Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Zweites Kapitel.

Mich um Verzeihung bitten – wozu? Sie werden noch ganz andern Jagdgeschichten zuhören müssen, mein Herr Graf, und die Liebenswürdigkeit haben, zu schweigen. Uebrigens war das nur eine aufsteigende Hitze von mir . . . Und dann . . . Ob wirklich etwas dran ist an dieser Frau Klara Linker? Solche aus Eitelkeit und Egoismus zusammengesetzten Naturen bleiben immer undurchdringlich, auch für sich selbst. Jedenfalls gebe ich Ihnen den guten Rat: Lassen Sie den ›Salon‹ nicht schießen aus wohlgemeinter Prüderie; Sie sind Graf, Litterat . . . da hat man seinen ›Salon‹ nötig.«

Lerden und der Graf schlenderten durch die Friedrichstraße.

Die Weltstadt präsentierte sich famos. Die Dämmerung war vollkommen hereingebrochen. Der Menschenstrom wogte zwischen den hohen, erleuchteten Spiegelscheiben der feinen Geschäfte auf und ab; 31 viel Nichtsthuer mit Cylinder und Schnabelschuhen, die beste Halbwelt mit hübschen Gesichtern, in vornehmer Toilette, wenig Plebs. Elegante Landauer mit Rassepferden und stolzen Kutschern jagten vorüber; drin in weiße, weiche Shawls gehüllte Damen, zuweilen eine blitzende Uniform. Daneben trotten schwerfällig die Droschkengäule; Omnibusse mit schweren, dampfenden Belgiern rasselten vorüber, und aus den Nebenstraßen tönte schrill die Glocke der Pferdebahnen. Ein wohlabgetöntes Straßenbild! Aber gerade das war es – diese Menschenwoge, die an ihnen vorüberströmte, sie mit sich fortriß oder festhielt, je nachdem sie sich vor einem großen, mit mattem Plüsch ausgeschlagenen Juwelierladen vor einem funkelnden Kollier von fabelhaftem Preise zusammenballte, oder nach dem fernen scharfen Klingeln der Feuerwehr drängte, dünkte Lerden trotz der Verschiedenheit der Toiletten, der englischen Hüte, der modischen Ueberzieher, der Jargons uniform bis zum Lächerlichen. Er kannte die langweilige Internationalität dieser Gesellschaft von andern Weltstädten zur Genüge, während der Graf mit dem neugierigen Interesse eines Provinzlers die Schaufenster und jedes hübsche Gesicht prüfte, und hocherfreut, in diesem allerliebsten Gewirr von Damenhüten und Pelzbaretten bekannte Züge zu erblicken, eben auf die Professorin Eller zugehen wollte, die 32 am Arm eines langhaarigen, ältern Herrn vor einer Litfaßsäule stand. Lerden hielt ihn zurück.

»Thun Sie das, bitte, nicht! . . . Ein knickebeiniger Othello, dieser Mann da! Ich werde Sie mit Ihrer Erlaubnis noch ein Stück begleiten. Aber, wo wollen Sie doch hin?«

»Zu Charlotte Rinow.«

»Das hätten Sie mir früher sagen müssen! . . . Lo! Erste Liebe!« und mit einem maliziösen Lächeln fortfahrend: »Das wäre etwas für Sie, mein Herr Graf! . . . Sie soll reich sein und ist vermutlich nicht überglücklich verheiratet. Eine ideale Freundschaft . . . wie?«

»Aber, Herr Doktor, das wäre doch . . .«

»Eine kleine Gemeinheit! Ganz recht! Aber wir alle thun größere, ohne irgendwie zu erröten. Jedenfalls hat sie Geschmack; die einzige im ›Salon‹, die überhaupt welchen hat! . . . Ein Scherz natürlich . . .«

»Natürlich!«

Die Herren trennten sich. Der Graf aber faßte diese Frivolität weit ernster auf; er hatte mit der »Salonluft« schon etwas von seiner Moral mit eingesogen. »Teufel! Warum sollte er nicht? Hatte er es denn nötig, besser zu sein wie die andern?« Und dann empfand er diesen Reiz des Unerlaubten in ungewöhnlicher Stärke. Die Weltstadt hatte ihn angenehm angeregt. Und langsam durch die belebten 33 glänzenden Straßen wandernd, hatte er eine hübsche, kleine Phantasie mit duftigem Frauenhaar und einem zum Küssen halbgeöffneten, üppigen Munde.

