jahre – ›hat ganz recht und der Friedrich müßte eigentlich davongejagt werden.‹ Ich war mit zehn Jahren blasiert, als Kind wunschlos. Giebt es ein größeres Unglück? Zu allem Pech war der Tyrann nicht einmal dumm, schon damals ein kühl abwägender Bursche, der seine Umgebung ziemlich richtig taxierte. Darum fühlte er sich in der greisenhaften Haut des Gecken unwohl genug, und ein gesunder Instinkt ließ ihn ahnen, daß nur die That das Glück des Lebens ausmache. Vielleicht hätte ihn die im Kindbett gestorbene Mutter besser geleitet, vielleicht auch nicht, denn sie stammte aus unsern Kreisen, wo jede eine Mesalliance eingeht, die nicht eine Thalermillion mitbringt oder erheiratet.

»Zuerst hatte er sich mit Berliner Privatlehrern herumgezankt, dann brachte man ihn nach Biebrich in ein Pensionat, so eine Art kleiner Musteranstalt, wo man für sein gutes Geld maltraitiert wird. Es ist mir wie heute, jener erste Abend in dem kleinen, puritanisch einfachen Schlafzimmer. Ich vermißte den Luxus. Aber als ich mich zum Fenster 106 hinauslehnte, wurde mir das Kinderherz weit. Unten floß der grüne Rhein. Ueber dem Mainzer Dom stieg der Mond aus Abendnebeln auf. Die silbernen Wellen tanzten glitzernd vorüber. Kühl und erfrischend drang der Wassergeruch herauf – so eine Sommernacht, wo man die Stromnixen spielen sehen möchte. Statt dessen hörte ich Schritte in dem kleinen Vorgarten, und eine halblaute Frauenstimme sagte: ›Daß du mit dem jungen Lerden vorsichtig umgehst, Karl! Mäßige deinen Jähzorn! Sonst brennt er uns durch, und die Fünfzehnhundertthalervögel sind selten.‹ Darauf der Mann: ›Du wirst wohl auch dem Muttersöhnchen ein Unterbett geben müssen? Ich halte seinen Verstand allerdings für untermittelmäßig. Doch die Leute sollen sündhaftes Geld haben.‹ Ich verstand damals wohl nicht den ganzen Sinn. Und dennoch wurde es unbewußt die Richtschnur meines Lebens. Also die Fassung gilt mehr wie der Stein? Bon! Ich habe mir niemals Mühe gegeben, zu beweisen, daß der Stein doch wohl etwas Besseres war als ein gefärbter Glasfluß.«

»Sie karikieren, Lerden. Unter der blasierten Hülle schlägt ein Herz. Ich weiß es!«

»Ich nicht! Nennen Sie aber meinetwegen eine gewisse Gutmütigkeit so, die für mich nichts Verdienstliches hat. Wer Millionen besitzt, hat leicht wohlthun. Versage ich mir etwas, wenn ich ganz 107 oben in den Sammellisten stehe und einem Bettler fünfzig Pfennig gebe? Der Ring des Polykrates, eine kluge Abzahlung an das Schicksal, um es bei guter Laune zu erhalten.«

»Sie können doch nicht mehr thun.«

»Ich unterstütze ein Nähmädchen; sie wird Dirne. Ich gebe einem fleißigen Handwerker Geld, um sich selbständig zu machen; er gewöhnt sich das Saufen an. Sonst hatte die Tochter Löcher in den Strümpfen und kein Korsett, jetzt trägt sie ein seidenes und poussiert mit dem Referendar aus der Parterrewohnung. Die Mutter, eine ehrliche Weinliese, sagt mir mit gerungenen Händen: ›Als wir nichts hatten, waren wir viel glücklicher. Jetzt schlägt mich mein Mann. Das Teufelsgeld!‹ Es fehlte wenig, und sie hätte mich noch verflucht. Und solche Sachen nicht einmal – zehnmal! Zuweilen mit einem pikanten Beigeschmack; zum Beispiel als eine Beamtenwitwe die fixe Idee bekam, ich wollte mit ihrer schwindsüchtigen Tochter eine Art morganatischer Ehe eingehen, und mir das hustende Ding täglich wie eine Ware ins Haus schickte. Und dabei habe ich nichts halb gethan. Der großmütig hingeworfene Hundertmarkschein bringt nur Unsegen. Es ist auch nicht der gleichmäßige Undank. Die Lobespsalmen sind mir verhaßt, denn welchen Tribut soll ich für eine Leistung verlangen, die gar keine Leistung ist? 108 Es ist der absolute Mißerfolg, den man sich nicht einmal erklären kann. Als ob auf diesem großen Vermögen ein Fluch lastete!«

»Wir sind nicht die Vorsehung. Sie haben nach Ihrem besten Können gethan. Mich wundert nur, daß Sie nie einen Freund gefunden haben oder eine Frau, die Sie verstand.«

