Johannes Richard zur Megede
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Johannes Richard zur Megede

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Draußen wehte eine milde, reine Luft. Im Borkenhäuschen stand der braune Vollbluthengst allein. Jetzt erst dachte Loja daran, daß irgend etwas geschehen müsse. Einen Augenblick überlegte er mit zusammengepreßten Zähnen, dann zog er Cisber die Gurten fester und ritt fort.

Im Parke begegnete ihm der alte Kauffmann, der kopfschüttelnd, aber gemächlich durch die Verwüstung schlenderte, die der Sturm angerichtet. »Na, wohin, Herr Baron?«

Loja sah ihn gedankenlos an. Der Alte in seinem furchtbaren Räuberzivil, ohne Kragen und Stulpen, lachte gutmütig. »Ist Ihnen auch die Petersilie verhagelt?« Dann stieß er ärgerlich mit seinem Eichenstock in einen Lindenstamm, den das Wetter niedergelegt hatte, so daß die riesige Wurzel wie knorriges Geäst aus dem zerfetzten Erdreich mannshoch aufragte: »Hätte ich jemals geglaubt, daß der prächtige Kerl vor mir ins Gras beißen würde!«

»Lorschen brennt,« antwortete Loja, als wenn dies die natürliche Antwort wäre.

»Was Sie da sagen, Herr Baron! . . . Adieu, adieu!« Der alte Mann trabte in höchster Eile nach dem Wirtschaftshofe.

150 Loja ritt weiter. Das ängstlich schnaubende Pferd setzte vorsichtig Huf für Huf in dem Gewirr abgerissener Zweige und Aeste, das den Boden des Hauptweges bedeckte. Als er draußen auf der kahlen, gelben Stoppelebene war, die eine untergehende Sonne jetzt mit kaltem, hartem Licht übergoß, sah er weit drüben eine Reiterin – die Comtesse galoppierte schon mit verhängtem Zügel an der Waldecke. Da schüttelte er mit einem Ruck die schwächliche Erstarrung ab, und Cisber mußte sich zu seinem besten Jagdgalopp strecken. In wenigen Minuten hatte er sie eingeholt. Schweigend ritten sie nebeneinander. Der Wald lag stumm. Feuchte Wärme stieg aus dem moosigen Boden, zog als feiner Dunst über die Schonung. Die breiten Dämmerungsschatten begannen sich zwischen die hohen Stämme zu senken; wo aber die rote Sonne noch durchbrach, aus den Blößen, aus den seltsam verschlungenen Gassen, die sich der Wirbelsturm gebahnt, gebrochen – da lagen die gefällten Bäume in grausigem Chaos, mit der Wurzel ausgerissen wie Gras die einen, in der Mitte zerknickt, zerspellt, zerrissen die andern. Alte Riesenfichten auf junge, unversehrte gestürzt, die unter der zermalmenden Wucht stöhnten, sanken; blutjunges Volk, im Todeskampf an überlebende Recken gelehnt, überschlankes Stangenholz zu Haufen auf die Schonungen geschmettert.

Sie ritten dicht nebeneinander und waren doch jeder ganz allein. Der Weg war aufgeweicht, gelbe Lachen blinkten. Die Pferde jagten durch die hochaufspritzende Lehmflut, die Comtesse merkte es nicht. Ein Reh wechselte im eiligen Sprung über die Straße und verschwand. Sie sah es nicht. Nur vorwärts, vorwärts! Dem Fuchs war der Jugendmut der ersten Pace längst verraucht. Noch lag er im letzten 151 Ehrgeiz dem hochgezogenen Braunen an den Gurten. Aber wie lang? Denn das Vollblut streckte sich jetzt, warm geworden, zu immer mächtigerem Galoppsprung. Und jetzt begann der Fuchs zu keuchen, nachzulassen. Die Augen traten ihm aus dem Kopf; der Schweiß der Erschöpfung rieselte mit dem hinaufgespritzten Kote der Straße das dunkel gewordene Fell hinab. Die Comtesse gab ihm die Peitsche in striemigem Hieb. Was galt ihr der Fuchs? Nur noch Lorschen erreichen, den Vater lebend finden!

Da sperrte ein quer über den Weg gebrochener Stamm die Passage. Der Fuchs stutzte kurz und schleuderte seine Reiterin fast aus dem Sattel. Jetzt sahen sich die beiden zum erstenmal bei dem schweigenden Ritt ins Gesicht: die Comtesse mit ratloser Angst, er mit dem Totenblick eines Nachtwandlers. Doch der Anblick ihres keuchenden, dampfenden Tieres gab ihm die Besinnung zurück. »In dem Tempo können Sie die Stute doch nicht fortreiten, Comtesse! Die bricht Ihnen noch vor Schwolmen zusammen . . . Seien Sie doch verständig, Gräfin! Ihrem Vater ist schwerlich etwas passiert. Aber wenn's Ihnen eine Beruhigung ist, ich reite voran und carriere Ihnen auf dem Vollblute hier die halbe Meile in fünf Minuten 'runter.«

Schon nahm er Cisber zum Sprung zusammen, da drängte sie ihr Pferd hart an das seine und antwortete ganz leise: »Herr Freiherr v. Loja, Sie reiten nicht! Und wenn meines alten Vaters Leben an den fünf Minuten hinge – ja, wenn ich's wüßte – lieber tot! Aber Sie dürfen ihn nicht retten – Sie nicht!«

Er antwortete nicht.

Sie aber ließ den Fuchs zurückhufen. »Allez, 152 hopp!« Die Peitsche schwirrte. Sie brachte den Todmüden doch herüber.

Sie jagten weiter auf ihren schmutzbedeckten Tieren. Dem Vollblut war's recht, aber der Fuchs brauchte bei jedem dritten Galoppsprung die Peitsche. Endlich war der Waldrand erreicht. Im Grunde lag Schwolmen. Die Comtesse hielt. Wellige Hügel drüben hemmten den Blick, dahinter stieg die Brandwolke auf, schwarz, unbeweglich, ein riesiger Luftballon, an dem rote Flammen emporleckten. Ein brenzlicher Geruch zog durch die Luft, vom kühlen Abendwind getragen.