*

Fritz Rinow war heut abend ausgegangen. Eine geschäftliche Unterredung . . . »Gott sei Dank!« Sie liebte den Mann nicht, und jeden Abend, wo sie ohne seine langweiligen Liebkosungen in den schönen, hohen Räumen ihrer im äußersten Westen gelegenen Mietswohnung weilen konnte, war ihr ein Genuß. Sie saß in dem weit vorspringenden Erker seines Arbeitszimmers und schaute etwas gelangweilt durch die beschlagenen Fenster auf den von kahlen Aesten überragten Plankenzaun des Zoologischen Gartens. Das häßliche Geschrei der Wasservögel war verstummt; die Lichter der Pferdebahnen huschten in der nebeligen Luft wie Irrwische vorüber, wie phantastische Schatten bewegten sich die Gestalten der Stadtbahnreisenden daneben, und wenn ein Zug über die eiserne Ueberführung rasselte, fühlte sie, wie der Fußboden unter ihr bebte.

Langweilig . . . aber wenigstens allein! Diese schreckliche, moderne Ehe . . . unausgefüllt, öde, als wenn sie niemals enden könnte!

Ihre Gedanken unterbrach der leise Anschlag der elektrischen Glocke. Wer konnte es sein? Sie wartete 34 einige Minuten auf das Dienstmädchen, das natürlich nicht kam, dann erhob sie sich langsam, ruhig – die Bewegungen ihrer hohen, majestätischen Gestalt hatten immer etwas sehr Gemessenes – und nachdem sie vor dem Entreespiegel noch ihre dicken, schwarzen Haare zurecht gestrichen hatte, öffnete sie.

»Ah! Herr Graf . . . Wer hätte geglaubt! . . . Sie finden mich allein. Aber es ist nett von Ihnen, namentlich da ich Grafen bis jetzt nur aus den Romanen Schellaggs kenne. Ich bin neugierig, ob Sie wirklich einer seiner vielgerühmten Typen sind.«

Das war er nun keineswegs, der gute Graf; eins von den gewöhnlichen deutschen Gesichtern, blond, gutmütig; die stramme Figur neigte ein wenig zum Embonpoint.

Sie saßen vor dem flackernden Majolikakamin; er im Lutherstuhl, die Hände gekreuzt; sie nachlässig auf dem Schaukelstuhl ausgestreckt, mit der Spitze ihres roten Saffianpantoffels die Wärme suchend. Die große Hängelampe mit dem chinesischen Buntschirm spendete ein gedämpftes Licht – gerade als wenn eine allerliebste Boudoirscene im Anzug wäre. Verschwiegen und gemütlich genug war es, dieses große, dämmerige Gemach! Es war im dunkeln Modestil gehalten mit weichen Teppichen und schweren Plüschportieren, ein mächtiges Bücherregal, wo in buntem Gemisch Bücher jeden Genres in schimmernden 35 Einbänden sich bis zur Decke drängten, nahm fast eine ganze Wand ein; dahinter, beinahe im Erker, eine mit dem wolligen Fell des amerikanischen Büffels bedeckte Chaiselongue – ihr schwarzes Spitzentuch lag noch darauf; gegenüber, ganz im Dunkeln, der große Diplomatenschreibtisch mit mattblinkenden Messingbeschlägen – das weiche Profil der Klythia schimmerte von der Konsole darüber. Das Licht des Kamins spielte auf einer selten schönen Rokoko-Uhr mit lächelnden Amorettenköpfchen auf einem eingelegten Tischchen; sie tickte eilig und silberhell.

