Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Der Kaiser war an der Spitze seiner siegreichen Truppen in Berlin eingezogen, umgeben von den Prinzen seines Hauses, die beiden ersten fürstlichen Feldmarschälle des Hohenzollernhauses voran, gefolgt von den Generalen, unter ihnen der Kanzler des neuen Reiches, der dessen Bausteine lange in mühsamer Arbeit zusammengetragen hatte, der Kriegsminister, der Bildner des Heeres, der in dessen Gefüge den Gedanken des Königs verwirklicht hatte, und der ernste, schweigende Chef des Generalstabs, der die deutschen Armeen sicher und ruhig zum Siege und immer wieder zum Siege gefühlt hatte.

Ganz Berlin erfüllte festlicher Jubel, überall feierte man öffentlich und im Familienkreise die Rückkehr der Sieger, und still zog sich die Trauer um die Verlorenen in die Verborgenheit zurück, um durch die Erinnerung an die Opfer des Kampfes nicht die Freude des herrlichen Siegesgewinnes zu trüben, der ja zugleich auch der schönste Trost in dem edlen, mit patriotischer Ergebung getragenen Schmerz war.

Unter all den Stätten festlichen Glückes in der neuen Reichshauptstadt stand das Haus des Kommerzienrates Cohnheim voran. Hier wurde an diesem Tage die feierliche Verlobung des zum Generalstab kommandierten Premierleutnants von Büchenfeld mit der einzigen Tochter des Hauses gefeiert. Der Kommerzienrat hatte sogleich freudig die Zustimmung zu dieser Verbindung gegeben und auch die Frau Kommerzienrätin, obgleich ihr das alles so unerwartet über den Kopf gekommen war, hatte mit feierlicher Würde den jungen Offizier begrüßt, als sie erfahren, wie sehr dessen Verdienste höchsten und allerhöchsten Ortes anerkannt wurden, und als Frau von Rantow die Partie für höchst passend und geeignet zur Ausgleichung aller Differenzen und zur Beseitigung alles unangenehmen Geschwätzes erklärte.

Der Kommerzienrat hatte eine große Zahl seiner Bekannten zu einem festlichen Diner geladen, – auch der Graf von Villebois mit Fräulein Hortense war unter den geladenen Gästen. Der stolze lothringische Edelmann war gekommen, nachdem der Frieden geschlossen und nachdem das Land, in welchem der alte Stamm seiner Familie wurzelte, wieder rechtlich und feierlich mit dem deutschen Reich verbunden worden. Er war vom Fürsten von Bismarck und vom Kaiser empfangen worden, – ernst und tiefbewegt war er von der Audienz bei seinem neuen Landesherrn zurückgekehrt, er hatte dem Baron von Rantow die Hand gereicht und ihm gesagt: »Mein Haus ist durch lange historische Erinnerungen mit Frankreich verbunden gewesen, – mit Schmerz nur kann ich mich von diesen Erinnerungen trennen, – aber noch näher steht mir mein besonderes Vaterland und sein Glück wird unter edlen, loyalen Fürsten besser gesichert sein, als unter dem traurigen Regiment schwankender Parteien, dem Frankreich auf lange, lange Zeit preisgegeben ist.«

Auch der Vicomte war gekommen, und wenn auch der frühere französische Offizier bitter das Gefühl der militärischen Niederlagen in sich trug, so war er doch wohltuend und sympathisch berührt von der ritterlichen Achtung, welche überall dem besiegten Gegner entgegengetragen wurde und die ihn unendlich ansprechender berührte, als der wüste Haß und das Rachegeschrei, von welchem ganz Frankreich widerhallte, und die Verleumdungen und Anschuldigungen, mit welchen dort eine Partei die andere überhäufte, um Verräter zu suchen und zu schaffen, denen man die Schuld des nationalen Unglücks aufbürden könne.

So war in diesem kleinen Familienkreise der große Gegensatz, welcher in dem öffentlichen Leben erst langsam und allmählich sich ausgleichen wird, versöhnt.

Frau von Rantow war entzückt von der anmutigen Liebenswürdigkeit ihrer künftigen Schwiegertochter, welche in allem Reiz frischer Gesundheit blühte, ohne darum den zarten Schmelz verloren zu haben, der auf ihrer ganzen Erscheinung ruhte, und der Baron von Rantow war stolz und glücklich über die Verbindung mit dem hoch vornehmen Hause des Grafen, dessen Art und Sinn, wenn auch tiefer und klarer, doch mit seinen Anschauungen so verwandt war.

