Johannes Richard zur Megede
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Johannes Richard zur Megede

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Elftes Kapitel.

Die Vorstellung war beendigt und die Gesellschaft im Aufbrechen.

»Und nu?« fragte Doerstedt gedehnt. Mit einem verstohlen-sehnsüchtigen Blicke auf die schöne Frau, welche eben im Ausgang verschwand.

»Wir müssen doch die wunderbare Rettung mit etwas Sekt begießen!« antwortete Natzfeld sehr bestimmt. Der Dandy näselte ein verdrießliches »Meinetwegen«, die jungen Damen aber nahmen den Gedanken mit Begeisterung auf, denn solche Extravaganzen pflegten gemeiniglich einen Tanz und eine poesievolle Heimfahrt im Morgengrauen im Gefolge zu haben. Die Heldin des Abends aber entschied sich nur zögernd. Unter allen Menschen fürchtete sie nur diesen Hasso, dessen kaltem Hohne sich ihre böse Zunge noch nie gewachsen gezeigt hatte.

Als sie über den dunkeln Marktplatz zu Sauer wanderten, blieb Natzfeld plötzlich stehen und sagte ärgerlich: »Da wäre mir wahrhaftig der Freiherr durch die Lappen gegangen! Doch ich fange ihn wohl noch. Er verkehrt in der Weinstube da drüben. Einen Augenblick!«

»Den Doktor? Zu uns? Aber Herr v. Natzfeld!« riefen mißbilligende Stimmen. »Sind Sie denn ganz des Teufels?« schnarrte ärgerlich der junge Doerstedt.

234 Prinz Lack sah sehr ruhig in die unwilligen Gesichter. »Ich denke, meine Herrschaften, wenn das für mich ein so besonderer Vorzug ist, dann wird es wohl für Sie alle eine ganz besondere Ehre sein!«

»Ja, eine ganz besondere!« bestätigte mit trockener Ironie Herr v. Gorah.

Comtesse Marie rief laut: »Lassen wir ihn doch! – dein Doktor kommt ja auf keinen Fall!«

»Seid Ihr dessen ganz sicher, Reichsgräfin?« und sich zu ihr beugend sagte er halblaut: »Er kommt! Ich wette. – Und wenn du das Geheimnis wissen willst, womit ich ihn zwinge? – Ich sage ihm einfach: Die Orschauer Ecke traut Ihnen den Mut zu kommen nicht zu und verkündet's laut! Dann sprüht ihm ordentlich das grüne Feuer aus den Augen, und in fünf Minuten ist er zur Stelle. Denn er ist für gewöhnlich ein ruhiger, etwas nachtragender Mensch, aber wenn jemand seinen Mut bezweifelt, wird er rein toll. Ein bißchen verrückt ist eben jeder!«

*

Loja war wirklich gekommen. Der Orschauer Landadel, dem die unteren Räume der Sauerschen Konditorei noch zu stark nach dem Parfüm des Pferdemarktes, dem ekeln Grogdunst, dem kalten Zigarrenrauch dufteten, hatte den kleinen Tanzsaal oben mit Beschlag belegt. Ein Nackthalshuhn saß am verstimmten Klavier, schlug schüchtern einige Töne an, aus denen sich langsam die holperige Melodie entwickelte. Als Doerstedt mit der kleinen Gorah zum Tanze angesetzt hatte, erwies sich das Gedächtnis der Pianistin als unzuverlässig, und in einer Art Verzweiflung sprang es zum »Heidegrab« 235 über, was aber weniger nach dem Geschmack des Publikums war. Darum übernahm Natzfeld selbstlos, wie selten, die musikalische Führung, ratterte einen harten Galopp 'runter und versuchte zuletzt den Bierwalzer einzuschmuggeln, der jedoch auf lauten Widerspruch und unwillige Tanzfüße stieß. So wäre bei der kläglichen Musik das Schicksal des Abends wahrscheinlich früher Aufbruch und schlechte Laune gewesen, wenn nicht zu rechter Zeit Frau Sondeck sich einiger sentimentaler Lieder aus ihrer Jugend und eines alten Walzers erinnert hätte. Das entfachte den Ehrgeiz noch andrer älterer Damen, und ein edler musikalischer Wettstreit entstand, an dem sich zuletzt auch die Comtesse beteiligte, und aus dem sie als Siegerin hervorging. Sie war allmählich in Stimmung gekommen und spielte gut. Auch bei dieser armseligen Veranlassung brach ihre leidenschaftliche Natur durch. Rasch fuhren die schlanken Finger über die Tasten, die Augen glänzten tief und heiß, und bis in die hämmernden Schläfen schlug ihr das Herz. Sie hatte ihre Umgebung völlig vergessen. Da hob sie zufällig den Kopf und schaute in den Spiegel über dem Instrument, und ihre Augen trafen ein Paar andrer Augen, die ihr fremd und unheimlich deuchten. Denn mit verzehrendem Feuer – Haß oder Liebe – umfingen diese sonst so verschleierten grauen Augen ihre ganze Gestalt, so daß sie grünlich und flackernd funkelten wie die eines Raubtieres. Mit einem schrillen Mißaccord brach die Comtesse ab und erhob sich. Der Mann hinter ihr war der Freiherr, sie glaubte ihn wohl zu verstehen, den Ausdruck seiner Augen . . . Haß.

