Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Während der Herr Kommerzienrat Cohnheim als Deputierter seines patriotischen Vereins die Liebesgaben desselben nach dem Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl gebracht hatte, war die Frau Kommerzienrätin, wie das ja ihre Stellung erforderte, unausgesetzt tätig in patriotischen Werken.

Der alte Baron von Rantow, der Vater des Johanniters, welcher in dem Schloß von Villebois die Pflege der Verwundeten leitete, war, nachdem er den Sommer über so gut, als es bei den fehlenden Arbeitskräften möglich war, für die Bewirtschaftung seiner Güter gesorgt hatte, zum Winter wieder nach Berlin gekommen und hatte seine Wohnung im Parterre des Hauses des Kommerzienrats an der Tiergartenstraße bezogen.

Frau von Rantow hatte sich ebenfalls, wie alle Damen Berlins, den Liebeswerken für die im Auslande kämpfenden Krieger gewidmet, und da sie ihren Familienbeziehungen gemäß einem der vornehmsten Damenvereine Berlins beigetreten war, so suchte die Frau Kommerzienrätin sich aufs eifrigste ihr anzuschließen, um sich bei einer so patriotischen Gelegenheit durch die Mutter ihres künftigen Schwiegersohns mit denjenigen Gesellschaftskreisen in Verbindung setzen zu lassen, welche bisher für sie unnahbar gewesen waren.

Fräulein Anna, die Tochter des Kommerzienrats, nahm an dieser Tätigkeit der beiden älteren Damen regelmäßigen Anteil, – aber sie war still und schweigsam, sie erwiderte pünktlich und höflich die Briefe, welche der junge Baron ihr schrieb, ohne daß sie es zu bemerken, oder daß es sie zu beunruhigen schien, wenn diese Briefe, wie es in der letzten Zeit geschehen war, länger als gewöhnlich ausblieben. Ihrer Mutter stand sie fremd und kalt gegenüber, und wenn dieselbe zuweilen eine Anspielung machte, welche das schweigsame und niedergeschlagene Wesen des jungen Mädchens mit der langen Abwesenheit ihres Verlobten in Verbindung bringen sollte, so antwortete sie nur durch einen stillen Seufzer, dessen Deutung sehr schwer gewesen wäre, wie die Deutung aller Seufzer, welche aus jungen Mädchenherzen emporsteigen.

An Frau von Rantow hatte sich Fräulein Anna inniger angeschlossen. Das einfache, stille und sanfte Wesen der Baronin schien sie sympathisch zu berühren, aber trotz aller kindlichen Ehrerbietung und Aufmerksamkeit verfiel sie doch auch der Mutter ihres Verlobten gegenüber immer wieder in ihre stille, schweigsame, fast resignierte Zurückhaltung.

So saßen eines Nachmittags die drei Damen im Salon der Frau von Rantow beisammen. Frau von Rantow mit ihrem feinen, etwas bleichen Gesicht, auf dem der Ausdruck freundlicher Heiterkeit und vornehmer Ruhe lag, war beschäftigt, einen großen wollenen Soldatenstrumpf zu stricken, welche Arbeit mit ihrer ganzen Erscheinung wenig in Harmonie stand. Die Kommerzienrätin, welche steif und hochaufgerichtet neben ihr saß und auf ihrem scharfen, eckigen Gesicht ein liebenswürdiges Lächeln festzuhalten strebte, während in allen ihren Bewegungen eine gewisse Nachahmung der Manieren der Frau von Rantow sichtbar war, beschäftigte sich, eine Binde für die Verwundeten zu nähen. Fräulein Anna saß in einen Fauteuil zurückgelehnt und zupfte mit ihren feinen weißen Händen Charpie, welche sich in flockigen Wolken auf ihrem Schoß anhäufte. Sie war bleich, und ihre großen mandelförmigen Augen blickten träumerisch sinnend vor sich hin, als folge sie weit in der Ferne liegenden Bildern, – ihre Hände sanken oft wie ermattet nieder und schienen sich nur mechanisch mit dem Zupfen und Ordnen der feinen Fäden zu beschäftigen.