Der Kommerzienrat war in der letzten Zeit von einer geheimnisvollen Geschäftigkeit gewesen, für welche er niemandem eine Erklärung gegeben. Er war oft ausgegangen, ohne daß man wußte wohin, – er hatte Konferenzen mit seinem Rechtsbeistand gehabt, – es schien eine große Tätigkeit alle seine Gedanken auszufüllen, aber kein Wort kam über seine Lippen, und nur ein häufiges glückliches Lächeln, das in den letzten Tagen fast stereotyp auf seinem Gesicht geworden, zeigte, daß die fieberhafte Unruhe, welche ihn hin und her trieb und ihm auf keiner Stelle länger als einige Minuten Ruhe ließ, keine unerfreuliche Ursache haben könne.

Alle seine Diener hatten für den feierlichen Tag des Verlobungsfestes neue Livreen erhalten, – aber – ein neues Rätsel für das ganze Haus, – diese Livreen waren dem Kommerzienrat selbst gebracht und von ihm in seinem Zimmer verschlossen worden, – erst eine Stunde vor dem Diner, als die Kommerzienrätin und Fräulein Anna schon bei ihrer Toilette waren, lieferte er sie selbst den Lakaien aus mit dem Befehl, sie unmittelbar vor dem Eintreffen der Gäste anzulegen. Dann hatte er aus dem Arnheimschen Schrank, der in einem Alkoven seines Kabinetts stand, eine mit Silber inkrustierte Schatulle von Ebenholz hervorgenommen, dieselbe in den Empfangssalon getragen und dort auf den mit Blumen bedeckten Tisch gestellt.

Er warf noch einen Blick in den Spiegel, um die untadelhafte weiße Krawatte, die blendende Wäsche mit dem Solitär in der Busennadel und das kleine Kreuz in seinem Knopfloch zu mustern, – dann ging er noch einmal durch den Speisesaal, das Arrangement der Tafel prüfend, und begab sich endlich in das Entreezimmer seiner Wohnung, wo er, still vor sich hin lächelnd und mit kleinen Schritten unruhig hin und her trippelnd, die Ankunft seiner Gäste erwartete, während die Damen in den Empfangssalon traten, die Kommerzienrätin in reicher Toilette und Fräulein Anna in einem einfachen weißen Spitzenkleid und nur geschmückt mit einem prachtvollen Diamantenhalsband, das ihr Vater in ihr Toilettenzimmer gelegt, und mit einem Zweig von Rosenknospen und Orangenblüten im Haar.

Bald erschienen die Geladenen, ganz zuerst der Oberstleutnant von Büchenfeld, in voller Uniform, noch etwas schwankend von der Schwäche der langen Krankheit, aber freudestrahlend, und sein Sohn, ernst und still wie immer, aber mit dem Blick voll tiefer Liebe schon von ferne seine schöne Braut begrüßend, – Fräulein Hortense in einer von allen Damen bewunderten und beneideten Toilette aus leichter violetter Seidengaze, von frischen Veilchensträußen und kleinen Brillantagraffen aufgenommen, welche überall wie Tautropfen hervorfunkelten; die beiden jungen Damen waren der Gegenstand aller leise geführten Gespräche der eingeladenen Damen, welche ihnen mit dem liebenswürdigsten Lächeln ihre Grüße und Glückwünsche dargebracht hatten; namentlich unter den Damen der Bureaukratie waren diese Gespräche nicht immer des wohlwollendsten Inhaltes, und man kam fast allgemein in dem Urteil überein, daß es sehr leicht sei, gut auszusehen und sich gut zu verheiraten, wenn man Väter habe, die für die kostbare Toilette und die reiche Mitgift sorgten.

Der Kommerzienrat hatte bei dem Erscheinen seiner Gäste die sein ganzes Wesen beherrschende unruhige Fröhlichkeit unterdrückt und eine ruhige Würde angenommen, welche seinen Bekannten aus den Finanzkreisen gegenüber zur zurückhaltenden, streng abgemessenen Höflichkeit wurde, und für die Geheimen Räte je nach ihren »wirklichen« und »oberen« Rangklassen sich bis zur freundlichen Herablassung oder kordialen Vertraulichkeit milderte.

Als alle versammelt waren, kehrte auch der Kommerzienrat in den Empfangssalon zurück; – er stellte seine Tochter und den Leutnant von Büchenfeld der Gesellschaft als Verlobte vor und enthüllte damit ein aller Welt bekanntes Geheimnis, wie das bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich geschieht, – dann aber trat er an den blumenbedeckten Tisch und ergriff die Schatulle, die er vorher dorthin gestellt, indem sein Kinn sich tief in die weiße Krawatte zurückzog und seine Augen vor Stolz und Aufregung funkelten.

