Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Einunddreißigstes Kapitel

Ruhig floß der breite Rhein durch die reichen Wiesen und Fruchtfelder bei Düsseldorf seinen Mündungen zu, im hellen Strahl der Maisonne blitzten und schimmerten seine Wellen, indem sie sanft murmelnd durch die überhängenden Weidenzweige des Ufers dahinzogen. Ringsum in den Dörfern und auf den Fluren herrschte reges Leben, überall waren die Bewohner mit der Feldarbeit beschäftigt, und fröhliche Lieder schallten aus den verschiedenen Gruppen zum Himmel empor. Der mächtige Strom, die Wiesen, die grünen Saaten, die Bäume mit ihren jungen Blättern – alles schien Glück und Freude zu atmen unter dem Segen des nunmehr besiegelten Friedens, – dieses Friedens, der so hart erkämpft war, der so schwere Opfer gekostet an des Volkes edelstem Blut, – der aber nun auch den höchsten und herrlichsten Preis gesichert und den drohenden und lauernden Feind für immer von den Ufern des deutschen Stromes zurückgedrängt hatte, vor welchen nun die beiden alten Reichsfesten, durch des geeinigten Volkes Kraft wiedergewonnen, starke Wacht hielten.

Ein junger Husarenoffizier ritt auf der Landstraße hin, welche nach dem Schloß von Rensenheim führte, dessen glänzendes Dach durch die erst leicht belaubten Blätter herüberschimmerte.

Wenige nur von den Bewohnern der Ortschaften, durch welche die Straße führte, oder von den auf den Feldern beschäftigten Arbeitern erkannten in dem auf seinem schlanken und kräftigen Pferde schnell vorbeitrabenden Offizier den Grafen Xaver von Spangendorf, welcher, seinem Regiment voraus, der Heimat zueilte, um nach so langer Trennung, nach so viel überstandener Gefahr das väterliche Haus und die Seinen wiederzusehen.

Der junge Mann war kräftiger und männlicher geworden in der großen, ernsten Zeit, – sein früher weiches, freundlich-heiteres Gesicht hatte festere Züge angenommen, ein dichter, blonder Vollbart umgab dasselbe, und auch seine Gestalt, in deren Haltung früher eine gewisse gemütliche Bequemlichkeit lag, saß fest und gerade im Sattel.

Aber wenn auch nur wenige der Begegnenden den Sohn und Erben des allgemein verehrten Schloßherrn von Rensenheim erkannten, so grüßten ihn doch alle, – trug er doch den Rock der überall so lieb und volkstümlich gewordenen Armee, – dieser Armee, um welche die Waffenmacht von ganz Deutschland sich geeinigt und welche das deutsche Vaterland vor der drohenden Heeresmacht Frankreichs geschützt hatte, dessen verheerende Raubzüge von Generation zu Generation in der Überlieferung des Volksmundes fortlebten.

Freundlich erwiderte der Offizier die Grüße, – noch freundlicher aber sein Bursche, der etwa dreißig Schritte entfernt hinter ihm ritt, und der öfter einen oder den andern der Arbeiter auf dem Felde anrief, worauf dieser herankam und den im Dienste des Spangendorfschen Hauses aufgewachsenen Sohn der Gegend erkennend, in laute Freudenrufe ausbrach, ihm die Hände schüttelte und lange mit Fragen den Heimkehrenden bestürmte, bis dieser dann, sich rasch losmachend, eilig seinem bereits weit voraus gerittenen Offizier nachsprengte, um, noch ehe er denselben eingeholt, von neuem begrüßt und angehalten zu werden.

