Johannes Richard zur Megede
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Johannes Richard zur Megede

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Die Vorbereitungen zum großen Manöverdiner waren bis aufs kleinste getroffen. Comtesse Marie ließ sich den Fuchs satteln und ritt ins Gelände. Den ganzen Morgen wogte der Kampf um Orschau. Kavallerieregimenter trabten geschlossen über den Gutshof . . . am Bügel klirrende Säbel . . . schnaubende Pferde, scharfe Kommandos; dann die staubbedeckten Kolonnen der Infanterie auf der Chaussee, hinter jedem Baum Artillerie und am Waldrand der schwarze Tschako der York-Jäger. Jetzt stieß die Division auf Orschau vor, packte den schwachen Feind im Zentrum, bedrängte ihm die Flanken, so daß er sich auf die Stadt zurückzog. Die Flutwelle des Gros wogte nach. Das Infanteriefeuer klang ferner, der Geschützdonner dumpfer.

Um den Kirchturm von St. Johann wurde es auf einmal lebendig. Graue Staubwolken, wirbelnde Massen, aus weißen Wölkchen rot aufzuckende Blitze – hier, dort – dazu lange, blitzende Feuerlinien, wütendes Gewehrgeknatter – der Feind hatte seine weichende Avantgarde aufgenommen, die im scharfeingeschnittenen Flußthal vor der Stadt im Schutze seiner Geschütze sich sammelte, den Rand mit langen Schützenlinien besetzte und verbissen den Kampf wieder aufnahm.

Die Schlacht stand, der Artilleriekampf tobte. 103 Da wogte die Flutwelle der Division, vom vorbrechenden Feinde gedrängt, wieder zurück. In jedem Graben, hinter jeder Bodenwelle lagen feuernde Schützenketten, die den Feind zum Stehen bringen wollten, aber immer wieder geworfen, jetzt schneller zurückstoben. Die Artillerie-Abteilungen jagten im Galopp zurück, protzten ab – Blitz, Donner, überlegen antwortender Feind – protzten auf, jagten wieder zurück, um das verlorene Spiel an der nächsten Waldecke aufzunehmen. Es war ein kriegerisches Bild, das die Comtesse fesselte, und auf einmal war sie zwischen Verfolgern und Verfolgten eingekeilt. Hinter ihr, neben ihr donnerten Geschütze, knallten die Repetiergewehre. Der Fuchs, der das ferne Grollen, nervös zusammenzuckend, ertragen hatte, wurde jetzt unruhig bei dem ungewohnten Lärm, prallte zur Seite und wollte durchgehen. Sie hielt ihn kaum. Da fuhr zur Linken eine Batterie auf. Die auf dem Leder brennende Hitze, der Pulvergeruch, der Menschendunst, dies ganze Manöverfeld mit seinem Gewimmel, seiner Hast, dem zur wahren Schlacht nur der fade Blut-, der scharfe Brandgeruch fehlten, mochten dem Landpferde wohl die Sinne verwirrt haben, so daß es für verderbende Wirklichkeit hielt, was in Wahrheit nur ein aufregendes Spiel war. Er drehte sich ein paarmal blitzschnell um sich selbst und brach dann im langen Sprung in der Richtung des Heimatstalles aus, raste die staubende Chaussee entlang, an einer gemächlich trabenden Trainkolonne vorüber, scheute wild vor dem Helm eines Offiziers, der stehend das Schützenfeuer seines im Graben liegenden Zuges kommandierte. Ein toller Seitensprung – der Offizier schrie: »Halt! halt! Um Gottes willen!« 104 Die Comtesse hatte einen Augenblick das Gefühl, als wenn sie über dem Sattel schwebte. Sie, die firme Reiterin, vielleicht aus dem Bügel fliegen vor dem kleinen Linieninfanteristen da – unmöglich! Dann bekam sie wieder festen Sitz. Der Fuchs carrierte jetzt über ein Stoppelfeld; doch drüben winkte die fettig glänzende Scholle frisch gestürzten Ackers, und nach hundert Galoppsprüngen vergaß er über der Anstrengung die Todesangst. Und jetzt strafte sie den Durchgänger hart. Galoppsprung . . . Peitsche . . . Galoppsprung – dem Ermatteten floß der schaumige Schweiß von Flanke und Hals. Er schnaufte schwer und war mürbe, noch ehe er den nächsten Feldweg erreicht hatte. Dennoch ließ sie ihn im scharfen Trabe auch bergauf gehen, obgleich sie die tödliche Ermattung in dem zitternden Pferdekörper fühlte.

