Johannes Richard zur Megede
Quitt!
Johannes Richard zur Megede

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Achtes Kapitel.

Aber ich bitte dich, Otto, einen Grund muß es doch haben, daß uns niemand den Besuch erwidert hat . . .«

»Flitterwochen, liebe Martha, man will nicht stören.«

»Und warum sind wir nirgends angenommen worden? Die Herren sämtlich nicht zu Hause, die Frauen sämtlich bei der Toilette – und das um zwei Uhr nachmittags! Merkwürdige Landfrauen, die zu der Zeit erst aufstehen! – Das ist nicht Zufall, das ist Verabredung. Man hat etwas gegen uns. Aber was?«

Seit vier Wochen wurde diese Frage von dem jungen Ehepaar Gellmann jeden Tag erörtert. Die Frau regte sich dabei immer wieder auf.

Mit dem unsicheren Blick eines verprügelten Hundes sah Otto Gellmann auf seine Frau. »Und wenn auch – du ladest dir deine Freundinnen aus Kaiserberg ein . . .«

»Die ich nicht habe und gar nicht haben will!«

»Sei friedlich, Marthchen! Zu fünf habe ich den Schlitten bestellt. Willst du mit nach der Stadt?«

»Mich zu Tode langweilen in eurer Sauerschen 184 Konditorei? – Danke! Und die Bekannten, die du da triffst, gefallen mir gar nicht.«

»Es sind vornehme Leute dabei. Zum Beispiel der Baron v. Loja aus dem Hause Dessenheim.« Er warf sich in die Brust.

»Von dem ich noch heute nicht begreife, wie er dazu kam, uns einen Besuch zu machen. Uebrigens ist er nur ganz vorübergehend hier. Und . . . ich mag ihn gar nicht so gern! Was interessieren mich seine Reiseerlebnisse! Ich ärgere mich höchstens, daß ich seine indischen Nächte nicht miterleben und seine herrlichen Tropengewächse nicht in meinem Garten haben kann. Außerdem urteilt er so scharf und ungerecht über den Orschauer Adel, daß ich fürchte, seine Bekanntschaft schadet uns vielmehr. Er geht, wir bleiben! Ich will Menschen haben, mit denen ich lachen oder tolles Zeug schwatzen kann . . . oder vornehme Leute. Aber da können wir lange warten. Für die hochmütige Wilnein sind wir Luft. Und dieser Herr v. Natzfeld fährt dir täglich über den Hof, ohne auch nur mit dem Kopf zu nicken.«

»Du greifst auch gerade den Stolzesten heraus. Bürgerliche haben für den noch nie existiert.«

Der vorfahrende Schlitten beendete das Gespräch.

Martha Gellmann war allein. Ihrem Herzen that die Vereinsamung nicht weh, aber ihre Eitelkeit kränkte es, daß er schon in den Flitterwochen seine Junggesellengewohnheiten wieder aufnahm, welche sonst den Zeitpunkt markieren, wo die Ehe langweilig zu werden beginnt. Hatte sie ihre Anziehungskraft schon verloren? Sie wußte das besser. Er war verliebt wie am ersten Tage, und ein leichtes »Bleib doch, Otto!« hätte ihn gehalten. Aber sie 185 sprach das Wort nicht, keineswegs aus Stolz, sondern aus Gleichgültigkeit – denn sie liebte ihn nicht. Auch die Einsamkeit war nicht nach ihrem Geschmack. Der nagelneuen, modischen Einrichtung fehlte die Behaglichkeit des Alters, und die schweifende Phantasie fand keinen lieben, alten Platz, wo sie gemütlich ausruhen konnte. Immerhin war Frau Martha selbst diese stumpfe Langeweile lieber als ein Zusammensein mit dem Mann, dessen dicke Gestalt und wässerige Augen sie an die entwürdigende Thatsache erinnerten, daß sie sich verkauft hatte. Verkauft? Gewiß. Aber was wäre ihr sonst übrig geblieben?