Die Unterhaltung war sehr wenig lebhaft, obwohl die Kommerzienrätin sich bemühte, von Zeit zu Zeit eine Bemerkung über die ausgezeichnete patriotische Tätigkeit einer oder der andern vornehmen Dame zu machen, deren Bekanntschaft ihr durch Frau von Rantow vermittelt war. – »Mein Gott, wie traurig ist es,« sagte die Baronin, indem sie den langen und starken Strumpf, an welchem sie strickte, einen Augenblick niedersinken ließ, »wie traurig ist es, daß dieser Krieg immer nicht enden will, nachdem doch nun der Kaiser gefangen und alle große Armeen in Frankreich geschlagen, – es ist wirklich ein Jammer, daß alle diese braven Landeskinder nach so viel vergossenem Blut nun noch mit all den Leiden der rauhen Jahreszeit, mit Regen, Schnee und Frost zu kämpfen haben. Mein Sohn«, fuhr sie fort, »ist ja keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt und dennoch kann ich mich oft einer bangen Unruhe kaum erwehren, – wie lebhaft kann ich mich in die Besorgnis all der armen Mutterherzen versetzen, deren Söhne den feindlichen Kugeln und Bajonnetten und zugleich allen Krankheiten der Jahreszeit gegenüberstehen.«

Die Kommerzienrätin schlug mit einem tiefen Seufzer die Augen auf und beugte ihre hagere, steife Gestalt, wie erschüttert durch die trüben Betrachtungen der Frau von Rantow, über ihre Arbeit herab.

»Ja,« sagte sie mit einem Tone, dem sie eine weiche und wehmütige Färbung zu geben versuchte, »ja, es ist sehr, sehr traurig! – Es hat mir in das Herz geschnitten,« fuhr sie fort, »als neulich die Gräfin Hohenstein in unserem Verein, – erinnern Sie sich noch, liebe Baronin? – so bitterlich weinen mußte, – sie hat einen Sohn schon verloren, die Arme, – und nun ist sie Tag und Nacht in Sorgen um den zweiten, der bei dem Korps des Generals Werder gegen die wilden Freischärler steht, welche so furchtbar grausam und blutgierig sein sollen, – ja, ja, es ist sehr traurig!« fügte sie mit einem nochmaligen schweren Seufzer hinzu, indem sie von der Seite auf die Baronin hinblickte, abwartend, ob dieselbe das Gespräch noch fortsetzen würde.

Frau von Rantow aber nahm ihre Strickerei wieder auf, und die Kommerzienrätin ergriff ebenfalls ihre Nadel, um mit einem wohlarrangierten, traurig wehmütigen Gesicht an ihrem Verbandzeug weiterzunähen.

Fräulein Anna war bei Erwähnung der Gefahren, welche die Krieger draußen im Felde umringten, leicht zusammengezuckt und mit der Hand nach ihrem Herzen gefahren.

Dann sank sie noch bleicher, noch träumerischer als vorher in sich zusammen.

»Wir haben zwar«, sagte die Kommerzienrätin nach einer Pause, »keinen Sohn den feindlichen Kugeln und Bajonetten gegenüberstehen, aber dennoch empfinden wir doch auch in unseren Familien recht schwer diesen fürchterlichen Krieg, denn die Verbindung unserer Kinder wird ja durch denselben so weit hinausgeschoben, – und das empfinden die jungen Herzen«, fuhr sie fort, indem sie den Ausdruck mütterlich liebevoller Teilnahme in ihren Blick legte, »ja so schwer, – sehen Sie, wie meine arme Anna immer bleicher und schwermütiger wird, – nun, wenn alles glücklich vorüber ist, wird die Freude um so größer sein!«

Fräulein Anna richtete bei den letzten Worten ihrer Mutter mit großen verwunderten Augen ihren Kopf empor, während ein eigentümliches Lächeln ihre Lippen umspielte.

Frau von Rantow sah diesen Blick und dieses Lächeln, und ihre Brust hob sich unter einem leisen, halb unterdrückten Seufzer.

Der Baron von Rantow trat ein. Sein volles, kräftiges Gesicht mit der kahlen Stirn und den großen blauen, geistvollen, aber etwas oberflächlich blickenden Augen war von einem dichten, ergrauenden und sorgfältig gepflegten Backenbart umgeben. Seine Haltung zeigte die leichte, elegante Sicherheit des vornehmen Weltmanns, und seine Bewegungen waren noch jugendlich geschmeidig. Er begrüßte die Damen mit jener eigentümlich wohltuenden, verbindlichen Höflichkeit, welche das Resultat guter Erziehung und harmonischer Bildung ist und welche die Franzosen mit dem so treffenden Ausdruck politesse du coeur bezeichnen. Dann sprach er mit einer lebhafteren Bewegung, als dies sonst seiner ruhigen phlegmatischen Natur eigentümlich war:

»Die Damen beschäftigen sich mit der Sorge für unsere Verwundeten und Kranken im Felde, – das ist gewiß sehr schön, aber ich habe ebenso recht lebhaft empfunden, daß es auch hier bei uns in der Nähe für freundliche Sorgfalt und Pflege viel zu tun gibt. Du erinnerst dich,« sagte er, zu seiner Frau gewendet, »daß mein alter Freund Büchenfeld beim Ausbruch des Krieges ein Etappenkommando erhalten und zu seiner großen Freude wieder den Rock des Königs angezogen hatte.«

