Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Sechzehntes Kapitel

Der Marschall Bazaine sah inzwischen in Metz jeden neuen Tag mit immer heftigerer Ungeduld, mit immer trüberer Beängstigung emporsteigen. Er hatte einen Ausfall gemacht und den Feinden zwar nicht unbeträchtlichen Schaden getan, dennoch aber die eisernen Linien, welche die jungfräuliche Festung einschlossen, nicht einen Augenblick erschüttern können.

Mit immer steigender Ungeduld hatte er die Rückkehr des Generals Bourbaki oder wenigstens eine Nachricht über die von demselben eingeleitete Unterhandlung erwartet, und er empfand, als keine solche Nachricht eintraf, immer schmerzlicher das Gefühl einer langsam dahinsterbenden Hoffnung, welches empfindlicher berührt als ein plötzlicher, schnell treffender Schlag.

Die Vorräte verminderten sich mehr und mehr, die Pferde wurden aufgezehrt oder fielen aus Futtermangel, die zahlreichen Verwundeten fanden bei dem Mangel an Ärzten keine genügende Pflege, und der Gesundheitszustand der Truppen wurde mit jedem Tag schlechter. Endlich war es nicht länger möglich, diesen Zustand zu ertragen, aber immer wollte sich der Marschall noch nicht dem Gedanken ergeben, diese Armee, welche, trotz der Not und der vielen Krankheiten, immer noch intakt, geordnet und diszipliniert dastand, dem Schicksal der Truppen von Sedan zu übergeben. Immer noch hoffte er, auf dieser Armee, als dem Grundstein der Ordnung, die Zukunft Frankreichs aufzubauen. Er hatte deshalb den General Boyer in das preußische Hauptquartier geschickt, um auf der Basis der früher durch Regnier angeregten Pläne eine neue Unterhandlung zu versuchen, deren Zweck der Friedensschluß mit der kaiserlichen Regierung sein sollte.

Am siebzehnten, um zwei Uhr nachmittags, traf der General Boyer, von einem preußischen Parlamentär geleitet, bei den Vorposten wieder ein und fuhr unmittelbar zum Marschall Bazaine, welcher sogleich die Korpskommandanten zu einem Kriegsrat zusammenrief.

Eine halbe Stunde darauf erschienen die Marschälle und Generale der in Metz eingeschlossenen Armee in dem großen Salon des Marschall Bazaine. Allen diesen Männern hatte die schwere Zeit ihren Stempel aufgedrückt, und die sonst so mutige, siegeszuversichtliche Haltung der Würdenträger des Kaiserreichs hatte teils passiver Resignation teils finsterer, fast verzweiflungsvoller Entschlossenheit Platz gemacht.

Der Marschall Canrobert mit seinem dünnen, langen, sorgfältig frisierten Haar schien in dieser kurzen Zeit um Jahre gealtert. Schweigend und gebückt setzte er sich auf seinen Stuhl zur Seite des Marschall Bazaine, während zu dessen Linken der Marschall Leboeuf Platz nahm, dessen große, volle Gestalt in sich zusammengesunken war und dessen halbgeschlossene Augen nur selten ihren Blick vom Boden emporrichteten. In ungebrochener, stolzer und fester Haltung erschien der General Frossard, aber auf seinem strengen und ernsten Gesicht lag nur die Entschlossenheit, das Äußerste zu dulden und zu ertragen, aber kein Schimmer mehr von Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Daneben erschien der General L'Admirault mit seiner vollen Gestalt und der etwas unmilitärischen Haltung, Desvaux, Lebrun, Soleille und der General Coffinières de Nordeck, der Kommandant von Metz, ein fest und energisch einhertretender Mann mit dunklen, blitzenden Augen, streng geschlossenen Lippen und kurzen, ergrauenden Haaren. Zu diesen Befehlshabern der Armee in und um Metz gesellte sich, auf die Einladung des Marschalls, noch der General Changarnier, welcher mit in die belagerte Festung eingeschlossen war und von allen Generalen und Offizieren mit hoher, ehrfurchtsvoller Achtung, als ein ruhmreicher Veteran der Armee, umgeben wurde. Der General Changarnier, solange dem aktiven Dienste fern, hatte die militärische Uniform wieder angelegt, und obwohl kränklich und vom Alter gebrochen, erschien er doch fast als der festeste, sicherste und ruhigste in der Gesellschaft dieser von dem plötzlichen Unglück so tief niedergebeugten Generale.

»Sie sind mit mir, meine Herren,« begann der Marschall Bazaine, »darüber einverstanden gewesen, daß wir bei der jetzigen Lage der Armee und der Besatzung der Festung uns der Notwendigkeit, mit dem Feinde zu unterhandeln, nicht mehr entziehen konnten. Ich habe deshalb den General Boyer nach dem feindlichen Hauptquartier entsendet, um zu versuchen, eine militärische Konvention zu erreichen, welche der Armee gestatten möchte, Metz zu verlassen, und der General soll uns nun über den Erfolg dieser Sendung Bericht erstatten.«

»Der General Boyer ist im Hauptquartier zu Versailles gewesen?« fiel der General Coffinières ein, indem er seine scharfen Blicke fragend auf den Marschall richtete.

»Allerdings,« erwiderte Bazaine ruhig und kalt, »denn dort allein, wo der König ist, können definitive Entschlüsse gefaßt werden.«

»Ich glaubte,« erwiderte der General Coffinières, »daß über rein militärische Abmachungen wir nur mit dem Kommandierenden der Einschließungsarmee zu tun hätten, da ja das Hauptquartier in Versailles gar keine direkte militärische Beziehung zu der belagerten Festung und zu der in dieselbe eingeschlossenen Armee hat.«

Mit einer gewissen Ungeduld richtete sich der Marschall auf und sprach in einem kurz abweisenden, fast hochmütigen Tone: »Die belagerte Festung allerdings, mein General, hat nur mit dem Kommandeur der Belagerungstruppen zu tun, Sie wollen aber nicht vergessen, daß ich zum Chef sämtlicher französischen Armeen ernannt und als solcher berechtigt und verpflichtet bin, über das Schicksal meiner Armee mit dem Oberfeldherrn der feindlichen Armeen zu verhandeln.«

Der General Coffinieres schwieg.

