Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Achtes Kapitel

Vor dem Eingang des Schlosses von Corny stand eine Gruppe von jungen Offizieren verschiedener Waffen in lebhaftem Gespräch zusammen.

Es waren Nachrichten von den Ausfällen der Pariser Besatzung, von Gefechten, welche unter den Wällen der befestigten Riesenstadt stattgefunden hatten, hierher gedrungen, und allgemein war die Spannung, mit der man den nächsten Ereignissen entgegensah.

Die ganze augenblickliche Lage beruhte auf drei festen Plätzen, Paris, Metz und Straßburg. Während bisher die ganze Aktion in offenen Schlachten im freien Feld bestanden hatte, kam es jetzt darauf an, mit zäher Beharrlichkeit diese drei Belagerungen durchzuführen und zum guten Ende zu bringen, wenn nicht die bisher erzielten Erfolge wieder in Frage gestellt werden sollten. Gelang es den Feinden, namentlich bei Paris und bei Metz, auf irgendeinem Punkt den eisernen Ring zu durchbrechen, der sie einschloß, so wurde die Lage der deutschen Armee bei dem Hereinbrechen des Winters und bei der schon jetzt zuweilen hervortretenden Schwierigkeit, die Verpflegungsmittel von Deutschland heranzuziehen, eine sehr bedenkliche, und deshalb fühlten Offiziere und Mannschaften die Notwendigkeit, auch in dieser neuen Art der Kriegführung mit der höchsten Aufopferung ihre Pflicht zu tun, um den vollen Preis der bisherigen Siege zu erringen.

»Man sollte wahrlich denken,« rief ein junger Ulanenoffizier, »daß der Krieg zu Ende wäre, wenn man eine Reihe großer Schlachten gewonnen und den feindlichen Kaiser gefangen genommen hat, und nun fängt die Geschichte erst recht an, wir liegen hier vor den langweiligen Wällen, wo für eine ordentliche Kavallerie gar nichts zu tun ist, und man muß in steter Besorgnis sein, hinter einem Busch hervor von einem hinterlistigen Franktireur erschossen zu werden, was doch wahrhaftig die nichtswürdigste Todesart ist, die sich ein ordentlicher Soldat nur denken kann. Wahrhaftig,« rief er, den Säbel aus der Scheide ziehend und klirrend wieder niederstoßend, »wenn wir dies Paris erst wieder haben, müßte man ein Beispiel statuieren und diese übermütige Stadt, die sich herausnimmt, auf eigene Hand den Krieg weiterführen zu wollen, der Erde gleichmachen.«

»Dagegen würde ich nichts erinnern,« erwiderte ein Artillerieoffizier mit einem langen Vollbart, »und ich würde mit besonderem Vergnügen aus meinem Geschütz einige glühende Kugeln in dies Babylon werfen, das sie jetzt ihr heiliges Paris nennen, als ob diese Stadt, von der jederzeit der meiste Unfug in der Welt ausgegangen ist, etwas anderes wäre als alle anderen Städte. Was übrigens die jetzige Kriegführung betrifft,« fuhr er lächelnd fort, »so wird die leichte Kavallerie bei derselben nicht überflüssig sein. Sie haben angefangen, ein neues Luftkorps zu arrangieren, gestern ist schon ein solcher Ballon abgefaßt worden. Es wird ein Feld sein, auf welchem sich die Schnelligkeit und Allgegenwart der Ulanen im schönsten Licht zeigen kann.«

»Das wird besorgt werden,« sagte der Ulanenoffizier kaltblütig, – »ein richtiger leichter Kavallerist ist auf alle Elemente zugeritten, – ich habe auf der Schule schon in der Mythologie gelernt, daß Kastor und Pollux die Harpyen einfingen, die auch durch die Luft herangeflogen kamen, – und Kastor und Pollux waren altgrichische leichte Kavalleristen, wie man deutlich aus ihren Bildern sehen kann, –wenn sie also die Harpyen singen und hatten nicht einmal Lanzen dazu, – warum sollten wir nicht die Luftballons fangen?«

Er drehte den kleinen, zierlichen Schnurrbart und blickte forschend zum Himmel auf, als bedürfe es nur der Erscheinung eines feindlichen Ballons, um die Überlegenheit eines preußischen Ulanen über die leichtberittenen Dioskuren tatsächlich zu beweisen.

»Es ist wieder ein großer Zug mit Liebesgaben angekommen,« bemerkte ein Infanterieoffizier, – »es ist in der Tat sehr hübsch, daß unsere Landsleute dort hinten an uns denken, zuweilen beginnt es hier doch knapp zu werden, und da tun die Sendungen von Hause recht wohl, namentlich die wollenen Decken, – wenn man nur die Zigarren nicht rauchen sollte –«

»Ich habe neulich eine Liebeszigarre geraucht,« rief der Minenoffizier, – »und sie hat mir vortrefflich geschmeckt, es war freilich ein toller Sturm, und der einzige trockene Fleck war der Sattel, auf dem man saß, – da haben es die Herren Johanniter besser,« sagte er, indem er sich zu einem schlanken jungen Mann wendete, der die Johanniteruniform mit einer gewissen leichten Eleganz trug und grüßend zu der Gruppe der Offiziere trat, – »bei Ihnen ist Küche und Keller immer gefüllt, und in Ihren Etuis stecken keine Liebeszigarren, – nicht wahr, Baron Rantow?«

Der Baron von Rantow war etwa dreiundzwanzig Jahre alt, sein hübsches, ungemein vornehmes Gesicht war von frischer Farbe, seine hellen, klaren Augen blickten etwas hochmütig und selbstbewußt von oben herab, und dieser stolze, gleichgültige Blick hätte abstoßend berühren können, wenn nicht ein wohlwollend gutmütiges und freundliches Lächeln, das auf seinen Lippen lag, dem Ausdruck seines Gesichts etwas Sympathisches gegeben hätte. Ein leicht gekräuselter, kurzer, blonder Vollbart verlieh diesem etwas weichen, fast weiblichen Gesicht den Charakter der Männlichkeit und machte den jungen Johanniter zu einem wirklich schönen Mann.

»Nun, Herr von Waldenberg,« sagte der Baron von Rantow, auf die Bemerkung des Ulanenoffiziers erwidernd, – so vortrefflich, wie Sie glauben, ist es mit unserer materiellen Existenz nicht bestellt, wenn wir auch allerdings wohl weniger Entbehrungen zu tragen haben als die Herren Offiziere, – dafür aber,« fuhr er mit ernstem Ton fort, – »dafür haben wir auch täglich die Kehrseite des Krieges vor Augen, – die schweren Leiden der armen Kranken und Verwundeten, die den frischen, fröhlichen Krieg mit langen Qualen, oft mit gebrochener Existenz bezahlen, – o – ich versichere Sie, meine Herren, – mir wäre oft wohl, wenn ich mit Ihnen hinausziehen könnte in den Kampf und die Entbehrung, statt Zeuge all des Jammers und Leidens zu sein, das sich hier vor unseren Augen abrollt –«

»Und das zu lindern wahrlich ein schöner Beruf ist!« rief der Artillerieoffizier, indem er Herrn von Rantows Hand ergriff und sie kräftig drückte.