»Freunde? – Mit dem Artikel bin ich versorgt. Frauen? – Dieselbe Couleur in Grün. Man liebt die Million herzinniglich. Ich habe alles durchprobiert. Die Tänzerin, der man eine Etage mietet und Reitpferde hält. Modethorheit! Man darf ihr die Schminke von den Lippen abküssen, und wenn man einen dunkeln Anzug anhat, wird man weiß von Puder – feiles Pack, von der Straßendirne nur im Preise verschieden. Dann bekam ich Appetit auf Schwarzbrot, machte den Hausvogteiplatz unsicher. Ich finde ein frisches, williges Kind. ›Sie sind eine süße, kleine Katze. Wo wollen wir zu Abend essen?‹ Sie sieht meine Kleidung an und entscheidet sich zögernd für den ›Franziskaner‹. Endlich eine, die dich gern hat! Sie hatte noch so allerliebste Skrupeln; die Provinz sprach ihr aus dem Dialekt und dem einfachen Kleidchen. Wie hübsch, daß sie noch errötet, Angst hat, eine Bekannte könnte uns zusammen sehen. Wir duzen uns, küssen uns. Auf dem Heimwege gesteht sie mir, daß sie mich sehr lieb habe. 109 Und als wir vor meine Stadtwohnung kommen, fragt sie erstaunt: ›Hier? Du . . . Sie wohnen hier?‹ Plötzlich begriff das Mädel – Hauslehrer oder Lakai werde ich wohl nicht sein. Sie sieht mich mit ganz andern leuchtenden Augen an. Der Zauber der Person ist weg, der der Million beginnt. Damit hatte ich genug und verabschiedete sie mit einem Douceur noch vor der Hausthür. Die alte Geschichte: ohne Million etwas, vielleicht nichts; mit der Million alles! – Dann habe ich einem Bekannten seine Frau wegstibitzt. Sie wollte weder Toiletten noch Diamanten – ein ganz billiges Verhältnis. Der mußt du es doch angethan haben? Der blonde niedliche Vogel kam zwitschernd zu mir geflattert, seelenvergnügt. Es waren schöne Augenblicke, als ich sie gläubig auf meinem Schoß hielt. Der Mann ging dabei in meinem Hause ein und aus und fragte oft: ›Wen haben Sie nur wieder hier gehabt? Es riecht so nach Heliotrop?‹ Es war ihr Lieblingsparfüm. Ich war auf dem Punkte, mit ihr zu entfliehen. Sie sträubt sich, nicht aus Angst vor der öffentlichen Meinung oder Scham. Der Kitzel lag wo anders. Sie war glücklich, daß die Gesellschaft beinahe mit Fingern auf sie zeigte. ›Der reiche Lerden verdirbt sie. Geld öffnet doch jedes Pförtchen.‹ Das kleine Herz war auch bei der Million engagiert. Am liebsten hätte sie ihrem Manne gesagt: ›Lerden hat 110 mich verführt, deine kleine Frau muß doch reizend sein, daß »Er« sie sogar begehrt hat!‹ Vielleicht hat sie auch gebeichtet. Denn kurz nach der endgültigen Abkühlung pumpte mich der Gemahl an und ›ward nicht mehr gesehen‹. Jetzt bin ich auf dem Philosophenstandpunkt. Ein Tag! dann der Fußtritt.

»Und das Treten ist mir eine liebe Gewohnheit geworden. Wie die Hunde habe ich Weiber und Kerls behandelt! Ob einer gemuckst hat! Wedelnd kamen sie gekrochen. ›Er wird schon wissen, was er zu thun hat; denn er hat die Million.‹ Und dennoch sehnte ich mich leidenschaftlich nach einem hochfahrenden Menschen. ›Ihr Geld? Ich schere mich den Teufel darum!‹«

»Was soll ich Ihnen dann, Lerden?«

»Sie sollen mir viel sein, alles! Mein Lieber, nehmen Sie das vorher nur als langatmige Einleitung. Ich habe noch zu niemand so offen gesprochen. Ein vom Schicksal so niederträchtig behandelter Mensch muß einem leid thun. Sie sind nicht vom Gesindel, haben sogar viel mehr Fond, als Sie selbst wissen. – Wir sind zwei sehr entgegengesetzte Naturen. Sie sind schwach, haben die Sonne nötig, und die möchte ich Ihnen gern geben. Mich aber hätte eine pflichtvergessene Mutter auf der Straße in die Welt setzen und verlassen müssen. Da wäre 111 ich hoch gekommen. Statt dessen bin ich im Wohlleben marklos geworden – zum Kampf jetzt viel zu alt.«

»Sie alt? – Ich habe mehr hinter mir.«

Lerden wehrte ab. »Nicht sentimental werden! Ich will keinen fremden Finger auf meinen Thränendrüsen. Was ich thue, thue ich ganz und freiwillig. Machen Sie lieber ein vergnügtes Gesicht, Graf! In achtundvierzig Stunden sind wir vielleicht schon fort und pfeifen auf das baufällige Europa. Ich habe noch keine bestimmten Ziele für die Zukunft; ich weiß nur, daß jede Stunde hier Verlust ist. Fort wie Diebe in der Nacht! – Was meinen Sie, ich lasse die Salonparasiten sitzen, und wir drücken uns noch heute?«

»Das geht nicht! Ich muß mich erst von einer Pflicht lösen . . .«

Lerden war unschlüssig. »Es könnte uns etwas dazwischen kommen. Der Bockfuß liebt solche Striche durch die Rechnung. – Am Ende haben Sie recht. Jäger soll nicht um seinen Schnaps kommen. – Wir sind also ganz klar? Und daß Sie mir nicht nachträglich mit Skrupeln kommen! Die Wohlthat, die Sie mir erweisen, ist viel größer als meine scheinbare an Ihnen. Es wird ganz gut werden! Die Sippschaft soll sagen: ›Alle Achtung! Die hätten auch ohne Grafentitel und Million etwas Tüchtiges 112 geleistet.‹ – Jetzt ist es Zeit, an die Toilette zu denken, adio! Und wenn sich je etwas zwischen uns stellen sollte – ehrlich, Comte!«

»Das verspreche ich Ihnen.«

Es kam dem Grafen vor wie ein Märchen aus »Tausend und eine Nacht«. Zuweilen finden Bettler auch jetzt noch Diamanten in ihrem Turban. »Ob ich Glück habe!« Und dann dachte er wieder an die hübsche Lo. »Ach was, ob sie will oder nicht, wir sind ja nicht verheiratet!«

*

Das Fest sollte sehr spät sein. In Berlin war eine erstickende Glut den Tag über gewesen. Auf dem weichen, heißen Asphalt lagerte ein unbeweglicher, übelriechender Dunst. Die Biergärten waren dicht besetzt, aber mit derselben atemraubenden Stickluft belastet. Bei allen der Wunsch nach Gewitter, Regen. In den Vororten sah es nicht besser aus. Als Lerden im Gesellschaftsanzuge vor das Portal trat, um noch einen Blick auf die frischgesprengten Kieswege und das weitgeöffnete Gartenthor zu werfen, schlug ihm ein Brodem entgegen. Dabei war die Sonne bereits untergegangen. Nur im Westen lag noch ein gelber, blasser Lichtstreif; die Sterne blinkten höhnisch durch den Dunstschleier. Im Süden baute sich eine blaugraue Wolkenwand auf, mit schwarzen 113 Rändern, scharf gezackt. Zuweilen flammte ein violettes Wetterleuchten auf; man wähnte, fernes Donnern zu hören, es war, als wenn ein Windhauch sich aufmachte und säuselnd durch die matten Zweige glitte. Einbildung. Die Wolkenwand stand drohend, unbeweglich.

