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5.

Staatsanwalt Egon Sierlin, jetzt in der Mitte der Vierziger, hatte bei vielen, meist jüngeren, jetzt in alle Welt verstreuten Geschwistern eine unfrohe Jugend hinter sich, die eine verspätete zweite Heirat seines harten Vaters nicht sonniger gestaltete.

Obwohl nur mäßig begabt, nahm er doch seinen Weg: durch nur halb genossene Studien- und arbeitsreiche Referendar- und Assessoren-Jahre, durch alle – mehr oder weniger genügend – bestandenen Examina, bis er sich zu seiner jetzigen Stellung als zweiter Staatsanwalt an einem der Landgerichte der Hauptstadt emporgeschwungen.

Sobald es möglich gewesen war, hatte er geheiratet nach kurzer Bekanntschaft und ohne Liebe (deren er auch wohl kaum fähig war) und ganz in herkömmlichem Gleise. Mit dem zugetragenen Vermögen seiner unbedeutenden, aber gutmütigen Frau hatte er sich dann das Haus in dem Villenvorort erworben, und sein Gehalt ermöglichte ihm und den Seinen jetzt eine auskömmliche und sorgenfreie Lebensweise. In seiner Ehe war er weder glücklich noch unglücklich. Die Erziehung seiner Kinder war bei seinen Anschauungen nicht immer ganz so leicht, wie er sie sich gedacht – auch eine Begleiterscheinung dieser verderbten Zeit, in der nichts mehr heilig war.

Denn seine Anschauungen waren es, die ihn im Grunde so weit geführt: sie waren es, die ihn, trotz verhältnismäßig geringem Wechsel, als Student in das Korps geführt, dem er heute als Alter Herr angehörte; die ihn die mancherlei Demütigungen während jener Jahre ertragen und über sie hinwegsehen ließen; die sein Rückgrat immer wieder stärkten und in denen er allein die wahre Befriedigung seines Geistes fand. Sie waren angeboren, festgewurzelt und in jeder Lebenslage hochgehalten – ein Zweifel an ihrer Gottgewolltheit wäre ihm als ein Verbrechen erschienen. Nie war ihm je ein solcher auch nur gekommen.

Er war groß, kräftig, von gesunder Farbe des Gesichts, in dem die Narben der Mensuren des einst gefürchteten Schlägers ihre scharfen Spuren hinterlassen. Seine Stimme, so oft öffentlich gehört, hatte einen etwas schnarrenden Ton; seine Haltung war unerschütterlich; und sein Benehmen nie anders als absolut korrekt. Er kannte die Gesetze der Gesellschaft wie die des Staates, dessen Anwalt er war, und befolgte beide, die geschriebenen wie die ungeschriebenen, peinlich.

In seinen Kreisen war er wenig beliebt. Andere betrat er nicht. In seinem Beruf gefürchtet, hatte er eigentlich kaum Freunde. Man nannte ihn, nicht ohne Unrecht, einen blutigen Streber, und er wußte, daß man ihn so nannte. Aber die hatten gut reden – sie waren in der Wahl ihrer Eltern vorsichtiger als er gewesen.

Daß er ehrgeizig, ehrgeizig über alle Maßen war, daran war nicht zu zweifeln. Er wollte es sein. Sein Ehrgeiz sollte ihn noch weit höher tragen.

Er glaubte allen Grund zu haben, mit sich zufrieden zu sein; und wenn er es nicht immer war, so deshalb allein, weil ihn dieser sein Ehrgeiz, seiner Ansicht nach, nicht schnell genug nach oben trug. Sein Ziel war eine Stellung am Reichsgericht in Leipzig. Daß dazu seine Begabung doch wohl nicht reichte – sein Fleiß stand über jedem Zweifel –, sagte ihm seine innere Stimme nicht immer mit der nötigen Deutlichkeit.

Sie hätte sonst doch wohl bisweilen einen Tropfen Bitterkeit in sein sonst so zufriedenes und von manchem Kollegen beneidetes Leben geträufelt.


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