Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Siebzehntes Kapitel

Das heitere, fröhliche Leben, welches sonst die Straßen von Tours, dieser alten Hauptstadt der alten lustigen Touraine, erfüllte, hatte einem finsteren Ernst Platz gemacht. Die Delegierten der Regierung der Nationalverteidigung waren hier angekommen, um von Tours aus den Verkehr mit den nicht okkupierten Teilen von Frankreich und mit dem Ausland zu unterhalten; während die eigentlichen Führer der Regierung in dem eingeschlossenen und belagerten Paris zurückblieben, um dort den Widerstand zu kräftigen und zugleich die Kontinuität des Mittelpunktes der hauptstädtischen Regierung festzuhalten.

Die Straßen von Tours waren nicht einsam geworden, denn die Bevölkerung drängte sich auf denselben vom frühen Morgen bis zum späten Abend, um womöglich neuere zuverlässigere Nachrichten von den ungeheuren Ereignissen zu erhalten, welche so unaufhaltsam schnell sich weiter entwickelten und allen französischen Ohren so märchenhaft unglaublich klangen, daß man sich nur schwer entschließen konnte, sie unbedingt für wahr zu halten, und daß man, wenigstens eine Zeitlang, immer an die rosig gefärbten Depeschen glaubte, welche die Regierung zu veröffentlichen nicht müde wurde, in der Hoffnung, daß doch endlich die so sehr ersehnte Wendung des Glückes eintreten müsse.

Lebhafter noch als sonst bewegte sich an einem hellen Oktobertage die Menge auf den Straßen. Man hörte laute Jubelrufe, lärmendes Jauchzen aus einer dichten und sich stets lawinenartig vergrößernden Volksmasse hervortönen, welche sich vom Bahnhofe her nach dem Regierungsgebäude hinwälzte.

Und in der Tat war das Ereignis, welches diese aufregende Volksbewegung verursacht hatte, außergewöhnlich genug und wohl geeignet, die so leicht entzündlichen Bewohner der Touraine lebhaft zu erregen und mit neuen Hoffnungsträumen zu erfüllen. Denn die zahlreiche Menschenmenge, welche sich fast zur Ankunft jedes Zuges nach dem Bahnhofe begab, um dort neue Nachrichten zu sammeln, hatte plötzlich aus einem Kupee des heranführenden Trains einen Mann heraussteigen sehen, in einer roten Bluse, einen leichtgeknüpften Schal um den Hals und auf dem ziemlich langen und glatt herabhängenden Haar ein kleines Käppchen, das tief in die schmale Stirn herabgedrückt war.

Das Gesicht dieses Mannes war schmal und bleich, von einem kurzen, ins Graue fallenden Vollbart umrahmt, und nur die hellen, klaren Augen blickten unter ziemlich buschigen Augenbrauen mit einem eigentümlichen, beinahe fieberhaft glänzenden Schimmer über die auf dem Perron sich drängende Menge hin.

Ihm folgten fünf bis sechs andere Männer, wie er in rote Blusen gekleidet, meist kräftige Gesichter, von der Sonne des Südens gebräunt, mit schwarzen Bärten und schwarzen, blitzenden Augen. Neugierig drängte man sich zu den Angekommenen heran, wie denn in jener Zeit der überreizten Spannung und Aufregung jede außergewöhnliche Erscheinung noch mehr als sonst die lebhafteste Aufmerksamkeit erregte.

Während man noch in einzelnen Gruppen seine Bemerkungen über die fremdartig aussehenden Ankömmlinge austauschte, welche sich langsam nach dem Halteplatze der Fiaker begaben, ertönten aus der Menge heraus einzelne Rufe: »Er ist es – es ist Garibaldi!« – Und kaum war dieser Name genannt, so drängte die Menge heran, und bald erschollen rings laute Rufe: »Es lebe Garibaldi, der General der Freiheit, der Soldat des Sieges!«

Der bleiche Mann in der roten Bluse, welcher seinen Gefährten voranschritt, hatte die Reihe der wartenden Fiaker erreicht, und so über die Menge erhaben, streckte er seine Hand aus, zum Zeichen, daß er reden wolle, während zugleich eine feine Röte sein bleiches Gesicht färbte und seine bisher so ruhigen und gleichgültigen Züge in zitternder Bewegung zuckten.

»Ja,« rief er in einem sonderbar akzentuierten Französisch, »ich bin der Bürger Garibaldi, der gekämpft und geblutet hat für die Freiheit seines Vaterlandes, das jetzt die letzten Bollwerke der Tyrannei niedergeworfen und seine Hauptstadt, das Herz seines nationalen Lebens, wieder sein eigen nennt. Ich war der Feind jener despotischen Regierung, welche Frankreich geknechtet hatte und die priesterliche Tyrannei in Italien unterstützte. Jene Regierung ist gefallen – sie mußte fallen beim ersten Anstoß, weil sie morsch war und faul, und sie hat Frankreich – das edle, das große Frankreich, in ihren Fall mit hineingerissen. Frankreich ist schwer getroffen, aber Frankreich ist frei geworden, und dem freien Frankreich reicht Italien durch mich die Hand. Ich komme, um meine Kraft und meine Begeisterung, welche unter den grauen Haaren noch so feurig glüht, wie während der Tage meiner Jugend, zur Verfügung meiner Brüder, der freien Bürger von Frankreich, zu stellen. Nehmt mich hin, meine Brüder, Kinder, wie ich, dieser großen gemeinsamen Mutter – der Freiheit. Laßt mich an der Spitze eurer bewaffneten Volkskämpfer hinausziehen, und ich werde mit den tapferen Söhnen Frankreichs den französischen Boden reinfegen von jenen Söldnerheeren der Tyrannei, welche euch bedrohen.«

