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Nachher: die Landstraße

Von oben aus dem Hause kommt Léon Jammes. Der Präsident, vielleicht der künftige Diktator, betritt den Garten unten, durch das offene Tor. Hinter ihm sind zwei Männer in Schwarz, mit steifen Deckeln und gebaut wie Kleiderschränke. Aber neben sich hat er einen vergleichsweise zarten Mann, obwohl untersetzt. Es ist der Kommissar aus dem Polizeirevier gleich drüben in der Straße. »Herr Kommissar, tun Sie Ihre Pflicht«, befiehlt der Gebieter. Vielmehr brüllt oder bellt er, gereizt von der Neuheit seiner souveränen Funktionen und der Unsicherheit, ob sie ihm zugestanden werden.

Der Funktionär, der es nach dem Gesetz ist, erhebt keinen Einwand, der andere ist, wenn illegal, doch gewaltig. Er erkundigt sich nur, was gemeint ist, als hätte er es auf dem Weg hierher weder erfahren noch begriffen. Die beiden Leibwächter sind in voller Kenntnis. Sie mustern wachsam die Front dort oben, damit der anempfohlene Gegenstand ihnen nicht entkommt. Schon machen sie Fäuste, das Opfer zu fangen. Der Kommissar weiß von nichts. Befehle erbittet er schriftlich. Übrigens wäre es gegen die Gewohnheit und Ordnung, eine Kranke aus dem Bett weg zu verhaften.

»Noch ein Wort und ich setze Sie ab«, bellt Monsieur Laplace de Revers. »Eigenhändig werden Sie die gefährliche Staatsverbrecherin hierher vor meine Füße bringen. Ich will es«, brüllt er, violett im Gesicht, das reichliche Gebiß weit auseinander wie beim Zahnarzt. »Sie wollen es«, hat jemand ihm nachgesprochen. Léon Jammes verläßt die deckenden Oleanderbüsche. Er hat sie geschickt für seinen Abstieg benutzt, die Umsicht der Leibwächter war vergebens. Jetzt sehen alle ihn auf zehn Schritte den Revolver erheben. Der Präsident und virtuelle Staatschef sieht ihn, er behält den Mund offen, da trifft der Schuß auch schon hinein.

Zwei Schritte macht er noch, die letzten seiner stockigen Schritte, die immer furchtbar streng gewirkt haben. Auf einmal fällt er in sich zusammen, liegt, bildet ein Häuflein, müßte niemals existiert haben, obwohl er gewaltig da war. Indessen, den vorwiegenden Eindruck macht die große Pünktlichkeit des Vorganges, auch die Haltung, in der Léon Jammes ihn bestimmt und begleitet: jedenfalls, ihm geschieht nichts. Die Kleiderkasten lockern die Fäuste, sie verständigen sich mit einem Heben der Schultern. Dies ist ein Eingeweihter; wo die wirkliche Macht jeden Augenblick zu suchen ist, weiß er. Eine gewohnte Autorität wird so leicht nicht angefochten, wenn eine angemaßte den Boden deckt. Nicht nur dies, der Polizeikommissar selbst erklärt sich; von dem Toten geht er zum Lebenden über. Tant pis pour lui, es kann ihn reuen.

Neben den Attentäter hin, beiläufig, scheinbar nicht für ihn, bemerkte der Kommissar: »Vertrackte Lage. Was tun?« – »Ihre Sache«, sagte Léon Jammes, aber den guten Willen erkannte er an. »Noch kann ich nicht fort.« – »Dann verhafte ich Sie?« – »Wie Sie wollen.« – »Oh! um Sie laufen zu lassen.« Achselzucken. »Wohin laufe ich?« Gelegen war an keiner Flucht, solange dort oben ein Leben, das ihm über seines ging, noch atmete. Noch war ihm verborgen, daß er selbst das Zeichen stillzustehen dem Atem gegeben hatte mit seinem Schuß. Oder der Atem erstarb, da ging seine Waffe von selbst los. Ein Aufschub, bis er davon wissen wird, ist ihm gegeben.

