Johannes Richard zur Megede
Quitt!
Johannes Richard zur Megede

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel.

Während der Saatzeit hatten die Vergnügungen der Orschauer Ecke etwas geruht. Doch jetzt, wo der Roggen seine Blüte ohne Nachtfröste durchmachte und die großen Kornschläge wie von einem Staubmeer überweht schienen, sobald ein Windhauch das silberschimmernde Aehrenmeer küßte, kam man wieder zusammen. Zwar die Väter klagten und machten verächtliche Gebärden, wenn von der Güte der Aehre und den üppig aufgeschossenen Kleefeldern gesprochen wurde, ja, ganz verbissene Feudale sprachen von einer miserabel schwachen Regierung und Zeiten, die sich so oder so ändern müßten, doch die junge Welt stand der Politik und der Finanzwirtschaft sehr fern. Man ritt und fuhr zu einander, sprach von Picknicks, Waldfesten und sog noch ganz nebenbei den köstlichen Wiesengeruch ein, der alle Wege mit seinem berauschenden Duft überwogte. Der interessante Klatsch, der eine Weile geruht, wurde schnell nachgeholt.

Und wirklich gab's eine Menge neuer Sachen. Natzfeld sollte der schönen Anna ganz entsagt haben. Aus Trotz oder Berechnung liebäugelte sie jetzt mit einem jüngeren Bruder der Domat, der in einer verlorenen Grenzgarnison als Offizier das ersehnte Kavallerie-Niveau erreicht hatte und jetzt wie seine Schwester ausschließlich an eine vornehme Verlobung 86 und eine wo möglich noch vornehmere Heirat dachte. Zurzeit war er in der Gegend auf Urlaub, trug ein Monocle und einen Wappenring, verbrachte halbe Nächte über Familienpapieren, um seinen etwa verloren gegangenen Adel wieder aufzufinden – ein Verfahren, das löblich aber nutzlos, weil die feudale Ahnenreihe schon beim Großvater durch den »Häusler« unterbrochen war, wie eine hoffnungsvolle Kohlenschicht durch totes Gestein. Diesen würdigen Herrn, der zu Lebzeiten weder ein Schnupftuch noch eine Gabel gekannt, aber durch verschiedene hinterlassene Sparstrümpfe den Grund zur späteren Wohlhabenheit des Geschlechtes gelegt hatte, und wofür sie ihm alle hätten sehr dankbar sein sollen, haßte der junge Offizier aufs tiefste. Zur Erholung von diesen sterilen Stammbaumstudien machte er Besuch bei den Adelsfamilien im weitesten Kreise und schonte weder Kutscher noch Pferd, wenn irgend ein vornehmer Name noch erreicht werden konnte. Zuweilen auftretende Bürgerliche ertrug er mit Haltung. Die älteren Herren mochten ihn nicht, weil er noch zwei Reservemonocles in der Tasche führte und Erdbeeren nach englischer Manier nur mit der Gabel aß. Das sollte etwas besonders Aristokratisches sein, doch die Feudalen erinnerten sich gerade dann gerne des Großvaters »Häusler«; bei den Damen war er beliebter, teils als Partie, teils als Lawn Tennis-Spieler. Im übrigen zeigte er sich als ein langer, dünner Mensch mit hölzernem Gesicht und hölzernen Bewegungen; das letztere lag jedoch weniger an ihm als an einem rohseidenen Anzuge, den er beim Lawn Tennis-Spiel mit Vorliebe trug, aber immer beim Sprunge zu zerreißen fürchtete. Bei Wilneins war er natürlich zuerst gewesen. Der Graf nannte 87 ihn einen Affen, die Comtesse murmelte ein blasiertes »Dégoûtant«. Gampesch, der erst nach der Kritik kam, hielt ihn jedoch für einen strebsamen Offizier von den besten Formen.