»Es wird nicht!« sagte wehmütig Doktor Jäger. Er war der erste und ganz bestaubt. Unter seinem schmierigen Kalabreser rieselte Tropfen auf Tropfen. »Unsinnig!« Er tupfte sich die Stirn. Und dabei hatte er doch die besten Absichten auf Lerdens »Fockings«. In kleinen Trupps kamen die andern.

»Ah, diese Glut!«

»Ich habe schon früher gesagt, daß wir einer vollständigen Verschiebung unsrer klimatischen Verhältnisse entgegengehen.« Es war Schellagg, der diesmal mit Frau und Töchtern zur Fete kam. Allmählich versammelte sich der ganze »Salon«. Gruppenweise wandelte man durch den Garten. Von den Blumenbeeten stieg süßer Wohlgeruch auf. Man bewunderte laut die Pracht, soweit es die enggeschnürten Taillen und der bei Lerden immer etwas zeremonielle Ton vertrugen. Die unverheirateten Töchter hatten ihre besonderen Gedanken und schauten öfters als nötig nach dem Nürnberger Stadthaus, das zwischen den Fichten hindurch in einem Meer von Lichtern glänzte. Uebrigens war die Gesellschaft möglichst 114 bunt. Auch ein Possendichter war dabei im Frack und Chapeau claque, den er als Fächer benutzte; ein Mann von unausstehlicher Feinheit, kahlköpfig, trotz guter Einnahmen in chronischer Geldnot. Neben ihm schritt ein hochgewachsener, breitschulteriger Bursche; über der sonnenverbrannten Stirn wallte eine Löwenmähne – der Afrikareisende, welcher heut für jede große Gesellschaft geradezu typisch ist.

»Sieh da, jetzt kommt auch der Graf!« Er war einer der letzten und vom schnellen Gehen glühend; doch sein Gesicht strahlte von einer besondern Lebensfreude, der die Schwüle nichts anhaben konnte. Der sehr beschäftigte Lerden reichte ihm flüchtig die Hand.

»Wie geht's? Noch keine Reue?«

»Ausgezeichnet!« lachte der Graf. »Sie ahnen gar nicht, wie wohl mir ist!«

»Optimist à tout prix!«

»Sehr richtig!« stimmte Jäger bei, während er kopfschüttelnd den Garten inspizierte. – »Und Rinows?«

»Weiß ich?« gab Lerden gleichgültig zurück.

»Aber ich, Herr Kollege. Habe ganz umsonst den Unglücksraben gespielt. Der Riesencoup wird über alles Erwarten gelingen. Hat Glück! Die Familie wird wohl daheim ein kleines Fest feiern mit Eisbeuteln auf dem Kopfe, damit sie die Freude nicht verrückt macht.«

115 »Also gelingen!« Der Graf rieb sich die Hände. »Das ist ja famos!« Und weil er das Unmotivierte seiner Freude den andern gegenüber fühlte, heuchelte er sofort ein gewisses Bedauern: »der arme Mann!«

»Armer Mann! Was heißt ›armer Mann‹? Der wird uns alle überleben, Sie auch, Herr Graf!« sagte Jäger brutal.

Der Graf schlich sich davon. Wenn das so stand . . . Lo reich! . . . Der Mann auf der Besserung . . . Das Herz klopfte ihm zum Zerspringen. Ihm lag recht viel an dem Rinowschen Familienglück. – Jetzt war ja gar kein Kommentar mehr nötig. »Du reich – ich arm, da giebt's keine Brücke!« Er war kein guter Schauspieler; aber diesen kleinen Komödiantentrick mit dem obligaten Charaktergesicht meinte er doch noch zu Wege zu bringen. »Ja sonst! . . . ich wollte ja dich nur, dich allein . . .« Er hatte zugelernt, der gute Graf, und wie er so gestikulierend zwischen den Buchsbaumeinfassungen hinter dem Pferdestall hin und her schritt, hatte er den wehmütig-stolzen Ausdruck schon ganz gut heraus.

Der schrille Ton des Gong weckte ihn aus seinen Träumereien. Man mußte zum Souper denn doch in den Saal. Als die Paare die breite Treppe emporstiegen – viele zum erstenmal – bekreuzigten sich die meisten in Gedanken.

116 Das Atmen war schwer bei den starken Wohlgerüchen und dem trockenen Gasgeruch. Und nun erst im Saal! Er nahm fast die Hälfte des ersten Stockes ein – ein richtiger Bankettsaal. Die Wände bis obenhin mit dunkelglänzenden Holzlambris bekleidet, darin eingelassen bunte Wappen. Mächtige Schenktische, mit schwerem Silbergerät beladen, drängten sich massig aus den Ecken hervor. Von der getäfelten Decke, die für diesen Saal etwas zu niedrig und lastend war, schauten aus dunkelm Holz eingelegte heraldische Löwen und Drachen herab. Anstatt der Lampen schwere, eiserne Kronleuchter. In den großen, gemalten Fenstern spiegelte sich das flackernde Licht der Wachskerzen. Es war ein Prunkgemach kostbar und pedantisch-stilvoll bis auf die plumpen Wandleuchter und das gepreßte Leder der schweren Stühle. Aber man fand diese Pracht mit Recht erdrückend. Es wollte keine Gemütlichkeit aufkommen. Auch als die erste Steifheit überwunden war, sah man noch viele, welche stumm das bunte Bürgerwappen auf dem grünen Glas der Römer studierten. Der Besitzer aller dieser Herrlichkeiten präsidierte sehr ruhig neben Frau Schellagg; er war blaß trotz der Siedetemperatur und des roten Portweins, dem er oft zusprach. An der Tafel waren noch zwei Platze unbesetzt. Nach dem ersten Gange öffneten sich die Flügelthüren. Ellers erschienen. 117 Er in seiner längsten Perücke, liebenswürdig grinsend; sie im schwarzen, durchbrochenen, bis oben geschlossenen Schleppkleide. Lerden begrüßte sie kühl, aber außerordentlich höflich.

