Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Dreiunddreißigstes Kapitel

Der Abend eines dunklen Januartages des Jahres 1873 hatte seine Nebel über den kleinen Park von Camden-House in Chislehurst herabsinken lassen. In dem Salon des verbannten Kaisers Napoleon III. verbreitete eine von der Decke herunterhängende große Lampe ein freundliches, helles Licht. Dieser Salon war ein großer, äußerst wohnlicher, mit englischem Komfort eingerichteter Raum. Unmittelbar neben dem Eingang standen zwei etwas vorspringende Säulen; denselben gegenüber befand sich ein breiter Kamin, in welchem ein knisterndes Feuer brannte. Ausgewählte Kupferstiche und einzelne Ölgemälde hingen an den Wänden, bequeme Schaukelstühle und Polstersessel standen umher, daneben Tische mit Albums, ein großer Schreibtisch in der Mitte nahe dem Kamin: – es herrschte keine fürstliche Pracht in diesem Raum, wohl aber das elegante bien-être eines wohlhabenden Privatmannes, der sich vielfach beschäftigt, viel in seinem Zimmer lebt und mit großem Geschmack und Verständnis seine Wohnstätte zu schmücken und heimisch zu machen versteht.

An der Seite des Zimmers an der langen Wand neben den mit dichten Vorhängen zugezogenen Fenstern saß der Kaiser Napoleon, fast liegend zurückgelehnt auf eine Chaiselongue neben einem ziemlich großen Tisch, auf welchem eine kleine silberne Lampe mit seitwärts befindlichem grünem Lichtschirm stand, so daß der Kaiser imstande war, seine Augen vor dem unmittelbaren Glanz der Flamme zu schützen.

Auf dem Tisch lagen Zeitungen, Journale und eine kleine Karte der nördlichen Küste von Frankreich ausgebreitet.

Der Kaiser blätterte flüchtig in einem der neuesten von Paris gekommenen Journale und lächelte zuweilen mehr gutmütig-spöttisch als bitter, wenn sein Blick auf die heftigen Ausfälle stieß, von welchen die französischen Blätter jener Zeit so häufig angefüllt waren, und welchen das wetterwendische Volk von Frankreich zujubelte, ohne sich erinnern zu wollen oder zu können, daß es selbst den Kaiser zu jenem verhängnisvollen Krieg gedrängt hatte, dessen Ausgang mit dem Kaiserreich auch den Traum von der militärischen Überlegenheit Frankreichs in Europa zerstörte.

Der Kaiser rauchte seine Zigarette, deren Dampf in blauen Wölkchen durch das Zimmer zog. Sein Gesicht hatte jene krankhafte, wachsbleiche Farbe, welche in den letzten Jahren immer mehr bei ihm hervortrat, aber eine gewisse ruhige Heiterkeit lag auf seinen Zügen, freundlich blickten seine Augen, er schien diese stille, behagliche Einsamkeit, in welcher er sich nun schon seit zwei Jahren befand, wie eine Wohltat zu empfinden.

»Wie glücklich«, sagte er, indem er sich vollständig auf der Chaiselongue ausstreckte, »ist ein Privatmann, der sich nach des Lebens Arbeit und Mühe in solche friedliche Stille zurückziehen kann, um nachzudenken über das, was er getan und erlebt, und um sich vorzubereiten, diese Welt zu verlassen, – diese Welt des Kampfes und des Leidens, – und in jene geheimnisvollen Gebiete hinüberzugehen, welche die Hand der Gottheit mit dem undurchdringlichen Schleier verhüllt hat, in denen aber unmöglich so viel Unruhe und Leiden sein kann als hier auf Erden, wenn anders Gott wirklich der Gott der Liebe und Barmherzigkeit ist, wie die Kirche es lehrt. –

»Ich habe Großes getan und Gewaltiges erbaut in meinem Leben,« fuhr er nach einer Pause fort, »mein Werk ist zerstört und zertrümmert vor mir niedergesunken, aber doch,« sagte er stolz und freudig, »habe ich nicht umsonst gelebt, – was ich für mich gewonnen, ist wieder verloren, der Ruhm und die Macht, die ich an meinen Namen geknüpft, sind zusammengesunken, aber das Viele, was ich für mein Volk geschaffen, wird bestehen, und vielleicht werden spätere Generationen mein Andenken segnen, denn ich habe die Quellen reichen Wohlstandes geöffnet für die armen Landbauer, des Volkes besten Teil, – Quellen, die niemals versiegen werden.«

Wieder lag er eine Zeitlang schweigend da und folgte mit dem Blick den bläulichen Wölkchen seiner Zigarette, welche er in zierlichen Ringeln emporblies.