Der junge Johanniter zog eine große Zigarrentasche von englischem Lederfabrikat hervor und sprach scherzend zu dem Ulanenoffizier, der ganz ernst geworden war:

»In diesem Punkt, Herr von Waldenberg, bin ich allerdings gut versehen, und ich bitte Sie, meinen Vorrat etwas zu erleichtern.«

Er präsentierte seine Tasche ihm und den anderen Herren, welche dankend die vortrefflichen Havannazigarren annahmen und bald freudig deren duftige Rauchwolken in die klare Morgenluft aufsteigen ließen.

»Da kommt ein ausgezeichneter Berliner,« rief der Ulanenoffizier, indem er nach der Tür des Schloßhofes hinblickte, – »ein vortrefflicher Herr, der einen großen Zug Liebesgaben hierher gebracht hat, – er ladet jeden Offizier, dem er begegnet, zum Diner ein, – in Berlin natürlich, – was ein wenig weitaussehend ist –«

»Und ein merkwürdiges Exemplar von Schlachtenbummler hat er mitgebracht,« fiel der Artillerieoffizier ein, – »einen Berichterstatter, der aber nicht, wie seine übrigen Kollegen, hinausgeht zu den Vorposten oder wo geschossen und gefochten wird, sondern der hier überall herumläuft und nach allen möglichen und unmöglichen Dingen fragt, – da sind sie –«

Der Baron von Rantow hatte sich langsam nach der Richtung des Schlosses hingewendet, – er sah den Kommerzienrat Cohnheim und den Redakteur Meierfeld herankommen, – eine dunkle Röte überzog sein Gesicht, er machte, wie unwillkürlich, eine schnelle Bewegung, als wolle er sich abwenden, – aber schon war der kleine Kommerzienrat mit schnellen, eiligen Schritten dicht neben der Gruppe; langsam folgte ihm der Redakteur Meierfeld, der sich ein wenig erholt und ein wenig Toilette gemacht hatte, obwohl auf seiner ganzen Erscheinung jener eigentümliche, puderähnliche Mehltau der Studierstube lag, der so manchen Priestern der auf Dampfesflügeln über die Welt hinfliegenden und verfliegenden öffentlichen Meinung anzuhaften scheint, wie der Flügelstaub dem Nachtfalter, der blöden und geblendeten Auges in das Licht fliegt und verbrennt.

Der kleine Kommerzienrat strahlte vor Stolz und Glück, seine Halsbinde war von untadelhafter Frische, – ein kleiner fremdländischer Orden hing am bunten Bande aus dem Knopfloch seines Frackes hervor, und seine kleinen, scharfen Augen funkelten noch heller als die Brillantnadel, welche den Battist seines Busenstreifens zusammenhielt.

Er hob sich etwas auf den Zehen empor, legte seinen Arm in den des Johanniters, grüßte die übrigen Herren mit einer selbstgewissen Vertraulichkeit und sagte mit einer Stimme, der man trotz seiner Mühe, ruhig und gleichgültig zu sprechen, die innere Erregung anhörte:

»Ich komme vom Prinzen, lieber Baron, – Seine königliche Hoheit war unendlich gnädig, unendlich liebenswürdig, – Seine königliche Hoheit hatte die Gnade zu bemerken, daß alle Liebesgaben zur Erquickung unserer ausgezeichneten Soldaten sehr nützlich und dankenswert seien und – lieber Doktor,« unterbrach er sich, indem er sich zu dem inzwischen herangetretenen Redakteur Meierfeld wendete, der die Offiziere mit einer gewissen scheuen und steifen Höflichkeit begrüßt hatte und seine Blicke nach allen Seiten verwundert und neugierig umherschweifen ließ, – »lieber Doktor, – Sie haben doch alles notiert, was Seine königliche Hoheit sagte, – es wird unseren Verein in Berlin, der so eifrig in seiner patriotischen Tätigkeit ist, interessieren, daß der Prinz so anerkennend sich über unsere Gaben aussprach.«

»Ich werde morgen den Bericht absenden,« sprach Herr Meierfeld, indem er die Offiziere mit wichtiger Miene von der Seite ansah, – »alle Zeitungen von Bedeutung werden ihn bringen –«

»Und denken Sie sich, lieber Baron,« fiel der Kommerzienrat ein, – »Seine königliche Hoheit kannte meinen Namen, – ein Herr, der so viel zu denken hat, – er erinnerte sich, schon in Berlin von mir gehört zu haben, – Sie wissen, Meierfeld –«

»Ich habe alles notiert, Herr Kommerzienrat,« bestätigte der Redakteur.

»Aber ich bitte Sie, lieber Baron,« sprach der Kommerzienrat eifrig weiter, – »ich bitte Sie, mich den Herren vorzustellen.«

Der Baron von Rantow erfüllte diese Bitte, und der kleine Kommerzienrat lud die Herren auf das dringendste ein, ihn in Berlin zu besuchen.

Dann ging er, nach allen Seiten grüßend, mit dem Baron Rantow, der mit einer kaum verhehlten peinlichen Ungeduld der Unterhaltung ein Ende zu machen suchte, auf dem Wege nach dem Dorfe hin.

»Ein lebhafter alter Herr,« sagte der Artillerieoffizier, – »er scheint mit dem Johanniter sehr vertraut zu sein –«

»Es ist sein künftiger Schwiegervater,« erwiderte der Ulanenoffizier.

»Der Schwiegervater dieses hochvornehmen Barons von Rantow?« fragte der andere verwundert, – »dann ist er wohl sehr reich?«

»Das ist er, – aber das kann allein der Grund nicht sein, – die Rantows haben selbst große Besitzungen –«

»Was bedeutet das?« fragte Herr Meierfeld, nach einem fern herüber dröhnenden Kanonenschuß hinhorchend.

»Ein Signal vom Fort St. Quentin,« sagte der Ulanenoffizier, – »vielleicht will der Marschall Bazaine einen Luftballon steigen lassen, ich muß ein wenig nachsehen, – wir könnten zu tun bekommen, um ihn zu fangen.«

»Den Luftballon zu fangen?« fragte Herr Meierfeld ganz erstaunt, – »womit?«

Der Ulanenoffizier sah ihn einen Augenblick groß an.

»Nun,« sagte er, den Schnurrbart streichend, – natürlich mit der Lanze! Kommen Sie, Doktor,« fuhr er fort, indem er den Arm des Redakteurs ergriff und denselben langsam längs des Schloßparks zu dem Abhang über dem Moseltal hinführte, – »kommen Sie, ich werde Ihnen das erklären.«

Lebhaft sprechend ging er mit Herrn Meierfeld weiter, der von Zeit zu Zeit sein Notizbuch hervorzog und eifrig einzelne der Bemerkungen und Erklärungen des jungen Kavalleristen aufzeichnete, um sie für seine »Berichte eines Augenzeugen vom Kriegsschauplatz« verwenden zu können.

