Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Sechzehntes Kapitel.

Sie saßen bei Lerden im sogenannten kleinen Trinkzimmer – ein schönes, altertümliches Gemach. Mit seinen mächtigen Hirsch- und Elchgeweihen an den Wänden, den blinkenden Humpen auf den Gesimsen darunter, den bunten Fenstern und dem Riesenkamine, in dem große Holzscheite flammten – jedenfalls der beste Ort für eine kleine, aufgeräumte Herrengesellschaft. Draußen ging ein kalter, schlickeriger Schneeregen herab. Das Essen war vorüber. Der Rittmeister hatte recht gehabt, es war ein Mahl für Gourmets gewesen. Auf dem dunkeln Eichentisch in der Ecke standen jetzt die Liqueurflaschen, lagen die in Stanniol gewickelten Importen. Hier auf dem großen Ecksofa unter dem aus Elchschaufeln sehr kunstvoll zusammengesetzten Kronleuchter dehnten sich die Gäste in jener trägen, versöhnlichen Verdauungsstimmung, welche die aufflackernde Unterhaltung so schnell wieder verglimmen läßt. Der Rittmeister, 294 weit zurückgelehnt, mit einer halbgeleerten Mokkatasse vor sich, summte den Marsch der finnländischen Reiterei und sah mit wohligem Behagen den Dampf seiner »Upmann« sich in die Höhe ringeln. Der Graf Silowstrem stand vor dem Kamin und stieß den Fuß gegen einen schwelenden Fichtenkloben, daß die Funken knisternd herausstoben. Lerden machte einen Spaziergang durch das Zimmer, auf den Fersen unermüdlich eine kleine, elende, schwarzweiße Hündin, ein Gemisch von Pinscher und Spitz, die jeden seiner Schritte eifersüchtig bewachte.

»Sehen Sie,« begann v. Fabrest gähnend, »so habe ich es am liebsten nach dem Souper . . . Zigarre, Kaffee, keine Weiber. Nun, Sandow, habe ich Ihnen zu viel gesagt? Der gemütlichste Winkel, die besten Weine . . . Ich habe nämlich den Herrn nur mitgebracht, damit er sich von seiner jugendlichen Voreingenommenheit wegen Ihrer scharfen Aeußerung über Offiziergigerln bekehrte. – Wie giebt man jetzt im Monat November doch die Hand? Ganz von oben und nur einen leisen Druck mit dem Daumen, he, Sandow?«

Der Leutnant lächelte und studierte die Spitzen seiner Lackstiefel, während Erlaucht, ein kurzgeschorener, kleiner, beweglicher Herr – er hatte den bei den früher Reichsunmittelbaren nicht seltenen jüdischen Typus – eine Grimasse schnitt.

295 »Ja, ja, meine Herren Gigerln!« Der Rittmeister drückte die kräftige Brust vor und tippte augenzwinkernd auf seine schwarze Halsbinde, welche die andern Offiziere durch den weißen Kragen ersetzt hatten. Der Dragoner that, als wenn er nichts hörte, und sah auf die mit Jagdstücken gemalte Decke; die beiden Zivilisten, Offiziere a. D., fühlten sich getroffen und lachten laut.

»Gigerln? – Warum soll man die Mode nicht mitmachen?«

›Wie lange?‹ dachte Lerden. Er wußte, was im allgemeinen von diesen um die Ecke gegangenen Offizieren zu halten war; wie sie schnell von Stufe zu Stufe glitten, vom Agenten zum Weinreisenden, zum Treiber für gewissenlose Spekulanten – in jedem Beruf untüchtig, durch die Tünche der Formen noch etwas wert für die betrügerischen Manipulationen der Weltstadtgauner, nur im Anzug Gentlemen, trotzdem hochmütig, gewissermaßen immer noch die Hand am Degengefäß. »Herr, ich muß bitten – – – Leutnant von . . .« Welche Wappen da mit einer gewissen Eleganz durch den Kot der Wechselfälschung, der Erpressung, des Falschspiels geschleift wurden! Die Adelskrone deckt viel. Zu guter Letzt zog man doch einigen die Sträflingsjacke an, andre wurden, zerlumpt, Wrack an Leib und Seele, von Verwandten über den Ozean spediert, um 296 dort die Zahl der schlechten Arbeiter zu vermehren oder mit jener Geschmeidigkeit, die im Verkehr mit den Vorgesetzten auf jede eigne Meinung zu verzichten gelernt hat – die Kehrseite unsrer eisernen Disciplin –, sofort in das internationale Gaunerheer überzuspringen, die gefährlichsten, skrupellosesten unter diesen Zigeunern, weil sie mit der Uniform ja eben alles ausgezogen haben.