Die Sonne sank zum Horizont herab, – ihre schrägen Strahlen schimmerten in wunderbar lichtem Goldglanz durch das frische Grün der hohen Bäume des Parkes von Rensenheim, und in plötzlicher Erinnerung durchzuckte den jungen Grafen die Erinnerung an jenen Abend, an welchem er vor einem Jahre hier an der Seite seines Freundes nach dem väterlichen Schloß hinausgeritten war. Alles war wie damals, – wie damals rauschte der Rhein, wie damals glänzte das Schieferdach seines heimatlichen Hauses aus den Baumkronen hervor, – auch die Zeit war so gar lang nicht, welche seitdem vorübergegangen, – und doch – welche tiefe Kluft, tief einschneidend in das Völker- und Familienleben, lag zwischen jenem Abend und jetzt! Wer furchtbarste Krieg seit Menschengedenken hatte die Welt durchtobt, und zwei große Nationen bluteten noch aus allen Wunden, die ihnen dieser Krieg geschlagen, – die siegende nicht minder als die besiegte. Und wie tief und wunderbar hatten diese großen Ereignisse hineingegriffen in sein eigenes Haus und seine Familie! Nach schweren Leiden erstanden, war vor kurzem erst sein Freund, der Leutnant von Rothenstein, für das ganze Leben verstümmelt, geleitet von der an den Grenzen des Todes ihm vermählten Gattin, nach Rensenheim zurückgekehrt – sein Leid und seine Todesgefahr aber hatten die in fromme Schwärmerei versinkende Geliebte dem Leben und dem Glück wiedergewonnen, – und dann gedachte er seines Bruders Franz, der alles verloren hatte in diesem einem Jahre, was damals sein Herz mit freudiger Hoffnung erfüllte, und der nun, nachdem er sich langsam von den Folgen seines entsetzlichen Kampfes mit Barbarino erholt, ebenfalls im Vaterhaus ausruhte von allem Seelen- und Körperleid, das ihm diese schwere Zeit gebracht.

Alles dies zog durch die Seele des Grafen Xaver, – von fern herüber drang der helle Glockenton des Abendläutens einer kleinen Kapelle, – unwillkürlich ließ der junge Mann die Zügel auf den Hals seines Pferdes sinken, langsam im Schritt weiter reitend, sprach er die Worte des Ave Maria, – und all sein wehmütiges Gefühl stieg mit diesen Worten, die schon von so viel tausend Lippen, bald inbrünstig, bald gedankenlos, gesprochen waren, zum goldgesäumten Abendhimmel empor.

Dann aber gedachte er der ewigen Barmherzigkeit, welche trotz aller Prüfungen ihm die Seinen erhalten, – welche ihn unverletzt aus so vielfach drohender Gefahr zurückführte, – er sah vor sich das Bild seines so bald nach ihrer Vereinigung zurückgelassenen Weibes, – und neben ihr erschien noch ein anderes Bild, – das Bild eines zarten Wesens mit lächelndem Blick, aus welchem des Himmels reiner Gruß ihm entgegenstrahlte, – eines Wesens, das er noch nicht gesehen, – und das doch sein war, von Gott ihm geschenkt, als der Heimat schönste Liebesblüte, während er draußen stand gegen des Vaterlands drohende Feinde, – mit raschem Ruck zog er die Zügel an und drückte die Sporen gegen des Pferdes Weichen, so daß das edle Tier, scharf anspringend, ihn im Galopp davontrug – zum großen Erstaunen des nachfolgenden Burschen, der seine Unterredung mit einigen Arbeiterinnen, die kichernd und errötend seine Scherze erwiderten, schnell abbrach und seinem Offizier in derselben scharfen Gangart nachfolgte.

Während Graf Xaver so voll stürmischer Sehnsucht und jubelnder Hoffnung der lange entbehrten Heimat zueilte, saß dort im Garten von Rensenheim unter dem hohen, alten Lindenbaum, durch dessen noch durchsichtige Krone der leichte Abendwind rauschte, der Graf von Spangendorf auf dem gewohnten Platz, – neben ihm auf dem Tisch stand in großer Kristallbowle der edle Wein von den Ufern des heimischen Stroms, mit den duftigen Spitzen des frischen Waldmeisters vermischt, und eben hatte Gabriele, die Baronin von Rothenstein, das mit feinem, grünem Blätterkranz verzierte Kelchglas ihres Vaters gefüllt, der mit seinem Sohn, dem Grafen Franz, in ernstem Gespräch begriffen war, während die junge Gräfin Josephine aufgestanden war und in die Allee des Parks hinausschritt, um die Wärterin mit ihrem zwei Monate alten Erstgeborenen zurückzurufen.