Unermeßlich war der Jubel, welcher ringsum ausbrach, als Garibaldi geendet. Dieser Mann, von welchem man nichts anderes kannte, als die Legende seiner Siege bei der Befreiung Italiens, dieser Mann kam jetzt in einem Augenblick, in welchem Frankreich am Boden lag, zuckend unter der Degenspitze des Siegers – um seinen Arm, seinen Namen, den Zauber seiner Person darzubringen, um an der Spitze dieser Jugend, welche aus allen Departements herbeiströmte, auszuziehen und im Namen der Freiheit die eingedrungenen Fremden zu vertreiben, – es konnte kein Zweifel sein, jetzt mußte das Schicksal sich wenden, das Glück mußte Frankreich wieder lächeln, der Sieg mußte sich wieder auf seine Fahnen herabsenken, von welchen der kaiserliche Adler verschwunden war.

»Es lebe Garibaldi, der Rächer, der Befreier! – Er wird Frankreich zum Siege führen und die Deutschen vertreiben, wie die Jungfrau von Orleans einst die Engländer vertrieb; auf! – auf! – zur Regierung!«

Garibaldis Sohn, Menotti, eine kräftige Gestalt mit einem dem Vater ähnlichen, aber finsteren und streng verschlossenen Gesicht, war zu dem General in den Wagen gestiegen. Die übrigen Fiaker folgten, und unter fortwährenden Rufen: »Es lebe Garibaldi, der Sieger, der Rächer, der Befreier!« setzten sich die Wagen, vom Volk umdrängt, nach dem Regierungsgebäude in Bewegung, während sich die Fenster öffneten und mit Neugierigen füllten.

Vor dem Regierungsgebäude, dessen Eingang ein Doppelposten deckte, hielt man an. Der General stieg, auf den Arm seines Sohnes gestützt und den verwundeten Fuß leicht nachziehend, unter das Portal.

»Meine Freunde,« sagte er, sich zu der ihn begleitenden Menge wendend, »während ich hier die Geschäfte erledige, wollt ihr die Güte haben, mir und meinen Begleitern ein bescheidenes Unterkommen zu geben – bescheiden und einfach, wie es ein Soldat im Kriege bedarf und wie ich es gewöhnt bin.«

Er grüßte mit der Hand und wendete sich, auf den Arm seines Sohnes gestützt, nach dem Innern des Gebäudes. Ein Teil der Menge führte seine Begleiter fort, um Quartiere für sie herzustellen, während andere zahlreiche Gruppen vor dem Regierungsgebäude versammelt blieben, um den General bei seiner Rückkehr zu empfangen.

Garibaldi hatte inzwischen den ihm entgegentretenden Huissier nach den Mitgliedern der Regierung gefragt und von demselben die Auskunft erhalten, daß nur der Graf von Chaudordy, der Delegierte für das Departement der auswärtigen Angelegenheiten, dort anwesend sei.

Bei dem Namen »Graf von Chaudordy« zog ein eigentümliches Befremden über das Gesicht des Kämpfers der Revolution.

»Melden Sie«, sagte er, »dem Bürger Minister den Bürger Garibaldi.«

Ganz erstaunt ging der Huissier durch das Vorzimmer in das Kabinett des delegierten Ministers. Bald darauf kehrte er zurück und sprach sehr artig und ehrerbietig: »Es wird dem Herrn Grafen ein Vergnügen sein, den Herrn General zu empfangen.«

Abermals erschien jener Zug des Befremdens, diesmal mit einem leisen Hohn vermischt, auf dem Gesicht des Generals. Er bedeutete seinem Sohn Menotti mit einem Wink seiner Hand, im Vorzimmer zurückzubleiben, und schritt an dem Huissier vorüber, der ihm die Tür öffnete, in das Kabinett des delegierten Ministers.

Der Graf von Chaudordy, früherer Kabinettssekretär unter Drouyn de Lhuys und in der letzten Zeit des Kaiserreichs als Minister plénipotentiaire zur Disposition gestellt, erhob sich bei dem Eintritt Garibaldis von seinem Lehnstuhl vor einem großen, mit Papieren und Briefen bedeckten Schreibtisch und trat dem Angekommenen einen Schritt entgegen.

Der Graf von Chaudordy mochte damals etwa fünfzig Jahre alt sein. Er war eine kräftige, gedrungene Gestalt mit breiten Schultern, – der starke Kopf mit dem dunklen Teint der Bewohner des Südens zeigte kräftige und energische Gesichtszüge, aus den dunklen Augen leuchtete klare Intelligenz und feste Entschlossenheit hervor, vermischt mit jener ruhigen, kalten und überlegenen Beobachtung, welche langjährige diplomatische Beschäftigung zu geben pflegt. Sein schwarzes, dichtes Haar und sein Vollbart waren kurz geschnitten; der ohnehin schon kalte und abwehrende Ausdruck seines Gesichtes wurde noch zurückhaltender und verschlossener, als er dem Helden der italienischen Revolution entgegentrat.

