Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Raoul Rigault war am Abend, an welchem die Kaiserin Eugenie das Schloß der Tuilerien, diese Stätte so vielen Glückes und Glanzes und so vieler Tränen und herzzerschneidenden Jammers, verlassen hatte, mit der Marchesa Pallanzoni nach ihrer Wohnung an dem Platz der Kirche St. Augustin gefahren.

Die junge Frau hatte ihm bei dem Aussteigen aus dem Kupee ihren Arm gereicht, und er hatte sie schweigend die Treppe hinauf nach ihrer Wohnung geführt. Die Lakaien und der Kammerdiener waren aus dem Vorzimmer verschwunden, – eine Kammerfrau in mittleren Jahren, von einfacher Erscheinung, aber mit einem Gesichtsausdruck, der auf ein in allen Regionen der Gesellschaft vielbewegtes Leben schließen ließ, öffnete die Tür des Vorzimmers und musterte mit einem forschenden und verwunderten Blick diesen ihr unbekannten jungen Mann, dessen zweifelhafte Eleganz so wenig zu der Haltung und Erscheinung der gewöhnlichen Besuche ihrer Herrin paßte.

Raoul Rigault nickte ihr, ohne durch diesen Blick beirrt zu werden, sein Monokle ins Auge werfend, mit einer herablassenden Gönnermiene zu und folgte der Marchesa in den Salon, in welchem zwar nicht mehr jener Reichtum höchster und vornehmster Eleganz herrschte wie zur Zeit, als der Leutnant von Wendenstein hier im Rausch betäubenden Entzückens alles um sich her vergaß, – der aber doch wieder mit so vielen Gegenständen des Luxus und Komforts ausgestattet war, daß der an die Höhen des Lebens nicht gewöhnte Agitator der Vorstadtdemokratie nur mit Mühe seine Verwunderung über so viel Reiz und Behaglichkeit unterdrückte und den Ausdruck gleichgültiger Blasiertheit auf seinem Gesicht festhielt.

Die Marchesa zog sich einen Augenblick in ihr Boudoir zurück, um Hut und Mantel abzulegen, – dann kehrte sie, nur um so viel schöner in einem einfachen Kostüm von violetter Seide, das die zarten Farben ihres Gesichtes noch reizender hervorhob, zurück und sagte, indem sie sich auf einen kleinen Lehnstuhl im Licht einer mit rosenrotem Schleier überhängten Lampe niederließ:

»Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie die Güte gehabt haben, mich aus einer so peinlichen Situation zu befreien und hierher in Sicherheit zu bringen, – Sie haben mir dadurch einen wahren Freundschaftsdienst erwiesen,« fügte sie mit einem reizenden Lächeln und einem bezaubernden Augenaufschlag hinzu, – »den ich stets als solchen anerkennen und bei jeder Gelegenheit erwidern werde.«

Raoul Rigault sah einen Augenblick voll Bewunderung diese so wunderbar schöne Frau an, die so weit von den weiblichen Erscheinungen abstach, an die er gewöhnt war, und erwiderte dann, indem er sich ihr gegenübersetzte, in einem Ton, der ernster war als seine gewöhnliche Ausdrucksweise und aus dem selbst eine gewisse Befangenheit hervorklang:

»Der Dienst, Madame, Sie von jenen albernen Toren befreit zu haben, welche den schlechten Geschmack hatten, eine so reizende Blüte frischer Schönheit mit jener welkenden Kokette zu verwechseln, die man bis jetzt die Kaiserin von Frankreich nannte, – dieser Dienst ist klein und unbedeutend; – aber, Madame,« fuhr er fort, indem er sein Monokle fallen ließ und sie mit seinen großen hervorstehenden Augen starr ansah, – »ich habe Ihnen ein größeres Opfer gebracht, – ein Opfer, das Sie kennen, – und das Sie anerkennen müssen.«

»Ein Opfer?« fragte die Marchesa, indem sie ihn immer lächelnd und fragend ansah, – »und welches?«

