Johannes Richard zur Megede
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Johannes Richard zur Megede

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Die drei Tage waren vergangen. Im Schwolmer Bauernhause saßen Natzfeld und Loja beim Nachmittagskaffee – Prinz Lack mit der unvermeidlichen Zigarette, der Freiherr mit einer ganz frischen, schwelenden Sumatra. Zuweilen ging ein Sprühregen herab, und Bauernfrauen fuhren mit vermummten Köpfen vorüber. Draußen machte die Sonne einen verzweifelten Ansatz, mit roten Lichtmassen durchzubrechen, aber dicke Wolken verwiesen ihr sofort die thörichte Jugendlichkeit. Obgleich alles zum gemütlichen Innenleben mahnte – der Wind im Schornstein, die Tropfen an den Scheiben, selbst Unkas, der sein struppiges Plebejerhaupt begehrlich in dieser Atmosphäre von Spiritus, Kaffee und scharf gebackenen Waffeln hob – war doch im allgemeinen eine trübselige Stimmung. Zwar jonglierte Prinz Lack geschickt mit leichtsinnigen Walzermelodien und versuchte den Takt auf Unkas' herabhängendem Schwanze zu treten, was wehmütiges Jaulen, verzweifeltes Geheul und mißbilligende Ausrufe der »Köhlerschen« am Schlüsselloche draußen zur Folge hatte: »Nei ooch, das Vieh . . . das Vieh!« – Aber die Operettenfröhlichkeit war nur Schein.

Denn Natzfeld sprang ganz unvermutet von 280 seinem Sofaplatz auf und rief: »Hol der Teufel den labberigen Kaffee! Das soll der würdige Abschied von der alten Bude sein? – Haben Sie nichts mehr von Ihrem Jamaika?«

Loja zuckte bedauernd die Schultern.

»Das wollen wir doch gleich mal sehen! Ihr verzeiht, Loja. – Köhlersche!«

Die alte Dame tauchte sofort, wie eine Hexe aus der Versenkung, auf. »Gnädiger Herr?« Loja hatte sie nie für ganz »voll« angesehen.

»Der Herr Baron wünscht heute die letzte Flasche Rum! . . . Keene da?« blinzelte er. »Ach, was Sie sagen, Mamsellchen! Ich pariere auf ein halbes Dutzend hinter Ihrem Wäschekasten.«

»Ach wie der gnädige Herr doch eine alte Frau veralbern können!« schmunzelte sie.

Aber sie erschien nach einer Anstandspause doch schuldbewußt mit heißem Wasser und dem Schilffiasko . . .

»Na, sehen Sie, Mamsellchen! Und nun turnen Sie mal auf zwei Stunden zum Nachbar Hinze 'rüber!« – Als sie mit einer lebensgefährlichen Verbeugung verschwand, erklärte Prinz Lack mit Gemütsruhe: »Sollte uns die scheinheilige Canaille vielleicht behorchen oder beim Abschied beknicksen? Ich mache auf der Jagd keinen Schritt mehr, wenn mir ein altes Weib über den Weg läuft . . . ›Jagen will ich, ewig jagen! Will verdammt sein, aber jagen!‹« leierte er dann gedankenlos und goß Grog in die Gläser: »Ich hatte mal einen kolossal verhauenen Reichsgrafen aus Süddeutschland acht Tage im Quartier. Wenn der Kerl so voll war, daß man ihn auf den Kopf stellen konnte, dann lallte er unfehlbar in allen Tonarten die Verse 'runter, bis er 281 das graue Elend bekam und dicke Thränen wegen einer Schnepfe vergoß, die er nicht geschossen hatte. Und das jeden Abend! . . . Es giebt doch tolle Kerls! – Aber recht hatte er!

»Uebrigens« – er sah hinter der Gardine vor, ein geschlossener Landauer jagte vorüber, daß die Fensterscheiben klirrten – »das ist bereits das dritte Lorscher Fuhrwerk seit zwei Stunden! . . . Sollten die am Ende Verlobung ›ohne Ihnen‹ feiern?« Das Rollen verklang jenseits der Brücke und dafür kam ein »ti . . . ti« – das Geschrei der wilden Gänse hoch aus den Lüften . . . »Ich bin auch ein Entarteter!« sagte Prinz Lack, ihnen aufmerksam nachsehend. »Der Ton thut mir ordentlich weh. Wenn ich ihn als kleiner Junge im Bette hörte, ward ich ganz dammlich vor Sehnsucht und that die ganze Nacht kein Auge zu . . . Ihr seid schweigsam, edler Bannerherr? Das paßt ja auch zum Abschied am besten.« Er faßte Lojas Arm, der träumerisch nach dem Rauch seiner Zigarre schaute. »Kommt, Mann! Wir wollen uns heute noch einmal nach alter Weise in die alte Sofa-Ecke lümmeln, ich rechts, Sie links – und die alte gute Freundschaft in dem alten guten Grog leben lassen.«

»Die alte Treue hoch! – und für das Gesindel der Strick – prosit!« Die Gläser klangen. Aber Natzfeld setzte sich sofort nieder. »Br – br! – rutscht heute nicht.«

Loja lachte und schlug ihm auf die Schulter. »Schmeckt alles wie Tinte heute – wahrhaftig! Aber das soll uns nicht abhalten; 'runter mit 's Gift! Ich muß Stimmung haben.«

Und allgemach kamen sie auch in Stimmung – 282 das heißt, sie wechselten die Rollen: der Freiherr wurde lustig und Prinz Lack wehmütig.