»Cher comte, ich bitte!«

»Ein hoher Vorzug, Gnädigste. Also doch!«

»Allerdings!« Sie war diese Redensart zu sehr gewöhnt, um sie ernst zu nehmen; doch in diesem frischen jungen Gesichte lag ein warmer, lebensfreudiger Zug, eine wirkliche Herzlichkeit, so selten in der Gesellschaft, daß ein rosiger Schimmer wie ein Reflex jenes andern über ihren durchsichtigen Teint huschte.

»Ja, ja, meine gnädige Frau! Sie waren mir zugedacht.« Er nickte ihr ganz ungesellschaftlich zu. »Warum so spät? Der Doktor wird es Ihnen übelnehmen, und wahrhaftig, er verdient keine Zurücksetzung! Ein Goldmensch! Zieht immer die Gewinnnummer . . .« Er blinzelte vergnügt mit den Augen. »Ja – ja –« gab sie gedehnt zurück. Es wollte ihr dünken, als wenn diese fröhlichen Augen auf einmal starr wurden und scharf, wie um sie ganz zu durchdringen.

»Unsinn!« denn gleich nahmen diese Augen wieder den sorglos guten Ausdruck an.

»Aber das ist auch ein Kerl, wie man ihn nie wieder findet.«

»Prosit Doktor!« Der andere winkte ihm 118 verbindlich dankend mit der weißen Hand zu. »Und klug . . . was?« Der Graf war in seiner Begeisterungslaune. »Dabei ist es unbegreiflich, wie er, der alle in die Tasche steckt, da stehen geblieben ist, wo doch schon große Dummköpfe anfangen – beim ›Doktor‹. Ich sage, das ist Caprice, Millionärslaune. Und nun hören Sie ihn einmal: weiter könne er nicht kommen, kein Konzentrierungsvermögen, kein Glaube mehr an sich noch an die andern . . . Kurz, die ganze ungefärbte Beichte eines blasierten, abgelebten Helden der Gomme.«

Sie rückte unruhig auf dem Stuhl und ließ ganz gedankenlos die Gesellschaft vor ihren Madonnenaugen Revue passieren. »Das wird wohl auch so sein.«

»Weil Sie ihn nicht kennen. Er ist eben ein Original, ein schneeweißer Rabe. Denn sagen Sie selbst – und er beugte sich näher zu ihr – würde sonst ein Mensch, dem alle Thüren offen stehen, sich eine solche Gesellschaft aussuchen? Zigeuner, allerdings harmlose Zigeuner; gut für einen Parvenu, für einen Lerden doch eine verdammt schlechte Gesellschaft.«

»Und ich?« Sie sah ihn mit naiver Koketterie von der Seite an.

»O Sie! Fragen Sie irgend einen, zum Beispiel den ›Schäbigen‹ dort, der sich eben argwöhnisch umsieht wie ein bissiger Hund, um dann eiligst weiter 119 zu schlingen. – Sie gehören nicht zu uns Zigeunern – nur Strichvogel!«

»Wer weiß!« gab sie lachend zurück. »Es kommt über Nacht.«

»Dann, meine Gnädigste« – und er unterstützte die tiefe Neigung seines Kopfes noch durch eine galante Handbewegung – »würde uns mit einem solchen Zigeunerkinde sehr gedient sein. Nur schade, man würde sie immer als gewaltsam Entführte erkennen.« Sein bewundernder Blick glitt langsam das schimmernde Goldhaar entlang bis zu dem griechischen Knoten, der den Umriß ihres feinen Kopfes so anmutig abschloß.

Sie errötete dunkel. Es lag eine so beredte Huldigung in diesem Blicke, den sie zu fühlen glaubte. Aber sie war nicht böse. Hier, wo er sich gab, wie er war, ihr menschlich näher gerückt ohne Schriftstellerairs, verspürte auch sie jene Anziehungskraft, welche gute und ehrliche Naturen immer auf ihre Umgebung ausüben. Er fühlte etwas Aehnliches. Niemals mehr den frischen Hauch ihres Mundes zu spüren oder den weichen Klang ihrer Stimme zu hören – eigentlich schade!

In etwas wehmütigem Ton fuhr es ihm heraus: »Es ist vielleicht das letztemal, daß wir hier zusammensitzen.«

»Wieso?« Sie sah ihn erstaunt und fragend an.

120 »Ja, ja, meine gnädigste Frau, es könnte sehr bald sein, ich habe Berlin satt.« Er holte tief Atem.

»Nein! Sie werden nicht!« Es klang ein schüchternes Geständnis durch diesen leisen Ton.

»Sollte Ihnen so viel an mir gelegen sein? Es werden bessere kommen.« Und vergeblich versuchte er sein humoristisches Augenblinzeln.

Sie schüttelte ungläubig den Kopf und sah auf das Tischtuch. »Warum sollten Sie auch? Gerade für Ihren Beruf ist die Großstadt der einzige Ort. Sie mögen andre Gründe haben.«

»O ja.« Und plötzlich stieg ihm das Bild der andern auf, die nicht hier war. Es war ihm, als wenn sie sich zwischen sie drängte und ganz ungeniert in ihrer Bongarçonmanier die weiße Hand auf seinen Arm legte »Pas de bêtises!« Er meinte, ihr Lieblingsparfüm zu spüren; ihr blauschwarzes Haar glänzte. Wie gegen eine Erscheinung hob er die Hand. Er fühlte etwas durch seine Adern rinnen, lähmend, eisig. »Ist sie denn der Teufel?«

»Was haben Sie, Herr Graf?« fragte die Professorin erstaunt.