»Wohl hoffte ich,« sprach er dann weiter, indem ein tiefer Seufzer aus seiner Brust aufstieg, »mein Leben nun in Ruhe und Frieden zu beschließen, – aber es soll nicht sein! Meine Getreuen in Frankreich rufen mich, – alles ist vorbereitet, – Herr Thiers und alle diese traurigen Staatskünstler haben zu dem äußeren Unglück eine solche Verwirrung im Innern geschaffen, daß das ganze Volk, das Landvolk vor allem und die Armee, welche trotz der augenblicklichen Erbitterung über ihre Niederlage den Namen Napoleon immer im Herzen trägt, meine Rückkehr mit Freuden begrüßen werden, – ich glaube den Berichten, die man mir gemacht, – denn ich weiß, daß es so ist, daß es so sein muß, – zwanzig Jahre des Wohlstandes, des Glückes und der Größe vergessen sie nicht so leicht. Ich werde nach Paris zurückkehren, wie mein Oheim zurückkehrte, – und vielleicht wird Europa sich freuen, wenn meine Hand wieder die Zügel des gährenden und brausenden Frankreichs ergreift, das ich schon einmal dem Arm der Revolution entriß. Ich werde sie wieder auf mich nehmen müssen, die Last und die Qual der Herrschaft,« sagte er, noch tiefer seufzend, »wahrlich nicht für mich, nicht zu meiner Freude, – aber ich bin es schuldig meinem Lande, – schuldig allen denen, die mich rufen und auf mich hoffen, – schuldig meinem Sohn, – diesem armen Kinde, das«, fuhr er mit einem stolzen Aufleuchten seiner Blicke fort, »eine große, heilige Mission auf seinem Haupte trägt, wie alle, welche seinen Namen führen, – eine Mission, die er erfüllen soll und die vielleicht auch ihm zum Fluche werden wird, wie sie es meinem Oheim und mir geworden.«

Er lag wieder eine Zeitlang in stillem Nachdenken da. Dann öffnete sich schnell die Tür, und ganz schwarz gekleidet, ein einfaches goldenes Kreuz um den Hals, trat die Kaiserin Eugenie herein. Sie war merklich gealtert in den zwei Jahren der Verbannung, ihre schönen und edlen Züge waren strenger und härter geworden, und ihre Bewegungen zeigten nicht mehr jene elastische Anmut, welche ihr früher einen so eigentümlichen Reiz verlieh. Aber ein Ausdruck triumphierender Freude lag auf ihrem Gesicht, dem das Alter seine Linien einzugraben anfing. Aus ihren Augen blitzte Spannung, Mut und Hoffnung zugleich, als sie rasch zu ihrem Gemahl hintrat und demselben einen Brief reichte, den sie in der Hand trug.

»Unser Abgesandter ist von Berlin zurückgekehrt,« sprach sie hastig, »er ist nicht selbst hierher gekommen, sondern in Frankreich zurückgeblieben, um an der Küste die letzten Vorbereitungen zu überwachen. Er sendet Ihnen diesen Brief durch einen sicheren Boten, das ist ein gutes Zeichen, denn hätte er eine ungünstige Meldung zu machen, so wäre er selbst gekommen.«

Der Kaiser richtete sich langsam aus seiner liegenden Stellung empor, nahm mit einem gewissen zögernden Widerstreben den Brief, welchen die Kaiserin ihm reichte, und erbrach dann seufzend das Siegel.