»Sie werden auch froh sein, wenn Sie mich los sind, Natzfeld!«

»Sie müssen's ja wissen . . .« antwortete Natzfeld . . . »Ich will Ihnen mal was sagen: Nehmen Sie mich mit – als Mädchen für alles zum Beispiel. Was hab' ich denn hier!« fuhr er in ungewohntem elegischem Ton fort, – »ich werde weiter Jungvieh züchten, vielleicht auch Schafe, um mich an die Menschen besser zu gewöhnen – ich werde leichtfertige Standesgenossen mit Pferden bemogeln, um wenigstens mein gutes Herz zu Ehren kommen zu lassen – ich werde heiraten, vielleicht Anna v. Doerstedt oder ein gefühlvolles Frauenwesen – je nachdem es mir mehr Vergnügen verspricht, ein gutherziges Geschöpf zu Tode zu quälen, oder der Feudalität ein leuchtendes Beispiel vernünftiger Zuchtwahl zu geben. Zuletzt werde ich mich wohl von Pferden und Rindern nur noch im Aeußern unterscheiden. Vielleicht wachsen mir auch noch die Hörner . . . Es lebe der Stumpfsinn!« Dann biß er sich auf die Lippen. »Der alte Kerl, der Wilnein, mit seiner unvorschriftsmäßigen Bockbeinigkeit, ist mir ein dummer Strich durch die Rechnung . . . Ich hätte Lust, ihn auf der Landstraße durchzuprügeln. Er ist mir nur zu groß, und wenn Gott den Schaden besieht, verhaut er mich. Ich habe so viel Schneid auf die Zukunft, wie ein Verbrecher auf die Guillotine.«

Loja sah ihn von der Seite an. Wie anziehend dieses Gesicht doch ohne die kalte Maske sein konnte! »Und nun bürde ich Ihnen auch noch alles mögliche auf. Sie haben mir viel mehr Freundschaft erwiesen, als ich Ihnen je erwidern kann.«

283 Natzfeld winkte hastig ab. »Reden Sie doch nicht! Wenn sich zwei Menschen so stehen, wie wir, Gott sei Dank – dann wird doch nicht gebucht. Ich fahre Sie mit meinen eignen Schimmeln höchstselbst nach einer schlau ausgeknobelten Bahnstation – ich nehme den Verdacht auf mich, unaussprechlich Unmoralisches unterstützt zu haben, schieße mich vielleicht auch mit einem . . . Kolossale Aufopferung!« höhnte er.

»Das ist's doch thatsächlich, lieber Natzfeld!«

»Verzeihung – ich hätte Sie für weitblickender gehalten. Können Sie nicht ebensogut mit Bauernpferden nach Ihrer Bahn kommen? Brauchen Sie eine Vertretung hier, wenn Sie in Java Plantagenneger zu Tode kurieren? Sie haben mich absolut nicht nötig! Ich habe mich Ihnen aufgedrungen, weil ich bei der Affaire sein will. Ich will das Recht haben, jedem Grünschnabel auf die Finger zu klopfen: ›Vorsicht, mein Jungchen! Die Sache vertrete ich mit meiner Person.‹ – Was ich da für Sie thue, das thu' ich eigentlich für mich. Würden Sie's anders machen? Wenn die große Pleite der deutschen Landwirtschaft trotz meines Reichstagsmandats perfekt geworden ist, komme ich zu Ihnen 'rüber: ›Ich habe nischt, ich kann nischt – aber die Seife zum Dhaler, die Zigarette zum Jroschen muß ich unbedingt haben – voilà, halten Sie mich aus!‹ Dann werden Sie mir gerade mit Ihrem Honorarbuch ins Gesicht springen: ›Das beansprucht der Haushalt, das die Toilette meiner Frau – das übrige ist eiserner Fonds, den ich nie angreifen würde . . . ich bedaure unendlich . . .?‹ – Sie, mein Lieber, würden mir um den Hals fallen und sagen: ›Gott sei Dank, daß Sie zu mir gekommen sind.‹« 284

»Stimmt, Hasso.« Die Freunde reichten sich die Hand.