»Jawohl,« sagte Frau von Rantow, »ich erinnere mich, – er war so glücklich und stolz darüber, – was ist mit ihm? – ich hatte jeden Tag erwartet, ihn zu sehen.«

»In diesen Tagen nach unserer Ankunft«, erwiderte der Baron, »hatte ich noch keine Zeit gefunden, ihn zu besuchen, und als ich heute zu ihm ging, – da finde ich, denke dir, – meinen armen alten Freund krank und einsam, – ernstlich krank, und zu seiner Pflege nur einen recht ungeschickten Burschen bei ihm, der ihm auf einer Spirituslampe Tee kocht und ihm aus dem nächsten Restaurant in einem Menagekorb sein Essen holt. Er hat starkes Fieber, und die Medikamente, welche ihm sein Arzt verschreibt, können ihm bei einer solchen Pflege wenig nützen, da er ohnehin schon etwas gebrechlich war.«

»Mein Gott,« rief Frau von Rantow, »das ist ja unendlich traurig, der arme Büchenfeld! Sein Sohn ist fort, da muß doch etwas geschehen. Was können wir tun?«

»Ich dachte daran,« erwiderte der Baron, »ihn zu mir zu nehmen, aber der Transport in seinem Zustand bei dieser Jahreszeit ist nicht möglich. Auch würde ihn die Unruhe zu sehr erregen –«

»Ich will sogleich zu ihm!« rief Frau von Rantow lebhaft, indem sie ihre Arbeit auf den Tisch warf. »Es ist ein alter Freund und ein braver, vortrefflicher Mann, wir müssen dafür sorgen, daß er wenigstens in seiner trostlosen Einsamkeit nicht ohne Pflege bleibt.«

Schnell zog sie den Glockenzug neben der Tür und befahl dem eintretenden Diener, den Wagen vorfahren zu lassen.

Die Kommerzienrätin hatte während dieses Gesprächs etwas steif und verlegen dagesessen, als wisse sie nicht recht, welche Miene sie dazu machen solle.

Fräulein Anna war bei der Nennung des Namens des alten Herrn von Büchenfeld in dunkler Röte erglüht, dann hatte sie bleich und zitternd die Augen niedergeschlagen und mit gefalteten Händen der Erzählung des Barons zugehört. Als Frau von Rantow ihren Entschluß aussprach, den alten Freund ihres Gemahls zu besuchen, und sich ihren Hut und Mantel bringen ließ, erhob sich das junge Mädchen, wie einem plötzlichen Entschluß folgend, und sagte, indem sie zur Baronin hintrat:

»Wollen Sie mir erlauben, Sie zu begleiten, ich kann Ihnen vielleicht behilflich sein und finde so wenigstens Gelegenheit, hier an einem kranken Soldaten und Ihrem Freunde die Pflicht weiblicher Pflege und Sorge zu üben, welche so viele andere in viel ernsterer Weise draußen übernommen haben.«

»Sie sind ein gutes Kind,« sagte Frau von Rantow, indem sie das junge Mädchen auf die Stirn küßte.

»Wird es aber auch passend sein,« fragte die Kommerzienrätin, – »wenn –«

»Ich weiß nicht,« fiel Fräulein Anna mit einem stolzen Blick in kaltem Ton ein, »wie etwas unpassend sein könnte, was ich in Begleitung der Frau Baronin tue.«

»Ganz gewiß,« sagte die Frau Kommerzienrätin, »ganz gewiß – aber –«

»Seien Sie ganz unbesorgt,« sagte der Baron Rantow lächelnd, »der arme alte Büchenfeld ist zwar Witwer, aber für eine junge Dame sans conséquence; – Fräulein Anna kann ihm ohne alle Mißdeutung ihre liebenswürdige Pflege widmen, und ich werde ihr ganz besonders dankbar dafür sein, wenn sie meinem alten Freund vielleicht das Leben retten hilft.«

Fräulein Anna war hinausgeeilt, um nach ihrer Wohnung hinaufzusteigen, und kehrte bald darauf in einer Wintertoilette von schwarzem Samt wieder, welche die Schönheit ihres bleichen, zarten Gesichts wunderbar hervorhob. Frau von Rantow verabschiedete sich von der Kommerzienrätin, indem sie dieselbe bat, sich durch ihre Abwesenheit nicht stören zu lassen; der Baron erbot sich artig, ihr Gesellschaft zu leisten, atmete aber erleichtert auf, als Madame Cohnheim sich dennoch zurückzog.

