Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Sechstes Kapitel

In dem Präfekturgebäude von Metz hatte der Marschall Bazaine, welcher sich mit seiner Armee nach der Schlacht bei Gravelotte unter die Mauern der alten, unbezwungenen Festung zurückgezogen, sein Hauptquartier aufgeschlagen, und ringsumher in der Stadt und bis zu den äußeren Forts hin wimmelte es von Soldaten aller Waffen.

Noch reger und mannigfaltiger war das militärische Leben, das sich hier entwickelte, als in den Tagen des August, in welchen der Kaiser Napoleon hier an der Spitze der glänzenden und siegesgewissen Armee von Frankreich seinen militärischen Hof gehalten hatte.

Damals aber hatte die Stadt ein festliches Aussehen; ringsumher hallte alles von dem Jubel der kriegsfreudigen Truppen wider, und eine schimmernde Pracht entfaltete der kaiserliche Hof mit den herrlichen Pferden und Equipagen, den Hundertgarden und dem Generalstab der Marschälle von Frankreich, welche ihn umgaben. Damen in eleganten Toiletten hatte man damals in den Straßen gesehen, mit den Offizieren plaudernd, mit wehenden Taschentüchern den Kaiser grüßend, wenn er zu den Zeltlagern der Truppen hinausritt, zu denen die Eisenbahnzüge reiche Ladungen von Wein und Lebensmitteln hinführten und denen der begonnene Krieg als ein großer Festtag erschien.

Wie anders war es jetzt! Die Marschälle und Generale gingen still und traurig, gesenkten Blickes über die Straßen hin – in so kurzer Zeit waren die Siegeshoffnungen, welche sie damals hier im Mittelpunkt der französischen Aufstellung beseelt hatten, zertrümmert, und die Lorbeeren, welche sie sich erkämpft hatten auf den Schlachtfeldern der Krim, Italiens und Mexikos, lagen zerrissen und verwelkt im blutigen Schlamm der Schlachtfelder von Weißenburg und Gravelotte.

Schweigend, matt und traurig standen die Soldaten auf den Straßen umher oder lagen vor ihren Zelten bei den Außenwerken der Festung. Sie waren besiegt und geschlagen, statt den geträumten Siegeslauf nach Berlin zu nehmen, waren sie wieder hierher zurückgekehrt nach dem Ausgangspunkt des Feldzuges, der nur Niederlagen und immer wieder Niederlagen für sie zu verzeichnen hatte.

Ihre Rationen waren bereits bis unter die Hälfte herabgesetzt, Hunger und Entbehrung begannen sich fühlbar zu machen, man schlachtete und verzehrte die Pferde, welche ihrerseits ebenfalls hungerten und die Köpfe senkten.

Die Lazarette, welche schon mit Verwundeten überfüllt waren, reichten nicht mehr hin, um die Kranken aufzunehmen, deren Zahl sich täglich und stündlich vermehrte.

Die Einwohner von Metz sah man fast gar nicht mehr. Auch bei ihnen war Hunger und Entbehrung eingezogen, und sie wagten nicht, ihre Häuser zu verlassen, aus Furcht vor dem Beginn des preußischen Bombardements. Sie waren bereit, sich jeden Augenblick in die Keller ihrer Häuser zurückzuziehen, in welchen sie bereits ihre liebsten und kostbarsten Habseligkeiten geborgen hatten.

Der Marschall Bazaine allein trug das Haupt hoch und stolz, und wenn man ihn, von seinem Adjutanten begleitet, auf seinem starken Pferd durch die Straßen reiten sah, um die Korps außerhalb zu inspizieren und die Vorposten zu besuchen, dann wollte sich zuweilen wieder die Hoffnung in den niedergeschlagenen Herzen regen, und die Soldaten hatten Vertrauen zu diesem festen und strengen Führer, der von unten auf gedient und sich seinen Marschallstab wirklich aus dem Tornister des gemeinen Soldaten geholt hatte. Man hörte hier und da freudige Zurufe, wenn der Marschall vorbeiritt mit dem ernsten, ruhigen Gesicht, dem weißen Haar unter dem goldgestickten Käppi und dem dichten, schwarzen, militärischen Bart – und rasch mit den dunklen Augen seitwärts blickend, erwiderte der Marschall mit leichtem Kopfnicken die grüßenden Rufe.