Aus viel besserm Gusse seid ihr beiden auch nicht! Du mit dem wohlgepflegten Spitzbart und den vielen Fältchen um das graue Auge, den sie aus Höflichkeit Kapitän nennen. – In Wirklichkeit hatte dieser v. Sondling aus einem zwölfjährigen, abenteuernden Aufenthalte in allen Weltteilen nichts mitgebracht als sein Monocle und den zurzeit etwas altmodisch gewordenen Gardeflüsterton. Und du v. Elarn mit deinem regelmäßigen, weißen, dummen Gesicht, den die Mädchen in den Kneipen Rasso nennen wegen der etwas bärenhaften Bewegungen deiner Hünengestalt und deines auffallend vollen Armes – ein unbeabsichtigter Hohn! Denn du weißt selbst am besten, daß dieser Arm ganz ungeübt ist, daß du ihn am angestrengtesten beim Billardspiel brauchst. Bist du doch zu träge, dir deine langen Nägel selbst zu polieren – dazu kommt täglich ein Spezialist – zu träge, dir die Strümpfe allein anzuziehen, seidene, farbige Strümpfe, 297 durchbrochen, wie bei den Frauen, damit jeder bei dem langen, platten Glacéschuh deine mädchenhaft-rosige Haut durchschimmern sehen kann; zu träge, um deinen Schneider die Treppe hinunter zu werfen, diesen dürren, tobenden Hampelmann von Gläubiger, der ebensowenig wie der Wagenverleiher, der Diener, der Schuster, der Hauswirt und das ganze Bataillon der Angepumpten sein Geld erhalten wird, obgleich es doch bei allen Vorstellungen heißt: v. Elarn . . . wird nächstens die Verwaltung seiner kolossalen Güter in Schlesien antreten . . . denn diese Güter liegen auf dem Monde.

»Was ist das eigentlich für eine Rasse?« fragte v. Sandow, der endlich durch ein beharrliches Kß! Kß! den Hund zum Knurren gebracht hatte.

»Gefällt er Ihnen?«

»Der häßlichste Köter, den ich je gesehen habe!«

»Das thut nichts!« erwiderte Lerden stehenbleibend und das kleine Tier, welches sofort wedelnd an seinem Beine aufstieg, auf den großen Kopf mit den Eselsohren klopfend. »Gerade darum habe ich ihn gern. Das kleine Ding hat Glück gehabt. Gestern beim Nachhausegehen fand ich ihn zitternd und winselnd an eine Gartenmauer gedrückt. Ich rief ihn an, weil er mir leid that im strömenden Regen. Er sprang auch sofort auf mich zu mit 298 einem so hilfeflehenden Ausdruck in seinen kleinen, schwarzen Pfefferkörnern von Augen, als wenn er sagen wollte: ›Sei mitleidig! Ich habe so ein festes Vertrauen auf dich!‹ Tiere haben zuweilen einen scharfen Blick für Menschen und Situationen. Wäre es ein Rassehund gewesen, ich hätte ihn sicher gelassen, wo er war; aber ich hätte nicht für viel Geld das Vertrauen dieses armseligen, häßlichen Burschen getäuscht. Jetzt ist er schon mein Tyrann geworden und empört sich, wenn ich weggehe. Uebrigens« – und in dieser Bemerkung lag eine tiefe Bitterkeit – »was bleibt einem im Leben denn noch andres als der Hund?«

»Der Doktor wird gefühlvoll! Das sind unfehlbare Eheanzeichen.«

Lerden setzte stumm seinen Spaziergang fort.

»Ja, bei einem edlen Tiere ist so etwas begreiflich. Ein Pferd, das mir so und so viele Tausende gewonnen, wird man als Veteranen nicht so ohne weiteres abschlachten,« sagte der Dragoner.