Der Marschall Bazaine ersuchte darauf durch einen Wink den General Boyer, der sich ihm gegenüber neben Changarnier gesetzt hatte, über seine Mission Bericht zu erstatten.

Boyer begann:

»Ich wurde, von einem Offizier des Prinzen Friedrich Karl begleitet, nach Versailles geführt und dort wenige Stunden nach meiner Ankunft vom Grafen von Bismarck empfangen –«

»Der Graf Bismarck ist Minister des Königs von Preußen und hat mit den militärischen Fragen nichts zu tun,« fiel der General Coffinières ein.

»Der Graf von Bismarck ist General,« erwiderte Boyer, »und außerdem konnte es nicht meine Befugnis sein, zu bestimmen, wer mich im preußischen Hauptquartier im Auftrag des Königs zu empfangen habe. »Ich setzte dem Grafen Bismarck,« fuhr er fort, »darauf den Zweck meiner Mission auseinander und befragte ihn über die Mission des Herrn Regnier. Graf Bismarck erwiderte, daß dieser in keiner Weise beglaubigt gewesen sei und daß er nicht geglaubt habe, sein Plan sei der Kaiserin bekannt. Er habe ihn indessen empfangen und sei auf seine Ideen eingegangen, weil er Verhandlungen mit der Kaiserin und der Regentschaft vorgeschlagen, und weil die deutsche Regierung als einzig anerkannte Autorität in Frankreich ja nur die Regentschaft vor sich habe.«

»Und die militärische Frage?« warf der General Coffinières ein.

»Ich erwiderte dem Grafen Bismarck,« antwortete der General Boyer, »daß der Zweck meiner Mission nur der Abschluß einer militärischen Konvention sei, welche der Armee gestatte, Metz zu verlassen; worauf Graf Bismarck mir schnell und bestimmt erwiderte, daß der Armee keine anderen Bedingungen würden gewährt werden als die, welche die Armee von Sedan erhalten habe.«

Ein Murmeln des Unwillens ließ sich unter den Generalen vernehmen.

»Dann aber«, fuhr General Boyer fort, »betonte der Graf Bismarck, welcher mich in den Garten führte, damit niemand unser Gespräch belauschen könne, das Bedürfnis beider Nationen nach einem baldigen Frieden. Er erklärte, daß die Deutschen sich sehnten, in ihre Heimat zurückzukehren, und daß ein großer Teil Frankreichs die Fortsetzung des Kampfes durch die Regierung des vierten September mißbillige. Die Regierung des Königs Wilhelm könne nicht mit der Regierung des vierten September verhandeln, weil dieselbe keine Wahlen zustande bringe, um sich ein legales Mandat zu verschaffen – und zwischen Paris und Tours herrsche, wie im deutschen Hauptquartier bekannt sei, Zwiespalt. Deutschland sei zwar weit entfernt, den Fehler zu begehen, welchen man 1815 gemacht habe, als man Frankreich eine Regierung aufdrängte. Frankreich möge seine Regierung vollkommen frei wählen, aber bis dies geschehen, sei für den König die Regentschaft die einzig legale Regierung. Und wenn sie irgendeine Garantie der Macht bieten könne, so werde der König von Preußen nur mit ihr unterhandeln. Graf Bismarck fragte mich, welche Gesinnungen die Armee von Metz hege, und ich antwortete,« sprach er mit fester Stimme, im Kreise der Generale umherblickend, »daß die Armee von Metz ebenso wie ihre Führer ihrem Fahneneide treu bleiben würde.«

Marschall Bazaine nickte lebhaft zustimmend mit dem Kopf.

»Ich habe noch kein Wort über die militärische Kapitulation gehört,« rief der General Coffinières, »dies alles scheint mir lediglich mit politischen Gesichtspunkten in Beziehung zu stehen, und die politischen Gesinnungen der Armee von Metz«, fügte er mit scharfer Betonung hinzu, »können bei einer militärischen Kapitulation doch in der Tat nicht in Frage kommen!«

»Graf Bismarck«, fuhr General Boyer fort, ohne diesen Einwurf zu beachten, »machte mir sodann eine sehr traurige Schilderung der Lage Frankreichs, – Paris sei in Anarchie versunken, die nördlichen Provinzen verlangten den Frieden und bäten um deutsche Garnisonen, um sich vor den Franktireurs zu schützen. Die südlichen Provinzen gehorchten der Regierung von Tours gar nicht, in Marseille und Lyon sei die rote Republik proklamiert, und die neugebildete Loirearmee sei bei Orleans geschlagen, – die Armee von Metz sei die einzige, welche Frankreich besitze –«

»Und haben Sie Gelegenheit gehabt,« fragte der General Frossard, »sich durch Mitteilungen von anderer Seite zu versichern, ob diese traurigen Darstellungen des Grafen Bismarck von der Lage unseres Vaterlandes wirklich vollkommen richtig seien?«

»Man hat mich als Parlamentär behandelt,« erwiderte General Boyer, »und von jedem Verkehr außerhalb der Personen des preußischen Hauptquartiers ferngehalten, nur in Bar le Duc habe ich einige Worte mit dem Maire, Herrn Bongard, sprechen können, ohne Zeit zu eingehenden Erkundigungen zu finden; indessen das wenige, was mir Herr Bongard sagte, war nicht tröstlich und muß Frankreich sich allerdings in einer traurigen Lage befinden. Ich habe nur noch hinzuzufügen,« sprach er dann, seine Berichterstattung wieder aufnehmend, »daß der Graf Bismarck nach unserer Unterredung sich zum König begab und mir dann die niederschlagende Mitteilung machte, daß der König und der General von Moltke sich gegen jede Konzession erklärt hatten, daß dagegen Seine Majestät geneigt sei, mit der Kaiserin in Friedensverhandlungen zu treten.«