Auf der Höhe stieg sie ab. Es war der Weg, auf dem sie zu Domats geritten. Links drüben lagen die roten Ziegeldächer von Lorschen, und die weiten Fohlengärten schienen ganz nah; nach rechts schweifte der ungehemmte Blick über Orschau hinweg und weiter. Marie knotete dem Fuchs die Zügel über dem Halse kurz und ließ ihn heimlaufen. Sie selbst glitt im Schatten der Birken ins Gras mit einem Ausguck auf die Ebene.

Noch immer wich die Division. Der Feind drängte mit überlegenen Streitkräften wuchtig nach. In der Ebene hatte die Comtesse ein unklares Bild gehabt. Hier oben erkannte sie deutlich die verzweifelte Position des Weichenden, der auf seinem linken Flügel in Gefahr war, überflügelt zu werden. Aber auf dem rechten gewann der Gegner keinen Fußbreit Terrain; denn unten vor dem Waldrande, 105 kaum tausend Schritte von der Comtesse, lagen die York-Jäger in langen Schützenlinien und sparten die Munition nicht. Marie hatte für die Elitewaffe ein besonderes Interesse, seitdem ihr Arthur einmal versichert, daß Husaren und Jäger, der Grünrock und der Attila, in einem Kartell stünden, das man »Couleur« nennt. Jetzt freute sie, daß die Jägerbüchsen so scharf knallten. Sie zog den zierlichen Krimstecher aus der Tasche.

Drüben beim Feind hielt der Stab zu buntem, dichtem Knäuel geballt. Darauf stoben Ordonnanzen zurück und zur Seite, reitende Artillerie sprengte im Galopp heran, protzte ab, der Probeschuß krachte. Zu dem Zentrum flog über die gelbe Stoppel ein einzelner Reiter; sie erkannte sofort den schwarzen Attila, die rote Säbeltasche – es war der Bräutigam, der den Schneid seines Sasser Rappen im halsbrecherischen Ritte erprobte. War das wirklich der vorsichtige Arthur – in diesem coupierten Terrain mit Gräben, Hecken, sumpfigem Grunde, wo der tollkühne Galoppsprung leicht den Hals kosten konnte. Er hatte eben seinen Befehl, und da gab's kein Zaudern! Früher hätte sie die tolle Jagd entzückt, und durch das angstvolle Beben für den Geliebten wäre eine wollüstige Wonne geschaudert. Und jetzt?

Der laue Herbstwind säuselte durch das welkende Birkenlaub wie der wehmütige Scheidegruß des Sommers; auch durch ihr Herz ging ein träumerisch Erinnern wie das letzte Aufflackern eines ersterbenden Gefühles.

Jetzt war der Reiter in Schwolmen. Im Thalkessel begann es zu wimmeln . . . weiße Koller, blinkende Helme . . . leise Signale klangen herüber – die Kürassiere losten ihre Schwadronen zur 106 Attacke aus. Im Hohlwege gedeckt, in langen Reihen kam das Regiment herauf, ordnete sich blitzschnell auf der Ebene, die Angriffssignale schmetterten. Trab – Galopp – Carriere! Die blitzenden Linien rasten heran, indes die Flankenzüge der Jäger sich zum Haken bogen. Ein schläfriges Schützenfeuer empfing die Attacke, darauf ein schriller Pfiff der Zugführer, Stille – die Comtesse konnte den semmelblonden Doerstedt vor dem ersten Gliede deutlich erkennen –, dann krachte sich überstürzendes Schnellfeuer aus den Linien der Grünen. Die Panzerreiter ritten ihren Todesritt. Der Comtesse wollte im kriegerischen Gefühle das Herz beben, dann lächelte sie matt: es ist ja nur ein Spiel.

Den blendenden Uniformtraum hatte sie ausgeträumt. Würde ein schönerer folgen?