In raschem Trabe fuhr das leichte Kupee des Barons die beiden Damen nach der Dorotheenstraße und hielt vor einem ziemlich alten und unscheinbaren Hause, auf dessen Flur die dort umherspielenden Kinder erstaunt aufblickten, als die beiden Damen, von einem Diener in eleganter Livree gefolgt, die dunkle und enge Treppe bis zum zweiten Stockwerk hinaufstiegen.

Der Diener zog den etwas rostigen Glockenzug, neben welchem sich eine kleine Porzellanplatte mit dem Namen des Oberstleutnants von Büchenfeld befand, und nach einigen Augenblicken wurde diese Tür von einem derben, gutmütig aber einfältig blickenden Burschen in einer Hausjacke von grobem Leinen geöffnet. Auf die Frage der Baronin erwiderte der Bursche mit großen, erstaunten Augen:

»Der Herr Oberstleutnant sind zu Hause, – aber der Herr Oberstleutnant sind krank und dürfen keine Besuche annehmen.«

»Lassen Sie uns nur immer eintreten,« sagte Frau von Rantow lächelnd, indem sie die Hand auf das Schloß der Tür legte, welche der Bursche nach dem erteilten Bescheid wieder schließen wollte, – »lassen Sie uns nur immer eintreten, wir werden Ihren Herrn nicht stören, wir werden ganz leise sein – wir kommen, ihn zu pflegen.«

Ein glückliches Lächeln erschien auf dem breiten, ehrlichen Gesicht des Burschen.

»Ach, das ist schön,« rief er, »wenn die Damen meinen armen Herrn Oberstleutnant pflegen wollen! Der Herr Oberstleutnant sind so krank, und der Herr Doktor hat gesagt, daß auf die Pflege alles ankäme, – und ich weiß mir so gar nicht recht zu helfen, – ich verstehe das gar nicht –«

Und er öffnete die Tür weit, um die Damen auf den Flur treten zu lassen, in welchen wenig vom Tageslicht hineinfiel und der am Abend durch eine kleine Öllampe erleuchtet wurde.

»Hier, ich bitte,« sagte der Bursche, als Frau von Rantow sich zu der Tür rechts vom Eingang wenden wollte, – »hier wohnt der Herr Oberstleutnant, – dort drüben ist die Wohnung des Herrn Leutnants, – der in Frankreich ist, – da darf nichts geändert werden, – der Herr Oberstleutnant haben den Schlüssel, damit der junge Herr alles wiederfindet, wie er es verlassen hat, – wenn er wiederkommt,« sagte er seufzend mit einer fast weinerlichen Stimme, »und ihn dort nicht schon eine verdammte französische Kugel getroffen hat, – das wäre ein großer Jammer, denn der Herr Oberstleutnant haben nur einen Sohn – und lieben ihn so sehr!«

Er öffnete die innere Tür, und Frau von Rantow trat in das Wohnzimmer, während Fräulein Anna, wie unwillkürlich zögernd, einen Augenblick stehen blieb und einen langen Blick auf die gegenüberliegende Tür heftete, bevor sie der Baronin folgte.

Das Wohnzimmer des Oberstleutnants war ein ziemlich großer Raum mit zwei Fenstern und etwas ungleichen, mit Ölfarbe gestrichenen Dielen; – sehr einfache weiße Vorhänge hingen vor den Fenstern, ein Spiegel in schwarz gewordenem Mahagonirahmen befand sich vor dem Mittelpfeiler über einer alten, breiten und tiefen Kommode, welche eine Stutzuhr von weißem Marmor und vergoldeter Bronze und zwei Leuchter trug. An der langen Wand des Zimmers stand ein hochlehniges Sofa mit einem großen runden Tisch davor und zwei tiefen Lehnstühlen daneben. Über dem Sofa hingen die Kupferstichporträts Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise, sowie die Bilder Friedrich Wilhelms IV. und des regierenden Königs in Uniform mit Helm und Schärpe, darunter eine kleine Lithographie des Garnisonorts, in welchem der Oberstleutnant lange gestanden. Gegenüber stand ein kleiner Schreibtisch, auf welchem alles Schreibgerät mit militärischer Ordnung rangiert war, – dem man aber doch ansah, daß das Schreiben nicht zu den regelmäßigen und vorzugsweise betriebenen Beschäftigungen des Oberstleutnants gehörte. Darüber hing das in Kreidezeichnung hübsch ausgeführte Porträt der verstorbenen Gemahlin des Oberstleutnants, einer freundlich blickenden Dame mit einer runden, weißen Haube, in einen schwarzen Holzrahmen gefaßt und mit einem Kranz von Immergrün und Immortellen umgeben. In der andern Ecke sah man einen kleinen Bücherschrank mit wenigen, aber sehr sauber gebundenen Büchern, – daneben einen Pfeifentisch mit einer großen Anzahl schöner und vortrefflich gehaltener Pfeifen, darunter einige Prachtstücke von Meerschaumköpfen mit schweren Silberbeschlägen, in der Mitte einen großen und tiefen Tabakskasten von fast schwarz gewordenem Mahogoniholz mit einer Silberplatte, auf welcher das Wappen des Oberstleutnants eingegraben war.