Sein Gesicht war wie verwandelt.

Er besann sich sofort. »Vision, Gnädigste, Verzeihen Sie – eine sehr häßliche dazu . . .«

»Und wann gehen Sie? Gehen Sie wirklich?«

»O, sprechen wir nicht davon. Morgen, 121 übermorgen, vielleicht über ein Jahr, vielleicht gar nicht . . . Ich stehe unter höherm Willen,« fügte er lächelnd hinzu.

Die Unterhaltung ging weiter, langweilig, zerstreut. Es lag an ihr. Sie machte sich jetzt Vorwürfe, daß sie es sich hatte merken lassen, wieviel mehr er ihr wert war als die andern. Ihre Antworten waren kühler als nötig. Es fiel ihr ein, daß sie sehr wider ihren Willen hierhergekommen war. O, es war eine allerliebste Scene mit Bitten, Weinen. »Nein, ich gehe nicht.« Dazu die aufgerissenen, funkelnden Schweinsaugen des Professors: »Du mußt! Ich werde doch mal sehen, wer Herr im Hause ist!« Er hatte sie sogar am Arm gefaßt – ein recht warmer Druck. Und endlich hatte sein höhnisches: »O, ich verstehe!« sie besiegt. Empört, beschämt faßte sie nach jener Stelle des Armes, welche sie zum schwarzen Kostüm gezwungen hatte. »Heiß, wahnsinnig heiß.« Sie hielt die Hand an die Krystallkaraffe mit Eis. Und dieses endlose Menü! Die seltensten Delikatessen, von denen man höflichkeitshalber doch etwas nehmen mußte. Es war, als wenn die Holztäfelung, die funkelnden Silbergeräte, die blinkenden Römer selbst Hitze ausstrahlten. Und diese Gesellschaft! Der Graf hatte recht; Zigeuner, weiter nichts! Was für eine Sorte! Ganz konfiscierte Gesichter neben öden, verlebten, blühenden.

122 Uebrigens hätte sie mit der Aufmerksamkeit, welche ihr die Tafel schenkte, zufrieden sein können. Selbst bei den Schäbigen machte sie heute Eindruck. Aber die Vielerfahrenen schüttelten doch ihre alten Köpfe. Zu ihnen gehörte sie nicht, das war klar. Und gerade darum mäkelte man an ihr herum. »Hübsch, schön . . . Jawohl! Aber die Vergangenheit? – Sagen Sie nichts! Ich ließe mich köpfen, daß . . .« Denn im »Salon« hatte so ziemlich jeder seine Vergangenheit, und welche! Der Possendichter liebte zwar nur die süß-sündigen Weiber; nichtsdestoweniger strich er die steifen Spitzen seines à la russe gebrannten Schnurrbartes noch höher und preßte das Monocle in das starrgewordene Auge – unfehlbar bei allen Choristinnen. »Wird schon kirre werden!« Dazu war nun nach der heimlichen Ansicht des Afrikareisenden, der die Heldenbrust aufblies und sich durch die Löwenmähne fuhr, wenig Aussicht. Es konnte sich eben keiner eines Erfolges rühmen, auch nicht der »große Schellagg«, der seine Brillengläser trotz Frau und Töchtern brennend auf die Professorin heftete, als wollte er sagen: »Wozu die Maskierung? Ich kenne die Schultern und den Nacken. Und wenn Sie sich auch noch so sehr verpanzern, keine Angst, ich sehe durch. Ich habe in meiner ›Arda‹ ein für allemal die wahrhaft klassische Schulter gezeichnet.«

123 Marie Ellers atmete auf, als Lerden endlich die Tafel aufhob. Sie wäre gern dem üblichen Handdruck entgangen. Heute dünkte er ihr eine harte Probe. Und sie kamen alle; die einen mit weinselig glänzenden Augen und heißen Händen, andre blaß mit kühlen, schlanken Fingern. Es rieselte ihr kalt durch den Körper. In jeder Berührung schien ihr ein frecher Wunsch zu liegen. Mit Widerwillen fühlte sie den feuchten, faunischen Kuß ihres Gatten auf dem Nacken brennen. Doch erst als die schmale, eiskalte Hand Lerdens sich in die ihre legte und ein kühl lächelnder Mund sich darauf herabbeugte, beschlich sie eine Ahnung kommenden Unheils.

*

»Eine wunderschöne Nacht!«

»Schwül!«

Der Graf und die Professorin standen auf dem Kiesplatz am Kiosk. Es war der höchste Punkt des Parks; und man konnte weit hinaussehen in die märkische Ebene. Sie waren allein, zufällig hierhergekommen, weil jedes, seinen eignen Gedanken nachhängend, die weinlustige Menge mied. In den halbdunkeln Gängen hörte man verhaltenes Kichern, flüsternde Zwiegespräche, zuweilen ein lautes Witzwort im höchsten Berlinisch. Heiser, berauschender Wohlgeruch strömte aus den Jasminbüschen und 124 mischte sich seltsam mit dem starken Harzduft der Fichten. Alles stumm – das Schweigen vor dem Sturm.

»Wie sonderbar die Ebene aussieht!«

»Sonderbar!«

Es war eine matte Unterhaltung, matt wie die Natur selbst. Sie lagen über die kleine Holzbrüstung gebeugt; der Platz war künstlich erhöht. Den ganzen äußersten Horizont füllte Berlin; aber nur unbestimmt, dunstig tauchten seine Häusermassen hervor. Wie der ungeheure Fang eines Riesenvogels schien es sich um die Ebene vor ihm zu krallen. »Warum zögert es noch? Warum erdrückt es diese grünen Dörfer und Häusergruppen mit ihren freundlich blinkenden Lichtern nicht gleich? Wozu die Qual?« Ihr Atem stockte. Es packte sie wie ein Alp. Doch sie beruhigte sich schnell wieder. Sie lag so ruhig, ahnungslos, die Ebene. Aus den Gasanstalten und Fabriken flammten Feuergarben. Wie rote Schlangen wanden sich die Eisenbahnzüge durch die grünen Felder. Es war ein prächtiges Feuerwerk. ›Der Vogel ist gutmütig, und die Kralle wird sich nie ganz schließen!‹ dachte sie am Ende.

