Johannes Richard zur Megede
Quitt!
Johannes Richard zur Megede

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Dreizehntes Kapitel.

Erst spät am Vormittag erwachte die Comtesse nach einem traumlosen Schlafe. Der April zeigte zur Abwechslung ein liebenswürdiges Gesicht. Die Sperlinge quiekten liebestoll in den Dachrinnen, die Luft war hellhörig, weich, und von den Feldern klang bis in den Hof das Peitschenknallen und Pfeifen der pflügenden Knechte. Vom Nebel keine Spur mehr. Der Comtesse kam das Gestern wie ein dummer, häßlicher Traum vor. Sie fühlte sich wieder frisch, jung, hochmütig. Im Eßzimmer hielt der Graf ihr als Frühstücksunterhaltung eine feierliche Standrede. Er kam eben aus der Wirtschaft und brachte eine ganze Wolke von frischer Luft und kräftigem Erdgeruch in das etwas heiße Zimmer. »Du, werde endlich mal verständig, Mieze! So schlimm, wie Gottfried mir die Sache erzählt, wird's wohl nicht gewesen sein; das war immer ein Hasenfuß. Aber auch so ist's noch fatal. Die Klatschgesellschaft kriegt vier Wochen den Mund nicht zu . . . die Wilnein . . . natürlich die Wilnein! Als wenn ich's hörte! Der Freiherr ist doch sonst ein ruhiger, verständiger Mensch – aber natürlich habt ihr ihn so infam provoziert, du zu allererst, daß er gar nicht anders konnte . . . also nun ist die Sache abgemacht. Schneid habt ihr wenigstens gezeigt! Doch, 283 Mieze, Mieze, du machst deinem alten Vater viele Sorgen!«

Sie fiel dem Grafen um den Hals. »Du hast mich lange nicht genug gescholten, du guter Papa! Gottfried übertreibt nicht. Es war wirklich ernst, so ernst, wie ich noch nie etwas erlebt habe.« Darauf zog der Alte die weißen, buschigen Brauen zusammen und räusperte sich.

Auf dem weichen Sande der Vorfahrt klang leichter Pferdehuf, ein Reiter in grauem Sammetanzug und tadellosem Lack schwang sich aus dem Sattel. Es war Doerstedt. Der Graf trat ans Fenster: »Du hast natürlich auf deinem Gute auch nichts andres zu thun, als vormittags Visiten zu reiten! Ja, diese jungen Landwirte von heute . . . ich mach' mich davon. Laß du dir eine halbe Stunde von ihm Süßholz vorraspeln, Mieze!« Und die Comtesse hörte noch, wie die Herren sich im Flur begrüßten: »Ah, Herr Graf! Comtesse wohl? Ich habe einen Auftrag von meiner Schwester . . . bitte um Verzeihung wegen des Anzuges – nur Estafettenreiter heute.«

»Na, wie steht's bei Ihnen mit der Wirtschaft? Wann werden Sie das Vieh ausjagen?«

Der Dandy lächelte: »Da müssen Sie schon meinen Inspektor fragen, Herr Graf. Im übrigen – schlecht steht's natürlich. Keine Preise, keine Preise! Der Weizen fünf Mark; ist das nicht ein Skandal?! Aber die Remonten schlagen ein. Ich habe sechs dunkelbraune, bildschöne Luders! Werde sie mir wohl selbst zur Zucht behalten – als Remonten viel zu schade! – Natzfeld soll sein blaues Wunder an mir erleben.«

»Na, da seien Sie vorsichtig! Das ist ein Erzfilou und Pferdeschmeißer. In Sassen wird gepfeffert 284 und gestutzt, daß es man so 'n Vergnügen ist. Und bei der Vorstellung vor der Remontekommission, da gehen die Dinger wie auf Draht, und kein Schinder wieder zu erkennen! Er kaufte mir mal acht Tage vor dem Markt so 'n hochbeinigen Schwarzbraunen ab. Weicher Rücken, vorn ausgeschnitten – ich wollte ihn schon ins Gespann schmeißen. Und er drückte ganz gehörig auf den Preis, mein Herr Neffe. Da kam ich zum Markt nach Sassen. Da tanzte der Gaul vor mir 'rum . . . einen Halsaufsatz, einen Rücken, und vorn 'raus wie der Deibel! Einmal am General vorbei, und da ruft der auch schon: ›Gut! Schreiben Sie auf, Herr Leutnant: Garde-Ulan, Chargenpferd.‹ An meinem Schwarzbraunen allein hat er fast tausend Mark verdient. Die Kommission kaufte ihm achtzig Stück ab, und der Vorsitzende sagte: ›Doch wirklich brillantes Material, Herr v. Natzfeld!‹«

