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VII. Tischreden D. Mart. Luthers von der Sünde

 

Wie man der Sünde los werde.

Da einer fragte, wie man ihm doch mit den Sünden thun soll, nicht allein mit den Sünden anderer Leute, sondern vielmehr mit unsern eigenen Sünden, wie man ihrer soll los werden? sprach D. Martin: »Darauf gibt S. Paulus diese Antwort: Wir sollen getrost sein und nur nicht zweifeln, es sei ein Mann, der heiße Jesus Christus, welcher sich selber dafür gegeben hat, Gal. I. (V. 4), nämlich daß unsre Sünden durch sonst kein ander Mittel oder Weise konnten getilget werden, denn daß Gottes Sohn sich selber dafür opfere.

Mit solchen Karthaunen, Nothschlangen, Häuptstücken, Büchsen und gewaltigen Kriegsrüstungen muß das heillose Papstthum gestürmet und allerlei vermeinte Religion, Abgötterei, Werk und Verdienst zu Grunde und Boden gehen und umgekehret werden. Denn wo unsere Sünden durch unser eigene Werk, Verdienst und Genugthuung getilget könnten werden, Lieber, was wäre doch von Nöthen gewest, daß Gottes Sohn sich selber dafür gegeben hätte? Weil er sich aber dafür gegeben hat, werden freilich wir sie mit unsern Werken wohl ungetilget lassen.«

 

Der Gottlosen Fall, und wie sie in ihrem gottlosen Wesen und falscher Lehre ergriffen werden.

»Unser Herr Gott läßt die Gottlosen gefangen werden und ergriffen in gar schlechten geringen Sachen, da sie es nicht gemeint noch gedacht haben, wenn sie am allersichersten sind und in allen Sprüngen, Freuden und gutem Frieden leben. Also hat er den Papst durch mich gefangen im Ablaß, das gar ein schlecht Ding war; die Venediger durch Kaiser Maximilian.« Und sprach weiter: »Was im Himmel fällt, das ist teuflisch; was auf Erden strauchelt, das ist menschlich.«

 

Was zu der brüderlichen Vergebung gehöre.

»Zu der brüderlichen Vergebung gehört auch, daß der Bruder, dem ich vergeben soll, seine Fehle bekenne; denn die Sünde, welche nicht bekannt wird, kann ich nicht vergeben. Wo der Bruder nun fortfähret, mir Leides zu thun, und von Tag zu Tag ärger wird; so soll ichs wohl leiden, aber ich soll nicht die Absolution drüber sprechen, sondern soll ihm sein Gewissen beschweren und sagen: Bruder, so und so hast du wider mich gesündiget, du sollt wissen, daß du mir Unrecht gethan hast. Verachtet ers und lachet, so soll ichs wohl leiden, aber ich kanns ihm nicht vergeben, weil ers nicht will für Sünde erkennen. Wenn ers aber von Herzen erkennet und spricht: Bruder, ich hab wider dich gesündiget, ich bitte dich, du wollest mirs vergeben, so sollt du sprechen: Lieber Bruder, von Herzen gerne.«

 

Christus vergibt rechtschaffene Sünde.

»Da ich ein Mönch war, schreib ich Doctor Staupitzen oft, und ein Mal schreib ich ihm: O meine Sünde, Sünde, Sünde! Darauf gab er mir diese Antwort: Du willt ohne Sünde sein, und hast doch keine rechte Sünde; Christus ist die Vergebung rechtschaffner Sünde, als die Aeltern ermorden, öffentlich lästern, Gott verachten, die Ehe brechen usw., das sind die rechten Sünde. Du mußt ein Register haben, darinne rechtschaffene Sünde stehen, soll Christus dir helfen; mußt nicht mit solchem Humpelwerk und Puppensünden umgehen und aus einem jeglichen Bombart eine Sünde machen!«

 

Vergebung der Sünde ist in allen Ständen und Aemtern.

Doctor Luther sagte einmal: »Den Artikel von der Vergebung der Sünde hätte Gott in alle Creaturen gesteckt. Denn die, so in der Obrigkeit und in öffentlichen Aemtern wären, müßten alle der Vergebung der Sünden gebrauchen. Ein Bürgermeister in der Stadt, Vater und Mutter, Herren und Frauen; item Handwerksleute, wenn's nicht wider Gott und gar zu groß ist, müssen gegen Bürger, Kinder, Gesinde und Handwerksgesellen zuweilen durch die Finger sehen. Und wo die Vergebung der Sünde nicht ist und man wills Alles schnurgleich haben, da ist weder Friede noch Ruhe. Und wo einer will haben summum ius, das schärfste Recht, da folget oft summa iniuria, daß Alles darüber zu Trümmern geht. So treffen die es auch nicht allewege, die in Aemtern sind, sondern sie irren und sündigen vielmals und thun Unrecht, und müssen um Vergebung der Sünden bitten.«

 

Vergebung der Sünde muß über alles durchaus gehen.