Durch die schwüle Nacht klangen die leichtsinnigen Klänge eines Wiener Walzers. Ihre Stimmung schlug um. »Also man sollte tanzen! Sie vielleicht mit Lerden? Welch rasende Ironie!« Und ganz 125 unvermittelt, bloß um der aufkochenden Empörung ihres Innern einen Ausdruck zu geben, sagte sie laut: »Ich hasse Berlin!«

Er war erstaunt über den spröden Klang dieses sonst so weichen Organs. »Warum?«

Sie vergaß sich ganz. »Weil ich Angst habe, daß es uns alle verschlingt.«

›Ah! Man hat also auch sein Päckchen zu tragen,‹ dachte er. Und mit neugierigem Mitleid sah er auf die blonde Frau, deren weiße Finger sich zitternd auf dem Holz der Brüstung bewegten. Er wollte sie beruhigen.

»Eine komische Angst, gnädige Frau.«

»Komisch? Das sagen Sie. Aber bei mir könnte es doch bitterer Ernst sein.« Sie sprach mit jenem halblauten, heisern Ton, durch welchen man die Erregung zittern hört. »Sie denken, das sind Nerven, die Modekrankheit? Jawohl!« Sie lachte nervös. »Ich bin drei Jahre hier, und es hat auch nicht einen Tag gegeben, wo ich nicht mit schmerzlichem Gefühl an die kleinen Verhältnisse meiner Jugend gedacht habe. Was habe ich hier? Sie werden sagen: Theater, Museen, Konzerte; aus allen Genüssen den Extrakt. So heißt die Phrase. Die Wahrheit: ich verliere mich selbst.«

»Nein, nein, gnädige Frau, das ist eine krankhafte Idee. Man macht die Stadt verantwortlich 126 und meint sich selbst. Mein Freund Lerden sagt: ›Es giebt Starke, die bleiben immer sie selbst, und Schwache, die sind nie etwas gewesen.‹ Berlin allein thut's nicht. – Freilich,« und ein gutes Lächeln glitt über sein Gesicht, »es giebt auch ein Schicksal, und das reicht den Schwachen zur rechten Zeit seine starke Hand. Ich habe das an mir selbst erfahren.«

Der warme Ton verfehlte seine Wirkung nicht. »Sie mögen recht haben, Herr Graf. Wir Frauen sehen einmal zu schwarz und einmal zu rosig. Ich habe wahrscheinlich weniger Ursache, unglücklich zu sein, als viele andre. – Ihre Art beruhigt.« Und nach einer Pause: »Sie müssen ein guter Freund sein.«

»Ich hoffe, doch vorläufig habe ich nur gute Freunde nötig.«

Ein leiser Lufthauch zitterte durch die Zweige. Der Graf nahm den Hut ab und strich sich durch das dichte Kraushaar. Die Wolkenwand dehnte sich mächtig. Ein roter Blitz flammte auf. Sie horchten. Kein Blatt regte sich mehr. Die Tanzmusik aus der Villa tönte lauter, feuriger. Es zuckte ihm in den Fußspitzen. »Kommen Sie, gnädige Frau.«

Ihr heftiges: »Ach nein. Wozu?« machte ihn stutzig. Also sie blieb lieber allein mit ihm? Ein leichtsinniger Gedanke wollte ihm durch den Kopf zucken. Es war so schwül und sie so schön. »Aber nein, niemals. Kein leichtsinniger Streich mehr!« 127 Er kam sich heute vor, wie der Rekonvalescent nach einer schweren Krankheit. So war auch seine Stimmung, weich, träumerisch. Er hätte sie so gerne wieder ganz froh gesehen. »Nur glückliche Gesichter!« Er war ja selbst so glücklich. Und als wäre er schon auf der Fahrt, so schaute er auf Berlin als auf etwas Fremdes, in nebelhafte Ferne Gerücktes, und das Ungewitter, das sich da zusammenbraute, sollte ihm nichts schaden.

Ein stärkerer Windstoß fuhr durch die Fichten. Auf der Ebene unten wirbelte grauer, dicker Staub auf und wälzte sich langsam vorwärts, durch die tiefblauen Wolken zuckte ein mächtiges, gelbes Wetterleuchten. Die Atmosphäre war trübe, noch schwüler.

»Es wird Zeit, gnädige Frau.«

»Gehen Sie nur.« Er zögerte.

»Gehen Sie! Ich bitte sogar. Man braucht Sie in der Villa. Ich will nur einen Moment noch bleiben. Ich liebe Gewitter so sehr.«

»Wenn es Ihr Wunsch?«

»Ja. Aber Sie dürfen das nicht falsch deuten. Uebrigens, wer braucht zu ahnen, was wir beide hier oben gesprochen haben.«

Sein Schritt verhallte. Sie war allein, allein in dieser unheimlichen, gewitterschwülen Stille. Drüben waren die letzten Takte des Walzers verklungen. Sie fürchtete sich beinahe. Die Wetterwand reckte 128 sich zu scharfen, bizarren Formen. Ein höhnischer, grausamer Zug schien ihr darin zu liegen. Ihre Nerven waren überreizt. »Warum kommt das Wetter noch nicht? – Ah!« Sie holte erfrischt Atem. Ein Windhauch, leicht, säuselnd – darauf ein zweiter, pfeifender, der ihn überholte. Durch die Fichtenwipfel ging ein Rauschen. Sie wollte gehen. Da fühlte sie auch schon das echte Sturmeswehen, wie es hohl, heulend über die Ebene fuhr. Mächtige Staubwolken wurden aufgewirbelt, drehten sich in rasenden Kreisen – ein wahrer Stauborkan, aus dem einzelne Lichter, halbblind, ängstlich wie die Signallaternen eines im Wogengischt hin und her geschleuderten Schiffes hindurchsahen. »Die Ebene wehrt sich; sie läßt sich nicht verschlingen.«

Da hörte sie einen leichten Tritt neben sich; sie fühlte es eigentlich mehr. Zugleich sagte eine sonore Stimme:

»Warum gehen Sie nicht in den Kiosk, Madame? Sie können das Wetter von dort ebenso gut ansehen.«

»Nein, ich gehe ins Haus.« Es war der Mann, mit dem sie am wenigsten ein Alleinsein wünschte.

