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Nachher: l'Hôtel de Nice

Inzwischen hatte Madame Riquois ihr Haus auf einen außerordentlichen Gast vorzubereiten. Die Suite des Großfürsten Cyrill war von ihr ausgewählt worden. Die Flucht stand seit langem leer. Zusammen mit dem geringen Personal, das ihr übrigblieb, betätigte sie ihre eigenen Arme an der Folge kostbarer Salons, bequemer Schlaf-, Frühstücks-, Badezimmer. Eine ältere Frau, aber sie fand sich kräftig genug. Nur ihre Gedanken, die überhandnahmen, nötigten sie, in der Arbeit einzuhalten. Sie träumte, das Gesicht sogar stand still, wie sie mitten im Zimmer aus einem der entfernten Fenster träumte. Es war sehr hoch, ganz weiß, die Sonne erschien auf der Rückseite gegen Abend. Der Großfürst hatte sie nicht früher gebraucht.

»Sie aber braucht viel Sonne, immer Sonne. Mein bestes Appartement kann ich ihr nicht geben«, dachte die Wirtin, während sie eine Tote meinte. Da erschrak sie, sah um – nein, ihre Angestellten liefen und lärmten; man erlaubt ihr mit Augen zu sehen, was doch nicht wahr ist. Ihre Freundin lebt. Wird ihr gebracht wie gestern, zwölf Uhr ist es. Sehr müde, ihr muß geholfen werden zu essen, sich niederzulegen. Ihre Stirn empfängt einen Kuß, ihr kleines blasses Gesicht hat ihn gefühlt beim Einschlafen. Jetzt hat sie auch das vergessen, so sehr vergessen. »Ich allein weiß von ihrer geküßten Stirn.« Madame Riquois wird nachher keine Erklärung haben, weshalb gerade dieser Satz, irgendein Satz, sie veranlaßt hat, überstürzt aus dem Zimmer zu weichen, damit sie im Dunkeln klagen kann.

In ihrer Auflehnung gegen die Wirklichkeit verbietet sie sich selbst, das Geld der Verstorbenen zu behalten – obwohl Lydia, wenn sie gelebt hätte, wahrscheinlich für dasselbe Geld dem passiven Hotel aufhelfen würde. Dies wird man zugeben, wenn man sich erst der Tatsache ihres Todes gebeugt hat, ohne noch zu widersprechen. Bis jetzt kommt alles darauf an, ihre Schwester, die Fürstin, hierzuhaben. Warum? Erwacht sie davon? Das wird niemand zu behaupten wagen. Die Hoffnung schleicht sich nur ein – gegen alle Hoffnung. Für wann das Flugzeug der Fürstin? Léon Jammes weiß es. Die Wirtin will, daß man ihn suche, frage, ihn herbringe. Im Augenblick ist ihr alles abhanden gekommen, was mit ihm und was sonst geschehen.

Sie wurde stark genug daran erinnert. Eine Kommission untersuchte den Tod des Präsidenten Laplace, man rief sie hinunter. Zwischen den Büschen, die dem Attentäter als Deckung gedient hatten, begann es jetzt zu dunkeln. Auf Fragen behauptete sie, man habe schon vorher im Schatten niemand erkannt, erst recht nicht von oben. Wieso Léon Jammes, er war drinnen. Während derselben Zeit hatte er telephoniert nach dem Privatauto, worin eine Fürstin de Vigne sich zeigen kann. Der arme Junge namens Fernand? Steht irgendwo und weint, vielleicht noch immer. Was sie gesehen habe? »Quand je regardais, le Président s'était écroulé raide mort. On ne pouvait s'y tromper, c'est lui-même qui avait fait le coup.« – »Vous suggérez le suicide?« – »Puisque je n'ai vu personne.«

Da gelang es, sie zu überraschen. »Neben dem Toten bemerkten Sie den Kommissar Amalric?« – »Der ist doch erst dagewesen, um alle fortzubringen.« – »Ihnen zur Flucht zu verhelfen, sagen Sie.« – »Um Gottes willen nein.« Aber das Unglück war geschehen. »Vous êtes libre«, hiermit war sie entlassen. Natürlich begriff sie, was es bedeutete. Fortan gefaßt und auf der Hut, ging sie in ihre Küche, wo das Diner einer Fürstin auf dem Feuer stand. In dem Appartement des Großfürsten Cyrill sollte es eingenommen werden. Sie selbst war noch frei, Léon Jammes schon auf der Flucht, wie nunmehr erklärt.