Sie dachte an ihre früheste Kindheit, so wundervoll begonnen im goldschimmernden Kleide des Reichtums. Und wie rasch es abgestreift werden mußte – sein Ersatz ein schmutziges Bettlergewand, das ihnen allen der entehrte Vater zurückließ, nachdem er seine Wechselfälschungen durch einen Schuß in die Schläfe anerkannt hatte. Sie selbst hatte das Elend nur gestreift, dank ihrer Jugend, welche die Tiefe des Falles nicht begriff, dank der erst im Unglück erwachten Energie der Mutter, welche die erwachsene Tochter ins Leben hinausstoßen mußte, um wenigstens dies Kind zu retten. Das Geld zu einer Badepension in Kranz lieh ein Geschäftsfreund des Vaters. Hier wuchs Martha auf. Etwas Köstliches der Seewind und die Salzluft für solch reifenden Mädchenkörper – die Pensionsgesellschaft Gift für den jungen Geist, der in den vier Monaten der Saison mehr an gefährlicher Lebensweisheit aufnahm, als er in der folgenden Zeit der Ruhe verarbeiten konnte. Der Spiegel wurde Marthas Freund. Wenn die Leutnants aus Kaiserberg auf 186 einen Tag herüberkamen, sie gnädiges Fräulein nannten und sich gern in ihre hübschen grauen Augen vertieften, durchrann sie ein heißer Strom seltsamer Empfindungen.

Es war eine schlechte Schule der Gefühle, die sie mit gefährlicher Gelehrigkeit windschnell durchlief. Dennoch beging sie keinen Fehltritt. Eine gewisse Trägheit ihrer Natur schützte sie davor, die sonst keineswegs ohne Sinnlichkeit war. Dazu war Martha klug, von jener oberflächlichen Klugheit frühreifer Weltkinder, die immer instinktiv das Richtige treffen.

Die Mutter setzte auf ihre Schönheit große Hoffnungen. ›Ein reicher Mann, ein Edelmann vielleicht. Natürlich müssen sie sich lieben.‹ Die Tochter war nüchterner. Sie wußte, daß solche Phantasien unfehlbar zur »alten Jungfer« führen. Man liest die Romane à la Marlitt, aber man erlebt sie nicht. Reichtum oder Liebe. Beides zusammen wird nur den allerverwöhntesten Glückskindern in der Ehe. Für die Tochter des Bankrottierers war eines genug. Entschlossen wählte sie den Reichtum. Es entsprach das ihrer Natur so, die am Schimmer sich erfreute. Außerdem kommt ja bekanntlich die Liebe in der Ehe.

Gellmann war der erste, der einen angemessenen Kaufpreis bot. Ohne viel Ueberlegen nahm sie an. Die Mutter lag im Sterben und konnte gerade noch den Herzensbund segnen. Nachher stellte es sich freilich heraus, daß der Mann mehr geboten, als er bezahlen konnte – er war nur mäßig wohlhabend. Es war der erste warnende Nasenstüber des Schicksals. Trotzdem löste sie die Verbindung nicht. Denn zwei Dinge kitzelten ihre Eitelkeit: daß er bei seiner Bewerbung die Uniform des Reserveoffiziers trug – 187 der Ersatz des adligen Wappens für den Bürgerlichen – und daß er gerade in der Orschauer Ecke begütert war. Die Tochter des ehrlosen Selbstmörders inmitten dieser Feudalen, gleichberechtigt einer großen Dame wie die Comtesse Wilnein, die ihr selbst in den Zeiten des eignen Reichtums als ein Wesen höherer Art erschienen war – welche Standeserhöhung! Und darum liebte sie ihn beinahe.