»'s kann nicht Lorschen sein,« versicherte Loja, »es ist viel weiter rechts.«

Die Antwort war ein Peitschenschmiß, der den Fuchs wieder zu seinem keuchenden Galopp antrieb. Es ging bergab an der Mühle vorbei, dem rauschenden Fluß – durchs Dorf. Aufgeregte Menschengruppen standen auf der Straße, Frauen rangen die Hände, Kinder zeterten. Vor den Reitenden stob der Schwarm kreischend zur Seite. Hunde fuhren bellend aus den Höfen, biedere Dorfhennen, die den Wegrand abpickten, flogen mit Angstgegacker auf. Als die beiden in die Chaussee einbogen, trafen sie auf einen Trupp Jahrmarktsbesucher, die eilig heimwärts strebten. Die Mädchen mit ihren bunten Kopftüchern knicksten, Frauen mit neuen weißen Spindeln, Marktkörben, trippelnden Kindern am Arm setzten sich in Positur, doch die Knechte in ihren hohen Schmierstiefeln, den dicken Wollshawl um den Hals, wankten grußlos weiter. Angstvolle, neugierige, vom Alkohol glänzende Augen schauten zu den Reitenden hinauf. Ein unbeschreiblicher Dunst von Schnaps, Tabak, frischer Semmel und Hering lag über dem Knäuel. 153 Der Gampeschkeimer Kutscher kam mit dem leeren Jagdwagen ihnen entgegengejagt, die Jucker gingen ihren schärfsten Trab. Er war so aufgeregt, daß er die Comtesse nicht einmal grüßte. Sie sah ihm kopfschüttelnd nach. Den Augenblick benutzte der Fuchs, um in Trab zu fallen. Sie aber faßte ihn unbarmherzig mit der Peitsche an. In fliegender Carriere kamen sie auf die Höhe. Da parierte sie fast auf der Stelle den todmüden Gaul, daß er stolpernd ins Knie sank.

»Es ist Gampeschkeim,« sagte sie leise. Die Spannung in ihren Zügen war gewichen. Der Brand interessierte sie nicht. In müdem Schritt ritt sie weiter. Erst als sie in den Lorscher Weg einbogen, begann sie zu traben. Wie matt, gleichgültig sie war – die Gutsleute wenigstens sollten's nicht wissen! Aber das ausgerittene Tier vermochte nur schwerfällig, schwankend vorwärts zu kommen. Sie klopfte ihm mitleidig den nassen Hals: »Fuchschen, Fuchschen!« Und der Fuchs ächzte schwer.

*

Auf dem Lorscher Hofe wogte wildes Leben. Leiterwagen standen unordentlich umher, Wassertonnen wurden geschleppt. Halb angeschirrte Gespanne, wiehernde, unruhige Pferde, kurze Befehle, Schreien, Fluchen. Ein angetrunkener Knecht, der bereits im Sattel saß, knallte mit der Peitsche: »Weg da!« Der Inspektor tobte, der alte Hofmann lief ratlos umher. Weiber, Kinder drängten sich heran, wurden zurückgeschoben. Blöken, Kreischen. Eine alte Ortsarme humpelte glucksend in einer schmutzstarrenden Nachtjacke umher. Der Wolfshund stürzte mit wütendem Gebell auf sie los. Mitten in dem 154 Gewoge stand der Graf. »Himmeldonnerwetter, Herr! Warum ist die Spritze unbrauchbar? Die Wassereimer lecken . . . der Teufel soll so 'ne Wirtschaft holen!« Darauf verlegene Entschuldigungen, Achselzucken. Der Hebel der Handspritze quiekste dazu jämmerlich, der Schlauch weigerte sich konsequent, Wasser aufzunehmen.

Jetzt kamen die beiden auf ihren abgetriebenen Pferden auf den Hof geritten. Der Graf begrüßte sie wie eine Erlösung. »Guten Abend, Herr Baron! Gott sei Dank, daß doch mal endlich wieder ein verständiger Mensch da ist! . . . Sie müssen schon den zweiten Zug führen – der andre ist eben abgefahren . . . Und wo hast du dich 'rumgetrieben, Mieze?« Als er den Fuchs ansah, der mit eingefallenen Augen keuchend dastand, schüttelte er unwillig den Kopf: »Was hast du mit dem Pferd gemacht? Das ist ja am Verenden!«

»Ich hatte so Angst . . . so Angst um dich, Papa!« Sie konnte nicht weitersprechen, ein Thränenstrom erstickte ihre Stimme. Der Graf mußte sie mit seinen Armen auffangen, sonst wäre sie vor ihm umgefallen. Und an seinem Halse schluchzte sie krampfhaft, qualvoll.

»Na, sei nur ruhig, du gutes, kleines Ding,« tröstete der Alte. Zu Loja wandte er sich entschuldigend: »Sie war immer sehr zart und ist in letzter Zeit so nervös geworden. Sie hat sich natürlich eingebildet, Lorschen brenne und ich könne mit meinen gichtischen Beinen nicht allein vom Schlafzimmer die Treppe 'runter . . . Arthur ist auch nicht da . . .«

Als sie den Namen hörte, zuckte sie zusammen.

»Aber ich bitte sehr, Herr Graf . . .« Loja 155 sprach verlegen, unsicher. Die Comtesse hatte sich langsam aufgerichtet und sah ihn an. Da fuhr er in sprödem Tone fort: »Ich muß mich schon hier von Ihnen verabschieden, Herr Graf – ich bin nur deswegen mit hierher geritten. Man braucht mich unbedingt in Soraunen. Morgen mit dem Frühzug fahre ich – die Zeit ist schlecht gewählt, auch der Anzug!« Er wies auf seine schmutzbedeckten Reitgamaschen. »Aber ich hoffe, zwischen uns, Herr Graf, machen solche Aeußerlichkeiten nichts. Wir sehen uns ja auch nie wieder.«

Die Comtesse hatte sich vom Vater losgemacht: »Sie haben unserm Hause viel unverdiente Güte erwiesen, Herr v. Loja, erweisen Sie ihm auch die letzte und begleiten Sie mich jetzt nach Gampeschkeim! Papa mit seiner Gicht kann nicht. Ich aber muß hin . . . Mit dem Inspektor – das wäre unpassend . . .« Sie sprach so sicher, so ruhig, so sehr vornehme Dame, daß der Alte sein schluchzendes Kind kaum wieder erkannte.