Die Tänzer schlurften verwundert noch einen Walzerpas und sahen fragend auf die Comtesse. 236 Was hatte die nur wieder? Niemand ahnte es, und sie sagte kein Wort. Die Unterbrechung tragisch zu nehmen, war die Jugend bereits viel zu sehr im Feuer, die alten Herren viel zu tief in ihrem Whist. Vetter Hasso verließ flink und ohne Bedauern die schöne Anna, trieb den dicken Wirt fort, der sich am Eingange mit einer Riesenbowle und verschiedenen Flaschenbatterien etabliert hatte: »Raus! raus! Sie – und Bowle machen! Da müßten wir Ihren Appelchampagner für Pommery trinken, das paßt Ihnen wohl.« Darauf griff der mißtrauische Hasso geschwind in die Reihen der Goldköpfe und prüfte die Etiketten. »Kupferberg?! Pfui, schämen Sie sich! Wir sind deutsche Männer, aber eben deshalb wollen wir französischen Sekt trinken. Es ist heute ein großer Tag! Auf eine Million angebundener Bären kommt doch höchstens ein losgerissener. Nicht wahr?« Sauer glotzte Prinz Lack verständnislos an. Die Jugend aber bildete einen Halbkreis um den geschäftigen Hasso, der jetzt energisch mit einem schweißtriefenden Piccolo unter den Flaschen herumhantierte, mit Kennermiene den alten roten Burgunder auf Pfropfengeschmack prüfte, argwöhnisch die gebrannten Stempel der Sektstöpsel revidierte und endlich eine Flasche dreigestirnten Hennessys wegen Fuselgeschmacks ausrangierte. Neugierig schauten die Damen zu, die Herren mit Verständnis und Bewunderung. Die schöne Anna aber fühlte ihr Herz höher schlagen. Es war ein reines und gutes Gefühl und der wahren Liebe nicht unähnlich, wenn sie an die Zukunft und die Gesellschaften dachte, denen sie an der Seite eines solchen Kenners im Sasser Herrenhause präsidieren würde.

Es war eine gute Bowle und darum anfangs 237 ein guter, versöhnlicher Geist, der der Blume der edeln Weine entstieg. Die Alten vergaßen die kleinen Reibereien beim Whist und zogen sich an die Tafel. Vetter Hasso dachte eine volle Stunde milde von seinen Nächsten, und Doerstedt kam die kleine Gorah plötzlich weniger schief vor. Auch des Doktors Verhalten fand Duldung, sogar Anerkennung. Er saß, wo er hingehörte, neben dem ältesten Nackthalshuhn, und sagte der verblühten Jungfrau belanglose Liebenswürdigkeiten. Und als die jüngste Schwester auf der andern Seite blanke Augen und unruhige Füße bekam und von einem reizenden Referendar erzählte, der lange unter ihrem Vater gearbeitet, ihr viel hübsche Dinge gesagt und dann auf sein Ansuchen schleunigst zu einer andern Regierung versetzt wurde, ermahnte er sie freundlich, dem tückischen Getränke nicht allzu harmlos zu vertrauen. Es waren viele Gesundheiten getrunken, und der Grund der Bowle schimmerte deutlich durch das purpurne Naß, da hob Herr v. Gorah, der nach der zweiten Flasche über eine liebenswürdige Ironie verfügte, noch einmal den Kelch: »Er würde uns zwar den leichtsinnigen Abend schwer verdenken, Ihr Herr Vater, Comtesse, bei der schweren Notlage unsers Standes, aber ich möchte uns im voraus Pardon verschaffen, indem ich auf etwas trinke, das uns alle angeht, und dessen Wohlergehen nur im edelsten Stoffe ausgebracht werden darf: die deutsche Landwirtschaft, die uns alle nährt und nähren wird, sie lebe hoch!«

Die Herren flogen von den Sitzen, zögernd folgte Hasso Natzfeld.

Herr v. Gorah lächelte fein: »Es giebt gar viele Unzufriedene heutzutage, auch unter uns. Man spricht von einer wilden Opposition und verzweifelten Mitteln, 238 und heimlich, aber oft wird ein sehr vornehmer Name genannt.«

Eine schwüle Pause entstand. Der Dandy putzte gedankenvoll sein Monocle, und der alte Kauffmann lächelte pfiffig, in Hassos Gesicht aber wechselte der Ausdruck. Lächelnde Ironie hatte in seinen Augen geglänzt, jetzt blickten sie hart, kalt, feindselig. »Und warum sagen Sie den Namen nicht, der allen so wohl bekannt? Der Träger sitzt doch hier! Hasso v. Natzfeld-Sassen!«

»Also doch!« riefen Stimmen.

»Also doch!« wiederholte Natzfeld zwischen den Zähnen.

»Nur nicht hitzig,« begütigte Herr v. Gorah, »ein Scherz, lieber Freund!«

»Keine Angst! Kalt wie 'ne Hundenase – ich weiß, was ich will, weiß, warum ich als der erste von Ihnen in eine Bewegung hineingesprungen bin, in die Sie mir alle folgen werden, wenn es zu spät ist!«

»So weit sind wir noch lange nicht,« murmelte phlegmatisch der Dandy.

