Johannes Richard zur Megede
Unter Zigeunern
Johannes Richard zur Megede

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Dreizehntes Kapitel.

Ueber der Morgue, über dem Katakombeneingang, über der Königsgruft zu St. Denis, überall ihr lächerliches: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; schmutzig, verwaschen, wie die Phrasen in Frankreich besonders! Gerade als ob man Tod und Ewigkeit zurufen wollte: Nur keine Standesunterschiede da oben!«

»Und du liebst dein Paris doch, Gert?«

»Weil es schön ist!« Lerden schwieg eine Weile. Es kam ihm die Erinnerung an jenen lachenden Sommermorgen, als er, auf der Plattform des Triumphbogens stehend, in das von rosigen Nebeln überwogte Seinethal hinabsah, und ganz allmählich aus der Dunsthülle die goldschimmernde Kuppel des Invalidendoms, das Pantheon, die schlanken Türme der Notre Dame und endlich der Tempelfries der Madeleine sich loslösten, bis es ganz vor ihm lag, dieses Paris, unabsehbar, sonnenbeglänzt.

215 Frau Lo als Vollblutberlinerin verletzte das Lob. »Wenn es dir da so gut gefällt, was treibt dich denn, von Zeit zu Zeit als Meteor am Berliner Horizonte aufzutauchen?«

»Nicht neugierig sein, Lo! Ich habe hier etwas abzuwickeln.«

»Geld einzukassieren? – Ich bin Kommunistin. Teile!«

»Nein! Ich habe ein Anliegen gerade an dich. Gut, daß ich dich im Potsdamerviertel noch abgefaßt habe.«

»Etwas Ernstes?«

»Wie man's nimmt! Würdest du mich zu einer Tasse Kaffee einladen und zu einem Plauderstündchen? Natürlich wir beide allein und sofort!«

»Mit Wonne! – Du hast dich übrigens recht erholt, Gert.«

»Aber mir fehlt doch noch manches.«

»Wem nicht?«

Sie schlenderten ziemlich schweigsam die Kurfürstenstraße entlang. Lo war gespannt, was Lerden wohl von ihr wünschen könnte. ›Vielleicht Fritz aushelfen? Er leidet zuweilen an Philanthropie.‹

Lerden dünkte sein Anliegen äußerst einfach. Er war hierher gekommen, um den Grafen entweder loszubitten oder loszukaufen. ›Losbekommen werde ich ihn schon!‹ Denn daß es sich da um ein 216 verzweifelt ernsthaftes Engagement handelte, kam ihm gar nicht in den Sinn. Der Brief von Marie Ellers' Bruder hatte ihn eigentlich amüsiert. ›Kleiner Tugendspiegel! Man hat ein Verhältnis mit einer Frau und rangiert sofort unter die Hauptschurken. Für mich kann der Graf trotzdem ruhig heilig gesprochen werden!‹ Er wäre gern eher gekommen; doch Paris hatte ihn nicht losgelassen.

Als sie vor das Rinowsche Haus gekommen waren, betrachtete Lerden lächelnd die Schilder über dem Glockenzuge. »Pförtner – Erdgeschoß – Hm! Die Deutschen werden national.«

»Eine Marotte meines Mannes. Er hatte schon früher teutsche Anwandlungen. Und jetzt, wo er krank ist . . . ich wundere mich, daß er überhaupt noch Lo sagt, wo das doch zweifellos vom französischen Charlotte abgeleitet ist. – Wir müssen auf dem Korridor leise gehen, Gert. Er liegt gleich im ersten Zimmer.«

»Teufel! Liegt fest?« fragte Lerden, im Hausflur stehen bleibend.

