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»Wer sind Sie doch? Da bist du«

Die Pavane war aus, ohne Übergang begann eine Rumba; die Musik wurde mit Händeklatschen verlangt, aber der Kapellmeister wartete darauf nicht. Die soeben Gefeierte fand nicht so schnell zurecht. Sie wendete sich um, beinahe hätte sie gedankt – bis sie merkte, daß von ihr nicht mehr die Rede war. Da ließ sie sich auf ein Sofa nieder, im Winkel neben dem Gewölbe mit grünen Sonnen auf Goldgrund.

Lieber hätte sie sich ausgestreckt und die Augen geschlossen, es wäre begreiflich nach dem voll besetzten Tage. Erstens ist er nicht zu Ende. Wenn die Allgemeinheit sich befriedigt erklärte, gewisse einzelne nahmen um so eher Veranlassung, ihr Aufmerksamkeit zu widmen. Wenigstens wollten sie nicht selbst übersehen werden. Der erste war ein wohlanständiger junger Herr, der den Tisch rückte, damit sie bequem an das Ecksofa gelangte. »Madame sera bien ici«, sagte der schon beleibte Dreißiger, in der Hoffnung, dabehalten zu werden.

Sie sagte nicht nein, sie erkannte den Wirt persönlich. Sie deutete an, mit einer leichten Bewegung nur, er habe sich zu gedulden, solange sie den chef d'orchestre abfertige. Gehorsam zog der jugendliche Unternehmer sich zurück, während der alte Musiker näherkam. Er neigte sich über den Rand seiner erhöhten Plattform. »Bonsoir Madame«, lispelte er, um seine Rumba nicht zu stören; den Takt schlug er beim Sprechen, vor allem beim Hören. Er konnte ihr den Kopf nicht nahe genug bringen, so gern hörte er sie sagen: »Die Pavane war ein meisterhafter Vortrag.«

Er lächelte bescheiden, traurig, wenn man wollte; unverkennbar verlangte ihn nach mehr Lob. »Ich mußte improvisieren. Eine Komposition dieses Ranges wird hier nicht benötigt: ein Vorwand ist selten wie Ihr Auftreten, Madame.« – »Ich sah Ihnen zu, Maestro. Das Werk wurde aufgeführt von Ihnen allein. Ihr Orchester kannte kaum die Noten! Was die Mitglieder nicht gekonnt hätten, taten Ihre Hände, Ihre Augen. Sie sind ein großer Künstler, ich bin sicher, daß wir uns kennen.«

»Ich kenne Madame«, sagte er, aber sein Gesicht suchte, bis jetzt vergeblich, in der endlosen Reihe seiner débuts, den Platz von Weltruf und unbemessenen Zulauf, wo auch diese Passantin ihm vielleicht begegnet war. Sie selbst hatte gefunden, sie zögerte nur, das Casino von Biarritz zu nennen; von dort bis hier hatte sein Weg nicht aufwärtsgeführt, jetzt war es das letzte Viertel. »Ich weiß nicht wo«, sagte sie. »Aber Sie spielten La Valse von Ravel mit eigenen Entdeckungen, niemand hatte sie gemacht. Sie wissen: über dem dargestellten Gewoge des Hofballes erscheint einmal eine Note des Walzers, sie hat sich allein hinaufverirrt, zirpt, schmilzt, ist gewesen. Nächsten Tages auf der Straße, ich erinnere mich, daß ich Ihnen ein Wort des Dankes sagen wollte.«

»Se Sua Altezza l'avesse fatto …« Das Wort erstarb ihm. »Ich hätte geantwortet: um meine Nuance zu bemerken, müssen Sie dem Wiener Hof angehört haben. Für ihn ist La Valse geschrieben.« – »Aber La Pavane?« fragte sie. »Mag sein für das Teatro Metastasio, wo Sie dirigierten.« – »Sie erraten alles, Madame«, sagte er, obwohl nichts davon richtig war. Seine fremde Verehrerin schüttelte selbst den Kopf, sie hatte es anders gemeint: daß zwei Personen wie sie und er, über ein Vierteljahrhundert hin, wer weiß wie oft aneinander vorbeigegangen sind; nur die Expreßzüge sind vergessen. Man verliert das Maß der Zeiten und verwechselt sie.