Ein leises Räuspern deutete an, daß er noch etwas sagen wollte, – und nun erfaßte allerdings die ganze Gesellschaft eine wortlose Spannung, die Damen traten so nahe als möglich heran, und selbst die Kommerzienrätin blickte erstaunt ihren Mann mit strenger Miene an, – sie wußte nicht, was er vorhatte, und zweifelte, ob etwas, was ohne ihr Wissen und ihre Genehmigung geschehen, auch mit dem guten Ton und den Sitten der vornehmen Gesellschaft übereinstimmen werde.

Der Kommerzienrat aber öffnete mit selbstbewußter Ruhe die Schatulle, nahm ein großes Papier aus derselben, auf welchem man kalligraphische Schriftzüge bemerkte, und sprach, indem die innere Bewegung ihm fast den Atem raubte:

»Ich habe mir heute die Freude machen wollen, den jungen Leuten, die zusammen ihren Weg durch das Leben antreten wollen, ein Haus, eine Heimat zu geben, – nehmen Sie dies Dokument, mein Herr Sohn,« fuhr er, zum Leutnant von Büchenfeld gewendet, fort, – »es überträgt Ihnen den Besitz eines Komplexes von drei Gütern, die ich unter dem Namen Büchenfeld vereinigt habe und die lange der Sitz der Familie bleiben mögen, die Sie gründen wollen.«

Der Leutnant von Büchenfeld zuckte zusammen, – eine finstere Wolke zog über seine Stirn; – Anna drückte ihm die Hand und flüsterte leise:

»Ist dir mein Herz und meine Liebe nicht mehr wert als jene Gabe? – Laß meinem Vater die Freude, sie dir zu reichen, – hast du doch mich angenommen, – freilich«, fügte sie mit scherzhaftem Schmollen hinzu, »hat es Mühe genug gekostet.«

Der Leutnant blickte in ihr liebevoll zu ihm aufgeschlagenes Auge, seine strengen Züge verklärten sich, und mit einem leise gesprochenen Dankeswort näherte er sich dem Kommerzienrat.

Dieser aber sprach, indem er die funkelnden Blicke seiner kleinen scharfen Augen über die Versammlung gleiten ließ und die ersten beschriebenen Seiten des Dokuments umschlug:

»Ich bin glücklich, gerade auf diese Urkunde, welche den künftigen Heimatssitz der Familie meiner lieben Tochter begründet, zum erstenmal das Wappen meines Hauses abdrücken zu können, das Seine Majestät der Kaiser mir verliehen hat, der, wie ich die Ehre habe, meinen verehrten Gästen mitzuteilen, die Gnade gehabt hat, mich in den Adelstand zu erheben.«

Er deutete auf einen unter dem Dokument befindlichen großen Siegelabdruck, der ein schön ausgeprägtes großes Wappenschild mit einer fünfzackigen Krone zeigte.

Alles drängte sich heran mit freudigen Glückwünschen, und wenn man von dem Ausdruck aller dieser frohen Gesichter auf die Gesinnung der Anwesenden schließen konnte, so waren sie alle voll innigster und herzlichster Teilnahme für das Haus des Herrn von Cohnheim.

Fräulein Anna blickte errötend zu Boden, – der Oberstleutnant trat zu ihr heran und sprach, die Hand auf ihre Schulter legend:

»Für mich bedarf es keiner Wappen und Rittergüter, um mein gutes Kind zu lieben, das den reichsten Besitz und das älteste Adelsdiplom in sich trägt, – ein treues, edles und mutiges Herz!«

Die Kommerzienrätin war tief erbleicht, als sie die große Kunde vernahm, die sie fast überwältigend ergriff. Bald aber faßte sie sich, – noch gerader, noch stolzer richtete sie sich empor, und als ihr Mann zu ihr herantrat, verzieh sie ihm das so fest bewahrte Geheimnis um dieses Augenblicks glückseliger Überraschung willen, – mit liebevollem Lächeln, wie lange nicht, beugte sie sich zu ihm herab und reichte ihm die Wange zum Kuß.

»Sieh dir die neuen Livreen an,« flüsterte er ihr leise zu, – »alle Knöpfe tragen das von Cohnheimsche Wappen!«

So war auch für sie dieser Tag zu einem Tag des Glückes geworden, das ihre hochfliegendsten und kühnsten Träume übertraf.

Man ging zu Tisch. Der Graf von Villebois führte die Kommerzienrätin, und sie suchte aus den Tiefen ihrer Erinnerung alle seit lange vergessenen französischen Phrasen hervor, um die Unterhaltung zu führen, wobei alle ihre aufgewendete Mühe aber nicht verhindern konnte, daß der Graf sie zuweilen ganz verwundert ansah und ihre Bemerkungen, deren Sinn ihm zu entgehen schien, nur mit einem höflichen Kopfneigen beantwortete.