»Schon seit drei Wochen!«

»Du thust mir leid, Lo!«

»Ich habe mich an vieles gewöhnen müssen,« gab sie ruhig zurück. Uebrigens bemerkte sie auf der Treppe nachdenklich: »Du bist ja Arzt. Thu mir einen Gefallen!«

217 »Und?«

»Sieh mal, du Gert, deine Kollegen machen mir blauen Dunst vor. Ich glaube nicht an ihr tröstliches: ›Hoffen Sie nur, es wird schon werden!‹ – Kannst du meinen Mann nicht untersuchen? Ich traue deinem Scharfblick sehr. Und vor allem, ob schlimm oder gut, ich will die Wahrheit.«

Lerden wurde ernst. »Erlaß mir die Kurpfuscherei! Was ich von der Krankheit weiß, ist sie im besten Falle stationär.«

»Das heißt, es kann zehn Jahre dauern?«

»Vielleicht!«

»Gleichviel. Sieh ihn einmal an! Du ahnst nicht, wie rapid es in den letzten Wochen mit ihm abwärts gegangen ist. Gert, ich muß Gewißheit haben, ich muß!« fügte sie dringend hinzu.

»Du mußt? Nun gut, en avant!«

Lerden vergaß diesen Krankenbesuch nie. Es war sein letzter. Wie die Sache lag, erkannte er sofort. Keine Rettung!

Lo hatte ihn mit einer Notlüge eingeführt. »Das ist der Doktor Lerden, von dem ich dir so oft erzählt habe; eben von Paris zurückgekehrt. Weil ihn dein Fall interessiert, bat er mich, dich untersuchen zu dürfen. Vielleicht hat dich doch der Hausarzt auch falsch behandelt.«

Lerden machte eine abwehrende Bewegung und 218 setzte sich an das Bett. Rinow, der ziemlich apathisch dagelegen hatte, verschlang die letzte Bemerkung gierig und versuchte sich aufzurichten. »Falsch behandelt! Das ist mir längst klar.« Und ohne die Diagnose Lerdens abzuwarten, erschöpfte er sich in ganz unsinnigen, nervösen Ausfällen. »Warum man ihn in kein Bad geschickt hätte? Keine Größe konsultiert? Aber das sei so die Art der Hausärzte: die Patienten regelmäßig abzuklappern, Geld einzunehmen für nichts. – Wenn ich wenigstens den Namen der Krankheit wüßte! – Blutleere im Gehirn; in ihrem wissenschaftlichen Kauderwelsch natürlich griechischer Name, den man sofort vergißt. Deutsch soll die Wissenschaft sein! In Wahrheit weiß aber niemand, was mir fehlt. Man experimentiert ganz lustig herum. Die Folgen merke ich, weil mir die Augen so schwach werden, daß ich immer wie durch einen Schleier sehe. Kuriert nur, kuriert nur! Ins Grab bekommt ihr mich doch nicht!«

Lerden, gelangweilt durch diese Litaneien, ließ seine Augen gleichgültig über das ganz moderne Schlafzimmer mit seinen riesigen Betten à la duchesse, den mächtigen bunten Waschschalen auf den dunkeln Marmortoiletten schweifen. Langweilige Einrichtungen ohne Gemütlichkeit, ohne den Stempel des Persönlichen – der nivellierende Luxus des Riesenhotels! In dem mannshohen Stehspiegel konnte er Lo 219 beobachten. Und weil es ihn interessierte, welche Wandlungen dieses gespannte Kokottengesichtchen mit den festgeschlossenen Lippen bei der peinlichen Konsultation wohl durchmachen würde, begann er sofort. Wandlungen? – Keine Muskel zuckte. Was interessierten Lo denn diese unnützen, vom Hausarzt in allen Variationen täglich wiederholten Fragen? Auf den Schlußeffekt kam es ihr an: ›Wie lange kann er noch leben?‹ Erst als Lerden kühl und sachlich die Konsequenzen in seinem: »Das sieht allerdings nicht gut aus!« zog, holte sie wie befreit Atem, und ein grausiger Ausdruck von Fröhlichkeit flog blitzschnell über ihr Gesicht. Der Millionär war gewiß ein Cyniker, der die moderne Ehe nur als löcherigen Vertrag ansah, aber in diesem Momente empfand er doch eine wirkliche Angst vor den ganz modernen Verhältnissen und ganz modernen Frauen.

