Johannes Richard zur Megede
Quitt!
Johannes Richard zur Megede

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Achtzehntes Kapitel.

Wieder blinkte traulich der Teich, die weißen Birkenstämme glänzten, und die junge Menschenbrut johlte im kindischen Spiele. Die Comtesse hatte keine Herrengelüste mehr, sie sah nur scheu nach der Seite und war froh, als sie zur Stelle war. Das Insthaus lag hart am Wald, ein altes Haus noch, niedrig, mit spitzem Schindeldach und der unsinnigen Verschwendung von Holz in Sparren und Gebälk, wie's vor Zeiten Brauch. Blinde Schiebfenster, dahinter im Wasserglase blühende Zweige, eine Katze, die zusammengekauert sich sonnte. Auf der ausgetretenen Holzschwelle saß eine alte, taube Frau und beobachtete stumpfsinnig ein angepflöcktes Schwein, das grunzend die Grasnarbe aufriß. Daneben war ein aus Latten unordentlich zusammengeschlagener Hühnerstall und ein Gemüsegarten mit schadhaftem Zaune. Alles sprach von gemütlichem Schmutz: der Geruch von Erde, Winterkohl, vermorschtem Holz lag wie eine stagnierende Schicht darüber, und der Nadelduft vom Walde kämpfte Sommer und Winter ohnmächtig dagegen.

»Die andern Wohnungen sind viel besser,« entschuldigte sich die Comtesse, »das sind Gampeschkeimer Leute, die gerade hier hineinwollten. Sie sind's nicht anders gewöhnt, und der Schmutz zog sie an.«

62 Als sie an der alten Frau mit einem flatternden Huhn vorüber ins Haus traten, da erfaßte Marie ein unsagbares Grauen, als wenn sie über die Schwelle des Todes träte. Die Stube selbst beruhigte sie sofort. Holzscheite flammten im Ofen, ein Wassertopf brodelte, eine dicke Frau wiegte ein schmutziges Bettpaket, aus dem lallende Laute klangen. Die Stube war wie die andern auch, vielleicht ein wenig schmutziger, ein wenig finsterer. Da stand das Himmelbett mit dem rotkarierten Bezuge, der Webstuhl mit seinem Oelgeruch; an der Kalkwand hing die Soldatenmütze über bunten Kalenderbildern, vom Wandregal blinkten Teller. Sie kannte diese Wohnungen von Jugend auf und verabscheute sie nicht, ja, sie erinnerte sich sogar mit Vergnügen eines Kartoffelpuffers, den sie hier als Kind und verbotenerweise verschlungen: er hatte köstlich geschmeckt. Nur der Geruch! Der Geruch von dumpfigen Betten, Kinderwäsche, Resten des Mittags, der ihre verwöhnte Nase von Mal zu Mal mehr empörte. Aber da half ja kein Ermahnen, nicht die größten Fenster, nicht die höchste Decke. Licht, Wärme – nur keine frische Luft! Die hatten sie ja draußen zur Genüge. In dieser dumpfen, unreinen Luft sollten dieselben menschlichen Gefühle wohnen können, wie in ihrem duftenden Boudoir? Liebe, die reine Liebe, die reine Freude? Nein! Für die abgestumpften Sinne dieser Halbmenschen gab's eben nur die dumpfe Brutalität, den Hunger, die trunkene Freude! Loja hatte doch recht – hier war sie überflüssig.

Die dicke Frau war aufgestanden: »Ach, Herr Baron, daß Sie schon wieder kommen! . . . Nee, es geht schlecht mit unserm Kardel, er kennt mir gar nicht mehr! Und die Medizin will er schon gar nicht 63 nehmen. Daß die gnädige Comtesse auch so gut sind! . . . Es ist ja unser einziger Junge; der half dem Vater schon immer so schön im Stall, und übers Jahr hätte er gewiß im Scharwerk arbeiten können . . . ach Gott, ach Gott! Der Schäfer war auch schon da und meinte: ›Den Jungen kriegt ihr nicht wieder auf die Beine.‹ . . . Warum mußte der Bengel auch so ungezogen gegen die gnädige Herrschaft sein? Und die gnädige Herrschaft sind doch so gut! Die Anna hat noch die Puppe von den vorigen Weihnachten – die ist noch wie neu, nur ein bißchen am Ohr ist abgegangen. Und wie sich das Kind damit hat! Die gnädige Comtesse können die Puppe sehen: noch ganz wie neu.«

Marie blieb kalt bei der Erzählung. Das war diese weinerliche, kritiklose Mutterliebe, die feines Empfinden immer abstößt, das war dieser wirre, kleine Ideenkreis, den der Gebildete nicht begreift, das waren diese wie bei Wilden und Kindern wechselnden Stimmungen, diese niedrige Schmeichelei inmitten eines großen, vielleicht fassungslosen Schmerzes. Der Frau rollten die dicken Thränen über die Backen, und sie trocknete sie mit der Hand. Dann lächelte sie wieder linkisch – und dann gluckste sie wieder hinter ihrer blauen, fettigen Schürze.