Graf Silowstrem am Kamin drehte sich kurz um. »Leicht gesagt, weil Sie schwerlich in die Verlegenheit kommen werden.«

»Bei meinem Vierjährigen vielleicht doch!«

»Was ich aber dem unglücklichen Tiere nicht wünschen möchte. Ich habe an dem heutigen Tage genug. Die Spanier haben ihre Stiergefechte, wir 299 unsre Rennen und Distanzritte – dieselbe menschenunwürdige Tierquälerei!«

»Aber die Veredlung des Blutes, der unermeßliche Nutzen für die Landespferdezucht?«

»Glauben Sie vielleicht selbst daran, Herr Graf Lukow?« Er sprach mit einer Energie, einer Rücksichtslosigkeit, die Lerden an dem schwanken Rohr nicht gewöhnt war. »Und dafür noch Staatspreise! Tramieren Sie für den Dienst, für den Krieg? Geht ein einziger Ihrer berühmten Vollblüter unter dem Kommißsattel? Einseitige Züchtung . . . Galoppierpferde, unausgewachsen, zweijährig schon aufs unsinnigste angestrengt; darum verbraucht, wenn das Tier erst eigentlich brauchbar sein soll. Weder der Pflug, noch der Wagen, noch der Soldat haben etwas von diesem kostbaren ›Blut‹.«

»Sie sind eben kein Sportsmann; und die idealen Interessen beim Rennen!«

»Um Gottes willen! Verirren Sie sich nicht auf das Gebiet der Ideale!« sprang Lerden ein. »Es mag ja für manchen ein erhebendes Gefühl sein, angesichts einer schaulustigen Menge für einen Ehrenpokal und zehntausend Mark bar Hals und Beine von Pferd und Reiter aufs Spiel zu setzen. Im praktischen Rom nahm man dazu Gladiatoren, Unfreie, an deren Leben man nichts verlor. Aber heute sollte der kühne Mann seinen Kopf nicht so billig 300 wagen. Sport ist Passion, weiter nichts – und wenn Sie hinzunehmen, daß beim Wetten, beim Zuschauen nicht gerade die edelsten Triebe der Menge geweckt werden, nicht einmal eine vornehme . . . Vielleicht doch« – er blickte ironisch auf die aus Höflichkeit schweigenden Herren – »denn alle vornehmen Passionen sind wurmstichig.«

»Er setzt die Jakobinermütze auf,« bemerkte der Dragoner. »Warum kamen Sie zum Rennen, Lerden?«

»Wie immer nur der Weiber wegen,« lachte der Rittmeister, »es war gutes Material da. Ihre Tänzerin von damals ja auch, Lerden! Jetzt hat sie einen Attaché. Wird ihn gehörig ausziehen. Haben Sie das Perlencollier gesehen? Ihr Türkisschmuck ist längst gedrückt.«

Im Augenblicke war eine richtige Klubunterhaltung im Gange, platt, cynisch. Das ist in der besten Gesellschaft in jedem Gespräch über das ewig Weibliche nun einmal so Brauch. Lerden hatte eine Weile geschwiegen. In ihm arbeitete etwas.

»Der Weiber wegen, sagen Sie?« Er lachte schrill auf. »Das ganze Gelichter ist mir ekelhaft, ob anständig oder nicht. Ja, Rennen, das ist so etwas für dies weichherzige Geschlecht! Da hält keine den Fächer vor, da werden die Augen blank. Das prickelt, so ein Tier sich tothetzen zu sehen! 301 Weiter, weiter! . . . Wie Römerinnen vor zweitausend Jahren . . . Kein niedlicher Daumen würde sich heben, um Mann oder Pferd zu retten! Der wollüstige Kitzel der Grausamkeit ist zu schön. – Zuweilen fährt wohl eine mit einem leisen o Gott! zusammen. Das sind die ganz Gerissenen, die doch irgendwie der angenehmen Aufregung Ausdruck geben müssen.«

»Da bekommt man ja ordentlich Angst!« lachten die Herren.

»Muß man Sie noch Weiber kennen lehren? – Wenn eine anständig geblieben ist, ist das nicht ihre Schuld.«

»Das mag bei Berlinerinnen sein. Sonst giebt es doch noch makellose Frauen,« entgegnete mit blitzenden Augen der Graf.