Als der Champagner in den Gläsern schäumte, erhob sich der Graf von Villebois und entschuldigte sich, daß er in der Sprache seiner Heimat die Gesellschaft anredete, – aber der Sinn und die Absicht seiner Worte werde das fremde Idiom vergessen lassen. Dann fuhr er mit dem Ausdruck tiefer Bewegung fort:

»Ich bin heute unter eine neue Fahne getreten, wie meine Vorfahren Untertanen des weißen Lilienbanners und der kaiserlichen Trikolore von Frankreich waren. Um so leichter und freudiger folge ich dieser Fahne, als sie auch in Deutschland so viele früher verschiedene Farben in ihrem Schwarz-Rot-Weiß vereinigt. Schwarz ist das Kreuz der ritterlichen Tapferkeit und Treue, – rot das Kreuz der tätigen Liebe, – weiß der reine Schild unbefleckter Ehre, und wo Treue, Liebe und Tapferkeit sich unter der Krone eines edlen und erhabenen Fürstengeschlechtes vereinen, da wird jeder Edelmann, jeder brave Mann seinen Platz finden, – da werde ich meinen Platz und mein Vaterland finden. – Ich trinke auf das Deutsche Reich, das Treue, Liebe und Ehre in seiner Fahne trägt, – auf den Kaiser, dessen Haupt dieses Reiches glänzende Krone schmückt!«

Alle waren aufgestanden und stimmten mit lautem Zuruf in den Trinkspruch des lothringischen Edelmanns ein.

*

Die Feste des Einzugs waren vorüber, – der Reichskanzler und Fürst von Bismarck saß gedankenvoll in dem Arbeitszimmer seines Hauses in der Wilhelmsstraße, wo er fast zehn Jahre lang in sorgsamer Arbeit und in schweren inneren Kämpfen alles das vorbereitet und in seinen Gedanken durchgearbeitet hatte, was jetzt unter dem Jubel des deutschen Volkes und unter den staunenden und bewundernden Blicken des ganzen Europa vollendet dastand. Er gedachte der Zeit, da er, von niemandem verstanden, die ersten Grundsteine seines Werkes gelegt hatte, – da das ganze preußische und das ganze deutsche Volk ihn verwünschte und mit seinem durch die öffentlichen Blätter täglich neu geschürten Haß verfolgte. Er gedachte der ersten schweren Entscheidungskämpfe des Jahres 1866, als er gegen Österreich und fast das ganze übrige bewaffnete Deutschland den Krieg aufnahm, ohne im eigenen Lande Zustimmung und Unterstützung zu finden. Und wenn er nach allen diesen Bildern, die vor seinem inneren Blick vorüberzogen, dann hinsah auf die Höhe, welche er heute erstiegen, nachdem er zur Wahrheit gemacht, was das ganze deutsche Volk seit so langen Jahren in seinen Dichtungen und Gesängen ersehnt und erfleht hatte, dann mußte stolze Freude seine Brust schwellen, denn ihm war gegeben worden, zu vollbringen, was kein Staatsmann der Geschichte vor ihm vollbracht hatte. Aber auch ein Lächeln des Mitleids und einer leichten humoristischen Verachtung spielte um seine Lippen, als er den Blick auf einige Zeitungsblätter warf, die auf seinem Tisch vor ihm lagen, und die von seinem Lobe überfließende Artikel enthielten, – dieselben Blätter, welche ihn früher auf das gehässigste und unversöhnlichste angegriffen hatten, und welche damals wie jetzt mit gleicher hochmütiger Unfehlbarkeit ihre Urteile verkündeten, als ob sie es gewesen, die das Deutsche Reich vorbereitet und gegründet, als ob der große Mann, dem sie jetzt ihre Gönnerschaft zuwendeten, nur die ausführende Hand für ihre Pläne und Beschlüsse gewesen sei.

» Aura popularis,« sagte er leise, »ich habe es wahr gemacht, was ich einst, durchdrungen von der Überzeugung, der Wahrheit und Gerechtigkeit meines Strebens, den verblendeten Gegnern zurief und was man als ein übermütiges Paradoxon verspottete: – ich bin der populärste Mann in Deutschland geworden.