»Also,« rief der General Coffinières, als Boyer geendigt, »ist ein militärisches Resultat durch diese Sendung in das feindliche Hauptquartier gar nicht erreicht, vielmehr von neuem ein Faden für politische Negoziationen hingeworfen, welche die militärischen Verhältnisse nur unklar machen und verwirren können!«

»– Ein Faden«, rief der Marschall Bazaine heftig, »welchen aufzunehmen, nach meiner Überzeugung, die Pflicht gegen das Vaterland gebietet, um dasselbe vor den entsetzlichen Folgen der Anarchie und vor einem töricht fortgesetzten Krieg zu retten. Und diejenigen, meine Herren,« fuhr er fort, »welche, in einem Augenblick wie dem gegenwärtigen, an der Spitze der letzten Armee ihres Landes stehen, welche die einzige Bürgschaft einer ehrenvollen Zukunft und der gesetzmäßigen Ordnung des Landes in Händen halten, – diejenigen, meine Herren, welche sich in unserer Lage befinden, dürfen nicht ausschließlich militärische Rücksichten walten lassen, – sie sind verpflichtet, die Politik ihres Landes in die Hände zu nehmen. Bestände die kaiserliche Regierung,« fuhr er in entschlossenem Ton fort, während seine schwarzen Augen blitzend von einem zum andern seiner Waffengenossen sich wendeten, – »wäre die Regentin in Paris von den dortigen Massen ebenso anerkannt als von den Feinden und dem größten Teil der Provinzen, dann würde ich wahrlich keine andere Rücksicht kennen, als mich unter den Mauern von Metz bis zum letzten Augenblick zu halten und die Politik denen zu überlassen, welche sie zu führen berufen sind. – Das aber ist jetzt nicht der Fall, – in Paris und in Tours sind Regierungen in Funktion, welche sich selbst eingesetzt haben, welche den Frieden zurückweisen und Frankreich immer tiefer in blutiges Unheil stürzen. Ich, meine Herren, ich kenne jene Regierungen nicht. Ich bin Kommandeur einer kaiserlichen Armee, und wenn es möglich ist, so will ich diese Armee, mit welcher ich das Glück der Schlachten nicht mehr wiedererobern kann, wenigstens dazu benützen, um der verfassungsmäßig bestehenden Regierung meines Landes die Macht zu gewähren, daß sie Frankreich den Frieden wiedergeben könne. Dies, meine Herren, ist meine Ansicht, – eine Ansicht, die ich frei und laut bekenne und durch deren Durchführung ich glaube, der Ehre, der Klugheit und dem Patriotismus gleich gerecht zu werden.«

Eine Bewegung machte sich unter den Generalen bemerkbar, – der General Coffinières wollte sprechen, – Marschall Bazaine erhob die Hand und sagte mit kurzem, bestimmten, militärisch befehlendem Ton:

»Ich bitte zunächst unsern hochgeehrten Gast, den Herrn General Changarnier, sich über die Lage der Armee und über die soeben von mir ausgesprochene Ansicht äußern zu wollen. Der Herr General führt kein Kommando, – er ist also völlig unparteiisch in den uns andere unmittelbar berührenden militärischen Fragen, – er ist Franzose von hohem Patriotismus, – er war nicht der Freund der kaiserlichen Regierung, – er ist also auch in politischer Rücksicht vollkommen unabhängig und vorurteilsfrei. Sein Wort wird deshalb für uns alle, wie ich glaube, von hoher Bedeutung sein.«

Der General Changarnier sah einige Augenblicke in feierlichem Ernst schweigend vor sich nieder, dann umfaßte er mit einem großen, freien Blick seines hellen, reinen Auges den Kreis dieser vom Unglück gebeugten Soldaten, welche alle mit gespannter Erwartung an seinen Lippen hingen; ein leichtes Lächeln der Befriedigung umspielte einen Augenblick die Lippen dieses so lange verbannten und vom Kaiserreich verfolgten Generals. Bald aber legte sich wieder der Ausdruck schmerzlicher und trauriger Ergebung über seine blassen, kränklichen Züge, und sich leicht gegen den Marschall Bazaine verneigend, sprach er:

»Sie haben recht, Herr Marschall, – seit langer Zeit habe ich mich gewöhnt, alles, was in Frankreich vorgeht, nur mit dem Auge des völlig unparteiischen, von den Ereignissen völlig unberührten Beobachters zu betrachten. So stehe ich denn auch dieser großen Katastrophe gegenüber, – unparteiisch zwar, – aber nicht gleichgültig, denn die Liebe zum Vaterland und der Schmerz über sein Unglück sind unzerstörbar in einem französischen Herzen. Ich verlange nichts mehr vom Leben, das für mich bald beendet sein wird, und meine persönliche Stellung bleibt unberührt, wie auch immer die Zukunft sich gestalten möge. Sie haben ferner recht, Herr Marschall,« fuhr er noch ernster fort, »indem Sie bemerkten, daß ich nicht zu den Freunden des Kaiserreichs gehöre. – Es sind hier viele ergebene Diener des Kaisers gegenwärtig, aber sie alle werden mir recht geben, daß ich keine Veranlassung habe, die kaiserliche Regierung zu lieben –«

»Um so höher müssen wir alle anerkennen,« sagte der Marschall Canrobert, »daß Sie, Herr General, in edlem, selbstverleugnendem Patriotismus im Augenblick der nationalen Gefahr dem Ruf des Kaisers gefolgt sind, und daß Sie fortfahren, hier inmitten einer kaiserlichen Armee uns mit Ihrem Rat zu unterstützen.«

»Ich muß nun,« fuhr der General Changarnier fort, »obwohl ich in meinem ganzen militärischen Leben die einfache, rücksichtslose Pflichterfüllung des Soldaten mir zur obersten Regel gemacht habe, dennoch dem Herrn Marschall Bazaine darin recht geben, daß im Augenblick einer so entscheidenden nationalen Krisis, wie diejenige, in der wir uns befinden, der Kommandeur einer großen Armee, der letzten Armee des Landes, sich von den Rücksichten auf die Politik nicht freimachen darf. Die militärischen Fragen sind leider entschieden,« sagte er traurig, »da gibt es für jetzt nichts zu gewinnen und gutzumachen, alles kommt darauf an, unserem armen Vaterland den Frieden zu geben, und zwar den möglichst schnellen und den möglichst wenig opfervollen Frieden.«

Der Marschall Bazaine blickte voll Genugtuung zu dem General Coffinières hinüber, welcher finster und ohne bemerkbaren Eindruck die Worte des Generals Changarnier angehört hatte.

