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3.

Es war, als wisse der andere um seine Absicht. Denn Staatsanwalt Sierlin sah ihn nie mehr: weder in der Nähe seines Hauses noch in der des Gerichtes; weder im Café noch bei seinen Heimfahrten. Und doch fühlte er deutlicher als zuvor, daß er noch immer hinter ihm her und ihm auf den Fersen war.

Nicht daß er ihn deutlich und erkennbar jetzt noch sah. Aber irgendwo – in der Ferne – tauchte er auf und verschwand dann wieder. Der eben aus der Straßenbahn gestiegen und an ihm vorbeigegangen war – war er es nicht gewesen ? – Der Schatten, der um die Ecke bog, dieser Schatten eines Menschen, von dem er nur noch den Rücken sah – das war doch wieder er? – Eines späten Abends bei der Heimkehr vom Stammtisch – er konnte sich doch nicht täuschen in der Person, die wartend im halben Dunkel drüben stand und verschwunden war, als er sie näher ins Auge fassen wollte ? – Er wußte nicht mehr, was er denken sollte. Er wollte zugreifen und griff ins Leere: Schatten ...

Eines Tages ließ er Brendicke zu sich bescheiden. Brendicke, Gerichtsbote seit undenklichen Zeiten, war ein alter Filou. Allgemein als ein höchst gewitzigter und geriebener Bursche bekannt (obwohl er mit seiner roten Nase und seinem behäbigen Bäuchlein ganz harmlos aussah), war er ebenso allgemein bei den Herren vom Gericht als durchaus diskret bekannt. Er war unterwürfig und immer dabei, wenn es nebenher etwas zu verdienen gab. Quartalsäufer, aber brauchbar im Dienst.

Brendicke erschien.

»Hören Sie mal, Brendicke,« wurde er instruiert, »es ist da ein gewisser Adolf Braun, Kaufmann, zurzeit aber wohl stellungslos; dann und dann, da und da geboren – Sie haben sich's aufgeschrieben? – Gut ... Stellen Sie doch mal fest, ob der Betreffende gemeldet ist und wo er wohnt ... Suchen Sie in Erfahrung zu bringen ...

Staatsanwalt Sierlin brauchte den Satz nicht zu beenden. Brendicke wußte genug.

An seinem nächsten freien Nachmittag machte er sich auf die Beine, fuhr zum Einwohnermeldeamt und stellte fest, daß Adolf Braun, Kaufmann usw., ordnungsgemäß gemeldet war und dort und dort wohnte (ziemlich im Norden). Eine Stunde später stand er vor seiner Tür. Eine alte Frau öffnete. Brendicke fragte, ob hier wohl noch ein Zimmer zu vermieten sei. Nein, sie habe nur ein Zimmer und das sei vermietet. Schade! – Und es würde wohl auch nicht so bald frei werden. – Mieter blieben ja oft nicht lange wohnen, sondern zögen weiter ...

Ja, aber der ihre nicht.

Nun hatte er die alte Frau dort, wohin er sie bringen wollte – bei ihrem Mieter. Froh, ihr übervolles Herz ausschütten zu können, begann sie sein Loblied in allen Tönen zu singen.

Was er sich denke – ihr Mieter und von ihr fortziehen? – Ein so solider, feiner, junger Herr? – Jeden Abend spätestens zehn zu Hause, nie Besuch, auch nicht von die Damens; und jeden Ersten die Miete auf dem Tisch! ...

Sie stieß die Tür zu seinem Zimmer auf: ein einfaches, aber bis ins kleinste sauber gehaltenes Zimmer – Bett, Tisch, Schrank, ein alter Lehnstuhl und ein Tisch mit Schreibzeug und Büchern.

Dann aber wurde sie mißtrauisch, bereute schon, zuviel gesagt zu haben, und schob den Fremden hinaus: »Sehn Se mal unten bei Plünneckes zu, vielleicht haben die was frei ...«

Das tat Brendicke nun zwar nicht, sondern fuhr sofort zurück und erstattete Bericht.

Zu seinem Erstaunen schien man nicht besonders erfreut zu sein über die guten Nachrichten, die er doch brachte. Aber das Dreimarkstück, das ihm in die Hand gedrückt wurde, nahm er als ehrlich verdient entgegen.


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