»Werde ich es bleiben?« sagte er nach einem Augenblick stillen Nachdenkens, – »die Lehren der Vergangenheit dürfen mich mißtrauisch gegen die Zukunft machen – ich würde es bleiben, wenn ich jetzt abträte von der Bühne und zurückträte in den still beschränkten Kreis der rein menschlichen Existenz, – mein ganzes Wesen sehnt sich nach Ruhe, – und habe ich diese Ruhe nicht verdient, – habe ich nicht das Recht, nach so langer und so harter Arbeit für das Vaterland und seine Größe auch mir und den Meinigen zu leben, – meine allmählich sich mindernde Kraft der ewigen Qual und Sorge zu entziehen?

»Denn Sorge, Kampf und mühselige Arbeit birgt sich ganz nahe unter der glänzenden Oberfläche dieser Jubel- und Siegestage! Die früheren Feinde sind meine Anhänger geworden, – und vielleicht werden die alten Freunde meine Gegner werden! – Und doch darf ich mein Werk nicht verlassen, solange mir die Kraft bleibt, es zu schützen und auszubauen, – die reiche Frucht, die Gott meiner Arbeit gegeben, legt mir die Pflicht auf, weiter zu streben und zu ringen –«

Der Kammerdiener des Fürsten trat ein und meldete den Ministerpräsidenten von Manteuffel.

Verwundert blickte der Reichskanzler auf, – ein Zug stolzer Freude erschien auf seinem Gesicht, – schnell aber nahm dasselbe wieder den Ausdruck ruhiger, freundlicher Höflichkeit an, als er sich erhob und Herrn von Manteuffel entgegentrat.

Über diese beiden Männer, welche in schweren Tagen an der Spitze der preußischen Politik gestanden, war die Zeit seit dem Jahre 1866 nicht spurlos hingegangen.

Zwar stand die hohe Gestalt des Reichskanzlers noch fest und kräftig da, klar und scharf blickten seine grauen Augen aus dem Antlitz mit den ehernen Zügen, aber sein starker Schnurrbart war weiß geworden, – das Alter hatte auch diese hünenhafte Natur berührt.

Auch Herr von Manteuffel blickte noch frisch mit der ihm eigentümlichen Schärfe durch die Gläser seiner goldenen Brille, – aber auch sein Haar war weiß, und seine Haltung hatte nicht mehr die frühere geschmeidige Elastizität.

»Ich komme,« sagte er, die dargebotene Hand des Fürsten mit herzlicher Wärme drückend, »um Eurer Durchlaucht meinen aufrichtigen Glückwunsch zu den so wohlverdienten Gnadenbeweisen Seiner Majestät auszusprechen, – mehr aber noch zu dem so großen und so herrlichen Erfolg, den Sie errungen, – ich weiß, daß Ihnen die vollbrachte Tat noch höhere Freude und Befriedigung gewählt, als der Lohn derselben.«

»Eurer Exzellenz Glückwunsch und Ihre Anerkennung«, erwiderte der Fürst, indem er Herrn von Manteuffel den seinem Sessel an dem Schreibtisch gegenüberstehenden Lehnstuhl hinschob, – »erfreut mich hoch, – um so höher, als Sie, wie ich glauben mußte, bei dem Beginn meines Unternehmens wenig Vertrauen in die erfolgreiche Durchführung desselben hatten.«

»Ich leugne das nicht,« sagte Herr von Manteuffel, – »und gerade deshalb halte ich mich für um so mehr verpflichtet, meine Anerkennung für das Errungene auszusprechen. Sie haben gewagt, was Tausende nicht gewagt hätten, – was ich nicht gewagt hätte, – aber das Wagnis wird zum höchsten Verdienst, wenn man sich in der Kraft zur Durchführung desselben nicht getäuscht hat. Mir«, fuhr er seufzend fort, – »ist es nur beschieden gewesen, meine Kraft der Revolution im Innern entgegenzustellen, – nach außen war ich gelähmt – durch die Verhältnisse und durch –«

Er schwieg abbrechend einen Augenblick.

»Nun,« sagte er dann, – »ich danke Gott, daß Olmütz gesühnt ist. – dies Olmütz, das sich verhängnisvoll an meinen Namen heftet, – und das mir doch als eine unabweisbare Notwendigkeit auferlegt wurde.«

»Die Geschichte ist gerecht«, sprach der Fürst Bismarck in herzlichem Ton, »und erkennt schließlich jedes Verdienst an, wenn die Schleier gefallen sind, welche die Blicke der Mitwelt verhüllen. Sie können ruhig erwarten, daß die abklärende Geschichte das Urteil der Nachwelt bilde, – ich muß noch weiter ringen und arbeiten, und eben, ehe Sie kamen, dachte ich traurig darüber nach, wie bald der harmonische Siegesjubel verklungen sein wird, wie bald Hader und erbitterter Streit der Parteien mich wieder umringen werden!