Die Blicke der beiden begegneten sich. »Nicht wahr, was uns die Provinz schickt? Heiliger Franz! Da ist mir die echte Weltstädterin noch lieber. Die täuscht niemand und versucht es auch gar nicht. Teint und Gang – da weiß man genug. Aber diese taubenäugigen, rotwangigen Provinzheiligen – so keusch, so dumm, so gut! . . . Und es giebt keinen Handschuh, der abgetragener wäre als diese Holden, wenn sie vier Wochen Weltstadtluft geatmet haben.«

»Ich kenne eine, die geblieben ist, was sie war. Diese letzte Illusion will ich mir bewahren!« Wie 302 er so dastand, hoch aufgerichtet, heiße Flammen im Blick, die Röte edler Erregung auf seinem ehrlichen Gesichte, sah er beinahe schön aus.

Lerden blickte ihn lange und finster an. »Dann betrügt Ihr Ideal ihren Mann oder Sie!«

Die Herren hörten, sich verständnisvoll zunickend, den Dialog. »Da hat einer dem andern sein Verhältnis abgeknöpft.«

Lerden hatte gleich darauf für einige Minuten das Zimmer verlassen und kehrte, mit einem versiegelten Paket in der Hand, wieder ganz gleichmütig zurück. »Hier, Graf, Sie wissen schon.«

Der Dragoner machte eine komische, abwehrende Handbewegung.

»Wenn ich die blauen Lappen fühle, juckt es mich in allen Fingern nach dem Spiel. Ihr Geldschrank ist mir sicherer als meine Brusttasche.«

»Ein kleines Jeu – warum nicht?«

»Fangen Sie wieder an, Sandow?« mahnte der Rittmeister. »Laßt doch eure langweiligen Karten, Kinder!«

»Aber, Herr Rittmeister, nur ein solides Ecarté!« beschwichtigte der Dragoner, der das vorhin nur gesagt hatte, um den Spielteufel zu entfesseln.

»Sie gehen mich nichts an! Ein alter Premier muß selber wissen, was er zu thun hat.« Herr v. Fabrest sagte das mit soldatischer Brüskheit, 303 unwillig auf Sandow blickend, der sich hütete, aufzusehen. »Ich denke, der Doktor hier wird von seinem alten, guten Grundsatze, kein Glücksspiel in seinem Hause zu gestatten, nicht abgehen.«

»Warum nicht? – Wenn die Herren wollen . . .« gab Lerden kühl zurück. Er liebte solche Bevormundung nicht, und heute paßte ihm die Aufregung eines sehr hohen Spiels ganz gut zu seiner zu Ausfällen neigenden Stimmung. »Prinzipienreiter bin ich nicht.«

Der Rittmeister lehnte sich resigniert ins Sofa zurück. »Hier hat nur der Hausherr zu befehlen. Vielleicht leistet mir einer der Herren Gesellschaft?«

Graf Silowstrem erklärte sich sofort dazu bereit. »Ich bin nicht in der Lage, viel verlieren zu können.«

Der Rittmeister streckte ihm die Hand hin. »Freut mich, Herr Graf! – Und, Sandow, daß es beim Ecarté bleibt!«

Der Diener stellte einen Spieltisch vor den Kamin; die Herren setzten sich, dann wurde eine köstlich duftende Punschbowle gebracht – das war alte Sitte bei Lerdenschen Gesellschaften. Der Rittmeister, welcher seine ostpreußische Herkunft bei starken Getränken nie verleugnete, hatte sich schnell in eine weinselige Stimmung hineingetrunken. Und der Graf, den die 304 blasierten, inhaltslosen Menschen seiner Standessphäre abstießen, war recht froh, hier wenigstens ein aufrichtiges Herz und einen geraden Sinn zu finden.