Vom Grunde ihres Schmerzes her stieg eine unbekannte Erbitterung auf. Madame Riquois hatte dessengleichen nicht verspürt, als ihr Geschäft verfiel, als sie, dem Auswandern nah, fünfundzwanzig vergebliche Jahre hätte dalassen müssen. Dies aber kränkte sie bis in das Innerste, daß ihre Trauer um ein hohes, ihr anvertrautes Wesen verunstaltet werden sollte. Eine Herzenssache, als ob ihresgleichen häufig wären, verläuft in eine Kriminalaffäre: es ist zuviel, ist über das Vermögen. Die Wirtin, schließlich nur eine Wirtin, stößt einen Schrei aus, nicht anders als eine beleidigte Heldenmutter – in ihren Armen, tot, liegt ihr Kind. Hier geht das Telephon.

Madame Riquois denkt: »Es sind dieselben. Ich antworte nicht. Ich habe das Recht, Gott gibt es mir, heute nacht mit meinem Kind allein zu sein, in meinem leeren Haus. Die letzten Fremden haben es fluchtartig geräumt, wegen Todesfall, Attentat, Polizeivisiten. Wir sind allein, mein Kind. Die Frau Fürstin werde ich bitten, mir die Nachtwache bei dir zu übertragen.« So denkt sie, aber das Telephon läutet nochmals, sie geht hin. Zuerst verstand sie kein Wort der Stimme, die ihr unbekannt war. Oder sie war verquollen vom Schnupfen, nicht zu erkennen. »Wenn Sie nicht reden können, hänge ich ein. Wie? Sie wollen? Kobalt? Mit Kobalt soll ich Sie verbinden? Kobalt hat es einmal gegeben. Es gibt keine Kobalt mehr. Gut, ich verbinde Sie.«

Sie tat es wirklich, in ihrer Verzweiflung, die anfing, bitteren Humor zu bekommen. Schließlich wußte sie: droben ist Mado, die das Telephon sofort zum Schweigen bringt. Die Stille des Zimmers wird kurz unterbrochen. Wagt die Verschnupfte ein »Kobalt« zuviel, Mado ist die rechte, sie Achtung zu lehren. Worauf der umgeleitete Anruf allerdings droben bei der Toten erfolgte. Um das Läuten zu ersticken, stürzte Mado sich über den Apparat, sie bedeckte ihn mit ihrem Leibe, wickelte ihn in Kissen, endlich hob sie den Hörer ab, damit das Klingeln niemand mehr erschrecke. Sie sah um, nach dem lieblichen Gesicht des Friedens, des erfüllten, ganz geglätteten, beigelegten Lebens. Aber Leben. Mado faßte nichts anderes. Jede Störung bedrohte das beigelegte Leben in seinem Frieden. Sie rief in das feindliche Ding: »Si c'est la Police, apprenez que je m'en fous de la Police.«

Da war ihr, daß sie schluchzen höre. Eine Frau, voll Schmerz wie sie. Zart sprach Mado: »Wir waren unterbrochen.« Sie lauschte, angstvoll bemüht zu verstehen, was gestammelt wurde. »Du bist noch da, Lydia. Warum nannte ich dich Kobalt. Das Leben wechselt, aber noch atmest du. Er nicht mehr.« – »So schnell?« fragte Mado, ohne zu wissen, was sie sagte. – »So schnell«, wurde wiederholt. »Heute um Mittag kam er an, ging allein in das offene Feld, mußte wenig warten. Diese Kugel traf, wo keine andere auch nur ein Ziel fand.« – »Tröstet es dich, daß ich da bin?« flüsterte Mado, unter einem Schauder, da sie die Tote nachahmte. »Nein«, schrie es auf einmal. Die Stimme, verwildert, furchtbar dramatisiert, verlangte, daß Lydia sterbe, im Ernst sterbe wie sie selbst. »Du hast Frédéric getötet. Wir beide töten ihn. Er will, daß wir ihm folgen. Ich habe den Mut. Oh!«