Bald aber verschwanden wieder die Hoffnungen, welche sein Anblick und seine kaltblütige Sicherheit erweckt hatten, denn man wußte ja, daß der Platz so vollständig und so eng eingeschlossen sei, daß alle Boten, die versucht hatten, sich durch die feindlichen Linien zu schleichen, aufgehalten und meist wieder zurückgeschickt worden waren. Man wußte, daß die Vorräte auch bei der allergenauesten Einteilung nur noch auf eine bestimmte, ziemlich kurz berechnete Zeit ausreichen konnten, und daß der bedrängten Festung also nur von außen Hilfe kommen konnte.

Auf eine solche wagte man aber nicht mehr zu hoffen, denn trotz der Abgeschlossenheit der Festung waren dunkle Gerüchte von der Katastrophe bei Sedan unter die Truppen und die Bevölkerung gedrungen, und zu den schweren Schlägen, welche in so kurzer Zeit das französische Selbstgefühl und den französischen Ruhm getroffen hatten, gesellte sich die trübe und dumpfe Furcht vor noch weiterem und schwererem Unheil, das noch finsterer und drohender erschien, weil es ohne bestimmte Formen, wie ein täglich sich verdichtender Nebel, auf alle diese in der Festung eingeschlossenen Menschen sich herabsenkte.

Es war etwa elf Uhr abends. Der Marschall hatte bei dem einfachen Diner, in dessen Menü das Pferdefleisch eine hervorragende Rolle spielte, sich mit seinen Adjutanten und Ordonnanzoffizieren so ruhig, frisch und ungezwungen unterhalten, als befände er sich in seinem Hotel zu Paris in der Zeit des tiefsten Friedens.

Dann hatte er sich in das Nebenzimmer zurückgezogen und war im Begriff, mit dem Major Samuel, einem hochintelligenten und von ihm besonders bevorzugten Offizier seines Generalstabs, eine Partie Billard zu spielen.

Sein Diener meldete einen Offizier von den Vorposten, welcher den Marschall in dringenden Angelegenheiten sogleich zu sprechen wünsche.

Der Marschall Bazaine legte das Queue aus der Hand und trat erwartungsvoll dem Hauptmann der Franktireurs des Vosges entgegen, der ihm meldete, daß, von einem Offizier des Prinzen Friedrich Karl begleitet, ein Herr an den Vorposten erschienen wäre, welcher verlangte, augenblicklich zum Marschall geführt zu werden.

»Und wer ist dieser Herr?« fragte der Marschall verwundert.

»Ein Franzose, wie er mir gesagt und wie ich an seiner Sprache gehört, alles Nähere will er nur Eurer Exzellenz sagen.«

Kopfschüttelnd begab sich der Marschall in sein Kabinett und befahl dem Offizier, den Fremden dorthin zu führen.

Unmittelbar darauf trat Herr Regnier in das Kabinett, in welchem der Marschall ihn erwartete, die Hand auf einen in der Mitte stehenden Tisch gestützt, auf welchem, von einer herabhängenden Ampel beleuchtet, ein großer Plan der Festung Metz ausgebreitet war.

Herr Regnier näherte sich mit einigen schnellen Schritten und sprach, auf den in dem fragenden und verwunderten Blick liegenden Gedanken des Marschalls antwortend:

»Sie kennen mich nicht, Herr Marschall, ich habe noch nicht die Ehre gehabt, mit Ihnen zu sprechen, aber in einer Zeit, wie die jetzige, müssen alle Freunde des bedrängten Vaterlandes sich verstehen und gemeinsam handeln. Ich komme zu Ihnen, um Frankreich zu retten vor noch tieferem Fall, und habe das feste Vertrauen, daß Sie mir dazu die Hand bieten werden. Hier meine Beglaubigung, die Ihnen beweisen wird, daß ich auf dem Boden der Tatsachen stehe und Sie nicht von Phantasien unterhalten will.«

Er zog aus seiner Tasche die Photographie von Hastings und einen vom Grafen Bismarck unterzeichneten Geleitsschein hervor und reichte beides dem Marschall.