»Und brillante Remontezigarren!« fügte höhnisch der Dandy hinzu. »Was natürlich die Herren nur mißtrauisch macht.«

»Sie verzeihen mir, lieber Doerstedt, muß unbedingt noch mal in die Wirtschaft. Mieze ist im Eßzimmer, gehen Sie doch gleich herein!«

Die Comtesse hörte noch, wie der Dandy die Hacken zusammenschlug: »Aber bitte gehorsamst, Herr Graf, bitte!« Dann stand er vor ihr.

Sie empfing ihn mit der vornehmen Liebenswürdigkeit, die ihr nie versagte, wenn ihr heißes Herz nicht erregt war. Der Panzerreiter schien etwas gedrückt; aber nur so lange, als er ihr die Hand küßte. Dann schnarrte er wieder selbstbewußt: »Gratuliere unterthänigst, gnädigste Comtesse, erstens mal zum brillanten Nervenkostüm – so frisch! Hut 285 ab davor! . . . Unsre Anna liegt seit gestern in Weinkrämpfen. Und zweitens zum Siege; das war ein Sandorstückchen! Wenn ich mir's überlege: ganz nüchtern kann ich nicht gewesen sein. – Jedenfalls: die Orloffs haben gesiegt, und meine Vorderpferde haben sich in ein besseres Jenseits empfohlen. Es ist doch ein brutaler Kerl, dieser Loja! Pferde auspumpen versteht er, das muß ihm der Neid lassen. Er fuhr ja zuletzt wie ein Mensch, dem sein Hals und der viel wertvollere einer andern« – der Dandy ließ respektvoll das Monocle fallen und verbeugte sich vor der Comtesse – »keinen Pfifferling wert ist. Und der Natzfeld unterstützt auch noch so etwas aus reiner Malice!«

Die Comtesse konnte sich eines spöttischen Lächelns nicht erwehren. »Und wer brach den Pakt zuerst, Herr v. Doerstedt? Wer galoppierte zuerst? O, ich weiß ganz genau!«

Dann wurde sie ernst. »Sie reden sich in die Aufregung hinein gegen einen Unschuldigen. Der Freiherr v. Loja galoppierte erst, als ich's befahl. Also wenn Sie jemand verantwortlich machen wollen – hier bin ich! Doch Loja lassen Sie aus dem Spiel . . . ich liebe ihn gar nicht, aber als Kavalier sans phrase hat er doch gehandelt. Seien wir mal ehrlich: es war eine kolossale Thorheit, und schuldig sind Sie und ich allein.«

Der Dandy stöhnte schwer. »Nun kommen Sie auch noch, Comtesse! Ich sage Ihnen, bei uns zu Hause ist die reine Hölle. Meine Mutter hat den Mund von drei Uhr morgens noch nicht zugekriegt und geredet . . . geredet! Man wird ja ganz toll! Da soll ich nicht in 'n Cirkus gehen, keine Bowle machen sehen, keine trinken. – Und – das ist nämlich seit gestern das neueste Steckenpferd meiner 286 Frau Mama: da soll ich vor allem den originellen Herrn v. Loja, den liebenswürdigen Freund Hassos v. Natzfeld-Sassen, wie ein Wundertier behandeln. Dieser verwünschte Doktor! Anna bekam auch ihr Teil, aber die war fein 'raus. Die heulte immer nur. Da ging mir die Rederei denn auch über den Spaß, und ich sagte: ›Laß mich doch mit den beiden Kerls zufrieden, Mama! Prinz Lack heiratet eure Anna ja doch nicht!‹ . . . Verzeihen Sie, Comtesse, wenn ich etwas viel gesagt habe, aber wir sind zusammen groß geworden, und ich muß ab und zu jemand haben, dem ich mein Herz ausschütten kann. Aber kaum hatte ich das heraus, da bekam meine Mutter auf einmal einen Hoheitsanfall: ›Anna, höre nicht auf diesen verlorenen Menschen!‹ Und dann weinten sie beide. Weswegen soll ich eigentlich verloren sein? Weil ich ab und zu mal leichtsinnig gewesen bin? Aber ich weiß, worauf das geht. Sie ahnen was, meinetwegen mögen sie's auch wissen! Ja gewiß, ich habe trotz aller meiner Leichtfertigkeiten doch nur Interesse für eine einzige; die kann ich nicht heiraten, und deswegen heirate ich eben gar nicht!«