Der Baron von Rantow war mit dem Kommerzienrat auf der Straße nach dem Dorfe weitergegangen und hatte nur einsilbig und finster auf die vielen, von lebhaften Gestikulationen begleiteten Worte des redseligen und von seinem Empfang bei dem Prinzen ganz berauschten alten Herrn geantwortet. Er fühlte einen peinlichen Mißklang in seinem Innern, er empfand drückend seine Beziehungen zu diesem Mann der Börse, dessen Tochter er zur Gefährtin seines Lebens erwählt hatte und bei dessen Worten und Benehmen sich die Lippen seiner Standesgenossen zu einem, wenn auch gutmütigen, spöttischen Lächeln kräuselten, und aus dem tiefsten Grund seiner Gedanken tauchte die Frage auf, ob er die schöne Tochter des Herrn Cohnheim wohl eigentlich so liebe, daß dies Gefühl ihm Ersatz bieten könnte für die Verletzungen seines aristokratisch exklusiven Stolzes, wie er sie jetzt empfand und wie sie ihm vielleicht während einer langen Zukunft bevorstanden. Er war vor einigen Tagen von Sedan hierher nach Corny zum Johanniterkommando gekommen, und mit leisem Bedauern dachte er daran, wieviel besser es gewesen wäre, wenn er noch dort und ihm dieses Zusammentreffen hier erspart geblieben wäre.

Der glückliche Kommerzienrat hatte keine Ahnung von den stillen Gedanken des Barons, – es ist ja eine segensreiche Einrichtung der Vorsehung, daß nicht jeder des Meisters Floh mikroskopische Linse im Auge trägt, um des anderen Gedanken aus den Nervenfäden des Gehirns herauszulesen, – denn hätte der Kommerzienrat jene wundertätige Linse im Auge gehabt, so hätte er nicht, freundlich den Arm seines künftigen Schwiegersohnes klopfend, gesagt:

»Wie freue ich mich, mein lieber Baron, Sie hier getroffen zu haben, – wie glücklich wird meine Tochter sein, wenn ich ihr berichten kann, daß ich Sie gesehen und so wohl und kräftig gefunden habe! – der Krieg und das Lagerleben scheint Ihnen in der Tat vortrefflich zu bekommen.«

Der Baron von Rantow seufzte bei diesen Worten, die so wenig mit seinen Gedanken im Einklang standen, tief auf.

Der Kommerzienrat blickte schmunzelnd zu ihm empor und sagte, mit den Augen blinzelnd:

»Nun, nun, Barönchen, – der Krieg nähert sich ja seinem Ende, – es kann ja nicht mehr lange dauern, dann kommen Sie zurück, – und dann soll gleich die Hochzeit sein, – dann werden die seufzenden jungen Herzen ja zufrieden sein!«

Der Baron von Rantow neigte den Kopf, doch schien die von dem Kommerzienrat erweckte Aussicht nicht ganz die Freude in ihm zu erregen, welche jener erwartet haben mochte, denn noch einmal stieg ein halb unterdrückter Seufzer aus seiner Brust herauf.

Das Gespräch des Kommerzienrats und die Gedanken des Barons wurden plötzlich durch Peitschenknall, Pferdegetrappel und das Geräusch von Wagen unterbrochen, die auf der Straße von Metz nach Corny heranrollten.

Das erste Gefährt war der Jagdwagen des Rittmeisters von Willisen, – neben demselben saß in seinem grauen Reisekostüm Herr Regnier und auf dem Hintersitz ein Herr in einem weiten Zivilüberrock, – eine Mütze mit dem Genfer Kreuz tief auf den Kopf gedrückt.

Der Baron von Rantow und der Kommerzienrat blieben am Rand des Weges stehen, und der erstere grüßte freundlich den Rittmeister von Willisen. Der Mann auf dem Hintersitz hob einen Augenblick den Kopf empor und sah mit einem raschen Blick seiner dunklen, finsteren Augen herüber. Dann senkte er den Kopf wieder tief auf die Brust, – schnell rollte der Wagen vorüber.

»Wer war denn das?« fragte der Kommerzienrat neugierig.

»Der Kommandant des Hauptquartiers,« erwiderte der Baron von Rantow, indem er dem Wagen nachblickte und in seinen Erinnerungen zu suchen schien, als wolle er ein rasch vorüberfliegendes, unklares Bild fixieren.

»Und die Herren in Zivil?« fragte der Kommerzienrat weiter, der alles wissen und erfahren wollte, um zu Hause recht viel erzählen zu können.

»Der eine«, sagte Herr von Rantow, »ist eine geheimnisvolle Person, welche schon viel Kopfzerbrechen verursacht hat, – man sagt, es sei ein Bruder des Herrn Jules Favre, und seine Anwesenheit hänge mit Friedensverhandlungen zusammen, die in Paris begonnen seien, – und der andere,« fuhr er, tiefer in sinnendes Nachdenken versinkend, fort, – »der andere, das ist ein Arzt, nach seiner Mütze zu schließen, – und doch – ich muß dieses Gesicht schon gesehen, – unter ganz anderen Verhältnissen gesehen haben, – dieses dunkelglühende Auge, diese scharfen, kühnen Züge –«

Er blickte kopfschüttelnd dem in einer Staubwolke verschwindenden Wagen nach.

Da nahte ein zweites Gefährt, – ein einfacher Bauernwagen, – auf den Strohsitzen saßen vier Herren in Überröcken, ebenfalls Mützen mit dem Genfer Kreuz tragend, – aber sie blickten frei erhobenen Hauptes umher, – grüßten den Johanniter und fuhren langsam vorüber dem Schloß zu, in dessen Tor der Wagen des Herrn von Willisen bereits verschwunden war.

Noch einige Augenblicke und ein drittes, dem zweiten ganz ähnliches Fuhrwerk rollte heran. Auf demselben saßen ebenfalls vier Herren mit dem Zeichen der Genfer Konvention und unter ihnen auf dem vordersten Sitz eine weibliche Gestalt in der Tracht der Affiliierten der grauen Schwestern, die Binde mit dem roten Kreuz um den Arm, – von dem weit vorstehenden Hut hing ein grauer, dichter Schleier herab.

