Johannes Richard zur Megede
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Johannes Richard zur Megede

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Neuntes Kapitel.

Es war Januar. Die Hochflut der Orschauer Saison wälzte sich heran. Natzfelds Lackschuh glitt über das ländliche Parkett, sicher, elegant – seine Stellung als erster Courmacher der schönen Anna war trotz des Besuches in Soraunen unerschüttert. Die Mutter begann wieder zu hoffen. Nur der Dandy grollte. Auf einem Balle bei Domats ergriff er die Gelegenheit, »Prinz Lack« zu stellen.

»Sie haben heimtückisch gehandelt an mir, Natzfeld,« schnarrte er. »Vertrauen mißbraucht . . .«

»Weil ich die unverzeihliche Kühnheit besaß, meine Fänge in ein Stück Wild zu schlagen, welches Sie auch umkreisten – Sie kleiner Moralist? – Nehmen Sie Anstandsstunde oder lassen Sie andrer Leute Weiber zufrieden!«

»Herr v. Natzfeld!«

»Herr v. Doerstedt?«

Der Dandy, heute mehr unlustig als kriegerisch gestimmt, lenkte ein. »Ich habe keine Lust, Sie abzuschießen oder mich abschießen zu lassen. Gefundenes Fressen für den Pöbel oder den sozialdemokratischen Doktor, aus dem Sie sich, nebenbei gesagt, gar ›nischt‹ machen!«

»Ganz meine Ansicht! Ich habe Ihre geistigen 197 Fähigkeiten doch immer richtig taxiert, Doerstedt. – Es ist mir ein Vergnügen, Loja zu protegieren, weil sämtliche Nachtmützen männlichen und weiblichen Geschlechtes darob vor Empörung wackeln. Ich freue mich nur, wenn andre sich ärgern.«

»Längst gewußt. Rederei von Freundschaft und so mit dem Kerl Unsinn.«

»Dafür bin ich Ihr aufrichtiger Freund.«

»Habe das wenigstens früher angenommen, Prinz Lack. Wo so ausgesprochene Gleichheit der Interessen, Familie . . .«

»Und so weiter,« unterbrach Natzfeld. »Sie fühlen sehr richtig! Deshalb gönne ich Ihnen auch allein die weiße Nana. Bei meinem Besuche neulich die Sonde angesetzt – aus reiner Freundschaft für Sie. – Beneidenswerter Glückspilz! Sie werden geliebt – wie geliebt!«

»Bei Weibern traue ich Ihnen miß, Prinz.«

Natzfeld lachte. »Sehen Sie nicht den Heiligenschein um mein Haupt?«

»Nur schwach. Sie sind abgeblitzt – was?«

»Nennen wir es so. Ein andrer Hahn saß nämlich schon im Korbe: Sie, mein Verehrtester! Aus allen Gucklöchern dieses unvergleichlichen Herzens schaute Ihr Charakterkopf heraus.«

»Machen Sie's nur halb so schlimm!« wehrte geschmeichelt der Dandy ab.

»Ihre ›Taprigkeit‹ von damals ist Ihnen verziehen. Leider lieben Mütter ihre ungezogensten Kinder am meisten. Aber geben Sie die Waldfahrten auf! Sie kompromittieren Ihr Liebchen ja haarsträubend. An Ihrer Stelle würde ich ein rosa Billet in die Sorauner Ehe einschmuggeln. Nicht zu süßlich! Stelldichein: Kaiserberg. Das 198 Ziel muß ganz sichtbar sein. Beim verliebten Händedruck wollen Sie doch nicht stehen bleiben? – Trauen Sie einem alten Fuchs: Halten Sie sich nicht lang mit Vorpostenplänkeleien auf! – Reiten Sie eine scharfe Attacke!« Bei sich dachte er: ›Es könnte leicht dein Todesritt sein, Mikrocephale. – Ich habe nun einmal kein fühlend Herz für Tiere, am wenigsten für Affen.‹

»Also Sie meinen allen Ernstes, Natzfeld?« fragte der Dandy, der mit Vorsicht auf den Leim ging.

»Ich will Ihnen den Brief sogar diktieren.«

»Das will ich lieber selber besorgen.«

»Jedenfalls erhalten Sie mich auf dem Laufenden, Doerstedt?«

»Wenn ich auf Ihre Verschwiegenheit rechnen kann,« versprach zögernd der Dandy.