»Ach, nichts – stimmt!« bestritt Natzfeld lebhaft. »Ich finde nicht den richtigen Dreh aufs Abschiedswort.«

»Dann lassen Sie mich's finden. Reiben wir die Kalabassen noch einmal aneinander!«

Hasso zog sein Glas zurück. »Nee, mit Ihnen nicht mehr, Sie hinterlistiger Kerl! Sehen Sie sich die alte Bude nochmals genau an – das Wachstuchsofa, auch das Loch, das ich als Andenken eingebrannt habe. Vergessen Sie gefälligst den struppigen Köter auch nicht, den die Köhlersche sofort nach Ihrer Abfahrt aufhängen wird – und auch den Mann hier nicht! Ich frage Sie ernstlich, Herr Doktor Freiherr v. Loja aus dem Hause Dessenheim, – haben Sie ein Recht, das alles mit Gemütsruhe zu verlassen – namentlich den Mann? Warum haben Sie ihm das Grogtrinken beigebracht, den Rücken gesteift in der Politik; warum haben Sie einem sehr kühlen Gefühlsverächter die windige Freundschaftsidee eingeblasen und ihn so weit gekriegt, daß er beinahe an das Weib und an die Bande, Menschheit genannt, glaubt? Ich glaube, Sie haben aus reiner Menschenfreundlichkeit den Brand improvisiert und die Entführungskomödie! . . . Jawohl – darauf wissen Sie keine Antwort, als mir die Hand zu drücken.« Er lachte kurz auf. »Komm her, Unkas! Ich will dich noch einmal auf den Schwanz treten, daß du mitheulst.«

»Und kein Wunsch für die Zukunft dabei, Natzfeld?«

»Ich soll wohl auch noch zwei Verräter dem Schutze der Vorsehung empfehlen? O nein, mein 285 Teuerster! Ganz erbärmlich soll's euch gehen . . . Uebrigens um fünfe müssen wir weg, weil uns Marie um halb sechs Uhr im Walde erwartet.«

In dem Augenblick klang scharfes Pferdegetrappel dicht vor dem Hause. Ein Wagen hielt. Die beiden waren aufgesprungen. Loja verfärbte sich, Natzfeld kniff die Augen zusammen. Es war der Lorscher Jagdwagen. Vom Bock kletterte schwerfällig der alte Diener in großer Livree.

»Was ist denn da los?« knurrte Prinz Lack, der Mühe hatte, eine spöttische Wendung zu finden, als er in Lojas verstörtes Gesicht blickte. »Der verlorene Schwiegersohn wird festlich eingeholt!«

»Lassen Sie den Spott!« erwiderte Loja hastig, »es muß etwas Schreckliches passiert sein . . . ich habe den ganzen Tag so ein dumpfes Gefühl . . . Geben Sie mir schnell ein Glas Wasser, ehe der alte Mann kommt, sonst klappe ich Ihnen hier zusammen.«

Der Diener trat ein. »Empfehlung vom Herrn Grafen und der Herr Graf läßt den Herrn Baron ganz gehorsamst bitten, sofort nach Lorschen zu kommen und den Wagen gleich zu benutzen.«

»Habt ihr große Fete?« fragte Hasso leichthin.

Der alte Diener sah ihn betreten an und drehte den Hut. »Nein, gnädiger Herr, die gnädige Comtesse ist nicht ganz wohl. Es waren schon zwei Professoren aus Kaiserberg da.«

Da wandte sich Loja ab. Die brennende Zigarre fiel ihm dabei aus der Hand, und er merkte es nicht einmal.

»Gehen Sie nur an den Wagen, Friedrich,« befahl Hasso ruhig. »Der Herr Baron wird gleich kommen.« Aber als die Freunde allein waren, mußte er seine 286 ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um mit halber Stimme sagen zu können: »Sie wird meinen Rat befolgt haben und die Todkranke markieren, um sich von Ihnen retten zu lassen.«

Loja sah ihn mit einem flüchtigen Schein von Hoffnung in den Augen an. Klammerte er sich wirklich an den Strohhalm, oder wollte er um keinen Preis die Wahrheit glauben?

»Mut, Hans!« Ungewollt kam Prinz Lack der vertrauliche Ausdruck auf die Zunge.

»Ja, Mut, Hasso!« wiederholte Loja gedankenlos und ging. Der Freund folgte ihm langsam. Es regnete. Er stand noch einige Minuten draußen mitten auf der Chaussee und schaute dem Wagen nach, bis er an einer Wegbiegung verschwand. »Armer Kerl!« murmelte er und schüttelte den Kopf. Erst als die Köhlersche neugierig über die Chaussee gehumpelt kam, fühlte er den Regen, und eine fast komische Wut gegen das alte Weib erfaßte ihn, das nach altem Jägerglauben in diesem Augenblick Unheil bedeuten mußte.

»Schert Euch zurück!« schrie er, daß sie vor Schreck knickste. Es war zu spät. Sie hatte bereits den Weg gekreuzt.