»Um bis dahin total naß zu werden,« sagte Lerden achselzuckend.

Ein paar dicke Tropfen fielen auf ihre Stirn. Widerwillig folgte sie ihm. Er schloß die 129 Borkenthür des kleinen Häuschens auf. Eine schwüle, abgestandene Luft umfing sie.

»Hier, Madame.« Er zeigte auf einen Feldstuhl dicht am Fenster. Als er den halb ängstlichen, halb unwilligen Ausdruck ihres Gesichtes bemerkte, fügte er kühl hinzu: »Bei mir im Hause haben Sie nichts zu befürchten. – Doch Sie können sich selbst überzeugen, ob ich vorhin richtig kalkuliert habe.«

Draußen war jetzt eine wahre Höllenmusik. Der Sturm raste durch den Park, Aeste krachten; das Jasmingebüsch am Fenster bog sich tief, seine weißen Blüten schlugen an die Scheiben. Minutenlang war alles dunkel; schwere Regenmassen strömten herab. Dann wieder sekundenlang Helle; ein Blitz lohte über den ganzen Himmel. In dem grellen, blauweißen Lichte sah man die sturmgepeitschten Bäume, die zerrauften Bosketts.

Sie hielt die Hand vor die Augen.

»Ich bin hierher gekommen, Madame, weil ich Sie einmal allein sprechen wollte; ich reise in den nächsten Tagen ab,« begann er.

»So,« erwiderte sie tonlos.

»Und da möchte ich Ihnen meinen Dank aussprechen, meinen unterthänigsten Dank, daß Sie über einen unglückseligen Moment meines Lebens geschwiegen haben. Es war Pompeji und eine italienische Nacht. Da überkommt unser nüchternes deutsches 130 Gehirn zuweilen der Wahnsinn. Verziehen haben Sie mir nicht . . .«

»Nein, niemals!« gab sie zurück, die Hand von den Augen nehmend.

»Auch nicht vonnöten, Madame. – Ich habe Sie geliebt. Warum das leugnen? Mit dem Gefühl bin ich fertig.« Seine Stimme zitterte leicht; er preßte die Lippen aufeinander. »Es ist mir schwer geworden, doch es ging. Die Zeit, der Verstand, außerdem werde ich thatsächlich alt. Ich glaubte, Ihnen als Gentleman diese Erklärung schuldig zu sein. Der Lebemann gewöhnlichen Schlages bin ich Ihnen gegenüber jedenfalls nie gewesen.«

»Nicht?« Und es packte sie die Empörung über diese cynische, leidenschaftslose Beichte. Ihr Kopf glühte.

»Also doch Temperament, Madame? Man macht immer neue Entdeckungen.«

»Wie meinen Sie das?« fragte sie aufstehend.

»Wie's gesagt ist.«

»Aber ich will eine Erklärung.«

Er zuckte die Achseln. »Sind Sie danach so sehr begierig?«

Eine minutenlange Pause folgte. Sie würden sich auch nicht verstanden haben, so tobte das Gewitter draußen. Der Himmel war beständig in flammendes Licht getaucht. Ununterbrochen folgten 131 sich die Blitze. Es war taghell. Und dazu dieser endlose Donner in allen Abstufungen, murmelnd, grollend, prasselnd, bis er endlich in ein dumpfes, schweres Rollen überging, welches das ganze Häuschen erbeben machte. Der Regen hatte aufgehört, nur die Bäume schüttelten schwere Tropfen. Jetzt erst bemerkte sie, wie nahe die Villa eigentlich war. Die Fenster des Bankettsaales, den man in aller Geschwindigkeit zum Tanzsalon umgewandelt hatte, waren weit geöffnet. Sie konnte die einzelnen Personen genau erkennen, glaubte selbst hie und da ein Wort zu verstehen. Es war ein buntes Durcheinander von Fracks, zerknüllten Toiletten, bleichen, ernsten, ängstlichen, fast zum Weinen verzogenen Gesichtern. Die Lohndiener und Musikanten standen mitten darunter. Keine Etikette, kein Anstand. Es war ein häßliches Bild. Deutlich vor allen erkannte sie ihren Mann. Sein Gesicht war etwas blaß, die Hängenase hing tief herab, um den bartlosen Mund spielte ein ödes Lächeln; doch diese vorsichtige, geschmeidige Art, wie er seinen Spitzbauch, ohne jemand anzustoßen, durch den wirren Knäuel schob, immer als wollte er sagen: »Machen Sie mich, bitte, nicht schmutzig!« verließ ihn auch jetzt nicht. So war er ja sein Lebtag fortgekommen, sich schlängelnd, biegend, kriechend. Und im Anblick dieses alten, memmenhaften Heuchlers, der sie offenbar nicht 132 vermißte, tauchte ihr blitzschnell die Frage auf: »Bist du denn wirklich verheiratet?«

Jetzt streifte zufällig ihr Blick Lerden, der, ein skeptisches Lächeln um den schmalen Mund, dasselbe Schauspiel genoß.

In seine Augen konnte sie nicht sehen, und dennoch verstand sie ihn. Es bedarf für solch träumerische, indifferente Naturen immer eines starken Anstoßes. Es war der entscheidende Moment in diesem Leben.

Ihre Ohren gewöhnten sich allmählich an das Geräusch. Sie standen Schulter an Schulter.