Und in der Tat konnte kaum eine Sympathie bestehen zwischen dem vornehmen Zögling der kaiserlichen Diplomatie, dem Liebling der römischen Kurie, welcher vom Papste den Grafentitel erhalten hatte, und dem Freischarenführer, dessen ganzes Lebensziel darin bestanden hatte, die Herrschaft des Papstes und der katholischen Kirche zu stürzen und über deren Trümmern das einige Königreich Italien aufzurichten, das ebenfalls nur wieder den Übergang bilden sollte für die große apenninische Republik der Zukunft.

»Ich bin erfreut, Herr General,« sagte der Graf im Ton kalter Höflichkeit, »daß Sie mir die Ehre Ihres Besuches erzeigen, und werde mit Vergnügen jede Gelegenheit ergreifen, um den Wünschen, die Sie etwa bei Ihrem Aufenthalt in Frankreich haben, möglichst entgegenzukommen.«

Garibaldi, der soeben von den Wogen des Volksenthusiasmus hierher begleitet worden war, stand dieser so einfachen, kalten und fast geschäftsmäßigen Anrede gegenüber einige Augenblicke stumm da. Ein Zug trauriger Enttäuschung erschien auf seinem Gesicht, dann antwortete er:

»Herr Minister, ich habe keinen anderen Wunsch als denjenigen, Frankreich beizustehen in seiner jetzigen Not. Alle freien Völker sind durch Bruderbünde miteinander verbunden, und ich komme nur im Namen Italiens, dem befreiten Frankreich die helfende Hand zu reichen. Das Kaiserreich ist geschlagen und zum Heile Frankreichs in den Abgrund gesunken. Die Republik wird siegen, denn sie ist die Verkörperung des Sieges des Lichtes über die Finsternis, des Sieges der Zukunft über die Vergangenheit. Gebieten Sie über meinen Arm und meinen Degen! Und möge es mir gelingen, meine Waffen für Frankreich ebenso erfolgreich zu führen, wie ich es für mein Vaterland Italien getan habe.«

Der General stützte sich mit der Hand auf den Schreibtisch – sein verwundeter Fuß erschwerte ihm das Stehen.

Der Graf von Chaudordy rollte einen Sessel herbei und sagte dann immer in demselben kalten und geschäftsmäßigen Ton:

»Sie sprechen von der französischen Republik, Herr General; ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Frage über die Regierungsform, welche in Frankreich für die Zukunft herrschen wird, eine vollständig offene ist. Eine konstituierende Versammlung wird über diese Frage entscheiden – eine Versammlung, welche in diesem Augenblick nicht zusammenberufen werden kann, und die gegenwärtige Regierung, deren Delegierter für die auswärtigen Angelegenheiten ich zu sein die Ehre habe, kennt nur die Nation, ohne der Form vorgreifen zu wollen und zu dürfen, in welcher sich dieselbe nach dem Beschluß ihrer gesetzlichen Vertreter demnächst konstituieren wird. Die Regierung nennt sich die Regierung der nationalen Verteidigung – und die Verteidigung des Vaterlandes, seine Rettung aus dem schweren Unglück dieser Tage ist die einzige Aufgabe, mit welcher sie sich beschäftigt – mit welcher sie sich beschäftigen darf.«

»Worte und Namen sind gleichgültig, Herr Minister,« erwiderte Garibaldi, »ich habe es stets mit der Sache gehalten. Und in der Sache ist Frankreich eine Republik, denn es hat das Kaiserreich abgeschüttelt, es wird seine Zukunft selbst ordnen, und ein Land, welches das tut, ist Republik, wie auch Italien Republik ist, obgleich es seiner repräsentativen Autorität den Titel des Königtums gelassen.«

Graf Chaudordy verneigte sich schweigend, als wolle er eine Diskussion über diesen Gegenstand ebenso höflich als bestimmt ablehnen.

»Die Sache aber ist die,« fuhr Garibaldi fort, »daß das von den Fesseln des Kaisertums befreite Frankreich durch den Krieg, welchen sein gestürzter Tyrann frevelhaft und töricht heraufbeschworen hat, von feindlichen Unterdrückern bedrängt ist, welche, ebenfalls Vertreter eines cäsaristischen Despotismus, ihrerseits die französische Nation für die Fehler des Kaisertums büßen lassen wollen – und ich, der Vorkämpfer der Freiheit, dem der Genius dieser wahren Göttin der Zukunft schon manchen Sieg für ihre heilige Sache verliehen hat, biete meinen Arm der Sache Frankreichs.«

Der Graf Chaudordy wiegte sich nachdenkend in seinem Stuhl hin und her.