Doch der Enttäuschung gegenüber, die sie in der Ehe erwartete, konnte dieses flüchtig aufflackernde Gefühl nicht bestehen. Mit ganz vagen Ideen vom Landleben, das ihr ausschließlich in Ausfahrten, verwegenem Reiten, glänzenden Gesellschaften bestand, war sie nach Soraunen gekommen – und fand die Kutschbraunen abgetrieben, den Schlitten alt und die Geselligkeit nicht vorhanden. Dann kam noch das Fiasko bei den Besuchen. Sie wurde stutzig. Eine Zeitlang argwöhnte sie, man mache die Tochter für die Unterschlagungen des Vaters verantwortlich – ein Argwohn, dem die eisige Abweisung der Comtesse recht zu geben schien. Sie war auf dem Punkte, eine rote Radikale zu werden.

Da kam die Begegnung mit Doerstedt – eine ganz ungesuchte, wundervoll romantische Begegnung. Die niedergedrückte Stimmung, in welcher der Dandy sie fand, war ihr Verhängnis. Sie fand an ihm alles aristokratisch: die Schnabelschuhe, die eingeplättete Falte in der modisch-weiten Hose, den veralteten Gardeflüsterton, auch die gesuchte Nachlässigkeit in der Haltung und den kecken Griff, mit dem er sich ihrer vollen Gestalt bemächtigte und sie aus dem knietiefen Schnee in den Schlitten hob. Bis in die Haarwurzeln rieselte ihr prickelndheiß ein neues, süßes Gefühl, wie die sündige Seligkeit verbotener 188 Liebe. Ja, das war das leibhaftige Ideal ihrer Mädchenträume, der rechte Talmi-Aristokrat, den der Schnurrbart macht und der durchgezogene Scheitel, und in dem Frauennaturen wie die ihre sofort ihr männliches Gegenstück erkennen – hohl, glänzend, wertlos wie sie.

Auch sie machte Eindruck. Der Dandy sah sie und war verliebt. Das Herz blieb kalt. Dafür reagierte das Blut desto heißer. Und er bedauerte aufrichtig, nicht in Soraunen verkehren zu können. Aber vielleicht war sie für eine ganz heimliche Liebelei zu haben mit gefährlichen Rendezvous und heißen Liebesküssen in verborgener Fichtendickung? In der Gewissenlosigkeit war er Natzfelds gelehriger Schüler. Doch gleich zu Anfang beging er einen schweren Fehler. Als er auf den Sorauner Hof fuhr, hörte er Gellmanns Stimme, der einen Knecht ausschalt. Eine Begegnung mit dem Mann war dem Dandy nicht erwünscht. Er fürchtete das Achselzucken der Kameraden. Und so viel war ihm die Aussicht auf eine Liebelei zurzeit noch nicht wert. Darum entschuldigte er sich hastig bei der schönen Frau. »Sehr pressiert. Muß schon jetzt bitten, auszusteigen. Dienstliche Unterredung mit dem Obersten in der Stadt. Gnädige Frau verstehen – Herrendienst vor Gottesdienst! Traurig, aber wahr.« Er hatte noch gerade Zeit, der hübschen Frau einen beredten Kuß auf den Wildlederhandschuh zu drücken und Gellmann, der neugierig herbeikam, steif zu grüßen. Frau Martha fühlte diese Taktlosigkeit schmerzlich. Aber sie gab ihr jedenfalls vollkommene Klarheit. Die ablehnende Haltung der Orschauer Ecke galt nicht ihr, sondern ihrem Mann.

*

189 Natzfeld behielt recht. Die Fama, welche von ungezählten Begegnungen mit Doerstedt sprach, hatte wieder mal gelogen. Die Frau blieb für den Dandy ganz unsichtbar, so sehr er sich auch bemühte. Ihre Frauenehre war ihr doch etwas mehr wert wie ein verliebter Kuß. Es war keine Berechnung dabei. Ohne es zu wissen, handelte sie wie der geschickteste Diplomat. Die Unsichtbare erschien dem Verliebten noch weit begehrenswerter. Und er überlegte ganz ernstlich, ob nicht der Gellmannsche Besuch auch von ihm zu erwidern sei.