»Ich sehe das vorher,« sprach er, seinen Gedanken folgend, weiter, – »um den Ausbau des neuen Reiches weiterzuführen, das jetzt nur in seinen äußeren Mauern dasteht, wird manches Alte und Ehrwürdige, manches, das gut und vortrefflich war in der vergangenen Zeit, aufgegeben werden müssen, – wo neu gebaut wird, läßt sich nicht alles konservieren, – und ich fürchte, – ja, schon treten mir Zeichen entgegen, daß alte Freunde sich von mir trennen möchten, daß sie mir nicht helfend, stützend und ratend auf den neuen Wegen folgen möchten, die ich doch gehen muß, wenn ich das neue Reich innerlich gekräftigt und lebensfähig der Zukunft übergeben soll!«

»Eure Durchlaucht zweifeln,« fragte Herr von Manteuffel, »daß alle Parteien voll Vertrauen der Führung folgen werden, welche so Großes erreicht hat –?«

»Leider muß ich zweifeln,« erwiderte Herr von Bismarck, – ich kenne den Starrsinn einzelner Führer der konservativen Partei, – ich kann ihn persönlich achten, aber ich kann als Staatsmann, als des Königs Minister nicht mit ihm paktieren, – glauben Sie mir, – sie werden nicht nur einzelnen notwendigen Maßregeln sich entgegenstellen, – nein, es wird etwas ganz anderes hervortreten dem Reichsausbau gegenüber, – etwas Schlimmeres als alle autonomischen Regungen in den Mittel- und Kleinstaaten, – der preußische Partikularismus.«

Herr von Manteuffel blickte ihn befremdet an. Mit scharfem Ton fragte er:

»Und könnten Sie daran denken, Preußen, diese großartige, herrliche Schöpfung der Jahrhunderte, aufzulösen in das unklare und schwankende Leben des neugeschaffenen, aber noch nicht geformten Deutschen Reiches?«

»Wie könnte das je in meinen Sinn kommen?« rief der Fürst lebhaft, – »preußisch ist der Geist, der mich erfüllt, – preußisch der Rock, den ich trage, – wollte ich Preußen auflösen und zersetzen, so würde ich ja das Werk meiner eigenen Arbeit, das Reich der deutschen Nation wieder zerstören. – Aber,« fuhr er fort, –»ich muß das deutsche Blut mit dem preußischen Organismus verbinden, daß es hin und zurück strömend in immer freierer Bewegung die ganze Nation durchdringe mit der altpreußischen Kraft und dem altpreußischen Geist, und daß zugleich vieles, was starr und schroff geworden ist, in dem stets zur Abwehr gerüsteten Staat Friedrichs des Großen sich mildere und versöhne mit dem vielgestaltigen und bewegungsvollen Leben des deutschen Volkes, – ich kann, seit ich des Deutschen Reiches Kanzler geworden bin, nicht mehr ausschließlich preußischer Minister sein, – eine neue, große und schwere Aufgabe tritt an mich heran, – ich würde sie vielleicht leichter erfüllen können,« sprach er sinnend, »wenn ich ein Bayer oder ein Schwabe wäre, denn dem preußischen Ministerpräsidenten wird sich nur langsam und zögernd das Vertrauen der deutschen Stämme zuwenden, – um so schwerer, wenn meine Freunde sich feindselig sträuben, den schwarzweißen Schlagbaum an den Grenzen zu öffnen.«

»Sie mögen recht haben,« sagte Herr von Manteuffel, während der Fürst gespannt in sein tief ernst gewordenes Gesicht blickte, – »Sie mögen recht haben, habe ich doch unter ganz anderen Verhältnissen den Starrsinn und die Unversöhnlichkeit der Partei kennen gelernt, welche endlich doch immer wieder die einzige Stütze der monarchischen Ordnung und des Thrones ist, – haben sie mich doch«, fügte er mit seinem Lächeln hinzu, »seinerzeit zu den destruktiven Freigeistern geworfen! – Aber«, fuhr er dann fort, – »wer erreicht hat, was Sie erreicht haben, darf auch diesen Kampf nicht scheuen!«

»Ich scheue keinen Kampf!« rief der Fürst, seine mächtige Brust weit ausdehnend, – »aber,« fuhr er fort, indem eine leise Wehmut durch seine Stimme klang, – »es schmerzt doch, alte und erprobte Freunde sich als Gegner zu denken, – um so mehr in einem Augenblick, in welchem ich alles darum gäbe, die besten Kräfte jeder Richtung und Partei im ganzen Deutschland zu vereinen, um dem neuen Reich auch die Freiheit und Unabhängigkeit von dem ältesten und schlimmsten Feind germanischer Macht und Herrlichkeit zu erringen, – die Unabhängigkeit von Rom.«

Herr von Manteuffel fuhr erschrocken zusammen.