Der Graf war wenig älter geworden, sein volles Gesicht hatte noch dieselbe lebendig frische Farbe und seine Haltung war elastisch und kräftig, – aber seine Züge waren schärfer und tiefer geworben, nicht mehr die leichte, heitere Lebenslust der vergangenen Tage glänzte in seinen Augen, sondern ernste innerliche Kraft, gereift in den Zeiten des Kampfes und der Sorge, lag in seinem Blick. Graf Franz, der, zuweilen trotz der milden Luft leise fröstelnd, in einen weiten schwarzen Überrock gehüllt, neben seinem Vater saß, war bleich und abgemagert, – schwere Körper- und Seelenleiden hatten ihre Spuren in sein eingefallenes Gesicht gegraben, feine Falten zogen sich über seine Stirn, – tiefer Schmerz lag in seinen Blicken, – aber verklärt von dem Ausdruck sanfter, ruhiger Ergebung. Gabriele aber, die Frau von Rothenstein, war schöner und schien fast größer geworden als früher. Zwar war ihre Gestalt noch ebenso zart und schlank, aber ihre Haltung war stolzer und fester, die weichen, kindlichen Züge unklarer Sehnsucht und Schwärmerei waren von ihrem Gesicht verschwunden, fester Wille und entschlossener Mut lagen um ihre frischen Lippen, und aus den großen Augen sprach freudige, hoffnungsvolle Zuversicht und die klare Erkenntnis eines schönen, ihr ganzes Wesen erfüllenden Lebensberufs.

»Sie ist glücklich!« sagte der Graf, indem er nach einem langen Zug aus seinem Kelche mit wehmütigem Lächeln der jungen Gräfin Josephine nachblickte, welche elastischen Schrittes in der frisch ergrünten Allee des Parks verschwand, – »sie ist glücklich, – sie hat der Himmel gnädig vor allem Unheil bewahrt, er hat ihr sein schönstes und reichstes Geschenk gegeben, während er so vielen Armen alles nahm, – und frisch und kräftig wird ihr Mann zu ihr zurückkehren!«

Er wendete den Blick mit dem Ausdruck der Trauer und des Mitleids zu seinen Kindern.

»Und bin ich nicht glücklich, mein Vater?« fragte Gabriele in fast vorwurfsvollem Ton, – »habe ich nicht aus diesen Tagen voll Leiden und Not den herrlichsten Schatz, – das reichste Kleinod für mein Leben davongetragen?«

»Ich danke Gott,« erwiderte der Graf, »daß er es so gefügt, daß er dich zurückgeführt hat von dem Weg, auf dem du ihm zu dienen glaubtest, – aber«, sagte er dann seufzend, – »es geht mir doch immer ein tiefes Weh durch das Herz, wenn ich den armen Rothenstein sehe, wie er mit seinem hölzernen Fuß, auf deinen Arm gestützt, mühsam einhergeht, – er, der deine Stütze sein sollte!«

Hoch erglühend richtete Gabriele den Kopf auf.

»Ist des Körpers Gliederkraft die Stütze der Seele auf dem Wege des Lebens?« rief sie, – »o mein Vater, verzeih mir das Wort, – es ist eine Sünde, zu sprechen wie du es getan, – er, den ich liebe, um den ich mit den Schrecken des Todes gerungen habe, – er ist meines Herzens fester Halt, wenn auch seine Hand auf meinen leitenden Arm sich stützt, sein treuer, mutiger und reiner Sinn ist mir Leuchte und Stab, und nichts, mein Vater, nichts fehlt zu meinem Glück, – die irdische Liebe hat mich den Himmel finden lassen mit seinem Frieden und jetzt erkenne ich den Irrweg, dem ich folgte, – denn ohne diese Liebe und den Strahl ihres verklärenden Glückes wäre meine Seele in Nacht und Dunkel versunken!«

Graf Franz seufzte tief auf und ließ das Haupt auf die Brust sinken.

Erschrocken blickte Gabriele zu ihm hin, – sie hatte nicht bedacht, wie schmerzlich ihre Worte ihn berühren mußten, – rasch stand sie auf, legte ihren Arm um seine Schulter und drückte einen Kuß auf sein Haar.