»Herr v. Doerstedt,« sagte die Comtesse mit einer fast mütterlichen Regung, »Sie sind wirklich etwas aufgeregt. Ich brauche das ja alles nicht zu wissen.«

Darauf machte der Dandy, der gar nicht mehr dandymäßig aussah, eine für Mutter und Schwester sehr wenig schmeichelhafte Handbewegung: »Ach die! An mir liegt ihnen doch nichts. Unser Gut ist Majorat, also viel zu wollen ist nicht für Anna. Wenn ihre süße Anna erst mal Frau v. Natzfeld-Sassen sein wird, dann wird sie mir auch in den 287 Pferden die schärfste Konkurrenz machen – bis zur Pleite, wenn's irgend möglich. Und beklag' ich mich etwa, dann heißt es kalt lächelnd: ›Du dummer Junge, warum mischest du dich in Sachen, von denen du nichts verstehst.‹« Der Dandy hatte sich in eine solche Aufregung hineingeredet, daß er den Auftrag der Schwester ganz vergaß, nämlich daß man die ganze Fahrangelegenheit totschweigen wolle. Es war durchaus diplomatisch, wie alles, was die Doerstedtschen Damen thaten. Kurz darauf verabschiedete sich der Sohn, ernüchtert, beschämt. Modemenschen sind verwundert, wenn sie nicht immer im Kostüm sind, und erkennen sich selbst kaum, sobald sie sich ohne Kostüm im Spiegel erblicken.

Marie schwieg über die ganze Unterredung, aber sie war bei Tische sehr nachdenklich.

*

Am Nachmittag ging die Comtesse mit dem Vater durch die Felder. Eine linde Luft wehte. Aus dem Erdboden stieg herber Duft, und die braunen Spitzen der Apfelbäume am Wege dehnten sich im Lenzgefühl. Und eine milde, freundliche Sonne lächelte über den dünnen, ängstlichen Sommersaaten. Der Frühling lag in der Luft. Man sah es den Krähen an, die bedächtig die Furche nach Engerlingen absuchten, dann plötzlich stehen blieben, die Flügel reckten und laut kreischten vor Lebensfreude. Nun begann die Sonne hinter die Nadelwälder zu sinken, und kalter Wind brach aus dem Walde wie aus einem Hinterhalte hervor. »Das Rechte ist's noch nicht,« räsonnierte der Graf. »Wenn wir nur jetzt keine Nachtfröste bekommen!« Und sie gingen schneller nach Hause, vorbei an den wohlgenährten Gespannen, die gemächlich die Bracken 288 nachschleiften. Der Knecht knallte mit der Peitsche. Ein Junge schrie in greulichen Tönen, aber ganz selbstvergessen, ein Frühlingslied, so daß der Graf ihm auf die Schulter klopfte: »Du bist also der erste Singvogel. Schön ist's nicht, aber gut gemeint.« Darauf verzog der Knecht, der daneben ritt, das Gesicht zu einem breiten Grinsen, und der junge Sänger steckte die ganze Faust in den Mund. Als sie zu Hause angekommen waren, tönte in langen, hallenden Schlägen die Feierabendglocke. Die Comtesse sah sich noch einmal um. Ein wehmütiger Sonnenblick gleißte vom Wald herüber, der letzte, bevor die grünen Stämme sich in Nacht hüllten. Marie ging rasch in ihr Boudoir und hielt die Finger, um sich zu wärmen, an den Majolika-Ofen. »Wenn Arthur doch käme,« sagte sie halblaut.