Dieser prüfte beide Papiere genau und aufmerksam, reichte sie dann Herrn Regnier zurück und sprach in artigem, aber kalt zurückhaltendem Ton:

»Das ist in der Tat die Handschrift des kaiserlichen Prinzen und, wie ich glaube, auch die Unterschrift des Grafen von Bismarck. Was haben Sie mir zu sagen?« fuhr er fort, – »denn in diesen beiden Unterschriften liegt in der Tat nichts, was Aufschluß über den Zweck Ihres Erscheinens geben könnte.«

»Ich habe Ihnen zu sagen, Herr Marschall,« erwiderte Regnier mit vor Aufregung zitternder Stimme, »ich habe Ihnen zu sagen, daß Frankreich verloren ist, und daß Sie allein imstande sind, es zu retten, wenigstens sein Unglück so sehr als möglich zu mildern. Der Graf von Bismarck,« fuhr er fort, »von dem ich soeben komme, nachdem ich zuvor in Hastings gewesen, erkennt die Regierung, welche sich eigenmächtig in Paris konstituiert, nicht als zu Recht bestehend an. Sie wissen, Herr Marschall,« fuhr er sich unterbrechend fort, »daß in Paris eine Regierung existiert, die sich diejenige der nationalen Verteidigung nennt und unter der Führung Jules Favres, Gambettas und Rocheforts steht.«

»Ich habe davon gelesen«, sagte der Marschall etwas zögernd, »in einzelnen Zeitungen, welche durch die Vorposten hierher gelangt sind.«

»Was Sie aber wohl nicht gehört haben, Herr Marschall,« fuhr Regnier fort, »ist die Tatsache, daß Herr Jules Favre von der Pariser Regierung in das Hauptquartier nach Ferrières gesendet worden ist, um über einen Frieden zu unterhandeln, den man nicht bewilligt hat, und über einen Waffenstillstand, den man zu bewilligen geneigt ist, um Frankreich Zeit zu geben, eine konstituierende Nationalversammlung zu wählen, welche dann über die Friedensbedingungen zu entscheiden haben würde.«

»Eine konstituierende Versammlung,« rief der Marschall, »gewählt, während ein großer Teil des Landes vom Feind okkupiert, – während meine Armee hier in Metz eingeschlossen ist, – welche Bedeutung, welche Berechtigung könnte eine solche Versammlung haben?«

»Eine große Bedeutung, Herr Marschall,« erwiderte Regnier, – »sie würde der Absetzung der kaiserlichen Dynastie die derselben bis jetzt mangelnde Legitimation geben und würde zugleich die Verantwortung des Friedens, dessen Bedingungen mit jedem Augenblick drückender und empfindlicher werden, von den Herren, welche jetzt in Paris regieren, abnehmen.«

»Das alles sind Phrasen,« erwiderte der Marschall, »wesenlose Dinge! – Hier ist Frankreich, mein Herr, hier bei den Fahnen der letzten Armee, welche widersteht und noch lange widerstehen kann, bei der einzigen Armee, auf welche die Regierung unseres Landes sich ihren äußeren und inneren Feinden gegenüber noch stützen kann.«

»Ganz recht, Herr Marschall,« erwiderte Regnier, »das ist auch meine Überzeugung, und von dieser Überzeugung ausgehend bin ich hier. Aber«, fuhr er fort, »ich muß Ihnen sagen, daß Herr Favre dem Grafen Bismarck erklärt hat, er und seine Kollegen seien des Gehorsams und der Ergebenheit Eurer Exzellenz und der Armee von Metz vollkommen sicher.«

Der Marschall Bazaine fuhr zusammen. Er biß in seinen Schnurrbart. Ein schneller Blitz zuckte aus seinen dunklen Augen.