»Dank für die Belehrung! Sie haben Zeit, ich habe sie nicht. Wollen wir in dem Kampfe, der kommt, der da ist, die Führung Leuten wie diesem Gerguhn überlassen, Leuten, die für ein Trinkgeld in der Form eines Ordens oder einer Standeserhöhung immer zu haben sind – ich habe den Zimt nicht nötig.«

»Ich ebensowenig,« replizierte Doerstedt und schielte unauffällig nach seinem Knopfloch, in dem er so gern das Band zum Roten Adler erblickt hätte.

»Dann sind Sie ja mein Mann,« sagte Natzfeld kalt, »und dann werden Sie mir zugeben müssen, daß, wenn wir nicht an die Spitze treten, wir eben unter die Füße getreten werden.«

239 »Vorläufig hat uns der Teufel ja noch nicht beim Kragen, und wenn er uns hat, giebt's noch verschiedene Hilfen: die Staatsregierung, der Reichstag . . .« Herr v. Gorah war gereizt, da ihm der Ton der jüngeren Standesgenossen nicht paßte.

»Ein guter Glaube, aber nicht mein Glaube. Denn ich sage Ihnen, wenn wir erst Au! schreien, sobald uns das geehrte Messer unsrer Gegner an der Gurgel sitzt, dann sind die Herren da oben beim besten Willen nicht mehr im stande, uns zu retten. Gewalt! Hochdruck mit allen Mitteln, daß der grüne Tisch sich nicht untersteht, uns zu kommen mit seiner ›Wohlwollenden Erwägung‹, seinem ›Prinzipiell nicht abgeneigt‹. Denn wir stehen anders da wie vor zwanzig Jahren. Unsre Feinde unten sind entschlossen und stark, und unsre Freunde oben sind schlapp und lassen uns feige im Stich. Machen wir uns kein X fürs U! Das Prestige haben wir nicht mehr, weil alles faul ist, weil die patriotische Phrase schal geworden ist, und weil wir mit der anständigen Borniertheit nicht mehr durchkommen – Warten? danke! – Handeln! Farbe zeigen, Farbe! – und wenn's die rote sein müßte – eh bien!«

»Natzfeld, um Gottes willen! Sie reden sich um Ihren Kopf!« Mit Bestürzung blickten sie auf den Mann, der mit blassen Wangen und blitzenden Augen vor ihnen saß. Der Comtesse ward es angst. War das Hasso oder der böse Geist des Weines? Wo war die schöne Feudalität, die goldene Reaktion, wenn ein Natzfeld den Aufruhr predigte?

Der Vetter sah schweigend vor sich hin; plötzlich hob er den Blick und heftete ihn scharf auf Loja, der mit keinem Wort, mit keiner Bewegung seine Meinung verraten hatte. Nur sein Gesicht war leicht 240 gerötet: »Ihr seid stumm, Mann der exakten Wissenschaften? Wir haben die Frage doch oft genug abgehandelt, sprecht, wer oder was kann uns helfen?«

Die Gesellschaft schielte feindselig auf den Freiherrn. Um der Comtesse leidenschaftlichen Mund flog ein häßlicher, schadenfroher Zug.

Loja sah Natzfeld fest an. »Die Persönlichkeit, sonst nichts!«

War es der rechte Schlüssel, war es das erlösende Wort? Männer und Frauen ringsumher schauten sich enttäuscht an, doch Comtesse Marie stieg heiße Glut bis zur Stirn. Das war ja ihr Gedanke, ihre Antwort, und wieder hatte er ihr weggenommen, was ihr gehörte. Las zur entscheidenden Stunde der Mann da ihre innersten Gedanken und stahl sie ihr einfach, oder war es nur ein gleiches Gefühl, das zu gleicher Zeit durch ihre Adern zuckte? Sie erriet es nicht, sie wußte nur, daß sie ihn haßte und es wie eine unreine Berührung empfand, wenn derselbe Gedanke, dasselbe Gefühl von demselben leidenschaftlichen Blut an die Oberfläche getrieben wurde. Wieder dachte sie an Arthur und sehnte sich nach ihm, daß er neben ihr sitze und sie schütze, – der geliebte Mann das geliebte Weib!

Hasso v. Natzfeld that einen tiefen Zug. Dann lachte er hart und kurz auf: »Persönlichkeit? Woher die nehmen und nicht stehlen in dieser bettelarmen Zeit?« Auf einmal wurde er ruhig, aber seine Gesichtsmuskeln zuckten wie unter einer unerhörten Kraftanstrengung. »Sie wissen, Freiherr, daß ich auf Ihre Ansichten mehr gebe als auf die jedes andern!« Dem Dandy fiel vor Staunen das Monocle aus den Tisch, und er riß die Augen auf, als wenn er sagen wollte: Nanu? Loja verbeugte sich leicht 241 und vornehm. »Aber als Arzt werden Sie mir dies zugeben: Habe ich einen Schwerverwundeten und kein Verbandzeug und doch den festen Willen, ihn zu retten, so nehme ich meinen Esmarch-Hosenträger und verbinde ihn so gut und so schlecht, als es die beste Absicht vermag. Dann laufe ich zum Doktor. – In der Lage dieses Schwerverwundeten ist unser Stand. Darum werde ich den Teufel thun und ihn sich gemütlich verbluten lassen, weil ich auf den Medizinmann warte und ohne ihn nichts wage. Denn wenn endlich das große Tier käme, Ihre Persönlichkeit, so könnte sie bei aller Genialität nichts konstatieren als den Tod.«

»Und wissen Sie auch, wo der Arzt wohnt, zu dem Sie laufen wollen?« fragte Loja leise.