Martha Gellmann hatte die Waldbegegnung keineswegs vergessen. Sie erschien ihr wie ein lichter Traum. Zuweilen zog es sie wie mit magischer Gewalt hinaus. Sie widerstand. Doch ihre Phantasie erhitzte sich an einem Liebestraum, den in Wirklichkeit zu übersetzen sie weder Herz noch Mut genug hatte. ›Ich hätte warten sollen! Warum habe ich geheiratet – warum ihn?‹ Ohne Liebe hätte sie sehr gut bestehen können, ohne einen Flitter für ihre Eitelkeit nie. Daß sie ihrem Mann nicht schon jetzt davonlief, war nur ein Rest von anerzogener kleinbürgerlicher Moral und die nüchterne Erwägung, daß die Heimatlose wahrscheinlich auf der Straße hätte logieren müssen. Darum wartete sie. Die Sache war nur eine Frage der Zeit. Aber das Schicksal, welches solche Naturen liebt, fand sie noch nicht reif für den Sündenfall.

*

Von fern klang Schellengeläute. Frau Martha erwachte halb aus ihren trübseligen Träumereien. Natürlich einer von den vielen Schlitten, die vorüberfuhren – und nicht zu ihr! Erst als der Schlitten vor dem Hause hielt, hob sie den Kopf. 190 Wahrscheinlich dieser langweilige Loja, der trösten kam! Aber bei einem zweiten Blick erkannte sie den hohen Hut und die grünweiße Kokarde der Natzfeldschen Livree. Im Augenblick war sie hinter der Gardine und lugte hinaus. Unschlüssig standen Loja und Natzfeld vor der Treppe. O, wie ärgerlich sie auf dies schlecht einexerzierte Dienstmädchen war, welches sich nicht blicken ließ. Aber wenn die Herren nun wieder fortfuhren? – Loja – das war Martha sehr gleichgültig; aber Natzfeld – dieser hochmütigste Vertreter des Orschauer Adels! – Sie selbst ging vor die Thür zum Empfang, obgleich sie ganz gut wußte, daß es wenig passend sei.

»Meine Herren . . .«

»Gnädige Frau . . .«

Dieser erste Festtag war auch der erste Festtag in Marthas Ehe. Wie entzückt ihr kleines, eitles Herz war! Nur der Doktor erkundigte sich artig nach ihrem Mann. Natzfeld schwieg, als gelte sein Besuch der Frau allein. Und ihr galt er allein – das fühlte sie. Der große Herr war liebenswürdig, lustig, bewunderte ihre Einrichtung, ihr Kleid, ihr Haar. Es kribbelte ihr in den Fingerspitzen vor Wonne. Eine Anerkennung von Prinz Lack, von dem die Mär munkelte, daß er zu Bett ginge in Lackstiefeln und Glacéhandschuhen, wie die Weltdamen im Korsett! Sein Besuch war die glänzendste Rehabilitation. – Vorsichtig hatte Natzfeld die Krallen heute eingezogen. Er war Dandy, nur Dandy – nicht Cyniker – und flach, ach so flach, als wenn er mit Doerstedt darin rivalisieren sollte. Er kannte die Frauen und taxierte diese Konfektioneusenseele nicht zu niedrig. Toilette und Schmuck – darüber hinaus gähnte das absolute 191 Nichts. Doch zwischen diesen engen Grenzen weiblicher Eitelkeit liegt eine ganze Welt, die ein Weltmann studiert haben muß – und Natzfeld hatte sie studiert! Eine intime Kenntnis der Weiber und Kleider gehört dazu – eine Kenntnis, die man nicht aus Schaufenstern und Salons allein haben darf. Vom eleganten Lackschuh spricht man, den Fuß meint man – und die Weiber sind alle eitel! Aber leicht bekam Natzfeld den trockenen Ton satt. Er zeigte zuweilen die Kralle, bevor er die Pranke zum Schlage hob. Martha Gellmann begriff sofort. Ein einziger kalter, zielbewußter Blick, den er auf ihre volle Schulter warf, verriet ihr, daß sie es hier mit dem Gefährlichsten von allen zu thun habe.