»Meiner Ergebenheit gewiß?« sagte er achselzuckend, »die Herren Rochefort und Gambetta? Ich möchte wohl wissen, woher ihnen die Kenntnis dieser Ergebenheit gekommen ist. Was ich Ihnen sagen kann, mein Herr,« fuhr er, sich stolz aufrichtend, fort, »ist dieses: ich habe von dem Kaiser, den Frankreich gewählt und ganz Europa anerkannt hat, das Oberkommando über seine Armee erhalten. Ich habe dem Kaiser meinen Eid geleistet, aus seiner Hand empfing ich den Marschallstab von Frankreich, dies Symbol der höchsten Ehre. Die Fahnen meiner Truppen tragen die kaiserlichen Adler, und hier im Lager meiner Armee gibt es nur eine Autorität, das ist der Kaiser und die von ihm eingesetzte Regentschaft. Diese Autorität wird kein Gambetta und kein Rochefort brechen, bevor nicht mein Degen und mein Marschallstab zerbrochen ist, und über dieser Autorität steht nur die freiwillige Kundgebung des gesamten französischen Volkes, das den Kaiser auf seinen Thron gerufen und das noch vor wenigen Monaten ihm von neuem ein so glänzendes Zeugnis seines Vertrauens gegeben hat. Eine freie und rechtsgültige Kundgebung des Volkes kann aber nur erfolgen, wenn kein feindlicher Soldat mehr auf dem Boden unseres Vaterlandes steht, und so lange«, fuhr er, mit der Hand fest auf den Tisch schlagend, fort, »bin ich Marschall des kaiserlichen Frankreichs und,« fügte er mit dem Ausdruck unendlicher Verachtung hinzu, »Herr Rochefort ist für mich weiter nichts als ein von den ordentlichen Gerichten meines Landes verurteilter Pamphletist!«

Helle Freude erleuchtete das Gesicht des Herrn Regnier.

»O, Herr Marschall,« rief er, »ich danke Ihnen für dieses Wort, in ihm liegt die Zukunft Frankreichs. Wenn Sie so denken, dann kann noch alles gut werden, dann können wir das äußerste Unheil noch beschwören!«

Der Marschall blickte schweigend vor sich nieder.

»Und was, mein Herr,« sagte er dann, »was glauben Sie, das geschehen könne? – Ich weiß es,« fuhr er fort, »daß draußen keine Armee mehr vorhanden ist, denn in meinen Augen werden diese Bataillone, welche Herr Trochu in Paris manövrieren läßt, niemals eine Armee sein. Ich weiß es, daß hier noch allein die Möglichkeit eines Widerstandes liegt, ich weiß aber auch, daß ein unendlich fester Ring mich einschließt, den der Prinz Friedrich Karl, dieser Soldat von Stahl und Eisen, in seiner unbeugsamen Hand hält, und daß es nur mit unendlichen Opfern von Menschenleben möglich sein würde, diesen Ring zu durchbrechen, – wenn es überhaupt möglich ist.«

Er hielt einen Augenblick seufzend inne.

»Was also,« sagte er, den Blick scharf auf Herrn Regnier richtend, »was glauben Sie, das geschehen könne?«

»Erlauben Sie,« sagte Herr Regnier, »Ihnen meinen ganzen Gedanken zu entwickeln, Herr Marschall. Die Regierung in Paris unterhandelt wegen eines Waffenstillstandes, aus welchem eine konstituierende Nationalversammlung hervorgehen soll, um den Frieden zu sanktionieren, der für Frankreich schwere Beschädigungen und Demütigungen enthalten wird, um so schwerer, je länger er sich verzögert. Denn glauben Sie mir, Herr Marschall, jede Stunde kostet, nach meiner Überzeugung, Frankreich eine Million Franken –«