Herr von Rantow wollte mit dem Kommerzienrat grüßend an diesem Wagen vorübergehen, – als plötzlich die graue Schwester, welche den Kopf den Vorübergehenden zugewendet hatte, den Arm ausstreckte, mit der Spitze ihres feinen Fingers die Schulter des Fuhrmanns berührte und mit klarer Stimme in festem, befehlendem Ton rief: »Halt!«

Zugleich schlug sie den Schleier zurück, und Herr von Rantow erblickte ein bleiches Gesicht von edler, reiner Schönheit, aber von fast unheimlicher Starrheit, dessen wunderbar große, leuchtende Augen zu ihm so durchdringend, gebietend und angstvoll zugleich hinüberblickten, daß er mehr durch diesen Blick als durch den Ruf der jungen Dame gebannt stehen blieb und erstaunt und erwartungsvoll, wie von der Macht der unverwandt auf ihn gerichteten Augen angezogen, einige Schritte nach dem Wagen hin trat.

Mit der leichten und eleganten Sicherheit einer Dame der ersten Gesellschaft erhob sich die Fremde in dem grauen Schwesterkleid von dem Strohsitz des Fuhrwerks und streckte ihre Hand dem Herrn von Rantow entgegen. Dieser eilte diensteifrig heran und, sich leicht auf seinen Arm stützend, sprang die Dame vom Wagen herab, während der Kommerzienrat Cohnheim ganz verwundert auf diese Szene hinblickte und dann, mit freundlichem Lächeln herantretend, den auf dem Wagen sitzengebliebenen Herren seine Zigarrentasche bot.

»Sie tragen das Genfer Kreuz, mein Herr,« sagte die Dame in höflichem, aber kaltem und stolzem Ton, während ihre großen, wundersam schimmernden Augen immerfort starr und unbeweglich auf dem jungen Mann ruhten, der unter diesem Blick einen eigentümlichen Schauer durch seine Glieder zittern fühlte, – »das Genfer Kreuz, dieses Zeichen, das alle Nationen in tätiger christlicher Liebe verbindet, – und das edle Kreuz von Malta, welches mir die Bürgschaft ritterlicher Gesinnung gibt, – erlauben Sie, daß ich mich an Sie wende und Sie um Ihren Schutz bitte.«

»Ich stehe zu Ihrer Verfügung,« erwiderte Herr von Rantow, indem er sich tief verneigte, – »womit kann ich Ihnen nützlich sein, Madame, – mein Fräulein –« verbesserte er sich mit unsicherem Ton und fragendem Blick, – seine sonst so sichere und selbstbewußte Haltung war durch die so außergewöhnlich vornehme Erscheinung der jungen Dame und ihre fest in seine Augen hineinstrahlenden Blicke erschüttert.

»Ich bin Fräulein von Villebois, mein Herr,« fuhr diese fort, – »die Tochter des Grafen von Villebois, – ich habe auf den Wunsch meines Vaters Metz verlassen, um auf dem Schloß von Villebois, das einige Meilen von hier liegt, ein Lazarett zur Pflege der Verwundeten beider Nationen einzurichten. Ich will also den Zwecken dienen, mein Herr, denen Sie sich ebenfalls gewidmet, und habe deshalb ein Recht, mich unter Ihren Schutz zu stellen.«

Diese Worte waren zwar durchaus mit aller Höflichkeit der besten Gesellschaftsform, aber zugleich in so bestimmtem, fast befehlendem Ton gesprochen, als sei eine ablehnende Antwort auf dieselben unmöglich.

Der Baron von Rantow hatte mit sichtbarer Mühe seine ruhige und sichere Haltung wiedergewonnen.

Mit artiger Verbeugung erwiderte er:

»Mein Schutz und Beistand würde einer Dame sicher sein, mein Fräulein, auch wenn sie nicht so sehr, als Sie dies tun, an die Pflichten meines Berufes appellierte.«

»Ich bitte Sie also,« sagte Fräulein von Villebois, als ob sie die natürlichste Sache von der Welt verlangte, – »ich bitte Sie, mich nach unserem Schloß zu geleiten und zuvor aus einem kleinen, am Wege liegenden Dorf meinen verwundeten Bruder abzuholen, der dort mit mehreren anderen kranken Gefangenen liegt.«

Sie legte die Hand auf die Seitenwand des Bauernwagens, Herr von Rantow stützte ihren Arm, – gewandt und graziös schwang sie sich hinauf. Der junge Mann, dessen Blicke an ihren Bewegungen hingen, wollte ihr folgen, – plötzlich fuhr er, wie aus einem Traum erwachend, zusammen und wendete sich zu dem Kommerzienrat Cohnheim, der mit lächelnder Miene verschiedene Versuche machte, sich mit den französisch sprechenden Herren auf dem Wagen zu verständigen, die jedoch nur so weit von Erfolg begleitet waren, als er den Inhalt seines Zigarrenetuis zu ihrer großen Befriedigung an sie verteilt hatte.

»Sie finden wohl den Weg zu Ihrem Quartier,« sagte der Baron, – »im zweiten Hause dort am Eingang des Dorfes, – ich bitte um Entschuldigung, – mein Beruf zwingt mich, die Dame und die Herren hier nach dem Hauptquartier zu begleiten.«

»Gewiß, gewiß, lieber Baron,« sagte der kleine Kommerzienrat, freundlich mit dem Kopf nickend, – »der Dienst vor allem,« fuhr er mit wichtiger Miene fort, – »ich weiß das zu würdigen, – ich werde versuchen, ein kleines Frühstück herzustellen, – wenn Sie Ihre Geschäfte beendet haben, plaudern wir weiter.«

Er drückte dem Baron die Hand und wandte sich dem Dorf zu. Herr von Rantow schwang sich auf den Wagen, setzte sich neben Fräulein Hortense von Villebois, – der Fuhrmann schwang seine Peitsche, und langsam zogen die müden Pferde das schwere Fuhrwerk dem Schloß zu.

Dort waren die vorderen Wagen bereits angekommen, und die Herren, welche Herrn Regnier begleitet hatten, waren von dem Rittmeister von Willisen in den Speisesaal des Schlosses geführt worden, wo dieser ein Frühstück für sie herzurichten befahl. Neugierige Gruppen bildeten sich auf dem Hof, und Herr von Willisen antwortete, als er über den Hof ging, um sich bei dem Prinzen zu melden, die Fremden seien luxemburgische Ärzte, welche in Metz eingeschlossen gewesen und nun auf Grund von Verhandlungen zwischen den Oberkommandos der beiden Armeen aus der Festung geholt worden seien.

Bald kam auch der letzte Wagen an, Herr von Rantow brachte das Fräulein von Villebois in das Zimmer der in dem Seitenflügel des Schlosses wachehaltenden Diakonissinnen und bat sie, sich hier einige Augenblicke auszuruhen und zu erfrischen, bis er ihre Angelegenheit geordnet haben würde. Die zuletzt angekommenen Ärzte begaben sich zu ihren Kollegen in den Speisesaal, wo bald für sie ein Frühstück hergerichtet wurde, zu welchem sie sich alle unter heiteren Gesprächen, glücklich, der eingeschlossenen Stadt entronnen zu sein, niedersetzten.