»Sie mißverstehen mich nicht«, behauptete sie. »Unsere Pavane ist natürlich neu, wie die Valse. Sie müssen mir nicht sagen, daß auch sie von Ravel ist. Wie heißt sie?« Er beschloß abzuklopfen, das Händeklatschen der Tänzer blieb aus, mehr Rumba war ihm nicht befohlen. Er gab die Auskunft. »Pavane pour une Princesse morte.« Tiefe Verneigung, er ging daran, andere Musikalien unter seine fünf Mitglieder zu verteilen. Sie lehnte sich in das Sofa zurück, sie winkte dem Wirt, der unauffällig gewartet hatte. »Pavane pour une Princesse morte.«

Sie dachte, daß sie, man weiß nicht warum, eine lächerliche Schaustellung unterstützt habe, sogar als Hauptfigur: wahrscheinlich eine Idee des Wirtes, um aufzufallen. Die unvermeidliche Zeitung sah ihm aus der Rocktasche. Er hatte ihr einen Streich gespielt, aber sie ihm auch. Wie, wenn in Wirklichkeit sie selbst nicht aufgetreten wäre; in Wirklichkeit machte die Schritte eine andere, die, herbeigerufen vom Erklingen ihres Themas, dennoch allen Zusammenhängen fremd war, von souveräner Gleichgültigkeit, verantwortlich nicht einmal für Grotesken, die man mit ihr aufführte. »Pavane pour une Princesse morte.« Übrigens wußte sie, daß sie im Fieber dachte.

Der wohlgenährte junge Mann legte die Finger an die Zeitung. »Lassen Sie, wir bekommen mehr Bilder. Während der Pavane hat es geblitzt.« – »Es war die Presse«, gab er zu. »Aber Madame sitzt verlassen und allein wie …« – »La Princesse morte.« – Dies verstand er nicht. Er bat Madame um Nachsicht für sein unbeständiges Publikum. »Es ist ein unruhiger Tag, jedes Ereignis schlägt das vorige. Was kann aber noch kommen, nachdem der Krieg angefangen und Madame die Bank gesprengt hat?« – »Nichts«, sagte sie. »Pourtant il y a du flottement. Je ne vois plus ce monsieur du cortège qui me suivait en clochant. Vous réalisez qui je veux dire?«

Ob er sich klar machte, wer zuerst einen Angriff auf die beiden Mappen verübt, dann un mauvais quart d'heure verbracht hatte unter dem Tisch eines faschistischen Jünglings, nunmehr aber verschwunden war. Der Wirt hatte aufgepaßt, ihm lag nur nichts daran, daß sein Publikum gerade diese Sensation bekomme. Lydia, wie wenigstens er sie bei sich nannte, war beteiligt, gerade begann sie: »Léon Jammes interessierte sich für ihn.« Sie brach ab. Sie suchte auch ihn vergebens, wie den Comte X.

»Monsieur Martell«, begann sie wieder, diesmal kalt. »Ich weiß«, sagte er sogleich. »Wollen Sie mir glauben, daß ich nichts dagegen tun kann, wenn die beiden in anderen Gegenden des Cochon sans rancune umeinander herumlaufen, jeder vielleicht mit gezogenem Messer. So bedeutende Männer werde ich nicht zur Rede stellen, übrigens kann eher Madame Martell es wagen.« – »Lassen Sie nur«, sagte sie. Zwischen den Tanzpaaren, wenn die Aussicht gerade frei wurde, bemerkte sie ihren namenlosen Sekretär, die Mappen wie angeschnallt vor dem Magen, an jedem Arm eine glitzernde Verkehrsdame. Von ihnen ließ er sich beschützen.

Seine Herrin hatte ihm Unzufriedenheit gezeigt; er bewies ihr, daß er ihr Vermögen verteidigen könne ohne Gefahr für ihre Person. Überallhin trug er die Mappen eher als an ihren Tisch. Sie war bereit, ihn ergreifend zu finden, hätte sie ihn nur gekannt oder ihn nicht zu gut gekannt. Aber ein Lächeln, ihr kaum bewußt, verklärte sie. Der Wirt, der es für sich unmöglich in Anspruch nehmen konnte, tat es dennoch. In demselben Augenblick verließ sie alle anderen Gegenstände. »Monsieur Martell, Sie sind derselbe geblieben. Auch denselben Namen tragen Sie noch.« Denn ihr ging durch den Sinn, daß Namen unsicher sind.