*

Schon war die Sonne tief gesunken, als die Regimenter ins Quartier rückten. Natzfeld, der als Schlachtenbummler den Manövertag mitgemacht hatte, ritt mit Dragonern die Senkenhager Chaussee entlang. Die Herren waren etwas felddienstmüde.

»Ritt wie 'n Donnerwetter, Ihr Gampesch!« meinte träge ein dicker Rittmeister, dem der Kommandierende schon öfter das Dünnerwerden dienstlich anempfohlen hatte. »Verwünschte Schinderei, das Soldatenspielen heute! Attacke zum Frühstück, zum Mittag- und Abendbrot! . . . Wer heute keine Leutnantstaille mehr hat, ist gleich dienstunfähig . . . meinetwegen! Ihrem Bezirkskommandeur hat übrigens gestern der Kommandierende den Hals gebrochen . . . Jemand muß ihn scharf gemacht haben . . . Sagen Sie, was ist denn eigentlich mit dem Doerstedt los? Das war doch sonst so 'ne leichtsinnige Bestie! 107 Aber jetzt wie ausgewechselt. ›Gottes Segen bei Kohn gefällig?‹ – Die Antwort ein unmutiges Knurren . . . Der Kerl muß blödsinnig verliebt sein! Bei den Kürassieren ulken sie ihn kolossal an, weil er Maßliebchen zupfen soll und bei Liebesmahlen stöhnt wie eine verliebte Giraffe . . . Seit wir hier in der Gegend die retirierenden Russen spielen, reitet er jedesmal von der Uebung nach dem Wald da drüben. Sie können ihn übrigens sehen . . . Da ist er wieder.«

Natzfeld sah scharf hin: »Ich weiß nicht, was er ausgerechnet in meinem Walde zu thun hat.« Dann lachte er schadenfroh vor sich hin: »Na, wart', du biederer Mikrocephale! – Wir sehen uns doch heute abend noch in Lorschen, Herr Rittmeister?« Er trabte flüchtig auf einem Richtweg ab und war bald am Walde. Dort stand bereits sein Jäger mit Büchse und Hund. Prinz Lack ging schon seit Wochen auf einen starken Rehbock, der ihm aber immer zu entkommen wußte.

Der Wald lag stumm. Altweibersommer zog über den Weg, und die Abendsonne schien auf goldig glänzende Fichtenstämme. Mit Jägerblick suchte Hasso die Lisiere nach etwas Auffälligem ab; der Rehbock interessierte ihn heute nicht. Darauf winkte er dem Jäger, der eilig abtrat, nahm den braunen Setter an die Leine, sicherte das Zündnadelgewehr und verschwand im Dickicht. Mit der Geschicklichkeit einer Katze glitt er durchs Unterholz; der glatte Waldboden gab den leisen Ton seines Schrittes nicht zurück. Zuweilen horchte er, stehen bleibend, auf. Kein Hufschlag, kein hastiger Männerschritt, der unvorsichtig auf dürres Geäst trat, kein feiner, federnder Frauenfuß – nur die Holztauben girrten 108 und die Mücken summten. Verlöschende Lichter spielten durchs Holz. Hasso faltete die Stirn. ›Sollte er schlauer sein als ich?‹ Auf einem schmalen Waldpfad drang er wieder vorwärts, da hob plötzlich der Hund schnüffelnd die Nase. ›Also hier!‹

Der Setter wurde mit einem Blick zu lautlosem Rückzug veranlaßt. Hasso selbst drückte sich mit Wilddiebsgeschicklichkeit durchs Gebüsch bis zu der Stelle, wo aus lichterem Wald ein Sommerkleid schimmerte. Da lag zwischen hohen Fichten eingehegt ein schmaler Erlenbruch im fliehenden Tagesschein – ein köstliches Stück Dämmerungspoesie mit fußhohem, wucherndem Riedgrase, Erlenstumpfen und kletterndem Waldhopfen. Wie oft hatte hier Hasso nicht an feuchtwarmem Frühlingsabend dem Zickzackfluge der Schnepfe aufgelauert. Ein schlechtes Stelldichein war's nicht. Der etwas abgetriebene Gaul des Kürassiers weidete im Schutze eines Holzstoßes; gegen profane Augen gedeckt, standen hier der Dandy und die schöne Frau. Nur wenige Schritte von ihnen ließ sich Prinz Lack ins Graf gleiten – die Indiskretion genierte ihn gar nicht. »Das erste Mal küßt ihr euch auch nicht!« murmelte er befriedigt.