Loja verbeugte sich tief: »Gräfin befehlen . . .«

Diesmal war ihr Wille der stärkere.

Es war fast Nacht, als der zweite Trupp abfuhr. Die Leiterwagen ratterten über das Hofpflaster, das Wasser in den Tonnen gluckste. Die Knechte standen kampfesmutig in den Bügeln und knallten über die Köpfe der unruhig trabenden Pferde hinweg. Hinten an den Wagenleitern lehnten Männer mit Pechfackeln. Der Harzgeruch, der beißende Qualm, das ungewohnte, gespenstische rote Licht regte die Tiere auf, gab den Leuten kriegerische Gefühle. Das jagte wie die wilde Jagd durch den Gutswald. Die rohe Freude am Außerordentlichen lag auf den breiten Gesichtern. Durch die hohen Stämme blinkte 156 das ferne Feuer, erst wie ein qualmumwogter glühender Punkt, dann wie ein böses, rotes Raubtierauge, über das sich zuweilen der Schleier des Rauches legte, zuletzt als breite Feuergarbe, die aus einem schmutziggelben Lichtkerne emporschoß. Nun bogen sie von dem weichen Waldwege auf die harte, dröhnende Chaussee ein, deren weiße Schlangenlinie zwischen düstern Fichtenpyramiden sich hinzog. Das brennende Gampeschkeim verdeckte vorspringender Wald.

Hinter den letzten Wagen ritt Loja und die Comtesse. Sie hatte sich einen alten Milchschimmel satteln lassen, der niemals den Damensattel getragen hatte und über die hohe Ehre mit einem mäßigen Trabe quittierte.

»Wir wollen etwas zurückbleiben, Herr v. Loja. So . . . Was ich vorhin von der Wohlthat sagte, ist natürlich Unsinn. Ich wollte Sie nur noch einmal sprechen – und zwar allein. Heute trennen wir uns, und Gott behüte uns vor einem Wiedersehen! . . . Von dem, was ich Ihnen vorhin gesagt habe, Böses und Gutes, nehme ich kein Wort zurück. Sie sollen auch kein Wort zurücknehmen . . . Glauben Sie nie, daß irgend etwas in der Welt im stande wäre, mich von meinem Bräutigam zu trennen! Eine Illusion weniger, das schadet nichts . . . aber wollen Sie mir versprechen, niemals und zu niemand von unsrer heutigen Unterredung in Dennhöfen zu sprechen?«

»Gewiß, Comtesse . . . dafür gestatten Sie mir, daß ich auf der Stelle umkehre. Die Komödie der Freundschaft mit Gampesch ist mir einfach ekelhaft. Er ist mir tot lieber als lebendig! . . .«

Er wollte das Pferd wenden. Sie hielt ihn 157 zurück. »So spielen Sie diese Komödie wenigstens heute noch, Herr v. Loja! . . . Lassen Sie mich nicht allein mit ihm! . . . Sehen Sie, ich bin am Ende meiner Kraft . . . die Kühle, die Sicherheit lügen. Wenn ich jetzt zu Ihnen spreche, klopft mir das Herz so, daß ich mich kaum im Sattel halten kann. Aber ich will nach Gampeschkeim, will ihm ins Gesicht sehen! Dazu brauche ich Sie, den Todfeind unsers Verhältnisses, den Blick gefrorenen Hasses, den Sie beide tauschen . . . Sie sind der Stärkere! Aber dann thut er mir leid, dann liebe ich ihn, dann weiß ich, wo meine Pflicht ist . . . Und wenn Sie mich jetzt mit ihm allein lassen, nach der schrecklichen Auseinandersetzung zwischen uns, die ja kommen mußte – dann würde ich nicht lügen können mit Mund und Augen, dann würde ich ihm Wort für Wort wiederholen, was Sie gesagt – ich könnte nicht anders. Darf ich ihm sagen, was ich im Augenblick fühle: ich glaube Loja mehr als dir? – Das wäre das Ende! – Und Sie wollen mich doch nicht unglücklich machen – nur ihn. Sehen Sie, morgen, da seh' ich gewiß alles anders, da kommt die Sammlung, da ist die Sonne wieder da, da sag' ich mir vernünftig, daß wir Frauen eigentlich nur da sind zum Verzeihen . . . Sie sind der Stärkere auch mir gegenüber . . . so viel stärker! . . . Dafür hasse ich Sie . . . Hasse ich Sie eigentlich? . . . Denken Sie an das tote Kind, das unter unsern Händen starb. Ich bin auch krank, auch arm . . . bleiben Sie! . . . Geben Sie auch einmal großherzig, ohne zu nehmen . . . Sie sollen ja nicht länger bei uns bleiben, Sie müssen morgen wegreisen, Sie müssen! Aber darum lassen Sie mich heute nicht allein.«

158 »Ich gehorche,« antwortete er dumpf. »Mir wird es wahnsinnig schwer . . . Ich verstehe Sie, Comtesse . . . aber ich schwöre Ihnen: ich habe Ihnen nie von der Vergangenheit erzählen wollen. Es war partielle Störung der Gehirnfunktionen, blödsinnig überreiztes Nervensystem . . . vielleicht Sie selbst . . . was weiß ich. Ich würde mir die Hände abhacken lassen, wenn ich's ungesagt machen könnte – nicht dieses Gampesch wegen, sondern meinetwegen. Weil ich eben nicht stehlen will, wo ich morden wollte!«