Vetter Hasso blies stoßweise den Zigarrendampf durch die Nase: »Ehrlich gesagt – nein. Doch weiß ich, daß unser Schwerverwundeter mit seinem Notverband sich lange halten kann.«

»Aus deutsch: Ihr Kranker stirbt langsam, aber er stirbt.«

Die Antwort kam gedehnt und widerwillig: »Ich fürchte, ja, ich habe nicht die leiseste Hoffnung für ihn. Aber da sein Herzblut mein Herzblut ist und jeder sickernde Tropfen auch mir die Kraft schwächt, so präpariere ich ihm den idealsten Notverband und lege ihn sänftiglich ins grüne Gras und sage: ›Sieh mal, wie warm die Sonne scheint, wie die Stare pfeifen und die Bienen summen. Fühlst du Schmerzen? Bah! du siehst ja aus wie 's liebe Leben, Freund!‹ Er ist ein siecher Mann und darum ein hoffender Mann. Er wird mir den Unsinn glauben. Mit dieser Hoffnung und diesem Notverband kann er sehr lang aushalten. Ich glaube nicht an Wunder, warum, 242 weiß ich selbst nicht – aber wenn nun doch eines passierte? Uebers Feld kommt ganz unerwartet ein gelehrter Herr mit einer Brille und einem Verbandkasten: ›Für einen Laien haben Sie den Patienten sehr passabel behandelt, der Mann ist zu retten.‹ Und dann steckt der Wunderdoktor einen Wattepfropfen herein, zwickt dort eine Vene zu, zieht Knochensplitter heraus und so weiter. – ›Und nun nach Hause mit ihm! Die Diener, die ihn hier so lange haben liegen lassen, verdienen die Peitsche. Uebrigens da sind sie schon.‹ Meinen Sie, lieber Loja, daß ich die Hunde nicht peitschen würde? . . . Eine nette Geschichte, meine Damen!«

Die schöne Anna lachte laut, die kleine Gorah meckerte mit, weil der Dandy das Gesicht zu einer sauersüßen Grimasse verzog, ihr Vater aber drohte mit dem Finger.

»O, wir kommen alle noch, Sie auch!« rief Natzfeld. »Und welche Leute haben wir nun, der todwunden deutschen Landwirtschaft den Notverband herzurichten? Da ist ad 1 unser Doerstedt, ein guter Kerl und braver Leutnant; ad 2 Herr v. Gorah, ein Edelmann; ad 3 dein Vater, Cousinchen, der Bauer par excellence, wie er sich mit Stolz selbst nennt. Mit Gellmann beginne ich vorsichtshalber eine neue Rubrik: der Landwirt in der Vogelfreiheit und . . . und . . . ich vergaß Sie ganz, Herr Sondeck, ein Musterwirt und Fettviehzüchter hors concours. Ich, ein biederer Rehtöter, sonst Taugenichts. Alle diese umstehen die sieche deutsche Wirtschaft. Einer allein kann den Verband nicht machen, es müssen eben alle zusammen sein.

»Da kraut der Graf sich den Kopf und sagt: ›Ich bin ein ehrlicher Mann, aber mein gräfliches Wappen 243 verbietet mir, die Hilfe irgend jemandes anzunehmen. Allein kann ich's nicht. item stirbt der Verwundete und ich mit.‹ – Ein anständiger Tod! – Unser Doerstedt hat zur Vorsicht die Uniform angezogen. Nun könnte aber bei der Hilfeleistung sein weißes Koller fleckig werden, vielleicht kleine Risse bekommen –Herr des Himmels, welch furchtbare Möglichkeit! Außerdem könnte er sein Monocle abnehmen müssen, völlig undenkbar! – Dem allverehrten Herrn v. Gorah wäre das Helfen schon recht, denn er versteht was von der Landwirtschaft und den Finanzen. Aber, die Regierung müßte zustimmen, der Kreistag, der Landrat, und wenn es anginge, auch noch alle königstreuen Schulzen. – Da mag es der Teufel Herrn Sondeck verdenken, daß er stolz auf seine Masterfolge hinweist und trotzig und einsam dasteht wie ein Fels im Meer. Nun bleiben die zwei Angstkinder des Kreises: der Sasser, viel mehr Pferdeliebhaber als Landwirt, viel mehr Jäger als Edelmann, viel mehr Landsturm als Linie . . . übrigens ein sehr mit Vorsicht zu genießender Mensch, Spieler, Wüstling, ob nebenbei auch noch Wucherer, sehr wahrscheinlich, und, unter uns gesagt, nie ganz ernst zu nehmen. Da nützt dem braven Gellmann natürlich all sein Samaritertum nichts. – Gellmann? Wer wagt es eigentlich, diesen Namen hier zu nennen . . . diesen, diesen . . .! Begreiflicherweise fehlen mir die Worte, meine Herren, doch höre ich schon den verbohrten Radikalen sagen: ›Er ist doch Landwirt!‹ Darauf kann ich als anständiger Mensch nur erwidern: sein Pech, denn wir befinden uns in keiner Gesellschaft von Landwirten, sondern in einer Gesellschaft von Grafen, Kürassieroffizieren, Landräten, Reichsfreunden, Amtsräten, Pferdehändlern und . . . 244 ja, wo ist der dicke Domat eigentlich? – und den Männern sehr energischer Frauen.«