»Ich habe vorhin wider Willen ein wenig gehorcht; das ist alles,« fuhr er fort. Er sah sie an, mitleidig und ironisch zugleich. »Ich wollte, ich hätte das nicht gethan, denn nun weiß ich Ihr Schicksal. Ich hielt Sie für ein Fischblut. Sie sind das nicht. Und Gott sei Ihnen gnädig!« Sein Ton war leise und scharf. »Man hat an Ihnen eine ungeheure Sünde begangen – das ist keine Redensart – und Sie werden es mit einem elenden Leben bezahlen müssen.«

Sie unterbrach ihn nicht. Denn was sie seit jener Nacht in Pompeji dunkel gefühlt als Unruhe, Zweifel, Leere – jetzt erkannte sie die Symptome. Es war die Reaktion gegen die Lüge ihres Lebens.

133 »Nicht wahr, eine kleinliche Rache für den Schurken? Aber für uns Menschen aus der Gesellschaft giebt es keine Romantik. – Uebrigens sagt mir Ihr Schweigen, daß ich ganz unnötig spreche. Warum haben Sie eigentlich damals nicht gebeichtet? Vielleicht um mich zu schonen, ein Rencontre zu vermeiden, was blutig ablaufen konnte? – Oder ihn?«

»Lassen Sie mich!« sagte sie gequält.

»›Ich habe ihn geheiratet, ich achte ihn, ich werde ihn lieben lernen.‹ Man kennt die Phrasen, welche jede moderne Mutter ihrer Tochter einpaukt. Aber ich frage Sie, die Sie Blut und Herz haben, ob Sie mit dem hohlen Geklingel von Moral, Gewöhnung, Charakter auskommen werden? – Eine einzig wahre Regung des Herzens, ein einziger wirklicher warmer Pulsschlag – und das alles ist weggefegt.«

Sie ermannte sich. Die ganze ungeheuerliche Frivolität seiner Rede kam ihr zum Bewußtsein. Sie wollte ein: »Pfui, wie gemein!« sagen, doch das Wort blieb ihr in der Kehle stecken. Ein Blitz, grell, mächtig, flammte auf. In zwei Schritten war sie an der Thür. Erst als sie draußen war und schwere Regentropfen von den Bäumen auf ihre heiße Stirn fielen, wurde ihr leichter zu Mute.

*

134 Es war lange nach Mitternacht. Das Wetter hatte sich ausgetobt, nur aus weiter Ferne grollten und murrten noch die fliehenden Wolken. Vom blauen Himmel leuchteten die Sterne; über die Fichtenkronen hob sich langsam die schmale Sichel des Mondes. Lerden promenierte noch allein in seinem Park.

»Das wäre überstanden. – Ein neues Leben!«

Und doch freute er sich nur halb des Entschlusses.

Bei Professors im Schlafzimmer war noch Licht, man sah ungewisse Schatten über die weißen Vorhänge gleiten. Lerden mußte sich zusammennehmen, um nicht an das Fenster zu schleichen und wie ein verliebter Tertianer nach einem Riß, einer dünnen Stelle im Rouleau zu spähen. Einmal vor Monaten hatte er so schon diesen blühenden Frauenkörper angestarrt mit todblassem Gesichte und brennenden Augen, als wenn er die rosige Haut versengen wollte. Nachher kam ihm der Katzenjammer. »Ich alter Narr!« Und ein rechter Narr war er von dem ersten Tage an, wo Ellers, sehr gegen Frau Mariens Willen, die Sommerwohnung bezogen hatten. Welch mühseliges Ringen mit sich selbst! Jeden Morgen mutig begonnen; jeden Abend kraftlos unterlegen. Und es war nicht allein der prickelnde Reiz dieser verschacherten Jugend – wenn sie im hellen Morgenkleide sich über die duftenden Blumenbeete 135 ihres Gartens beugte, sie selbst jung wie der lachende Morgen; oder wenn er an glutvollen Nachmittagen ihren aufgestützten weißen Arm, von dem der weite Aermel herabgeglitten war, durch das Gitter der Laube erblickte und seine heißen Sinne das übrige ergänzten – sondern es war vor allem ihre keusche Frauennatur, die ihn so sehr anzog. Denn dieser früh Verdorbene hatte zuzeiten ein ungestümes Verlangen nach reiner Luft. Der Pessimist wollte glauben. Wir haben alle unsern Fetisch nötig. Nur aus dem Glauben fließt die That. Es giebt Menschen, die nur ein Paar geliebte Frauenaugen bedürfen, um etwas zu sein, und denen aus einem inneren Widerspruch der eignen Natur gerade dieses versagt bleibt. Lerden war viel zu stolz, um, was dem Roué mißlungen, als Mann nochmals zu versuchen. Der Löwe springt nur einmal. Darum war der Löwe in ihm zum Gehen entschlossen, als der Verliebte zum zweitenmal die Entfernung maß. Die Uebereinkunft mit dem Grafen war ihm darum ganz recht.

»Ich muß etwas thun, um über diese verspätete Jugendthorheit hinauszukommen. Denn dieses thatenlose Verzehren in sich selbst führt zum Marasmus oder ins Tollhaus.«

Er hatte etwas vom Schulmeister in sich, dieser Lerden. Den Grafen hielt er mit Recht für ein Kind. Aus diesem Kinde etwas zu machen, reizte ihn.

136 »Schlaf wohl, mein Lieb. Adieu für immer!«

Auf einmal wetterleuchtete es über sein melancholisches Gesicht. Und wenn sie nun wirklich noch ihr Glück fände, ohne ihn? Der Gedanke ließ wilde Eifersucht in ihm emporflammen.

»Das ertrüg' ich nie.«

Dann beruhigte er sich. »Es müßte sonderbar zugehen, wenn sie nicht ehrlich bei diesem ›Alten‹ aushielte, ihm nicht einmal im Herzen untreu. – Sie verkümmert. Geht's mir besser?« 137

 


 


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