»Ihr Befinden, meine Gnädigste?«

»Lala!« Sie hatte ihre frischen Kinderlippen halb geöffnet, und den Kopf weit zurückbiegend, daß nur ihr feingeformtes Kinn und ihr Kokottennäschen sichtbar war, warf sie ihm unter ihren langen Wimpern einen kalten, gleichgültigen Blick zu. Was wollte er? Natürlich ihr Urteil, ihr feines, vom Vater geerbtes Urteil, dem der »Salon«, auch die Mutter unbedingt vertraute. Aber sie war etwas verdrießlich heute, gar nicht die liebliche Spottdrossel, die alle Töne so meisterhaft nachzuahmen verstand – den großen Schellagg, die Schäbigen . . . Fritz hatte bei seinem Weggehen etwas von Einschränken geredet, von Sparen . . . die Verhältnisse . . . Ja, was ging sie denn das an?

Sie begann im Salonton. »Meine Mutter hat mir Ihre Novelle geschickt, Herr Graf. Ganz nett . . . 36 aber . . . aber . . .« sie wippte mit dem kleinen Fuß, der zu ihrer Figur sehr im Mißverhältnis stand, »welche Lösung des Konflikts! Man sieht, Sie sind kein Großstädter. – Zwei, die sich nicht lieben, heiraten . . . Geld, Stellung, kurz, sie müßten eigentlich miteinander zufrieden sein. Die unvermeidliche schöne Unbekannte kommt. Er verliebt sich wahnsinnig; man liest so etwas öfters in Büchern. Bis dahin verläuft alles programmmäßig. Aber dann! Sie versuchen den großen Theatercoup aller Anfänger: Einer muß sterben. Die Geliebte? Dabei kommen sie nicht weiter. Die Frau? Aber diese kühle, verständige Natur weiß alles und denkt gar nicht daran, sich für die Thorheit andrer zu opfern. Also der Mann! Aus den Fesseln seiner Ehe giebt es kein Entrinnen – keins! – Denn er ist ein sogenannter Ehrenmann, der die Kluft des Konventionellen nicht überspringen kann und nicht will. Darum her mit der Pistole. Der traditionelle, dumpfe Knall! – der Vorhang fällt.«

»Aber so etwas kommt doch vor!«

»Auf der Bühne, Herr Graf! Da läßt die Erregung des Augenblicks kein kühles Urteil zu. Außerdem verlangt man da Scenen, Thränen, den schmerzdurchzitterten letzten Monolog, das: ›Du hast ihn getötet!‹ der halb wahnsinnigen Geliebten – und ihr Zusammenbrechen über dem merkwürdig schnell 37 erstarrten Leichnam. Aber im Leben . . . ach! im Leben . . .« und sie faltete in komischer Verzweiflung die Hände über dem Kopf.

»Und Sie?«

Sie beugte sich vor; ihr blasses Kokottengesichtchen mit dem über der niedrigen Stirn gekräuselten Haar bekam etwas Farbe. Sie sah sehr pikant aus.

»Erstens hätte ich die Geschichte sich im Sande verlaufen lassen; denn die Geliebte ist arm, und die schönen, behaglichen Räume seines Heims, den wohlbesetzten Tisch, die Achtung der Dienstboten – so was riskiert man nicht für eine ungewisse Zukunft! Das mußte nach völliger Erkaltung der Gatten, nach Herzenskämpfen und so weiter und den rührenden Winken des thränenfeuchten Taschentuchs der Geliebten, während der Zug dröhnend, prustend die schöne Unglückliche entführt, noch eine kleine Musterehe werden. Und als Schluß: eine hübsche Villa in der Tiergartenstraße, spielende, sehr wohlerzogene Kinder, im Glaspavillon des Hintergrundes die beiden Versöhnten, silberweiß, glücklich, Hand in Hand; und draußen zieht ein Strom ehrfürchtig grüßender, korrekter Menschen vorüber. O, es geht doch nichts über das Legitime! Nicht wahr? Aber mittelmäßige Menschen zu zeichnen ist so schwer!«

Er sprang auf und durchmaß das Zimmer mit langen, erregten Schritten, daß die Journale auf 38 dem großen Mitteltisch flatterten. »Aber das ist ja, – ist ja Blasphemie!«

»Nur für jemand wie Sie, der nicht verstehen will, daß wir aus dem Mittelalter heraus sind.«

Er trat ganz nah auf sie zu, die sich gleichmütig im Stuhl schaukelte. »Aber wenn Sie selbst, Ihr Herz gefragt würde –«

»Ich?« Sie sprach es langgezogen und richtete sich auf.