Da hob sich eine schlanke Gestalt lautlos aus ihrem Fauteuil, ein Arm schlang sich geschmeidig um der Comtesse feinen Nacken. Sie zuckte zusammen, wollte aufschreien; ein Paar schmale Männerlippen schlossen ihr den Mund, und eine verliebte Stimme flüsterte: »Du hast nur zu befehlen, Schatz, und ich bin da!« Es war Arthur v. Gampesch.

Sie erwiderte nichts. Sie küßte ihn nur immer wieder mit Leidenschaft, dann zog sie ihn ans Fenster: »Ich habe dich ja so lange nicht gesehen, du lieber, lieber Arthur. Bist du auch der alte noch? Hast du dich nicht verändert? Komm, klingle dem Diener lieber nach Licht! Ich will dein Gesicht genau studieren können. Weißt du, daß ich dein Gesicht beinah ganz vergessen habe, Schatz? O, ich werde alt, wirklich alt!«

Sie wollte auf den elektrischen Knopf drücken, er hielt ihre Hand zurück: »Gerade auf die 289 Dämmerstunde mit dir habe ich mich gefreut. Komm auf den Fauteuil hier, wir haben beide Platz. Ich trage dich hin, erlaub mir's! Und nun erzähl mir ganz leise, wie's dir gegangen ist.« Er küßte ihr das rosige Ohr, die Hände, bei aller Glut doch der Mann von feinem Takt. »Wie ich das entbehrt habe – den Duft deines Haares!« Daraus erzählten sie sich mit der ganzen Umständlichkeit und Wichtigkeit Verliebter, die der Weise nie begreifen wird.

»Du hast das Telegramm nicht bekommen, Schätzchen? Dieser Stationsvorsteher in Orschau!«

»Aber erzähl mir ordentlich, Arthur, genau . . . viel genauer noch! Also den Kürassieren wird es sehr leid thun, wenn ich nicht zum Ball komme? . . . Weißt du, daß sich Hasso gestern ganz skandalös benommen hat, in einer Weise gegen die Regierung Front gemacht – es fehlte nur noch, daß er sich selbst als sozialdemokratischen Kandidaten für den Reichstag aufstellte!«

»Na, wenn auch das nicht . . . es pfeift überhaupt jetzt ein Wind! Ich war mit so ein paar alten Krautern aus der Sardauner Gegend zusammen . . . da wurde geschimpft . . . Und die Kerls auch gleich: ›Sie haben ja dort den Natzfeld-Sassen, der ist unser Mann!‹ Hasso organisiert wirklich die Opposition bis aufs Messer. Ich sehe es kommen, daß sie ihm den ›Johanniter‹ wegen Unwürdigkeit abknöpfen.«

Dann ward es wieder still. Man hörte nur das leise Streicheln auf weicher Frauenwange . . . dann einen Kuß . . . noch einen. Gampesch räusperte sich und faßte seine Braut fester um die Taille. »Und was erzählt sich die Stadt von meinem Wildfang hier? So leichtsinnig geht mein kleiner Schatz mit seinem Leben um? Es ist mein bitterer Ernst. 290 Und noch dazu mit diesem Loja! Mieze, mit diesem Loja!«

Einen Moment lag sie schwer atmend an seine Seite gelehnt. Plötzlich sprang sie mit einem zornigen Ausrufe auf: »Ich will den Namen nicht hören!«

Gampesch faßte geschickt ihre Hand und zog die Widerstrebende an sich. »Hat er dir denn etwas gethan?«

Und kalt klang's zurück: »Der?«

»Dann also vergessen wir ihn endgültig!«

Ein leises Zittern ging durch ihren ganzen Körper: »Aber ich kann's nicht!«

Er war starr, denn ehe er noch etwas erwidern konnte, hatte sich die Comtesse an seine Brust geworfen und sprach mit bebender Stimme: »Sieh, Arthur, ich liebe dich, ich liebe dich . . . und ich hasse ihn, hasse ihn . . . das weißt du ja längst. Aber seit gestern fürchte ich ihn, ich habe Angst vor ihm. Warum? Ich weiß es selbst nicht. Er hat mir nichts gethan – nichts!«