Sie waren weit zurückgeblieben. Ihnen eilte es nicht. Als sie an den Dennhöfer Kirchenweg kamen, klang vom Fluß her Peitschenknallen, Hallo, der unregelmäßige Hufschlag matt galoppierender Gespanne auf steinigem Wege. Jetzt kam ein Reiter den Hohlweg heraufgesprengt. Am Kreuzungspunkte der Chaussee parierte er plötzlich. Es war Hasso v. Natzfeld – und in schlechtester Laune. Zuerst erkannte er in der Dunkelheit nur Loja und rief ihm ärgerlich zu: »Auch angeführt? Gampeschkeim brennt – haben Sie da vielleicht etwas verloren? . . . Wen haben Sie übrigens auf dem steifbeinigen Schimmel bei sich?«

»Guten Abend, Hasso.«

»Ah, die allergnädigste Gräfin! Ich vermutete das Milchmädchen von Schöneberg.« Er lenkte das Pferd ein und ritt mit. »Mein dreimal preisgekrönter Ochse von Hofmann hat mir nämlich rapportiert, daß Lorschen brennt. Und da dachte ich in meiner Gutherzigkeit: Wenn meine reizende Cousine nun einmal verbrennen soll, dann willst du wenigstens zusehen.«

Die Gampeschkeimer Gespanne mit polnischen 159 Knechten im Sattel und polnischen Leuten auf den Wagen bogen in die Chaussee ein. »Ja, was die Kerls mit dem Pferdefleisch wüsten können, wenn ihnen Tierschinderei Menschenpflicht scheint!« knurrte Prinz Lack.

Dann rief er dem ersten Gespann, das vorüber galoppieren wollte, zu: »Rast nicht so, Leute! Schritt!« Sie gehorchten nur zögernd dem Befehl. War das derselbe Herr, der sie, der erste im Sattel, vor einer Stunde aus dem Sasser Hofe zusammengenommen hatte: »Schont die Schinder nicht!« – der sie auf den düsteren, löcherigen Waldwegen angetrieben hatte: »Vorwärts, wozu habt ihr die Peitsche!« Jetzt sah er mit gekniffenen Lippen die Wagenkolonnen entlang. Die kotbespritzten Pferde mit den eingeschlagenen dampfenden Flanken schlichen nur so daher. Er war ein guter Rechner, ein kühler Kopf, der ironische Hasso, und niemals würde er sein wertvolles Eigentum so spielermäßig riskiert haben, wenn ihm bei dem Ruf »Lorschen brennt!« auch das Herz kühl geblieben wäre. Jetzt wandte er sich brüsk zur Comtesse: »Schöne Gemütsmenschen, ihr Lorscher! Ich pumpe meine Gespanne aus wie ein Rennreiter vor dem Pfosten, bloß um die Familie Wilnein auf einem Scheiterhaufen versammelt zu sehen – und ihr? Darf ich fragen, hochedelgeborene Gräfin, ob Sie vielleicht die Spitzreiterin eines Leichenzuges sind? Wenn der Bräutigam nicht zu Hause und die neue Heimat brennt, da sollte doch die Braut zwischen Lorschen und Gampeschkeim ein halbes Dutzend Pferde kaput galoppieren! Euch, Loja, verzeih' ich den sausenden Schritt schon eher. Wenn ich mir den abgetriebenen Braunen ansehe, dann frage ich mich, ob es nicht einen Pferdehimmel 160 giebt, und ob dieses schmutzige Skelett vielleicht die ruhelose Seele meines weiland Cisber ist.«

Loja lächelte matt: »Alter Spaßmacher!«

Aber die Comtesse richtete sich im Sattel auf: »Du hast recht, Hasso, ich bin wirklich beinahe unzurechnungsfähig.«.

Die Kavalkade setzte sich in Trab. Die Gespanne ratterten nach.

*

Seitdem war eine Stunde vergangen. Tiefe, sternenlose Nacht deckte die Ebene. Nur über Gampeschkeim lag eine grelle, unerbittliche Helle. Die alte Scheune, in die der Blitz eingeschlagen, brannte noch immer wie ein riesiges Fanal. Sie strahlte trockene, verzehrende Glut aus, die die Menge im weiten Bogen zurückweichen ließ.

Die Comtesse war allein inmitten eines Menschenknäuels, der sich gar nicht um sie und ihre Gräflichkeit kümmerte, sie stieß, drängte, wegschob. Ihr bester Schutz war der alte Schimmel, den sie noch immer am Zügel hielt, weil niemand in der Aufregung daran gedacht hatte, ihn ihr abzunehmen. Sie fühlte heißen, ekeln Männeratem an ihrem Nacken, spürte den Jahrmarktsgeruch von Frauenkleidern, den sie berührten. Ein Junge kroch unter dem Bauch des Schimmels weg, ein kleiner, struppiger Köter leckte ihr demütig den Fuß. Sie beugte sich nieder, den Schutzsuchenden zu streicheln, da sprach eine brutale Stimme: »Jagt doch den Schimmel weg!« Dann wieder beruhigende Stimmen: »Seid doch nicht so dammlich,« – »die Comtesse aus Lorschen,« und dagegen wieder die aufsässige: »Ach, die ist auch nicht mehr wie wir!« Kinder heulten, Frauen jammerten, Männer schimpften. Und dazwischen klang wieder 161 lautes, herzliches Kinderlachen, dieses köstliche Lachen, das der Comtesse wehthat inmitten dieses Wirbels von Angst, Roheit, Zorn. Zuweilen wurde dem alten Schimmel die Langmut kurz. Er kniff die Ohren an und keilte aus. Da hatte sie auf kurze Zeit freien Rücken und freien Blick. Da sah sie das alte, hochgiebelige Gebäude – in dem Feuermeer noch immer seine Konturen sichtbar: das Dach zusammengesunken, die Sparren glühend. Und wie in einem heißen Kessel prasselten da Heubündel, knisterndes Bohnenstroh, flammendes Getreide. Wo aber der Brand die riesigen Holzpfeiler packen wollte, da duckte sich das Feuer zusammen, leckte dann gierig empor, umschlang sie mit Glut und Qualm, daß man das ohnmächtige Stöhnen des alten Holzes hörte.