›Gott, ist sie groß!‹ dachte der Graf, wie sie so vor ihm stand und ihn um Kopfeslänge überragte. ›Welch lächerliche Phantasie doch vorhin! Sie – seine Geliebte!‹

Er trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Sehen Sie, Herr Graf, das thun sie alle. Wenn ich sitze, mon bijou . . . Kleine, du bist reizend! der ›Salon‹ ist entzückt – aber wenn ich aufstehe, tritt jeder unwillkürlich zurück, wie beim Straßburger Münster.« Und plötzlich dachte sie wieder an seine Frage: Ich? – »Ja, Sie dürfen auch nicht vergessen, daß ich in allem eine Ausnahme bin, Tochter des ›Salons‹; da hat man einige Skrupel weniger!«

Und nun suchte sie, ganz ihrer gemüt- und pietätlosen Natur nachgebend, ihm zu erklären, daß die Ehe zwischen zwei Menschen, die sich nicht lieben, eigentlich eine Scheinehe ist. – »Weiter nichts! Sie haben sich Treue geschworen – Phrase, die sie 39 niemals zu halten gedachten; sie haben sich ganz einander hingegeben – in Wahrheit waren sie nach dem ersten Kusse sich fremder als je. Solange es ihnen paßt, leben sie nebeneinander, weiter entfernt wie zwei Welten; der Pakt geht nur so lange, als der eine von ihnen nicht einen andern schließt. Der Fall tritt ein, sobald der eine wirklich liebt. Wozu also das Gewaltsame? Nach meinem Gefühl liegt gar nichts Unmoralisches darin, wenn sich die beiden auseinandersetzen, ruhig, ohne Bitterkeit. Ja, die das thun können, sind sogar die wahren, die mutigen Geister!«

Er hörte ihr schweigend zu mit jenen unklaren Empfindungen, die solche Sophismen in einer ehrlichen Natur heraufbeschwören. Dabei sprach sie so ruhig, als wenn sich das von selbst verstünde. Er setzte sich halb überzeugt wieder in seinen Lutherstuhl; sie saß auch wieder, und ihr hübsches Gesicht zog ihn doch mächtig. Wenn junge Frauen so etwas sagen, haben sie immer einen Nebengedanken. Welchen?

Das Kaminfeuer war heruntergebrannt. Er sah deutlich nur ihre um das Rohr der Seitenlehne festgeschlossene weiße Hand und ihre Augen, ihre dunkeln Augen, die seltsam zu ihm herüber leuchteten. Er wußte genug. Also auch sie war unglücklich? Diese Geschichte auch ihre Geschichte? Welche Lösung wünschte sie? Aus ihren Augen blitzte ein so überlegener Wille. Noch standen ihr beide frei!

40 Seine Hand suchte die ihre – sie waren beide feucht und kalt. Eine Weile saßen sie stumm, bewegungslos; nur ihre Augen sprachen. Er verstand die ihren nicht ganz; sie zogen ihn an, stießen ihn ab. Was wollte sie? War er der Rechte? Ein heißer Strom ging durch seinen Körper bis in die Fingerspitzen. Sie suchte langsam ihre Hand unter der seinigen hervorzuziehen. Eine Boudoirscene wünschte sie nicht. Das reizte ihn noch mehr. Schwach, haltlos, wie seine Natur war, fühlte sie sich zu jener starken, unbeugsamen hingezogen. Gab es zwischen diesen beiden ein geheimes, ihnen selbst noch unbekanntes Etwas, das ihre so grundverschiedenen Naturen zu einander zwang? – Zigeuner! Sie erriet es zuerst; und bei dem übernatürlichen Ahnungsvermögen solcher Momente zuckte es zu ihm herüber: Zigeuner! Aber gleichzeitig bäumte sich sein Stolz auf. »Zigeuner – ja – nein! Wenn Sie wüßten!« Er sprach rauh, abgebrochen; ihre Hände lösten sich.