*

»Aber nu, sei doch gut, du süßer, blonder Schatz! Wir haben uns gefunden, wir haben uns lieb. Wer wird da gleich an die Zukunft denken!« Und Doerstedt küßte ihr verliebt die Thränen von den grauen, lüsternen Augen, indes sie nur schwach widerstrebte. »Ich bin bei Gott so wahnsinnig in dich verschossen, Martha, daß ich mein Majorat für ein einziges, winziges Haar aus deinem goldenen Sammetfell im Nacken geben würde . . . Zukunft, Zukunft?! So was giebt's ja gar nicht bei der wahren Liebe.«

109 ›Bis dahin ganz gut kopiert, mein Sohn, aber ob du sie später ebenso gemütvoll sitzen lassen wirst, wie ich sie sitzen lassen würde? – Die ››macht‹‹ dich ja, mon cher, wie ein Kümmelblättchenspieler einen Weißbierphilister! Ich grüße dich, Frau Martha v. Doerstedt!‹ kommentierte Hasso höhnisch.

Sie aber dachte noch nicht an den Gimpelfang, es war ihr Ernst mit dem Weinen und der Zug von ehrlichem Seelenschmerz nicht erlogen. Daß das feine Profil dabei um so pikanter aussah, daß das helle Waschkleid wirklich eine entzückende Figur umschloß – und zu dieser Stunde in dieser Einsamkeit! – wer verdenkt's dem Dandy, daß er an die blühende Gegenwart lieber dachte als an eine vielleicht graue Zukunft?

Doch ihr Gewissen ließ sich nicht mit einem verliebten Kuß abspeisen. »Sieh mal, Fritz, du denkst natürlich, daß ich auch so eine bin,« klagte sie. »Ich hatte keine Ahnung, daß du den Sonnabend in unserm Walde warst, und ich weiß noch heute nicht, wo du den Mut herbekamst, mich damals zu küssen. Mir war's gar nicht zum Küssen zu Mut! Und ich ließ es doch – und ich küßte dich auch wieder . . .«

»Aber das war ja gerade das Reizende!« bestätigte er mit glücklichem Ausdruck. »Komm, Kind, ich setze den alten Helm ab, der uns so beim Küssen geniert, und nehme dich in meine Arme und lasse dich in das verschwiegene Gras da sinken und küsse dich, küsse dich! Das ist ja alles nichts. Ich will die Küsse trinken von deinen süßen Lippen, trinken wie ein Schiffbrüchiger, der Meerwasser trinken muß, und immer mehr trinken muß, immer mehr!« Dann zupfte er sie zärtlich am Ohrläppchen und 110 flüsterte: »Nun will ich dir auch alles beichten. Daß ich verliebt gewesen bin wie ein Schuljunge, daß ich Maßliebchen gezupft habe, daß ich jeden Abend das kleine Veilchen geküßt habe, das du mir einmal im Scherze schenktest!« Er machte eine Bewegung, als wenn er sie wegtragen wollte, gerade an die Stelle, wo Hasso lauschte.

Prinz Lack war schon auf dem Sprunge, mit ganz harmlosem Gesichte aufzustehen und freundlich zu sagen: ›Ich habe kein Wort gehört, meine Herrschaften! Doch ich unterstütze grundsätzlich alles Gute in der menschlichen Natur und gratuliere darum herzlich.‹

Die schöne Frau jedoch wies den Stürmischen zurück: »Du sprichst immer nur von Küssen, Fritz! . . . Du denkst gar nicht daran, daß ich so viel gelitten, daß ich in deine Arme fallen mußte – ja, mußte, mein Lieber. Alles verließ mich, nur du bliebst!«

»Und Loja? Natzfeld? . . .« zwinkerte er in leichter Eifersuchtsanwandlung.