»Wie auf Ihre eigne!«

Doerstedt war als unverbesserlicher Schwätzer bekannt.

Sehr befriedigt von seiner Mission ging Prinz Lack zur schönen Anna. Daß Martha Gellmann nicht in diese plumpe Falle gehen würde, schien ihm gewiß.

*

Die Folge der Unterredung war, daß noch an demselben Abend der Oberst Natzfeld am Büffett beiseite nahm. »Mein junger Freund! Daß Ihr Verkehr mit dem Doktor weiter nichts als eine gewagte Fopperei uns allen gegenüber ist, ebenso wie der Besuch in Soraunen – berichtet mir soeben der Leutnant v. Doerstedt. Aber als ernster Mann möchte ich Ihnen doch zu erwägen geben, daß ein so gewagter Scherz verfluchter Ernst werden 199 kann. Mein Alter und meine Stellung verpflichten mich sogar direkt –«

Natzfeld stieß ihn blinzelnd an. »Sie sind doch ein kolossaler Spaßvogel, Herr Oberst.«

Als aber der alte Militär sehr steif und von oben herab wiederholte: »Verpflichten mich sogar direkt, bei Ihnen anzufragen, wie Sie das in Zukunft halten wollen? Wir sind nicht geneigt, zu dulden, daß ein so junger Herr mit unsern Ueberzeugungen spielt. Also?«

Natzfeld maß ihn langsam von Kopf bis zu Fuß. Dann antwortete er eisig: »Dulden? – Sie überschätzen Ihre Machtvollkommenheiten sehr, mein Herr! Der Majoratsherr v. Natzfeld kennt seine Pflichten allein.« Er drehte sich auf dem Absatz herum und ließ den Oberst stehen.

Natzfeld wußte, daß es sich für ihn um eine Kraftprobe handelte: die Gesellschaft oder er. Sie gelang. Die Herren hätten ihn vielleicht fallen lassen. Den Mann, der uns kaltblütig das Geld im Spiel abnimmt und noch dafür verhöhnt, lieben wir selten. Aber Mütter und Töchter hielten geschlossen zu Prinz Lack. Den etwaigen Schwiegersohn oder Gatten konnte man doch nicht boykottieren. So kam es, daß der Oberst, welcher den Fall sehr ernst nahm und die Offiziere zu einer vertraulichen Besprechung bestellte, nur auf verlegenes Achselzucken stieß. Selbst Doerstedt, mit den gemessensten Befehlen von seiner Mutter versehen, konnte nur ein »Unmöglich, mit Natzfeld nicht mehr zu verkehren,« stottern. »Jahrhundertealte intime Beziehungen der Familien . . .« Herr v. Gampesch war vorsichtig fern geblieben.

Comtesse Marie hatte einen andern Ausgang 200 erwartet. Die Niederlage, welche der Oberst erlitt, war auch ihre eigne. Von Stund an befreundeten sich die beiden. Sie gaben den Kampf nicht auf. Zwischen dem Oberst und Natzfeld wurde der Grußcomment aufgehoben, und bei jeder Einladung fragte der alte Herr, ob der Besitzer von Sassen auch da sei, in welchem Falle er bedauern müsse. Auch die Comtesse stellte auf diese Art die Kabinettsfrage. »Ich verlasse die Gesellschaft, in der ich ihn treffe, auf der Stelle. Natzfeld oder Wilnein!« Ihr trotziger Entschluß war genugsam bekannt. Erst amüsierte die Gesellschaft diese lodernde Feindschaft, dann wurde sie ihr langweilig, zuletzt lästig. Man konnte doch der Comtesse Wilnein wegen nicht zwei Bälle hintereinander geben! Fortan figurierte sie als ständiger Gast bei den ehrwürdigsten alten Damenkaffees und den officiellen Diners der alten Herren. Die Langeweile war da zu Hause. Die Taubheit der alten Walen war ein schlechter Ersatz für den schmerzlich entbehrten Tanz – und der regelmäßige Platz neben dem Oberst zwar sehr ehrenvoll, aber sehr langweilig. Näher kam ihr der neue Freund dadurch keineswegs. Sie lernte ihn freilich besser kennen. Er war hart und verknöchert. Beides stieß sie ab. Schon begann sie sich in dieser Umgebung verheiratet, alt zu fühlen.