Der letztere fuhr fort:

»Da nun die Regierung vom vierten September die Notwendigkeit des Friedensschlusses nicht anerkennen will und dem Lande die schweren Leiden einer Fortsetzung des Kriegs aufzuerlegen entschlossen scheint, – da der König von Preußen, und zwar mit dem Völkerrecht vollkommen übereinstimmend, die Regierung der Kaiserin als die einzige Autorität anerkennt, so bin ich der Meinung, daß alle patriotischen Elemente Frankreichs, daß vor allen Dingen diese letzte Armee unseres Landes, verpflichtet seien, sich der Kaiserin anzuschließen, um das Vaterland zu retten. Dies ist meine Meinung,« sagte er laut, mit festem Ton, »ich spreche sie hier aus, in diesem Kreise, bei dessen Mehrzahl sie Billigung finden mag, ich werde aber nicht Anstand nehmen, sie auszusprechen und zu wiederholen auch da, wo sie Widerspruch und Verurteilung finden sollte.«

»Sie würden also dafür stimmen, Herr General,« fragte der Marschall Bazaine, »daß ich mich mit der Kaiserin über die Einleitung von Friedensverhandlungen in Verbindung setzen solle, nachdem die Sendung des Generals Bourbaki zu keinem Resultat geführt hat?«

»Ja,« erwiderte der General Changarnier, ohne zu zögern, mit fester, klarer und entschiedener Stimme.

»Und ich trete der Ansicht des Herrn Generals in allen Punkten bei!« rief der General Frossard in lebhafter Bewegung, – »ich bitte die Herren Marschälle um Vergebung,« sagte er mit leichter Verbeugung, – »meine Überzeugung und mein Eifer für die Sache rissen mich hin.«

»Ich stimme dem Herrn General ebenfalls vollkommen bei,« sagte der Marschall Canrobert, »und schlage vor, den General Boyer zu Ihrer Majestät der Kaiserin zu senden, um deren Willenserklärung über die Kapitulation und den Friedensschluß einzuholen.«

In gleichem Sinne sprachen sich der Marschall Leboeuf und die übrigen Generale aus. –

»Ich habe keine Veranlassung,« rief der General Coffinières de Nordeck, als der Marschall Bazaine ihn durch einen Wink mit der Hand zur Äußerung seiner Meinung aufforderte, »ich habe keine Veranlassung, – mich an dieser rein politischen Diskussion zu beteiligen, bei welcher es sich nur um die Armee vor Metz handelt, nicht um die unter meinem Befehl stehende Besatzung der Festung! Für den mir anvertrauten Platz können mir nur ausschließlich die militärgesetzlichen Bestimmungen über die Pflichten der Festungskommandanten maßgebend sein, und nach diesen allein werde ich mein Verhalten einrichten!«

»Der Platz, welchen Sie kommandieren, Herr General,« sagte der Marschall Bazaine, »ist Ihnen vom Kaiser anvertraut worden, und dem Kaiser sind Sie für Ihr Verhalten verantwortlich, dem Kaiser, dessen Autorität hier inmitten der Armee, welche seine Adler führt, nicht so schnell und so leicht niedergeworfen werden kann, als dies inmitten der Pariser Bevölkerung möglich war. Ich bin überzeugt,« rief er, im Kreise umherblickend, »daß alle hier Anwesenden sich mit mir an den Eid gebunden halten werden, den wir dem Kaiser und seiner Regierung geleistet haben, und der es uns unmöglich macht, die Regierung vom vierten September als die gesetzliche Vertretung Frankreichs oder als eine für uns gültige Autorität anzuerkennen!«

»So ist es!« rief der Marschall Canrobert.

»Unser Eid bindet uns an den Kaiser,« sagte Frossard; in schweigender Zustimmung neigten die übrigen ihre Häupter.

»Ich muß mich weigern,« rief der General Coffinières. »über die soeben angeregte Frage irgendeine Äußerung zu tun. Sie hat mit unserer militärischen Lage nichts zu schaffen, wir sind nicht berufen, Erklärungen über die politischen Verhältnisse unseres Vaterlandes abzugeben, – wir sind auch dazu nicht imstande, da wir, abgeschlossen von der Außenwelt, nicht wissen, was in Frankreich vorgeht. Wir haben dem Kaiser unsern Eid geleistet, als dem verfassungsmäßigen Vertreter der Nation, die Armee gehört nicht einer Person, sie gehört dem Lande, – und das Land hat das Recht, seine Regierung zu wechseln. Für mich, ich wiederhole es, ist nur die Rücksicht auf den mir anvertrauten Platz und auf die militärischen Gesetze maßgebend, und ich muß den Herrn Marschall auf das bestimmteste bitten, bei allen Verhandlungen, welche er nach dem soeben gefaßten Beschluß einleiten möchte, nur ganz ausschließlich die Armee vor Metz, nicht aber die Festung und deren Besatzung in Betracht zu ziehen, – diese Festung,« fügte er mit bebender Stimme hinzu, »die ich gegen die ganze Welt verteidigt haben würde, wenn die Armee des Herrn Marschalls nicht hierher gekommen wäre, um meine Vorräte aufzuzehren und Krankheiten unter meine Truppen zu bringen!«

Der Marschall Bazaine zuckte die Achseln.