»Rede nicht so, sprich nicht den Namen dieses Loja! Was wir uns gesagt haben, haben wir uns gesagt ein für allemal. Wenn du wüßtest, was der uns gethan hat! – Und Natzfeld? Er ist der Eisigste, Herzloseste von euch allen – es giebt keine Leiche, über die er nicht ginge.«

Hasso klatschte geräuschlos Beifall: ›Ich werde euch zum Dank für die Wahrheit schon zusammenkuppeln!‹

Auf einmal glänzten ihre grauen Augen. »Weißt du, seit wann ich dich liebe, Fritz? Seit Kaiserberg!« Sie küßte ihn, um gleich seine Liebkosungen zurückzuweisen. »Nein, nicht seit Kaiserberg, das 111 ist nicht wahr!« Wieder flossen ihre Thränen reichlicher – »Wenn's doch keine Vergangenheit gäbe!«

»Na, Schätzchen, rege dich nicht auf!« tröstete er.

»Als du damals so rührend meinen Mann entschuldigtest, da war ich ganz klar mit mir: ich will ihn retten, dachte ich, ja, retten! Ich habe so gut mit ihm gesprochen, ich habe gesagt, daß ich alles wüßte und alles verstünde. Er that mir so leid, und ich liebte ihn beinahe. Und nun erkläre mir das Merkwürdige: daß ich ihn kalt, ja direkt schlecht behandelte, das ertrug er; aber von dem Augenblick an, wo ich gutherzig gegen ihn war, ihn mit einer Art mütterlicher Zuneigung behandelte, da war's schlimmer wie je. Vielleicht war die Angst, daß ich etwas von dem Skandal erfahren könnte, noch sein einziger Halt. Nun wußt' ich's; das Lügen, Versteckenspielen war nicht mehr notwendig, und er brach völlig zusammen.«

Der verliebte Panzerreiter unterbrach ihre Erzählung lustig: »Jetzt hast du mich eben, Schatz.«

»Ja, dich . . . Und was wird's mit mir, wenn er eines Tages stirbt, wenn du dich verheiratest?«

»Ich denke nicht dran!« versicherte er.

Die Thränen trockneten ihr schnell. Das Weltkind war froh, in dem schrecklichen Zwangsleben ihrer Ehe eine Zerstreuung gefunden zu haben. Ja, die beiden paßten zu einander – nur daß er verliebter war als sie.

»Du siehst wieder entzückend aus mit deinem hellen Kleide,« schmeichelte er ablenkend.

»Du wirst mich noch eitel machen,« drohte sie schalkhaft. »Ich hab's ja nur angezogen, weil du die hellen Farben an mir so liebst.«

112 Natzfeld begann das Geschwätz langweilig zu werden. Plötzlich aber horchte er scharf hin, denn die schöne Frau sagte ernst: »Wie soll das enden?«

»Gar nicht,« antwortete der Dandy leichtsinnig. »Wenn wir verheiratet wären, könnten wir sicher nicht so köstlich verstohlene Liebesträume träumen. So ist's viel besser! Ein bißchen verdorben sind wir doch beide – Schatzchen, du auch!« Vielleicht dachte er im Augenblick der cynischen Liebesphilosophie seines Herrn und Meisters Hasso, der einmal kalt lächelnd erklärte: »Wenn Sie bei einer ernsthaften Liaison die Ehe vermeiden wollen, Doerstedt, nehmen Sie den Mund recht voll von der wahren Liebe, die keine häßlichen Konventionalitäten kennt. Denn heiraten wollen uns merkwürdigerweise die Weiber gleich immer. Zuweilen ist das Umgekehrte ganz gut. Mein Berliner Diener hatte sechs Stubenmädchen auf einmal und wurde glühend geliebt, weil er jeder die Ehe hoch und teuer versprach.«

Die schöne Frau war wortkarg geworden und sprach vom Heimgehen.