Spärlicher Beifall belohnte den Sprecher. Herr v. Gorah aber sagte spitz und kühl: »Als geistreiche Spielerei nicht übel, doch das schmeckt verdammt nach Sozialismus.«

»In der That, schmeckt es?« fragte Natzfeld giftig. »Ich habe viel vom Volksbeglücker an mir! Im übrigen seien Sie ruhig, meine Herren, ich bin Junker und Erzreaktionär wie Sie. Mehr vielleicht noch! Denn mir fehlt jede Spur von Gutmütigkeit gegen den gemeinen Mann. Ich würde in aller Gemütsruhe meine Leibeignen fuchteln sehen und meine Feinde so kaltblütig niedersäbeln wie ein asiatischer Chan, wenn ich die Macht dazu hätte! Und es ist sehr menschenfreundlich vom Schicksal, daß es mir diese Macht nicht gab! Dafür gab es mir etwas andres, die lange feine Witterung für uns vor jeder Gefahr. Sie haben den lustigen Spaß nicht verstehen wollen, vielleicht verstehen Sie besser den bitteren Ernst: wir stehen vor dem Ruin! Wir sind erbarmungslos verloren, wenn wir uns nicht in Kürze darauf besinnen, daß wir nicht konservativ, nicht liberal, nicht reichsfreundlich, nicht reichsfeindlich, nicht große Herren, nicht kleine Bauern sind, sondern daß wir – Landwirte sind. Denn wie wir jetzt sind, zersplittert, uneinig, im besten Falle gleichgültig, frißt alles an uns. Was dem Großgrundbesitz verloren geht, gewinnt das Großkapital, was der Kleinbesitz einbüßt, gewinnt die Sozialdemokratie, und beide sind unsre geborenen Feinde. Auf unser gutes Recht, auf unsre anständige Gesinnung pfeifen sie oben und unten – pfeifen wir auf beide und brauchen die Gewalt! Doch dazu müssen wir unbedingt einig sein, 245 geschlossen, eine kompakte Masse, deren Wucht so leicht nichts widersteht. Es ist eine gemeine Interessenpolitik, ich leugne es nicht, es ist eine Politik der letzten Konsequenzen, und da geht's nie ganz reinlich zu, aber es ist auch die letzte Möglichkeit, die alte Gesellschaftsordnung zu erhalten, die mit der Landwirtschaft steht und fällt!«

Wohl blitzte es bei Hassos letzten Worten heiß in manchem Auge auf, und die zu schweigendem Ernst verzogenen Gesichter waren eine beredte Antwort. Doch die einen waren im Banne veralteter Anschauungen befangen, und den andern lähmte das feige Herz die mutige Zunge. Auch die Comtesse war nicht zufrieden. Wieder hatte der Vetter gezeigt, daß er klüger und schärfer im Ernst wie im Spiel die Gesellschaft und die Verhältnisse meisterte – ein kalter Egoist. Er schlug eine glänzend harte Klinge, und der Gegner, der in der Parade zuckte, war ein verlorener Mann. Er war der Feldherr, die Massen zu organisieren, zum Siege zu führen im klüglich vorbereiteten günstigen Moment, doch sie fortzureißen in verzweifelter Schlacht, das Banner zu halten in Todesnot, selbstlos und treu – der Held war er nicht. Und doch deuchte ihr, daß die Stunde und die Sache eines solchen Helden bedürfen würden.

Hassos Blick glitt mit kaltem Haß über die Gesellschaft, über diese Dutzendgesichter, feige oder hochmütig. Als er dem Lojas begegnete, kräuselten sich seine Lippen zu liebenswürdigem Spotte: »Seid Ihr wenigstens mit mir zufrieden, Freiherr?«

Loja schüttelte den Kopf.

»Und warum nicht, wenn's beliebt? Heraus mit Euerm Flederwisch! Nur zugestoßen – ich pariere!«

246 »Ihre Logik ist klar, aber kalt – der Glaube fehlt. Es giebt keine Kreuzzüge ohne Fanatiker und kein wirksames Martyrium ohne Scheiterhaufen oder Kreuz. Die Massen haben sich wenig geändert. Heute wie damals gilt eine große politische Agitation nur, wenn sie von der Glut einer großen Idee durchhaucht ist. Schaffen Sie sich den Glauben, oder heucheln Sie ihn wenigstens! Der Kopf soll kalt, aber das Herz muß warm sein. Ich bin lange auf See gefahren, und an dem Kap Horn glaubt das Schiffsvolk noch felsenfest an den Fliegenden Holländer. An den muß ich jetzt auch denken. Wie der müssen Sie in den Sturm steuern mit vollen Segeln. Es ist eine verzweifelte Fahrt und der Tod wahrscheinlicher als das Leben. Aber Sie müssen durch, schnell durch! Ihr Schiff ist leck, und die halbe Mannschaft liegt in verzweifelter Arbeit an den Pumpstöcken. Die Spieren werden brechen, die Masten stöhnen, und der Orkan wird Ihnen brüllend Segel auf Segel entreißen, doch wenn Sie bis in die ruhige See das Steuer und einen Fetzen Leinwand zu führen vermögen, so sind Sie gerettet. Wer wagt solche Fahrt ohne den festen Glauben an sein Glück?«