»Was will das bedeuten!« fiel der Marschall ein, – »Geld – wir werden es haben, wir werden es zu schaffen wissen. Aber welche anderen Bedingungen –«

»Darauf wollte ich soeben kommen!« rief Herr Regnier, ihn schnell unterbrechend. »Der Graf von Bismarck«, fuhr er fort, »besteht auf Gebietsabtretungen, welche Deutschlands militärische Position stärken und ihm Garantien für einen künftigen Krieg bieten.«

»Ich verstehe das,« sagte der Marschall düster. »Er ist ein deutscher Staatsmann, er tut, was wir getan haben würden, wenn wir gesiegt hätten.«

»Auch die Gebietsforderungen«, sprach Herr Regnier weiter, »werden mit jeder Stunde höher steigen, und wenn diese Wahnsinnigen, welche gegenwärtig in Paris regieren, durch ein hoffnungsloses Fortsetzen des Kampfes Frankreich und Deutschland neue Opfer an Blut und Menschenleben auflegen, so werden wir für diese Opfer einen in arithmetischer Progression steigenden Preis zahlen müssen. Nun aber, Herr Marschall, muß es die Aufgabe der kaiserlichen Regierung sein, jenen zuvorzukommen, so schnell als möglich einen wirklich gültigen Frieden abzuschließen und dem Land bessere Bedingungen zu bieten, als jene zu tun imstande sind. Namentlich«, fuhr er dringender fort, »muß der Friede geschlossen werden, solange die Fahne Frankreichs noch auf den Wällen von Metz weht, – wenn Metz einmal genommen ist, glauben Sie mir, Herr Marschall, dieser Graf Bismarck hat eine eiserne Hand, – wenn Metz einmal genommen ist, – dann wird er es auch behalten.«

»Und haben Sie,« fragte der Marschall Bazaine, Herrn Regnier scharf fixierend, »haben Sie Erklärungen darüber erhalten, welche Gebietsabtretungen man jetzt bei einem Frieden mit der kaiserlichen Regierung fordern würde?«

Herr Regnier senkte einen Augenblick die Augen nieder. Ein leichter Ausdruck von Verlegenheit flog über sein Gesicht, und mit etwas unsicherer Stimme antwortete er: »Ich glaube, Herr Marschall, daß es sich um eine Linie von Neubreisach bis Zweibrücken handeln würde, daneben könnte man an die früher bereits beabsichtigte Erwerbung Luxemburgs von Holland denken, um dies Herzogtum an Preußen abzutreten, und wenn es nicht zu vermeiden ist, so könnte man durch das Zugeständnis der Schleifung der Festungswerke von Straßburg und Metz weitere und schwerere Bedingungen abkaufen – und die Kriegsentschädigung –«

»Lassen wir die Geldfrage,« fiel der Marschall ein. – »Was Sie mir sagen, ist hart, sehr hart, aber gewiß wäre es immer noch besser, als wenn die Herren Gambetta und Rochefort Frankreich bis auf das äußerste erschöpfen, innerlich zerrütten und endlich einen Frieden würden schließen müssen, der uns der vollständigen Ohnmacht preisgäbe. In Lagen, wie die gegenwärtige, kommt es weniger darauf an, das Unhaltbare halten zu wollen, als vielmehr das möglichst Geringe zu opfern. Und in welcher Weise glauben Sie,« sagte er nach einem kurzen Nachdenken, »daß die Unterhandlungen zu einem solchen Frieden mit Erfolg aufgenommen werden könnten?«

»Nichts ist leichter«, sagte Herr Regnier, »sobald Eure Exzellenz die Hand dazu bieten, sich und Ihre Armee der Kaiserin-Regentin zur Verfügung stellen und im Namen des Kaisers kapitulieren würden.«