Hiermit endete die Sprecherin. Ein schwaches Stöhnen war der Rest. Verwirrte Geräusche, die Verbindung blieb offen. Einige Takte der bekannten Pavane, gespielt wie Jazz. Kein hingeneigter Comte X gibt seine Philosophie zum besten. Diese geht um, wen sie verschlinge. Er selbst erwartet hinter Gittern die existentielle Rache seines grausamen Präsidenten. »Estelle?« fragte Mado, als jemand auf den Boden stürzte. Soviel unterschied sie, bevor sie den Hörer niederlegte, froh, dies Gespräch hinter sich gebracht zu haben. Sie erklärte: »Es war dieselbe, die auch hier hinfiel. Das lieben sie, und damit gut. Die tut sich nichts.« Wer waren »sie«? »Die Reichen«, erklärte Mado der angenommenen Zeugin ihres Auftritts. »Sie machen Theater ihr Leben lang. Nur wir verzehren uns in Hunger und Liebe«, sagte sie der Toten. Ihre Fehler, deren sie mehrere vereinte, entgingen ihr. Reich war keine von Frédéric preisgegebene Estelle: sie selbst wäre es gewesen, wenn ihr Anteil, die eine der gekrönten Mappen, ihr eingefallen wäre. Allerdings mußte sie sich auch vergewissern, daß Fernand das gute Stück dagelassen hatte. Wer will es sagen bei ihm.

Ihre Ungerechtigkeit, die unverzeihlich gewesen wäre, traf die arme Estelle, mit der Mado eiferte um den Anteil Liebe, den auch sie empfangen von der teuren Kobalt. Schon wieder Kobalt, zuerst von der einen, dann von der anderen. Unter dieser Gestalt hat man die Vergangene gesehen. Das ist ihre Legende. Neben ihrer Eifersucht irrte Mado aus Selbstlosigkeit, auf das Geld hatte sie vergessen, wie auf den Tod. Wörtlich, wirklich: für die Dauer ihrer angstvollen letzten Szene war ihr entfallen, daß nur der Tod zugegen war. Lider, die doch ihre eigenen Finger geschlossen hatten, mühten sich, setzten an, sich zu trennen, wie einst während eines Diktates. Mado hat sehr darum gekämpft, den diktierten Traum aufzunehmen. Zuletzt hat sie nachgeschrieben, was nicht ihre leiblichen Ohren gehört hatten. Mitfühlen war ihr Anteil.

Niemand mehr? »Dahin, sie, die mein ganzes Herz war?« Dies erkennen, es nochmals, aber endgültig erkennen, da versank die Vereinsamte aus der höheren, noch durchsichtigen Luftschicht des Zimmers, wo tiefe Dämmerung die Formen dennoch zuließ. Drunten gab es keine mehr. Mado ist hingekauert auf einen Fleck am Boden, von wo sie den Schatten eines Gesichtes ahnen kann. Nur wenn sie die Augen schließt, erblickt sie sein sanftes Lächeln. Gekommen ist die Nacht.

Die Nacht kam, mit ihr der hohe Gast. Alle Lampen des Hauses und Gartens waren angegangen. Die unbewohnten Zimmer, verödeten Säle strahlten silberweiß, für zahllose Abwesende. Ein Fest des Abschieds, die Apotheose am Schluß. In das Portal des Gartens lenkte unter Jupiterlampen das übergroße Automobil, nahm ohne zu verlangsamen den Fahrweg bis vor den Eingang – stand, ließ sich empfangen. Es war ein Wagen wie wenige, auf dem Schlag das Wappen, wer weiß welches. Wie hat Léon Jammes, neben seinen anderen Realisierungen, diesen Zauber fertiggebracht.

Die Wirtin war zur Stelle, sie verneigte sich, mit ihr der junge Page, der ihre ganze Begleitung war. Sein Versuch zu helfen wurde übersehen, das Innere der Galakutsche entließ einen Sekretär. Dem gewöhnlichen Taxi, das nachkam, entstiegen Jungfer und Lakai. Nach ihren Anstalten hätten sie ihre Patronne auf Händen getragen. Ernst konnte es nicht gemeint sein, die Fürstin bewegte sich gewiß nie anders als mit dieser lässigen Selbständigkeit, fein und fest. Erster Eindruck bei Madame Riquois: »Mein Gott, ist es wahr? Sie hat dieselbe Anmut, die ich verloren glaubte mit – der Verlorenen. Ich werde nicht ertragen, ihre Anmut wiederzusehen. Cependant celle-là n'était inaccessible qu'aux méchants. Elle nous permettait de l'aimer.«

Sie fürchtete, die zweite werde einen wahllosen Hochmut zeigen gegen jedermann. Sie war um halbe Haupteslänge kleiner als die andere Schwester, der Neigung sich zu strecken widerstand sie nicht. Ihr Gesicht war kalt, man sah voraus, ihre Stimme werde es sein. Dies, obwohl die Züge verwandt waren, bis auf den härteren Mund. »Daß sie ihn nicht öffnete! Mag ihr Personal zu mir sprechen«, wünscht die Freundin der Toten. Ihre Würde hat sie vergessen, nur Entweihungen verabscheut sie, gesetzt, eine Schwester könnte das Bild der anderen verraten. Nun sprach aber diese Schwester selbst. »Lassen Sie mich in meine Zimmer führen, bevor ich die Tote identifiziere.«

