Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Achtes Kapitel.

Aber wundere dich nur nicht zu sehr – die richtige Zigeunergesellschaft!«

»Lo, ich verstehe dich wirklich nicht. Dein Mann ist ein unrettbarer Todeskandidat. Denk doch an die Klatschbasen aus dem ›Salon‹, deinen Doktor Jäger. Du bist von einem Leichtsinn . . .«

Doch sie beantwortete diesen Versuch, ihr ins Gewissen zu reden, mit einem fröhlichen Auflachen. »Zwei Stunden vor der Gesellschaft. So etwas kannst du nur predigen . . . du verkommst ja hier auch ganz unbedingt, mein Lieber. Wenn du's nicht merkst, ich jedenfalls. Und wir beide Moral simpelnd, das ist weiter nichts als komisch.«

Sie hatte recht. Diese leise und hastig im halbdunkeln Berliner Zimmer geführte Unterredung, während der auf den Schreibtisch gebeugte Kopf Fritz Rinows mit dem Apostelbart und den im Selbstgespräch sich bewegenden Lippen auf der 162 Milchglasscheibe der Mittelthür sich als riesiges, verschwommenes Schattenbild abzeichnete, während die hübsche Lo, den Fuß auf dem Stuhl, die Schnürbänder ihres reizenden Glacéschuhes fester zog, war gerade durch die eindringlich-ernste Art des einen und das komödiantenhaft helle Lachen der andern drastisch wie die Scene einer Vorstadtposse.

»Dann gestattest du wohl, daß ich mich empfehle?«

»Das ist nicht hübsch von dir,« gab sie in leichtem Ton zurück. »Aber jeder, wie er will. Schade.«

Er lachte so ungezogen, daß kleine Zornfalten sich auf ihrer Stirn krausten. Doch sie bezwang sich.

»Nur keine Scenen! – die hasse ich. Es kommt doch niemals etwas dabei heraus. Wenn du in einigen Stunden vernünftig geworden bist, erscheinst du wieder. Um zehn, elf – einerlei. Keine Steifheit, keine Prüderie, das ist langweilig. Also Gott befohlen!« und sie reichte ihm gutmütig die hübsche Hand.

Er ging. Erst dachte er an seine öde Junggesellenwohnung, an die Arbeit. Doch seit einiger Zeit glückte ihm kein einziges Kapitel mehr. Es ging rapid abwärts. Er knöpfte den Hohenzollernmantel sorgfältig zu, denn es war eine kühle, nasse Herbstluft. Die feuchten Trottoirs glänzten im roten Laternenschein. Er wollte einen langen, 163 ermüdenden Spaziergang machen. Jedenfalls nicht mehr zurück. Die reine Atmosphäre erquickte ihn. Am Lützowplatz bog er zum Kanal ein. Er war von einschläfernder Monotonie, dieser fast menschenleere Weg das Wasser entlang, zum Grübeln wie geschaffen; der Kies weich, naß, daß er den eignen Schritt nicht hörte. Die Bäume hauchten herbstlich-herben Geruch aus. Dazu der feuchtkalte Zug vom Kanal, der, in seine schrägen, hohen Quaderwände eingezwängt, schweigend, dunkel dahinfloß. Nur wo die Obstkähne lagen, fiel der Schein der Laterne trübe blinkend aufs Wasser.

»Wenn sich hier einer vorsichtig die glitschigen Steinwände hinabgleiten ließe – ein Plumps, ein dumpfes Gurgeln – und ehe die von dem Schiffe die Bootskette gelöst, verrät nur noch eine leichte Wirbelbewegung der dunkeln Wasser die Stelle.« Fast jedem hat eine schwarze, verschwiegene Tiefe solche Gedanken schon zugeraunt. Aber er wußte ja, daß er nie die Kraft dazu besitzen würde, nicht einmal zur Flucht. Und doch lockte ihn das Wasser, wie es an den Brückenpfeilern ganz leise rauschte. Ein Spreekahn glitt lautlos an ihm vorüber. Er sah, wie die Männer die schweren Stangen gegen die Schultern stemmten. Es mußte eine harte Arbeit sein. Der Durst überkam ihn nach Arbeit, einer schweren, mechanischen Arbeit, wo man 164 schweißtriefend alle Sorgen vergißt. Und zugleich ärgerte ihn auch diese qualvolle Langsamkeit. Warum so schneckenhaft – Fuß für Fuß? Es mußte doch ein elendes Dasein sein, so tagelang sich zwischen diesen ewig gleichen Mauern hindurch arbeiten zu müssen. Und wieder zurück derselbe Weg . . . So war ja sein Leben auch: dieselbe Monotonie des Lasters, grau, lähmend, endlos.