»Verkehren Sie mit Lerden schon lange, Herr Graf?«

»Heute gerade ein Jahr. Er ist beinahe der einzige Mensch in Berlin, den ich näher kenne.«

»Dann gratuliere ich Ihnen zu Ihrer Wahl. Viel besser, als wenn Sie sich an so ein adliges Schafsgesicht gehängt hätten! Der Mensch ist Vollblut. Von uns kann ihm keiner imponieren. Erlaucht hat's mal versucht und ist gehörig abgeblitzt. Ich weiß, daß er uns über die Achsel ansieht. Solche Leute müssen hochmütig sein. Deshalb gerade gefällt er mir, und ich versäume keine Gelegenheit, ihm und aller Welt zu erklären, daß ich ihn für mindestens so viel halte wie mich. Zuweilen haben mir's die Herren übel genommen. ›Bürgerlicher, arrogant, fabelhaft reich . . . dem müssen die Finger geklopft werden!‹ Es soll mal einer versuchen! Diese edlen Patriziergeschlechter haben einen kitzlichen Ehrenpunkt und wissen die Pistole so gut zu halten wie wir. – Und dann, wo der Mann dabei war, da ging's anständig zu. Nichts Gemeines! Heute gefällt er mir gar nicht. Ich möchte ihn nicht reizen . . .«

Der Graf sah auf Lerden, dessen vornehmes Gesicht ihm zugekehrt war. Auch er hielt diesen 305 Menschen hoch und hatte ihn lieb gehabt wie einen, trotz seiner Schroffheit. Warum waren sie jetzt so entfremdet?

»Sie haben Glück, Herr Kapitän!«

»Die Sache muß forciert werden!«

Der Rittmeister zwinkerte mit den Augen. »Sandow wird schon laut. In fünf Minuten sind sie beim Hasard. Sehen Sie, wie seine Finger vibrieren? Das ist eine unselige Spielernatur, so ein Mensch, der ganz sachte seine Reiterstiefel ausziehen und auf die Karte setzen würde. Ich kann ihm das sehr wohl nachfühlen. Wenn einer auf die Karten brennt, bin ich's. Lieber nicht sehen! Das ist so erblich in unsrer Familie. Wir wären längst Bettler, wenn wir das Majorat nicht hätten. Mich hat eine furchtbare Erfahrung geheilt. Ich sitze als Leutnant im Kasino beim Jeu – die verwünschten Streichhölzer flogen nur so weg! – da bekomme ich ein Telegramm: ›Papa im Sterben!‹ Er hatte eine Spielschuld nicht zahlen können und sich eine Kugel durch den Kopf gejagt. Damals gab ich mein Ehrenwort: Kein Blatt mehr anrühren! Thu ich's, bin auch ich für die Kugel reif. Jetzt stehe ich schon zum Major, und der Puls geht ruhiger.«

Der Graf sah plötzlich sehr aufmerksam nach dem Spieltisch hinüber. Wenn ihn der Rittmeister zufällig nach seinem Vater fragen sollte? – Uebrigens 306 ist er ein Schwarzseher. Die sind bei ihrem Ecarté ganz zufrieden.‹ Und wirklich spiegelte sich in diesen, vom flammenden Kaminfeuer beleuchteten Gesichtern kaum eine Erregung wider.

»Bitte, fünfzig zurück!« – »Ich lege auf.« – »Kostet doppelt.« Das war ruhige Geschäftsmäßigkeit. Spaßig war nur Erlaucht, der von Zeit zu Zeit ein kurzes: »Pfui Teufel!« ausstieß, mit dem Riesennagel des kleinen Fingers auf die Tischplatte schlug und dann regelmäßig auflegte: »Sie kriegen keinen Stich, Elarn.« Der einzige Nervöse war der Leutnant v. Sandow. Seine Hand spielte unruhig am silbernen Leuchterfuß: »Glück, Herr Kapitän, unheimliches Glück!« Auf einmal warf er die Karte unwillig auf den Tisch. »Da verliert man ja einen Klumpen Gold!«

»Ein kleiner Makao, oder du sollst und mußt dein Geld wieder haben! Oder Tempel gefällig?« Der Kapitän mischte mit abwartender Langsamkeit die Karten. Auch die andern hörten zu spielen auf. »Was meinen Sie, Lerden?«