Neben diesem aufglühenden gab's auch noch versinkende Sterne. Zuerst Doerstedt. Was dem Dandy die Sinne verwirrt, ahnte man. Er schimpfte wie ein Rohrsperling über den Bezirkskommandeur, sprach von Gemeinheit, Herzlosigkeit im Falle Gellmann, und Weisere sahen hinter diesem täuschenden Vorhang von moralischer Entrüstung die weiße Hand der schönen Frau durchschimmern. Doch als er, eben im Begriff, zu einer Uebung abzureisen, mitten auf dem Orschauer Marktplatz unter dem Kreuzfeuer von sechzig Damenaugen aus den Privathäusern und der Konditorei, ja sogar dem Krimstecher der alten Baronin Walen zum Trotz, die schöne Verfemte angeredet und den vorübergehenden Oberst v. Lette mit Respekt aber verbissener Entschlossenheit gegrüßt hatte, fragte man sich verwundert, wer schamloser – der verliebte Panzerreiter oder diese offen sich preisgebende Frau. Daß der Gatte zurzeit sich noch in einer Anstalt befand, rechneten die moralischen Frauen seltsamerweise dem Dandy als mildernden Grund an. Alle bedauerten die kleine Gorah aufs tiefste, beschworen zu schweigen – und alle teilten der Ahnungslosen in übertriebener Herzensgüte die skandalöse Affaire mit. Die einzige, deren Moral nicht übermäßig verletzt schien, war die Comtesse. Sie zuckte die Achseln: »Was gehen mich die Leute an.« Aber die war ja seit Monaten so blasiert und gleichgültig geworden, daß sie für alles nur ein hochmütiges Achselzucken hatte.

Schwerer als Doerstedt wurde Prinz Lack vermißt, 88 schon seines frechen Tones wegen, der öffentlich abscheulich, aber heimlich entzückend gefunden wurde. Man verdachte ihm auch darum seine politischen Erfolge, die er in Protestversammlungen pflückte und die oben am grünen Tisch sehr unangenehm vermerkt wurden. Merken ließ sich's niemand. Er gehörte eben zu den kalten, ironischen Naturen, an die man sich nur zum eignen Schaden herangetraut. Hätte es vielleicht ein andrer wagen dürfen, von dem alten angesessenen Gerguhn, der aus Nobilitierungsgründen vom unzufriedenen Agrarier ein zufriedener Regierungsmann geworden war und den man heimlich der Felonie und der Gesinnungslosigkeit zieh, in großer Gesellschaft zu sagen: »Was wollen Sie anders von so einem Subjekt? Seien Sie doch froh, daß das Gesindel seine eigentliche Farbe bekennt! Leider bin ich nicht in Rußland und nicht Zar, sonst ließe ich ihn knuten, bis er seine schöne Seele ausgehaucht hätte.«

Man vergab's ihm, wie man ihm auch seinen Loja vergab. Ja, was die beiden nur zusammen hatten! Weil Loja gekommen war, sagte er ein Picknick ab; weil der Bruder der Domat in Unkenntnis der Verhältnisse wegwerfend vom Freiherrn gesprochen hatte, gab's eine so kalte, gründliche Lektion, daß der Leutnant in den entgegengesetzten Fehler verfiel, bei nächster Gelegenheit sich dem Freiherrn vorstellen ließ und bat, ihm seine Aufwartung machen zu dürfen.

So gab's der Aufregungen viele in der Orschauer Ecke. Die Comtesse wußte alles, und sie interessierte nichts. Die Besuche kamen und gingen, auch der Bräutigam – es war kein Unterschied. Und Gampesch kam doch täglich, immer mit einer kleinen Aufmerksamkeit, einem reizenden Bouquet. Früher hatte 89 sie's erfreut, jetzt war's ihr fast langweilig. Sie hatte auf den großen Kampf gehofft, den erbitterten, ehrlichen, wo's scharfe Schläge giebt und richtige Wunden; wenn die geheilt sind, wird der Friede geschlossen, und jeder hat dann die angenehme Empfindung, als sei ein reinigendes Gewitter über die Gegend gegangen und habe die Wolken verscheucht. Statt dessen war Arthur liebenswürdiger wie je und gab immer nach. Wähnte er, die Krankheit liege in ihren Nerven, während sie an ihrem Herzen fraß? Das war nicht mehr die wonnige Einsamkeit zu zweien. Kein heimlich Glühen mehr, kein Begehren. Der blasierende Hauch einer langen Ehe wehte darüber, in der's nur noch die Freundschaft giebt, die schöne Gewohnheit der Liebe. Und der Park duftete und blühte.