»In Nacht und Dunkel versinkt keine Seele,« sagte er, den Kopf aufrichtend, »in deren Tiefe das reine Licht des Glaubens leuchtet, – dieser Leuchte will ich folgen, – sie wird mir den Weg zum Hafen der Ruhe und des Friedens zeigen.«

»Ich habe reiflich und lange nachgedacht, mein Vater,« fuhr er fort, sich zum Grafen Spangendorf wendend, – »mein Glück in der Welt ist zerbrochen, – ich ergebe mich in den Willen des Allmächtigen, – aber ein anderes Glück kann ich auf weltlicher Lebensbahn nicht finden, – mein Entschluß steht fest, dem geistlichen Beruf mich zu weihen, und ich bin gewiß, mein Vater, daß du mir dazu deine Genehmigung und deinen Segen geben wirst.«

»Du bist Mann geworden, mein Sohn, in schwerer Zeit, und wenn mich einst der Entschluß Gabrielens, welche der Welt entsagen wollte, ohne sie zu kennen, mit Schmerz erfüllte, so werde ich dir auch nicht mit einem Worte der Abmahnung entgegentreten. Dem Grafen Spangendorf«, fuhr er mit stolzem Selbstbewußtsein fort, »wird auch im Dienst der Kirche der Wirkungskreis nicht fehlen, welcher der Arbeit und dem hohen Streben ruhmreichen und ehrenvollen Lohn sichert, – unser Haus zählt der Bischöfe und Erzbischöfe nicht wenige unter seinen Gliedern, – und mehr als je vielleicht«, sagte er, den sinnenden Blick in die Ferne richtend, »wird unsere Zeit es erfordern, daß edle Kräfte sich dem Dienst der Kirche widmen. Es stehen Kämpfe, heftige Kämpfe bevor im Schoß der Kirche selbst und auf dem Boden, auf welchem sie mit der weltlichen Macht sich berührt. Ich beklage es, daß man von Rom aus rücksichtslos die Fäden der alten Weltherrschaft wieder über alle Geister hinziehen will, – das muß die weltliche Macht herausfordern und selbst unsere Bischöfe müssen dadurch in schwere Gewissenszweifel gebracht werden, ob sie die Kirche, deren Hirten sie sind, gegen schrankenlose Herrschaft der Kurie verteidigen, oder mit Rom gegen die Regierung ihres Landes in den Kampf treten sollen. Wie Elemente des Unglaubens, der politischen und kirchlichen Negation werden in diesem Kampfe aufgewühlt werden, – sie werden sich an die Fersen der Regierung heften, und ich sehe viel Dunkel und Verwirrung heraufsteigen, wie in den traurigen Zeiten, die wir für längst vergangen hielten, – und dann, mein Sohn, kann einem Diener der Kirche, der mit kluger Hand in diesen Kampf hineingreift, hoher Ruhm und hohes Verdienst auch um das Vaterland zuteil werden.«

Sanft lächelnd schüttelte Graf Franz den Kopf.

»Du sprichst von Kampf und kühnem Streben, mein Vater,« sagte er, – »ich habe des Kampfes genug gehabt in meinem kurzen Leben, und der Ehrgeiz, der einst in mir lebte, ist erstorben mit den irdischen Hoffnungen meines Herzens – ich suche den Frieden – dem Dienst der heiligen Liebe will ich mich weihen unter dem ritterlichen Kreuz der Maltheser, – der Haß hat mein irdisches Glück zerstört,« sagte er, leise zusammenschauernd, – »ich will Liebe geben allen Leidenden, soviel ich in meiner Seele finde, – der Fluch hat mein Haupt berührt, – ich will Segen spenden allen Bekümmerten, soviel die Kraft meines Glaubens mir gewähren wird, – so allein, mein Vater, kann ich den Frieden finden, den Frieden, der mir das ewige Glück gewähren soll für das vergängliche!«

»Tue, wozu dein Gefühl dich treibt,« sagte Graf Spangendorf ernst, indem er seinem Sohn die Hand reichte, – »und folge dem Weg, auf dem du den Frieden findest, – aus dem Frieden wird die Kraft erwachsen, und so Gott meine Bitte erhört, wird diese Kraft doch dem Heil der Kirche und des Vaterlandes gehören!