Sie hüllte sich in ein ungläubiges Schweigen. Und da gab er sie preis – seine Geschichte. Welche Geschichte!

Eine fröhliche mit Ponys und tollen Streichen auf dem Lande verlebte Jugend. Dann kam der Krach. Der Vater, sein eleganter Vater, hatte irgend eine Gemeinheit verbrochen. »Was? Fragen Sie nicht! Ich war arm; das ging noch. Aber die 41 Unmöglichkeit, irgend etwas zu erreichen! Ich habe es bei allen versucht. Bei den Freunden meines Vaters. Man zuckte die Achseln: Amerika! Ich bin von Ministerium zu Ministerium gewandert. Graf Silowstrem! . . . Die Flügelthüren wurden sperrangelweit geöffnet. ›Wir werden sehen . . . natürlich . . . ein so alter Name!‹ Und gleich darauf dieses schreckliche Erinnern: ›Aber war es nicht ein Silowstrem, der . . . Ja! . . . zum Zuchthaus verurteilt wurde?‹ –.Ganz recht! . . . mein Vater . . .‹ Grauhaarige, gutmütige Herren pflegten mich dann zu trösten: ›Ja, sehen Sie, aber das ist doch nicht möglich, Sie haben nichts andres als Ihren Namen, und der ist so beschimpft!‹ Aber bei den meisten welche Entrüstung! ›Junger Mann, Sie können es wagen, nach solchen Vorkommnissen!‹ – Weiß Gott! es hat mich alt gemacht vor der Zeit!«

Auf seinem gutmütigen Gesicht lag eine tiefe Traurigkeit.

»Habe ich nicht auch Lebenserfahrung? Was?« Sie hatte sich vorgebeugt und starrte ihn an. Aber er sah das gar nicht, vergrub sich weiter in seinen quälenden Erinnerungen. »Wenn ich nur nicht Graf gewesen wäre! . . . aber so . . . wie gebrandmarkt durch meinen vornehmen Namen. Ich hätte mit meinen Händen arbeiten können wie andre . . . aber Graf! Graf! . . . und dann scheut 42 man sich vor der erniedrigenden Gemeinschaft mit diesen gewöhnlichen Menschen. Was habe ich denn gethan? Wer haftet denn für die Sünden seiner Väter?«

Er stieß es rauh hervor mit immer lauter werdender Stimme, daß der Papagei im Nebenzimmer erwachte und das einzige Wort, was Frau Lo ihm beigebracht hatte, kreischend wiederholte. »Betrunkener Kerl! Betrunkener Kerl!«

Er hörte es nicht. »Zuletzt blieb mir die Schriftstellerei übrig. Ich bin bei Gott nicht freiwillig unter die Litteraten gegangen. Meine Begabung? – Gnädige Frau, ich habe lichte Augenblicke, wo sie mir sehr kümmerlich erscheint.«

Sie schwieg, hatte kein Wort des Trostes für ihn, dessen gutmütiges Gesicht wie unter dem brennenden Stich einer Sonde zuckte. Salonphrasen, eine nichtssagende Ermutigung hätte sie für jeden parat gehabt. Aber nun kam der ihr so . . . nicht Graf, nicht Phrasenheld, nur Mensch!

Und sie, die von Jugend auf gewöhnt war, alle ihre Empfindungen anmutig mit der glatten Salonlüge zu verschleiern, fand für diese wirkliche Erregung ihres Herzens keinen wahren Ausdruck. Und als sie es endlich herausbrachte, ihr nüchternes: »Da sind Sie ja sehr zu beklagen!« klang das so ungelenk und komisch wie das »Betrunkener Kerl!« des bunten Vogels vorhin.