Er las:

»Die deutschen Truppen werden einer Bewegung für die Wiederherstellung des Kaiserreichs gegenüber Gewehr bei Fuß stehen, Deutschland nimmt kein Recht in Anspruch und hat kein Interesse, die französische Nation in der vollkommen freien Wahl ihrer Regierungsform irgendwie zu beschränken, sobald die Grenzen nicht bedroht sind und die Erfüllung der Bedingungen, welche Frankreich im Friedensschluß übernommen hat, gesichert bleiben. – Dies die Antwort, die ich erhalten, doch glaube ich annehmen zu müssen, daß das ›Gewehr bei Fuß stehen‹ eher günstig als ungünstig für uns interpretiert werden wird.« –

»Das ist alles, – aber es ist klar und deutlich,« sagte der Kaiser, als er zu Ende gelesen.

Die Augen der Kaiserin leuchteten auf, ihr Gesicht strahlte vor Freude. Schnell nahm sie das Blatt aus der Hand ihres Gemahls zurück und durchflog noch einmal die Zeilen, welche es enthielt.

»Vortrefflich!« rief sie. »Alles muß gelingen! Wir sind einer großen Anzahl von Generalen und Offizieren sicher, – alle Truppen der Garde werden zunächst zu uns stehen, die übrigen werden mit fortgerissen werden, wie es einst bei der Rückkehr des Kaisers von Elba geschah, und von der anderen Seite decken uns die deutschen Okkupationsarmeen vor jedem Angriff. Oh, wie dieser Augenblick, in dem ich diese treulosen Verräter, diese elenden Schwätzer zu unseren Füßen werde niedergeworfen sehen, mich entschädigen soll für all den Kummer und Gram, den ich schweigend in der Tiefe meines Herzens habe verbergen müssen!«

Und mit einer stolzen, gebieterischen Bewegung streckte sie die Hand aus, als sähe sie bereits wieder Frankreich ihres Winkes gewärtig vor ihr sich neigen, – der Kaiser aber starrte trübe und finster vor sich hin und warf dann einen traurig-wehmütigen Blick auf dieses so behagliche Zimmer, dessen trauliche, heimische Stille er eben noch so wohltätig empfunden hatte.

»Es ist jetzt keine Zeit zu verlieren,« sagte die Kaiserin hastig, »ich habe Corvisart und Conneau sogleich rufen lassen, als der Bote ankam. Wir können ihnen vertrauen, sie sind unsere treuesten Freunde, – Conneau ist ohnehin eingeweiht, – sie sollen Ihren Zustand prüfen, ob Sie fähig sind, die großen körperlichen Anstrengungen zu ertragen, welche nicht zu vermeiden sein werden.«

Verwundert blickte der Kaiser zu seiner Gemahlin auf.

»Ich habe den Feldzug von 1870 ertragen,« sagte er ruhig, »nach einer langen Zeit heftiger Aufregung, – jetzt habe ich mich in einer zweijährigen Ruhe erholt und gestärkt, ich werde ertragen, was ertragen werden muß.«

Der Kammerdiener öffnete die Tür und meldete den Doktor Corvisart und den Doktor Conneau.

Schnell trat die Kaiserin den Ärzten entgegen, und mit flüchtig eiligem Gruß ihre tiefe Verbeugung erwidernd, führte sie dieselben vor die Chaiselongue des Kaisers, der dem Doktor Conneau freundlich die Hand entgegenstreckte und Corvisart verbindlich und herzlich zunickte.

»Meine Herren,« rief die Kaiserin lebhaft, »Sie sind beide treue Freunde und mit dem Schicksal unseres Hauses in guten und in bösen Tagen unwandelbar verbunden gewesen. Unser Stern erhebt sich wieder am Himmel, alles ist bereit, um den kaiserlichen Thron, den jene Elenden in Paris im Augenblick eines nationalen Unglücks umgestürzt haben, wieder aufzurichten. Ein Schiff liegt in einem englischen Hafen bereit, um den Kaiser über den Kanal zu führen. Unsere Freunde erwarten uns an der französischen Küste, unsere Anhänger in ganz Frankreich bedürfen nur des Winkes, um von allen Seiten zusammenzuströmen und in allen Städten und Flecken die republikanischen Beamten, soweit sie nicht auch im stillen unsere Anhänger sind, zu vertreiben. Mit einem Zauberschlag wird das Kaiserreich wieder dastehen, und im Triumph wird der Kaiser wieder in Paris einziehen.«