Frau von Rantow umfaßte mit einem flüchtigen Blick dies einfache Zimmer des alten Soldaten, welches das Bild eines ganzen, in stiller, anspruchsloser Pflichterfüllung dahingeflossenen Lebens darbot.

Dann wandte sie sich nach der dem Sofa gegenüberliegenden Tür, welche der Bursche vorantretend öffnete und welche nach dem Schlafzimmer des alten Herrn führte, während Fräulein Anna vor dem Bilde mit dem Immortellenkranz über dem Schreibtisch stehen blieb und dasselbe mit einem Blick voll sinnender Rührung betrachtete.

Das Schlafzimmer des alten Offiziers war noch einfacher. Man sah hier nur einen großen, tiefen, eichenen Schrank, einen kleinen Toilettentisch, einen großen Lehnstuhl von braunem Leder und neben den mit grünen wollenen Vorhängen halb verhängten Fenstern einen großen weißen Tisch, auf welchem der Bursche des Oberstleutnants einige Teller und Gläser, eine große Tasse und eine weiße, glänzend blank geputzte Kaffeemaschine auf einer kleinen Spirituslampe zusammengetragen hatte, mit welchen Gerätschaften er, so gut es angehen wollte, die Bedürfnisse der Pflege seines kranken Herrn zu befriedigen versuchte.

An der Wand der Tür gegenüber stand ein schmales Bett, und auf demselben lag, gerade und unbeweglich, der alte Herr von Büchenfeld in einer blendend weißen, fast bis zum Halse zugeknöpften Pikeejacke. Sein Kopf mit dem etwas emporstehenden, kurz geschnittenen grauen Haar war tief in die Kissen zurückgesunken, sein Gesicht mit den immer schon etwas kränklichen Zügen war totenbleich, und nur unter den tief eingesunkenen, geschlossenen Augen zeigte sich eine scharfe, fieberhafte Röte.

Frau von Rantow trat schnell an das Bett und blickte mit inniger Teilnahme und unruhiger Sorge auf den Kranken, der in kurzen, regelmäßigen Zügen atmete und in jenem leichten Schlummer der Ermattung dazuliegen schien, der die Sinne nur halb betäubt und dem Körper keine Erquickung bringt. War es durch das Rauschen des Kleides der Dame oder durch den auf ihn gehefteten Blick derselben, – der Oberstleutnant erwachte, schlug langsam die Augen auf und blickte Frau von Rantow erstaunt und fragend an, als vermöge er sich die Anwesenheit dieser Dame, deren Gesicht durch den Fenstervorhang beschattet wurde, nicht zu erklären.

»Sehen Sie mich nur recht an, lieber Büchenfeld,« sagte Frau von Rantow, indem sie unter dem heitern Ton den schmerzlichen und peinlichen Eindruck zu verbergen suchte, welchen der Anblick des kranken, leidenden alten Herrn ihr machte, »sehen Sie mich nur recht an und erkennen Sie mich, – mein Mann hat mir soeben erzählt, daß Sie krank sind und keine weibliche Pflege haben, – da bin ich denn gleich gekommen, um zu sehen, wo es etwas zu helfen gibt, – eine solche Junggesellenwirtschaft taugt nichts für einen Kranken; – mögen sie sich so sehr sträuben, als sie wollen, wenn Sie der Pflege bedürfen, müssen die Männer doch unsere Überlegenheit anerkennen.«

Der Oberstleutnant hatte mühsam den Kopf etwas erhoben, und in seinen matten Augen leuchtete ein Blitz der Freude auf, als er Frau von Rantow erkannte. Er streckte ihr seine Hand entgegen und hob sich mit Anstrengung empor, um in seiner gewohnten galanten Artigkeit seine Lippen auf die ihrige zu drücken.