In achtungsvoller Entfernung standen die Feuerwehren der ermländischen Dörfer, die Spritzen von Sassen, Lorschen, Dennhöfen, und arbeiteten fieberhaft. Wenn dann die Strahlen in die Glut zuckten, schüttelten sich die Flammen unmutig und lohten gleich darauf höher empor. Die Comtesse hörte Hassos scharfes Organ, der noch immer zu Pferde rücksichtslos alles zurücktrieb: »Die Wand hier, Kerls! Nur auf mein Kommando hören! Nehmt doch den Grips zusammen, ihr Dennhöfer! . . . Dahin! Wozu mitten in die Glut? Das ist so viel wert, als wenn ein Affe ins Weltmeer spuckt.«

Von Loja hörte sie nichts. Jetzt drängten sich die Massen wieder seitwärts, und sie sah in den weiten Hitzring, den sich die Glut geschaffen. Ein Schaf blökte und rannte wie toll umher . . . ein losgerissenes Pferd mit nachschleifenden Strängen . . .

»Der Wind springt um!« Atemlose Stille. Darauf Geheul, eine wüste Bewegung in den Massen, 162 die sie und den Schimmel mit fortriß bis in Hassos Nähe. Und jetzt fühlte sie auch einen kurzen, kühlen Windstoß, der die Flamme am Giebel umlegte – gerade auf die Insthäuser zu. Das Chaos stürzte fort in die Wohnungen, um zu retten.

Die Comtesse wunderte sich, daß sie so ruhig und klar bleiben konnte in dieser Panik. Ihr war, als wenn der Brand zu ihrem Schicksal gehörte, als wenn in diesem Glutkerne die Entscheidung für ihr ganzes Leben liege.

Was noch Verstand und guten Willen besaß, hatte Natzfeld zusammengenommen. »Laßt die Komurke zusammenbrennen, es ist ja nicht euer Getreide, Leute! Aber das Stück Wand hier müssen wir einweichen wie eine Semmel, denn wenn uns der Brand auf den Pferdestall überspringt, packt er auch die Instwohnungen dahinter, und ihr wißt selber, wie ausgezeichnet die gebaut sind. Also – seid ihr besoffen vor Angst, wie die, so rettet ein paar Betten und laßt den roten Hahn springen, wohin er will, oder ihr seid Kerls und sagt dem roten Halunken: ›Bis hierher und nicht weiter!‹ Wenn der Wind nicht schärfer pfeift, zwingen wir ihn.« Er war vom Pferde gestiegen und stand nur wenige Schritte von der Comtesse. Er bemerkte sie nicht.

Und eine Weile schien ihm Wind und Flamme recht zu geben. Das Feuer hatte sich hier an dem Ende zusammengeduckt, und die Glut fauchte, zischte, stöhnte unter den Wasserströmen, welche sie in eine gelbe Dampfwolke hüllten. »Da hast Kreth!« schrie triumphierend ein dicker Ermländer. Die Spritzen ruhten eine Minute im Gefühle des Erfolges. Und gerade jetzt war's der Comtesse, als strahle die Hitze heißer, stickiger. Sie trat einen Schritt zurück, 163 der Schimmel schnaubte, riß sich los – im selben Moment schoß die gelbe Flamme wieder empor aus krachendem Gebälk, zusammenschurrenden Brettern, wo sie, sich sammelnd, lauernd im Verstecke gelegen.

»Stärker!« befahl Hasso und riß einem Mann den Spritzenschlauch aus der Hand. Seinen Polen rief er einen wilden polnischen Fluch zu. Sie lachten grimmig. »Und ihr Lorscher? Natürlich nur beim Futter die ersten!« Das saß: Polen und Deutsche aufeinandergehetzt! Mit slawischer Verve, mit Geschrei und lautem Fluche stießen die vor. Der Wasserstrahl zuckte, die Eimer flogen. Die andern nahmen's deutscher, finsterer – aber ihre Spritze ward noch von sehnigen Armen mit verbissener Verwünschung bedient, als die Polen schon lange vor der Glut zurückgewichen waren. Bei den Lorschern war doch die bessere Kraft. Die Comtesse empfand es mit Rührung.

Der Lichtkreis des Brandes war weitergeglitten über die Stallungen, Insthäuser hinweg bis zur Rückfront des Schlosses, die sich blendendweiß gegen das Dunkel des Parkes und des Waldes abhob. Auf dem Strohdache des Pferdestalles standen Leute mit geschwungenem Eimer; hie und da schüttelte sich einer die Funken vom Rock. Unten wurden unruhig schnaubende Pferde hinausgeführt, die Gespanne mit Sielen und aufgelegtem Sattel.

Ein Wagen donnerte über das Hofpflaster und teilte rücksichtslos die Menge. Die Comtesse hörte ihn nicht, denn eben brach die aufgeweichte letzte Wand der Scheune zusammen. Flugfeuer überschüttete mit knisternden Funken das Strohdach des Stalles. Die Leute sprangen die Leitern herab. Ueber den First lies behende ein bläuliches Flämmchen, sprang in die 164 Lücken – darauf warf der Wind mit heiserem Geheul brennendes Stroh hinüber. Wasser zischte. Doch ehe die überraschten Gemüter sich ganz ermannt hatten, streckte sich rote Lohe wie ein geschmeidiger Arm hinüber. Das Strohdach stand in Flammen.

»Verflucht!« Hasso v. Natzfeld stampfte mit dem Fuße.