43 Sie begriff das selbst, und um den Eindruck zu verwischen, gab sie ihm die Hand. Die Berührung elektrisierte ihn. Wenn er sie nun festhielte! In der Angst seines schwachen Herzens war ihm das ein Trost. Und diese Hand hatte offenbar gar nichts dagegen, lag fest mit einem warmen Druck in der seinen. Lo empfand eine wirkliche Sympathie für diesen »Mußzigeuner«. Ein bißchen Hautgout bei der Sache, das reizte sie.

Es war eine schwüle Stille im Zimmer; nichts als das silberne Ticktack der Rokoko-Uhr.

»Der Fluch der Traditionen!« er sprach das leise, heiser, nur um etwas zu sagen. Die Erregung der Stunde machte seine Hand zittern. Sie drehte den Kopf um und sah ihn mit einem langen, merkwürdigen Blicke an. Als wenn ihn der herüberzöge, erhob er sich langsam, ohne es recht zu wissen, und sich ganz über sie beugend, daß er den Hauch ihrer frischen Kinderlippen spürte, fragte er flüsternd: »Also auch Sie?«

»Was wollen Sie eigentlich?« hauchte sie zurück und senkte die Wimpern.

»Dich!« antwortete er leise. Und plötzlich umschlang er sie leidenschaftlich, und während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte, wiederholte er: »Dich! Dich!«

Sie hatte eine Bewegung gemacht, als wenn sie 44 ihn zurückstoßen wollte. Dann sank sie matt in den Stuhl zurück. Ein köstliches Glutgefühl, das ihr die Augen schloß und die Hand lähmte, durchrann ihren Körper.

Die Rokoko-Uhr schlug. Sie erwachte und horchte auf die Schläge. Fritz konnte jede Minute da sein. Die ruhige Ueberlegung kam ihr zurück und zugleich der vernünftige Gedanke. Warum die Brücken abbrechen? . . . Eine ungewisse Zukunft . . . Sie machte sich aus seiner Umarmung los und strich die Stirnhaare zurecht. Sie sahen sich an mit ihren vor Leidenschaft glänzenden Augen und heißen Gesichtern. Eine häßliche Ernüchterung, die alle Dinge der Umgebung in einem widerwärtigen Lichte zeigte, kam ihnen.

›Wir standen vor einem Abgrund!‹ dachte er.

»Wissen Sie, daß wir auf dem besten Wege waren, eine Dummheit zu machen?« sagte sie mit ihrer frivolen Ehrlichkeit. Dann lachte sie – ihr anmutiges, helles Lachen – der Ton empörte ihn.

»Eine von der höheren Sorte!« murmelte er zwischen den Lippen. Es dünkte ihm hohe Zeit, zu gehen.

Während sie die Sicherheitskette vorsichtig hinter der Korridorthür anlegte, lauschte sie seinen Schritten, wie sie auf den hallenden Fliesen des Flurs leiser und leiser wurden. Die Hausthür fiel knipsend ins 45 Schloß. Dann Stille. – Fritz kam also noch nicht; das war ihr lieb. Sie blieb einen Augenblick vor dem Entreespiegel stehen. Die verräterische Röte bis auf ein paar Flecke an den Schläfen war gewichen. Sie kräuselte die vollen Lippen. Keine Spur von Herzenserregung. »Sich so hinreißen zu lassen! . . . Wie war es eigentlich möglich?« . . .

Als sie die Hängelampe im Zimmer höher schraubte und mit dem zierlichen Blasebalg die Kohlen im Kamin anblies, war sie mit ihrem anmutigen Gesicht und den vom Bücken leicht geröteten Wangen das anziehende Bild einer sorgenden Hausfrau. Unterdessen überdachte sie sehr ruhig die Situation. Was war vorgefallen? Eigentlich nichts, was sie beide nicht schnell wieder vergessen konnten . . . Aber zu haben war er!