»Und in welcher Weise, Herr General,« sagte er dann, »glauben Sie Ihre so freundlich angebotene Mitwirkung für unsere Sache eintreten lassen zu können?«

»Ich höre mit Freuden,« erwiderte Garibaldi, »daß Sie hinter den zersprengten kaiserlichen Armeen das französische Volk aufgeboten haben, sich als Franktireurs zu konstituieren und in eigener selbstkräftiger Anstrengung den französischen Boden von seinen eingedrungenen Feinden zu befreien – das ist groß, das ist herrlich und erhaben – das ist der Weg zur Rettung und zum Siege. Aber das französische Volk ist nicht erzogen und nicht geübt für diesen Krieg. Es bedarf dazu der Leitung, der Führung von erfahrener Hand, und dazu, Herr Minister, bin ich bereit. Ich habe meinen Sohn und einige erprobte Führer im Freischarenkrieg mitgebracht. Wir werden die Volkserhebung organisieren, leiten und militärisch schlagfertig machen. Unsere Erfahrung steht uns darin zur Seite, und vielleicht wird gerade diese Erfahrung, die man mir gewiß überall zuerkennen wird, mich besonders geeignet machen, dem französischen Volk, in dem ich nach dem Fall des Kaiserreichs meine Brüder erkenne, wichtige Dienste zu leisten; – vielleicht wird gerade mein Name dazu beitragen, in den Reihen der Kämpfer für die Verteidigung des Vaterlandes Mut und Vertrauen zu verbreiten.«

»Es ist mir erfreulich,« sagte der Graf von Chaudordy, immer mit demselben unbeweglichen, kalten und höflich abwehrenden Ausdruck, »es ist mir erfreulich, zu sehen, daß das traurige Schicksal Frankreichs so viel sympathisches Mitgefühl bei Ihnen gefunden hat, und das Anerbieten, mit dessen Mitteilung Sie mich beehren, kann für Frankreich nur höchst schmeichelhaft sein; – indessen haben wir, die französische Regierung, nach allen Seiten Rücksichten zu nehmen, welche in dieser Zeit besonders scharf beobachtet werden müssen; – zunächst dem Lande selbst gegenüber. Wir nennen uns, wie ich zu bemerken die Ehre hatte, die Regierung der nationalen Verteidigung, und es scheint mir nicht zweifellos, ob es der nationalen Würde Frankreichs entsprechend sei, einen wichtigen Teil dieser nationalen Pflicht einem berühmten Mann anzuvertrauen – den aber die französische Nation«, fügte er mit leichter Verbeugung hinzu, »doch – gewiß sehr zu ihrem Bedauern – nicht zu den ihrigen zählen darf.«

»Alle freien Völker sind Brüder,« rief Garibaldi emphatisch, »die Freiheit stürzt die Schranken nieder zwischen den Menschenklassen wie zwischen den Nationen –«

»Doch ist,« fiel der Graf von Chaudordy ein, »dieser Grundsatz noch nicht in den Kodex der französischen Gesetzgebung aufgenommen, und es wäre jedenfalls etwas vollkommen Neues, eine wesentliche und wichtige Tätigkeit der nationalen Verteidigung einem Fremden anzuvertrauen. Dann aber,« fuhr er fort, schnell eine weitere Bemerkung Garibaldis abschneidend, »haben wir in unserer gegenwärtigen bedrängten Lage noch eine andere, sehr zarte Rücksicht auf unsere Beziehungen zu den auswärtigen Mächten zu nehmen, da es uns vor allem darauf ankommen muß, jene uns günstig zu stimmen und zu verhindern, daß sie, von uns verletzt, unseren Gegnern sich zuwenden. Unsere Beziehungen zu der Regierung Ihres Königs, Herr General,« sagte er mit Betonung, »sind aber in diesem Augenblick ganz besonders zarte und bedürfen der höchsten Schonung, und ich weiß in der Tat nicht, wie ich Ihnen aufrichtig gestehen muß, ob der Regierung des Königs von Italien Ihr Eintritt in unsere Kämpfe erwünscht sei und ob nicht dadurch vielleicht gerade eine uns schädliche Folge hervorgerufen werden würde – eine noch größere Entfremdung Italiens von unseren Interessen – Sie sind italienischer General –«

»Ich bin Führer des Volkes, das für seine Freiheit kämpft,« rief Garibaldi, wie abwehrend die Hand ausstreckend. – »Dies ist mein Waffenkleid,« fuhr er fort, auf seine rote Bluse deutend, »und ich werfe jenen glitzernden Generalsrock weit von mir, wenn er für mich zu einer Livree der Knechtschaft werden soll.«

Der Graf von Chaudordy erwiderte nichts auf diese heftige Bemerkung und sprach nach einigen Augenblicken kalt und bestimmt in einem Ton, welcher anzudeuten schien, daß ihm eine Erörterung über den Gegenstand für den Augenblick nicht weiter erwünscht sei:

»Sie werden begreifen, Herr General, daß ich, der ich nur ein delegiertes Mitglied unserer Regierung bin und zwar gerade von dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten, welches alle die Rücksichten, die ich vorhin andeutete, im höchsten Maße zu nehmen hat, – daß ich nicht imstande bin, Ihnen irgendeine definitive Antwort zu geben oder auch nur eine endgültig abgeschlossene Meinung auszusprechen. Ich muß die Sache nach allen Seiten überlegen und vor allen Dingen mit meinen Kollegen darüber in Beratung treten, und es wird mir, sobald wir darüber zu klaren Ansichten und Entschlüssen gekommen sind, eine Ehre sein, Sie wieder zu empfangen und die heutige Konversation fortzusetzen.«