Leute vom Schlage Natzfelds bethören die Frauen und verlassen sie. Martha dachte an Doerstedt und verglich. Welch ein Unterschied! Hier der Dandy aus kluger Berechnung, dort der Dandy seinem innersten Wesen nach. Sie war keinen Augenblick im Zweifel, welchen sie im Ernstfall wählen würde. Langsam verlor Natzfeld die Position, und er merkte es. Dennoch machte er keinen Versuch, sie wieder zu erobern. Solche Blumen pflückte er nur, wenn sie bequem nahe am Wege standen, seinen Lackschuh machte er sich aber ihretwegen nicht naß.

Ein Schlitten klingelte im Schritt heran. Martha horchte. »Mein Mann! Er wird sich sehr freuen . . .«

Natzfeld sah nach der Uhr und erhob sich. »Die Zeit drängt.«

»Aber Herr v. Natzfeld, wenn ich bitte . . .?«

Loja warf ihm einen Blick zu.

»Natürlich ist mir der Befehl einer so liebenswürdigen Dame kostbarer als meine Zeit,« entgegnete Natzfeld höflich.

192 Sie ging hinaus.

»Verfluchter Weg!« schimpfte draußen der Gatte. »Strang zerrissen . . .« Ein leises Wort von ihr machte ihn schweigen.

Martha war gespannt auf die Begegnung zwischen ihrem Mann und Natzfeld. Dieser Besuch, der ihre Stellung in der Gegend änderte, mußte auch die seine ändern. Sie wurde enttäuscht. Schon bei dem ersten Wort merkte sie, daß es Natzfeld Ueberwindung kostete, mit ihrem Gatten überhaupt zu sprechen. Die eisigste Höflichkeit auf der einen, die demütigste Unterwerfung auf der andern Seite – Herr und Diener. Nie war sie sich ihrer ungleichen sozialen Stellung so bewußt gewesen. Der Aristokrat nickte mit dem Kopf, und der Plebejer sank pflichtschuldigst in den Staub. Es war eine schlimme Arznei für eine kranke Ehe wie diese, welche mit der Eitelkeit der Frau steht und fällt. Loja versuchte das Mögliche, durch doppelte Liebenswürdigkeit ihr über diese peinliche Zeit hinwegzuhelfen. Frau Martha dankte es ihm nicht. Er konnte ihr doch nicht in den Sattel helfen, aus dem sie geschleudert, noch ehe sie darin war. Und dann mißtraute sie ihm. Er war freundschaftlich ihr und ihrem Gatten gegenüber – nichts mehr. Aber gerade deswegen mißtraute sie ihm. Sie hatte einen feinen Instinkt. Von der Pension her kannte sie die Roués, die sich mit treuherziger Brüderlichkeit drapieren, um sie zu gelegener Zeit zu mißbrauchen. Zwischen Loja und ihnen bestand nichts Gemeinsames. Er dachte und fühlte anders wie sie, so gut er das auch zu verhüllen wußte – und die Sorauner Weine und Zigarren waren nicht die besten. Sollte nicht auch ihn ihre weiße Sammethaut locken? – Wenn das 193 Leben ihrer Eitelkeit sonst genug gethan hätte, würde ein kokettes Spiel ihr wie ein feines Dessert gemundet haben – aber im Augenblick erkannte sie nur die entehrende Thatsache, daß man sie trotz ihres Eheringes beinahe wie eines jener vogelfreien Geschöpfe ansah, welche von Hand zu Hand gehen, um schließlich im Sumpf zu enden. Sie hatte weder Lust noch Anlage dazu. Aber seltsam war es doch, daß diese adligen Lebemänner gleich bei der ersten Begegnung die frivole Absicht durchblicken ließen, als wenn es gar nicht anders sein könne. Lud ihre ganze Art dazu ein? Jedenfalls war sie sich dessen nicht bewußt. Oder waren die Verhältnisse, in welche sie diese Ehe gebracht, so pariahaft, daß ein vornehmer Mann ihr unter gar keiner andern Flagge als der des leichtfertigen Wunsches nahen durfte?

