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5.

Der Herbst war ungewöhnlich schön und trocken. Man konnte noch gut im Freien sitzen.

Staatsanwalt Sierlin machte mit seiner Familie an einem Sonntagnachmittag einen Ausflug. In einem dicht von Gästen besetzten Kaffeegarten fanden sie noch einen Tisch. Wie er sich umsah, sah er »ihn« an einem anderen im Gespräch mit den dort Sitzenden. Er hatte Mühe, die Knaben abzulenken, daß sie nicht hinsahen. Als er unter irgendeinem Vorwand aufstand, war der fort, den er suchte. Nachgehen? – Wohin?! – Aber am Abend, bei der Heimkehr, auf dem Bahnsteig ihres Vorortbahnhofs, als sie eben ihren Zug verließen, sah er ihn, gerade als er wieder abfuhr, in dasselbe Abteil steigen, das er soeben mit den Seinen verlassen hatte. Nachspringen? – Alle stehen lassen? – Zu spät! –

Er war mit seiner Frau in einem Konzert gewesen. Als er es verließ und eben einer Droschke winkte (denn es begann zu regnen und seine Frau fürchtete für ihr Kleid), wurde sie von einem jungen Menschen bestiegen, der in ihr vor seiner Nase fortfuhr.

Alle vierzehn Tage hatte er einen Stammtisch in dem Hinterzimmer eines größeren Restaurants. Als er das vordere betrat, glaubte er – er war nicht allein, sondern die anderen Herren hatten sich bereits zu ihm gesellt – ihn an einem Tisch sitzen zu sehen. Er kam zurück. Der Platz war leer.

Es war immer zu spät. So oft er auch versuchte, ihn zu stellen – immer verbot es die Gelegenheit oder er war fort ... verschwunden ... wie in den Erdboden versunken ...

Aber es hörte und hörte nicht auf. Er wußte nie, ob und wann er ihn traf. Er war nie sicher, ihn nicht zu treffen.

Dieser Mensch besaß eine Zähigkeit, eine Unermüdlichkeit, eine Ausdauer, die alles übertraf! –

Staatsanwalt Sierlin begann etwas von der Größe des Hasses zu begreifen, der ihn verfolgte, wenn er auch noch immer keine Ahnung davon hatte, worauf dieser Haß hinauswollte.

Er kämpfte zwischen Arger und Wut, so oft er ihn sah (oder glaubte, ihn gesehen zu haben), und wieder stieg zuweilen dies verdammte Gefühl in ihm auf, das richtig zu benennen er noch immer sich scheute.


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