»Kapitulieren!« rief der Marschall, »wie und in welcher Weise kapitulieren? – Ich bin vor allem Soldat, – wenn ich auch in einer Lage, wie die gegenwärtige, die Pflicht gegen den Kaiser und Frankreich habe, die politischen Verhältnisse in Erwägung zu ziehen, so darf ich doch die militärischen Rücksichten auf meine Armee nicht aus den Augen lassen. Eine Kapitulation jetzt, solange ich mich noch zu halten und dem Feind noch zu schaden imstande bin, müßte mit allen Kriegsehren geschehen und meiner Armee den freien Abzug gestatten, wenn dieselbe noch für die Kaiserin eine Grundlage zu Verhandlungen und zum Friedensschluß bilden und der kaiserlichen Regierung eine Waffe gegen die Revolution bieten soll, die sich in Paris breit macht und die vor Worten nicht das Feld räumen wird.«

»Ich zweifle nicht,« erwiderte Herr Regnier, »daß man im preußischen Hauptquartier Ihnen eine Kapitulation mit allen Kriegsehren bewilligen wird, und zwar um so sicherer, je schneller diese Kapitulation erfolgt, denn wenn die gegenwärtigen Verhandlungen überhaupt zur Grundlage für einen Friedensabschluß dienen sollen, ist es ja notwendig, daß Ihre Armee intakt bleibt, um dieselbe der kaiserlichen Regierung zur Verfügung zu stellen. Freilich würden Sie dann die Verpflichtung übernehmen müssen, diese Armee an den Feindseligkeiten nicht teilnehmen zu lassen.«

»Das würde sich von selbst verstehen,« fiel der Marschall ein, »wenn wirklich ernstliche Friedensverhandlungen begonnen würden.«

»Doch«, sprach Herr Regnier weiter, »wäre es vor allen Dingen notwendig, eine bestimmte Erklärung zu haben, daß Sie und Ihre Armee unter allen Umständen nur den Kaiser und die von ihm eingesetzte Regentschaft als die gesetzliche Autorität in Frankreich anerkennen.«

»Ich glaube, mein Herr,« erwiderte der Marschall, »daß ich mich darüber sehr bestimmt ausgesprochen habe.«

»Gewiß, Herr Marschall,« erwiderte Regnier, – »doch das, was Sie die Güte gehabt haben, mir zu sagen, haben außer mir nur die Wände dieses Zimmers vernommen. Es würde notwendig sein, im preußischen Hauptquartier vollgültige Beweise liefern zu können –«

»Und in welcher Weise?« fragte der Marschall.

»Ich habe«, erwiderte Herr Regnier, »ungefähr die Form einer solchen Erklärung nach meinen Ideen niedergeschrieben. Ich habe es während der Fahrt getan, es ist daher etwas unleserlich, und ich bitte Sie um Erlaubnis, diese Aufzeichnungen Ihnen vorlesen zu dürfen.«

Der Marschall nickte zustimmend mit dem Kopf.

Herr Regnier näherte sich der auf dem Tisch stehenden Lampe und las:

»Ich, der Unterzeichnete, Marschall von Frankreich, von Seiner Majestät dem Kaiser Napoleon III. zum General en Chef der jetzt unter den Wällen der Stadt Metz lagernden Armee ernannt, bin bereit, nach Beratung und in Übereinstimmung mit den Marschällen und Generalen dieser Armee, in dem Wunsch, die einzige Armee, welche Frankreich noch besitzt, für die Aufrechthaltung der Ordnung zu erhalten, die nachfolgende Kapitulation im Namen Seiner Majestät des Kaisers zu unterzeichnen.«

Der Marschall beugte sich ein wenig vor, um kein Wort zu verlieren.