Nur der eine von ihnen, welcher zuerst auf dem Wagen des Rittmeisters von Willisen mit Herrn Regnier angekommen war, blieb allein am Fenster sitzen, seine neue weiße Mütze mit dem roten Kreuz tief in die Augen gedrückt und den Kopf in den Kragen seines Rockes gesenkt, die übrigen redeten ihn nicht an, – einen Augenblick war er aufgestanden, hatte ein Glas Wein eingeschenkt und dasselbe in raschem Zuge geleert, dann hatte er sich schweigend wieder in die Ecke des Fensters gesetzt und war in finsteres, brütendes Sinnen versunken.

Herr Regnier, der, nachdem er einige Bissen gegessen, in lebhafter Unruhe im Zimmer auf und nieder ging, blieb hin und wieder stehen und schien den einsam dasitzenden Mann anreden zu wollen, – dann aber wandte er sich wieder ab und setzte seinen Gang durch das Zimmer fort, mit immer lebhafteren Zeichen von Ungeduld nach der Tür blickend.

Endlich trat der Rittmeister von Willisen wieder ein, sprach einige Worte mit Herrn Regnier, näherte sich dann dem Mann am Fenster in ehrerbietiger Haltung und lud ihn ein, ihm in ein benachbartes Zimmer zu folgen.

Der Fremde stand auf und ging durch die von Herrn Regnier geöffnete Tür in das Nebenzimmer.

»Herr General,« sagte der Rittmeister von Willisen, als er mit dem Fremden und Herrn Regnier allein war, – »der Chef des Generalstabs hat mich beauftragt, Ihnen seine Hochachtung auszudrücken und seine Empfehlungen zu machen. Der Herr General von Stiehle stellt sich zu Ihrer Verfügung, und wenn Sie wünschen sollten, Seiner Königlichen Hoheit vorgestellt zu werden –«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Fremde, rasch einfallend, indem er seine Mütze abnahm, so daß sein schönes, männliches Gesicht mit dem kurzen, leicht gelockten dunklen Haar und der hochgewölbten, aber etwas schmalen Stirn im vollen Licht sichtbar wurde, – »ich danke Ihnen, mein Herr, und bitte Sie, dem General zu sagen, daß ich seine Aufmerksamkeit in ihrem vollen Wert anerkenne, – er möge mir aber verzeihen, wenn ich ihn nicht besuche und wenn ich auch auf die Ehre verzichten muß, Seiner Königlichen Hoheit mich vorzustellen, – ich habe es übernommen, im Auftrag des Marschalls zu Ihrer Majestät der Kaiserin zu gehen, um deren Instruktionen einzuholen, – diesen Auftrag, mein Herr,« fuhr er mit schmerzlich zuckenden Lippen fort, »habe ich nur nach hartem Kampf mit mir selbst übernommen, – Sie sind Soldat und werden verstehen,« fuhr er mit finsterem Blick fort – »was es heißt, vor dem Feind meinen Posten und mein Korps, diese tapferen Truppen, die mir vertrauen und mit denen meine Ehre mich unauflöslich verbindet, zu verlassen!«

Er bedeckte einen Augenblick das Gesicht mit den Händen und seufzte schwer.

»Ich habe es getan,« sagte er dann, – »und ich glaube recht gehandelt zu haben, denn ich kann meinem Land und meinem Kaiser nützen und diese so tapfere und so unglückliche Armee von Metz – die letzte, welche Frankreich noch besitzt, vielleicht retten, – aber, mein Herr, ich habe es doch nur unter der Bedingung getan, daß mir gestattet werde, das vollständigste Inkognito zu bewahren, damit niemand einen französischen General, dessen Platz dort hinter den Wällen von Metz ist, – von seiner Truppe entfernt sehen möge!«

»Ich verstehe das vollkommen, Herr General,« sagte der Rittmeister von Willisen, der mit achtungsvoller Teilnahme in das lebhaft erregte Gesicht des Sprechenden blickte, »und zweifle nicht, daß auch Seine Königliche Hoheit Ihr Gefühl ganz würdigen wird, – ich bitte Sie also, hier nur kurze Zeit zu verweilen, bald wird alles zu Ihrer Weiterreise bereit sein, – wenn Sie etwas bedürfen –«

»Nichts, mein Herr, – gar nichts!« rief der Fremde. »Mein einziger Wunsch ist, so schnell als möglich zur Kaiserin zu kommen, – um so schnell als möglich wieder zurückkehren zu können.«

Der Rittmeister von Willisen blickte bei den letzten Worten wie verwundert auf, – doch verneigte er sich, ohne etwas zu bemerken, und wandte sich dann zu Herrn Regnier, ersuchte denselben, ihm zu folgen, und führte ihn durch mehrere Zimmer nach dem Vorsaal des Prinzen Friedlich Karl, wo heute der persönliche Adjutant, Rittmeister von Normann, den Dienst hatte, jener kühne Offizier, der in der Nacht vor der Schlacht von Königgrätz den Gewaltritt aus dem Königlichen Hauptquartier zum Kronprinzen machte und die Botschaft überbrachte, welche die Armee des Kronprinzen noch zur rechten Zeit auf das Schlachtfeld führte, um den großen und entscheidenden Erfolg jenes denkwürdigen und ruhmreichen Tages zu sichern.

Nach geschehener kurzer Meldung wurde Herr Regnier in das Kabinett des Prinzen geführt, der, wie immer im Dienstanzug, ihm rasch entgegentrat und ihn in der diesem fürstlichen Feldherrn eigentümlichen, kurzen und bestimmten Weise fragte, ob seine Mission Erfolg gehabt.

»Monseigneur,« erwiderte Herr Regnier eifrig, – »wie ich glaube, ist mein Erfolg vollständig gewesen. Es liegt die günstige, selten vorkommende Chance hier vor, daß die politischen und militärischen Rücksichten vollkommen identisch sind, und daß beiden durch die Ausführung meines Gedankens in gleicher Weise Genüge geschieht.«

Der Prinz sah ihn einen Augenblick scharf an. Ein leichtes, fast mitleidiges Lächeln spielte einen Augenblick um seinen Mund, – der preußische Soldat und Feldherr schien eigentümlich berührt durch dies so bestimmte Urteil über die militärischen Rücksichten aus dem Munde des aufgeregten, unruhigen und zitternden Mannes, der so ganz und gar keine Faser militärischen Wesens an sich hatte.

»Der Marschall Bazaine«, rief Herr Regnier, »stellt sich und seine Armee zu meiner Verfügung –«

Abermals zog dasselbe eigentümliche Lächeln über die Lippen des Prinzen.