»Warum sollte ich mich anders nennen als mein Vater. Im Gegenteil verlangt das Geschäft …« – »Oh! mein Kopf«, sagte sie traurig. »Schon hielt ich Sie für den Vater. Sehen Sie, daß man Jahrzehnte vertauscht. Ihr Name ist geblieben, nur sind Sie nicht mehr der alte Martell, dessen Tanzfläche meine Füße spiegelte. Er war nur wenig älter als Sie jetzt.«

»Sie, Madame, hießen Lydia, als Ihre Füße sich spiegelten. Bei mir haben Sie in keiner Zwischenzeit den Namen abgelegt für ein sobriquet, das ich haßte.« – »Lydia liebten Sie.« – »Ich liebte Lydia.« – »Sie waren – wie jung? Lassen Sie mich rechnen oder erraten: fünfzehn Jahre.« Er wiederholte: »Fünfzehn Jahre, vor zwanzig Jahren, wenn ich abrunde. Sie haben mich kaum beachtet« – sein Ton wurde geheimnisvoll oder machte sich lustig. »Ich war es, der jedesmal vor der Tür des Saales stand, sie aufriß, beide Flügel – aber Sie brachten auch viel Gesellschaft mit.« Hierbei war er errötet, worüber sie nicht lächelte. Die vergessenen Dinge des Lebens. Die flüchtigen, die dann unvergänglich sind.

Auch sie gebrauchte einen Ton zwischen Ironie und Wehmut. Sie war in Wirklichkeit nicht dies noch das, sondern in Sorgen um die Hintergründe des Cochon sans rancune, in dessen Flanke ein Messer steckt. »Vous êtes un sentimental, mon jeune ami: Sie wollen die Stimmung von einst zurückbeschwören. Das geht nicht. Die Heutigen wagen keine Lächerlichkeiten. Ein lächerliches Leben war unser größter Luxus. Die Stimmung von einst ist unwiederbringlich.« Sie behauptete, das Gefühl zu haben, als könnte dieser kunstvolle Keller nächstens vor ihren Augen in Luft aufgehen. Plötzlich gab er ihr recht. Nichts von seinem jüngsten Unternehmen sei für lange Dauer gedacht. »Der Krieg wird alles ändern. Inzwischen hoffe ich, daß ich dank meinem Einfall hier zu eröffnen, in das Lebensmittelgeschäft gelangt sein werde.«

Während dieser geschäftlichen Eröffnungen näherte eine einzelne Frau sich dem Tisch – auf Umwegen, da sie häufig aufgehalten wurde. Daher sah nur Lydia die üppige Schönheit kommen. Martell hatte sie im Rücken, er merkte nicht, daß man von fern Bekanntschaft schloß, bis seine Schulter berührt wurde. »Er macht Ihnen eine Erklärung«, sagte die Dame, eine Hand auf den Tisch gestützt. Ihre volle Büste senkte sich nach seiner Seite. »Meine Frau«, erklärte der Besitzer des Cochon sans rancune. Auf einmal zitterte er und stieß mit der Zunge an. Entweder fürchtete er seine Frau, oder er liebte sie über Gebühr. Sie war stolz auf ihre Wirkung, die ihr junger Mann so viele seiner Konsumenten sehen ließ. Sie winkte einem maître, der alsbald verschwand und noch schneller wieder da war, mit einem Brett voll Champagnerflaschen.

Die Dame selbst entkorkte sie, froh ihrer langen Kennerschaft. Zu bewundern waren auch die Ringe an den Händen der reifen, enorm erblühten Schönheit, die eigentlich eine Erinnerung war. »Wir kannten uns«, sagte Lydia, als sie die Wirtin freigebig einschenken sah. Sie versorgte alle, die ein Glas hinhielten, nicht ausgeschlossen die nächsten Tische. Endlich fand sie Ruhe zu antworten.

»Ob wir uns kannten! Wir hätten uns einmal fast geprügelt.« – »Mir war doch so«, bestätigte Kobalt. »Aber kaum wegen Ihres jetzigen Mannes.« Die üppige Frau lachte von Herzen, sie klatschte sich auf ihre beiden Schenkel, die, breitgedrückt von der Sitzfläche, an dem einen Stuhl nicht genug hatten, sie bediente sich eines zweiten. »Mein Mann war noch ein Junge, zu unserer Zeit« – hierbei ließ sie auf ihn einen schweren Blick des Besitzes fallen. Zehn, zwölf Jahre älter zu sein, setzte sie augenscheinlich nicht in Nachteil: es war ihre Sicherheit.