»Ich habe Ihnen das Opfer gebracht, Madame,« fuhr Raoul Rigault mit sich steigernder Sicherheit fort, – »Diejenige, mit welcher man Sie verwechselte und welche Sie erkannt haben, wie ich sie erkannte, entfliehen zu lassen. – Ich habe damit keine persönliche Rache geopfert,« sagte er in gleichgültigem Ton, – »ich verachte diese ganze Bagage zu sehr, welche die Prätensionen der Monarchie hat und in ihrer Tyrannei nicht einmal großartig ist wie die alten Könige, – aber ich habe einen schnelleren Fortschritt der Demokratie geopfert, – denn wenn man die Kaiserin ergriffen hätte, so wäre ein Ausbruch des demokratischen Volksgefühles erfolgt, – es hätte einen Prozeß gegeben, – eine Hinrichtung, – dafür hätte ich gesorgt –« schaltete er mit einem kalten, entsetzlichen Lächeln ein, welches in seiner zynischen Ruhe so furchtbar war, daß es das Blut der Marchesa erstarren machte, – »und dann wären jene traurigen Männer des Geschwätzes und der Halbheiten, jene elenden Regenten der verkommenen Bourgeoisie in einem Augenblick hinweggefegt, – statt daß wir sie jetzt langsam sich aufreiben lassen müssen, – eine Entwicklung, die zwar ebenso zum Ziel führt, – aber doch noch möglicherweise durch irgendein unerwartetes Ereignis unterbrochen und gehemmt werden kann. Sie sehen also, Madame,« sagte er, mit einem glühenden Blick über ihre in den Lehnstuhl zurückgebeugte Gestalt, – »Sie sehen, daß ich Ihnen und Ihrer Bitte für die Kaiserin, – einer Laune, die ich nicht verstehe, – einen glänzenden und schnellen Sieg geopfert habe, einen Sieg des Prinzips der roten Republik, welche, nachdem sie den goldblonden Kopf dieser Kaiserin genommen hätte, alles andere vergiftete Blut der Gesellschaft in vollen Strömen weggegossen haben würde, – und für diesen Sieg, den ich Ihnen widerstandslos geopfert, verlange ich einen anderen schnellen und widerstandslosen Sieg!«

Die Marchesa erbebte bei diesen Worten, welche mit dem rauhen Ton einer wilden, unversöhnlichen Entschlossenheit gesprochen waren, – aber sie unterdrückte diese Empfindung und fragte mit einem verwunderten Blick voll naiver Koketterie:

»Und zu welchem Siege könnte ich Ihnen helfen, mein Herr, – Ihnen, – der auf so große Siege mit so stolzer Sicherheit rechnet,« fügte sie mit einem Anklang leichter Ironie dazu.

»Zu dem Siege, Madame,« rief Raoul Rigault, indem er schnell aufstehend mit geröteten Wangen und blitzenden Augen vor sie hintrat, – »zu dem Siege über diese Schönheit, – über diese Reize, die sich vor mir entfalten, – über den Stolz, welcher über diesem Reiz thront und bis jetzt glaubte, mich zurückweisen zu dürfen!«

»Und wenn ich,« fragte die Marchesa, indem sie unwillkürlich das Auge niederschlug und mit Mühe den leichten Ton heiterer Konversation festhielt, – »wenn ich nun nicht geneigt wäre, so schnellem, widerstandslosem Siege die Palme zu reichen? – wenn ich –«

»Dann, Madame,« fiel Raoul Rigault kalt und schneidend ein, »bitte ich Sie, sich zu erinnern, daß diejenige, welche ich auf Ihre Bitte entfliehen ließ, noch nicht weit von Paris ist, daß es ein Leichtes ist, die Geister der Rache auf ihre Fährte zu senden und ihr das Schicksal zu bereiten, das Marie Antoinette in Varennes ereilte, – mehr noch,« fuhr er, die Arme kreuzend, fort, indem er sie so scharf und durchbohrend ansah, daß sie, wie gebannt von diesem Blick, die Augen zu ihm emporhob, – »ein Wort von mir würde genügen, um dem Volk von Paris zu sagen, daß eine gewisse schöne und elegante Dame, indem sie einen Augenblick den Verdacht auf sich ablenkte, die Flucht der Kaiserin unterstützt und gedeckt habe, – der brüllende Schrei des Volkes, – des Volkes von Belleville, Madame, und von St. Antoine, würde die Mitverschworene der Kaiserin als Opfer fordern, – und glauben Sie, Madame, daß die Herren Trochu und Jules Favre dem brüllenden Volke sein Opfer verweigern würden, – wäre dies Opfer auch die so schöne und so anmutige Marchesa Pallanzoni?«

Die junge Frau sank in sich zusammen, und angstvoll bittend sah sie zu dem jungen Menschen empor, der ihr bis jetzt so fade und unbedeutend erschienen war und der plötzlich vor ihr stand wie ein Dämon der Tiefe, der, von den Flammen des Abgrundes umlodert, ihr die Gesetze des Siegers vorschrieb.