»Mir ist alles recht!«

Der Rittmeister stand schwerfällig vom Sofa auf und ging im Zimmer auf und ab. Der Graf stellte sich hinter den Kapitän, der sich aber mit der größten Höflichkeit seine Gesellschaft verbat. »Ich kann nicht spielen, wenn jemand in meine Karten sieht.« Der 307 Rittmeister stieß darauf den Grafen leicht an. »Bleiben Sie wenigstens in der Nähe, ich traue dem Kerl nicht über den Weg, obgleich er früher mein Regimentskamerad war.«

Es wurde hoch gespielt, sehr hoch. Der Graf wich nicht von dem Hasardtische. Jenes Erwartungsfieber, welches auch der Zuschauer prickelnd und erkältend empfindet, hatte ihn erfaßt. ›Der Teufel sitzt mitten unter ihnen!‹ dachte er. Nicht die Summen, welche verloren und gewonnen wurden, regten ihn auf. Es war jenes diabolische Etwas, welches über jedem Spielsalon liegt, etwas vom Verbrechen! – der feine, falsche Klang des Goldes, das treulose Flattern der Tresorscheine, die ruhigen, weißen Finger, welche leise die Karten mischten, gaben, der wohlgeschulte Diener, welcher, mit dem silbernen Tablett voll perlender Champagnergläser, lautlos, die Augen niedergeschlagen, zwischen den Spielern umherschlich, als wollte er damit sagen: Ich sehe und weiß nichts! Vor allem aber der gewisse, verschleierte Ausdruck der echten Spielergesichter, durch die es zuweilen raubtierartig zuckt. Lerden hielt einen Haufen Gold und Noten vor sich, die Bank. ›Er hat überall Glück.‹ Aber bei dem Anblick der gleichmäßig zum Reichsten strömenden Geldmassen erfaßte den Grafen ein Grauen vor dem Reichtum, vor diesem so leicht und so sündhaft verdienten Golde.

308 »Gilt für Tausend!« Der gänzlich ausgebeutelte Sandow warf mit zuckender Lippe ein Streichholz auf den Tisch.

Lerden schob es leicht beiseite und zog ab. »Pour moi, meine Herren! Danke!«

»Herr Doktor?«

»Herr v. Sandow?« Lerden kniff den Mund zusammen. Dem Leutnant lag ein beleidigendes Wort auf der Zunge. Da mischte sich der Rittmeister zur rechten Zeit ein.

»Gut so, Doktor! Kein unbares Spiel! Und Sie, lieber Sandow, sollten dem Herrn danken, daß er sich auf keine Leichtsinnigkeiten einläßt.«

»Wenn ich Ihnen Geld leihen darf?« Lerden wollte ihm ein Banknotenpaket hinüberschieben.

»Sehr verbunden, aber ich spiele nicht mehr!« gab der Leutnant mit steifer Verbeugung zurück.

»Warum? Ich gebe jetzt die Bank ab, da haben Sie bessere Chancen . . . Herr Kapitän . . .?« Von dem Moment schied sich das Spielerglück von Lerden. Das Gold rollte fort, die Banknoten folgten.

»Ja, gegen den Kapitän sind Sie ein Waisenknabe, Doktor!« Der Dragoner betrachtete wehmütig seine zusammengeschmolzene Kasse, während Sandow mit Schadenfreude dem unglücklichen Spiele Lerdens folgte, zugleich in allen Taschen fieberhaft nach einem vielleicht verirrten Goldstück kramend. 309 Bei Lerden war das übrigens kein Spiel mehr, das war Wahnsinn! Va banque... va banque, und immer verloren! Dabei war in seinem kalten Gesichte keine Erregung zu entdecken; nur die Muskeln an den Schläfen arbeiteten etwas stärker.

»Nein, Doktor, das setzen Sie nicht!«

»Seien Sie verständig!«

»Ein Freund bittet Sie!« Der Graf faßte nach Lerdens Arm.

Der Millionär blieb unbewegt. »Das hier steht! Halten Sie?«

»Ob! – Thut mir leid, Herr Doktor!« Der Kapitän strich den Banknotenstoß ein. Darauf stand Lerden auf und schenkte sich einen Benediktiner ein. »Da wären wir ja schnell am Ende! Das Opfertier ist ausgeschlachtet.«

Auch die andern Spieler erhoben sich. »Da müssen Sie sehr bald Revanche haben. Das ist ja unglaublich!« Aber Sandow murmelte giftig: »Was doch so ein bürgerlicher Hund verspielen kann!«

»Und nun noch eine gemütliche Kaffeepause!« Doch die Gäste, nach der Aufregung des Spiels in jene graue, katzenjämmerliche Reaktionsstimmung verfallen, erinnerten sich auf einmal der vorgerückten Stunde.