»Teufel! – Die würde auch mit Gift hantieren können!«

Lo begleitete ihn heraus. »Adieu, Fritz, ich komme bald zurück!«

Durch den Besuch hatte Lerden alle Luft zu weiteren Unterredungen verloren. »Lieber ein andermal! Man sieht da in Abgründe . . .«

Doch Lo ergriff auf dem dunkeln Korridor aufgeregt seine Hand. »Und nun kommen wir!«

»Heute nicht!«

220 Halb gewaltsam zog sie ihn in das dämmrige Erkerzimmer.

»Den Gefallen mußt du mir noch thun! Komm hier herauf in den Erker!« Sie drückte ihn sanft in einen Fauteuil. »Wir sind ganz allein. Ich habe mich nach dir gesehnt, Gert . . . endlich einmal ein freier Mensch!« Sie setzte sich ihm gegenüber, und ihm beide Hände über den kleinen Bauerntisch reichend: »Nicht wahr, zu der Unterredung brauchen wir kein Licht? – Ich habe allen Menschen gegenüber Komödie gespielt; bei dir will und kann ich es nicht!«

Lerden räusperte sich und sah ihr fest ins Auge. »Geheimnisse sind nur bei einem selbst gut bewahrt.«

Sie zog ihre Hände rasch zurück. »Vor dir habe ich keine!«^

»Du beschämst mich!«

»Zuerst also: wie steht's da drüben?« Sie sprach mit einem argwöhnischen Blick in das dunkle Zimmer, leise, wie eine Verschwörerin.

Damit sie die Bewegung auf seinem Gesichte nicht bemerkte, lehnte er sich tief in seinen Lehnstuhl zurück. »Dein Mann stirbt – und zwar bald!«

»Ich bin auf alles gefaßt, Gert. Wieviel Zeit giebst du ihm noch?«

Lerden zuckte die Achseln und sah auf die Straße. »Eine Woche, vielleicht zwei . . .«

221 »Nicht mehr?«

»Ein Vierteljahr! Wer weiß da Genaues? – Ich kenne seine Konstitution nicht genügend.«

Sie stieg den Erkertritt hinab ins Zimmer. »Ein Vierteljahr! – hm! – hm!« Und wie sie so, die Worte wiederholend, auf dem weichen Teppich hin und her schritt – wenn sie in die Nähe des Erkers kam, wurden ihre Schritte kürzer, unentschlossener – merkte Lerden, daß sie den Mut zur ganzen Wahrheit nicht finden konnte.

Plötzlich fand sie ihn und schritt rasch auf Lerden zu.

»Ich könnte dir etwas vorweinen, und du würdest es doch nicht glauben. Was versteht ihr, was wir Frauen durchmachen müssen. Ich möchte weinen, möchte es leidenschaftlich gern . . . Einen Mann nicht lieben und Tag für Tag an seinem Krankenbett sitzen zu müssen – das macht müde. Ich bin gewiß nicht sentimental, aber diese ewigen Klagen!«

Sie setzte sich ermüdet auf das Büffelfell der Chaiselongue, und ihr Köpfchen auf die Hand stützend, sprach sie nervös weiter. Jetzt mußte es alles heraus, was sie gelitten hatte. Es war eine sehr beredte Schilderung, welche Lo von diesem lebendigen Leichnam gab; denn in dem Egoismus der Krankheit kam wieder alles zum Vorschein, was diesem bäurischen Burschen die Verhältnisse abgeschliffen zu 222 haben schienen – vor allem die Verbohrtheit dieses abergläubischen Gehirns, das heute nach Quacksalbern, Magnetiseuren verlangte, in der »Sphinx« fieberhaft nach übernatürlichen Heilungen suchte und dann, einige Tage glücklich durch den magnetisierten Zucker eines Cagliostro genarrt, plötzlich zu etwas anderm übersprang, Naturärzte citierte, die durch ihre warmen Bäder oder durch schreckliche, von Ohnmachtsanfällen unterbrochene Gehversuche auf feuchtkalten Fliesen die absterbenden Bewegungsnerven wieder beleben wollten.