»Wie gut sind Sie, meine gnädigste Freundin,« sagte er mit matter Stimme, »nach einem alten kranken Mann zu sehen, der hier einsam und allein daliegt, – aber auch allein fertig werden kann,« fügte er hinzu, indem ein Ausdruck festen, fast eigensinnigen Stolzes um seine Lippe zuckte, »ich hoffe bald meine Krankheit überwunden zu haben und bin ja seit dem Tode meiner guten Frau die Junggesellenwirtschaft gewohnt, da kann ich mir schon alles schaffen, was ich bedarf.«

Ein nervöses Zittern seiner Hände strafte die zuversichtlichen Worte Lügen, und Frau von Rantow sagte mit wehmütigem Lächeln:

»Nein, nein, mein lieber Freund, Sie können sich nicht alles schaffen, was Sie bedürfen. Ich werde hier ein wenig Ordnung machen, denn was ich hier auf dem Tische sehe, flößt mir sehr geringes Vertrauen zu Ihrer Pflege ein.«

Fräulein Anna war auf der Schwelle der Tür des Schlafzimmers erschienen. Ihr Auge ruhte mit tränenfeuchtem Schimmer auf dem kranken Oberstleutnant.

»Hier, mein lieber Büchenfeld,« sagte Frau von Rantow, »ist eine Freundin von mir, Fräulein Cohnheim, welche mich in meinem guten Werk unterstützen wird, sie wird Ihnen eine Zeitlang Gesellschaft leisten, während ich hingehen werde, um Verschiedenes herbeizuschaffen, was Sie in Ihren gesunden Tagen für überflüssig erachtet haben, was ich aber jetzt nicht entbehren kann, um für Sie zu sorgen.«

Der Oberstleutnant streckte die Hand aus und rief fast erschrocken:

»Ich bitte Sie, meine gnädige Frau, bemühen Sie sich nicht, ich habe alles, – mein Bursche sorgt vortrefflich für mich.«

Frau von Rantow drohte freundlich mit dem Finger.

»Sie sind ein so galanter Mann, lieber Büchenfeld, und dürfen sich daher den Anordnungen einer Dame nicht widersetzen. Außerdem sind Sie immer ein Mann der guten alten Zeit gewesen, – mein Herr und Gemahl hat mir befohlen, für Sie zu sorgen und Ihre Pflege zu übernehmen, – Sie dürfen mich also nicht zum Ungehorsam verleiten. Bitte, liebe Anna, unterhalten Sie Herrn von Büchenfeld, ich bin gleich wieder da.«

Und schnell sich abwendend ging sie hinaus. Unmittelbar darauf hörte man das Rollen ihres fortfahrenden Wagens.

Fräulein Anna trat zögernd mit niedergeschlagenen Augen an das Bett heran.

»Was kann ich Ihnen geben? Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Oberstleutnant?« sagte sie mit fast tonloser Stimme.

»Mein Gott, mein gnädiges Fräulein,« erwiderte der alte Herr, »Sie sind zu gütig, – wie auch Frau von Rantow zu gut und zu freundlich ist, – gar zu gut, ich bedarf nichts, ich habe vorhin meinen Tee getrunken, – ich habe wirklich – wirklich nichts nötig.«

»Sie dürfen nicht sprechen, Herr Oberstleutnant,« sagte das junge Mädchen, »und meine Unterhaltung würde Ihnen vielleicht auch wenig Zerstreuung gewähren. – Kann ich Ihnen nicht etwas vorlesen?«

»O, mein Gott,« rief der alte Herr, indem seine Blicke sich belebten, »Sie sind zu liebenswürdig, ich darf es kaum annehmen, – aber ich habe hier so lange allein gelegen, meine Augen sind matt, und das Lesen greift mich an, wenn Sie wirklich so freundlich sein wollten, – ich würde Ihnen in der Tat recht dankbar sein!«

»Darf ich ein Buch aus Ihrer Bibliothek holen,« fragte Anna, indem sie schnell ihren Hut und ihren Mantel ablegte, »wollen Sie mir vielleicht sagen, was Sie zu hören wünschen?«

»Meine Bibliothek ist sehr klein,« sagte der alte Herr, »aber was ich immer und immer wieder gern lese und höre, das ist die Geschichte des Siebenjährigen Krieges von Archenholz. Sie steht oben in der ersten Reihe, – aber das wird Sie langweilen, das ist nichts für eine Dame –«

»O, von mir ist nicht die Rede,« sagte Fräulein Anna – Und schon war sie in dem Nebenzimmer, um bald darauf mit einem Bande des bezeichneten Werkes zurückzukehren.

»Schlagen Sie nur auf, wo Sie wollen,« sagte der Oberstleutnant, als sie mit dem Buch in der Hand ihn fragend anblickte. »Ich weiß mich gleich zurechtzufinden, – ich kenne das alles, aber ich lese es immer wieder so gern, – es tut dem Herzen eines alten Soldaten, der seine Dienstzeit im Frieden verlebt hat, so wohl, die Geschichte der ruhmvollen Taten unserer Armee unter dem großen Friedrich zu verfolgen, – aber es wird zu dunkel sein, es wird schon Abend, und die Fenster sind verhangen –«

Fräulein Anna eilte hinaus. Nach einigen Augenblicken kehrte sie mit der kleinen gelben Schiebelampe des Oberstleutnants wieder zurück, während der Bursche mit schweren Tritten ganz verwundert nachkam, da er sich noch immer nicht recht klarmachen konnte, was diese Damen wohl mit seinem Herrn vorhätten.