Das war es. Sie identifiziert, sonst nichts. Ihre Stimme aber ist unbekannt. Man sage nicht unsympathisch; eine so große Dame kann nicht von der Jugend bis ins Alter ungern angehört worden sein. Vergleiche fallen weg: so tut es weniger weh, eine andere Stimme noch im Ohr zu haben. Oder, ob schon nicht mehr deutlich vernommen, weht von ihr doch ein Hauch in diesen Lüften. Der Wirtin kamen Tränen, was mit Mißbilligung bemerkt wurde. Das Gefolge der Fürstin verschwand ganz plötzlich, es wußte, was sie sagen werde. »Ich will nicht gestört werden«, sprach die Fürstin, kaum angelangt in der Zimmerflucht des Großfürsten Cyrill, die sie, in erkennbarer Absicht, einfach übersah. Sie wollte mit dem Trauerfall beschäftigt erscheinen. Madame Riquois glaubte es ihr nicht. Sie glaubte ihr Verachtung und Dünkel. Hiermit empfahl sie sich.

Der Page, ihre ganze Begleitung, mußte sie an der Treppe verlassen. Er versicherte, auch in dem Sterbezimmer habe er volle Beleuchtung gemacht. Die Frau mußte sich nicht überzeugen; weshalb ging sie dorthin? Ihr fiel ein: »Mado. Ah! Mado. Schrecklich, wenn sie gefunden würde, in meinem alten Mantel, mit Resten ihrer eigenen Bekleidung und halb geschminkt.« Aber natürlich hatte Mado die Flucht ergriffen, sobald die grelle Helligkeit anbrach, noch bevor der Page bis an diese Tür vordrang. Sie hat Seitenwege benutzt, versteckt sich wohl im rückwärtigen Garten. Bei günstiger Gelegenheit wird sie ganz aus dem Bild entschwinden. Hier liegt ihre gekrönte Mappe. Madame Riquois wird sie ihr zustellen. Die uneigennützige Liebe einer Armen für sie, die beide liebten, tut ihr wohl und weh. Sie selbst, mit ihren Berechnungen und Sorgen, darf sich an Reinheit nicht vergleichen der Person, die Mado heißt und aus dem Bild entschwindet.

Madame Riquois, die selbst nunmehr Abschied nimmt, gewillt, nicht wieder aufzutreten, wäre gleichwohl vor der Treppe nochmals der Fürstin de Vigne begegnet. Keine von beiden tat etwas, das Treffen zu vermeiden. Sie übersahen einander wirklich. Der neue Gast durchquerte ohne Zögern das Haus. Von ihrer fremden Unterkunft auf der Rückseite machte Marie-Louise von Traun de Vigne ihren Weg ohne Unterweisung allein. Ihr Personal richtete sie in ihren Zimmern ein, derweil ging sie zu ihrer Schwester. Sie ging, kaum mittelgroß, aber streng aufgerichtet in ihrer schwarzen Crêpe-Seide. Beide Hände hatte sie unter die Ärmel geschoben. Ihr Gesicht war sehr bleich.

Als sie die Tür, die einzig offene Tür erreicht hatte, war eine Ähnlichkeit nachgerade unverkennbar geworden. Sie glich – nicht der Glücklichen drinnen, deren Miene man glücklich nennen würde, wenn sie von sich noch wüßte. Sie wiederholte, nicht viel anders, die Kobalt genannte von einst. Das fremd einsame Wesen in der Straße, angenommen ist sein gewohnter Abstand von der scheu aufdringlichen Menge. Ihr Kopf – »Oh! mein Kopf« – birgt keine Hoffnung mehr, nur eine Illusion mitsamt der Kraft, sie zu halten. Um die Kraft bemüht ist der Körper, der weite Wege zurücklegt, harte Arbeit, Nächte der Angst besteht, Not leidet, unter regnerischen Dächern schläft, im dunklen Meer die Füße an Kieseln verwundet.