Frau Domat versuchte zu vermitteln, indem sie die feindlichen Verwandten unerwartet zusammenbrachte. Es war bei Sauer, und die Comtesse mit dem Vetter allein. Er, wohlinstruiert, blinzelte sie schalkhaft an: »Lange nicht gesehen, Cousinchen! Wie kommt das nur?« – Sie aber verstand den Spaß schlecht und antwortete ihm funkelnden Auges. »Ihn hasse ich, und dich verachte ich – da hast du meine Meinung!«

201 Darauf ließ sie ihm andern Tages durch den alten Kauffmann mitteilen, daß die Dennhöfer Privatwege für Sasser Fuhrwerk verboten seien. Es war die Rache eines verzogenen Kindes. Der Vetter pflegte so den Weg nach der Stadt abzukürzen. Die prompte Antwort war ein Strafmandat von ihm als Amtsvorsteher wegen nicht ausgebesserter Wege. Im Nichtbeitreibungsfalle Haft, hatte er höhnisch unterstrichen. Später erfuhr die Comtesse, daß er diese Korrespondenz auf das schonungsloseste ausgebeutet. Die schöne Anna kam im dichtesten Schneegestöber nach Lorschen, nur um ihr das mitzuteilen.

»Und ein Bild hat er von dir entworfen, Marie! – Du im Amtsgefängnisse wie eine Vagabundin! Was er hinzugefügt hat, wage ich gar nicht zu wiederholen. Er hat eine bitterböse Zunge!«

»Ich wünsche es auch gar nicht zu wissen,« antwortete die Comtesse.

»Schließlich, warum soll ich es dir nicht sagen? Er hat es ja öffentlich ausgesprochen.« – Die schöne Anna hatte ihrer »besten Freundin« noch nie eine Unannehmlichkeit wissentlich erspart. »›Meine Cousine Wilnein wird mit den Jahren immer jünger am Geiste. – Zum Frühjahr wird sie wohl ihre Puppen wieder hervorholen – und zu ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag‹ – Marie, es ist abscheulich von ihm! – ›gedenke ich ihr einen Lutschproppen zu schenken. Dann wird sie ja wohl so weit sein.‹«

Die Comtesse biß sich vor Aerger die Lippen wund, aber sie schwieg. Daß der Cousin so zu kritisieren wagte, war Beweis genug für seine unerschütterliche Stellung. Wie sehr aber hatte sie selbst an Macht verloren, seit sie verlobt war! Der 202 Fluch der Lächerlichkeit ist das Lähmendste für so leidenschaftliche Naturen. Trotzdem wollte und konnte sie nicht mehr zurück. Dafür begann etwas Neues, Häßliches in ihr emporzuwachsen, das ihrer vornehmen Seele sonst fremd war: die Heimtücke, die zielbewußte Verleumdung – die ureigenste Waffe der machtlos gewordenen Frau, die sich für ihre ungleiche Stellung rächt. Es wurde ihr leicht, alles, was der Geheimrat und der Oberst dem Doktor nachredeten, der Gesellschaft mundgerecht und plausibel zu machen. Und sie ging weiter – sie erfand. Aber das Netz lügnerischer Behauptungen, welches sich fest um den Wehrlosen strickte, umstrickte sie auch selbst. Sie verfiel dem Verhängnis leicht erregter Naturen, an ihre eignen Wahngebilde zu glauben. Ihr klarer Blick trübte sich – um so mehr, als Loja nie in die Verlegenheit kam, zu widersprechen. Er mied die Gesellschaft, über die er so schneidig zu Gericht gesessen.

Auch an Vetter Hasso wagte sie sich heran, nicht an den abwesenden – nein, an ihn selbst. In der letzten Zeit besuchte sie nur die Gesellschaften, wo er zu Hause war. Einmal war von Natzfelds unerhörten Erfolgen am Spieltisch und auf der Jagd die Rede. Man sprach hin und her. Die einen meinten, es sei seine Ruhe; die andern: Glück. »Er spielt niemals unbar – das ist das Geheimnis!« entschied Doerstedt.