»Um Gottes willen, Schatz!«

»Ach, du liebst mich gar nicht.«

»Ich? Einzige, süße, blonde Martha . . . Im Kasino, vor dem Zuge denke ich an nichts andres als an dich und bin ein ganz schlechter Kamerad und Offizier.«

»Ach ja . . . dann müßtest du ganz anders mit mir sprechen, Fritz!«

»Aber sag doch, wie?«

Sie entwand sich ruhig seiner Umarmung. »Ich muß jetzt nach Haus.« Allen Liebkosungen zum Trotz blieb sie fest, und Natzfeld dachte anerkennend: ›Nur immer weiter in dem Ton! Wenn du's jetzt 113 geschickt anfängst, Nana, bring' ich ihn noch heute abend unfehlbar zur Strecke.‹

Aber war sie nicht so kühl, wie der menschenfreundliche Hasso wähnte, oder liebte sie den Dandy und die Uniform wirklich? Sie drehte sich plötzlich wehmütig lächelnd zu Doerstedt: »Nein, ich hab' dich doch sehr lieb, Schatz! Du darfst mich auch vergessen, wenn du meiner überdrüssig geworden; nur sag niemals, daß ich kalt und schlecht bin. Ich bin leichtsinnig. Warum? Weil ich meinen Mann nie geliebt habe und dich immer lieben werde.«

Die beiden wanderten in dem hohen Grase weiter, schweigend, in sich gekehrt. Dem Gefühle des Dandy machte es alle Ehre, daß er auf dieses Geständnis nicht einmal den leichtsinnigen Kuß als Antwort fand. Hasso erhob sich vorsichtig und sah ihnen nach, bis sie in die Dämmerung hineinschritten und der letzte verlorene Sonnenstrahl über ihren köstlichen Nacken und seinen glänzenden Helm dahinhuschte. »Was ist so ein Weib mehr: Schaf oder Satan? Ich kalkuliere, das letztere.«

Diesmal irrte sich der Menschenkenner. Sie hatte den Dandy von Herzen lieb. Zwei Durchschnittsmenschen hatten sich eben gefunden.

Am Abend hielt der Kommandierende großen Cercle im Lorscher Herrenhause. Ein buntes Gewimmel von Uniformen flutete durch die lange Reihe der altmodischen Räume. Comtesse Marie machte die Honneurs mit der müden Grazie einer Dame von Welt, die für jeden ein falsches Lächeln, ein liebenswürdiges Wort, eine zuvorkommende Bewegung hat. Aber wer sie früher gekannt hatte!

Die leichte, kecke Manöverunterhaltung schwirrte herüber und hinüber, dies Entzücken der Damen, 114 die bald in einem lustigen Kriegslager zu sein wähnen, bald in den Reunionssälen eines Modebades. Man amüsiert sich köstlich, und man sieht sich nie wieder. Die schöne Anna und die kleine Gorah waren herübergekommen. Welch reizender Backfischtraum: sechs Leutnants allein zu seiner Verfügung und scherzen, lachen, kokettieren zu können nach Herzenslust wie bei einem Faschingsball, den man vor der Demaskierung verläßt. Daß auch ein paar Herren vom schwarzen Zivil da waren, Loja und Natzfeld, kümmerte die Damen wenig. Heute war Maskenfreiheit, heute dachte man nicht an die Ehe, sondern an das Vergnügen.

Excellenz war sehr gemütlich, nahm Prinz Lack in eine Ecke und plauderte mit ihm vertraulich: »Sehr gut, lieber Natzfeld, daß Sie mich auf diesen Lette aufmerksam gemacht haben! Der Kerl ist wirklich pathologisch. Gestern bekam ich auf dem Kommando einen Brief an den Regierungspräsidenten in die Hände – der Herr ist mein spezieller Freund, angehender Fünfziger – da steht schwarz auf weiß:

                  »An den
Premierleutnant der Landwehrkavallerie a. D.,
                                                Wohlgeboren.