Ihre strahlenden Blicke ruhten auf den beiden Ärzten, sie schien zu erwarten, daß diese ihre Freude teilen würden, aber Doktor Corvisart blickte trübe zu Boden, und Doktor Conneau sah traurig auf die zusammengesunkene Gestalt des Kaisers, der sich auf die Seitenlehne der Chaiselongue stützte und die langen Spitzen seines Schnurrbarts durch die Finger gleiten ließ.

»Nun,« rief die Kaiserin, »Sie teilen nicht mein Vertrauen und meinen Glauben, meine Herren, – fürchten Sie wirklich, daß Frankreich sich von seinem Kaiser abwenden könnte, der es so reich, so glücklich gemacht hat?«

»Ich bin gewiß, Madame,« erwiderte Doktor Conneau, »daß mindestens drei Vierteile des französischen Volkes den Kaiser jubelnd begrüßen würden, wenn Seine Majestät den französischen Boden wieder beträte, – aber«, sagte er zögernd, »der Kaiser ist angegriffen, die Fahrt zu Schiff, – der Kaiser wird zu Pferd steigen müssen, – das alles wird große Anstrengung verursachen –«

»Und ich glaube,« fiel Doktor Corvisart ein, »daß Seine Majestät das alles in seinem gegenwärtigen Zustand nicht wird ertragen können.«

»Was, meine Herren,« rief die Kaiserin, »was muß geschehen, um dem Kaiser die Kraft zu geben, das alles zu überwinden und seinen Thron wieder besteigen zu können?«

Napoleon warf einen langen Blick mit einem eigentümlich schmerzlichen Ausdruck auf die beiden Ärzte, – dann stützte er den Kopf in die Hand und erwartete schweigend ihre Antwort.

»Wir haben«, sprach Doktor Conneau nach einer kleinen Pause, »bereits mehrfach und zwar in völliger Übereinstimmung mit dem Doktor Thompson und dem Doktor Claver Seine Majestät darauf aufmerksam gemacht, daß sein Zustand mit dringender Notwendigkeit eine Operation erfordert, von welcher wir fest überzeugt sind, daß sie gefahrlos verlaufen und Seine Majestät vollständig von allen Schmerzen befreien wird. Nach einer solchen Operation, welche in dem bestimmt vorauszusetzenden günstigen Fall nicht lange Zeit in Anspruch nehmen kann, wird Seine Majestät imstande sein, alle körperlichen Anstrengungen auszuhalten, und auch die durch die langen Schmerzen tief angegriffenen Nerven werden ihre alte Elastizität wieder erhalten.«

Der Kaiser erhob den Kopf und richtete einen fragenden Blick auf Doktor Corvisart.

»Ich bin ganz derselben Ansicht, Sire,« erwiderte dieser, »und würde es nicht verantworten können, Eurer Majestät zu gestatten, daß Sie ohne vorhergehende Operation, deren glücklichen Ausgang ich ebenfalls für zweifellos halte, sich großen körperlichen und geistigen Anstrengungen aussetzen.«

»Nun, meine Herren,« sagte der Kaiser, nachdem die beiden Ärzte gesprochen, »Sie haben mir Ihre wissenschaftliche Ansicht gesagt, und ich bin weit entfernt, dieselbe vom wissenschaftlichen Standpunkt aus bestreiten zu wollen, – aber«, fuhr er fort, »Sie haben mit einer Sache nicht gerechnet, welche ich besser kennen und verstehen muß als Sie, – mit dem geheimnisvollen Lebensfluidum, welches die Nervensubstanz durchdringt und den Willen und die Kraft des Handelns erzeugt. Ich zweifle nicht, daß die Operation, die Sie mit mir vornehmen wollen, mechanisch von glücklichem Erfolg sein wird, aber ich weiß gewiß, daß ich sie nicht überleben werde, weil jenes Lebensfluidum in mir nicht mehr die Kraft hat, eine solche Anspannung konzentrierter Schmerzen zu ertragen. Wenn ich in meinem jetzigen Zustand die Reise und alle damit verbundenen Anstrengungen unternehme, so weiß ich, daß ich sie ertragen und überwinden werde, – die Operation, – das weiß ich ebenso gewiß, – werde ich nicht aushalten, und mag sie noch so glücklich verlaufen, so wird doch meine Nervenkraft zusammenbrechen. Lassen Sie mich deshalb immer so, wie ich bin, die Sache wagen.«