Da warf die Comtesse trotzig den Kopf zurück. »Vielleicht liegt's am Mischen. Wer hält für gewöhnlich die Bank?«

Peinliches Schweigen entstand. Ein helles Rot ging über des Vetters blasses Gesicht, und ein böser Blick streifte die Kühne. Aber seine Selbstbeherrschung 203 blieb ihm getreu. »Wahrscheinlich, du gottselige Priorin eines Altjungfernstiftes! Aber die Volte erkennt nur, wer sie selbst schlagen kann.«

Die gemessene Art, der sie den ganzen Abend begegnete, belehrte sie, daß sie viel zu weit gegangen. Der Vater, dem die Sache zu Ohren kam, befahl ihr, sofort um Verzeihung zu bitten. Sie blieb unentwegt. Ihre Ungezogenheit sah sie ein, doch ihr Trotzkopf beugte sich nicht zum zweitenmal. Die Gesellschaft begann der Comtesse zu zürnen. ›Wenn die Schraubereien so weit gehen!‹ – ›Was wird sie nur heute wieder sagen?‹ war immer der ängstliche Gedanke der Gemäßigten. Am Ende mußten selbst die Wohlwollenden der Frau v. Doerstedt darin recht geben, daß Marie Wilnein bis jetzt eine große Komödiantin gewesen sei, deren häßlicher Charakter sich nun zeige.

Comtesse Marie wußte das und litt darunter. Unter etwas anderm litt sie mehr. Hier handelte es sich doch nur um Aeußerlichkeiten, um ihre Eitelkeit, schlimmstenfalls – um eine schwere Schlappe – dort stand etwas weit Wertvolleres auf dem Spiele: ihr Herz. Denn in demselben Verhältnisse, als sich ihr Blick dem Feinde gegenüber trübte, schärfte er sich dem Verlobten gegenüber. Es lag in den Verhältnissen, die sie nach einer Stütze suchen ließen. Ihr liebebedürftiges Herz suchte sie, wie natürlich, in dem Geliebten – und fand sie nicht.

In der Stellungsfrage, die ihr alles, ihm nichts zu bedeuten schien, bewährte er sich als der vorsichtige, korrekte Mann, der er war – korrekt bis zur Langweile. Er hatte den Verstand, sie das Gefühl. Aber ihr genügte es keineswegs, als er ihr nachsichtig lächelnd bewies, daß weder Loja noch 204 Natzfeld exkludiert werden könnten. »Loja – sehr einfach! – gehört ja gar nicht zu uns. Wie ihn hinauswerfen? – Und Natzfeld? – In der Idee stehe ich durchaus auf deiner Seite. Wenn der Demokrat und der Aristokrat sich zusammenthun, hat die Aristokratie das Recht, den Treulosen auszuschließen, vorausgesetzt, daß er etwas Unwürdiges begeht. Sag mir: Vetter Hasso hat die Satisfaktion verweigert, falsch gespielt – selbst wenn er seine Wirtschafterin geheiratet hätte – ich wäre der erste, der ihm den Rücken zeigen würde. Doch so – er würde sich mit uns allen der Reihe nach schießen, nicht zu unserm Pläsier. Er ist ein verdammt ruhiger Pistolenschütze. Und eine Mesalliance geht der nie ein! – Seine Aufführung ist seltsam, nicht skandalös. Wenn die Aristokratie jeden hinauswerfen würde, der mit dem Messer ißt oder die Hartungsche Zeitung liest, wo würde dann die Aristokratie selbst sein? Wenn erst die Außenwelt in unsre zerbrochenen Töpfe sieht – sehr schlimm! Und ich frage dich, meine kluge Mieze: wie viel zerbrochene Töpfe giebt es nicht bei uns? Im übrigen weißt du, was der Freund eines so herzlosen Burschen wie Natzfeld bedeutet: ein Spielzeug, das er bald wegwirft. Diese sogenannte Freundschaft gebraucht er als rotes Tuch für uns – den Stier, den er wohl wahnsinnig vor Wut machen kann, dessen Hörnern er aber immer behend entschlüpfen wird. Also kalt Blut!«

Die Comtesse wand sich vor dieser Logik, die ihr Herz verwundete.