Sind Sie geneigt, im Falle einer Mobilmachung einen Pferdetransport des Gestüts nach Dassel zu leiten? Bejahende Antwort dringend erwünscht!‹

»Als ich das las – es ist ja unerhört – sagte ich zu dem guten Mann: ›Herr Oberst v. Lette, für Bezirkskommandeure, die so ihre Pflichten auffassen, dankt Seine Majestät überhaupt. Ich denke, daß ein Regierungspräsident hier an der Grenze wohl Wichtigeres zu thun hat, als Pferdetransporte 115 nach Dassel zu leiten!‹ Uebrigens soll ich Sie bestens von meinem Jungen grüßen; der Bengel verbraucht bei den Dragonern ein höllisches Geld.«

Hasso zeigte nur geringe Schadenfreude darüber. Er hatte Wichtigeres vor. Zwischen ihm und dem Dandy war die Freundschaft kühl geworden. Das hinderte den gutherzigen Mephisto aber nicht, gerade heute den Panzerreiter besonders liebenswürdig zu behandeln. Der war in einer weltschmerzlichen Laune und dem Trost anscheinend unzugänglich. Prinz Lack zeigte demgegenüber auffallend viel Gemüt. »Ihnen ist's wohl nicht besonders, Doerstedt?« fragte er teilnehmend und vergrub sich in einen einsamen Fauteuil in der Comtesse Zimmer.

»Wieso?« knurrte der Dandy.

»Na, alter Freund, wir wollen kein Verstecken spielen! Mir ist's auch gar nicht extra zu Mute . . . die verfluchte Politik . . . die Landwirtschaft . . . es sind überall die dummen Vorurteile!«

»Ja, leider Gottes!«

»Mit dem unglücklichen Gellmann fängt's an, mit mir hört's auf.« Darauf räusperte sich der Dandy und starrte in eine Ecke. »Haben Sie die Frau eigentlich mal wiedergesehen, Doerstedt? . . . Bedauernswertes Ding . . .« Der Dandy schielte mißtrauisch hinüber, indes Prinz Lack elegisch fortfuhr: »Sie haben sie natürlich auch fallen lassen!«

»Hm . . .«

»Das ist doch bei Ihren Ansichten selbstverständlich. Der Vater hat sich wegen einer Wechselgeschichte erschossen, der Mann ist kassiert . . . Daß die unglückliche Frau nichts dafür kann, was frägt unsereiner danach! In dem Punkte sind wir alle Roués. Das Weib möchten wir schon haben, aber 116 von unserm Selbst auch nur ein bißchen herzugeben . . . vergilbte Vorurteile und so weiter . . . ist nicht!«

»Sprechen Sie ehrlich, Natzfeld?«

»Meinetwegen nicht! . . . Ich habe mich eben geändert, lieber Freund. Mit der bornierten Standesgeschichte kommt man nicht durch. Aber sprechen wir von etwas anderm!« Und Prinz Lack schloß resigniert die Augen.

Lange Pause.

Der Dandy knipste mit nervösen Fingern an seinem goldenen Kettenarmbande. »Und wenn Sie für die Gellmann etwas übrig hätten?«

»Ach! Lassen Sie mich! Wenn Sie mich aushorchen und dann lächerlich machen wollen, mein Lieber – Diplomat sind Sie nun einmal nicht!«

»Ich denke nicht im Traum daran.«

Natzfeld schwieg beharrlich, obgleich er den lauernden Blick des Panzerreiters wohl sah und die beginnende Aufregung. »Also reden Sie mal 'n Ton, Prinz!«

Darauf ein widerwilliges Kopfschütteln, sich im Selbstgespräch bewegende Lippen, Prinz Lack schien mit einem Geständnis zu kämpfen . . . »Durchgehen würde ich mit ihr und sie in Helgoland heiraten!« Er richtete sich auf und sah Doerstedt finster an: »Aber wenn Sie das etwa gegen mich verwerten wollen . . . so etwa, ›der Prinz Lack ist ja ein toller Radikaler‹ . . . wehe Ihnen!«

»Nee,« beruhigte Doerstedt, »die Sache liegt ganz anders. Kann ich auf Ihre Verschwiegenheit rechnen?«

»Den Meineid will ich sehen, den ich nicht leiste!« beteuerte mit gehobenem Finger Prinz Lack.