»Und die Zeit, die verloren wird,« rief Garibaldi, »und das Blut, welches in dieser Zeit unnütz fließt! – wer wird das verantworten? – In Tagen, wie die jetzigen, mein Herr Minister, muß man sich zu entschließen wissen.«

»Sie können versichert sein, Herr General,« erwiderte der Graf Chaudordy, »daß uns der Entschluß nicht fehlen wird; indes bin ich nicht die Regierung, ich bin nur ein Teil derselben, und ohne Verständigung mit meinen Kollegen darf ich, werde ich nicht handeln.«

»So muß ich warten,« sagte Garibaldi finster, indem er aufstand, »und ich bitte Sie nur, mein Herr Minister, – nicht um meinetwillen, sondern um Frankreichs, um Ihres Vaterlandes willen – Ihre Erwägungen und Entschlüsse zu beschleunigen.«

Er wendete sich kurz um und verließ das Zimmer.

Erschrocken sprang Menotti auf, als er die düsteren, vor zorniger Erregung zitternden Gesichtszüge seines Vaters sah.

»Laß uns gehen, mein Sohn,« sagte Garibaldi, »sie wollen beraten, sie wollen erwägen – in einer Zeit, wo man schlagen muß – diese werden Frankreich nicht retten!«

Und langsam, von seinem Sohn unterstützt, stieg er die Treppe hinab.

Mit jubelndem Zuruf wurde er von der Menge vor dem Portal empfangen. Einige den unteren Klassen der Bürgerschaft angehörige Personen traten ihm entgegen und begleiteten ihn zu einem bereitgehaltenen Fiaker, indem sie ihm mitteilten, daß sie seinem Wunsche gemäß eine einfache und anspruchslose Wohnung für ihn hergerichtet hätten und zwar bei einem Manne des Volkes, wo er an Liebe und Verehrung Ersatz finden würde für alles, was an Reichtum und Komfort zu vermissen sein möchte.

»Ich danke, meine Freunde,« sagte Garibaldi, »das ist die Wohnung, die ich mit Freuden beziehe, im Schoße des Volkes ist mein Platz, für das Volk habe ich gelebt und gestrebt, für das Volk zu kämpfen bin ich gekommen, und aus dem Volk allein, aus des Volkes innerster und eigenster Kraft heraus kann Frankreich gerettet werden.«

Er stieg in den Wagen, und umdrängt von einer teils neugierigen, teils ihm begeistert zujubelnden Menge fuhr man in die Nähe der Vorstadt vor ein kleines und unscheinbares Haus. Ein Mann in dem einfachen Sonntagsanzug der kleinen Bürger stand vor der Tür und trat mit abgezogenem Hut an den Schlag des Fiakers.

»Es gereicht mir zur hohen Ehre,« sagte er im prononcierten Patois der Touraine, »den Bürgergeneral Garibaldi in meinem einfachen Hause aufnehmen zu dürfen. Komm hervor, Denise,« fuhr er fort, sich nach dem ziemlich dunklen Hausflur wendend und mit der Hand eine kleine, korpulente Frau mit großer, steifer Haube und einem runden, roten Gesicht hervorziehend, welche sich verlegen und knixend dem Wagen näherte; –»komm hervor und begrüße den großen Bürger und General, der unser Haus mit seiner Gegenwart beehrt und ihm Ruhm für alle Zukunft bringt.«

Garibaldi war ausgestiegen und reichte der immer verlegener umherblickenden Frau die Hand, während Menotti mit einer gewissen Verwunderung dieses Quartier betrachtete, welches die große und reiche Stadt Tours seinem Vater darbot, der herbeigeeilt war, um mit seinem siegreichen Schwert, wie einst Jeanne d'Arc, Frankreich zu befreien.

Der Bürger und Madame Denise führten den General in ein kleines Hinterzimmer, welches durch zwei Betten, einen Tisch und drei bis vier Stühle vollkommen ausgefüllt war, und in welches die kurz vorher geöffneten Fenster noch nicht genug frische Luft hatten eindringen lassen, um den dumpfen Geruch einer langen Verschlossenheit aus demselben zu entfernen.

Dann brachten die guten Leute eine jener Fleisch-Pasteten, welche ein so wesentliches Nahrungsmittel der ärmeren Klassen Frankreichs ausmachen, einige Früchte und eine Flasche jenes vortrefflichen Landweines der Touraine und zogen sich bescheiden zurück, um Garibaldi und seinen Sohn der Ruhe und Erholung zu überlassen.

Die Menschenmenge, welche den Wagen des Generals begleitet hatte, war verschwunden, nachdem er in das kleine Haus eingetreten, und bald schien in der großen, fieberhaft bewegten Stadt Tours, welcher die Depeschen von allen Teilen des Landes zuflogen und in welcher die Reisenden von allen Seiten zusammenströmten, niemand sich mehr darum zu kümmern, daß in dem dumpfen Hinterzimmer eines kleinen bürgerlichen Häuschens der Mann gegenwärtig war, welcher die Stufen zu dem Throne des Königs Viktor Emanuel erbauen half, und welcher jetzt gekommen war in dem festen Glauben und dem Vertrauen, die Masse eines begeistert aufstehenden Volkes zum Siege gegen die geschlossenen Armeekorps führen zu können, welche der still sinnende Feldherrngeist des großen preußischen Strategen in sicheren Zügen ruhig und unaufhaltsam immer weiter nach dem Herzen Frankreichs vordringen ließ.