Fräulein Anna hatte schnell ein Schwefelholz gefunden, die Lampe angezündet und aus einem geographischen Atlas, den sie aus der Bibliothek herbeiholte, einen Lichtschirm improvisiert, der den blendenden Strahl von dem matten Auge des Oberstleutnants abhielt.

Der Bursche zog sich kopfschüttelnd wieder zurück.

»Wie Sie das alles so gut und so schnell zu machen verstehen,« sagte der alte Herr, indem sein Blick ganz glücklich und freundlich auf den schönen, vom Lampenlicht beleuchteten Gesichtszügen des jungen Mädchens ruhte, das sich schon niedergesetzt hatte und, das Buch aufschlagend, bei einem der ersten Kapitel zu lesen begann.

»Ah, das ist die Schlacht von Hohenfriedberg,« sagte der Oberstleutnant, nachdem sie einige Zeilen gelesen, – »das ist schön, das ist schön, da haben Sie gerade ein Kapitel getroffen, das ich ganz besonders liebe, – das klingt so gut an unsere Zeit an, in der unsere braven Truppen da draußen so kühne und heldenmütige Schlachten schlagen, – ich habe auch einen Sohn da draußen,« fügte er halb leise hinzu. Seine Worte verloren sich in einem stillen Seufzer.

Fräulein Anna bedeckte ihre Stirn mit der Hand, ihre Stimme zitterte ein wenig, – aber bald fuhr sie in hellem, klarem Ton fort zu lesen, und der alte Herr lauschte mit geschlossenen Augen der Erzählung von den kühnen Reitertaten aus der vergangenen Ruhmeszeit, welche ihm noch viel schöner und herrlicher erschienen, da sie ihm von diesem so zarten und anmutigen Mädchen vorgelesen wurden, welche so plötzlich wie ein feenhaftes Lichtbild hier in seiner knappen, gleichmäßigen und einsam abgeschlossenen Häuslichkeit erschienen war.

Es mochte ungefähr eine Stunde vergangen sein, als Frau von Rantow wieder erschien und die Lektüre unterbrach. Ihr Diener folgte ihr, und er sowohl als der Bursche des Herrn von Büchenfeld trugen zahlreiche Körbe und Pakete in das Vorzimmer, aus denen die Baronin eine Menge von Dingen entwickelte, deren Anblick das größte Erstaunen des Burschen erregte. Mit einem geschäftigen Eifer, welcher der sonst so vornehmen Ruhe der Baronin nicht eigentümlich war, ließ sie zunächst den weißen Tisch im Schlafzimmer des Oberstleutnants abräumen, deckte über denselben eine große Serviette, und holte dann aus dem Wohnzimmer eine vollständig montierte Berzeliuslampe und eine Anzahl von Tassen, Gläsern und Wasserflaschen herbei, um alle Tisanen und Getränke, welche einem Kranken nötig und nützlich sein können, herzustellen. Dann brachte sie Orangen und Zitronen, Flaschen mit Fruchtsäften und alten Weinen, Selterswasser, – kurz, sie entwickelte, unterstützt von Fräulein Anna, ein ganzes Arsenal für die sorgfältigste Krankenpflege.

Der Oberstleutnant wollte sprechen und gegen alle diese Aufmerksamkeiten protestieren, aber in tiefer Rührung fand er keine Worte und blickte feuchten Auges auf den geschäftigen Eifer der beiden Damen.

»Nun, Friedrich,« sagte er endlich lächelnd, aber mit bebender Stimme, – »mit dem allen werden wir niemals umzugehen lernen!«

Das ungeheuer verwunderte Gesicht des Burschen mit den weit aufgerissenen Augen schien diese Vermutung des Oberstleutnants zu bestätigen.

»Doch, doch,« sagte Frau von Rantow, »kommen Sie her, Friedrich, ich werde Ihnen zeigen, wie Sie das machen müssen.«

Friedrich trat heran, schnellte die beiden Absätze aneinander, und indem er die kleinen Finger fest auf die Naht seines Beinkleides preßte, sagte er im Ton dienstlicher Ehrfurcht:

»Zu Befehl, gnädige Frau!«

Darauf zeigte ihm Frau von Rantow die Handhabung der Berzeliuslampe und die der übrigen auf dem Tische stehenden Gegenstände.