Der hübsche, elegante junge Mann, nur etwas dick, sprach über Kobalt geneigt: »Il n'y a de femmes désirables que celles d'avant guerre.« Es schien wahr, er begehrte die Vorkriegsfrauen. Er saß am schmalen Ende des Tisches, der einen so nahe wie der anderen; aber nur von seiner Frau konnte er nicht lange die Augen wenden. Ihre reichen Schultern und Arme waren in dunkelrote Seide gespannt. Sie enthüllte weder Hals noch Rücken; Haut zu zeigen, überließ sie ihren Angestellten. Da der Bauch abgeschnürt war, entfalteten die Hüften ihren vollen Umfang: der Mann spähte abwärts, ihn berauschte dies alles.

»Seit wann sind Sie verheiratet?« fragte Kobalt. Für ihn erwiderte die Frau: »Dreizehn Jahre. Das dachten Sie nicht. Er sieht so jung aus, das macht seine ewige Liebe und daß er knabenhafte Neigungen behält. Ich verrate Ihnen, was Sie ohnedies sehen«, ergänzte sie, mit Handbewegung. Etwas leiser sprach sie jetzt, übrigens gleichgültig gegen mögliche Zuhörer, die Eingeladenen, die sich mit dem unbezahlten Champagner selbst bedienten. Die Begleiter Kobalts, alle drei, wenn Comte X mitzählt, waren unsichtbar: die Frau wußte am besten, wieso.

Sie sagte über den Tisch, aber ohne vorzulehnen, das hätte zu weit geführt mit ihrer Büste: »Bemerken Sie, daß er Ihnen den Hof macht, aber denken Sie nichts dabei. Er ist mir treu.« – »Mehr als treu«, schob Kobalt ein. »Ergeben«, erklärte die Frau bereitwillig. »Ohne daß er mir damit unbequem geworden wäre.« – »Gehorsam«, erriet Kobalt. – »Folgt auf den Wink«, sprach die Schönheit schmachtend, aber ihr Arm, auf seinen gelagert, triumphierte. »Ich hatte die Vorsicht, einen gehorsamen Sohn zu heiraten. Sohn klingt gewagt. Es bedeutet, daß ich für ihn nie altere: seine Neigung ist infantil. In aller Unschuld war er, und ist es noch immer, jede Stunde zu meiner Verfügung. Dieses Verhältnis übertrugen wir von vornherein auf das Geschäftliche.«

»Es ist uns gut bekommen«, bezeugte der Mann, der sein Lob genoß. »Ihr Körper hat mitgearbeitet. Ich sage nicht zuviel damit, daß die dauerhaften Reize der Frau das Genie des Mannes bestimmen. Mit den finanziellen Sicherheiten, die ich ihrer Inspiration verdanke, eröffne ich das Schwein, das nichts nachträgt.« – »Seine Idee.« Die Frau hob die Schultern. »Sein Komplex aus Knabenzeiten. Er mußte nachgeben, bevor es zu spät wurde.« – Der Mann erklärte: »Nach diesem Krieg, in dem wir halb darin sind, kennt niemand mehr ce cochon-là, soviel ist gewiß. Ich werde mit Butter handeln, wenn es keine mehr gibt.«

»Kein kleiner Knabe wird sich dann in die Tänzerinnen verlieben und eine von ihnen heiraten, sobald er groß genug ist«, sagte sie liebevoll, aber kühn ihm in die Augen, bis er errötete. »Madame wird mich entschuldigen«, sagte er, stand auf, machte sich Minuten lang in der Nähe zu schaffen; aber aus den Winkeln seiner Lider verlangte er nach der Frau, sie möge ihm folgen. »Sein Geschmack ist beständig«, sagte Kobalt. Aus bloßer Höflichkeit sagte sie: »Aber auch Sie sind geblieben, die Sie waren.« Stille Frage: »Wie war sie?« – »Das doppelte Gewicht, aber das macht es nicht.« Die Frau zögerte, Gedanken der anderen, die sie wohl fühlte, zu beantworten. Aber schließlich, sie war die Siegerin.