Garibaldi saß starr und finster da. Er hatte einige Bissen gegessen und ein Glas Wein getrunken und schien unschlüssig mit den Gedanken zu kämpfen, die in seinem Innern hin und her wogten.

Menotti stand an dem nach dem Hinterhof des Hauses sich öffnenden Fenster, kräuselte seinen Schnurrbart und trat von Zeit zu Zeit ungeduldig mit dem Fuß auf die Erde.

»Ich glaube, daß dies Frankreich immer dasselbe bleibt, mein Vater,« sagte er, »unter dem Kaiser, wie unter dieser sogenannten Republik – sie müssen geführt, sie müssen kommandiert werden, sie sind unfähig, allein zum Wollen und zu tatkräftigem Handeln sich zu erheben, und wir haben unrecht getan, hierher zu kommen, wir werden ihnen nicht helfen können, da sie keine Hilfe wollen. Sie bedürfen immer eines Tyrannen, sei er ein König, ein Kaiser oder ein Diktator, und auch in ihrer großen Revolution hatten sie stets einen Götzen, von dem sie sich so lange mit Füßen treten ließen, bis sie seiner müde wurden und ihm den Kopf abschlugen, um einen anderen an seine Stelle zu erheben.«

»Sie müssen sich nach so langem Druck«, sagte Garibaldi, »erst an die Freiheit gewöhnen, sie müssen zu Atem kommen, wir müssen Geduld mit ihnen haben. Wir haben eine gute Tat vor, wir haben versprochen, sie auszuführen im Interesse der Freiheit der ganzen Menschheit, und wir dürfen nicht vor einer ersten Schwierigkeit zurückschrecken.«

Er sagte dies ruhig und sanft, aber dem Ton seiner Stimme fehlte die Zuversicht der eigenen Überzeugung.

»Schwierigkeiten, mein Vater,« rief Menotti, »ich schrecke wahrlich vor keinen Schwierigkeiten zurück – aber dieser Empfang hier, diese hochmütige Kälte vonseiten dieses päpstlichen Grafen! – Ja, das Volk auf der Straße hat uns wohl entgegengejubelt – aber ich kenne das, es war eben nur das Volk der Straße. Von den übrigen Klassen habe ich nur einzelne Neugierige hier und da gesehen, die aber weit entfernt waren, uns Zeichen der Sympathie zu geben. Und hier,« sagte er, mit verächtlicher Handbewegung auf das einfache Ameublement des kleinen Zimmers deutend, in dem sie sich befanden – »so empfängt die erste große Stadt in Frankreich den Helden der Freiheit Italiens!«

Die Tür öffnete sich, und in der roten Bluse der Garibaldischen Freischaren trat Barbarino Falcone in das Zimmer. Der junge Mann blickte noch düsterer als früher. Ein Strom von wilden Gluten inneren Grimmes und Hasses schien aus seinen dunklen Augen hervorzubrechen. Die sammtglänzende Haut seines kräftigen und edlen Gesichtes war noch tiefer gebräunt, sein Bart war stärker und voller geworden, die rote Bluse hob seine schlanke Gestalt hervor, und als er in dies kleine dunkle Zimmer eintrat, im Lichte der geöffneten Tür, erschien er von einer blendenden, aber zugleich abschreckend dämonischen Schönheit, wie ein Engel der Rache und der Vernichtung, und wohlgefällig ruhte das Auge des alten Führers der Freischaren auf dieser Gestalt, welche für seine Unternehmungen wie geschaffen schien.

»Nun, Barbarino,« sagte er, »die Stunde des Kampfes naht, bald werden alle deine Wünsche erfüllt sein und du wirst deine Klinge das Blut der Feinde der Freiheit trinken lassen!«

»Ich fürchte, mein General,« sagte Barbarino finster, »daß von allem dem nichts geschehen wird, und was ich hier in der kurzen Zeit unserer Ankunft gesehen, läßt mich alle Hoffnungen verlieren, daß jemals dieses Volk von Frankreich sich zu einer ernsten Tatkraft emporschwingen werde.«

»Du siehst, mein Vater,« sagte Menotti, »Barbarino Falcone, der Glühendste und Begeistertste von uns allen, hat in wenigen Stunden den Mut verloren.«

»Ja,« sagte Barbarino, »ich habe den Mut verloren, – denn ich suche den Kampf, und ich sehe, daß wir hier nur Worte, aber keine Taten finden werden. Ich habe einen Weg durch die Stadt gemacht, die Leute, die mir folgten und mich mit Freudenrufen begrüßten, sind wahrlich nicht die Männer, mit denen man großen, geordneten Armeen entgegentritt. Ich habe auch diese Franktireurs gesehen, die sich jetzt bilden – sie kokettieren in ihren Uniformen, aber so, wie sie da jetzt sind, würde ich nicht gern mit ihnen ins Feld ziehen; – und sobald sie mich sahen, diese zierlichen Herren in ihren eleganten Röcken, mit ihren blanken Hirschfängern und Gewehren, so machten sie sich davon, – und wenn ich einen von ihnen anredete, so konnte er in verlegener Eile nicht schnell genug das Gespräch beenden, um sich von mir zu entfernen. Sie haben ihren Kaiser abgesetzt, weil er ihnen nicht mehr Ruhm und Glanz genug geben konnte – aber sie sind keine Republikaner, sie haben keinen Begriff von der Freiheit, und mit uns haben sie nichts gemein. Nein, nein, mein General, wir wollen fort von hier so schnell als möglich, wir wollen zurückkehren nach unserer Heimat, dort bleibt noch genug für die heilige Sache zu tun, und um uns hier ohne Zweck und Gewinn zu opfern, dazu bedarf Italien seiner Kinder noch zu nötig.«