»Aber wenn du innerlich auf meiner Seite stehst – und du thust es! –, warum ihm nicht mutig die Zähne zeigen, statt ein Lächeln?«

205 Gampesch lächelte wieder. »Da spricht sich die gute Erziehung aus.«

»Für die danke ich!« fuhr sie auf. »Sie macht mich zum Sklaven.«

»Jedenfalls sichert sie uns das kühle, das klare Urteil,« belehrte er.

»Weißt du, Arthur, daß diese Objektivität etwas Entsetzliches ist? – Sei ehrlich! – Der Mensch gilt euch nichts, die Verhältnisse alles.«

»Innerhalb der für einen Kavalier selbstverständlichen Grenzen ist das immer richtig. Meinen eignen Vetter habe ich nicht geschont.«

»Weil ihn Reichtum und Einfluß gerade nicht drückten. Er hängt von euch ab, ihr nicht von ihm. Und was hat er denn Schlimmes gethan? Er wollte legitimieren, was nicht mehr wegzuleugnen. Aus keinem andern Grunde heiratete er diese Person . . . Aber Hasso, der Reiche, der Unabhängige!«

»Bist du währenddem bei Herrn v. Loja in die Schule gegangen, Miezchen?«

»Bei ihm sicher nicht, Arthur, aber gerade bei deinen Verhältnissen. Die Erfahrung heißt: Sündige nur ruhig, wenn du die Macht hast – und kein Gentleman muckst!«

Gampesch sah sie mitleidig an und schwieg.

»Aber diese Weisheit werde ich nie begreifen! – Soll der Soldat seine Feinde zählen?«

»In der modernen Kriegsführung – ja,« antwortete er ruhig.

»Und wenn er auf einen verlorenen Posten gestellt wird?«

Gedankenvoll wiegte er sein Haupt. »Gute Miene zum bösen Spiel machen und mit Anstand verenden! Die Verantwortung tragen die, welche ihn dahin stellten.«

206 »Ein schlechter Trost!« lachte sie bitter auf. »Habt ihr denn immer ein Kommandowort nötig? – Ich will mir meinen Platz im Leben selbst suchen und auch die Verantwortung dafür selbst tragen.«

»Mit einundzwanzig Jahren hat man gewöhnlich solche Ideen. Sie ehren unser Selbstgefühl und sind höchst unpraktisch.«

»Sollen wir denn ewig die Geschobenen sein?« Erregt rang sie die Hände.

Ihm begann dieser Ideenaustausch langweilig zu werden. Im blinden Gehorchen war er groß geworden. »Wenn der preußische Junker erst solche Philosophie treibt, wird ihm der Blick für die Praxis fehlen. – Die Sache hier liegt doch so einfach! Wenn wir über Natzfeld und Loja den Boykott verhängen, so reisen sie einfach ab, der eine zurück nach Java, der andre nach Oberägypten auf die Nilpferdjagd. Daß deinem Vetter an der Heimat nichts liegt, hat er doch oft genug bewiesen. Der Schaden ist jedenfalls nicht auf ihrer Seite. – Oder sie bleiben beide. Entschlossene Burschen sind sie, die ein halb Dutzend von uns mit Gemütsruhe über die Klinge springen lassen. Zuletzt würde sich wohl auch für sie eine Kugel oder ein Staatsanwalt finden. Und der Schlußeffekt? Alle Verständigen werden sich nach der Stirn fassen und sagen: Nur im ostpreußischen Schilda jeut man mit so ungleichen Einsätzen. Der eine hat nichts zu verlieren, der andre wenig – merkwürdiges Land, welches dagegen seine besten Kräfte setzt!«

Mit allen Zeichen der Ungeduld hatte sie zugehört. Harten Tones fragte sie: »Und diese beiden wagen einzeln, wovor ihr geschlossen zurückbebt! 207 Steht ihre Partie besser? – O ihr klugen Leute, die ihr euch mit euern eignen Argumenten schlagt! – Sie schieben, wir sind die Geschobenen.«

»Geh zu deinem Feinde Loja über,« riet er spitz. »Er hat Hilfstruppen nötig. Eure Anschauungen sind von auffallender Aehnlichkeit, wie ich heute merke.«

Der Comtesse tiefes Augenpaar starrte in weite Fernen. »Weißt du, daß ich das schon manchmal gedacht habe?« hob sie träumerisch an. »Mir ist es, als wenn ich auch eine Abtrünnige werden könnte. Wenn ich seine Ueberzeugungen hätte, vielleicht würde ich kämpfen wie er . . . Soll nicht das Leben ein Kampf sein? – ein Kampf, in dem wir entschlossen unser Bestes setzen – nicht das Leben! Das ist es nicht. Der Glaube ist viel mehr wert. Und wenn man einen Glauben hat, muß man für ihn kämpfen. – Und dennoch hasse ich diesen Loja, hasse ihn wie keinen zweiten! Wie kommt das, Arthur?«

»Da mußt du klügere Leute fragen!« riet er spottend.