»Und wenn«, fuhr Herr Regnier fort, – »der General Bourbaki befriedigende Instruktionen von der Kaiserin bringt, so wird durch die Kapitulation eine preußische Armee von mehr als hunderttausend Mann frei, die Eure Königliche Hoheit bei weitem nicht zur Fortsetzung der Belagerung von Metz bedürfen, das sich ja dann früher oder später doch ergeben muß.«

»Also der General Coffinières, der Kommandant von Metz,« fragte der Prinz, indem seine Augenbrauen sich finster zusammenzogen, »würde mit der eigentlichen Besatzung nicht in die Kapitulation eingeschlossen sein?«

»Der General Coffinières, Monseigneur«, erwiderte Herr Regnier, »erklärt, sein Kommando unabhängig vom Marschall Bazaine erhalten zu haben und nicht kapitulieren zu können, wenn nicht die dafür in den Kriegsgesetzen Frankreichs festgesetzten Bedingungen erfüllt seien.«

»Darin hat er recht,« sagte der Prinz leise.

»Mit der kleinen Besatzung wird sich aber der General nicht lange halten können,« fuhr Herr Regnier fort.

»Die einfache Besatzung der Festung«, fiel der Prinz ein, »hält sich leichter und länger, wenn die große Armee sie nicht mehr hindert und ihre Vorräte aufzehrt, – ich glaube nicht,« fügte er hinzu, »daß etwas geschehen könne, bevor die Stadt sich ergeben hat, – doch,« sagte er dann abbrechend, – »was gedenken Sie nun zu tun, mein Herr?«

»Ich will sogleich nach Ferrières fahren,« erwiderte Herr Regnier, »um dem Grafen Bismarck Bericht über meine Sendung zu erstatten, und mich dann zur Kaiserin begeben, um alles daran zu setzen, daß der General Bourbaki Instruktionen erhalte, welche den Friedensschluß möglich machen.«

Er schwieg und schien das Zeichen seiner Entlassung vom Prinzen zu erwarten. Der Prinz wandte sich zu seinem Schreibtisch, nahm ein Blatt Papier und sagte:

»Ich habe diese Depesche für Sie erhalten.«

Herr Regnier ergriff hastig das Blatt, welches der Prinz ihm reichte, und las mit zitternder Stimme:

»Sie sind zu früh abgereist.«

Langsam und nachdenklich wiederholte er diese lakonischen Worte.

Plötzlich zuckte ein Strahl lebhafter Freude aus seinen Augen.

»Ah – ich verstehe,« rief er, – »man hat nichts mit Jules Favre abgeschlossen, – der Graf Bismarck will mich benachrichtigen, daß das Terrain für meine Negoziation noch frei ist, – o mein Gott, – es kann noch alles gut werden!«

Prinz Friedrich Karl hatte ihn von der Seite mit seinen Blicken beobachtet.

»In der Tat, mein Herr,« sagte er lächelnd, – »es ist kein Waffenstillstand geschlossen worden, – die Herren in Paris haben die Bedingungen abgelehnt, die ihnen gestellt wurden.«

Herr Regnier atmete tief auf, – seine Hände zitterten in nervöser Unruhe.

»Dann, Monseigneur,« rief er, – »bitte ich Eure Königliche Hoheit, mich zu entlassen, – wir können Frankreich viel Blut und große Opfer ersparen, wenn die Kaiserin die Situation richtig erfaßt und schnell handelt, – alles kommt darauf an, ihr die Lage in richtigem Licht darzustellen, – o daß ich Flügel an meinen Füßen hätte, um überall zugleich zu sein können! – Ich danke Eurer Königlichen Hoheit für Ihre Güte, – ich danke Ihnen von ganzem Herzen, – und bitte um die Erlaubnis zu gehen, – um Frankreich den Frieden zu bringen!«

»Gehen Sie,« sagte der Prinz freundlich, indem er leicht den Kopf gegen Herrn Regnier neigte, der sich mit tiefer Verbeugung zurückzog, – »gehen Sie, – und nehmen Sie meine besten Wünsche mit, – denn auch für den Soldaten ist des Krieges Ziel der Friede – aber der Friede, der Deutschland gibt, was sein Recht und seine Ehre fordert,« sprach er, zum Fenster hintretend, als Herr Regnier das Zimmer verlassen hatte, – »Deutschlands Ehre, meine Ehre erfordert es, daß diese jungfräuliche Feste mir ihren Kranz gebe, – mein soll sie sein, – diese drohende Ausfallspforte Frankreichs soll zur Schutzwehr Deutschlands werden, – sie soll in Zukunft die Wacht halten am deutschen Rhein!«

Er blickte blitzenden Auges über das Tal hin nach dem mächtigen Fort St. Quentin hinüber, von dem sich eine weiße Wolke löste, und dumpf rollend hallte ein Kanonenschuß herüber über das freundliche Tal, auf welches der Himmel so hell und licht herabsah, als ob zu seinen blauen Höhen keine Kunde heraufdränge, daß hier um die Entscheidung gerungen werde in dem großen Völkerstreit, der seit Jahrhunderten schon um Deutschlands Grenzmarken geführt ward. – – – Herr Regnier war eiligen Schrittes zu dem Mann zurückgekehrt, den er mit den Luxemburger Ärzten aus Metz herausgeführt hatte und der ihn in finsterem Schweigen erwartete.

»Freuen Sie sich mit mir, mein General,« rief er, – »die Verhandlungen mit der Pariser Regierung sind gescheitelt, – dem Kaiserreich gehört die Zukunft!«

»Die Zukunft!« – sagte der Fremde, ohne aufzublicken, – »welche Zukunft? – ist sie es wert, daß ich meinen Posten, meine Truppen verlasse, – daß ich meine Ehre einsetze? Kann das Kaiserreich, – kann Frankreich gerettet werden durch die Fäden einer dunklen, geheimen Intrigue, nachdem es auf so vielen Schlachtfeldern zertrümmert ist?«

»Mut, mein General, Mut!« rief Herr Regnier, »wenn Sie Ihre Mission glücklich vollenden, so haben Sie mehr als eine gewonnene Schlacht in die Wagschale geworfen!«

»O, könnte ich eine gewonnene Schlacht verzeichnen, – und dann sterben, – um von all dem Jammer nichts mehr zu hören!« sagte der Fremde leise.

Der Rittmeister von Willisen trat ein, um anzuzeigen, daß alles zur Abreise bereit sei.

»Vergessen Sie nicht,« sagte Herr Regnier, »daß Sie vor aller Welt meinen Namen führen, – hier, meine Papiere!«

Der Fremde steckte die Papiere mechanisch ein und folgte dem Rittmeister, welcher ihn und Herrn Regnier in den Schloßhof führte.

Hier standen zwei Wagen bereit. Herr Regnier bestieg den einen, und der Kutscher erhielt den Befehl, nach Ferrières ins Hauptquartier zu fahren. Der Rittmeister setzte sich mit dem Fremden auf den anderen Wagen und fuhr einige Minuten später aus dem Schloßhof.