Und wenn er dann den ganzen Weg vom blödesten Wunderglauben bis zum äußersten Mißtrauen auf die menschliche Kunst in kurzer Frist durchlaufen hatte und all diese Stimulantien, die ihm zum Bedürfnis geworden waren, erschöpft waren, kehrte er mürrisch zum Hausarzt zurück, um diesen mit seinem wahnwitzigen Teutonismus zu langweilen – jenes Gegenstück zum Chauvinismus, der sich bei ihm vor allem gegen die »systematisch vergiftete Muttersprache« richtete, »Grazie-Anmut; Esprit-Geist – unsre Ausdrücke sind viel charakteristischer!« Frau Lo zeigte, daß eben nur die dünkelhafte Halbbildung des Emporkömmlings die Bescheidenheit, welche ihm die Verhältnisse auferlegt hatten, jetzt unmutig beiseite warf.

»Und dabei will er mich immer um sich haben – denke Gert – mich! Sogar in der Nacht. 223 Einmal habe ich es über mich gebracht – einmal und nie wieder!«

Es war eine harte Probe, wie sie neben ihm lag, ganz still, scheinbar schlafend, während Fritz sich unruhig hin und her wälzte, murmelte und endlich ein ängstliches »Lo, bist du noch wach?« flüsterte, das er stumpfsinnig von Zeit zu Zeit wiederholte, bis er in einen bleiernen Schlaf sank. Frau Lo konnte nicht einschlafen. Der Koniferengeist, das Parfüm der Krankenstube war ihr unangenehm. »Wenn es doch Tag würde!« Dann kamen die Gedanken, häßliche, empörende, die aus dem Dunkel der Nacht wie Schlangen zu ihr heraufkrochen. O, wie sehnsüchtig sie den ersten Dämmerungsstrahl erwartete! Fahl, unbestimmt glitt er durch die gelbseidenen Vorhänge, huschte über die polierten Pfosten der Riesenbetten, die Pfirsichblüten des Waschservices, und allmählich sich verstärkend, goß er jenes graublasse Frühlicht über das Schlafzimmer, so daß nach der durchwachten Nacht bei Frau Lo sich eine unerträgliche Nervosität und eine geradezu kindische Sehnsucht nach Sonne und Leben einstellte. ›Ich habe dich so lieb, Lo!‹ – »Glaubst du mir, Gert, daß mich dieser Morgengruß damals beinahe verrückt gemacht hat? Vor Wiederholungen rettete mich unser Hausarzt, der mir verständig unbedingte Ruhe und Alleinschlafen vorschrieb.«

224 »Attendre et espérer!« bemerkte Lerden gleichgültig.

»Hast du den Grafen Silowstrem schon gesehen?«

»Nein! Man macht jetzt sehr Front gegen den guten Jungen . . . ›Oberflächlich . . . weichlich . . .‹ Sollte da nicht irgend ein Neidhammel aus dem ›Salon‹ seine Giftdrüsen erleichtert haben? – Du protegierst ihn doch noch?«

»Bah! Keine Komödie, Gert! Du weißt genau, welcher Art unsre Beziehungen sind!« gab Lo ärgerlich zurück.

»Du willst ihn heiraten?«

»Gewiß!« sagte sie trotzig.

»Nun, Kleine, laß dir sagen, daß ich da auch noch mitsprechen werde!« Ihm schien der Moment geeignet, die Sache so hart wie möglich zum Ausdruck zu bringen.

»Du?«

»Ich will nicht, daß der Mann in einer eurer verwünschten Berliner Ehen untergeht. Er ist mein Freund! – Und nun wollen wir einmal ganz vernünftig sprechen. Ich weiß die Sache erst seit einigen Wochen. Kurzsichtig? – Allerdings. Euch Weiber kennt eben niemand! Kann auch ein vernünftiger Mensch ahnen, daß du Kluge dir einen Grafen, einen armen Schlucker, ›gemacht‹ nach eurem Salonrezept, zur Ehe erziehst?«

225 Sie versuchte ihn zu unterbrechen.

»Ihr liebt euch? – Rede mir nicht von Liebe, weder bei ihm noch bei dir! Du läßt dir deine Wohlthaten teuer bezahlen. Das ist ja das reine Geschäft! Ich ›mache‹ dich, du heiratest mich. Bedenke gefälligst, liebe Lo, daß ihr dann fürs Leben aneinander geschmiedet seid, daß ihr Kinder haben könntet. Eine nette Rasse! Unterkriegen würdest du deinen Grafen schon. Es darf nicht sein! Wir müssen einen Trennungsmodus finden!«