Da vernahm die Comtesse eine bekannte, liebenswürdige Stimme, sah eine bekannte, geschmeidige Figur. »Sie thun ja Wunder, Herr v. Natzfeld,« sagte Arthur. »Schade ist's um die Baracken nicht – alles gut versichert.«

Und Natzfeld antwortete kalt: »Das hätte ich früher wissen müssen, Herr Rittmeister, dann hätte ich einfach die ganze Gesellschaft heimgeschickt.«

Die Comtesse drückte sich auf die Seite. Ihr bangte doch vor dem ersten Wort, dem ersten Blick aus seinen Augen. Dem entging sie leicht inmitten der kopflosen Angst, die sich aller jetzt bemächtigt zu haben schien. Die Spritzen vergaßen das Löschen, die Eimer das Wasserschöpfen. Prinz Lack stand bei seinen Leuten und sah mit kühler Ruhe ins Gewühl. Jetzt war der Gutsherr da – mochte der helfen! Leider bewies sich Maries Bräutigam der Lage nicht gewachsen. Er eilte von Gruppe zu Gruppe, befahl, schalt, bat, besänftigte. Aber die Leute, denen die Habe auf dem Spiele stand, denen die bleiche Angst jeden Standesunterschied verwischte, sahen auf ihn wie auf einen Fremden, drückten sich an ihm vorüber, schrieen, rasten unbekümmert um ihn. Und Marie erkannte es mit Bitterkeit, daß die großen Lagen ihn immer klein finden würden. Im Manöver war er am Platze – aber der Krieg! Und das war der Krieg, der den Mann braucht, 165 nicht die Uniform. Die Comtesse schämte sich für ihre eigne Unthätigkeit dieser weißen, zarten, ungeübten aristokratischen Hände, die nicht anpacken konnten, wo's Ernst ward, dieses engen, eleganten Reitkleides, das – eine Ironie des Schicksals – sie immer in den Augenblicken tragen mußte, wo es, an der Situation gemessen, unpassend, albern war. Da stürzten Männer und Frauen in ihre Insthäuser, keuchten heraus mit Betten, Kartoffelsäcken, armseligem Krämpel, selbst die Kinder schleppten wertlosen Hausrat, und der Hund sprang bellend mit. Sie mußte thatenlos zusehen, vielleicht lächeln über diesen schweißtriefenden Eifer an Sachen, die sich kaum das Tragen lohnten. Im Reitkleid helfen, lächerlich! Drüben ließen die vor Aufregung zittrig gewordenen Hände der Knechte die Gespannpferde los, der Hirt meisterte nicht mehr die blökende Schafherde. Die Pferde stürzten nach dem brennenden Stalle, der Glut zurück, vor Angst toll wie die Menschen. Die Comtesse wollte sagen: »Haltet doch die Zäume fest . . .«

Ein großer Rapphengst stürmte hart an ihr vorüber im Carriere in die Stallthür, aus der Flamme und Rauch schon herausschlugen. Sie dauerte das schöne Tier, dem nicht zu helfen, und sie sah darum schärfer auf den zusammensinkenden Giebel des Daches, in dem die Flammen mit satanischem Knistern wühlten.

War das nicht ein menschlicher Laut, ein unbestimmtes Lallen, das der Hengst nicht ausgestoßen haben konnte?

Und dann verschlang's der Lärm wieder.

»Hu, uh!« War's wirklich ein Mensch, der diesen tierischen Ton ausstieß?

166 »Der Leske! . . . der Leske!« riefen Stimmen.

»Wo?«

»In der Knechtskammer im Pferdestall.«

»Der Leske verbrennt!« Der Ruf pflanzte sich fort in allen Modulationen, gellend, dumpf, heiser.

Jetzt ward's still. Die Stille der Erstarrung, der höchsten Angst, wo der Jammerlaut in der Kehle erstickt. Wie eine unbewegliche Masse zog es sich um den Stalleingang . . . Menschen mit neugierigem und blödem Gesichtsausdruck, Augen, die in Aufregung flimmerten, Mäulern, die vor Angst offenstehen geblieben waren, Hände, die das Retten der eignen Habe vergessen hatten und schlaff herabhingen. Ein Mensch, der lebendig verbrennen muß! Die Comtesse wollte durch die Mauer. Nur irgend etwas thun in dieser schrecklichen Stille, die auch ihr das Blut erstarren machte! Aber die Mauer wich nicht. Das grausige Knistern der Flammen der einzige Laut – und jetzt wieder der Ton, aber noch tierischer, gräßlicher, von einem Wesen, das sich halbtot am Boden wälzt.

Und wieder der entsetzte Aufschrei von denen da draußen wie ein Echo.

Und wieder die Totenstille . . .

Dann vernahm sie ein kurzes Zwiegespräch: »Taugt der Kerl was?« Das war der cynische Hasso. – »Ja . . . nein . . . ein junger Mensch, der sich wahrscheinlich sinnlos betrunken in das Bett gelegt hat, weil er nicht auf den Jahrmarkt durfte.« Das war ganz Arthur: liebenswürdig, lau.

»Nochmals wird er's wohl kaum mehr thun.«

Die Comtesse war empört. Immer derselbe herzlose Bursche, dieser Prinz Lack!

Die Mauer schwankte. Jemand drängte sich durch 167 mit brutaler Schulter und eiserner Faust. Er! Marie fühlte es, wußte es. Jetzt sah sie das häßliche Gesicht mit dem verbissenen, energischen Zuge. Das graue Auge flammte in zorniger Erregung. So liebte sie den Mann, doch mit jener zornigen Liebe, die ihm nie vergab, daß er stärker, daß er sie bezwungen.

»Wo liegt die Kammer,« wandte er sich an die nächsten.

»Links, Herr Baron, aber . . .« Und die Leute sahen zweifelnd auf den Mann und die Thür, aus der milchweißer Rauch quoll.

»Gebt mir den nassen Lappen da als Kopftuch!« befahl er.

Als er ihn wie einen Baschlik um den Kopf wand, trat Natzfeld rasch heran. Gampesch folgte zögernd. »Für wen die Thorheit, lieber Loja? Vielleicht für den Trunkenbold, den Sie doch nicht lebend herausbekommen – oder für Herrn v. Gampesch? Ich hoffe, lieber Freund, ich habe ältere Rechte.«

Gampesch schwieg.