Garibaldi stand unschlüssig auf. Die Worte Barbarinos waren nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben.

Da hörte man eine näselnde Stimme im Patois der Touraine, auf der engen Flur des Hauses.

»Ich muß ihn sehen, den großen General Garibaldi, den Retter, den Befreier, der gekommen ist, uns zu helfen gegen die deutschen Königsdiener.«

»Hier, mein Freund,« antwortete die Stimme des Hauswirtes, »tretet ein. Der General ist gut und freundlich, er wird gern einen Mann empfangen, der ihn so tief verehrt.«

Die Tür wurde geöffnet und der Besitzer des Hauses schob einen Mann in vorgerückten Jahren in der Tracht der wohlhabenden Landbewohner der Umgegend in das Zimmer. Der Eintretende stützte sich in jener gebückten Haltung, welche den durch schwere Arbeit früh alternden Bauern oft eigentümlich ist, auf einen starken Stock; ein grauer Bart verhüllte den unteren Teil seines Gesichts, die breiten Krämpen eines schwarzen Hutes fielen auf seine Stirn herab und eine Brille mit grauen Gläsern bedeckte die Augen, welche sehr schwach zu sein schienen, da er sie außerdem noch mit vorgehaltenen der Hand gegen das in der Tat nicht zu helle Licht schützte, das von den Fenstern in das Zimmer drang.

»Ich muß ihn sehen,« sagte der Eintretende mit der Lebhaftigkeit, welche den Bewohnern jener Gegenden eigentümlich ist, »ich muß ihn sehen, den großen General, dessen Bild jeder Freund der Freiheit in seinem Herzen tragen sollte als ein heiliges Kleinod! – Ah!« rief er, vor dem General stehenbleibend, »das ist er! – ja – ja, das ist er! Das ist das Auge, vor dessen Blick die Scharen der Tyrannendiener wie Spreu verwehen! –«

Er blieb, die Hände über seinem Stock gefaltet, vor dem General stehen, indem er ihn von unten herauf durch seine Brille betrachtete.

Der Hauswirt hatte sich, da das kleine Zimmer fast überfüllt war, zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen.

Der Fremde blickte langsam zu Menotti und Barbarino hin, dann richtete er sich etwas aus seiner gebückten Stellung auf, trat in stolzer, fester und gebietender Haltung unmittelbar vor den General hin und nahm seine graue Brille ab, während zugleich von seinem Gesicht der Ausdruck von Neugier und unruhiger Wichtigkeit verschwand, welche bisher auf demselben gelegen hatte. Unter der Brille erschienen jene wunderbar strahlenden, farbenspielenden Augen, mit welchen Mr. Brooklane im Albergo di Europa in Rom den Grafen Rivero angesehen hatte und auf deren Wink Barbarino Falcone aus seiner Höhle in den Schluchten der Berge aufgebrochen war.

»Wir sind unter Vertrauten,« sagte der so plötzlich Veränderte mit einer vollen sonoren Stimme im reinsten Italienisch von Toskana – »und ich kann die Maske abnehmen!«

»Ihr hier, Meister!« rief Barbarino Falcone, im höchsten Erstaunen heraneilend und die Hand des Fremden ehrerbietig ergreifend.

»Wie kommt Ihr nach Frankreich?« fragte Garibaldi, »ich glaubte, Ihr wäret –«

»In Gaëta,« sagte der Fremde mit verächtlichem Lächeln, – »ja, ja, dort hinter den Mauern der alten bourbonischen Zwingburg hält man mich in diesem Augenblick fest – wie die ganze Welt überzeugt ist – aber ihr wißt, daß Mauern und Ketten mir gegenüber ein wenig von ihrer einengenden und fesselnden Kraft zu verlieren pflegen – ich bin also in diesem Augenblick hier, wie ihr seht, da sich hier vielleicht in diesem Augenblick unsere Zukunft, die Zukunft der Freiheit, entscheidet, da es hier darauf ankommt, den Bund zwischen zwei großen Nationen zu schließen zur Bekämpfung der Tyrannei.«

»Dieser Bund ist ferner als je, mein Meister,« rief Barbarino mit zitternder Stimme, »hier werden wir keine Verbündeten finden!«

»Selbst diese jungen, feurigen Herzen, welche noch in der Zeit der Illusionen leben,« sagte Garibaldi traurig, »haben mir geraten, zurückzukehren und dieses Frankreich zu verlassen, das so wenig Verständnis für unsere Ideen, so wenig Sympathie für unsere Gefühle zeigt.«

Der Fremde richtete sich hoch auf und warf einen strengen Blick auf Barbarino.