Inzwischen füllte sich der Garten, irgendwo war geschossen, wahrhaftig ist es hier. Leute von der Straße, Chauffeure, deren Wagen entlang der Gartenmauer hielten, sogar Fahrer, die vorbeikamen, natürlich auch das Volk aus den nächsten Häusern, der Apotheke, dem Weinwirt, nicht zu vergessen Kinder und Clochards, alle trafen den Weg. Polizeiagenten, die drüben im Kommissariat sich vorfanden, hatten geeilt, um einzuschreiten. Da ihr Chef zugegen war, sich untätig verhielt, ihnen sogar abwinkte, konnten sie höchstens vordrängen wie die Vagabunden und Kinder. Übrigens fragte niemand, die eingetretene Tatsache erwies sich nicht unerwartet. Bevor der Augenschein überzeugte, war man es schon. Das Häuflein am Boden wurde bis jetzt nicht deutlich unterschieden. Jemand stand davor.

Das war der politische Agent namens Fernand; ein Mord, auch ein sympathischer, war ihm wohl zuzutrauen. Er neigte sich, mit einer Genugtuung, die mancher teilte, über seinen Toten. In seiner Hand hing der Revolver, man würde schwören, daß er noch rauchte. Was die vergeblichen Leibwächter allenfalls hätten beobachten können: Fernand hatte dem Täter die Waffe abgenommen, Léon Jammes bemerkte es nicht. Denn gleichzeitig mußte er hören: »Sie ist tot.« – »Das ist eine Lüge«, sagte er mit einem Aufschluchzen, das sich nicht wiederholen wird. Er bekam ein Gesicht, verschlossen, finster wie vorher nie. Seine Hoffnungslosigkeit war vollendet. Zurück wünschte er den Augenblick, als er schoß.

Fernand erklärte ihm noch: »Madame Riquois ist bei ihr. Aus dem Fenster hat sie mir gemeldet: Tot. Womit nicht dieser uninteressante Tote gemeint war. Allerdings verschafft er einem von uns die Gelegenheit, mit der geliebten Frau zu verschwinden.« Worauf er die Rolle des Mörders an sich riß. »Unsinn«, bemerkte der Kommissar. – »Ce n'est pas moi qui vous ai joué la comédie«, erinnerte ihn Léon Jammes. »Eh! bien, Monsieur Amalric?« Der Genannte entschloß sich. »Wir gehen«, sprach er stark. »Je vous arrête.« Dies galt dem Falschen, dessen Schulter er berührte.

Die Menge war es zufrieden, sie machte Platz für den Abmarsch der Hauptpersonen. Nachhilfe wurde nicht benötigt. Die Polizeiagenten, froh, sich endlich zu betätigen, setzten wenigstens zwei Widerspenstige in Bewegung, die Leibwächter, die Einwände erhoben. So sei es nicht gewesen. »Ce n'était pas du tout ça. Nous devons le savoir.« – »Circulez«, befahl der Agent. Vertraulich riet er dem einen: »Ne faites donc pas l'imbécile. Eure Aussage macht ihr später.« – Der eine sah den anderen an. Sie gehorchten; der bewegte Zug unwissender Zuschauer nahm auch sie auf, mitsamt ihren Kenntnissen – die sie anfingen zu bezweifeln. Wenn ein Zeugnis nicht genehm ist, kann es damit nicht richtig sein.

Das Polizeiauto stand vor der Tür des Kommissariates. Monsieur Amalric hatte seine beiden Schutzbefohlenen einsteigen lassen. »Nach der Präfektur«, sagte er dem Fahrer, der hinter ihm stand: da erkannte er den Mann. »Vertugas«, ohne übertriebenes Erstaunen stellte er es fest. »Das konnte nicht ausbleiben. Mantel und Kappe sind aus Ihrer Garderobe?« – »Ihr Sekretär hat begriffen«, antwortete der gewählte Abgeordnete, der infolge ungesetzlichen Zwanges das Parlament verlassen hatte. Er konnte wiederkommen. Das Verschwinden des Präsidenten Laplace versprach Folgen, aber welche. »Auch ich habe begriffen«, gestand der Kommissar, womit dies erledigt war und beide ihre Sitze einnahmen.