Raoul Rigault weidete sich einen Augenblick an der niederschmetternden Wirkung seiner Worte, – dann verschwand der Ausdruck kalten, grausamen Hohnes von seinem Gesicht, und in seinem gewöhnlichen Ton sprach er:

»Doch das wird nicht geschehen, Madame, – diese Schönheit und dieser Reiz werden nicht vernichtet werden, – Sie haben zu viel Geist, um das zu wollen, – ich gehöre,« fuhr er, selbstzufrieden lächelnd, fort, – »ein wenig zu jener Macht, welche die Gläubigen die Hölle nennen, und Sie wissen, daß man, um die Dienste dieser Macht zu gewinnen, sich selbst und seine Seele als Preis geben muß, daß dann aber auch die höllischen Geister sehr gute und sehr treue Dienste leisten. – Und dann, Madame,« sagte er, einen Stuhl neben sie heranziehend und ihre Hand ergreifend, die sie ihm widerstandslos überließ, – »dann aber auch ist es unmöglich, daß wir uns nicht verstehen sollten, – ich kenne Sie, – ich habe Sie beobachtet, mich täuscht der äußere Schein nicht; – obgleich Sie wie ein schimmernder Schmetterling über der Gesellschaft schwebten, deren schnelle Auflösung jetzt beginnt, während ich in der dunklen Tiefe ihre absterbenden Wurzeln zerstörte, – dennoch gehören wir beide nicht zu jener Gesellschaft, welche Sie auszubeuten verstanden, während ich an ihrer Vernichtung arbeitete, – diese Gesellschaft war Ihre Feindin wie die meinige, und wir gehören zusammen; gemeinsam wollen wir uns freuen an dem Einsturz dieses so stolzen und so schimmernden Gebäudes, dessen Pforten uns von jämmerlichen Zwergen, die nicht an uns heranreichen, verschlossen wurden. Sie waren das Spielzeug elender Schwächlinge, – an meiner Hand werden Sie hoch über der in Blut und Flammen versinkenden Gesellschaft dastehen, – eine Königin der Vernichtung, – eine Göttin der Rache und des Schreckens!«

Er drückte seine Lippen in glühendem Kuß auf ihre Hand, und die Marchesa fühlte sich wundersam durchschauert von einem fast zur Bewunderung gesteigerten Gefühl der Furcht und des Entsetzens. Auch empfand sie die Verwandtschaft des Hasses gegen die Gesellschaft, welche sie mit diesem Mann verband, der sich plötzlich in so drohender Höhe vor ihr aufrichtete, und unterjocht unter diesen unbeugsamen Willen, verwirrt und bewegt, wie sie es seit langem nicht gewesen war, lehnte sie ihren Kopf an die Schulter Raoul Rigaults, der sie schnell in seine Arme schloß und ihren Mund mit heißen Küssen bedeckte.

»So ist unser Bund geschlossen,« sagte er dann, – »und um so eifriger werde ich daran arbeiten, in diesen schönen Augen die Flammen der Tyrannenpaläste wiederleuchten zu lassen und auf einen Wink dieser zarten Hand die Köpfe der früheren Herren aller Lebensgenüsse zu den Füßen meiner Freundin hinzurollen.

»Doch,« sagte er dann, »man lebt nicht von der Liebe, und die Zeit meiner Herrschaft über die Schätze des Genusses ist noch nicht da, – du hattest den alten Marquis von Liancourt, der für die Ausgaben sorgte, – er ist aus Paris geflohen, sein Instinkt sagte ihm, daß seine Welt hier zu Ende sei –«

»Er ist nicht fortgegangen,« sagte die Marchesa in einem Ton, welcher der zynischen Weise Raoul Rigaults abgelauscht zu sein schien, »ohne zu hinterlassen, was ich für eine längere Zeit bedarf, – doch fand er es für besser, mich nicht mitzunehmen; – wenn –«

Raoul Rigault ließ sie nicht ausreden, mit einer stolz abwehrenden Handbewegung sagte er:

»Ich bedarf nichts – und wünsche nur, dein Herr zu sein, – dein Herr, den du liebst, weil du zu ihm aufblickst.«

Die Marchesa erhob sich und trug ihrer Kammerfrau die Sorge für das Souper auf.