»Das heißt: Du dummes, junges Ding! – Das bin ich auch. – Trotzdem fühle ich mich zuweilen alt – so alt! – Klügere Leute? Wenn zwei sich lieben von ganzem Herzen, sollten die nicht ihre besten Seelendeuter sein?«

»Das sind so Stimmungen, die man mit etwas Energie bald überwindet,« entschied er weise. »Du hast Nerven, ich nicht, voilà! Da sind kleine Mißverständnisse unausbleiblich. – Wenn wir erst verheiratet sind . . .«

»Mißverständnisse? – Wir verstehen uns nicht. Das ist schlimmer. Und gerade in einem Kardinalpunkt!«

»Das sind die gelehrten Betrachtungen deiner 208 Frau Domat,« sagte er, der Unterredung überdrüssig. »Ich nehme das Leben, wie es ist, und fahre wohl dabei; du reitest in Carriere gegen Windmühlen an und bekommst Stöße und Schläge in dem lächerlichen Kampfe. – Schluß, Liebchen! Sonst kramen wir am Ende alle unsre Weisheit in der Brautzeit aus und gähnen uns in der Ehe gottesjämmerlich an.«

Die Aussprache endete, wie sie zwischen Liebenden gewöhnlich endet, mit einer innigen Umarmung. Die Comtesse versprach Besserung und schämte sich ihrer Kindereien. Wenn die Nervenaufregung gewichen, kommen wir uns hyperbolisch und lächerlich vor.

Dennoch blieb im Herzen der Frau eine Wunde zurück, die beim leichtesten Sondenstoß zusammenzuckte. Die Plänkeleien wiederholten sich, selten, dann häufiger – aber immer in derselben Art. Sie schlug den Hieb, er gab die Parade. Es entsprach ihrer Eigenart. Wenn der Waffengang vorbei, dünkte er ihnen ein anmutiges Spiel. Unter Brautleuten trifft man das oft. Es gilt als einleitendes Gefecht zum Ehekrieg. Man ficht mit Handschuh und Maske, und die gekreuzten Klingen sind mehr blank als schneidig. Der ernste Krieg bringt dafür meist die Versöhnung, noch ehe er ernst begonnen, weil die Naturen mittelmäßig sind. – Es war ein fortwährendes Anziehen und Abstoßen zwischen den beiden, das sie viel näher zusammen- und viel weiter auseinanderbrachte wie früher – ungefährlich scheinbar, denn noch liebten sie sich. Aber ohne es selbst zu wissen, stellten sie sich schon ernster zum ernsten Kampf. Ihr geschliffener Stahl pfiff jäh hernieder – und er zuckte scharf in die Parade wie zum Hieb. Dennoch erschien es ihm 209 noch wie eine ungefährliche Tändelei – ihr nicht!

Einmal sprach sie sogar ein böses Wort, das ihr heimtückisch Vetter Hasso eingeblasen hatte: »Wenn alle Verlobten sich wirklich kennen würden, käme nicht der zehnte Teil der Ehen zu stande.« Aber noch war der Weg weit bis zu dem bitteren Lojaschen: »Die Uniform macht nicht den Mann!«

Die Tante schaute dem Kampfe mit Vergnügen zu. Die Comtesse schien ihr im Vorteil, wie der angreifende Teil gewöhnlich. Aber zur großen Enttäuschung der Dame zeigte Marie nicht die mindeste Lust, den siegreichen Pantoffel zu schwingen.

»Er betet dich an, Mieze!«

»Aber ich will gar nicht angebetet sein!« Zornig stampfte die Leidenschaftliche mit dem Fuße.

Es war ein bedeutsames Symptom. 210

 


 


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