Ihm graute. Er war froh, als er endlich die Potsdamer Brücke erblickte: die bunten Lichter der Pferdebahnen und Omnibusse, die schnell vorüberfahrenden Karossen und jenes laute Menschengewimmel, dessen gleichmäßiges Summen ihn betäubte. Doch einige Schritte weiter fühlte er sich schon wieder einsam. Er hatte verzweifelte Fortschritte gemacht im Pessimismus, der Geliebte von Frau Lo. Junge, frische Frauengestalten, denen die Lebenslust aus den Augen blitzte, kamen vorüber, streiften ihn fast mit den jugend-schlanken Körpern. Aber seine Augen glitten nur mit einem bösen, lauernden Ausdruck über die von der kalten Luft geröteten Gesichter. »Wer weiß, warum ihr so munter seid! Gut amüsiert? – Oder es kommt noch. Es ist alles eins, in Berlin, in Paris. Die Bande ist verdorben und verdirbt uns mit.« Er war ganz mitleidslos. Und als er in der Leipziger Straße ein Paar einholte – sie jung, eine elastische Figur, und mit einem so 165 fröhlichen Lachen, wenn sie mit der fein beschuhten Hand dem alten, leicht gebeugten Herrn an ihrem Arm etwas zeigte, schlenderte er langsam hinterher, blieb mit vor den Läden stehen und sah ihr ganz ungeniert wie ein echter Roué ins Gesicht. »Kein Liebhaber gefällig?« Ihr Erröten, ihr niedergeschlagenes Auge, die hastige Art, wie sie ihren Mann wegzog und sich enger an ihn schmiegte, beantwortete er cynisch mit einem: »Wahrscheinlich schon versorgt. Nur keine Tugendsimpeleien! Ihr macht ja doch keinem mehr etwas weis!«

Das war der richtige, gleichgültige Zigeuner, wie er in seiner modisch-nachlässigen Haltung die Friedrichstraße entlang schlenderte. Schlaffe Züge, verblaßte Augen, mit demselben erschrecklich leeren Ausdruck die funkelnden Schmucke der Juwelierläden, die Konditoreien, die schreienden Plakate der Litfaßsäulen, die Tiere, die Menschen musternd. Den überraschte nichts mehr. Ob sich die bildhübsche Verkäuferin da für eine Stange des zwischen köstlichen Fondants und kandierten Früchten zierlich aufgeschichteten »Nougat« verkaufen würde? – Gewiß. Für eine Knackmandel würde sie es auch thun, wenn sie gerade Appetit hätte. Keine Illusionen! Die Weltstadtmaske war sehr schnell für ihn durchsichtig geworden. Und fest entschlossen, kein Gefühl an diese Umgebung auf dem schlüpfrigen Asphalt zu 166 verschwenden, die in dem wogenden, tosenden Hin und Her die ganze Nervosität des Berliner Lebens enthüllte, sah er mit einem durch das eigne Elend merkwürdig geschärften Blicke nur die Lüge, wie sie überall durch die gemachten Gesichter und den nachlässig-sicheren Gang der Flaneure sowohl als durch die feenhaft erleuchteten Schaufenster und die prahlerischen Reklameschilder der Nachtcafés und Chantants grau und öde hindurchblickte. Er sah gar wohl das Elend an sich vorüberschleichen – die Blinde mit dem monotonen: Kaufen Sie Wachsstreichhölzer! – den gebückten Greis mit der blauen Brille und dem grauen Barte, den Krüppel, der auf seinen Stelzen unbeachtet durch die elegante Menge stampfte; alle jene grellen sozialen Gegensätze, welche nur für den Oberflächlichen in dem Meer von Licht und Luxus sich zu verflüchtigen scheinen.

Heute zog es den Grafen tiefer hinein, in das eigentliche Berlin, wo man das wahre Weltstadtgesicht zu sehen bekommt – tiefer hinein, wohin sich die Gummiräder nie verirren und statt des leichten, surrenden Peitschenschmisses, der den Ehrgeiz der Rassepferde kitzelt, höchstens der brutale, klatschende Geißelhieb zu hören ist, mit welchem der Droschkenkutscher den wolligen, abgetriebenen Gaul züchtigt. Da gehörte er hin mit seinem verlorenen Dasein, in die engen Straßen zwischen den hohen, 167 schmucklosen Häusern. Aus den düsteren, schmierigen Portalen und den glitschigen Stufen der Kellertreppen steigt der widerliche Dunst der Armut, legt sich auf die Stimmung, schwer, ahnungsvoll. Der Aristokrat meinte hindurchblicken zu können durch die dicht verhangenen Kellerfenster. Welches Bild! Diese fluchenden, betrunkenen Menschen mit den stieren Augen und den plumpen Arbeiterfäusten – wie sie sich in dem von Tabaksqualm dämmrigen, von stickigen Fuselgerüchen erfüllten Lokale drängten! Das war die Weltstadt, nackt, in ihrer ganzen Brutalität. War er vielleicht besser? Und doch eilte er, hinauszukommen, weil sie ihn jäh überkam, die erklärliche Angst des Neulings, der in allem, in den verwelkten Gesichtern der Frauen, den frechen, grauweißen der Kinder, in den Augen der apathisch auf das feuchte Pflaster hingestreckten Ziehhunde den dumpfen Haß gegen die Besitzenden sieht, fühlt, riecht und sich bewußt wird, daß hier eine elementare, schreckliche Kraft schlummert, nur schlummert.