»Eure Durchlaucht denken daran,« rief er, »den Krieg gegen die katholische Kirche zu beginnen, – jetzt – ehe das Reich festgefügt in seinem inneren Bau dasteht –?«

»Nicht gegen die katholische Kirche,« fiel der Fürst ein, – »sie steht vollberechtigt in Deutschland da und hat Anspruch auf des Kaisers Schutz, – aber gegen die römische Hierarchie, welche stets das deutsche Kaisertum in ihre Dienstbarkeit zu beugen versucht hat und welche, während die nationale Waffenkraft Frankreich überwand, die Fäden zog, um im Innern, im Geist des Volkes selbst des Reiches Macht zu brechen. Das Reich kann die Hand des unfehlbaren Papstes nicht dulden, der sein Gebot über das des Kaisers und des Gesetzes stellt, und der in kühner Anmaßung auf seine Satzungen das Wort anwendet: Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen.«

»Aber jetzt,« sagte Herr von Manteuffel kopfschüttelnd, – »jetzt, wo noch so viele Widersprüche ungelöst sind, wo so viele Wunden noch bluten, – ist jetzt der Augenblick, um einen Streit aufzunehmen, der, wo er noch geführt wurde, die Welt in furchtbaren Erschütterungen erzittern ließ?

»Ich will nicht verkennen,« fuhr er fort, »daß dieser Streit einmal wird ausgetragen werden müssen, – aber jetzt, – jetzt, wo das Gefüge des Reiches noch schwankt –«

»Es wird niemals fest werden,« rief der Fürst mit dem klangvollen Ton inniger Überzeugung, »solange die von Rom aus in unfehlbarer Willkür beherrschte Hierarchie das Staatsleben mit ihrem zersetzenden Einfluß durchdringt – und,« fuhr er fort, Herrn von Manteuffel fest und durchdringend anblickend, – »wenn dieser Kampf heute nicht aufgenommen wird, so wird er niemals siegreich zu Ende geführt werden. Jetzt ist das Nationalgefühl im Volke mächtig wie nie, – jetzt wird keine fremde Macht wagen, sich zwischen Deutschland und Rom zu stellen, – jetzt muß ich das Befreiungswerk beginnen, – das neue Dogma hat uns zur Abwehr herausgefordert, die weltliche Macht muß ihre Grenzen schützen, – mehr will ich nicht, – ich wage es,« rief er stolz, mit blitzenden Augen, – »ob man es später wagen würde, weiß ich nicht, – ob ich die geistige Befreiung durchführen werde, weiß ich nicht, – das aber weiß ich, daß, wenn sie begonnen ist, niemand ihr Einhalt tun wird, und daß sie vollendet werden wird, so wahr die neue Kaiserkrone sich über dem Haupt unseres Königs erhoben hat!«

»Ich kann nur wiederholen,« sagte Herr von Manteuffel, indem er voll Teilnahme in das von Mut und stolzer Willenskraft leuchtende Antlitz des Fürsten blickte, – »daß Sie das Recht haben, sich hohe und die höchsten Ziele zu stecken, – aber, – woran die Kraft der Hohenstaufen erlahmte und brach –«

»Hatten die Hohenstaufen«, fiel der Reichskanzler schnell ein, »die einige nationale Kraft zu ihrer Verfügung, die jetzt den Kaiser umgibt? Wo die nationale Kraft geeinigt und geschlossen sich aufrichtete, da hat sie die Anmaßungen Roms zurückgewiesen, – nur Uneinigkeit und Zersetzung waren die Mittel der unumschränkten päpstlichen Herrschaft. Hat Frankreich nicht unter Ludwig XIV. die unfehlbare Einmischung Roms in seine Kirchenverfassung scharf und bestimmt zurückgewiesen? Hat nicht selbst der ohnmächtige Ludwig XV. die Jesuiten vertrieben, ohne daß Rom es wagen konnte, sich gegen Frankreich zu erheben? Nun – was Frankreich gekonnt hat, weil es eine einige Nation war, – das wird auch Deutschland können, – denn jetzt ist Deutschland einig, – und stärker als Frankreich es war!«

»In Frankreich«, erwiderte Herr von Manteuffel, »standen die Bischöfe des Landes auf der Seite der nationalen Unabhängigkeit, – in Frankreich drohte im äußersten Fall das Schisma, – die einzige Drohung, welche Rom fürchtet, – sind Eure Durchlaucht der deutschen Bischöfe sicher, – werden sie zu Ihnen stehen?«