Er schien alles wohl zu begreifen, und in kurzer Zeit summte über der hellen Flamme das Wasser im Kessel. Dann goß die Baronin das kochende Wasser über einen Schiffszwieback, fügte etwas Zucker und ein wenig Wein hinzu und brachte dem Oberstleutnant eine Tasse dieses Getränks.

»Trinken Sie, mein lieber Büchenfeld,« sagte sie, »dies wird Sie leicht ernähren, Ihre Kraft erhalten, ohne Sie aufzuregen. Dann werden Sie versuchen zu schlafen, und morgen früh werden wir wiederkommen, um nach Ihnen zu sehen. Ich werde mich dann mit Ihrem Arzt in Verbindung setzen, – und Sie werden sich überzeugen, daß gegen die Krankheit, diesen bösen und heimtückischen Feind, die Frauen bessere Mittel haben als ihr hochmütigen Männer.«

Der Oberstleutnant erwiderte nichts, – er versuchte sich emporzurichten, aber seine Kräfte schienen dazu nicht auszureichen. Friedrich wollte herbeispringen, aber Fräulein Anna war bereits zu ihm getreten und unterstützte ihn, indem sie sein Kissen erhob und aufrecht hielt. Der alte Herr leerte die ihm gereichte Tasse und ein tiefer Atemzug wohltätiger Befriedigung hob seine Brust, als er wieder in das Kissen zurücksank, das Fräulein Anna langsam niederlegte.

»Wie kann ich Ihnen jemals danken,« sagte er, – »Sie –«

»Still,« rief Frau von Rantow, »das werden wir alles später abmachen, – wenn Sie wieder gesund sind, – dann verspreche ich Ihnen, Ihren Dank anzuhören. Jetzt werden Sie ganz still sein, kein Wort mehr sprechen und zu schlafen versuchen. Hier, Friedrich,« fuhr sie fort, sich an den Burschen wendend, »von diesem Selterswasser und diesem Fruchtsaft werden Sie dem Herrn Oberstleutnant zu trinken geben, wenn er in der Nacht dürstet. Jetzt leben Sie wohl, mein alter Freund, der Himmel schütze Sie, – morgen bin ich wieder bei Ihnen.«

Fräulein Anna trat heran.

»Und darf ich auch wiederkommen,« fragte sie, »und Ihnen vom Siebenjährigen Krieg vorlesen?«

»Wenn Sie so viel Güte für einen alten Mann haben wollen,« fagte der Oberstleutnant tiefbewegt, »so werden Sie mir eine große, große Freude machen.«

Er streckte seine zitternde Rechte dem jungen Mädchen hin, und indem er mit der andern Hand leicht ihr Haupt berührte, das sie grüßend herabneigte, sprach er:

»Gott segne Sie, mein Kind, für Ihr gutes Herz und Ihre Wohltat an mir.«

Fräulein Anna zitterte, – tiefer noch neigte sie ihr Haupt herab, und der alte Herr fühlte einen warmen Tränentropfen auf seine Hand niederfallen. Dann eilte sie schnell, als wollte sie ihrem eigenen Gefühl entfliehen, Frau von Rantow nach, welche bereits das Wohnzimmer durchschritten hatte, und die beiden Damen stiegen die Treppe hinab.

»Ja, Gott segne sie,« rief Friedrich, welcher beim Oberstleutnant zurückgeblieben war, »jene vortrefflichen Damen! – Jetzt wollen wir den Herrn Oberstleutnant schon bald wieder gesund haben, denn so wie die es verstehen, hätte ich es doch immer machen können, – und dem Herrn Oberstleutnant vorzulesen, wäre ich schon gar nicht imstande gewesen.«

Der alte Herr hatte die Hände gefaltet und sprach leise:

»Ich fühle mich einsam und verlassen und habe solche Freunde, – ich habe unrecht gehabt, mein Gott, zu zagen, und mit neuem Mut und Vertrauen sende ich nun die eine tägliche und stündliche Bitte zu dir empor: ›Beschütze gnädig meinen Sohn und erhalte ihn mir‹!«

Er schloß die Augen, und allmählich zeigten seine regelmäßigen und ruhigen Atemzüge, daß ein wohltätiger Schlaf sich auf ihn niedersenkte.

Friedrich holte einen Rohrstuhl aus dem Wohnzimmer herbei und setzte sich, gegen die Wand gelehnt, auf denselben, um den Schlummer seines Herrn zu bewachen, indem er den Blick auf den Tisch mit den Flaschen richtete und sich im Geist die Vorschrift der Frau von Rantow über die Mischung des Getränks wiederholte, das er dem Oberstleutnant reichen sollte.


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