Finster sah Natzfeld vor sich hin, dann reichte er Loja die Hand: »Sie haben recht, der Kapitän bin ich nicht . . . aber heucheln will ich, heucheln, Sie sollen Ihre Freude daran haben.« Und als er den verächtlichen Zug um der Comtesse Mund bemerkte, sagte er sarkastisch: »'s war gar nicht für dich berechnet, Priorin . . . Du hast so einen merkwürdigen Ausdruck in deinen Augen, wie Angst. Bist du in deinen Gedanken in dem wütenden Sturm mit um das Kap herum gesegelt?«

Die Comtesse schwieg. Sie haßte den fremden 247 Mann bitter, tief und unerbittlich. Das feine Beben des Mitleids, das zuzeiten ihr Herz durchzitterte, war längst vorüber. Doch in dieser Stunde quoll ihr ein neues Gefühl empor, fremd, seltsam, die Furcht, die Furcht nicht vor seiner That, nein, vor ihm selbst. Und ihre stolze Seele bäumte sich gegen die Empfindung, die nicht übermächtig auf sie eindrang, sondern sie heimtückisch quälte mit dunkelm Angstgefühl.

*

Es ist das düstere Geheimnis eines schweren »Stoffes«, daß er die Geister zu beschwören, aber nicht zu bannen weiß. Erst gingen eine ganze Weile die Wogen der politischen Erregung hoch. Aber Hasso saß jetzt kalt und schadenfroh zwischen den Hadernden. Er verstand die große Kunst, sich weder an Getränken noch an Worten jemals zu berauschen. Und je animierter die Gesellschaft wurde, desto mehr war er zu neuen Schändlichkeiten aufgelegt. Seiner war er ja immer sicher, als reicher Junggeselle und als gefürchteter Pistolenschütze. Wohl waren die durchsichtigen Backen des Herrn v. Gorah gerötet, und die blaßblauen Aeuglein des Dandys irrlichterten klein und bösartig, aber eine kleine Aufmunterung vertrugen sie alle noch, namentlich der Dandy.

»Prosit, Panzerreiter! Die schöne Frau soll leben!«

»Prosit, Sozialist! Die Güterteilung hoch!«

Die Replik war wider Erwarten scharf und schlagfertig, ein Lufthieb, aber gut gemeint. Herr v. Gorah lachte beifällig, und der Comtesse Lippen kräuselten sich spöttisch. Hasso lächelte freundlich.

»Eine solche Maßregel träfe Sie nicht besonders schwer, treuer Freund. Sie würden Ihre Klitsche 248 los und damit eine Quelle vieler Sorgen. Höchstens Ihren Viererzug . . . Nach Mitternacht bin ich ein ehrlicher Mann. Bei dem gilt's wirklich: Geben ist seliger denn Nehmen.«

Doerstedt fuhr empor: »Na, da hört doch, weiß Gott, alles auf! So sprechen Sie von meinen Rappen? Sie, der berühmte Remontenzüchter? Nee, Prinz, der Neid macht Sie total blind. Die edelsten Trakehner! Wissen Sie, daß es in der ganzen Gegend kein Kutschpferd giebt, das ich mit ihnen vergleichen könnte, Ihre nicht ausgenommen?«

»Wie bescheiden!« höhnte Hasso. »Und die Lorscher Füchse? Hm?«

»Doch gegen meine minderwertiges Material! Verzeihung, Comtesse, aber Recht muß Recht bleiben. Die sind ja ganz gut gebaut, flotte Gänger, meinetwegen mag auch Blut darin sein; doch diese alten Herren ohne Training, so gemästet, daß sie beim besten Willen nichts leisten können, über meine hochedeln Stuten stellen zu wollen, das geht über den Spaß!«

»In der That? Aber hören wir die Gräfin selbst – nun, Cousinchen, haben mich meine alten Augen wirklich so getäuscht?«

Die Comtesse zuckte unwillig die Achseln: »Sie haben dich ganz gewiß nicht getäuscht, Hasso! Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß die Doerstedter Pferde mit unsern Orloffs rivalisieren könnten, wahrhaftig nicht!«

Mit Tücke hatte Natzfeld diesen Erisapfel geworfen. Pferde und Pferdekenntnis waren des Dandys Domäne, und in der Remontenzucht dünkte er sich dem älteren Hasso gegenüber als der heimliche, aber heiße Favorit. Die Comtesse wieder 249 war maßlos hochmütig und vergab den Doerstedts ihren Viererzug nie. Ja, dieser Viererzug! Die Rivalität war schon älteren Datums. Ursprünglich von den Kutschern ausgegangen, hatte sie sich auf die Herrschaften übertragen. Freilich, der alte Graf war ein viel zu verständiger Mann, um Ernst aus dem kindischen Spiele zu machen. Bei der Strafe sofortiger Entlassung hatte er dem Kutscher jede Wettfahrt verboten. Doch die Gefühle des Rosselenkers waren dadurch nur teilweise beruhigt. Seine Abneigung war alt und nicht zu ersticken. Dem gräflichen Kutscher schien's die schwerste Geduldsprobe, wenn der Doerstedter knallend an ihm vorüberjagte. Dann faßte er die Zügel der unruhig trabenden Pferde kürzer und that einen grimmigen Fluch. Die Hoffnung ließ ihn nicht, daß sie sich doch noch einmal messen würden.