»Der Pater Haug«, sagte er nach einem längeren Stillschweigen, – »wird nicht zu uns zurückkehren, – er hat mir geschrieben, daß er es für seine Pflicht halte, in dieser Zeit sich ganz dem unmittelbaren Dienst der Kirche zu weihen, und daß er in das Kollegium zu Paderborn eintreten werde.«

»Alle wollen sie eintreten in den Kampf um die Macht,« sagte Graf Franz seufzend, »und der, nach dessen heiligen Namen die Kirche sich nennt, hat sich doch aller Macht entäußert und nur der Demut die Krone des Lebens zugesagt!«

Gabriele hatte bei den Worten ihres Vaters zitternd den Blick zu Boden gesenkt, – ein langsamer Tritt wurde vom Hause her hörbar, – sie schlug die Augen auf und sprang mit einem leichten Aufschrei der Freude empor.

Der Leutnant von Rothenstein kam langsam zu der Gruppe unter dem Lindenbaum herangeschritten. Er trug den Militärüberrock und die weiße Mütze mit dem schwarzen Sametstreifen, den Farben seines Regiments. Sein Gesicht mit dem kleinen schwarzen Schnurrbart und den dunklen Augen sah noch blaß und angegriffen aus, aber Glück und Freude strahlten von demselben wider; – man sah keinen Stelzfuß, er stützte sich auf einen Stock und kam, vorsichtig auftretend, näher.

In einem Augenblick war Gabriele an seiner Seite.

»Wie ist es möglich,« rief sie, – »was hast du getan?«

Auch der Graf Spangendorf und Franz blickten verwundert und fragend auf den jungen Offizier.

»Eine Überraschung,« sagte dieser mit glücklichem Lächeln, – »ich habe einen künstlichen Fuß kommen lassen, von dem ich so viel gehört, – ich hoffte kaum, daß es gehen würde, und wollte nicht ohne Probe davon sprechen, – es hat meine Hoffnungen übertroffen!«

Ganz stolz machte er einige Schritte, fast ohne sich auf seinen Stock zu stützen.

»Nun kann ich doch meine Frau«, sagte er scherzend, aber mit tiefer Rührung im Ton seiner Stimme, »wenigstens fest und aufrecht in mein altes Schloß führen, dessen Einrichtung fast vollendet ist und das seiner Herrin harrt, – die Bilder meiner Eltern dort, welche mich immer so fremd anblickten, werden freundlich herablächeln, wenn ihr Haus nach so langer einsamer Öde sich wieder belebt!«

Gabriele legte ihren Arm in den seinen.

»Nun«, rief sie, lächelnd zu ihrem Vater hinüberblickend, »kann ich mich auf dich stützen, – auf deinen Arm wie auf dein treues Herz,« flüsterte sie ihm leise zu, – »nun mußt du mich auf einem Gange begleiten, der auch dich zu einer Überraschung führen soll.«

Freundlich nickte sie ihrem Vater zu, und langsam schreitend, vorsichtig auf jedes Hindernis am Wege achtend, ging sie mit ihrem Gatten in den Park.

Bald waren sie auf jenem runden Platz angekommen, auf welchem sie ihm einst die weiße Rose der Entsagung gereicht hatte und wo dann später sein Herz in wilder Verzweiflung von aller Hoffnung des Lebens sich losgerissen hatte.

Sie hatte es, seit er wieder zu kleinen Ausgängen fähig gewesen, absichtlich vermieden, ihn hierher zu führen, und er hatte ihr Dank dafür gewußt, – betroffen blickte er sie an, als sie jetzt den Platz betrat und ihn gerade zu der Stelle führte, welche für sie beide so erinnerungsreich war. Überwältigt von diesen Erinnerungen blickte er zur Erde nieder, bis sie stehen blieb und, einen Schritt zur Seite tretend, sagte:

»Sieh, mein Freund, – das ist meine Überraschung!«

Er sah auf und blieb verwundert stehen, während sie, glückselig lächelnd, feuchten Auges zu ihm hinblickte.