»Jedenfalls, wenn alle Stränge reißen . . .« Und als richtige Großstädterin dachte sie auch an den Moment, der sie brutal aus der bequemen Langweile ihres Lebens herausreißen könnte. Sie war vom »Salon« her an kritische Situationen gewöhnt. Einem Grafen dann in die Arme zu fallen, war noch immer das beste. Und da Frauen, auch die emanzipiertesten, stets eine unbändige Achtung vor gutem Blut und einer Ahnengalerie bewahren, war es ihr ein wirkliches Vergnügen, auf den »Fliegenden Blättern« – Gräfin Silowstrem, geborene Linker – 46 zu schnörkeln. So kindlich-naiv diese unsichtbaren Linien, die ihre weiße Hand immer und immer wieder beschrieb!

Zuweilen blickte sie aufhorchend nach der Uhr. Endlich hörte sie deutlich den schleppenden, unsicheren Schritt ihres Mannes, der den Aerzten so viel und ihr so wenig Sorge machte. Der Schlüssel in der Korridorthür drehte sich. Sie schob die »Fliegenden Blätter« zurück.

»Du kommst spät heute!« und sich leicht nach der Seite beugend, hielt sie ihm den Mund zum Kusse hin – immer dieselbe rührende Begrüßungsscene schon seit Jahren.

Sein graues, regelmäßiges Gesicht mit dem Apostelbart und den wasserblauen Augen hatte heute einen fremden, scharfen Zug. Sie sah es mit der vollständigen Gleichgültigkeit einer Frau, die nicht liebt. Geschäftssorgen! die gehören ins Comptoir . . .

Außerdem wollte sie heute gar keine Eröffnungen, keine Scenen. Eine überströmende Fröhlichkeit lag in ihrem ganzen Wesen.

»Was hast du nur eigentlich?« fragte er, als sie sich zum Abendessen ins Berliner Zimmer setzten.

»Nichts, Schatz! Ich wüßte wenigstens nichts. . . . Aber es ist so nett heute abend!« Der Wiederschein einer innern Freude glänzte auf ihrem Gesicht. Er erwärmte sich ordentlich daran. Die scharfe Falte 47 um seinen Mund wich. Wie alt und gutmütig er aussah! – so recht zum Betrogenwerden! – Dabei empfand sie nicht den mindesten Skrupel, nur ein Gefühl von Genugthuung, daß sie klug genug gewesen war, dies »Ich bin dein, auf ewig dein«, welches ihr in dem Paroxysmus der Liebe vorhin schon auf den glühenden Lippen geschwebt hatte, für sich zu behalten. ›Man hat doch einen guten Genius!‹ sagte sie sich. Und er dachte etwas Aehnliches, nur daß er diesen Genius sich gegenübersitzend wähnte.

Es war für ihn der Hauptgenuß des Tages, dieses Abendessen mit ihr. Das hohe Berliner Zimmer sah so traulich aus, die Gasflamme summte, die Blattgewächse in der Majolikaschale darunter zitterten ganz leise, dazu dieser gutgedeckte Tisch, das weiße, duftende Linnen mit dem blauen Meißner Service darauf und dem einladenden Aufschnitt, den Fritz so sehr liebte als Erinnerung an jene Zeiten, wo er als armer Teufel ihn an den beschlagenen Fenstern der feinen Fleischwarengeschäfte zur Winterzeit bewundert hatte.

»Ja, weiß Gott, arm war ich!« Er begann seine Pfingstgeschichte wieder. »Also denke dir, nichts zu essen . . . kein Pfennig in der Tasche. Dabei der wunderbarste Sonnenschein; ich hörte das fröhliche Lachen der Kinder bis in meine Dachstube. Aber ich überlegte, daß es wohl verständiger wäre, die 48 Festtage im Bett zu bleiben; der Magen knurrt da weniger. Ich hatte einen Wolfshunger, und in der frischen Luft . . .! Mir gegenüber war ein Bäckerladen, und alle Augenblicke kam jemand heraus, der noch einen Blick in sein Kuchenpaket warf und dann befriedigt die Papierecken wieder zusammenschlug. Das war eine Versuchung!«

»Wie geschmacklos!« lautete die heimliche Kritik für alle seine Histörchen. Vollkommen unfähig, dieses große Kind, das mit geschlossenen Augen an allen wirklichen Versuchungen der Weltstadt vorübergegangen war, in seinen kleinen Schwächen und Liebhabereien zu verstehen, hatte sie nur eine widerwillige Hochachtung vor seiner eisernen Arbeitskraft, die ein Vermögen zusammengescharrt hatte und auch jetzt unter dem Druck eines beginnenden Nervenleidens nicht erlahmte.