»Hat Barbarino Falcone,« sagte er, »so wenig Vertrauen in mein Wort? – Habe ich dir nicht versprochen, daß du hier in dem Kampfe, der nun beginnen wird, finden sollst, wonach deine Seele dürstet? – die Rache,« fügte er leise, sich ein wenig zu dem jungen Manne hinneigend, hinzu.

»Und Ihr, mein Freund,« sagte er dann, sich zu Garibaldi wendend, »Ihr, der feste, unerschütterliche Streiter für unsere heilige Sache, Ihr wollt so schnell den Mut verlieren?«

»Ihr wißt nicht,« rief Menotti, »wie man uns empfangen hat –«

»Ich weiß es,« fiel der Fremde ein, »und deshalb bin ich hier, weil ich zugleich auch weiß, wie heftig das Blut in euren Herzen wallt – auch hier noch,« fügte er lächelnd, die Hand auf die Schulter Garibaldis legend, – »in diesem Herzen, das doch schon älter und kälter geworden sein sollte. Darum bin ich hier, weil ich nicht will, daß eine Aufwallung der Ungeduld, mag sie so natürlich sein als sie wolle, unsere heilige Sache gefährde – wenn man Großes erreichen will, muß man vor Allem Geduld haben.«

Garibaldi wollte sprechen.

Der Fremde streckte die Hand gegen ihn aus.

»Ich bin gekommen,« fuhr er fort, »um euch zu dieser Geduld zu ermahnen, denn das alles, was euch hier lähmend entgegengetreten ist, wird anders werden, es wird eine schnelle Wendung eintreten, das wollte ich euch sagen, – aber ich kann euch mehr sagen, denn alles fügt sich noch schneller als ich gehofft, – denn –«

Ein lautes Rufen verworrener Stimmen tönte, näher und näher heranbrausend, über den Hof von der Stadt herüber. Es waren lauter Jubelrufe der Begeisterung, der Freude, welche zum Himmel emporstiegen, – mächtiger und weithin schallender als jene Rufe, welche Garibaldi und seine Begleiter begrüßt hatten.

Alle horchten auf.

»Was ist das?« fragte Garibaldi.

»Das ist die Wendung,« sagte der Fremde, »von der ich euch sprach, das ist das Bündnis der freien Völker von Frankreich und Italien, das seine ersten Freudenrufe zum Himmel emporsendet.«

Garibaldi schüttelte den Kopf, als begreife er nicht.

Menotti hatte sich zum Fenster hinausgebeugt und suchte den Sinn der verworrenen, immer lauter herüberschallenden Rufe zu erfassen, während Barbarino mit gläubiger Zuversicht auf den Fremden blickte, dessen Augen in leuchtender Freude schimmerten.

Man hörte Schritte auf dem Flur und die Stimme des Hauswirtes, welcher mit Madame Denise sprach und dann eilig sich dem Zimmer näherte.

In einem Augenblick hatte der Fremde seine Brille wieder aufgesetzt, seinen Hut in die Stirn gedrückt und stand in derselben gebückten Haltung wie vorhin, auf seinen Stock gestützt da, ehrerbietig und bewundernd zum General Garibaldi aufblickend.

»Welches Glück, welche Freude!« rief der Bürger, eifrig eintretend, während hinter ihm seine Frau einen neugierigen Blick in das Zimmer warf, »welche Freude! – nun wird, nun muß alles gut werden – nachdem der große General Garibaldi zu uns gekommen, ist nun auch der große Held der französischen Freiheit, der Mann der Herzen des Volkes, von Paris gekommen, um die Regierung selbst in die Hand zu nehmen. Gambetta ist hier – hört ihr, wie sie ihn begrüßen? – er wird gleich hier vorüberfahren.«

»Was sagte ich euch,« flüsterte der Fremde leise, ohne seine Stellung zu verändern oder eine Miene zu verziehen, »hatte ich Recht, ist die Wendung nahe?«

»Gambetta hier!« rief Menotti erstaunt, »wie ist das möglich aus dem umzingelten Paris –«

»Oh, ihm ist nichts unmöglich,« sagte der Bürger stolz, »er ist durch die Luft gekommen im Ballon, aber kommt, kommt, ihr müßt ihn sehen!«

Er eilte durch den Flur voran zu der vorderen Türe des Hauses.

Während Garibaldi und die übrigen langsam folgten, sagte der Fremde:

»Wartet, alles wird sich ändern – ich bürge euch dafür, daß nun euer Warten nur noch nach Stunden zählen wird.«

Er verschwand in der Menge, die sich auf der Straße gesammelt hatte und die fast bis in den Flur des kleinen Hauses hineindrängte, ohne Augen für die roten Blusen des Generals Garibaldi und seiner Begleiter zu haben, welche nur mit Mühe über alle diese Köpfe hin, durch alle diese erhobenen Arme hindurch, das bleiche Gesicht des Mannes sehen konnten, der, noch vor kurzem ein unbedeutender Advokat, der Führer einer fast hoffnungslosen Opposition war und der heut an der Spitze der Regierung Frankreichs stand und unbeschränkt über die letzten Hilfsquellen dieses reichen Landes gebot.


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