»Ich werde es niemals vergessen, Herr General,« sagte er mit kalter Höflichkeit, »daß Sie und Ihr Besatzungskorps nicht zu der von mir kommandierten Armee gehören, und daß ich kein Recht habe, über Ihre Mitwirkung zur Rettung Frankreichs zu disponieren.«

Der General Coffinières fuhr empor; auf seinen zuckenden Lippen schien ein heftiges Wort zu schweben, – durchbohrend hafteten die flammenden Blicke des Marschalls Bazaine auf ihm, – da erhob sich der General Changarnier, und in ruhigem, kaltblütigem Ton, als bemerke er die drohende Erregung gar nicht, in welcher Bazaine und Coffinières sich einander gegenüberstanden, sagte er:

»Ich glaube, der Kriegsrat hat seinen Beschluß gefaßt und damit seine Pflicht erfüllt, überlassen wir nunmehr dem Marschall Bazaine die Ausführung dessen, was wir für richtig und notwendig erkannt haben, – denn in der Tat, wir haben keinen Augenblick zu verlieren, und es muß unmittelbar ohne Verzögerung gehandelt werden, wenn noch etwas erreicht werden soll.«

Er verabschiedete sich nach diesen Worten von dem Marschall und verließ mit einer Verneigung gegen die übrigen das Zimmer.

Der General Coffinières biß die Zähne aufeinander, nahm sein Käppi und folgte dem General Changarnier mit kurzem, militärischem Gruß.

Der Marschall Bazaine verabschiedete sich von den Versammelten und ersuchte den General Boyer, ihm in sein Kabinett zu folgen, nachdem Canrobert, Frossard und Leboeuf den General noch besonders gebeten hatten, der Kaiserin die Versicherung ihrer Treue und Ergebenheit zu überbringen und Ihre Majestät zu beschwören, daß sie aus ihrer Passivität heraustreten und durch einen schnellen Friedensschluß das Kaiserreich und Frankreich retten möge.

»Mein lieber General,« sagte der Marschall Bazaine, als er mit dem General Boyer sich allein in seinem kleinen Privatkabinett befand, »in Ihre Hände ist eine große Entscheidung gelegt. Sie müssen alles aufbieten, um von der Kaiserin die Zustimmung zum Friedensschluß zu erreichen und um zu gleicher Zeit von den Feinden die möglichst günstigen Friedensbedingungen zu erlangen, damit wir durch dieselben die usurpierte Regierung in Paris und in Tours vor den Augen von Frankreich zu Boden werfen können, da diese törichten und eitlen Advokaten dem Lande nichts bieten, als entweder hoffnungslosen und aufreibenden Kampf oder schwere und erdrückende Gebietsabtretungen ..«

»Ich werde alles aufbieten, Herr Marschall«, erwiderte der General, »um meine Aufgabe zu erfüllen und Eurer Exzellenz Zufriedenheit zu erwerben –«

»Den Dank des Landes,« fiel der Marschall ein, »des Landes, dem wir Ruhe, Ordnung und Wohlstand wiedergeben werden, – denn wir, mein lieber General, wir, die wir diese Armee von Metz in Händen halten, – wir werden die Herren von Frankreich sein, und wir werden dann ein wenig aufräumen mit jenen Advokaten, welche jetzt die Welt mit ihren Proklamationen erfüllen.«

Er richtete sich stolz empor und blickte wie fragend aufwärts, als verlange er eine Antwort von der Vorsehung, ob es ihm gelingen werde, die stolze Höhe zu erklimmen, welche seine Gedanken ihm zeigten.

»Sie werden Hindernisse finden,« sagte er dann, näher zu dem General herantretend, – »ich kenne das, – ich weiß, wie schwer der Kaiser zu energischen Entschlüssen zu bringen ist, und jetzt zumal, da er geistig und körperlich gebrochen ist und der tiefsten Ruhe bedarf. Werfen Sie«, fuhr er fort, die Hand auf den Arm des Generals legend und die Stimme dämpfend, – »werfen Sie, wenn Sie Unsicherheit und Unentschlossenheit finden sollten, den Gedanken der Abdankung des Kaisers hin, der kleine Prinz würde einen bessern Stand haben, denn ihm kann man ja die Schuld an dem jetzigen Unglück nicht vorwerfen, und vielleicht würde der Kaiser nicht ungern auf diese Idee eingehen, welche ihm erlaubt, sich in stiller Ruhe zurückzuziehen und seiner Gesundheit zu leben.«

General Boyer fuhr fast erschrocken zurück. »Eure Exzellenz denken an die Abdankung des Kaisers?« rief er, – »es ist wahr, der Kaiser ist schwach, unentschlossen und krank, – aber seine Hand ist gewohnt, die Zügel der Regierung zu führen, er kennt die Fäden, durch welche er Frankreich so lange beherrscht, – aber die Kaiserin,« sagte er kopfschüttelnd, »eine Fremde in Frankreich, – der Prinz ein minorennes Kind, – halten Eure Exzellenz es für möglich, daß eine solche Regierung sich halten könne?«

»Sich halten?« rief der Marschall Bazaine mit funkelndem Blick. – »Nein, sie wird sich nicht halten, – aber wir werden sie halten, – ich werde sie halten, an der Spitze dieser Armee von Metz, wenn ich dieselbe hinausführen kann aus dieser feindlichen Umschlingung. Sagen Sie das der Kaiserin, – wenn sie will, und wenn der Graf von Bismarck meinen Plan billigt, so wird Frankreich in kurzer Frist den Frieden haben, – und eine feste und starke Regierung, – dafür bürge ich! – Sagen Sie,« fuhr er fort, »daß es nur darauf ankäme, mit dieser Armee, ja nur mit fünfzigtausend Mann derselben, Orleans zu erreichen, dorthin unter den Schutz meiner Bajonette den Senat und das Korps legislatif zu berufen, und durch dieselben den Frieden, den die Kaiserin schließen wird, sanktionieren zu lassen.«

»In der Tat,« sagte der General Boyer betroffen, »ich beginne Eure Exzellenz zu verstehen, – aber dennoch – welche Schwierigkeiten, die Regierung zu Paris, die Regierung in Tours, sie werden auf das äußerste widerstehen, – die Armee von Paris –«