*

Indes fuhr Loja in den Herbst. Auf der Stoppel saßen die Krähen. Wenn ein Hase einen Haken schlug oder ein Rebhuhn aufging, krächzten sie nur mißmutig – die leichte Frühlingsjagd war ja vorbei. Die Ebereschen an dem Weg färbten sich rot und schüttelten ihr letztes Laub. Aber die Fichten hüben und drüben reckten sich stolzer und düsterer. Sie hatten das große Blühen und das 287 große Sterben so oft gesehen. Immer im Frühling diese strotzende, maßlose Kraft – immer im Herbst das schwächliche Welken. Eintagsfliegen – diese Kinder des Feldes! Aber auch in ihren Kronen rauschte der Herbstwind wehmütiger. Wenn's auch nur einen Jahresring bedeutete in ihrem langen Leben, er stimmte sie doch ernster – der große Tod.

Loja war seltsam ruhig. War er es wirklich selbst, der hinter den unbeweglichen hohen Hüten von Kutscher und Diener im Fond saß, mit klarem Blick über die Ebene schaute, auf diese gelbe Stoppelwüste, aus der die schwarzen Brachen und die Wiesen wie Inseln emportauchten, die der Wald umschlang wie ein steiles Küstenband? Oder war's ein Wildfremder, der das dumpfe Rollen und den scharfen Hufschlag der Orloffs vernahm und dem alten triefäugigen Chaussee-Arbeiter zunickte, der auf einer quietschenden Karre Kartoffelsäcke vorüberfuhr? Nein, er war's selbst! Aber er wunderte sich über diese unnatürliche Ruhe, die ihn urplötzlich überkommen, nachdem er fast wankend in den Wagen gestiegen war. Er wußte, daß er etwas Furchtbarem entgegenfuhr – daß ihr Tod auch sein Tod war. Und der Weg hätte ihm lang vorkommen sollen – er erschien ihm kurz.

Der Graf empfing ihn schon an der Vorfahrt. Er sah alt und verfallen aus, nur die Augen glänzten fieberhaft. Die beiden drückten sich schweigend die Hand. Als sie in den Flur traten, sah Loja Gampeschs Hut auf dem Mitteltische liegen und daneben einen zerknüllten dänischen Handschuh von Marie; sie hatte ihn damals im Walde getragen. Da fühlte er einen faden Geschmack im Munde, und der Trumeau schien zu schwanken.

288 »Sie sehen schlecht aus, Herr v. Loja!« sagte der Graf.

»Nur äußerlich, Herr Graf!« kam es nach einer Pause heiser zurück . . . »Wie geht's . . . der Gräfin?«

Da packte ihn der Graf plötzlich an beiden Schultern, wie wenn er ihn hätte erdrücken wollen: »Sie ist am Tode!« Das Wort gab Loja die furchtbare Ruhe zurück.

»Bitte, führen Sie mich zu ihr, Herr Graf.«

Der Alte machte eine abwehrende Bewegung.

»Verzeihen Sie einem alten Manne . . .« Der Diener wendete sich ab. Seinem Herrn flossen die dicken Thränen in den Bart. »Lassen Sie uns allein, Friedrich!«

Loja faßte den Grafen um die Hüfte und führte ihn in das Kaminzimmer. »Einen Augenblick Ruhe, Herr Graf – das wird Ihnen helfen.«

»Nein, mein lieber Freund,« – der alte Herr stützte sich schwer auf den Tisch – »einen Moment nur! . . . Was wollte ich doch sagen? . . . So – ich hatte vor drei Tagen mit meiner Tochter eine Aussprache – sie war sehr ernst. Nachher ist sie noch in den Park gegangen . . . ich hatte keine Ahnung davon . . . da ist sie die ganze Nacht geblieben . . . Als sie morgens heimkam, ging sie gleich ins Bett. Eine Stunde später meldet mir die Jungfer, meine Tochter habe plötzlich starken Schüttelfrost bekommen. Ich denke, es wird von den Nerven sein oder der Aufregung. Aber als ich sie sah – sie lag mit geschlossenen Augen, und die Zähne klapperten ihr – wurde mir furchtbar angst. Ich frage, ob sie nicht einen Arzt will – sie spricht hastig ›Nein!‹, kann aber doch kaum noch den Laut herausbringen . . . Ich schicke sofort einen reitenden 289 Boten nach der Stadt, telegraphiere nach Kaiserberg – auch Gampesch bat ich sofort zu mir. Ich wußte nicht, was ich that. Als die Herren kamen, war sie schon lange ohne Besinnung. Es war mir scheußlich, daß ich mich an den alten Kerl, den Füllenius, wieder wenden mußte – ich hatte ja gar keine Ahnung, daß Sie hier waren, Herr Baron. Der sagt auch gleich: ›Starke Erkältung, keine unmittelbare Gefahr.‹ Auf dem Zurückwege begegnete er noch dem Professor und muß ihm wohl rapportiert haben, so daß der die Angelegenheit etwas lächelnd übers Handgelenk behandelte. Doch kaum war er mit der Untersuchung fertig, da wurde er sehr ernst: ›Es ist Gehirnhautentzündung, Herr Graf – der Fall ist schwer.‹ Das war vor zwei Tagen. Dann hab' ich noch eine andre Autorität aus Kaiserberg geholt . . . Bis heute um vier Uhr ist Marie nicht zur Besinnung gekommen. Da hörte die barmherzige Schwester, wie sie halblaut murmelte: ›Ich will sofort den Freiherrn v. Loja sprechen – er ist hier – ich bitte flehentlich darum.‹ Deshalb habe ich Sie bemüht.«