»Das Gesetz macht in keinem Stande oder Kunst gerecht; ist unmöglich, daß Alles schnurgleich nach dem Gesetz gehen und geschehen könnte. Wie wir auch in der Kinder-Kunst, so man in Schulen lehret, der Grammatica, sehen; da ist keine Regel so gemeine und schnurgleich, die nicht ihre Auszüge hat. Darum ist Vergebung der Sünden durchs ganze Leben in allen Händeln, Werken und Künsten allenthalben ausgestreuet und gesetzt. Denn daß ein Poema und Gedicht oder Lied von gemeinen Regeln ausgenommen und nicht stracks wie sonst ein andere schlechte Rede gestellt wird, das ist Vergebung der Sünden.

Das man heißt punctum mathematicum, das untheilbar und schnurgleich sei, also daß es auch am allerkleinsten und geringsten Pünctlein nicht fehle, dasselbige ist unmöglich zu finden; wie man auch die Gerechtigkeit, so das Gesetz erfodert, nirgend nicht finden kann. Das physicum punctum aber, wie mans nennet in Schulen, daß nicht so genau und schnurgleich Alles zugehet und geschieht, ist Vergebung der Sünde, da man muß Geduld haben, da es nicht also allenthalben gehet, wie es wohl sein sollte.

Wiewohl aber dasselbige Pünctlein, das sie mathematicum heißen, nirgend zu finden ist, doch muß man nach dem Zweck und Ziele schießen, so viel es möglich ist, man triffts doch nicht und kömmet noch weit genug davon. Es will gleichwohl heißen, man muß bisweilen durch die Finger sehen, hören und nicht hören, sehen und nicht sehen. Also sagt ich neulich M. S., daß er seinem Schösser sollte sagen, er sollt das punctum physicum lernen und Geduld haben, es werde doch aus dem mathematico puncto nichts, daß es Alles sollte schnurgleich zugehen und wie man spricht: Man kanns nicht Alles zu Bolzen drehen.«

 

Von der Erbsünde.

Zu Eisleben sagete D. Martinus Luther zu Doctor Jonas, als ein Balbirer ihm die Hare abschnitt und den Bart abnahm, »daß die Erbsünde im Menschen wäre gleich wie eines Mannes Bart, welcher, ob er wohl heute abgeschnitten würde, daß einer gar glatt ums Maul wäre, dennoch wüchse ihm der Bart des Morgens wieder. Solches Wachsen der Hare und des Barts hörete nicht auf, dieweil ein Mensch lebete; wenn man aber mit der Schaufel zuschlägt, so hörets auf. Also bleibet die Erbsünde auch in uns und reget sich, dieweil wir leben; aber man muß ihr widerstehen und solche Hare immerdar abschneiden.«

 

Von einem bösen Gewissen.

Doctor Martinus Luther sagete ein Mal über Tische, »daß es ein zart schwach Ding wäre um ein böses Gewissen, denn es könne sich nicht bergen. Wie auch die Heiden darvon gesaget haben: Conscia mens pravi de se putat omnia dici. Und erzählete Doctor Luther drauf diesen Possen: Es wäre einer in eine Herberge eingekehret und darinnen übernachten wollen, der hatte gerne pflegen zu stehlen. Wie nun der Gast und Wirth zu Tisch sitzen, da fänget das Licht an zu rinnen, denn ein Knoten im Docht gewesen war. Da weiset der Wirth mit der Hand aufs Licht, und schreiet: ein Dieb, Dieb. Der Gast, so ein Dieb war, springt vom Tisch herfür, nimmt sich der Wort an und wollt den Wirth schlagen. Dahin trieb ihn sein Gewissen; denn wäre er kein Dieb gewesen, so hätte er sich an diese Wort nicht gekehret.«

Item er sagete: »Es wäre ein Prediger gewesen, der hätte auf der Kanzel die Ehebrecher übel gescholten, und gesaget: Ich hab nun lange mit Worten die Ehebrecher gestraft, jetzt will ich sie auch mit der That strafen; denn ich weiß einen Ehebrecher unter diesem Haufen meiner Zuhörer und ich sehe ihn vor meinen Augen, und kenne ihn so eben, daß ich ihn auch mit diesem Steine treffen will. Und hub den Stein auf und stellte sich, als wollt er nach dem Ehebrecher werfen. Da standen ihrer einer oder zwanzig drunten unter der Kanzel, die duckten sich Alle, und fürchtete ein jeder, er würde auf ihn werfen, und wollten aus der Kirchen laufen. Da sagte der Pfarrherr: Ich meinete, es wäre nur einer ein Ehebrecher unter euch, so sollt ihr wohl alle Ehebrecher sein! Das thut Conscientia!« Und sagte drauf den Possen mit der Frauen, die da hatte die Bürste gestohlen: wo sie sahe andere Frauen mit einander reden, so gedachte sie nicht anders, denn man redete von ihrer gestohlenen Bürsten usw.

 

Von einem zarten Gewissen.

»Ich halte, wenn die Apostel hätten zu einer solchen Zeit sollen leben, als wir jetzt, da die Sünde und Laster Alles überschwangen, sie hätten viel zu zarte Gewissen gehabt, sie hättens nicht können leiden. Wir aber haben Bärenhäute, Wildschweinshäute; wir fühlens so hart nicht! Wer drum ein hartes Häutchen hat über seinem Herzen, dem möcht es wohl zerbrechen. Wohlan, wir mögen wohl beten und fromm werden.«


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