»Wir glauben nicht, daß es möglich ist, Sire,« erwiderte Doktor Corvisart, – »die Schmerzen der Operation werden nicht so groß sein, und die nach derselben eintretende Ruhe wird sie bald vergessen lassen.«

Napoleon schüttelte den Kopf.

»Ich werde sie nicht überleben,« sagte er mit dem Ausdruck tiefer Überzeugung.

Die Kaiserin trat mit dem Fuß auf den Boden, ihre Augen funkelten, eine dunkle Röte überzog ihr bleiches Gesicht.

»Wie,« rief sie heftig, »Sie wollen die Operation, welche diese Herren für notwendig halten, verweigern? Sie wollen die Wiederaufrichtung Ihres Thrones, die Zukunft Ihres Sohnes aufopfern der Scheu vor einem kurzen, vorübergehenden Schmerz –«

»Der mich töten wird,« fiel der Kaiser ruhig und sanft ein.

»Diese Herren,« rief die Kaiserin, »verbürgen sich für den Erfolg und bestätigen, daß Sie ohne jene Operation die Anstrengungen nicht ertragen können, – wollen Sie denn durchaus ein klägliches Ende der so kühnen und großen Unternehmung herbeiführen? Soll der Kaiser, für den das ganze Volk sich erheben wird, für den seine Getreuen jeder Gefahr trotzen, im entscheidenden Augenblick zusammenbrechen und unter dem Hohngelächter seiner Feinde und ganz Europas vor den Stufen seines wiedererstandenen Thrones kraftlos niederstürzen? Soll man einst sagen, daß mein armes Kind als Verbannter Europa durchirrt, weil sein Vater zu feig war –«

Die matten Augen des Kaisers öffneten sich groß und weit, ein dunkles Feuer glühte in denselben auf, Kraft und Entschlossenheit spannte einen Augenblick seine schlaffen Züge. Er sprang schnell auf und sprach, die Hand gegen die Kaiserin ausstreckend:

»Halten Sie ein, Madame, das Wort, welches Sie aussprachen, sollte niemals aus den Lippen einer Kaiserin von Frankreich hervorgehen, – und den Vorwurf, den Sie andeuteten, soll die Nachwelt und mein Sohn mir niemals machen!

»Sie halten die Operation für nötig, meine Herren« fuhr er fort, mit würdevoller Hoheit sich zu den Ärzten wendend, während die Kaiserin verlegen zu Boden blickte, »Sie sollen sie vornehmen, benachrichtigen Sie den Doktor Thompson und den Doktor Claver, – morgen vormittag werden Sie mich bereit finden, – jetzt lassen Sie mich allein, ich bedarf der Ruhe.«

Tieferschüttert verneigten sich die beiden Ärzte und verließen das Zimmer.

»Ich war zu heftig,« sagte die Kaiserin, »mein Gefühl riß mich hin, verzeihen Sie mir, Louis.«

Sie trat zu dem Kaiser heran und reichte ihm die Hand.

»Ich verzeihe alles,« erwiderte Napoleon, indem er sanft ihre Hand drückte, »und werde in meiner letzten Stunde nur an die heiteren und lichten Augenblicke denken, welche Sie meinem Leben gebracht haben.«

»Welche Gedanken!« rief die Kaiserin, erschreckt über den tiefernsten Ton der Worte ihres Gemahls, – »verbannen Sie solche trüben Vorstellungen, die Ärzte bürgen für einen guten Ausgang.«

»Mögen sie recht haben!« sagte Napoleon leise. »Doch,« fügte er hinzu, »lassen Sie mich, ich bedarf dringend der Ruhe, um meine Kräfte zu sammeln.«

Die Kaiserin beugte sich in unwillkürlicher Bewegung auf seine Hand nieder und berührte dieselbe mit den Lippen. Dann wandte sie sich schnell zur Tür und ging hinaus.