»Diese Regierungen von Tours und von Paris,« rief der Marschall in wegwerfendem Ton, »sie werden verschwinden wie der Staub vor dem Winde, sobald nur einmal in Orleans die kaiserliche Regierung und die einzigen gesetzlichen Vertreter des Landes unter dem Schutze meiner Armee etabliert sind, und sobald unsere siegreichen Gegner mit dieser Regierung, welcher die Anerkennung Europas zur Seite steht, über den Friedensschluß verhandeln. Diese einzelnen Generale, welche noch im Lande umherziehen und den Versuch machen, aus zersprengten Korps Armeen zu bilden, – sie alle werden sich zu dem Magnet des kaiserlichen Mittelpunktes heranziehen, und das Land wird mit Jubel diejenige Regierung begrüßen, welche ihm endlich den Frieden bringt. Diese große, weite Zukunft, mein General, liegt in Ihren Händen,« sagte er, die Hand auf die Schulter des Generals Boyer legend, »gehen Sie hin, um dieselbe zu verwirklichen!«

Der General verneigte sich stumm und tief bewegt, indem er die Hand auf die Brust legte, wie zum Zeichen, daß er seine ganze Kraft an die Erfüllung der Aufgabe setzen werde.

»Wir müssen einen Parlamentär zu den Vorposten senden, um einen Geleitschein für Sie zu erbitten, wollen Sie die Güte haben, das zu veranlassen, und wenn derselbe eingetroffen ist, mich zu benachrichtigen. Ich werde einen Wagen für Sie bereit halten, – ich möchte bei dieser Gelegenheit eine Pflicht gegen unsern Freund, den Hannoverschen Kapitän von Feldhausen erfüllen, der unter den gegenwärtigen Verhältnissen an seine Sicherheit denken muß; denn wenn diese Verhandlungen fehlschlagen, so können wir einer Kapitulation nicht lange mehr entgehen. Ihre Reise ist vielleicht die beste Gelegenheit, ihn in Sicherheit zu bringen.«

»In der Tat,« sagte General Boyer, »der Ärmste wäre verloren, wenn es zur Kapitulation käme, und nichts könnte ihn vor dem schwersten Schicksal retten.«

»Ich will sehen, was ich tun kann,« sagte der Marschall, »jedenfalls wissen Sie, mein lieber General, von nichts.«

General Boyer verabschiedete sich, und der Marschall bewegte die auf seinem Tisch stehende Glocke, nachdem er einigemal gedankenvoll auf und nieder geschritten war.

»Rufen Sie meinen Ordonnanzoffizier, den Kapitän von Feldhausen,« befahl er dem eintretenden Diener.

Nach etwa einer Viertelstunde trat ein junger, schlanker Mann von etwa achtundzwanzig bis dreißig Jahren in das Zimmer. Derselbe trug die Uniform der Linieninfanterie, den blauen Waffenrock mit dem gelben Kragen, und die Kontreepaulettes des Kapitäns. In seinem bleichen Gesicht funkelten Augen von solch intensivem Schwarz, daß dieselben, in Verbindung mit dem ebenso ebenholzschwarzen Haar und Bart, seinen Zügen fast einen orientalischen Charakter gaben. Der Ausdruck seines Gesichts war eine wunderbare Mischung von fast weiblicher Weichheit und zugleich unbeugsamer und zäher Entschlossenheit.

Seine schlanke Gestalt hatte die eigentümliche, feste und straffe Haltung, welche man bei den norddeutschen Militärs findet, und mit dienstlichem Gruß, die linke Hand am Degen, näherte er sich dem Marschall.

Der Marschall reichte ihm die Hand und blickte mit Wohlgefallen auf die soldatisch kräftige Gestalt des jungen Offiziers.

Mit einer fast väterlichen Freundlichkeit führte er den jungen Mann zu einem Sessel und ließ sich neben ihm nieder.

»Ich habe mit Ihnen zu sprechen, mein lieber Kapitän,« sagte er dann ernst, »und will dies in vollster Aufrichtigkeit tun, um Ihnen das unbeschränkte Vertrauen zu beweisen, dessen Sie sich während Ihrer kurzen Dienstzeit in unserer Armee so würdig bewiesen haben.«

Der Kapitän von Feldhausen verneigte sich und erwartete schweigend, mit einem leicht unterdrückten Seufzer, die weiteren Mitteilungen des Marschalls.

Dieser fuhr fort:

»Dem Blick eines so tüchtigen Offiziers wie Sie, mein Kapitän, kann es nicht entgehen, was Ihnen auszusprechen ich mich meinerseits für verpflichtet halte, daß wir uns dem Augenblick nähern, in welchem der Mangel an allem uns zwingen wird, das traurigste Schicksal eines Soldaten ins Auge zu fassen und an die Kapitulation zu denken.«

»Ich weiß es,« sagte der Kapitän von Feldhausen finster, »und ich sehe mit tiefem Schmerz auf so viele Hoffnungen zurück, welche in so kurzer Zeit zertrümmert wurden. – Das Schicksal Frankreichs ist traurig, Herr Marschall,« fuhr er fort, indem er den brennenden Blick seiner großen schwarzen Augen voll tiefer Trauer aufschlug, – »Frankreich ist schwer getroffen, es ist herabgestürzt von glänzender Ruhmeshöhe und wird sich selbst in schweren inneren Kämpfen zerfleischen. Aber ein Land wie Frankreich stirbt nicht, auch von den schwersten Schlägen, auch von der schwersten Krankheit wird es sich wieder erholen, – mir aber, Herr Marschall, mir ist alles gestorben und für immer, denn mein Vaterland, das kleine Hannover, das aber doch seine große Geschichte und seine großen Fürsten besaß, – es ist jetzt für ewig dem Untergang verfallen, denn nun wird es auf lange hinaus niemand mehr geben, der dem weltherrschenden Preußen seine Eroberungen streitig machen kann.«