Herr Regnier fuhr fort:

»Die Armee wird ihre jetzige Stellung mit allen Kriegsehren, das heißt, mit wehenden Fahnen, klingendem Spiel, mit aller ihrer Artillerie, Munition und Bagage verlassen. Sie wird sich in einen genau zu bestimmenden Teil von Frankreich zurückziehen, dessen festgesetzte Grenzen sie bis zur Beendigung dieses gegenwärtigen Krieges nicht überschreiten darf. Die unterzeichneten Marschälle und Generale übernehmen die Verpflichtung, daß die Armee während des gegenwärtigen Krieges nicht auseinandergehen, die Waffen nicht gegen die preußischen Streitkräfte gebrauchen und diesen weder direkt noch indirekt irgendwelchen Schaden zufügen wird.«

»Eine solche Kapitulation«, sagte der Marschall nach einigen Augenblicken des Nachdenkens, »würde allerdings den militärischen Ehrenpunkt mit den politischen Rücksichten vereinigen, indessen Sie werden begreifen, mein Herr, daß ich vor einem bestimmten Entschluß über einen so hochwichtigen, für die Zukunft Frankreichs entscheidenden Schritt eine doppelte Verpflichtung habe, – und zwar zunächst mich der unbedingten Zustimmung der unter mir kommandierenden Generale zu versichern und sodann die bestimmte Überzeugung zu gewinnen, daß die Kaiserin, welche die legale Regierung Frankreichs repräsentiert, auf der Basis einer solchen Kapitulation wirklich in definitive Friedensverhandlungen einzutreten bereit sei. Denn ohne diese Gewißheit«, fuhr er, Herrn Regnier scharf fixierend, fort, »würde ich eine schwere Verantwortung übernehmen und mich den schlimmsten Vorwürfen und Verdächtigungen für die Zukunft aussetzen.«

»Die Karte, welche ich Eurer Exzellenz überreicht habe –« rief Herr Regnier.

»Ist weder eine Legitimation, noch eine Vollmacht,« fiel der Marschall ein, »und gibt mir keine Gewißheit über den Willen und die Absicht Ihrer Majestät.«

»Und welche Form würde Ihnen genügen, Herr Marschall?« fragte Regnier.

»Glauben Sie, daß man preußischerseits gestatten würde«, fragte der Marschall Bazaine, »einen General von hier nach Hastings zu Ihrer Majestät zu entsenden?«

»Ich zweifle nicht daran,« erwiderte Herr Regnier. »Und wen würden Sie zu einer solchen Mission wählen?«

»Darüber«, erwiderte Bazaine, »müßte ich nachdenken und mit meinen Generalen beraten. Sie müssen ja ohnehin die Nacht hier bleiben, und morgen vormittag werde ich Ihnen darüber Bestimmteres sagen.«

»Ich darf also«, sagte Herr Regnier, »darauf rechnen, daß Eure Exzellenz den Ideen, die ich vor Ihnen auszusprechen die Ehre gehabt, Ihre Unterstützung gewähren werden, und daß Sie auf Ihre Armee in dieser Beziehung mit Sicherheit rechnen können?«

»Ich nehme keinen Anstand,« erwiderte der Marschall, »diese Frage zu bejahen, ich muß Ihnen indes dabei bemerken, daß ich nur von der unter meinem Befehl stehenden Armee vor Metz sprechen kann. Die eigentliche Garnison von Metz steht unter dem Kommando des Kommandanten der Festung, General Coffinières. Er wird nach eigenem Entschluß und nach seiner eigenen Verantwortlichkeit handeln müssen. Was meine Armee betrifft, so betrachte ich dieselbe als das Palladium des Kaiserreichs, sie wird sich unvergänglichen Ruhm erwerben, wenn sie dazu beitragen kann, Frankreich einen möglichst ehrenvollen und möglichst vorteilhaften Frieden zu schaffen. Wenn eine große Nation wie Frankreich,« fuhr er fort, »eine Nation, die an Ehren und Lorbeeren so reich ist, von einem ebenbürtigen Feind geschlagen wurde, so ist es ihrer allein würdig, dies offen einzugestehen. Wir haben schwere Niederlagen erlitten, aber deshalb sind wir wahrlich noch nicht gezwungen, das künftige Schicksal unseres Landes der Gnade einer Handvoll Abenteurer auszuliefern, – von Menschen ohne Treu und Glauben, welche das Unglück ihres Vaterlandes zu einer Sprosse auf der Leiter ihres persönlichen Ehrgeizes machen wollen. Die Armee ist das Symbol der Treue, und sie wird treu zu demjenigen stehen, der ihr ihre Fahnen gegeben und ihren Eidschwur empfangen hat. Dies, mein Herr, können Sie jedermann wiederholen, auf dieses Wort können Sie bauen. Übrigens«, fuhr er fort, indem er Herrn Regnier durchdringend ansah, »ist es meine Pflicht, dabei zugleich bestimmt auszusprechen, daß man sich im feindlichen Hauptquartier täuschen würde, wenn man auf die Notwendigkeit einer schnellen Ergebung meiner Armee rechnete. Der Gesundheitszustand meiner Truppen ist vortrefflich, ich habe viele kleinere Ausfälle gemacht und dabei die Überzeugung gewonnen, daß es mir gelingen würde, die feindlichen Linien zu durchbrechen, wenn ich ein Drittel meiner Truppen opfern wollte –«