»Sechs Uhr? – Teufel! – Die Wagen sind ja schon zu zwei bestellt. Ob der Kutscher auch 310 Decken aufgelegt hat?« – »Ich habe heute Rekrutenreiten,« gähnte Sandow. – »Na, den Kerls braucht man nicht zu gratulieren!« gab der Dragoner lachend zurück. »Die Laune!«

Sporenklirrend, mißmutig stieg die Gesellschaft die Treppe hinab – durch die gemalten Fenster fiel grünlich der erste Dämmerungsschein –, um, auf die verschlafenen Kutscher knurrend, abzufahren. Der Graf Silowstrem blieb noch. Der nächste Zug nach Berlin ging erst später. Er stand noch einige Augenblicke mit Lerden am Gitterthor; sie sahen den Equipagen nach. Unsichere Dämmerungsschatten huschten über die schmutzigweißen Parkwege; zerrissene Nebelschwaden krochen langsam und mürrisch an den tropfenden Bäumen und Villendächern entlang. Von der Chaussee kam das Quietschen und Rattern der Milch- und Fleischwagen, die nach Berlin fuhren. Ein heiserer Hahn krähte verschlafen; dann stieß eine Rangiermaschine von der Ringbahn ihren dumpfschrillen Pfiff aus. Ihre weißen Lichter glühten aus weiter Ferne durch den Nebel. Der Graf schlug fröstelnd die Zähne zusammen.

»Sie haben heute unheimliches Geld verloren, Doktor! Mein Mentor so leichtsinnig?«

Lerden antwortete nicht. Sein Gesicht sah grau und alt aus. Er wandte sich langsam um, nach der Villa zurückzugehen. Dem Grafen war diese 311 Gleichmütigkeit so ungeheuren Verlusten gegenüber unbegreiflich. ›Vielleicht war es auch unpolitisch, ihm davon zu reden? Ich habe Pech; heute wird aus der Geldangelegenheit schwerlich etwas!‹ Sie gingen stumm nebeneinander her.

»Die Kleine aus dem ›Goldadler‹ war ja auch da! Sie sah gedrückt aus. Was nur dem Subjekt gewesen sein mag?«

Lerden blieb stehen. »Haben Sie vielleicht mit der auch ein Verhältnis?«

»Ich dächte eher Sie, lieber Lerden!«

Ohne auf den Einwand zu achten, fuhr der fort: »Warum auch nicht? Wenn man zwei Frauen hat, ist mit der dritten der Harem noch nicht übervoll. Sie müßten nach der Türkei gehen!« Es war so etwas Gezwungenruhiges in seinem Ton.

»Was heißt das?«

»Daß Sie anstandshalber an Ihrem einen Verhältnis genug haben sollten! Ist es vielleicht Aristokratenpflicht, in jedes Haus den Ehebruch zu tragen? Sie wollen wohl auf Ihre Art das Plebejerblut veredeln?«

Der Graf antwortete mit einem Versuch, die Sache leicht zu nehmen. »Sie haben schlechte Laune! Ich will Ihre Anspielung nicht verstehen.«

»Und welche von den beiden Frauen gedenken Sie zu ehelichen, wenn der Mann glücklich hinüber ist?«

»Ich dächte . . .«

312 »Denken Sie lieber nichts, Herr Graf! Die Sache ist einfach: Sie haben ein Jahr lang mit Lo Rinow ein Verhältnis gehabt, haben es sogar noch. Keine Versprechung, die Sie der Frau nicht gemacht hätten! Das ist ja auch nur billig einer gegenüber, die Sie . . . die Sie . . .« – Er suchte mit bebender Lippe nach dem verletzendsten Worte – »die Sie ausgehalten hat.«

»Sprechen Sie weiter!« sagte der Graf heiser.