Der Ulanenoffizier, welcher mit dem Redakteur Meierfeld von seinem Spaziergang zurückkehrte, trat in diesem Augenblick in das Tor und blickte, den Rittmeister begrüßend, ganz erstaunt und betroffen dem neben demselben sitzenden Fremden nach, während Herr Meierfeld aufmerksam den Schloßhof beobachtete und die Fenster der Hauptfront und der Seitenflügel zu zählen begann.

»Donnerwetter,« sagte der Ulanenoffizier, indem er nachdenklich vor sich hinstarrte, – »was war das für ein Gesicht, – das muß ich schon einmal gesehen haben, – aber nicht so, – ganz anders, – ja, ja, – ganz anders –«.

»Die Seitenflügel scheinen in einer späteren Zeit gebaut zu sein als der Mittelbau«, bemerkte Herr Meierfeld, der, sein Notizbuch in der Hand, wieder herantrat.

»Jawohl – das ist's,« rief der Ulanenoffizier, sich vor die Stirn schlagend, – »ganz richtig, – das Herbstmanöver in Berlin 1865, – ich war noch Fähnrich, – die beiden prächtigen Offiziere, die uns so imponierten, – Gablenz und Bourbaki, – es war der General Bourbaki!«

»Wo ist der General Bourbaki?« fragte Herr Meierfeld, indem er sich ganz verwundert nach allen Seiten umsah.

Der Ulanenoffizier blickte ihn groß an und sagte mit leichtem Lächeln:

»Der General Bourbaki ist in Metz und kommandiert die kaiserliche Garde, – der kann uns noch viel zu schaffen machen, wenn sie einen Ausfall wagen,« und langsam den Kopf schüttelnd, sprach er leise: »Das hat etwas zu bedeuten.«

»Sehen Sie doch, sehen Sie doch dort! rief Herr Meierfeld, indem er mit dem Finger zum Himmel empordeutete.

»Bei Gott,« rief der Ulanenoffizier, in der angedeuteten Richtung aufblickend, – bei Gott, das ist wieder ein Luftballon, den sie losgelassen haben, – den müssen wir fangen, – wollen Sie die Jagd mitmachen?«

»Ich möchte es wohl sehen,« sagte Herr Meierfeld zögernd, – »aber ich weiß nicht – ob das Reiten –«

»Kommen Sie, – kommen Sie,« rief der Offizier, – »ich werde Ihnen ein Pferd geben, – Sie werden einen vortrefflichen Spaß zu notieren haben!«

Und immer den in ziemlich bedeutender Höhe dahinschwebenden Ballon mit den Blicken verfolgend, zog er den Redakteur nach den Ställen hin, wo ein Detachement Ulanen lag. – – –

Der Baron von Rantow kehrte zu Fräulein von Villebois in das Zimmer der Diakonissen zurück und teilte ihr mit, daß er den Auftrag erhalten, sie mit einigen Ärzten und Krankenpflegerinnen nach dem Schloß ihres Vaters zu begleiten, und daß man, da überall die vorhandenen Räume für die Kranken und Verwundeten kaum ausreichten, mit Dank das Anerbieten angenommen habe, dort ein Lazarett zu errichten, dessen Organisation und Leitung er zu übernehmen angewiesen sei.

Fräulein Hortense neigte kalt und ruhig das Haupt, als teile er ihr etwas ganz Selbstverständliches und Bekanntes mit.

»Und wann werden wir aufbrechen?« fragte sie.

»In einer halben Stunde,« erwiderte Herr von Rantow, – »ich eile, die letzten Anordnungen zu treffen.«

»Gut,« sagte die junge Dame, – »ich bin bereit.«

In der Tat war nach kurzer Zeit ein Zug von mehreren Wagen zusammengestellt, auf welchen einige Diakonissinnen und zwei Ärzte Platz nahmen, – andere Wagen mit Verbandzeug, Arzneien und Wein folgten.

Der Baron von Rantow führte Fräulein von Villebois zu dem ersten Fuhrwerk, – einer leichten, offenen Halbchaise, sein Diener setzte sich auf den Bock, – der Baron gab einer Ordonnanz ein Billett an den Kommerzienrat Cohnheim und atmete erleichtert auf, als sei eine Last von seiner Brust genommen, indem er den Befehl zur Abfahrt gab. Eine Abteilung Dragoner, unter dem Kommando eines Unteroffiziers, deckte den Zug, der sich langsam auf der Straße nach Norden hin bewegte.

Herr von Rantow blickte von Zeit zu Zeit auf die junge Dame, welche, in die Ecke des Wagens zurückgelehnt, fast unbeweglich dasaß und ihre so glänzenden und doch so tief ernsten, beinahe starren Blicke weit über die Landschaft hin nach dem Horizont richtete.

Der junge Mann fühlte sich eigentümlich ergriffen von dieser so schönen und trotz der einfachen grauen Tracht so hochvornehmen Erscheinung, über welcher ein gewisser rätselhafter Schleier lag, – er dachte daran, wie diese Augen bezaubern müßten, wenn ihr Blick sich mit warmen Strahlen erfüllte, – wie dieses streng geschlossene Lächeln hinreißen müßte, – und unwillkürlich schloß er die Augen, – dem Bilde weiter nachzudenken, das vor ihm aufstieg.

Er begann mehrmals eine Unterhaltung, – schüchtern und scheu, – er konnte seine sonstige weltgewohnte Sicherheit nicht wiederfinden, – aber ebenso höflich als kalt und bestimmt lehnte die junge Dame durch ihre kurzen, einsilbigen Antworten jede Konversation ab, – und mit leisem Seufzer zog sich der Baron in seine Wagenecke zurück, – es schien, daß die gemeinsame Reise, welche so oft fremde Menschen schnell einander näher führt, kein, Verständnis und keine Beziehungen zwischen den beiden jungen Leuten herstellen sollte, welche hier nebeneinander dahinfuhren, um zusammen die Pflichten helfender Nächstenliebe zu erfüllen.

Sie waren auf ein weites freies Feld gekommen, als plötzlich lautes Rufen und der Hufschlag mehrerer Pferde von der Seite des Weges her erschallte. Zugleich fielen in einiger Entfernung einige Schüsse.

Herr von Rantow blickte erschrocken nach der Richtung dieses beunruhigenden Lärms hin, während Fräulein von Villebois kaum die Augen nach der Seite wandte.

Ein sonderbarer und außerordentlicher Anblick zeigte sich dem jungen Mann.

Am fernen Rand der Ebene, am Saum eines Waldes, wo eine größere Truppenabteilung zu lagern schien, sah man einige Infanteristen, welche die Schüsse getan hatten, deren Schall herübergedrungen war.

Über das Feld her jagte in rasender Karrière ein Ulanenoffizier, den Säbel in der Scheide, aber die Lanze eines seiner Leute in der hochgeschwungenen Hand. Ihm folgte in einiger Entfernung ein Reiter, – oder vielmehr ein Mann in Zivil, der sich in der merkwürdigsten und außergewöhnlichsten Weise auf einem in schnellstem Lauf daherstürmenden Pferde hielt. Sein Hut war weit in den Nacken gedrückt, seine Knie hoch heraufgezogen, die beiden Hände hielten den Sattelknopf fest, während der ganz zusammengebogene Körper bei jedem Satz des Pferdes die entschiedenste Neigung zeigte, seinen Schwerpunkt außerhalb der schmalen Basis hin zu verlegen, auf welcher er sich befand.