Die Gesellschaft teilte sich in zwei Lager. Die Jugend hielt zum aufstrebenden Doerstedt, das Alter plaidierte stumm für den Grafen. Nur daß Hasso so sicher für die edle Zucht der Orloffs eintrat, machte die Gegenpropheten etwas unsicher. Der Dandy war in seinen heiligsten Gefühlen gekränkt, Hasso v. Natzfeld kümmerte das wenig.

»Seien Sie kein Frosch, Doerstedt! Wer in allen Damenkreisen als Hippolog so geschätzt ist wie Sie, der sollte sich an diesem hohen Ruhme genügen lassen und nicht ein durch Sachkenntnis getrübtes Urteil andrer herausfordern. Denn die Comtesse versteht wirklich was von Pferden. Und ich? Nun, vielleicht erinnert sich der eine oder andre unter den Herrschaften, wie mein Onkel Wilnein noch die Hetzen mitritt. Das rechte Hinterpferd ging damals unter dem Jagdsattel. Es ist lange her. Sie, lieber 250 Doerstedt, bändigten zur Zeit noch Ihr Schaukelpferd und gar nicht übel! Ich war bereits des Ritterguts für würdig erachtet worden und erinnere mich sehr genau, daß der Fuchs immer im Trabe hart an der Meute ging, während unsre litauischen Katzen schon in langem Galopp lagen. Auf dem Leinenpferd bin ich selbst Meilenstein auf Meilenstein in fünfzehn Minuten abgetrabt. Eine ganz nette Leistung, die ich aus Tierfreundlichkeit Ihren Trakehnern nie zumuten würde. Sehen Sie sich die Traberschulter von dem Fuchswallach heute noch an!«

»Das soll so was heißen! Traber? Keine Spur! Aus dem edeln Krimgestüt haben sie keinen Tropfen Blut: nicht eine Idee von Stammbaum . . . Vater unbekannt, Mutter dito!«

Die Comtesse wurde dunkelrot. »Gerade deshalb hält mein Vater sie so hoch. Sie wecken keine Prätensionen und leisten dabei Erstaunliches!«

Der Dandy bog seinen langen Oberkörper bis auf die Tischplatte: »Da die Meinungen so stahlhart gegenüberstehen und ich weit davon entfernt bin, der gnädigen Comtesse in Worten nahetreten zu wollen, bliebe eben nur die Wettfahrt.«

»Nichts lieber als das! . . . Heute, sofort!« – ihre Augen funkelten kriegerisch – »ich würde ganz Dennhöfen gegen ein Vorwerk von Ihnen halten!«

»Sapristi, das ist schneidig!« rief der Vetter. »Wann hat je ein Weib eine so männlich kühne Proposition gemacht, Cousinchen? Wenn ein Unwürdiger dir raten darf, geh auf der Hochzeitsreise nicht nach Monte Carlo. In drei Tagen hast du Kopf und Kragen verloren!«

Die Comtesse lächelte mitleidig: »Die Sache hier 251 ist weniger gefährlich. Mein Bräutigam ist nicht da, Hasso kutschiert niemals selbst, und unserm alten Kutscher die Orloffs und ihre Traberehre nach Mitternacht anzuvertrauen – unmöglich! Ich selbst kann's nicht.« Mit ihren weißen, schmalen Händen machte sie unwillkürlich die Bewegung der Zügelführung. »Die Füchse sind mir vielzu hart, der Kutscher kann sie ja kaum halten, wenn sie ordentlich austraben. Es ist wirklich schade!« schloß sie mit einem aufrichtigen Bedauern.

»Also kein Ritter?« in Ton und Blick lag eine ungemessene Arroganz. Die Comtesse ärgerte sich; Natzfeld lächelte suffisant. Von dem unteren Ende der Tafel aber tönte die Stimme des alten Kauffmann.

»Und was sagt Java dazu?«

»Ja, was sagt Java dazu?« tönte es im Chor. Spöttisch klang's und nicht gutmütig. Schadenfrohe Neugier ruhte auf Loja. Es war kein edles Gefühl, was im Augenblick der Comtesse Herz durcnzuckte; sie gönnte ihm von Herzen den Spott. Und wenn es einen Balsam für ihre Niederlage gab, hier war er.

»Wenn die Reichsgräfin befiehlt,« war Lojas kalte Erwiderung.

Mit gut gespieltem Erstaunen sah die Comtesse ihn an: »Sie, Herr v. Loja? Aber es ist Ernst!«

Natzfeld sah auf: »Das ist ja eine famose Idee, Cousine! – Ja, ja! Loja, nun müssen Sie schon 'ran!« – Herr v. Gorah lachte. – »Ach, Sie dachten, meine Herrschaften, er kann's nicht,« fuhr Prinz Lack fort. »Dieser fränkische Edelmann kann, was er will. Ruhig, Freiherr, wo Ihre Ehre engagiert ist, ist es die meine auch; ich wüßte thatsächlich keinen besseren Fahrer. Er ist hinter dem Viererzug groß geworden . . . Herrschaftchen, ich kenne den scharf gekrümmten Haken besser.«

252 »Sie interessieren sich für Pferde?« fragte Doerstedt mit halber Verbeugung. Die ironische Höflichkeit war durchsichtig.