Als der Besuch fort war, rieb sich Gellmann befriedigt die Hände. »Das hätte ich niemals erwartet! Seit Jahren ist er mir den Gegenbesuch schuldig.«

»Und macht ihn mir!«

»Wieso? Du meinst, weil er ein bißchen kühl gegen mich war? Zu Damen ist man immer liebenswürdiger. Du kennst eben unsre Leute noch nicht, Schätzchen . . . Ja, wenn du mit so einem jemals warm zu werden hoffst!«

»O, nicht warm!« entgegnete sie entrüstet. »Aber weißt du, was ich an deiner Stelle gesagt hätte? Behandeln Sie mich anständig, oder dort ist die Thür, Herr v. Natzfeld. Ich bin Offizier . . .«

»Mit dir ist mal wieder nicht zu reden,« unterbrach er resigniert und ging hinaus.

194 So endete hier wie in Lorschen der erste Feiertag mit einem vollen Mißaccord.

*

»Der Kerl kam uns recht in die Quere!« sagte Natzfeld beim Wegfahren.

Finster antwortete Loja: »Ihnen – nicht mir! Ich muß Sie bitten, den Besuch nicht zu wiederholen.«

»Ei, ei, schon ist er eifersüchtig!« rief lachend Natzfeld. »Sie haben übrigens keinen Grund dazu. Ich habe mir dieses hübsche Stück Weiberfleisch angesehen – und genug davon. Man muß ein ganzer Laffe sein wie Doerstedt, um da zu reüssieren.«

»Sie schienen mir heute auf dem besten Wege dazu.«

»Und Sie, frommer Pater? – Mißtrau den bleichen Stirnen! – Sie betreiben den Gimpelfang auf besondere Art. Väterlicher Freund, selbstloser Berater – eines Tages gesteht sie Ihnen, daß sie kreuzunglücklich ist. Weinend fällt sie in Ihre treuen Arme. Armes Vögelchen! Gerupft und verschlungen wirst du sein, ehe du dich's versiehst – von diesem Taubenstößer da! – Gesegnete Mahlzeit!«

»Ist es Ihnen denn unmöglich, an ein anständiges Motiv zu glauben?«

»Wenigstens schwer.«

»So sage ich Ihnen dies. Bei meiner Ehre! Ich will die Frau nicht! Sie könnte sich vor mir auf der Erde krümmen und mich darum anflehen – ich müßte dankend ablehnen. Aber ich will auch nicht, daß sie je ein andrer als ihr Mann besitzen soll! Was mich dazu treibt, kann Ihnen gleichgültig sein.«

Natzfeld pfiff die »Holzauktion« vor sich hin. »Wenn Sie zwanzig Jahre älter wären, würde ich 195 an eine illegitime Verwandtschaft glauben. Aber so – entweder sind Sie ein Heiliger oder ein sehr großer Verbrecher. Dem ersteren will ich einen guten Rat geben: Nennen Sie Doerstedt einen Lumpen und schicken Sie ihm eine Kugel durch sein Spatzengehirn. Die Gelegenheit will ich machen, und für gutes Büchsenlicht soll gleichfalls gesorgt sein. Der Narr ist der sogenannten Frauenehre der schönen Martha gefährlicher als Mars der schaumgeborenen Ehefrau des hinkenden Hephästos. – Dem ›Verbrecher‹ proponiere ich etwas andres: Er soll sein Schafskleid ausziehen und sich ein tüchtiges Wolfsfell zulegen. Auf deutsch: Kaufen Sie der Gellmann ein neues Kostüm bei Reusnitz oder ein Brillantenarmband – nicht zu leicht im Gold! – und sie wird Ihnen eine kleine Liebenswürdigkeit nicht abschlagen.« 196

 


 


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