Der Sekretär zeigte sich schließlich. Sogleich entschlossen waren wenige in dem ganzen Fall. Der Kommissar rief ihm zu, er möge sich um das Opfer bekümmern. »À vous la victime. Je m'occupe de l'assassin. Nach der Präfektur«, befahl er nochmals. Auf halbem Wege erst entschied er anders oder sprach aus, was er im Sinn hatte. »Nach dem Flugplatz.« Der Fahrer nickte nur. In der neuen Richtung erhöhte er die Geschwindigkeit. Léon Jammes sprach sein erstes Wort. »Ich bin einverstanden, nach Moskau zu fliegen.« Vertugas sah nach ihm um. »Sie wußten?« Die Antwort kam von dem Kommissar. »Natürlich wußten wir. Nur der Dilettant Laplace hat übersehen, daß ein Flugzeug eintreffen konnte, um seinen Mörder zu retten.«

»Der bin ich«, behauptete der bleiche Fernand. »Ich aber wünsche hier gerichtet zu werden. Nicht dort drüben, wo man mich als Verräter hängen würde. Was verrät einer nicht alles, wenn er genügend viele Epochen durchmacht und überlebt. Nur in Gedanken verraten, ist sogar schlimmer.« Sein verzerrter Mund sprach: »Kein Widerspruch? Alle bleiben hier.« Es war ein durchaus peinlicher Eindruck. Alle empfanden, daß weder Pflicht noch Glaube unzweideutig feststehen. Man geht durch ein verirrtes, verwirrtes Leben. Fraglich ist sogar die Schuld, vor allem die Schuld. Vertugas überwand den Eindruck. »Wir verreisen, ob es unsere Pflicht wäre oder nicht, zu bleiben, uns erschießen zu lassen, jeder in einem anderen Zusammenhang, aber nach Verdienst, wenn es das gibt.«

Léon Jammes sagte, über den Kommissar hinweg, für Fernand: »Das Flugzeug kommt weder meinet- noch Ihretwegen. Die Person, die es mitnehmen wollte, findet es nicht mehr.« Dies hatte als Wirkung, daß der gealterte Knabe auf seinen Knien die Hände verdrehte, bis sie zitterten und flogen: da fiel er jählings mit der Stirn hinein. »Dort oben liegt sie, für immer allein.« Zu verstehen war er kaum, auch will man ungern wissen um das Gewinsel der Verfehltheit und Selbstaufgabe. Monsieur Amalric erriet dennoch, was vorging. Den Gebrochenen ließ er beiseite. Die Gefaßten, wenn hier jemand gefaßt war, konnten befragt werden. »Warum, zum Teufel, wollte Laplace die Gräfin abholen?« Der Chauffeur antwortete über die Schulter: »Vielleicht war sie seine natürliche Tochter.« – »Sie könnte Ihre Mutter sein«, erwiderte der Kommissar.

Der Vertugas genannte sah nach Léon Jammes um, ob er nichts zu sagen habe. Dann ließ er selbst sich auf die Frage ein. »Sie kannten einer den anderen, zum mindesten sie ihn. Beide müssen an einem gleichen Platz intim gewesen sein.« – »In der Société Commerciale«, ergänzte der Kommissar. »Das heißt: auf seinem eigenen Boden griff sie ihn an. Der Direktor ist gestern nacht an die Front geflüchtet. Die Frau wird sterben. Der politische Vertraute des Präsidenten, Comte X alias Lehideux, konnte bisher weder dies noch das, puisque nous le tenons. Dergleichen erregt einen Diktator, da es ihn bloßstellt. Als er handelte, kann er nicht mehr geistig gesund gewesen sein.«