»Unnütz und ohne Erfolg opfern«–fiel Herr Regnier ein.

»Kein Sieg ist unnütz,« erwiderte der Marschall, »und mag er die schwersten Opfer kosten. Aber«, fuhr er fort, »wenn ich durch die Erhaltung meiner Armee zugleich die Ordnung und Sicherheit und die gesetzliche, durch den Willen des Volkes konstituierte Regierung in Frankreich erhalten kann, – dann allerdings ist es meine Pflicht, vor einem solchen Opfer zurückzuscheuen.«

»Und würden Eure Exzellenz«, fragte Herr Regnier, »geneigt sein, mir durch ein Wort, durch Ihre Unterschrift zu bestätigen, was ich soeben die Ehre gehabt zu vernehmen?«

»Ich habe kein Bedenken, zu bestätigen, was ich gesagt,« erwiderte der Marschall, – »Sie haben mir aber keine Vollmacht vorgelegt, mein Herr, – in welcher Weise könnte ich –«

Herr Regnier reichte ihm die Photographie mit der Unterschrift des kaiserlichen Prinzen.

»Wenn Eure Exzellenz«, sagte er, »Ihren Namen neben den des Prinzen setzen wollten, damit ich dem Grafen Bismarck zeigen könnte, daß Sie mich zu Verhandlungen autorisiert haben.«

Der Marschall Bazaine nahm das Blatt, trat an seinen Schreibtisch und setzte mit einem raschen Federzug seinen Namen auf das Papier. Dann öffnete er die Tür seines Vorzimmers und rief den dort wartenden Adjutanten Samuel.

»Ist es möglich, diesem Herrn,« fragte er, »der ermüdet und an die Unbequemlichkeiten des Kriegslebens nicht gewöhnt ist, ein gutes und bequemes Unterkommen für die Nacht zu schaffen?«

Der Adjutant Samuel sann einen Augenblick nach.

»Wir haben«, sagte er, »das Haus des Grafen Villebois mit Rücksicht auf den leidenden Zustand seiner Tochter fast ganz von Einquartierung frei gelassen, nur in dem Parterreraum liegen einige Verwundete. Der Graf wird aber gewiß bereit sein, diesen Herrn bei sich aufzunehmen und ihm in seinem Hause allen Komfort zu gewähren, der in einer belagerten Stadt möglich ist.«

»So führen Sie ihn dorthin,« sagte der Marschall, »und ersuchen Sie den Grafen in meinem Namen um seine Gastfreundschaft. Und Sie, mein Herr«, sagte er, sich zu Herrn Regnier wendend, »ruhen Sie sich aus, Sie werden morgen Weiteres von mir hören.«

Er drückte Herrn Regnier die Hand, und dieser verließ mit dem Major Samuel das Zimmer, um sich durch die schweigenden und dunklen Straßen der Stadt, welche nur von gleichmäßig einherschreitenden Patrouillen durchzogen wurden, nach einem großen, in der Nähe der Esplanade liegenden Hause zu begeben, dessen Tür auf den Schall der Glocke von einem alten Diener mit weißem Haar geöffnet wurde.


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