Es gab so viel lauschige Plätzchen: unter der Trauerweide, in dem grünen Gebüsch, wo die Vögel zwitschernd durch das Gezweig hüpften und dazwischen die Sonne ihre zitternden Lichter neckisch durch das säuselnde Blattwerk auf den Rasen warf – im Obstgarten hinter der Schmiede, wenn die Stachelbeerhecken in der Mittagsglut dufteten, wenn die Spatzen zornig über die netzverhängten Kirschbäume schrieen, wenn die roten Ananasbeeren aus den schattigen Blättern hervorragten und der Schmied pfeifend auf das dröhnende Eisen schlug, daß die Funken sprangen. Und am Abend auf der weißen Bank im großen Lindengange – der träumerische Blick glitt dann über reifende Kornfelder, die ihren Duft herübertrugen bis zu dem Walde da drüben, dessen schwarze Stämme sich so geheimnisvoll gegen den hellen Nachthimmel abhoben; hier sang im Gebüsch eine Nachtigall jeden Abend, so beutegierig 90 auch die Katzen umherschweiften. Die Verlobten gingen sogar nach dem Abendessen aus, über die Chaussee bis in den Wald, vorsichtig, schweigend, denn dort an der Gerste pflegten Rehe herauszutreten; zuweilen äugte sie ein starker Bock an und äste ruhig weiter, zuweilen jagte das anmutige Rudel im federnden Sprung nach dem schützenden Dickicht. Aus der Tiefe rauschte der Waldfluß, der Mond blinkte auf den strudelnden Wassern. In solcher Mondnacht, in solch leise träumendem Walde, da muß ja die süß verstohlene Liebe hervorquellen, wenn sie noch da ist. Da umschlang er sie, da küßte er sie, und die hüpfenden Wasser freuten sich des Paares. Sie küßte ihn auch wieder, und es war doch nicht der alte Kuß . . . Der Graf ließ ihnen volle Freiheit, weil seinem vornehmen Sinne die kleinliche Bevormundung der Tante immer unsympathisch, ja häßlich erschienen war. Es waren die alten Worte, das alte, thörichte Liebesgeflüster, nur der Zauber war gebrochen, der Zauber der jungen Liebe, der nie zurückkehrt.

Marie war eine ehrliche Natur, und sie fragte sich oft, wie die Wandlung möglich. Woher kam plötzlich dieser skeptische Zug ihres Wesens, der vergiftende Zweifel an allem, was sie sah? Sie kämpfte ehrlich dagegen, sie küßte zuweilen den Bräutigam leidenschaftlicher als je; vielleicht täuschte sie auf Augenblicke ihre Natur – sie zwang sie nicht mehr . . . Was schied sie von Tag zu Tag mehr von ihm? Sonst trennen doch nur die brutalen Katastrophen, die häßlichen Scenen ohne Vergeben und Vergessen, die wie ein tobender, unüberbrückbarer Waldstrom sich zwischen zwei Wesen legen, die sich einst wirklich geliebt. Und hier hatte es gar keinen ernsten 91 Kampf gegeben, nur leichte Scharmützel, einen noch leichteren Frieden . . . Dennoch! . . . Sie sah ihn jetzt an, wie man einen Feind betrachtet, dessen Blöße man sucht. Immer dieser entnervende Zweifel. Bald war er ihr zu verliebt, bald zu vernünftig. Wenn er klug sprach, schien er ihr berechnend; wenn er lächelte, witterte sie eine liebenswürdige Unwahrheit dahinter. Dabei gab's niemals Aussprachen. Was sie ihm sagen wollte, konnte sie nicht, was sie ihm sagen konnte, wollte sie nicht. Aber noch immer hoffte sie auf die Wendung zum Guten, an den Abfall dachte sie nur mir Abscheu.

Da traf es sich gut, daß Gampesch, der wieder ins Reserveverhältnis übergetreten war, zu einer Uebung eingezogen wurde. Es war keine schlimme Trennung. Die Ordre lautete für Kaiserberg zur Stellvertretung eines Brigade – Adjutanten. Jede Woche versprach er herüberzukommen. Es war ein verständiger Abschied schon der Leute wegen. Als er abfuhr nach einem letzten, langen Kuß, zum erstenmal wieder in Uniform, empfand die Comtesse ein zwiespältiges Gefühl: Herzensöde und Erleichterung. 92

 


 


 << zurück weiter >>