»Dann wollen wir doch zu ihr!«

Der Graf sah kopfschüttelnd den Mann an mit dem gelbblassen Gesicht und der unheimlichen Ruhe in den Augen, der gehen wollte und dabei die Füße in die Luft setzte wie ein Trunkener.

»Kommen Sie doch!« drängte Loja wieder . . .

. . . »Was ist Ihnen, Herr v. Loja?«

»Nichts! Sie sollen kommen, Herr Graf!« Es klang fast drohend.

»Ich kann nicht,« stöhnte der und bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Ich habe Angst, zu ihr zu gehen . . . Sie phantasiert so schrecklich . . .«

290 »Von wem?«

»Ja, wenn Sie mir das sagen könnten! – Hören Sie!« sprach er darauf ganz leise . . . »Ich hab's niemand gesagt, auch den Professoren nicht. Wenn sie stirbt, dann habe ich sie gemordet! . . . Sie hat nämlich mit dem Gampesch gebrochen . . . Warum? Wer kennt die Jugend! – Und das hat sie mir sofort gebeichtet als gutes, wahrheitsliebendes Kind, das sie immer war. Sie liebt einen andern, Herr v. Loja! In ihrem Delirium spricht sie immer von ihm – es ist so schrecklich! Und ich kenne ihn doch nicht . . .« Er preßte stöhnend die Hände zusammen: »Herr Gott des Himmels, der du mir so viel zu tragen gegeben hast, warum hast du mich nicht erleuchtet, als sie mich für den Mann bat, den sie liebte? Warum hast du mir mein hoffärtiges Herz verblendet, daß ich ihr mit meinem Fluche drohte, weil ich meinen unwürdigen Starrsinn durchsetzen wollte, das verfluchte falsche Pflichtgefühl, an dem sie jetzt zu Grunde geht! War ich denn wahnsinnig? Jetzt versteh' ich sie so gut, jetzt weiß ich, daß sie gar nichts andres thun konnte, daß sie ihre große Pflicht verstand. Und ich alter, pharisäischer Narr wollte das Beste in ihr brutal knechten! – Sehen Sie mich nicht mit so toten Augen an – geben Sie mir einen Hoffnungsschimmer! . . . Sie sind Arzt, Sie sind Edelmann, Sie haben wohl schon viel Verzweiflung gesehen, und ich schäme mich vor Ihnen nicht . . . Vielleicht wissen Sie etwas . . . Sie waren ja mit Natzfeld so befreundet . . . Vielleicht ist er's, oder Doerstedt, oder ein andrer. Und wenn's mein geringster Knecht ist – er soll mir willkommen sein! Vielleicht kennen Sie ihn doch, haben von ihm gehört . . . Aber warum kommt 291 er eigentlich nicht selbst? Er muß doch aus der Gegend sein, gehört haben, wie's mit ihr steht. Mich hätten keine hundert Pferde gehalten, keine Menschenscheu, zu ihr zu eilen. Und der Kleinmütige kommt nicht!«

Loja blieb stumm. Er hatte einen Augenblick den brennenden Wunsch, sich dem alten Manne an den Hals zu werfen, zu sagen: »Ich bin's ja!« Aber gleich darauf kam's ihm wie ein unwürdiger Druck vor, wie eine Theaterscene, die er sein Lebtag gehaßt hatte. Schwieg sie – er konnte auch schweigen.

An dem kühlen Schweigen gegen so hohes Vertrauen ermannte sich der Graf. Er ging mit stampfenden kurzen Schritten voran die Treppe zum Schlafzimmer in die Höhe; doch er wunderte sich, daß der Jüngere ihm nur langsam, Fuß an Fuß setzend, nachkam.