»Und jetzt nisten Sie sich da drüben ein. Die Frau ist jung, der Mann alt. Bis heute hätte ich es nicht für möglich gehalten. Wie man sich in den Menschen täuscht! Aber was ich thun kann, die That zu hindern, will ich thun, nicht aus Freundschaft für die hübsche Lo oder aus Achtung für die Perücke des Professors – auf die Moral pfeife ich! – sondern weil ich nicht will, daß diese Frau in Ihre Hände gerät, diese Frau . . .« Er hielt stöhnend inne; die Adern an der Stirn sprangen hervor, wild schweifte der Blick. »Wissen Sie, daß niemand dieses Weib besitzen darf, niemand, Sie zuletzt! Sie erinnern mich zu guter Zeit an die Dirne aus dem ›Goldadler‹. Sind Sie besser? Sie hat mich betrogen, Sie haben mich betrogen. Sie kann nichts dafür, es ist so ihre Natur. Aber Sie, der Sie mir Freundschaft geheuchelt, heimtückisch, ein halber Schurke! Ich hatte Ihnen thöricht geglaubt. 313 Sind Sie jemals meinetwegen hierhergekommen? Sie lockte von Anfang an ein blonder Kopf. Und Sie sollten nicht geahnt haben, daß dieser Kopf von Rechts wegen nur mir gehören darf? Der alte Philister von Mann zählt nicht . . . doch ich will lieber in die Hölle, will lieber eure beiden Köpfe zu meinen Füßen sehen, ehe ich dulde, daß eure Arme sich ineinanderschlingen!« Er schrie das letzte ordentlich. Es war so ein Wirbelsturm der Gefühle, wo uns nur eine gütige Vorsehung vor dem Verbrechen bewahren kann.

Der Graf sprach kein Wort. Das lähmende Gefühl herbster Enttäuschung ließ ihn bewegungslos dastehen. Er hatte einen gallebitteren Geschmack im Munde. So also sah der wirkliche Lerden aus, wenn die Maske abgerissen! Ein blasser, herzloser Roué, der voll niedrigsten Neides sich brutal von dem Freunde schied, weil dem eine Frau zugelächelt hatte, deren süßen Leib er einst lüstern begehrte. Sie aber wandte sich verachtungsvoll ab von ihm, weil sie eben nicht feil war wie eine Tänzerin. Und so feige, den letzten Schlag hier zu führen, wo der Gast am wehrlosesten war, im eignen Hause! Der Graf war kein Herzenskenner, sonst würde er gemerkt haben, daß dieser berstende Vulkan, der den schwarzen Giftstrom von Neid, Eifersucht, wilder Sinnlichkeit mit so elementarer Gewalt ausspie, tief 314 unten jenes ureigne, tiefste Liebesgefühl barg, das des Menschen Glück ist oder sein Verhängnis.

Stumm wandte sich der Graf ab und schritt mit langsamen, müden Schritten in die wallenden Nebel des Novembertages hinaus. Lerden ging in die Villa zurück, von wo Friedrich neugierig einige Worte der Scene erlauscht hatte. »Um acht Uhr das Coupé!« Als Lerden in die von Punsch und Zigarrengeruch geschwängerte Atmosphäre des Spielzimmers zurückkehrte, empfand er einen tiefen Ekel vor diesem Lotterleben. Die tief herabgebrannten Lichter flackerten in den krachenden Manschetten. Er holte vom Tische die Kartenspiele und warf sie auf die verglimmenden Scheite des Kaminfeuers. Blaue Flämmchen tanzten um des Teufels Bibel. Ihr Schein spielte auf seinem Gesichte – heute ein merkwürdig altes Gesicht! All die kleinen Souvenirs einer genossenen Jugend, die eingepreßten Fältchen um die Augen, die einsinkenden Schläfen, die Kellnerfarbe, der müde Zug um den Mund – blinzelten wie schadenfrohe Kobolde daraus hervor. »Ich hatte mir den Schluß anders gedacht . . . eine wilde Befriedigung. Hier war der Graf der wahre Aristokrat. Die verfluchten Karten haben mich ganz sinnlos gemacht.« Er empfand einen dumpfen Stirndruck und ein ungemütliches Frösteln. »Ich habe nicht allein schlecht, ich habe auch dumm gehandelt!« 315

 


 


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