Ja, wo hörte denn der echte Schmerz auf, wo begann die verschleierte Bettelei um Mitleid und Almosen? Dem gegenüber hatte die Comtesse nicht einmal ein tröstendes Wort, sie reichte nur gleichgültig die Hand zum Kusse.

Aber der Doktor war hier so ganz anders! Nichts von der bissigen Ironie, die er mit Hasso gemein hatte, ganz einfach gab er sich, gemütlich sogar. »Na, Frauchen, Kopf hoch, wir werden ihn schon durchkriegen. 64 Das stirbt sich nicht so rasch! Die Gräfin hier wird die große Güte haben, alle zwei Stunden zu kommen, und Ihnen sagen, was Sie zu thun haben . . . Und nun zum Patienten!«

Sie traten vor das Himmelbett. Aus den lastenden Decken sah ein gedunsener, unschöner Kinderkopf. Klebriger Schweiß lag auf dem blauroten Gesichte und dem feuchten Flachshaare; jetzt öffneten sich ein Paar ausdruckslose graue Augen. Die Frau strich dem Jungen mit der rauhen Hand über die Backen: »Min Söhnke, min Söhnke, erkennst nicht den Herrn Doktor und die gnädige Comtesse?«

Als Antwort krümmte sich der magere Körper, die Lippen murmelten, der Kranke hatte keine Besinnung mehr. Mit einer geschickten Bewegung der schmalen Hand öffnete Loja das grobe Leinenhemd und schob einen Thermometer in die Achselhöhle. Dann fühlte er den Puls. Aengstliche Blicke richteten sich auf ihn und das Kind. »Es ist nicht schlimm,« beruhigte er. Darauf ging die Frau auf Strümpfen weg. Marie sah ihr nach und schüttelte den Kopf. Wie konnte die Mutter jetzt ans Vesper denken? Sie schnitt riesige Scheiben vom Brotlaib, rührte in einem Kochtopfe. »Ich muß meinem Mann das Vesper hinbringen,« entschuldigte sie sich, »wenn die gnädige Comtesse erlauben – ich komme gleich wieder.«

Das war wieder der dumpfe, tierische Instinkt, diese alltägliche Pflicht, die das Gefühl tötet. Der Sohn lag zu Hause auf den Tod, und der Vater auf dem Felde konnte arbeiten, essen! Die Frau war hinausgeschlüpft, Holzpantinen klappten am Fenster vorüber, der Kranke stöhnte auf.

»Wie geht's ihm?« fragte ruhig die Comtesse. Es konnte ja nicht schlimm sein. Die Mutter wäre 65 dann doch nicht gegangen, der gemeine tierische Mutterinstinkt hätte sie gehalten. Loja hielt das Thermometer in der Hand und schüttelte den Kopf. »Vierzig Grad um vier Uhr. Wir bringen ihn kaum durch.« Die Antwort war so unerwartet ernst, daß Marie sprachlos den Arzt, dann den Kranken ansah.

»Kann ich jetzt was helfen?«

»Gewiß, Comtesse, laufen Sie fort nach dem Hofe, nach altem Cognac und frischen Laken. Ich würde selbst gehen, aber der Arzt ist nötiger hier.«

Sie lief davon wie ein Schulmädchen und kam auch gleich atemlos mit einer verstaubten Flasche Louis XIII. zurück. »Das ist das Beste, was es überhaupt giebt, sagte Papa. Geht's jetzt besser?« fragte sie angstvoll.

Loja zuckte die Achseln und hielt ruhig ihren geängstigten, leidenden Blick aus. »Wenn der Alkohol das Fieber zwingt, ja.« Während sie unruhig im Zimmer auf und ab ging, streichelte er die heiße Hand des Kranken, und ein so ungewohnter Ausdruck von Herzensgüte erschien dabei auf seinem energischen Gesichte, daß Marie ihm vieles abbat. »Sehen Sie, Comtesse, zweierlei kann ich nun einmal nicht sehen: Tiere quälen und Kinder sterben.«

Da war's der Comtesse, als wenn graue Schatten über das Zimmer hinsänken und etwas Gespenstisches nahte. »Kann ich denn gar nichts helfen?« fragte sie verzweifelt. »Wenn ich einen Professor aus Kaiserberg holte? Ich schicke sofort einen reitenden Boten nach der Post. Er kann noch mit dem Nachtzuge hier sein.«

»Er würde doch nicht vor morgen kommen. Bis dahin thut eben der Alkohol seine Pflicht oder nicht,« antwortete er ohne Empfindlichkeit.

66 Die Thür knarrte leise, die Frau schlich ins Zimmer.

Ein paar ärztliche Vorschriften, ein paar beruhigende Worte von einer Güte, die Marie dem »Feinde« nie zugetraut – dann gingen sie wieder. »Es ist besser so,« erklärte er draußen. »Man macht die Leute nur ängstlich und kann doch nichts helfen. Meine ärztliche Kunst ist mit den simplen Einwicklungen auf einige Stunden erschöpft.«

Schweigend hatte die Comtesse zugehört, schweigend ging sie neben ihm nach dem Herrenhause. 67

 


 


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