»Wer weiß,« sagte der Marschall, indem er seinen dünnen, schwarzen Schnurrbart mit den Zähnen faßte, – »wer weiß; die Geschicke wenden sich oft schnell. In wie überraschender Geschwindigkeit ist der erste Napoleon von seiner Höhe gestürzt, – doch«, sagte er dann abbrechend, »gerade weil für Sie die Ereignisse vielleicht noch schmerzlicher sind als für uns, habe ich Sie jetzt bitten lassen, zu mir zu kommen, – denn wenn das Äußerste eintreten sollte, so ist Ihre Lage eine bei weitem schlimmere als die der französischen Offiziere, – es kann nicht fehlen, daß die Identität Ihrer Person festgestellt werden wird, die Preußen werden Sie natürlich infolge der Annexion Hannovers für einen der ihrigen erklären, – und Sie wissen, welches Schicksal Sie dann erwartet.«

»Der Tod,« erwiderte Herr von Feldhausen kalt und ernst, – »und ist das nicht vielleicht ein Glück für mich,« fuhr er mit schwermütigem Ausdruck fort, »für mich, für den kein Platz in der Welt mehr übrig ist?«

»Kein Platz übrig?« fragte der Marschall Bazaine, – »die französische Armee wird stets stolz sein, einen so tapfern Edelmann zu den ihrigen zu zählen, wie Sie, mein Kapitän, und es haben ja schon früher Fremde, – Fremde aus Ihrem Vaterland diesen edlen Marschallstab von Frankreich sich erworben, – der Marschall Schomberg, der Marschall Moritz von Sachsen –«

Mit einer ehrerbietigen, aber bestimmten Bewegung unterbrach Herr von Feldhausen den Marschall.

»Ich werde stets mit Stolz mich der Zeit erinnern,« sagte er, »während welcher ich in Waffenbrüderschaft mit der französischen Armee stand und deren Uniform trug, aber«, sagte er mit festem, entschiedenem Ton, »diese Verbindung, so ehrenvoll sie für mich war, kann nach dem Schluß dieses Feldzuges nicht weiter bestehen.«

Erstaunt blickte Bazaine ihn an.

»Herr Marschall,« sagte der Kapitän, »ich habe nun die Ehre nachgesucht, in die französische Armee eintreten zu dürfen, auf den Rat und mit der Empfehlung meinen Königs, weil ich glaubte, daß es den Kampf gelten würde gegen jenes Preußen, das meinem Souverän seinen Thron genommen und mein freies Vaterland zu einer Provinz gemacht hat, – weil ich glaubte, daß mein König eintreten würde in den Kampf, um sein Recht geltend zu machen, – es ist anders gekommen, nicht Preußen haben wir gegenübergestanden, sondern Deutschland, diesem großen Deutschland, das – was immer auch zwischen Preußen und Hannover geschehen sei – doch mein Vaterland ist, – mein Vaterland, in dessen Sprache ich mit meiner Mutter rede und zu Gott bete, dessen Blut meine Adern füllt und mich unauflöslich mit all den anderen verbindet, deren Herzen von deutschem Blut bewegt werden. Mein König aber hat still und fern dagesessen und hat sich um niemand von allen denen gekümmert, die ihm einst ins Exil folgten. Wenn mein König aber seine Sache aufgibt, so habe ich, der einzelne, kein Recht, sie zu verfechten, und wenn Deutschland in den Schranken steht, so darf ich seinen Fahnen nicht feindlich gegenübertreten. Ich habe, wie Eure Exzellenz mir bezeugen werden, meine Pflicht getan, – ich habe sie mit Schmerz getan, wie ich nicht leugne, seit Deutschland in seiner einigen Gesamtheit mir gegenübersteht, und ich werde nicht länger der französischen Armee angehören können, nachdem der Friede geschlossen ist. – Das wird freilich,« sagte er nach einem langen Atemzug mit schmerzlichem Lächeln, – »auch ohne meinen Entschluß sich ganz von selbst verstehen, – denn meine Gefangennahme wird wohl von einem Prozeß und meiner Verurteilung unmittelbar gefolgt sein.«

»Darum eben, mein lieber Freund,« sagte der Marschall mit einer ihm sonst nicht eigenen Herzlichkeit, »habe ich Sie rufen lassen: Sie müssen Metz verlassen und sich in Sicherheit bringen für den leider nur zu möglichen Fall, daß eine Kapitulation dennoch nötig werden sollte, welche unsere Offiziere zu Kriegsgefangenen macht.«

»Herr von Feldhausen sprang empor. »Fliehen,« rief er, – »die Fahne verlassen, im Augenblick der Gefahr, – die Fahne, der ich folgte in der Hoffnung des Sieges, – niemals, Herr Marschall, niemals, – ich hoffe, daß Eure Exzellenz nicht im Ernst eine solche Tat von mir voraussetzen!« »Ruhig, ruhig, mein junger Freund,« sagte der Marschall Bazaine, indem er mit einem gewissen freudigen Stolz auf den in glühender Aufwallung seines Gefühles dastehenden jungen Offizier blickte, – »man darf in ernsten Augenblicken sich nicht von der Leidenschaft bestimmen lassen, mag auch deren aufbrausendes Gefühl noch so edel sein. – Nicht vor der Gefahr sollen Sie fliehen, welcher jeder Soldat stündlich ins Auge sehen muß, und welcher Sie so tapfer und heldenmütig entgegengetreten sind, wie ich mit meinem ganzen Generalstab es bezeugen kann. – Aber vor jener anderen Gefahr sollen Sie fliehen, welche des braven Soldaten höchster Schrecken sein muß, vor dem Tode des Verbrechers, dem das Gesetz den Stempel der Ehrlosigkeit aufdrückt, – und dieser Tod erwartet Sie, wenn Sie den Preußen in die Hände fallen, mit rettungsloser Sicherheit. Denn ich selbst, wenn ich preußischer General wäre, könnte kein anderes Urteil über Sie fällen.«

Herr von Feldhausen preßte die gefaltenen Hände gegeneinander, seine Brust arbeitete heftig in innerem Kampf.