»In seiner frischen Begehrlichkeit, mit kaum fünfzehn, nicht einmal ungewöhnlich entwickelt, hat er sich dennoch besonnen. Man glaubt es nicht, aber auch sein geschäftlicher Verstand lenkte die Neigung seiner Sinne. Ich besuchte den Ball, um zu verdienen. Sie gaben Geld aus.« – »Ich? Er hätte auch an mich gedacht?« – »Sie konnten damals eine jugendliche Begehrlichkeit übersehen oder vergessen.« Die Wangen der Frau blühten nochmals auf, sie zeigte mehr Vergnügen, als man erwarten konnte. Aber ihre Vergeltung begann.

»Zuerst schwebte und schwankte er zwischen uns beiden. Es war rührend zu verfolgen wie seine Träume sich auf Sie vereinigten, je mehr er von Ihrer Situation erfuhr.« – »Das scheint gewesen zu sein, als sie sich verschlechterte.« – »Der Knabe, der Ihnen unbekannt nachstellte, beachtete alles. Ihr Mann starb. Sie nahmen einen Liebhaber, der Sie um Ihr Vermögen erleichterte.« – »Soweit ich es nicht selbst tat.« – »Aber mit dem Rest entfloh er.« – »Wie können Sie wissen?«

Pause. Hierauf die Siegerin, die nachholt, mit tiefem Genuß: »Andere wußten, haben nur vergessen, verstehen daher nicht, daß Sie Ihre Tage bis heute mit vergeblichem Umherfragen nach Geld verbrachten. Ihr Freund sollte schicken. Er sollte zurückkehren. Treffe ich es? Jetzt sind Sie nochmals reich, aber entbehren Liebe.«

»Während Ihr Mann nach dreizehn Jahren ménage noch zwinkert, damit Sie ihn hinten aufsuchen.«

»Ich komme sogar«, sagte die Frau und stand auf. »Nur Sie haben mich zurückgehalten. Wie weit auseinander zwei Schicksale gegangen sind! Einst hatten die unseren sich berührt.«

Dies mit Lachen, kein angenehmes, kaum ein erträgliches. Kobalt, die sie wieder war, erblickte das erste Mal deutlich dieselbe Frau um zwanzig Jahre jünger – ihr wohlgeformtes Angesicht roh sinnlich wie eben jetzt. »Eine Schönheit wie ihre ist von selber roh. Der Typ wird vollständig mit dem blondierten Aufbau der Haare, der die knappe Stirn erhöht. Klassisch, aber sie weiß es nicht«, dachte Kobalt. Plötzlich hatte sie auch den vergessenen Namen wieder. »Reine!«

»Tu me remets. Ce n'est pas trop tôt. Einmal hätten wir uns bald geprügelt, das hast du dir gemerkt. Glaube nicht, daß ich dich hasse. Es sind nur meine Erinnerungen, du hast sie angeregt. Gleich wird er dort hinten mich Reine nennen, wie ich längst nicht mehr heiße. Il est seul à s'en souvenir, en faisant l'amour.«

Sie war im Abgehen gewesen, hatte aber kehrtgemacht, stützte jetzt vielmehr beide Hände auf den Tisch, ihre mächtige Büste senkte sie nunmehr anstandslos über die Magere, sie erklärte auch, warum. »Du gibst mir eine wahre Genugtuung. Damals sahst du noch nicht nach Auszehrung aus, und mein Mann zog dich vor.« – »Du meinst den Knaben von fünfzehn bis zwanzig, der dich heiratete, als ich ruiniert war.« Die Frau, die manchmal Reine hieß, blieb erhaben. »Du brauchtest nur zu bemerken, was du an ihm gehabt hättest. Moi, je suis heureuse. Moi, je m'épanouis.«

Wirklich blühte sie stark und duftete. Ein Cocktail von Wohlgerüchen erschwerte der armen Kobalt ihre Atmung, sie war um die Wiederherstellung bemüht. Inzwischen konnte sie nicht sprechen. »Waren Sie soeben nicht eilig?« hätte sie gefragt, mußte aber anhören, was die furchtbare Frau noch auf dem Herzen hatte. Die Idee, Kobalt feierlich zu empfangen im Schwein, das nichts nachträgt, war keineswegs von ihrem Mann. Sie selbst folgte ihrem Gelüste und bereute es nicht.