Bald war ein kleiner Tisch mit einigen kalten Delikatessen bedeckt, dunkler Bordeauxwein und goldgelber Madeira schimmerten aus geschliffenen Kristallkaraffen, und die Marchesa setzte sich mit dem jungen Agitator der roten Republik, mit diesem Stutzer der Kneipen und Vorstädte, zu dem Mahl nieder, das für ihn einen um so berauschenderen Reiz hatte durch die Neuheit aller ihm bisher unbekannten Genüsse, – in demselben Boudoir, in welchem einst der Leutnant von Wendenstein über das zerbrochene Bild Helenens hin zu den Füßen des alle seine Sinne bestrickenden und beherrschenden Weibes niedergestürzt war.

*

Am anderen Morgen war Herr Charles Lenoir bei der Marchesa erschienen.

»Nun,« sagte er, indem er sich in seiner gewohnten plumpen Weise auf einen Sessel im Salon der jungen Frau warf, welche in einem weiten weißen Negligéüberrock träumerischen Blickes auf ihrem Ruhebett ausgestreckt lag, – »nun, meine liebe Toni, – ich sehe mit Vergnügen, daß du dir Mühe gibst, den guten Rat zu befolgen, den ich dir erteile. Du bist damals, wie ich es dir empfahl, zu der Soiree von Mademoiselle Cora gegangen, – und hast es nicht zu bereuen gehabt, – der alte Marquis, den du dort gefunden und an die Kette deiner ewig frischen Reize geschmiedet, hat deinen Salon wieder ganz hübsch ausgestattet, und wenn er auch nicht solche Goldquellen öffnen konnte, wie vormals der Herr Graf von Rivero, so haben wir doch keinen Mangel gelitten, und er nahm wenigstens nicht jenen salomonischen Ton an, den der Herr Graf so liebte und der für ein empfindliches Gefühl unerträglich war. – Und nun hast du auch den zweiten Rat, den ich dir damals gab,« fuhr er mit einem stechenden Seitenblick fort, – »vortrefflich befolgt, – freilich ohne mit mir noch einmal darüber zu sprechen, – was nicht hübsch und nicht klug von dir war, – ich hätte dir das besser arrangiert – indes, es ist immer anerkennenswert, daß du meine Vorschläge annimmst, – ich habe mit Vergnügen erfahren,« sagte er, sie starr ansehend, »daß Raoul Rigault gestern in deinem Kupee mit dir nach Hause gekommen ist.

Die junge Frau hatte fortwährend, anscheinend nur mit ihren Gedanken beschäftigt, dagelegen und schien Herrn Lenoir wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Bei seinen letzten Worten richtete sie langsam den Kopf auf und sah ihn aus ihren großen, etwas matt glänzenden Augen mit einer fast höhnischen Überlegenheit an.

»Herr Raoul Rigault ist gestern mit mir nach Hause gekommen,« sagte sie ruhig und gleichgültig, – »Sie sind recht berichtet, – oder haben gut beobachtet.«

»Und er ist vor einer Stunde wieder fortgegangen?« fragte Herr Lenoir.

Die Marchesa antwortete nicht.

»Gut, gut,« sagte er weiter, – »das ist gleichgültig, – oder vielmehr, das ist vortrefflich, – denn wir werden jetzt schnell weiterkommen auf der Bahn, welche zur Herrschaft der Herren von der Internationale führt, und dieser kleine Rigault wird eine große Rolle spielen, – durch ihn – –«

Er sann einen Augenblick nach, während die Marchesa, ohne den Kopf nach ihm zu wenden, ihn scharf beobachtete. »Doch,« sagte er dann, – »meine Mittel sind erschöpft, – ich weiß, daß der Herr Marquis deine Kassen gefüllt hat, – ich bin bescheiden, – wir müssen haushalten, denn man kann nicht wissen, was kommt –«

Die Marchesa war schnell aufgestanden und trat vor ihn hin.