Ueber den Korridor huschte die barmherzige Schwester. Ein leichter Lazarettgeruch folgte ihr. Gampesch öffnete geräuschlos die Thür, als er sie kommen hörte. »Leise . . . leise . . .« Die Herren begrüßten sich. Die Hände lagen wie Holz ineinander, und die Augen sahen ins Leere. Sie traten in das Zimmer. Loja sah's zum erstenmal. Es war ein kleines Gemach mit heller, altmodischer Blumentapete, die Einrichtung gelbes Eschenholz – schmucklos, fast dürftig; und darüber die ängstliche Stille, die etwas verbrauchte Atmosphäre von Krankheit, Menschen, Medizin. Loja blieb mitten im Zimmer stehen. Eine holde Vision narrte ihn, so daß er nicht die leicht bewegte spanische Wand sah mit dem Krankenbett dahinter und der barmherzigen Schwester. Er hörte nicht Maries röchelnden Atem. 292 Er sog den Geruch von weißem Flieder ein, der dem Gemache doch geblieben war und ihm etwas jungfräulich Reines, etwas von ihr gab. Auf der Chaiselongue lagen noch ihre Kleider; eine weiße Spitze lugte hervor. Der goldene Pfeil glitzerte auf dem Toilettentisch, als hätte ihn die Geliebte eben aus dem duftenden Schwarzhaar gezogen. Ein Stück weißer, weicher Bettteppich drängte sich hervor. Und er sah sie mit ihren geschmeidigen Gliedern, den leuchtenden Augen, wie sie sich eben zum glücklichen Schlummer niederlegte mit einem Gebet für ihn.

Da raschelte die gestärkte Haube der barmherzigen Schwester und weckte ihn.

»Herr v. Loja!« . . . Und er trat hinter den Bettschirm, straff, entschlossen. Seine Augen bohrten sich in ein Bild über dem kleinen Bett. Es war ein Stich von Defreggers »Hofers Tod«. Loja erkannte nichts. Aber er mußte den Punkt haben, der ihn hypnotisierte. Nur nicht niedersehen auf sie! Die beiden Männer und die Schwester blickten angstvoll auf ihn: sie begriffen die Ruhe nicht. Und er that seine Pflicht wie ein Automat, seine Hände arbeiteten mechanisch. Dann hob er das Fieberthermometer in die Höhe: Einundvierzig. Der zweite Professor, der gesagt hatte: »Machen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt,« übertrieb nicht! –Und er drehte sich ganz langsam um, als verfolge er eine unsichtbare Linie der Luft. Da berührte seine herabhängende Hand, ohne daß er es wollte, die Maries. Er zuckte zusammen – sie auch.

Die barmherzige Schwester neigte sich über die Kranke, die plötzlich unruhig geworden war. Doch die stieß den Arm zurück und begann zu phantasieren . . . »Warum hast du meine Hand 293 angefaßt? . . . Du bist doch ehrlos und hast ihn betrogen . . . Du willst mich zuerst töten . . . und dann wolltest du ihn morden . . . Ja, das wolltest du! Du willst ihn erschießen . . . Du bist ein meineidiger Schuft! . . . Und du wagst es, zu kommen? . . . Ach! du bist ja viel, viel schlechter, als ich gedacht habe . . . Nicht mal im Tode soll ich ihn wiedersehen! Du läßt ihn nicht zu mir, weil du weißt, daß er mich gesund machen würde . . . Aber das sage ich euch . . . eure Schlechtigkeit nützt euch nichts . . . Ich kann nicht sterben ohne ihn! . . . Seid ihr denn auch Menschen, daß ihr mich so leiden laßt? . . . Ach, komm doch . . . komm doch . . .« – Aber noch sterbend wollte sie das Geheimnis wahren. Und mit zusammengepreßten Zähnen murmelte sie weiter . . . »Ihr möchtet seinen Namen wissen, weil ihr ihn morden wollt – aber ich sage ihn nicht . . . Ach, laß mich doch nicht allein sterben! . . .« Und wieder erstarb die Stimme in unverständlichem Murmeln.

Der Graf und Gampesch sahen sich kopfschüttelnd an. Die Schwester nickte ergeben, wie's an Sterbelagern Brauch. Aber der Doktor wankte auf einmal wie ein Trunkener.

»Was ist dir, Hans?« fragte Gampesch mit argwöhnischem Blick.

. . . »Ich habe meinen Malariatag heute.«

Und Gampesch glaubte ihm. Der vage Verdacht, der angesichts des wankenden Mannes in ihm aufgetaucht war, schwand. Nein, solch verdorbenen Geschmack hatte Marie nicht.

