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3.

Der kurze und unvollständige Bericht des Wachtmeisters Groterjahn war abgegangen und wurde weitergeschoben, immer weiter und weiter nach oben, bis dahin, wo es nicht mehr weiterging.

Dort, an höchster Stelle, traf er so ziemlich zu gleicher Zeit mit dem Urlaubsgesuch ein. Man war wenig erfreut und wußte im ersten Moment nicht recht, was man mit beiden – in ihrer Verbindung – machen sollte. Nur Staatsanwalt Sierlin selbst konnte Licht in diese unaufgeklärte Affäre bringen. Aber Staatsanwalt Sierlin war krank, schwer krank, und nach dem ärztlichen Attest einer ersten Autorität war man nicht sicher, ob eine Vernehmung ratsam und zweckmäßig war – sein Gesundheits- oder besser gesagt: sein Gemütszustand konnte sich bei einer solchen, nicht sehr vorsichtig gerührten, erheblich verschlimmern und von verhängnisvollen Folgen sein.

Man sah sich daher zunächst einmal anderweitig um, und die Wahl fiel auf den Untersuchungsrichter Dr. von Wolfradt. Der, Weltmann vom Scheitel bis zur Sohle, zugleich einer der fähigsten unter den jüngeren Köpfen, genoß den Ruf einer absoluten Diskretion. Er war ferner dafür bekannt, aus den Angeklagten herauszukriegen, was irgend herauszukriegen war. Zudem verkehrte er in denselben gesellschaftlichen Kreisen wie der so plötzlich und so schwer Erkrankte. Er wurde beschieden. Die Unterredung wäre ernst und endete in vollkommener Übereinstimmung: diese rätselhafte und höchstpeinliche Affäre mußte unbedingt in aller Stille erledigt werden.

Dr. von Wolfradt überlegte lange und reiflich. Er hätte persönlich den Staatsanwalt aufsuchen können. Aber der befand sich im Urlaub und war bei seiner Krankheit wohl einer rein persönlichen Aussprache kaum zugänglich oder gewachsen.

Es war besser, erst unter der Hand einige Erkundigungen einzuziehen. Er sah sich um. Wen kannte er als seinen Freund? – Sie hatten eine Menge gemeinsame Bekannte. Aber Freunde ? – Er kannte eigentlich nur einen. Selbst ehemaliger Korpsier, wußte er natürlich, daß Justizrat Eberhardt sein Leibbursch gewesen war. Ein solches Verhältnis blieb durch ein Leben in seinen Wirkungen bestehen.

Er kannte natürlich den Justizrat. (Wer kannte den jovialen Herrn nicht?)

Er suchte ihn auf und wußte nach den ersten Worten, daß er an die einzig richtige Quelle gekommen war. Sein vielgerühmter Instinkt hatte ihn wieder einmal gut geleitet.

Nicht, daß Justizrat Eberhardt erfreut gewesen wäre, nun abermals, zum dritten Male, von dieser Geschichte zu hören. Sie war einfach degoutabel. (Soweit war es also jetzt schon gekommen: eine Rauferei auf offener Straße, wie unter Gassenjungen.)

Aber er gab – nun seiner Diskretion entbunden – schon im Interesse der Standesehre in einem kurzen Bild die erbetenen Auskünfte (soweit er es für gut befand, sie zu geben).

Dr. von Wolfradt machte sich Notizen und bedauerte nur, daß sie so dürftig waren. Er wurde kaum klüger aus dem, was er hörte.

Man schied auch hier in vollem Einverständnis – die Sache mußte vertuscht werden, so gut oder so schlecht wie es eben ging.

Das würde zu machen sein, wenn der Überfallene – Justizrat Eberhardt zweifelte keinen Augenblick, daß dessen Darstellung richtig war – seinerseits keinen Strafantrag stellte, wozu er berechtigt war.

(Und wenn mein alter Sierlin, der verdammte Narr, keine neuen Dummheiten macht, fügte er in Gedanken bei sich hinzu.)

Dr. von Wolfradt hatte nur noch eine Frage:

»Aber was will dieser Mensch? – Was bezwecke er?«

Der Gefragte lächelte und dachte weiter: Das sollst du eben herausfinden ...

Laut aber sagte er, während er seinem eleganten Besucher freundschaftlich die Hand zum Abschied drückte:

»Mein lieber Doktor, wer das wüßte! – Ich sage Ihnen nur so viel: verrückt ist dieser junge Mensch nicht, und wenn Sie glauben, mit ihm so leicht fertig zu werden, dürften Sie sich gewaltig irren!«

Dr. von Wolfradt lächelte überlegen zurück – siegesbewußt.

Er würde mit ihm fertig werden. Er war schon mit ganz anderen Leuten fertig geworden. Zudem war seine Neugierde auf das höchste gereizt.

Er wollte diesen merkwürdigen jungen Menschen vorladen.


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