»So soll es denn zu Ende sein,« sagte der Kaiser, indem er ihr sinnend nachblickte, – »vielleicht ist es besser so, – besser, daß mir das letzte Auftreten auf der wechselvollen und undankbaren Bühne des Lebens erspart bleibt.«

Er zündete sich ruhig eine neue Zigarette an, legte sich bequem und behaglich in seine Chaiselongue nieder und blieb dort, tief in Gedanken versunken, länger als eine Stunde liegen, bis er endlich, später als gewöhnlich, die Glocke bewegte, um sich in sein neben dem Salon liegendes, äußerst einfach eingerichtetes Schlafzimmer zu begeben.

*

Die Operation wurde vorgenommen. Doktor Conneau und Doktor Corvisart, sowie die beiden englischen Ärzte des Kaisers, Sir Thompson und Doktor Claver, boten ihre ganze Geschicklichkeit auf und alles verlief, wie die Ärzte vorhergesagt hatten, vollkommen normal und glücklich.

Nach einer Stunde schon konnte Doktor Conneau der ungeduldig harrenden Kaiserin den glücklichen Verlauf anzeigen, – der Kaiser verlangte Tee und verfiel in einen ruhigen Schlaf, aus welchem er nur von Zeit zu Zeit erwachte, um einige freundliche Worte an die Kaiserin und seine Umgebung zu richten und dann sofort wieder einzuschlafen.

Man ließ ihm einen Tag Ruhe, und am 9. Januar morgens sollte noch eine zweite, kleinere Operation vorgenommen werden, um die ganze Sache zu beenden, welcher dann ein schneller Heilungsprozeß und die Genesung folgen würde. Während der Nacht, welche dem 9. Januar vorherging, traten die Ärzte abwechselnd jede Stunde an das Bett des Kaisers, sie fanden ihn in einem tiefen, ruhigen und regelmäßigen Schlaf, aus welchem er gegen zehn Uhr morgens erwachte. Er gab ohne ein Zeichen von Leiden oder Schmerz seine Einwilligung zu der letzten Operation, welche auf zwölf Uhr festgesetzt wurde. Dann sank er wieder in einen leichten und ruhigen Schlummer.

Doktor Conneau blieb an seinem Bett, während die übrigen Ärzte ihre Vorbereitungen trafen.

Plötzlich trat Doktor Conneau mit verstörter Miene in den Salon.

»Der Puls des Kaisers steht still! Der Herzschlag hört auf! Kommen Sie, meine Herren, es ist das Schlimmste zu befürchten!« rief er.

Die Arzte eilten an das Krankenbett.

Mit stillem, freundlichem und ruhigem Gesichtsausdruck, die Augen geschlossen, lag Napoleon da.

Doktor Thompson trat heran, ergriff den Puls und zog seine Uhr. Nach einer Minute legte er die Hand auf das Herz des Kranken, dann trat er ernst vom Bett zurück und sprach tief bewegt:

»Es ist vorbei, die letzte Lebenskraft ist erloschen, die Maschine steht still.«

Man eilte zur Kaiserin, man sandte Boten nach dem kaiserlichen Prinzen und nach dem Abbé Chodard, dem katholischen Pfarrer von Chislehurst.

Der Kaiser lag unbeweglich da, – ein stilles, freundliches Lächeln auf den Lippen. Immer starrer wurde sein Gesicht, immer schwerer seine Atemzüge. Man flößte ihm einige Tropfen ein, – der Zustand blieb derselbe.