Wie Loja aus dem Zimmer gekommen – er wußte es kaum. Aufbrüllen wie ein Tier, hinschlagen wie ein Stück Holz – er hätte es fast 294 gethan. Dafür ging er ganz korrekt hinter den andern, stumm, mit einem blöden Lächeln, durch den Korridor, die Treppe hinab, immer mit einem schwarzen Punkt vor den Augen, der ihn aufrecht hielt, vorwärts zwang. ›Ob ich noch wahnsinnig werde? Warum legt sich nicht über das wehe Hirn die tanzende Nacht?‹ Sie kam nicht. Mit jedem Schritte wurde er ruhiger. Wieder diese schreckliche Klarheit, die ihn überkam wie eine Krankheit. Er konnte verständig sprechen, die Diagnose stellen – dazu Thee trinken, rauchen. Er war der Vernünftige. Vielleicht dankten's ihm die andern, daß er für sie dachte, ihre Nachtwache regelte, die ermüdete Schwester ablösen ließ – vielleicht fanden sie diese nüchterne Berufsauffassung natürlich bei ihm, der nicht litt wie sie und trotzdem gespenstischer aussah als Gampesch mit seinem matten, der Graf mit seinem verfallenen Gesicht.

Die Nacht kam. Loja hatte den Dienst. Er löste die Schwester ab. Sie schlich todmüde ins Nebenzimmer und warf sich auf eine Chaiselongue. Am Kamin unten forderte die Natur bei den übermüdeten Männern ihr Recht. Im Hause herrschte Totenstille. Die Nachtlampe legte ihr rotes Dämmerlicht über das Gemach. Die Kranke schlummerte. Loja saß an dem Bett und horchte auf die langen Atemzüge der Schwester nebenan. Er wollte allein mit Marie sein, ganz allein. Sie lag still in dem schmalen, weißen Bett. Loja hatte sich über sie gebeugt. Zum erstenmal sah er wieder voll in das geliebte Gesicht. Das lange schwarze Haar war aufgegangen, eine breite Strähne hing über den Bettrand. Er küßte die. Wie frisch und jung Marie aussah mit den fieberroten Wangen auf dem weißen 295 Pfühl. Ihn täuschte die Jugend nicht. Die Krankheit hatte ihr die düstern Schatten um die Augen gelegt, über die bleifarbenen Lider; sie tobte hinter der glühenden Stirn mit den kleinen Schweißperlen an Schläfen und Haar – sie brach in sengendem Hauche aus den trockenen, halbgeöffneten Lippen. Und ihn trieb's, diese lechzenden Lippen zu küssen, ganz leise – es war ja ein Raub. Und als er den geliebten Mund berührte, da erschauerten die zarten Glieder, der feine Arm schlang sich um seinen Hals, und sie zog den Mann an ihr junges Herz. Sie wußte es nicht. Das arme Herz schlug so schwer! – Und der Mann riß sich los, weil's über Menschenkraft ging. Sie aber seufzte im Traum.

Um Mitternacht war der Wind stärker geworden und bog das stöhnende Geäst im Park. Unter dem Fenster schleifte der Wolfshund sein Kreuz über die Steine; zuweilen heulte er langgezogen – es galt dem Monde. Der Wächter pfiff, die Uhr auf dem Nachttisch tickte, das Nachtlicht knisterte. Alles ging das gewohnte Geleise. Der Mann am Sterbebette sah vor sich hin und lächelte. Das Leben war nicht empörend – es war nur albern . . . Er wechselte die Eisbeutel, er maß die Temperatur, er that seine Pflicht – nicht wie ein Held in verzweifelter Schlacht, nein, wie der gemeine Soldat in der Schützenkette. Die Geschosse singen, die Kameraden röcheln rechts und links, er aber ladet und schießt und ladet und schießt, solange die Munition aushält. Es ist kein Heldentum, es ist nur stumpfe Arbeit.

Die Temperatur sprang herauf und herunter in kurzen Absätzen – ein tödliches Spiel. Er sah, wie die Lähmung fortschritt, wie die Glieder sich streckten, schwerer wurden, hölzern, taub – er wußte, 296 daß kein Wunder die Sterbende retten konnte, daß der Zusammenbruch da sein würde noch vor Sonnenaufgang. Und er flehte nicht um das göttliche Wunder; er stöhnte nicht, er lächelte nur – das Lächeln Lears.

Zuweilen sah ein Kopf ins Zimmer – er winkte nur mit der Hand. Gampesch kam geschmeidig, lautlos wie eine Katze, aber mit einem wilden Schmerz in dem übernächtigen Gesicht. »Wie geht's?« – »Schlecht.« Und der Arzt starrte an die Wand. Sie kamen, sie gingen, der Diener, die barmherzige Schwester – auch der alte Vater, ein zitternder Greis: »Giebt's denn kein Erbarmen?« – und Loja blickte den verzweifelten Mann von der Seite an. Der verlor viel. Vielleicht starb er daran, vielleicht nicht – aber es war ein alter Mann, und der Tod schnitt eine reife Aehre. Er aber, der junge, starb schon jetzt, langsam, Zoll für Zoll. – Sie hielten es alle nicht lange aus um das Sterbebett. Die rasenden Phantasien hatten sie ertragen, das dumpfe Sterben trieb sie hinaus.