Die hübsche Lo rührte sich nicht aus ihrer halb liegenden Stellung. »Weiter.«

»Wenn ich dir helfen kann oder deinem Manne! Ich will deine Zukunft sichern, ich will alles thun, was ein uneigennütziger Freund thun kann. Sei verständig!« Da er den entschlossenen Ausdruck ihres auf das Chaiselonguekissen gedrückten Köpfchens bemerkte, sagte er ganz langsam und laut. »Ich stelle dir die Alternative, entweder du verzichtest, oder ich blamiere dich, bei Gott! Ich rate dir zu ersterem!«

Die hübsche Lo richtete sich langsam auf und setzte sich ganz gerade hin.

»Nein!«

»Dann ist unsre Unterredung beendet!« sagte Lerden eisig.

»Warte lieber noch einen Augenblick,« war ihre 226 ruhige Antwort. »Ich habe so etwas geahnt. Freilich, daß du die Vorsehung spielen würdest . . . Gleichviel. Einem andern würde ich bei solch liebenswürdigem Anerbieten nicht gerade höflich die Thür gewiesen haben. Ihr denkt eben, für Geld ist alles zu haben. – Ich lasse den Grafen nicht für eine Million! – Außerdem, um die Wahrheit zu gestehen, ich will nicht mehr zurück, und ich kann auch nicht!« Sie preßte das Kissen mit der Hand zusammen. »Ich habe es gemacht wie mein Mann! Va banque!«

»Das thut nichts zur Sache!«

»So? – Mein Ruf ist verloren, alles, was man bei uns Ehre nennt!«

»Redensart!«

»Wenn meine Mutter sogar alles auf Umwegen erfahren hat! Ein öffentliches Geheimnis! Der ganze ›Salon‹ weiß es, mein Dienstmädchen.«

»Deine Schuld!«

»Ich habe mit allem gebrochen – und absichtlich! Frage doch einmal im ›Salon‹ nach, ob sie mir den vorigen Freitag vergessen können?

»Jäger gebrandmarkt als Klatschweib und Trunkenbold . . . weißt du, mit den verzuckerten Pillen, die besser wirken als die größten Grobheiten, den Possendichter behandelt als feigen Lumpen!

»Und meine Mutter! Du kennst uns beide ja und wirst verstehen, wie ernst die Aussprache gewesen 227 sein muß, wenn ich den ›Salon‹ nie mehr und unter keiner Bedingung wieder betrete.«

Sie sah, daß Lerden eine ungeduldige Bewegung machte.

»Du glaubst nicht? – Ich fürchte, wenn meine Mutter an mein Sterbebett gerufen würde und wirklich käme, es wäre eine bloße Formalität!«

Lerden stand auf. »Thöricht genug, liebe Lo! Was soll das? Die Kritik wird deinen Grafen binnen Monatsfrist so zerzaust haben, daß er wie ein Lump aussieht. In der Musterehe vielleicht auch noch der Hunger!«

»Und wenn ich das nun gerade wollte?«

»Ja, ja! Der große Mann entwischt dir vielleicht; der mit Füßen getretene wedelt demütig.«

Sie holte tief Atem. »Er hat schon eine andre! Verstehst du jetzt?«

»Das glaube ich wohl. Aber er wird nach deiner Ansicht zu den guten Göttern zurückkehren, wenn es ihm schlecht geht. Verrechne dich nicht! Es wird ihm nicht schlecht gehen, dafür bin ich gut.«

»Du hast vielleicht auch da deine Hand im Spiele! Er soll deine abgelegten Sachen tragen?« fügte sie höhnisch hinzu.