Der Freiherr aber fuhr auf. »Ihr solltet mich besser kennen, Natzfeld! Wenn ein Menschenleben in Gefahr ist, da hält man doch nicht Maulaffen feil, wie ihr alle hier. Geh' ich zum Teufel, dann thu' ich's wenigstens anständig . . . adieu, Hasso.« Er holte noch einmal tief Atem und sprang in den Rauch.

Prinz Lack stürzte nach, ihn zurückzuhalten. Er erreichte ihn nicht mehr, und jetzt vernahm die Comtesse eine Stimme, die ihr bekannt war und doch ganz fremd: »Lassen Sie ihn doch, Herr v. Natzfeld! Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen,« – und eine andre Stimme, auch bekannt und auch ganz fremd: »Kurios, Herr v. Gampesch, daß Sie beide sich geradezu duzen. Wissen Sie, Herr, daß 168 es mein einziger Freund ist, der hier für Ihren Knecht in den Tod geht!« Beiden hatte der Augenblick die Maske vom Gesicht gerissen.

Hasso eilte zurück zu seinen Polen. »Wenn binnen einer Minute der Herr Baron noch nicht zurück ist, dann kommen wir Sasser, ich voran. Ihr sollt's nicht bereuen, Leute!« Er knipste die Kapsel seiner schweren goldenen Uhr gemächlich auf und starrte finster nach dem Zifferblatt.

»Nein, gnädiger Herr,« klang es von der andern Seite zurück, »wenn der Herr Doktor drin ist, dann kommen wir Lorscher zuerst.«

Prinz Lack sah mit hochmütiger Abneigung den Sprecher an, einen wüsten, rußigen Kerl, ein altes Zuchthäuslergesicht mit scharfen Augen, die gut in diese wilde Umgebung paßten. Dann besann er sich schnell. »Bitte, meine Herren von der Garde, feuern Sie zu . . .,« antwortete er mit trockener Ironie.

Das letzte Wort war noch nicht heraus, da stürzte das Strohdach über der Einfahrt prasselnd zusammen.

Die Comtesse taumelte und mußte sich auf eine Wagendeichsel stützen.

Auch Hasso stand eine Sekunde wie betäubt. Dann sprang er vor. »Aexte her!« schrie er heiser. »Wir müssen die Wand durchbrechen bei der Knechtskammer!«

Die Comtesse vermochte sich nicht zu rühren. Aeffte sie ein Fiebertraum? Sie sah wildes Gewirr: wütend geschwungene Aexte auf splitterndem Gebälk, Spaten, die die Lehmwand zerfetzten, eine Eisenstange, die nachstieß. Neben wüsten Polengesichtern mit dicksträhnigem Strohhaar breite, brutale deutsche Bauerngesichter – die schwere Schulter des Ermländers, die zusammengebissenen Zähne eines Lorscher 169 Knechtes, glühende Köpfe, keuchender Atem, haarige Arme.

Und mitten in dem triefenden, leuchtenden Knäuel, den Flugfeuer mit knisterndem Funkenregen überschüttete – Prinz Lack, atemlos, besudelt, den Rock zerrissen, den Schnurrbart versengt, und neben ihm das Zuchthausgesicht, gelbblaß, scheußlich; durch die graue Bartstoppel rann der rußige Schweiß. Aber in beider Augen derselbe wilde, fast tückische Blitz einer brutalen, rasenden Entschlossenheit. Die Lehmwand zitterte, ein Querbalken stöhnte – ein Loch! Dampf quoll heraus, die Brechstange fuhr hinein, ein Stück Fachwerk klatschte zu Boden.

Und wenige Schritte zurück, die Arme verschränkt, mit zu schmalem Spalte geschlossenen Augen stand Arthur v. Gampesch. Er rührte sich nicht, nur die Brust ging schwer. Die Comtesse sah ihn und schauderte. Sie verstand.

Da, ein dumpfer Schrei, Stöhnen – blutende Köpfe fuhren zurück. Der Zuchthäusler sprang zur Seite. Der wilde Knäuel löste sich. Das vermorschte Wagenrad vom Storchnest auf dem Dachfirst war heruntergestürzt mitten unter die Leute. Prinz Lack schwankte, fuhr sich mit der Hand nach dem Kopf. Unter dem schwarzen Haar rieselte Blut. Einen Moment schloß er die Augen. Dann riß er sich zusammen, und die weißen Zähne zusammengepreßt, das grünblaß verfärbte Gesicht zur Grimasse verzerrt, rief er mit heiserem, gurgelndem Ton:

»Krepiert, Hunde – aber auf dem Fleck hier!«

Darauf riß der Zuchthäusler die Eisenstange, die er fallen gelassen, wieder in die Höhe. Eine axtbewehrte Hand hob sich mechanisch . . . Arthur v. Gampesch starrte noch immer in das Mauerloch. 170 Prinz Lack sah sich wild im Kreise um – er sah auch den andern. »Feige Bande . . . ich blute auch« – er riß sich die Jockeymütze vom Kopf –, »aber ich muß ihn lebendig heraushaben, Kerls, – ich muß! – Versteht ihr?«

Und sie verstanden. Er zwang sie wieder heran mit der sprühenden Energie des Augenblicks, die niemand in dem kalten Menschen geahnt. Die Aexte schwirrten, der Lehm bröckelte. Hasso tauchte den Kopf in die qualmerfüllte Oeffnung. »Loja!« Die Antwort ein hohles Gurgeln. Da packte er mit den Händen in die Oeffnung und riß ein Stück Wand heraus.

»So geht's nicht, gnädiger Herr!« knurrte der Zuchthäusler. Aber die andern sprangen jetzt herzu. Bestaubte Aexte, rußige Fäuste fuhren hinein . . . »Do anpacke, Fried! – do!« . . . Brutal gespannte Muskeln, tierisches Stöhnen – die Brechstange bog sich. Klacks! Klacks! – das Lehmfach stürzte mit dumpfem Geräusch heraus. Dicker Rauch beizte die Augen. Hasso sprang in die Oeffnung: »Loja! Loja!« – taumelte betäubt zurück. »Ihr sollt euch in Schnaps baden können!« murmelte er.