»Cher Monsieur, vous n'allez pas demander à un ambitieux d'être sain d'esprit. So wenig Sie von dieser Zeit verlangen, daß sie ihre zahlreichen Diktaturkandidaten entmutigt.« Der Abgeordnete erinnerte sich eines Kollegen, der täglich das kleine Café betrat, wo seine alten Kameraden noch immer saßen. »Er kannte sie nicht mehr, er kam, um zu telephonieren. Sie aber kannten ihn – zu sehr. Er hob sie auf, für später, wenn er die Macht hat, sie stillzumachen.« – »Sie sind ein Beobachter, Vertugas«, gab Amalric zu. »Indessen verschwendet Ihr Freund eine unverhältnismäßige Mühe. Ohne Gefahr ist sie auch nicht, wie Monsieur Laplace de Revers, zu spät für ihn, bemerkt haben wird.«

Hierüber schienen beide sich ausgesprochen zu haben. Léon Jammes aber hat nichts zu bemerken. Oder doch? Wer ihn beachtet, sieht die tote Maske von seinem Gesicht fallen. Es war belebt, gerötet gar, da begann er, mit Armbewegung, soweit der Raum sie zuließ. »Messieurs, tout en ayant raison, vous êtes loin d'avoir pénétré le fait réel. Sie wurde geliebt, von Zahllosen geliebt, wie seit gestern die Stadt weiß. Das allein ist unerträglich für jemand, der nur den Haß besitzt, um hochzukommen.« Hat der Sprecher geendet? Man wartet. Für sich, mit schwacher Stimme schließt er: »Sie wurde geliebt. Sie hat eine Nachwelt. Alles vergänglich, aber das zählt nicht. Hat sie selbst geliebt? Das zählt noch weniger.«

Jetzt war Fernand aus seinem Elend wieder da. »Sie ist eine Liebende«, bezeugte er. Seine Stimme war rein, und auch sein Herz. »Die unsterbliche Liebende«, beteuerte er seinem klopfenden Herzen. Der andere Mitreisende, ihr verspäteter Bewerber, schwieg. Er ließ dem Glücklichen sein Recht, seinen Besitz; er dachte: »Meine Leber hält zwei Monate. Sein Herz, zwei Jahre. Er ist fünfzig.«

Der Revolutionär und der Polizeibeamte erörterten ohne Umstände noch Unterschiede die Aussichten einer Diktatur. Die erste Bemerkung lautete: »Der gefallene Anwärter hätte besser getan, in Paris zu bleiben. Was alles er dort versäumt haben mag, um hier eine arme Frau zu verfolgen.« Zweite Bemerkung, diese vom Kommissar: »Der Mißerfolg war ihm hier wie dort gewiß. Dies Land hat die Diktaturen hinter sich.« Dritte, von Vertugas: »Es erleidet, wie jedes andere Land, eine übermächtige Industrie, was sie allesamt an das gleiche Ziel führt. Aber der vorderste Mitspieler darf kein Industrieller persönlich sein. Der Tote irrte. Für das öffentliche Schauspiel sind sie ungeeignet. Nicht schön genug, von Begabung zu schweigen. Begabung kann nur ein General entbehren: er ist Held und populär. Zuerst natürlich muß er verraten haben und sich schlagen lassen vom Feind. Dann die Gewaltherrschaft des Besiegten. Die militärische Niederlage ist der Pflanzboden der Gewalt, übrigens auch der militärische Sieg.«

Eine ganze Rede, vorgetragen mit der Unbefangenheit, die einer haben kann, wenn er davonfliegt und nicht bald wiederkommt. Wie immer es um ihn selbst stand, Léon Jammes war aufmerksam geworden. Er hatte nachgesehen: wirklich sprach Vertugas – der so bleiben kann. Hat er vom Synarchismus gehört? Kaum ausdrücklich. Sondern aus greifbaren Tatsachen, die er nur nicht verhindern kann, schließt er mit Sicherheit auf die unsichtbaren, die dasein und platzen müssen. »Eine Frage. Sie denken wiederzukommen?« – »Sie nicht?« Hierauf ließ sich schwer antworten. Vertugas hatte für ihn den Mut. »Sie kommen wieder. Seit heute sind Sie gezeichnet. Ihre Tat wird eingestanden werden, sobald Sie in Sicherheit sind. Sie werden historisch. Man ruft Sie beim Anbruch einer besseren Zukunft.«