Gampesch beugte sich auf ihren Kopf: »Sprich weiter!«

»Ich habe eine Bitte, sie ist unsinnig. Ich weiß es. – Ich will weg von hier – Arthur, mit dir! Mein Gefühl befiehlt mir's. Wenn du uns nicht beide unglücklich machen willst, nimm mich . . . weg von hier! . . . Er ist unser beider Todfeind, deiner wie meiner. Nicht den Körper, aber die Seele wird er uns töten. Mir kommt ein Gedanke. Du wirst wieder aktiv. Es ist so leicht . . . denk doch an Papas Beziehungen bei Hofe.«

Sie leise streichelnd, sagte er ruhig: »Und was hättest du davon? Willst du vor der Kommandeuse, geborenen Müller, knicksen, Garnisonsklatsch mit 291 anhören – du kleine hochmütige Comtesse, die es nie verstehen würde, daß die Majorsfrau mehr ist als du, – und weiter? Hier sind wir frei, sind die Ersten in unserm Kreise; hier hat der Rock, den ich durch des Königs Gnade trage, noch einen Sinn.«

Gampesch schwieg. Draußen schleppte schnuppernd ein Wolfshund das Holzkreuz, welches er zur Strafe für nächtliche Jagdpassionen um den Hals trug, durch den Sand; ein Knecht im Stall spielte Harmonika. Verschleiert klangen die Töne herüber. Jetzt beugte der Bräutigam sich tiefer auf Maries rosiges Ohr, und etwas verschnürt, gepreßt klang sein heißes Flüstern: »Hat der Schurke vielleicht etwas gesagt? Mein Bruder hatte viel aus dem Kerbholz. Jetzt überträgt der Loja das vielleicht hinterlistig auf mich. Sei ehrlich, Mieze! Er hat etwas gesagt, nicht wahr?«

»Er hat nie deines Bruders Namen auch nur genannt, und deinen ein einziges Mal. Aber eben, weil er euch nie erwähnt! O Arthur, kannst du oder willst du nicht zwischen den Zeilen lesen?«

Vom Saale nebenan klangen Schritte, durch die angelehnte Thür drang Licht herein; es war der Diener, der die Lampen brachte. Sie waren beide aufgesprungen. Als der Mann weg war, sahen sie sich an, sie sahen jedes in ein totenblasses, entgeistertes Gesicht. Gampesch faßte sich zuerst und sagte mit leisem Spotte: »Wir sind nervös, Reichsgräfin, sehr nervös. Ich werde mit Papa sprechen, du mußt unbedingt etwas für dich thun.«

Sie atmete noch immer schwer, doch ihr Blick glitt jetzt müde, interesselos über die elegante Einrichtung ihres Zimmers, auch über den Bräutigam hinweg. »Ich war eine Närrin,« sagte sie tonlos.

292 »Du hast mich zu lieb,« gab er galant zurück.

Nach Tisch hatte Gampesch eine lange, ernste Unterredung mit dem Grafen unter vier Augen.

Die Comtesse stickte in dem Wohnzimmer an ihren Ausstattungstaschentüchern – sie stickte schlecht, doch sie bemerkte es nicht. Dann kam der Vater allein zurück und sah sie besorgt an: »Fühlst du dich krank, mein Kind?«

»Im Gegenteil, ich war nie so wohl.«

Darauf blickte der Alte ihr lange ins Gesicht und streichelte sie: »Du hast heiße Wangen . . . Habe ich dich zu hart angefaßt, mein Mädchen, als ich eure Hochzeit so lange hinausschob? Wenn's euch glücklich macht, heiratet morgen.«

Da sah sie auf das Taschentuch nieder und stichelte weiter: »Es ginge nicht, Papa, schon wegen der Aussteuer . . . Im übrigen hast du recht, ich muß erst älter werden und verständiger.«

In jenen Tagen hatte das Brautpaar »Rauch« von Turgenjew gelesen, heute abend las die Comtesse es noch einmal. Als sie an die Stelle kam, wo Irina zum ersten Balle geht und zu Litwinoff sagt: »Sprich nur ein Wort, und ich werfe all die Blumen weg und bleibe bei dir« – krampfte sich ihr Herz zusammen. Litwinoff war Arthur, Irina sie. Sie las weiter und hoffte noch immer auf eine Stelle, wo sich die Liebenden wieder zu ihrem Glücke finden würden. Sie wußte, daß es niemals geschehen konnte.

 


 


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