Ruhig und korrekt erwiderte Loja: »So viel und so wenig wie jeder, der auf dem Lande groß geworden ist.«

Doerstedt sah sich lächelnd im Kreise um, als wenn er sagen wollte: »Mit so was kann ich doch nicht in Konkurrenz treten.«

Mit ungewöhnlicher Wärme griff wieder Natzfeld in die Debatte:

»Und Sie wollen kein Talent zum Schauspieler haben, Loja? – Hören Sie! Vor noch nicht acht Tagen kam zu diesem fränkischen Freiherrn ein gewisser Hasso v. Natzfeld, Erbherr auf Sassen, Rechtsritter des Johanniterordens, zurzeit Amtsvorsteher und Schöffe bei dem löblichen Amtsgericht hierselbst, und sprach verantwortlich wie folgt: ›Was eine weise Vorsehung bezweckte, als Sie Euer Hochwohlgeboren zum Arzte machte, weiß ich nicht.‹ – Antwort: ›Ich auch nicht‹ – ›Sie sind fürs Land und für den Sattel geboren.‹ – Antwort: ›Wohl möglich.‹ – ›So bleiben Sie hier.‹ – Antwort: ›Sehr verbunden, aber nicht angängig.‹ – ›Wir sind doch Freunde, lieber Freiherr, darum erschrecken Sie über meine Proposition jetzt nicht. Ich ernenne Sie hiermit zum Landstallmeister meines Gestütes mit einem Ministergehalte und der unwiderruflichen Berechtigung, mich für jede Dummheit, die ich mache, so lange am Ohre zu reißen, bis ich Au! schreie.‹ Darauf wandte dieser Freiherr meinen Vollbluthengst Cisber, auf dem er zufällig gerade saß – Sie kennen die liebenswürdige Bestie: Sattelzwang, unausstehliches Weichmaul, Bodenscheu, kurz ein wahres Juwel für 253 lebensmüde Sonntagsreiter –, ritt ihn korrekt in allen Gangarten durch die Bahn und sagte lächelnd: ›Na, wie gefällt Ihnen der neue Bereiter?‹ – ›Die Sache ist abgemacht!‹ – ›Abgemacht!‹ – Ihm war's Scherz, mir bitterer Ernst. Sie kennen mich alle nicht, meine Herrschaften, aber eins wissen Sie gewiß: wenn ich den Stolz meines Stalles, das subtilste der Pferde diesem Medizinmanne anvertraue, so muß er seine Sache verflucht gut verstehen – und hier sitze ich nach dem zehnten Glase, noch so spohnnüchtern wie früher, und sage: er hat die härteste Reiterfaust und die weichste Zügelführung, die ich kenne.«

Ein gedehntes, ironisches »Ah!« war die Antwort.

»Wie wird Ihnen, Doerstedt?« fragte halblaut Herr v. Gorah.

»Nicht sehr schlimm,« antwortete der Dandy laut, schlug die Beine übereinander und sah selbstgefällig nach oben.

Brütende Stille lag auf dem Saale. In leichten Wirbeln stieg der Zigarrenrauch zur Decke, die Reste in den Gläsern glänzten matt. Da stand Herr v. Natzfeld auf und trat hinter Lojas Stuhl. Sie wisperten eine Weile. In des Freiherrn Augen blitzte es einen Moment wie ein elektrischer Funke auf, dann waren sie wieder verschleiert, unergründlich wie immer: »Nur wenn die Comtesse es durchaus wünscht, sonst nicht,« klang es leise, bestimmt.

Leiser klang es zurück: »Ein guter Spaß! Wenn Doerstedt nur halb so nüchtern ist, wie er aussieht, riskiert er im letzten Augenblick die Kracken doch nicht.«

»Na, was wird's?« fragte die breite Stimme des alten Kauffmann wieder, der nie daran dachte, daß der Scherz Ernst werden könnte, und sich gern zum Sprachrohr der allgemeinen Spottlust hergab.

254 Loja räusperte sich: »Wenn die Gräfin befiehlt und sich durchaus kein andrer Ritter finden läßt, bin ich bereit.«

Die Comtesse zögerte lange mit der Antwort. Sie kämpfte einen schweren Kampf. Die Gefahr des verwegenen Spieles war ihr klar. Doch vor Furcht schützte sie sicher der Hochmut und die starke Passion. An Lojas Fahrkunst glaubte sie nicht. Der Vetter übertrieb, weil sein negierender Geist sich darin gefiel, gerade denjenigen zu poussieren, der ihnen allen am unsympathischsten war. Die Ehrlichkeit gebot ihr, die Angelegenheit scherzhaft anzusehen und einen Ritterdienst zurückzuweisen, der lächerlich oder gefährlich für beide sein konnte. Doch sie wußte, daß sie nur den verletzenden, höhnischen Ton einem Stolze gegenüber finden würde, der dem ihrigen nicht unebenbürtig war. Sagte sie ja, war der arrogante Doerstedt sicher Sieger, und sie litt schwer unter der Niederlage. Trotzdem entschied sie sich für den Kampf. Ein häßliches Gefühl trieb sie. Sie verlor, Loja mit. Seine Niederlage aber dünkte ihr süßer als ihr Sieg. 255

 


 


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