»Die deutschen Bischöfe,« sagte der Fürst, »haben zu allen Zeiten, noch entschiedener als in anderen Ländern, ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit gegen Rom vertreten, – und unsere heutigen Kirchenfürsten haben ja auf dem Konzil scharf und bestimmt gegen die römische Unfehlbarkeit eingestanden –«

»Werden sie ihre Stellung bewahren, – bewahren können, – wenn Rom seine äußersten Mittel anwendet, – die ihnen gegenüber immer noch die alte Kraft haben?«

»Doch,« sprach er dann, indem er aufstand, – »ich bin nicht gekommen, um zu kritisieren, – sondern um Ihnen von Herzen Glück zu wünschen zu dem, was Sie vollbracht. Ich gehöre der Vergangenheit und überlasse die Zukunft Gott, – das freilich sehe ich, daß schwere Kämpfe Sie erwarten, denn neben dem Wege, den Sie einschlagen wollen, liegen tiefe Abgründe, – die alten Freunde werden denselben nicht mit Ihnen betreten, – und die Freundschaft derer, die Ihnen folgen werden, möchte wenig lenksam sein –«

»Ich bin weder gewohnt, vor den Gegnern zurückzuweichen, noch von den Freunden mich meistern zu lassen!« rief der Fürst.

»Mir liegt es fern, Sie entmutigen zu wollen,« sagte Herr von Manteuffel, – »aber einen Rat darf ich Ihnen vielleicht geben, dessen Sie sich erinnern mögen, wenn die alten und die neuen Freunde einst gleichmäßig den Dienst versagen sollten, – ein solcher Augenblick wird kommen, und ohne Armee kann auf dem politischen Felde kein General sich halten! Sie werden«, fuhr er fort, »niemals die liberalen Parteien zu Trägern eines monarchischen Regiments machen, ebenso wenig wie Sie, wenn ein Bruch erfolgen sollte, die alten konservativen Elemente jemals wieder versöhnen werden.

»Wenn der Augenblick eintreten sollte, – ich wünsche, es möge nie geschehen, – daß die einen drängend, die anderen widerstrebend den Gehorsam versagen, dann wenden Sie sich an die junge Generation, welche auf dem alten konservativen Boden heranwächst, umweht von dem Geiste der Gegenwart und wurzelnd in dem Boden des alten Rechtes, – aus dieser Generation werden Sie die siegessichere und treue Schar bilden können, die Sie umgeben und trotz aller Gegner links und rechts zu Ihrem Ziel begleiten wird. Glauben Sie mir, wenn auch zurückgezogen von allem öffentlichen Leben, beobachte ich doch, was vorgeht, und ich sage Ihnen, die alten Parteien und die alten Größen sind tot, – Sie haben eine neue Zeit begründet, – schaffen Sie neue Menschen, – sonst werden Sie vereinsamen in der neuen Zeit und die Führung ihrer Bewegung verlieren.«

Der Fürst blickte gedankenvoll vor sich nieder, – die Worte des erfahrenen, kalt und scharf beobachtenden Staatsmannes schienen tiefen Eindruck auf ihn zu machen.

»Es scheiden sich die alte und die neue Zeit,« fuhr Herr von Manteuffel fort, aber eines soll ihnen gemeinsam bleiben, – der rocher de bronze des alten preußischen Königtums, – wir, die Alten, haben auf diesem Felsen festgestanden gegen die brandenden Wogen, – erhalten und bewahren Sie ihn, damit auf ihm auch die deutschen Kaiser ihre feste Stütze finden.«

»Das will ich!« rief der Fürst, indem er die Hand des Herrn von Manteuffel ergriff, – »von diesem Felsen aus soll auch durch die Wetterwolken der Zukunft der kaiserliche Adler aufsteigen mit der alten Devise: › Nec soli cedit!‹«

Einen Augenblick standen die beiden Männer in kräftigem Händedruck vereinigt da.

Dann verneigte sich Herr von Manteuffel schweigend und verließ, vom Fürsten zur Tür begleitet, das Zimmer.

Der Fürst blickte ihm lange nach.

»Er hat recht,« sagte er, – »drohende Abgründe öffnen sich neben dem Wege der Zukunft, – und doch muß ich ihn gehen, – freudige Zuversicht erfüllt mich, der Himmel, der Deutschland einig und stark machte, wird auch die Geister erheben zu einer neuen Entscheidungsschlacht gegen die Legionen Roms, – hell und mächtig klingt auch durch meine Seele das Wort: ›Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir – Amen‹!«


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