Eine dumpfe, verderbenschwangere Atmosphäre, die, je schneller er ging, desto zudringlicher auf ihn eindrang! In weiter Ferne zeichnete sich der alles überragende Koloß des grauen Schlosses gegen den mürrischen Herbsthimmel ab.

Eine Dame fiel ihm auf, die weltverloren, einsam wie er, vor ihm herschlenderte – eine Dame in 168 Gang und Haltung, sonst würde er sie für etwas andres gehalten haben in dieser Umgebung und zu dieser Stunde. Sie kam ihm bekannt vor. Aber er hatte seit einiger Zeit eine krankhafte Scheu vor Begegnungen. Und doch war er neugierig und folgte ihr eigentlich wider seinen Willen. Als sie in eine Seitenstraße einbog, erhaschte er beim flackernden Licht einer Laterne den Umriß ihres Gesichtes. Marie Ellers! »Wo kommt die her? Natürlich ein Rendezvous. – Es giebt eben keine anständigen Frauen . . . Ob sie sehr erfreut sein wird, wenn ich sie anrede? Ich werde das Keuschheitsschleierchen dir etwas lüften.

Er beschleunigte den Schritt. Auch sie ging schneller, ohne sich umzusehen. Zuletzt wurde es ein förmlicher Wettlauf.

»Sie entgehen mir doch nicht, gnädige Frau!« Er war mit einem Sprunge neben ihr.

»Ah Sie, Herr Graf?«

»Darf ich Sie begleiten?«

»Ich nehme dankend an. Für einzelne Frauen ist eine Promenade hier wohl etwas riskant? – Wir im Westen kennen ja dieses Berlin gar nicht.«

»Etwas schlechtere Luft, etwas mehr Armut – der Unterschied ist nur oberflächlich.«

»Sie sind wohl unter die Naturalisten gegangen und Studien halber hier?«

169 »Durchwühle den Kot nach übelriechenden Problemen. – Ich habe den Hammelsprung nicht nötig gehabt; Naturalist bin ich innerlich längst. Aber schreiben ist nicht mehr. Die Quelle ist ganz versiegt. – Freilich, ich hätte wohl einen kleinen Romanstoff mit den nötigen Weltstadtmiasmen – schmutziger sogar wie das alles hier.«

Frau Marie zog die Nase. »Ich danke im voraus. – Ich wollte hier meinen Bruder aufsuchen in einem schrecklichen Chambre garnie. Nicht zu Haus. Bei uns logiert er nämlich aus Grundsatz nicht. Ein harter Kopf, das Gegenteil von mir. Mein Mann und er lieben sich nicht. In den ersten fünf Minuten sind sie schon bei der Kunst und liegen sich in den Haaren. Mein Bruder hat, glaube ich, der Sache nach recht, aber die Art! Mein Mann kann sich schließlich das nicht gefallen lassen. – Sie glauben nicht, wie ich darunter leide. Bis zu meiner Verheiratung war unser Verhältnis ganz anders. Wir haben uns geliebt, wie sich zwei Geschwister nur lieben können. Jetzt behandelt er mich die seltenen Male, wo wir uns sehen, hart und höhnisch. Noch heute! Und wegen dieses Lerden, der mir so unsympathisch ist. Die beiden haben sich in Paris getroffen. Mein Bruder schwört auf ihn.«

»Ich auch.«

170 »Dann will ich Ihnen wünschen, daß Sie nie die Rückseite der Medaille zu sehen bekommen.«

Der Graf schwieg. Er hatte sich in den Schmutz seines Verhältnisses schon ganz mollig eingewühlt, daß ihm die Erinnerung an Lerden sehr ungerufen kam. Auch diese Frau! Was kümmerte ihn diese keusche Jugend? Wer an verdorbene Stubenluft sich gewöhnt hat, empfindet den ersten reinen Luftzug stets unangenehm. Darum war der Graf auch ganz froh, als sie unter nichtssagenden Gesprächen bis zum Schloßplatz gekommen waren und sie in die Pferdebahn stieg.

»Ihr alle habt es leicht, anständig zu sein,« monologisierte er. Erst als sie weg war, stiegen ihm allmählich andre Gedanken auf. »Ich hätte es ebenso leicht gehabt . . . die verwünschte Schlappheit!« Dann kam es ihm auch wieder vor, als wenn Frau Maries Gesicht heute anders ausgesehen hätte – auf der Stirn ein leichter Schatten, kaum bemerkbar wie die etwas dunkeln Stellen an einem reifen Pfirsich, der zu verderben anfängt. »Der Prozeß geht dann schnell.« Es gab ihm einen Stich durchs Herz. »Nein, das Ende wünsche ich ihr doch nicht!«

Zum Abendessen ging er dann ins Löwenbräu. Es war überfüllt, und er mußte sich neben einen reduziert aussehenden Menschen setzen, der ihm wegen seines ungenierten Essens sehr mißfiel und ihn doch 171 durch einen warmen Ausdruck in seinen wolkigen Grauaugen wieder anzog. Beide waren nachdenklich und wechselten kein Wort.

Wenn der Graf geahnt hätte, daß es Marie Ellers' Bruder war, und daß dieser schäbige Bursche sein ganzes Schicksal in den Händen hatte! 172

 


 


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