Ob es der Schwester geschieht, hierselbst vor der offenen Tür, weil sie auf einmal erkennt, wie es mit ihrer jüngeren gewesen? Ob sie selbst, unter anderem Anschein, im Leben der Schwester zuletzt sich wiederfindet? Einsicht, mag sein Gleichnis, wenn Kobalt auflebt für diesen Augenblick in Marie-Louise von Traun de Vigne. Indessen nahm sie sich schnell zusammen, trat näher, stellte sachlich fest, dies sei sie, sei eine Gräfin Traun, ihre Schwester Lydia. Ihr Inneres, damit es sonst nur schweige, sprach wieder und wieder alle die Namen: »Marie-Thérèse, Dolorès, Lydie Comtesse de Traun, de la maison de Traun-Montéformoso.« Ein unvermeidlicher Gedanke lief unter der Aufzählung dennoch mit hin. »Ganz beendet sind die Traun, wenn ich dir folge.« Ein Wort zögerte, bis es durchdrang: »Liebe Schwester.«

Alsbald wollte sie es einschränken. »Aber wir liebten uns nicht. Sie hat mich verachtet wie ich sie.« In einem klagte sie an und entschuldigte. »Sie hat nicht gekämpft, sich in Gunst und Größe zu halten. Unregelmäßigkeiten dennoch der Welt aufzwingen, nicht sie hat es vermocht. Was wußte sie. Wohl kämpfte sie anders, ohne Lohn, verschwendet, schlecht. Nein. Was rede ich. Halle mich nicht für dumm, Schwester. Aus mir spricht Eifersucht – gewohnt von alters. Auch sie ist beendet. Aber du warst schön. Begreifst du? Deine Stimme war allmächtig. Begreifst du? Wo hast du deine Stimme gelassen. Ach! schweigen sollte ich selbst.«

Sie machte Schritte hin und her, großartig und behindert, als wickelte bei Wendungen eine Hofschleppe sich um ihre Füße – und der Hals wurde fortwährend gerichtet nach dem anderen Gesicht, das keiner mehr gehörte, wäre aber ihr eigenes gewesen. Nur war es schön. »Schöner denn je«, fand die Schwester. »Aber blaß. Du darfst nicht krank aussehn. Ich will abhelfen.« Auf dem Kamin der goldene Beutel, vom Alter geschwärzt, war aufgegangen wie üblich. Die Schwester nahm Lippenstift und Puder. Eine Schachtel mit Rouge lag davon getrennt, mit anderen, fremden Sachen. Sie sah unfein, auch anstößig sah sie aus. Marie-Louise berührte trotzdem das Ding. Sie benutzte es, pour lui faire une beauté à sa pauvre cadette. Ihr Werk einmal beendet, betrachtete sie es lange, bevor sie aufseufzte. Da zeigte ihr der Spiegel eine bleiche Frau, sie selbst, nach deren Nacken eine Knochenhand griff. Sie sah es, sah sich zum Greifen sterblich, aber auf dem Kissen das lieblich vorgetäuschte Leben.

Plötzlich entließ sie ihren ersten Laut seit dem Eintritt. Ein rauhes Flüstern, nicht viel anders hatte ihre Schwester anfangs noch gesprochen, nach dem Verlust der Stimme. »Wenn ich daliege wie sie, werde ich nicht schön sein. An meinen Lippen hängt niemand mit Verlangen, wie ich an deinen.« Hier eine erschreckend wilde Geste, wenn jemand beigewohnt hätte. Diese Worte laut hörbar: »Das wird der ganze Schluß sein. Gewesen sind wir Traun.« Ihre Arme fielen herab, nach dem dramatischen Ausfall kehrte die Haltung ihr wieder. Sie versuchte die Schwester verantwortlich zu machen, daß sie selbst, ganz kurz, ohne Form gewesen war. »Elle avait cru se jouer de la vie. Qu'elle s'est faite tragique, sous son masque souriant.«

Beunruhigt sah sie umher. Auf einem Tischchen, das an die Wand geschoben, entdeckte sie das Blatt Papier, das dasein mußte. »In ihrem Stündlein, à l'heure de la mort, hat jemand an ihren Lippen gehangen. Sie aber hat mein gedacht.« Die Zeilen hießen, in kindlicher Schrift: »Ma sœur bien-aimée, je te dis adieu à jamais.« Marie-Louise Traun machte über Maria Theresia Traun wie über die eigene Brust das Zeichen des Kreuzes.

»Trotz deinem Abschied für immer hast du an das Kreuz, hast an vergoltenes Leiden geglaubt. Es ist dir hier schon vergolten, meine Schwester. Hast du wohl gewußt, daß ich knien werde?« Sie kniete. Es war still. Die Helligkeit des Gartens war gelöscht. Die Welt schlief gelähmt wie in Nächten ihrer ausgebrochenen Katastrophen, wenn auch wir müde sind und das Wort niederlegen.

[Anhang aus Urheberrechtsgründen gelöscht. Re]


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