Das Zuchthäuslergesicht verzog sich zu breitem Lächeln. »Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, gnädiger Herr! – Weg da, Leute! Ich hole sie . . .« Er verschwand im Rauch.

Der Comtesse tanzten Funken vor den Augen. Sie wollte aufspringen und konnte nicht ein Glied rühren, sie wollte schreien – kein Laut. Sie hatte das Gefühl, als wenn in dem Augenblick in ihrer Seele sich etwas spannte, immer stärker spannte, bis zum Wahnsinn, bis zur Verzweiflung. Dabei sah sie alles klar, scharf, die Gestalten wie Silhouetten: 171 Hassos angstverzerrtes Gesicht, die blutlosen Lippen des Bräutigams, die stumpfen Züge der Leute, den aufwirbelnden Rauch. Und jetzt wirbelte der Rauch stärker aus der Oeffnung. Ein häßlich breiter Stiefel . . . eine schmale, weiße Hand . . . ein lebloses, zusammengekrümmtes Etwas, das ein taumelnder Mann wie einen Pack auf dem Arme trug. Draußen stürzte der Mann zusammen, der Pack rollte auf die Erde – es war Loja. In dem Moment hallte ein heller Schrei durch die Luft, nachzitternd wie bei einer gesprungenen Saite; er kam aus dem Munde der Comtesse. Niemand hörte ihn, niemand sah sie ohnmächtig zusammensinken.

Prinz Lack hatte sich auf den starren Körper des Freiherrn gestürzt, riß das Hemd an der Brust auf. Eine unsichere, verschleierte Stimme fragte: »Tot?« und eine triumphierende antwortete: »Nein, Herr Rittmeister, er lebt!« Die beiden Männer sahen sich an. »Hund!« murmelte Hasso, und sein Auge glänzte hart wie Stahl, Gampesch senkte den Blick und sah in den Rauch.

»Und der Leske? Der Leske?«

Die dumpfe, fast drohende Frage der Leute fand in Hassos Seele keinen Wiederhall. Er kniete bei Loja und spritzte ihm Wasser ins Gesicht. »Nur immer 'rin, Leute – vielleicht langt's!« Aber er drehte sich dabei nicht einmal um. Der verbrennende Knecht interessierte ihn nicht.

Als Comtesse Marie aus ihrer Ohnmacht erwachte, brannte der Pferdestall lichterloh, aber der Wind hatte sich gelegt, und die Insthäuser waren gerettet. Hasso saß wieder zu Pferde. Er hielt mitten auf dem Hofe, schwarz wie ein Teufel, die seidene Jockeymütze hing ihm in versengten Fetzen 172 um den Kopf: nur am vornehmen Pferde erkannte man den vornehmen Reiter.

»Was von Sassen da ist – an die Gespanne!« rief er durch die hohle Hand. Seine Polen gehorchten zögernd. Er schien wieder der kalte, hochmütige Herr – doch wie er jetzt im sausenden Schritte die langsam sich ordnenden Wagen entlang ritt, zitterte in seinem dunkeln Auge etwas von der wilden Erregung der verflossenen Stunde nach. Ein junger Knecht machte sich ungebührlich lang an seinem Sattel zu schaffen. Von den Wagen sah man ihm höhnisch lächelnd zu, andre knurrten, und der junge Pole mit seinem widerwilligen Gesicht gab nur die allgemeine mißmutige Stimmung wieder. Sofort in der Nacht den weiten Weg wieder zurück! Sie hatten auf eine extra große Schnapsration jetzt gleich gehofft.

»In den Sattel!« rief Hasso dem Burschen zu. Und als das gedunsene Gesicht sich zu einem rohen Grinsen verzog, ritt er im Sprunge gegen den Mann. Der duckte sich, die schwere Jagdpeitsche schwirrte. »Gehorchen, Canaille!« Der Knecht stieg leichenblaß in den Bügel – sein Herr hätte ihn um ein Haar niedergeritten. Darauf Totenstille. Die Wagen ratterten im Schritt ab. Auf dem letzten lag der besinnungslose Loja, in Pferdedecken gehüllt, auf Stroh, von Leuten gehalten; Hasso hatte es so gewollt. Er selbst folgte dicht hinterdrein. Prinz Lack sah nicht nach rechts noch nach links. Die Lippe war gekniffen. Er grüßte niemand zum Abschied.

An der Einfahrt des Hofes stand der Zuchthäusler und zog die Mütze. Da ritt Hasso zu ihm heran. »Ihr seid aus Lorschen?«

»Jawohl, gnädiger Herr.«

173 »Wohl noch nicht lang? Euer Gesicht ist mir unbekannt.«

Der Mann faltete die Braue, und die rußgeschwärzten Züge sahen heimtückisch aus. »Nein – ich bin eben aus der Strafanstalt entlassen.«

Hasso nickte. »Ah . . . so . . . Erinnere mich. Es war was mit Sankt Johann – was?«

»Jawohl, gnädiger Herr.«

»Ihr habt Euch brillant benommen, Mann!«

Der Zuchthäusler kratzte sich umständlich in den Haaren. »Das macht Spaß, gnädiger Herr . . . Wenn's so heiß kommt wie heute, da wird mir's ganz rot vor den Augen, und ich könnte wer weiß was thun . . . Aber gerade den Herrn Baron hätte ich auch sonst gern 'rausgeholt . . . Er hat mir ein paarmal auf der Straße angeredet, wie ich ihm grüßte. Und das wohlt unsereinem.«

Als Antwort streckte ihm Hasso die Hand vom Pferd herunter: »Ich danke Ihnen . . . Haben Sie irgend einen Wunsch?« Und als der Mann erst die schwielige Tatze an der Hose abwischen wollte, winkte er lachend ab: »Her mit der Hand, so schmutzig wie sie ist! Meine ist auch schmutzig. Aber ich denke: Der Schmutz entehrt uns beide nicht!«

Leute drängten sich neugierig herzu. Hasso würdigte keinen eines Blickes, sondern trabte rasch seinen Gespannen nach. 174

 


 


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