Kobalt hatte ihren Atem geordnet. »Vous voilà satisfaite. Inzwischen hat Ihr Mann vielleicht aufgegeben, Sie zu erwarten, so zäh seine Leidenschaft übrigens ist. Wollen Sie meinen entlaufenen Liebhaber nehmen? Falls Sie ihm begegnen, auch ihn bekommen Sie von mir, wie Ihren Mann.« Hiervon verlor die üppige Frau endlich die Fassung. »Er ist doch nicht hier? Zurück mit dem Geld? Aber das haben Sie in der Roulette gewonnen.« Ratlos blieb sie stecken, die Torheit stand in ihrem schönen Gesicht, das niemals böse gewesen war. Für ihr eitles Vergnügen benutzte sie heute die gescheiterte Freundin, eine Gescheiterte trotz Geld, ohne Liebe.

»Ihr Fernand« – sie setzte sich nochmals, obwohl, wenn sie Platz nahm, konnte man ihre volle Figur noch immer für aufrecht ansehen, ihre Schenkel erhöhten sie, wie eine Anzahl gestopfter Kissen. »Ihr Fernand«, sprach die dünne Stimme eifervoll, »er ist derselbe, man erkennt ihn gleich.«

»Jeder?« fragte die Kobalt genannte, nach einer Pause des Atemschöpfens. – »Jeder«, bestätigte Reine oder die manchmal so hieß. »Wenn die Polizei keine Merkmale findet, wir Frauen kennen untrügliche.« – »Sie fallen dir verspätet ein, wenn es wahr wäre, was du andeutest, daß er mich damals mit dir, auch mit dir, betrogen hat.« – »Das wäre das wenigste«, bekannte die Üppige von der Höhe ihrer natürlichen Unterlage. »Die beiden Mappen sind es, er trägt sie kindisch wichtig umher, ein schlechter Schauspieler; derselbe in jung und schön gab mir deine Liebesbriefe zu lesen, damit Martell dich nicht heiratete. Tu ne l'as jamais soupçonné ce garçon?«

Die Gegnerin betrachtete sie, den ganzen Umfang; der Blick ließ wissen, daß es eine ganze Aufgabe war. »Wenn ich denken soll, bewundernswerte Reine, wie wenig fehlte, daß Martell an deiner Stelle mich bekam. Steht er geschäftlich so gut wie er sagt?« fragte sie. »Wird er nicht jetzt mein neues Vermögen heiraten wollen?« Plötzlich war es ihre tiefe Glockenstimme. Die andere erschrak über Gebühr, sie erklärte es. »Immer hast du stimmliche Effekte geliebt; du übertreibst sie, laß es, man fürchtet dich nicht.«

Kobalt lachte wie ein Kobold, niemand hat sie in dieser Art lachen gehört, oder es müßte zu anderen Zeiten gewesen sein, als auch ihr Name entstand. »Geliebte Reine, du meinst nicht meine Stimme. Du meinst seine Sorgen und mein Geld.« Schon während der Worte, bei dem Lachen allein, schnellte die schwere Gestalt vom Stuhl. Was ihr nicht einmal anzudichten gewesen, den Haß schien sie wahrhaftig zu lernen. »Ich trete ihn dir ab«, pfiff sie, »wenn dein Geld diesen Abend überdauert. Meine Hand darauf.« Aber Kobalt ließ die angebotene Hand unberührt, sie schüttete etwas Salz hinein, worauf die bitterböse Person, mit der Gebärde, ihr das Salz ins Gesicht zu werfen, den Platz räumte.

Kobalt oder Madame de Trône, wenn man die Verzehrer des kostenlosen Champagner hörte, begleitete sie eine Weile auf ihren Umwegen zwischen den Tischen, folgte mit den Augen der mancherseits Begehrten, die Anträge bekam, Hoffnungen ermutigte, aber ihren Mann befahl sie von weitem nach dem Ausgang in das innere Haus. Die Frau war, alles in allem, eine mittlere Erinnerung gewesen. Schade, jetzt gab sie sich eine vieldeutige Gegenwart: die Frau war nicht fertig, von ihr erwartete man Überraschungen.

Lydia bat um ein Glas Milch, die nächste Gelegenheit, nach ihrem Sekretär zu fragen. Der Kellner gab Auskunft wie für eine mächtige Autorität, genau, nichts Entbehrliches, alles wohlgesetzt: »Der Mann mit den zwei Mappen, der sie umherträgt mitten im Schwein ohne Groll? Jetzt tanzt er, aber nur wo das Gedränge dicht ist. Mit den Verkehrsdamen. His body-guards«, schloß der Mehrsprachige. »Bien. Vous pouvez disposer«, sagte sie, entsprechend seiner dienstlichen Haltung. »À vos ordres, Madame« – er entfernte sich rückwärts.


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