»Ich muß Ihnen allerdings raten, mein Herr, sehr bescheiden zu sein,« sagte sie in hochmütigem Ton, – »in jeder Weise bescheiden zu sein, – ich muß, wie Sie ganz richtig bemerkten, mit meinen Mitteln haushalten und habe in der Tat keinen Grund, dieselben zu Ihren Gunsten einzuschränken.«

Er sah sie groß an. »Welche Sprache?« rief er, – »du vergißt –«

»Ich vergesse durchaus nicht,« erwiderte sie, – »daß Sie mir einige Dienste geleistet haben, die ich zwar sehr großmütig bezahlt habe, – um derentwillen ich aber dennoch Sie auch jetzt nicht der Not preisgeben will –«

»Oho,« rief er aufspringend, – »ist es so gemeint, – ist das der Lohn für meine stete Bereitwilligkeit, Ihnen zu dienen, – Ihnen, die ich vernichten kann –«

»Vor allem verbiete ich Ihnen diesen Ton, mein Herr,« rief sie mit der Miene einer Königin, die einen ihrer Diener zurechtweist, – »Sie sind weder in der Lage, mir fernere Dienste zu leisten, – noch mich zu vernichten, – wie Sie sich auszudrücken belieben, – die Welt, in welcher Sie mir hätten schaden können, existiert nicht mehr, und ich zweifle sehr, daß die Regierung, welche seit gestern Frankreich beherrscht, mit einem Mouchard des Kaiserreichs etwas zu tun haben möchte! Wohl aber,« fuhr sie mit schneidendem Hohn fort, »möchte ein Wort des Herrn Rigault, dessen Bekanntschaft zu kultivieren Sie mir angeraten haben und der mich gewiß gern von lästigen und zudringlichen Personen befreit, genügen, um den Agenten der kaiserlichen geheimen Polizei, Herrn Charles Lenoir, dem Volk von Paris zu bezeichnen und – ich, mein Herr, würde von diesem Augenblick an sehr wenig Vertrauen zu der Sicherheit Ihres kostbaren Lebens haben.«

Herr Lenoir hatte die Marchesa zuerst mit wildem Trotz und grimmigem Haß angesehen, – dann hatte er tief nachdenkend den Kopf gesenkt und die Worte derjenigen, welche einst seine Frau war, mußten ihm von einleuchtender und unwiderleglicher Wahrheit erschienen sein, denn als er den Blick wieder erhob, lag in dem Ausdruck desselben nichts als demütige Ergebenheit, – langsam nahm er den Hut, den er bis jetzt auf dem Kopf behalten, ab und sprach mit vollkommen verändertem Ton:

»Sie werden mich nicht der Not überlassen, – da ich Ihnen doch stets bereitwilligst zur Verfügung gestanden habe und Ihnen niemals Böses zufügte, – obgleich ich es gekonnt hätte, – und da ich doch auch jetzt noch Ihnen – und vielleicht auch Ihren Freunden – nützlich sein könnte,« fügte er mit Betonung hinzu, – »meine Verbindungen reichen weit, – und ich bin auch heute noch in der Lage, viel zu sehen und zu erfahren.«

»Sie haben es mir bewiesen,« erwiderte die Marchesa, »indem Sie so schnell und genau von dem Besuche des Herrn Rigault bei mir unterrichtet waren, – und ich will Ihnen Gelegenheit geben, es mir noch öfter zu beweisen, – wobei Sie sich nicht schlecht stehen sollen, – jetzt wünsche ich allein zu sein, – Sie werden von Zeit zu Zeit nachfragen, ob ich Ihrer Dienste bedarf.«

Sie öffnete die Kassette auf ihrem Schreibtisch und reichte ihm einige Goldstücke, welche er mit demütiger Verbeugung empfing.

Dann verließ er ruhig und langsam das Zimmer.

»Sie ist oben, – ich bin unten,« sprach er, die Treppe hinabsteigend, indem er die empfangenen Goldstücke zählte und in seine Tasche sinken ließ, – »ich muß mich beugen, – es wird sich ja wohl neben dieser jetzt so dünn fließenden Geldquelle noch eine andere, ergiebigere öffnen lassen, – diese Tugendhelden der neuen Regierung werden sehr schnell einsehen, daß es sich in Paris nicht regieren läßt, – wenn man nicht die Fäden auswirft, um die Tiefe zu messen, – das Rad des Glückes kann sich drehen und auch mich wieder hinaufführen, – und dann, meine teure Toni, wollen wir ein wenig Abrechnung halten über diese elenden fünf Napoleons, die du mir heute so hochfahrend zugeworfen hast.«

Er trat aus dem Hause und schloß sich einem Menschenschwarm an, der unter den Klängen der Marseillaise ein Bataillon der Nationalgarde begleitete, das zur Musterung vor dem General Trochu nach den Boulevards marschierte.


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