Die kleine Statue des heidnischen Liebesgottes war verschwunden, auf hohem felsenartigem Sockel von Granit erhob sich ein schlankes Kreuz von weißem Marmor, aus dessen Winkeln goldene Strahlen ausgingen. Rings umher waren die dichten Rosengebüsche künstlich geordnet, so daß sie an dem Felsenpostament bis zum Fuß des Kreuzes sich emporrankten, und einzelne ganz frische Stöcke öffneten eben ihre ersten Blüten. Alle diese Blüten aber schimmerten in dunklem Purpurrot, keine weiße Blume war zwischen ihnen.

»Du wolltest diesen Platz nicht betreten,« sagte sie, während er bewegt mit feuchtem Blick zu dem vom goldenen Licht der Abendsonne übergossenen Kreuz emporblickte, – »um den Mißton peinvoller Erinnerung nicht in unser Glück hinübertönen zu lassen, – sieh, mein Freund, ob nun nicht alles in schöne Harmonie sich auflöst!«

Er streckte ihr die Hand hin und zog sie sanft an sich, sie lehnte ihr Haupt an seine Brust und sprach, zu ihm aufblickend:

»Das Kreuz ist das Zeichen des Leidens, aber auch das Zeichen der Erlösung und der Auferstehung zu neuem Leben, – wir sind durch die Nacht des Leidens gegangen, und zu neuem Lebensglück erstanden, darum soll das Kreuz felsenfest auf dem Grund unserer Seelen stehen, – an feinem Fuß werden alle Dornen des Lebens immer reichere Blüten der Liebe tragen.«

Er beugte sich nieder, küßte innig ihre Lippen und sprach leise, indem er auf die Rosenzweige deutete:

»Und gibst du mir jetzt die rote Rose zur Erinnerung an diese Stunde, welche diesen Platz vergangener Schmerzen zu einer schönen, heiligen Erinnerungsstätte gemacht hat?«

»Bedarf es des Zeichens,« fragte sie, »um diese Erinnerung lebendig zu erhalten? Laß die Blüte ihr kurzes Leben im Sonnenlicht vollenden, – was sollen wir mit den welken, trockenen Blättern, tragen wir nicht des ewigen Frühlings schönste Rosen in uns?«

Lange standen sie noch schweigend aneinander geschmiegt vor dem einfachen und doch so tief bedeutungsvollen Sinnbild, das Gabrielens zartes und feines Gefühl errichtet, – immer reicher vergoldete der Sonnenstrahl den Marmor und die Rosenblüten, – leise rauschte der Abendhauch vom Rhein her durch die Wipfel der Baume, – Frieden atmete die Natur, und süßer, reiner Frieden zog durch ihre Herzen.

Als sie durch die Allee des Parkes dem Hause zuschritten, tönten ihnen helle Jubelrufe lauter, fröhlicher Stimmen entgegen.

Auf dem Platz vor der Freitreppe des Schlosses war die Dienerschaft versammelt, – Graf Xaver war angekommen, – die Gräfin, seine Mutter, stieg eilend die Treppe hinab, – der Graf hatte seinen Sohn schweigend an die Brust gedrückt, und der junge Mann stand jetzt in der Mitte der Seinen und der Diener des Hauses da, sein vor Glück strahlendes junges Weib im Arm, und Gräfin Josephine hob den kleinen Säugling zu dem Vater empor.

Herr von Rothenstein und Gabriele näherten sich, – Graf Xaver umarmte die Schwester und schüttelte kräftig des alten Freundes Hand. Dann aber rief er laut:

»Gott grüß' euch alle – alle, ihr Lieben, – aber noch habe ich keine Zeit für euch, – wir kennen uns ja, – erst muß ich diesen da begrüßen, den ich noch nicht kenne, – und der doch mein herrlichstes Kleinod ist.«

Er nahm das Kind in seine Arme und schaute überglücklich in die reinen Augen, aus denen des Himmels Abglanz in holder Unschuld ihm entgegenlächelte.

Graf Franz stand seitwärts, – über sein bleiches Gesicht zog ein Schimmer der Freude, – Gott hatte den herrlichsten und edelsten Trost in sein Herz gesenkt: das eigene Leid zu vergessen über fremdem Glück.


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