Eine andere war damit entschlafen, die bessere Zukunft komme nicht für sie. Auch Léon Jammes hätte sich seinen Abschied gern erleichtert. Er wünschte die Welt wie sie ist, nicht nochmals zu verantworten, was der Handelnde doch immer tut. In diesem Augenblick wurde er gewahr, daß der kleine Polizeikommissar, mit Namen Amalric, kein subalternes Gesicht hatte. Die Züge sind wohl nicht ungewöhnlich, auch nur so scharf wie statthaft bei einem mittleren Funktionär. Dies wären vielleicht Augen eines Trinkers. Ebensogut wie vom Pernod, könnten sie heimlich funkeln, weil er gesehen hat, was er nicht sehen soll. Dieser Amalric, der gewagt hat einen Mord zu fälschen, begleitet nach dem Flugplatz drei Typen, die er sämtlich festhalten sollte. Wo liegt seine Stärke? Wer ist er? Léon Jammes wendete sich an Vertugas.

»Historisch, sagten Sie, Vertugas. Wenn es auf gewesene Größe ankäme, Monsieur Amalric hätte auf der Rangleiter nicht haltgemacht. Amalricus war ein König der Goten.« – »Mein Name ist alt«, bekräftigte überaus ernst der kleine Mann, spannte die Schultern, die ihm auf einmal nicht breit genug waren, sichtlich wollte er ein anderer sein. »Ein legendäres Alter, ich kontrolliere es nicht sehr weit zurück. Weit genug um zu wissen, woher ich komme.« Vertugas meinte: »Ich kenne meine Geschichte. Danach wäre Ihr Urgroßvater Marschall von Frankreich gewesen, aber Sie selbst sind Herzog.« – »Eben nicht«, sagte der Kommissar. Léon Jammes bemerkte, uralte Geschlechter mit mythischen Ahnen seien manchmal ganz ohne Aufsehen durch ein Jahrtausend gekommen. »Das war nichts für den Neuling Laplace«, setzte er hinzu.

»Ich dagegen werde ruhig im Bett sterben«, sagte Amalric. War er dessen so sicher? Die anderen schwiegen. Einzig Fernand ging auf die Frage ein. Er regte sich wieder. Eine Abart von guter Laune hatte ihn erfaßt. »Noch eher bin ich es, dem das Unwahrscheinliche zugedacht ist, ein sanfter Tod. Die Industriellen mit ihrer vollendeten Souveränität werden mich vergessen oder mich benutzen«, sprach er mit einer Fratze der Selbstverachtung, die infam gewesen wäre. Merkwürdig genug erregte sie Mitgefühl. »Die Industriellen sind älter als man denkt«, dies gab er noch zum besten. »Gleich nach Erschaffung der Welt beteiligte der Schöpfer den ersten Industriellen mit der Hälfte der Aktien. Vous voyez ça d'ici. Zwei Bedingungen. Erstens soll er beständig hintenherum herrschen. Vorne, immer Generäle und Schnorrer. Laplace wird einer der wenigen gewesen sein, das Gentleman's Agreement zu mißachten. Aber den Abschnitt zwei hält jeder ein: nichts, in alle Ewigkeit, darf verstaatlicht werden. Kein Knopf.«

Lachend erreichten sie den Flugplatz, stiegen aus, steuerten alle vier ohne Zeitverlust nach ihrem neuen Fahrzeug, wo sie erwartet wurden. Wer führte, war Amalric. Es fiel nicht auf, so selbstverständlich beherrschte er die nächsten Schritte und seine amtliche Autorität. Im Begriff, seine Mannschaft einzuschiffen, sah er sich gestört von einem aufgeregten Direktor, der telephoniert hatte. Er wünschte die Abfahrt zu verbieten. »Es ist etwas vorgefallen.« – »Ich bin der Kommissar.« – »Gerade darum.« – »Je vous arrête.« Kurz abgetan. Auf einen Wink des Kommissars bemächtigen zwei Agents sich des Mannes. »Surtout qu'on ne le laisse plus téléphoner« – war die letzte Empfehlung des Kommissars.