»So sollen Sie reinen Wein haben. Martha und ich haben uns gern . . .«

117 Einem scharfen Auge wäre es vielleicht aufgefallen, daß Natzfeld dies Geständnis etwas gleichgültig aufnahm.

»Was ich da thun würde, Doerstedt? Was ich jetzt politisch thue, ein moderner Mensch sein.« Treuherzig fuhr er fort: »Entweder sind Sie ein anständiger Kerl, dann sagen Sie sich: Die Frau ist schön, gut, und ich habe den kolossalen Dusel, von ihr geliebt zu werden, item werde ich sie heiraten, sobald ich kann – oder Sie sind kein anständiger Kerl und sagen: So 'n bißchen verschwiegene Liebe ist ganz nett, nachher aber heirate ich eine andre. Die Rache kommt natürlich hinterher. Da liebt man seine Frau nicht, macht noch eine Unschuldige unglücklich, denkt immer an das Vergangene und sucht zu guter Letzt nach einem verschwiegenen Platz im Walde. Bums! Ich allerdings kann mich nicht so recht in die Situation denken, ich bin zu abgeblaßt – aber Sie sind doch noch 'n Kerl, der auf die ganzen Vorurteile pfeifen kann und lieber mit der Frau, die er liebt, glücklich werden will als mit einer ungeliebten unglücklich!«

»Würden Sie dabei mitthun?«

Natzfeld überlegte. »Nee, lieber Freund: erstens werde ich die nächsten Jahre wieder auf Reisen gehen – und dann würde es mir ja kein Mensch glauben. Das ist eben das Unglück, wenn man sein Lebtag für hochmütig, blasiert und herzlos gegolten hat! Ich wundere mich beinahe, daß Sie das alles, was ich jetzt gesagt habe, nicht für eitel Windbeutelei halten, weil ich Sie mit der schönen Frau verkuppeln will.«

Einen Augenblick schien dem Dandy etwas von der Schurkerei Natzfelds aufzudämmern. Dann mochten den Argwohn schöne Phantasien von Liebe 118 und Glück überwuchern. »Sie haben recht, Natzfeld! Wenn man liebt, soll man sich um die ganze andre Bande nicht scheren . . .«

Jetzt ward die Unterhaltung gestört. Einige Kameraden Doerstedts kamen eilfertig herbei und fragten, ob nicht zwei »Dritte Männer« zu einem Skat mit Stabsoffizieren disponibel wären. Doerstedt sagte verdrießlich ja, Natzfeld refüsierte kühl. Aber während er den Kürassieren ins Spielzimmer folgte, flog ein häßlicher Zug um seinen Mund. »Der Gimpel ist wahrhaftig auf den Leim gegangen! . . . Ich hätte Schauspieler werden sollen oder Diplomat bei meinem Hange zur Ehrlichkeit und Tugend.« Dann sah er längere Zeit dem Freiherrn v. Loja in die Karten, der mit dem Grafen und dem Kommandierenden ein kleines L'hombre spielte.

Es war lange nach Mitternacht, als die beiden Freunde aus Lorschen abfuhren. Prinz Lack schien heute sentimental aufgelegt und schlug eine Waldfahrt im Mondschein vor. »Ich bring' Euch wieder zurück, Loja, aber ich muß Euch doch meinen Erlenbruch in wallenden Nebeln noch vorstellen. Wissen Sie, was ich Spaßhaftes heute gesehen habe?« Und er erzählte schadenfroh das Erlebnis des Nachmittags und die Unterhaltung des Abends. »Bin ich nicht ein Kuppelweib par excellence

Da schloß eine eiserne Faust sich um sein Handgelenk, und eine heisere Stimme sagte: »Menschenkind, was haben Sie gethan!«

Sie sprachen lange in erregtem Flüstertone, der Kutscher horchte . . . »Es war ja ihre Schwester . . . Pflicht . . . Sehen Sie, deswegen thut mir ja das arme Ding so leid!« – Und Natzfeld dagegen: »Ja, wenn ich geahnt hätte! Verflucht! . . . Ich bin eben 119 nur zu Teufeleien gut!« Der kühle Spötter hatte sich plötzlich verwandelt, ihm mußte etwas ehrlich leid thun. Als sie nach langer Fahrt sich in Schwolmen verabschiedeten, sagte er erregt: »Warum hattet Ihr denn kein Vertrauen zu mir, wo ich Euch doch alles gesagt habe, Loja? . . . Trotzdem glaube ich, was ich heute gethan habe, ist vielleicht das Beste, was in der ganzen Sache gethan werden konnte.« 120

 


 


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