»Du faselst!«

»Dann will ich dir sagen, daß deine Professorin 228 auf dem besten Wege ist, eine Fontanesche Adultera zu werden!«

»Mit dem Grafen?« Lerden nahm wieder Platz. Lo sah ihm scharf ins Gesicht. Er war der größere Schauspieler, wenn er wollte. »Amüsant!« Und das sagte er mit dem gleichgültigsten Interesse des Weltmanns, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Ich bin überrascht!«

»Scheint so! – Du sollst dich ja prächtig mit ihr amüsiert haben! Jäger hat Wunderdinge erzählt!«

»Gelogen; verlaß dich darauf! In dem Falle bin ich ganz reiner Lehre, und gebe dir mein Wort, daß zwischen mir und der Frau Professorin Ellers nie etwas vorgefallen ist, was die Dame auch nur im geringsten kompromittieren könnte.«

»Bei Frauen gestattet ja euer Ehrenkodex eine Ausnahme!«

»Meiner nicht! Ich hätte auch gar keine Ursache. Wenn sie anderweitig versorgt ist . . . Aber woher weißt du? Solltet ihr der Frau nicht zum zweitenmal bitter Unrecht thun?«

»Kaum!«

»Deiner Sache ganz sicher? – Sag lieber, du bist eifersüchtig!« Er saß da, ganz zurückgelehnt, die Augen bis auf einen schmalen Spalt geschlossen, und kaute unmerklich an der Unterlippe.

Die scheinbare Gleichgültigkeit reizte sie. »Ich 229 habe durch eine gefärbte Brille gesehen? – Sonst nicht meine Art!«

»Und wie kamst du dahinter?«

»Durch Zufall. Es sind schon Wochen her. – Ich weiß nicht, welcher Teufel mich eines Tages auf die Professorin kommen ließ. Die Sorte mag ich nicht. Tugendhaft, sanft, können nicht bis drei zählen – und auf einmal passiert ihnen etwas sehr Menschliches. Ich habe wohl noch etwas mehr gesagt. Aber die Scene war nicht nötig. – ›Du bist gemein! Begeifert mit eurem Gifte, was ihr wollt, nicht diese Frau!‹ – Wie Menschen sich urplötzlich verwandeln können! In diesem vor Wut zitternden Menschen – das Gesicht totenblaß, mit glühenden Augen – hätte niemand unsern urgutmütigen Grafen erkannt. ›Aber beruhige dich doch nur! Man kann ja nebenan jedes Wort hören.‹ Ich hatte gut reden. Er war wie ein Wahnsinniger, dem die unsinnigsten Beschuldigungen nur so aus dem Munde quollen. Ruhe ist da Pflicht. Bei mir war es natürlich Maske. Wie klug ich auf einmal war! Daher also diese unerträgliche Reizbarkeit, diese kindischen Launen in der letzten Zeit – daher diese unregelmäßigen Besuche! – Du hast übrigens mit dazu geholfen, mein lieber Gert, durch dein generöses ›Benutzen Sie meinen Stall nur fleißig, Herr Graf.‹ Da bandelt sich so etwas an in den Vororten.«

230 »Laß ihn laufen!« gab Lerden monoton zurück.

»Dieser dummen Pute willen?« Sie hob das Kissen in die Höhe und schleuderte es zornig auf die Chaiselongue.

»Wenn er dich nun einmal nicht liebt? – Was ihr Weiber doch gerade an Dutzendmännern hängt!«

»Nie, nie!« Ihre weiße Hand ballte sich langsam zur Faust. »Dazu alles geopfert haben? – So dumm! – Und nun sprich mir nicht mehr von Verzichten! Thu, wie du lustig bist!«

Lerden erhob sich langsam und machte ein paar schleppende, müde Schritte. Er hatte den Schluß gar nicht gehört. »Ich komme noch einmal, Lo. Bis dahin adieu.«

Sie war selbst zu erregt, als daß ihr seine heisere, leise Stimme aufgefallen wäre. Erst später, als sie die ganze Unterredung noch einmal durchging, kam sie zu der Ueberzeugung, daß hinter diesem plötzlichen Aufbruch ein Geheimnis stecken müsse. »Meinetwegen!« Jetzt, wo die Wogen des Geschickes beinahe über ihrem Kopfe zusammenschlugen, durfte sie sich nicht in Kleinigkeiten verausgaben. Der Kampf mit dem Grafen stand bevor. Und sie fühlte Energie genug, diesen schon verlorenen Posten wieder zu erobern. »Wie es auch kommen möge, ehe ich ihn feige aufgebe – lieber will ich sterben!«

Sie irrte sich. Die Kartenpartie sollte anders enden. 231

 


 


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