Léon Jammes und Vertugas hatten den Steig des Avion erstiegen. Sie standen droben mit Gesichtern, die ernst waren und die endgültig erschienen. Sie erwarteten nichts mehr. Beim Verlassen dieses Landes zählten sie für nichts, was sie erwartete. Fernand mußte aufgefordert werden, er blieb zurück. »Plus vite que ça, Camarade«, sagte Vertugas. – »Schließlich ist es nur ein Ausflug«, sagte Léon Jammes. Fernand rührte sich nicht, aber er sprach. »Mes chers Camarades. Qui m'aurait dit qu'avec vous deux je ferais le troisième larron. Der dritte Schächer – mit euch, so viel bin ich nicht wert. Wie ihr seid, gereicht ihr der Menschheit zur Ehre. Prenez mon hommage pour ce qu'il vaut. Fahrt ohne mich. Ich schulde mein Leben diesem Lande, als sein verlorener Sohn. Pour m'en persuader je n'ai qu'à fredonner quelques notes à moi connues.«

Womit er auch schon sang, abging und sang, Pavane pour une Princesse morte. Das Geräusch der Maschine, die sich erheben sollte, übertönte ihn, gleichwohl sang er noch von fern. Da er auch schluchzte, blieben entstellte Laute, ein armes Krähen blieb von Fernand zurück. Kommissar Amalric warf in das Flugzeug, als es schon über dem Boden hing, noch schnell einen Gegenstand. »Gardez cela pour vous« – grüßte, kehrte um. Die Abreisenden waren hoch genug, über den Platz hinaus ein Stück Gegend zu überblicken. Dort bewegte sich, mit geschlenkerten Hüften, mit Füßen, die schwierig zu setzen schienen, eine schon verkleinerte Gestalt. »Er hätte uns unterhalten. Wenn er auch nur ein Schauspieler zweiter Hand ist.« Dies kam von Vertugas. Léon Jammes ergänzte: »Aber man erkennt, wen er nachahmt. Schade um uns alle.«

Sie waren im Weiten, niemand beobachtete ihn. Er spielte für sich selbst. Der Wind wollte ihm den Hut forttragen, er machte mit ganzer Person den Mannequin, der seinen Hut einfängt. Die Hände angelten hilflos durch die Luft, der Körper folgte ihnen nicht schnell genug, vom unbesonnenen Eifer wurde der Rücken schmächtig. Zurück hielten ihn die Füße. Sie traten auf wie in schweren, zu großen Schuhen, obwohl mit dem Anspruch auf Anmut. Seines Hutes habhaft, eignete er sich überdies ein Stöckchen an, riß es vom Baum, grüßte damit einen Chauffeur, der seine Straße querte und ihm beinahe über die vorgeblich riesigen Füße gefahren wäre. »Bonne chance«, sagte Kommissar Amalric. Mehrmals sah er noch hin, wie die Gestalt sich dem Horizont entgegenarbeitete.

Amalric beschäftigte seinen Kopf, der nach allem Geschehenen schwerere Sorgen gehabt hätte, mit dem Gegenstand, den er in letzter Minute noch auf das Flugzeug geworfen hatte. Es war ein Buch gewesen, nur ein dünnes Heft, das Leben eines jetzt nicht genehmen Franzosen. Geschrieben hat es ein Fremder, um ihn steht es arg. Die eigenhändige Widmung des Autors an den sympathischen Kommissar machte das Maß voll: das Ding mußte verschwinden. Die Genugtuung bleibt dem Besitzer, daß er es nicht verbrannt hat. Das Buch existiert, die Reisenden werden es lesen. Das kann er seinem Sohn sagen.

Der geistig lebensvolle Sohn ist sein Gewissen. Um des Sohnes willen bemerkt er in seinem Beruf, was nicht sein darf. Zuweilen korrigiert er es, wie heute geschehen. Amalric gehorcht nicht immer der Welt: manchmal der Literatur. Auch seinem stolzen Namen. Daß er nur aus der Sache käme! Daß er der Ruh und Sicherheit, die ihm wohl anstehen, entgegenführe!


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