Mit dem Ausdruck der Verzweiflung trat die Kaiserin in das Zimmer, in starrem, dumpfem Schmerz rang sie beim Anblick ihres Gemahls die Hände, dann sank sie neben dem Bett nieder, ergriff seine Hand und flüsterte leise:

»Verzeihung, – oh mein Gott, – ich bin schuld daran! –«

Bald erschien der Abbé Chodard mit den Sterbesakramenten; ein Chorknabe mit einem kleinen Kessel voll Weihwasser und zwei barmherzige Schwestern folgten ihm.

Die Kaiserin stand auf, legte ihren Arm um die Schulter Napoleons und richtete seinen Kopf etwas empor.

Der Herzog von Bassano und der Graf Davilliers, die beiden diensttuenden Kammerherren, traten ein und stellten sich neben das Fußende des Bettes.

Unter tiefer, lautloser Stille, welche den Herzschlag der im Zimmer Anwesenden vernehmbar machte, vollzog der Abbé Chodard die Sterbesakramente. Als die Hostie die leblosen Lippen des Kaisers berührte, öffneten sich seine Augen weit, noch einmal trat das Licht des Lebens in seinen Blick, ein eigentümlich inniger, weicher Glanz strahlte aus den weit ausgedehnten Pupillen hervor, – dann erstarrten dieselben, – und diese Augen, welche so oft die Lösung der irdischen Rätsel in der Sternenschrift des Himmels gesucht hatten, brachen für immer.

Die Kaiserin ließ das Haupt ihres Gemahls in die Kissen zurücksinken. Doktor Conneau trat heran, hob leise die Augenlider empor, hauchte dann sanft über dieselben hin und drückte sie nieder.

»Der Kaiser ist tot,« sagte er mit dumpfer, feierlicher Stimme.

Schluchzend sank die Kaiserin neben dem Bett in die Knie nieder, alle Anwesenden falteten die Hände zu stillem Gebet, der Abbé Chodard besprengte die Leiche mit Weihwasser, stellte dann einen frischen Buchsbaumzweig in den Kessel und kniete darauf, das Haupt auf die gefalteten Hände gebeugt, am Kopfende des Bettes nieder.

Mehrere Minuten vergingen in tiefer Stille. Da hörte man außerhalb einen Wagen heranrollen, und unmittelbar darauf trat, bleich und atemlos, in der Uniform der Militärzöglinge von Woolwich, der kaiserliche Prinz in das Zimmer. Ein Blick auf die Gruppe der Anwesenden, auf das starre Antlitz des Kaisers zeigte ihm, daß alles vorüber sei. Mit lautem Aufschrei sank er neben dem Abbé Chodard auf die Knie nieder, ergriff die kalte Hand seines Vaters und drückte sie unter krampfhaftem Schluchzen an seine Lippen.

Nach einigen Augenblicken erhob sich die Kaiserin, sie ergriff den Arm ihres Sohnes, zog ihn sanft zu sich empor und drückte einen Kuß auf seine Stirn.

»An dir, mein Sohn,« sagte sie, »ist es jetzt, anzuordnen, was geschehen soll, denn du bist nun das Haupt der Familie.«

Der Prinz schlang den Arm um ihren Hals, verbarg sein Gesicht an ihrer Brust und rief mit erstickter Stimme:

»Meine Mutter!«

Dann richtete er sich wieder empor, zwang sich gewaltsam zu ruhiger Fassung und reichte der Kaiserin den Arm, um sie in den Nebensalon zu führen.

Der Herzog von Bassano folgte, und sich tief vor dem Prinzen verneigend, sagte er mit leiser Stimme:

»Es lebe der Kaiser!«

Der Prinz sah ihn groß an, schüttelte traurig den Kopf und antwortete:

»Der Kaiser ist tot, und ich weiß, daß sein letzter Gedanke war: Es lebe Frankreich!«

Er fühlte die Kaiserin hinaus.

*

Der Vorhang ist niedergesunken vor dem Leben dieses so viel bewunderten und so viel verwünschten Mannes mit der rätselhaften Seele und dem geheimnisvoll arbeitenden Geist, – er steht vor Gott, der die guten und die bösen Taten gegeneinander abwägt, der aber in die Schale der guten das schwere Gewicht seiner Gnade und seiner Barmherzigkeit sinken läßt –

Sein ist das Gericht!


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