Nur der Arzt hielt aus. Die Thür knarrte, das Nachtlicht flackerte; etwas frische Luft drang herein. Da rief er fast brutal der barmherzigen Schwester zu: »Machen Sie die Thür zu!« – so daß diese eilig entfloh. Die frische Luft paßte nicht zu den beiden Sterbenden.

Ein Käuzchen flatterte ans Fenster und schrie. Es gab so viele Käuze im Parke, die schrieen. Dennoch sah Loja unwillkürlich nach der Uhr. Es war zwei.

». . . Hans . . . Hans . . .« Sie sagte es so leise wie im Traum, und er suchte ihre liebe Hand – Marie träumte nicht. Sie lag mit offenen Augen da und lächelte.

297 »Hans,« klang es noch einmal . . .

Und er sah sie stier an. Er glaubte nicht an das Wunder.

»Komm näher,« bat sie.

Da beugte er sich auf ihre Lippen.

»Heb mich auf!«

Er that's.

»Und lege meine Arme um deinen Hals . . . Ich kann nicht mehr. Du schämst dich wohl für mich?« flüsterte sie. »Ich schäme mich gar nicht . . . Ich bin im Hemd. Was thut's!« Und sie sah ihm ins Gesicht: »Du lieber Hans . . .« Ihre Augen leuchteten zärtlich. »Ich bin wohl recht krank gewesen? . . . Deine Augen weichen mir aus. Sehr krank? – sprich!« Sie fühlte, wie er bebte . . . »Ich bin's wohl noch?«

Da preßte er die Zähne zusammen und stöhnte.

»Ich will deine Augen haben, Hans,« bat sie.

Und er schloß sie vor dem seltsam fragenden Blick.

. . . Sie erriet. »Hans – ich muß sterben?«

»Marie!« Er konnte es nur stammeln.

Aber sie blieb fest. »Deine Augen! Ich flehe dich an!«

Er hob den Blick – er wollte es nicht. Da bannten ihn ihre Augen. Sie glänzten so heiß und so tief.

»Hans, ich sterbe?« . . .

Seine Lippen bewegten sich. Er suchte die barmherzige Lüge – aber die unentrinnbaren Augen zwangen ihn.

»Du hast mich nie belogen, Hans – und feige waren wir beide auch nie. – Ich sterbe?«

Der starke Mensch zitterte wie ein dürres Blatt . . . »Ja.« . . . Es war ein andrer, der das schreckliche 298 Ja sprach, der andre, den die Hypnose ihrer Augen aus ihm gemacht. Und er hörte immer noch das Wort, klar, nüchtern, weiterklingend im unendlichen Raum – und er ertrug's.

Marie seufzte nicht. Sie nickte ihm nur zu und streichelte mit matter Hand seinen Nacken . . . »Du wirst mich vergessen – Hans – nicht wahr? Du wirst eine andre finden. Sieh, ich bin gar nicht eifersüchtig . . . Du sollst nur glücklich werden, mein Hans!« flüsterte sie . . . »ja, glücklich!« Sie versuchte wehmütig zu lächeln. »Hans . . . Hans.« Dann schüttelte sie den Kopf . . . »Nein – du wirst mich nie vergessen,« . . . fuhr sie wie im Selbstgespräch fort, »du wirst keine andre finden . . . ich weiß es . . . du stirbst mit . . . Da finden wir uns wieder . . . ich schlafe so lange . . .«

Da stöhnte er auf, dumpf, röchelnd. Seine Kniee wankten.

Sie aber hielt ihn mit ihren weißen Armen. »Gieb mir noch einen Kuß,« bat sie . . . »nur einen! Ich will ruhig sterben.«

Und er küßte sie leise, ganz leise – ein zuckender Männermund auf sterbenden Frauenlippen. Sie sog den Kuß ein wie ein köstliches Gift . . . »Hans . . . Hans . . .« Es war nur noch ein Hauch. Dann sank sie langsam zurück. Und er hielt sie nicht.

Dann aber brach er über dem weißen Bett zusammen mit einem einzigen, heiseren, grausigen Schrei. Er starb nicht.

Im Nebenzimmer klopfte die barmherzige Schwester. »Ist was passiert, Herr Baron?«

Und er vermochte aufzuspringen, die Thüren zu verriegeln. »Niemand darf herein!« schrie er – »niemand!«

299 Und er warf sich auf die Geliebte wie ein Tier, wie ein Wahnsinniger und umklammerte die Sterbende. Er küßte sie nicht – er stammelte nicht – er weinte nur. Das grausige Männerweinen, wo in der Seele etwas zerrissen, zermalmt, gemordet wird.

Als er sich erhob – lebend und doch schon tot –, lag Marie lang ausgestreckt im zerwühlten Bett, die Züge erschlafft, die weit geöffneten Augen mit den unheimlich großen Pupillen kalt, leer. Wo sein Kopf auf ihrem weißen Hemde geruht hatte war ein großer nasser Fleck. 300

 


 


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