»Ah doch! Erlebt habe ich etwas, Fritz . . . Graf Silowstrem war hier, der aus dem ›Salon‹ . . . ein so harmloser Mensch! – Ich glaube nicht, daß er glücklich ist.«

»Wieso?«

Sie hütete sich wohl, seine Leidensgeschichte preiszugeben. »Nur Vermutung! Er ist sehr zurückhaltend. Vielleicht das leidige Geld . . .« Sie machte die bekannte Bewegung mit Daumen und Zeigefinger. »Vielleicht der Konflikt zwischen Stand und Beruf . . . 49 Er ist ein großes Talent, ein Genie, wenn du willst; das ist in der Grafenkoterie selten . . . Zwei Stunden haben wir über seine Novelle disputiert.«

»Also ein Graf?« Das imponierte ihm sichtlich. »Man könnte ihm doch helfen . . .«

»Ja, allerdings, das könnten wir, Schatz. Eigentlich ist das sogar Pflicht.« Und sich in die Brust werfend, hielt sie ihm eine äußerst moralische Vorlesung über Talente, die ans Licht gezogen werden müßten. »Der ›Salon‹ rührt die Reklametrommel, du giebst das Geld – eine wirklich gute That!«

»Aber später! Ich bin jetzt selbst ein wenig in der Klemme.«

»Ach, bleib doch mit deinen Ausflüchten! Ist deine Million noch nicht voll?«

»Ja, Million! Du hast eine Ahnung! . . .« Er wurde rot.

»Aber doch . . . ich sage nicht nein.« Und er ereiferte sich bei dem Gedanken, einem Grafen helfen zu können. »Schreib ihm, wir könnten morgen schon konferieren.«

»Wo denkst du hin! Er ist doch kein Bettler! . . . Höchstens, wenn wir ihn im ›Salon‹ treffen, eine feine Anspielung . . .«

»Gut! Thu, was du willst, mein Schatz! Hartherzig bin ich nie gewesen, nicht einmal eifersüchtig. Na, Lo – ein Graf – da sollte man 50 doch am Ende . . .« Er dachte nicht im entferntesten an eine wirkliche Anspielung. Doch der beinahe feindselige Ausdruck in ihren Augen beunruhigte ihn. »Du denkst doch nicht etwa, ich könnte in Wirklichkeit auch nur im Gedanken so sündigen, daß meine liebe Frau . . . Außerdem weiß ich am besten, daß du gar keine Sinnlichkeit kennst.«

»Also wozu diese Witze?« Sie wollte auch nur die Möglichkeit eines Verdachtes zurückweisen.

Er versuchte, ihr in seiner etwas zittrigen Art die Wangen zu streicheln. »Lo, liebe Lo . . . ich habe dich ja so lieb!«

Sie entzog sich langsam seiner Liebkosung. »Es könnten auch Zeiten kommen,« fuhr er fort, »wo du beweisen müßtest, ob du mich auch liebst.« Die scharfe Falte um seinen Mund markierte sich plötzlich sehr scharf.

Sie stand auf. »Ich will die ›Nationalzeitung‹ holen, Fritz.« Das Teuflische dieses Betruges trat ihr mit unheimlicher Schärfe vor die Augen.

»Ich denke, wir lassen die Geschichte im Sande verlaufen,« murmelte sie zwischen den zusammengepreßten Lippen, als sie an dem Kamin im Arbeitszimmer vorüberkam. 51

 


 


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