Fünf bis sechs Ulanen folgten in einiger Entfernung in ebenso schnellem Tempo.

Der Zug, an dessen Spitze Herr von Rantow fuhr, hielt an, und unmittelbar an ihm vorüber jagte der Ulanenoffizier über die Chaussee hin, mit mächtigem Satz seines Pferdes den Graben überspringend, – ihm nach das Pferd mit dem Herrn in Zivil, der bei dem Sprung über den Graben seinen so losen Zusammenhang mit dem Sattel gänzlich aufgeben zu wollen schien, – doch fiel er nach einer bedenklichen Kurve, die er in der Luft beschrieben, wieder auf den Sattel zurück und jagte mit einem angstvollen Wehelaut an dem Wagen vorüber.

Herr von Rantow, welcher diese wunderbare wilde Jagd in höchstem Erstaunen an sich vorüberbrausen gesehen hatte, folgte der Richtung der Blicke der vorbeisprengenden Ulanen, welche alle die Köpfe in den Nacken gelegt hatten und trotz ihres eiligen und wilden Rittes sich mehr mit den Wolken und der Luft, als mit dem Terrain zu beschäftigen schienen, das ihre Pferde zu durchlaufen hatten.

Der junge Mann entdeckte denn auch bald den Gegenstand dieser eifrigen Jagd in einem Luftballon, der nur noch in geringer Entfernung über den Köpfen der Reiter schnell vom Winde dahergetrieben wurde.

Der Ballon mußte durch einige Schüsse getroffen sein, denn er schien auf der einen Seite bereits zusammengesunken, faltig, schräg gesenkt flog er dahin, und der an seinem unteren Ende befestigte Gegenstand schwankte in unregelmäßigen Bewegungen hin und her.

Immer tiefer sank der Ballon herab, – da plötzlich schien ihn eine veränderte Luftströmung zu erfassen, er drehte sich einige Male wirbelnd um sich selbst, dann wurde er über die Chaussee zurückgetrieben, – dicht vor den Wagen vorbei, – unmittelbar hinter ihm her kam der Ulanenoffizier, der bei der Wendung des Ballons mit bewunderungswürdiger Gewandtheit sein Pferd herumgeworfen hatte.

Während er mit lautem Hurra über den Graben setzte, schwang er seine Lanze und schleuderte sie, wie die alten Kämpfer der Ilias ihre Wurfspeere, dem Ballon nach. Die Lanze drang tief in den dünnen Stoff ein und blieb an ihrem Fähnchen darin hängen, zischend fuhr das Gas heraus, immer enger sanken die Falten des Ballons zusammen und nach wenigen Augenblicken lag er etwa fünfzig Schritte von den Wagen auf den Stoppeln des Feldes.

Das zweite Pferd hatte ebenfalls die Wendung richtig nachgemacht und setzte zum zweitenmal über den Graben heran. Diesmal aber ergriff das mächtige und unerbittliche Gesetz der Zentrifugalkraft mit voller Gewalt den an den Sattelknopf geklammerten Herrn, er flog in einem mathematisch schwer zu berechnenden Bogen empor und sank fast in demselben Augenblick am Rand des Grabens nieder, als der Ulanenoffizier unter dem lauten Jubelruf der herangesprengten Ulanen und der den Wagenzug des Herrn von Rantow begleitenden Dragoner vom Pferd sprang und seine Beute, einen an den Ballon befestigten Briefkoffer, in Besitz nahm.

»Ich gratuliere, Herr von Waldenberg,« rief der junge Johanniter, – »das war ein vortrefflicher Wurf!«

»Ah – Baron Rantow,« sagte der Ulanenoffizier, indem er an den Wagen herantrat und mit ehrerbietiger Höflichkeit die junge Dame grüßte, welche gleichgültig und kalt kaum den Kopf neigte, – »das ist in der Tat ein herrlicher Sport, – so etwas von der alten Falkenjagd, nur noch besser, – das bringt etwas Abwechslung in den Krieg, der hier bei dem unerträglichen Stillliegen vor Metz schon langweilig zu werden anfing.«

»Aber, mein Gott,« rief er, sich unterbrechend, – »wo ist denn mein Redakteur? – da kommt ja Cäsar ganz allein zurück, – wahrhaftig, dort sitzt er am Graben, – er wird doch keinen Schaden genommen haben?«

Er eilte zu dem Grabenrand hin, wo der Redakteur Meierfeld bleich und starren Blickes ganz gerade aufgerichtet dasaß und vorsichtig einen Teil seines Körpers nach dem anderen betastete, als wolle er sich überzeugen, ob alle einzelnen Teile seiner irdischen Hülle noch unversehrt beieinander seien.

»Hurra, Doktor!« rief ihm der Ulanenoffizier zu, indem er ihm die Hand reichte und ihn kräftig emporzog,–»freuen Sie sich, – wir haben ihn!«

»Wir haben ihn,« wiederholte Herr Meierfeld mechanisch mit einer Grabesstimme, wobei er die anatomischen Untersuchungen an seinem eigenen Körper eifrig und sorgfältig fortsetzte. Da ihm das Resultat derselben jedoch die beruhigende Überzeugung zu gewähren schien, daß die Maschine seiner materiellen Existenz sich in voller und normaler Ordnung befinde, so tat er mit weitausgebreiteter Brust einen langen Atemzug, schüttelte sich, dehnte die Armee aus und sagte dann mit einem matten Lächeln: »In der Tat, Herr Leutnant, das ist ganz außerordentlich, – man würde es kaum glauben, – einen Luftballon zu fangen –«

»Mit der Lanze, wie ich Ihnen gesagt!« rief der Offizier, – »ja, ja, – vor den Ulanen ist nichts sicher!«

Er löste den Briefkoffer von dem Ballon und veranlaßte Herrn Meierfeld nach einigen Verhandlungen durch die bestimmte Versicherung, daß man im Schritt zurückreiten werde, den ganz ruhig und freundlich herangekommenen Cäsar wieder zu besteigen.

»Wir verlieren Zeit, mein Herr,« sagte Fräulein Hortense in fast befehlendem Ton zu Herrn von Rantow, – »und wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

Eiligst verabschiedete sich der Baron von dem Ulanenoffizier, der mit den Trophäen seiner Luftjagd an der Seite des durch einen kräftigen Schluck aus der Feldflasche wieder völlig zum inneren und äußeren Gleichgewicht gebrachten Redakteurs Meierfeld nach dem Hauptquartier zurückritt, während der Wagenzug auf der Straße nach Norden sich entfernte.


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