»Und ich will nicht,« fuhr der Marschall Bazaine fort, »daß ein Offizier, der die französische Uniform trägt, – ich will nicht,« fügte er mit fast weichem Ton hinzu, »daß ein junger Mann, den ich liebe und achte, einem solchen Schicksal verfalle. Deshalb bitte ich Sie, – deshalb befehle ich Ihnen, wenn es sein muß, daß Sie Metz verlassen, um sich zu retten!«

»Ein solcher Befehl, Herr Marschall –« rief Herr von Feldhausen.

»Denken Sie an Ihren Vater, mein Freund,« sagte der Marschall ernst, »ich habe nicht die Ehre, ihn zu kennen, aber ich bin überzeugt, daß er ein Mann ist, der, wie sein Sohn, die Ehre über alles stellt. Was würde Ihr Vater sagen, wenn er hier stände, der sicheren Aussicht gegenüber, daß Sie in Preußen zu schimpflichem Tode verurteilt werden –« »Mein Vater!« rief der junge Mann, – »mein Vater! – aber meine militärische Ehre, – meine Pflicht –«

»Ich,« sagte der Marschall Bazaine ernst und feierlich, »ich, ein Marschall von Frankreich, bürge Ihnen für Ihre militärische Ehre, – ich, Ihr Vorgesetzter, befehle Ihnen, sich zu retten, weil ich nicht will, daß wegen Ihres Falles Verwicklungen mit dem preußischen Kommando entstehen; mit dieser Erklärung müssen Sie zufrieden sein.«

»Ich muß es sein,« sagte Herr von Feldhausen mit trübem Ton, »und muß zum Schluß meiner Dienstzeit in der französischen Armee; nach so vielen schmerzlichen Erfahrungen, noch das Schwerste kennen lernen, – die heimliche Flucht vor dem Feinde.«

Er nahm seinen Degen ab und trat zum Marschall hin. »Ich bitte Sie, Herr Marschall, diesen Degen zurückzunehmen, den Frankreich mir gab. Ich bitte Sie, mir dereinst zu bezeugen, daß ich ihn bis zum letzten Augenblick würdig meines Namens und würdig der Uniform, die ich getragen, geführt habe.«

Der Marschall empfing den Degen und schloß den jungen Mann mit herzlicher Innigkeit in seine Arme.

»Doch nun, mein Freund,« sagte er dann, »gilt es zu handeln, – die Augenblicke sind gezählt.«

»Ich bin bereit,« sagte Herr von Feldhausen, »aber in der Tat vermag ich kaum einzusehen, wie es möglich sein wird, Metz zu verlassen und durch die preußischen Linien zu dringen.«

»Ich hoffe, daß das keine Schwierigkeiten machen wird,« erwiderte der Marschall, – Sie werden den Wagen führen, welcher einen General, den ich nach dem feindlichen Hauptquartier sende, dorthin bringt. Sie kennen den Grafen von Villebois?«

»Der Graf hat mich auf das liebenswürdigste aufgenommen,« erwiderte Herr von Feldhausen, »und ich habe ebenso angenehme als lehrreiche Stunden in seinem Hause verbracht.«

»So gehen Sie sogleich zu ihm,« sagte der Marschall. »Ich werde ihn um einen Wagen bitten lassen; teilen Sie ihm offen und frei Ihre Lage mit, Sie können ihm völlig vertrauen, und bitten Sie ihn um eine Benachrichtigung an seine Tochter, welche Metz vor einiger Zeit verlassen hat und sich wahrscheinlich auf dem Schloß zu Villebois, hinter den preußischen Linien, befindet. Dorthin zu gelangen wird Ihnen nicht schwer fallen, da man Ihnen nach jener Richtung hin kaum Schwierigkeiten in den Weg legen möchte, – und einmal in Villebois, steht Ihnen der Weg vollkommen offen, um nach Belgien zu gelangen. Eilen Sie, mein Abgesandter soll sobald als möglich Metz verlassen.«

Noch einmal drückte er die Hand des jungen Mannes, und dann drängte er denselben eifrig zur Tür hinaus. – – –

Am Abend desselben Tages war der Geleitschein für den General Boyer zum Passieren der Vorposten eingetroffen. Der General hatte seine letzten Instruktionen vom Marschall empfangen und mit demselben eines jener einfachen Soupers eingenommen, wie sie in der belagerten Stadt seit einiger Zeit auch nur selten noch zu finden waren, und bei welchen man den trockenen Zwieback und das Filet der schlecht genährten Pferde mit einem guten Glase Bordeaux hinunterspülte.

Der Marschall begleitete den General bis unter das nach der Straße führende Portal. Hier stand ein einfacher offener Wagen mit zwei kräftigen Militärpferden bespannt, ein Kutscher in dunkler Halblivree saß auf dem Bock. Zwei Ordonnanzen mit einer weißen Fahne und ein Trompeter hielten daneben.

»Und nun, mein General,« sagte der Marschall, indem er dem General Boyer zum Abschied die Hand in den Wagen reichte, »erreichen Sie, was zu erreichen ist, und kommen Sie bald mit guter Nachricht wieder, – und Ihr mein Freund,« sagte er dann, indem er dem Kutscher auf die Schulter klopfte, – »fahrt vorsichtig und geschickt, damit Euch zwischen den Postenketten kein Unglück widerfährt.«

Der Kutscher wendete sich mit einer linkischen Verbeugung um, sein bleiches Gesicht war bartlos, und unter der tief herabgedrückten Krämpe seines Hutes leuchteten tiefe, dunkle Augen dem Marschall entgegen.

» Allez!« rief der General Boyer.

Die Ordonnanzen und der Trompeter ritten voran, und schnell rollte der Wagen durch die Straßen nach den Toren von Metz hin.

Der Marschall blickte dem kleinen Zuge einen Augenblick sinnend nach.

»Es ist eine edle, kraftvolle Nation,« sagte er leise, »und ein wunderbarer Patriotismus durchglüht sie für dieses Deutschland, das bis jetzt nur ein geographischer Begriff war,– und das jetzt eine Idee geworden, welche uns mit so niederschmetternder Macht entgegentritt. – Wir hätten sie nicht angreifen sollen!« – sprach er seufzend, indem er langsam in sein Zimmer zurückkehrte.


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