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Neunundzwanzigstes Kapitel

Als Eduard von der verregneten Leichenfeier ins Schloß zurückfuhr, in der Ecke des geschlossenen Wagens, nahm er den Tschako ab und fuhr glättend über den Scheitel. – War nicht übermäßig schlimm, dachte er. Hatte mir diese Schaustellerei eigentlich gräßlicher vorgestellt. Schließlich ist's doch nur wie Parade, und bißchen begaffter wie Kaisers Geburtstag … Bloß die Fahrerei hinaus war horribel. Enfin, der alte Öhlke hat ganz vernünftig geredet, bißchen lang, aber ohne viel Schwindel. Stefan ist eher zu kurz gekommen, war doch eine Art Herzensmensch! Was wird nur aus seiner langen Geigerin? War nicht zuletzt auch ein Kind da? … Mathilde scheint gar enttäuscht, sogar der Versuch, publice zu schluchzen, mißlang. Dazu heiratet man diesen Heinrich, lust- und kinderloses Bett, damit dann vierzigjährige apanagierte Witwenschaft folgt statt Regiererei? Arme Familie. Wenn wir's hätten, meinetwegen könnte sie kriegen, was sie für zweite Ehe brauchte! … Papa ist allerdings für Sparen. Hat ganz recht. Schließlich tragen's doch irgendwo die Leute … Nein! Nichts einreden. Veränderung ist zu deutlich. Gut, daß er sich schließlich bereden ließ, zu Haus zu bleiben, bei dem Wetter! Letztes Mal, das war doch schon März? Vor sechs Wochen oder sieben, wie wir Untern Linden speisten, und er war extra rübergekommen, mich zur Räson zu bringen. Wie rührend ihm so was mißlingt! Kann einfach nicht befehlen, wo er liebt. Hätten wir hier auch diese großmäuligen Epitheta wie in Berlin, den würde man den Gütigen nennen! Blauer Abgrund, diese Augen, wie wenn man in den Himmel reitet …

Der Wagen und die ihm folgten, hatten die inneren Straßen des Städtchens erreicht, deren breite Einstöckigkeit die Wagen allen Fensterblicken aussetzte, und so setzte Eduard den Tschako wieder auf, rückte sich grade, raffte das düster entschlossene Gesicht auf, das die Leute nach dem Begräbnis vom Thronfolger erwarten dürften, fing an zu grüßen und versuchte den Ausdruck der Leute zu studieren, soweit es die heroische Gemessenheit seinem Blicke erlaubte, die er in völlig hergestelltem ironischen Gleichgewichte kundgab.

– Breite Köpfe, dachte er, mehr platt als hoch, mitteldeutsch bockig, Mißtrauen nur langsam weichend. Und doch so schwer movibel, weil dynastisch bis zum Irrsinn! … Dauernd diese edle Schloßstraße? Zum Auswachsen! Drei Monat Urlaub jedes Jahr, sonst nehm' ich meinen Abschied, wie Wilhelm so hübsch zu Bismarck sagte … Da steht schon der gute Tauernheim im Portale! Schluß. Abstellen. Geschäfte.

»Seine Durchlaucht erwarten Eure Durchlaucht im blauen Arbeitszimmer.«

»Wo ist der Professor?«

»Er wartet nebenan.«

Als Eduard im Vorzimmer eintrat, drückte er den alten Arzt in seinen Sessel zurück, warf sich selbst in einen andern, stellte den Tschako ab, pustete etwas, zog eine Zigarette hervor.

»Bis auf den Regen alles glatt gegangen.«

»Leider hielt mich der Dienst ab,« sagte der Arzt, »den durchlauchtigsten Prinzen das letzte Geleite …«

»Nichts versäumt, lieber Professor. Und nun – sind wir solo? Tür zu oder bloß angelehnt?« Er stand auf, untersuchte die Türen, setzte sich wieder. »Sie lächeln. Aber da ist so ein langer schwarzer Paul oder Max, der taucht immer plötzlich mit Sherry auf, wie die Erda im Siegfried. Na. Und nun, da das Unglück leider geschehn und absolut nichts mehr zu machen ist, richte ich an Sie die scheußliche Frage, die ich hoffte, zwei Brüdern überlassen zu können.«

Aus den klugen überbrillten Augen blickte ihn der Arzt ernsthaft, sachlich an:

»Leider finde ich den Verfall rapide. Dem verewigten Prinzen habe ich es schon im März gesagt, er sollte sich vorbereiten. Nun, in der schrecklichen Nacht, vorigen Sonntag, gab es einen neuen Anfall, der sich erst nach zwei Kampfer- und einer Morphiumspritze besänftigte. Morgens wieder stark Eiweiß, wie immer nach Aufregungen. Pulsschlag intermittierend beim sechsten, siebenten. Subjektiv Rückgang der Arbeitslust. Dazu zweiundsiebzig Jahre. Ich bitte Eure Durchlaucht, jeden Tag als ein Geschenk zu betrachten.«

Eduard stand auf, warf die Zigarette in den Kamin, trat zum Fenster, er dachte:

– Hab' ich das nicht alles mal gelesen? Erbprinz als Husar, klirrend, kommt von Leichenfeier, kann Vaters Tod nicht erwarten? Gott! Was schenkte ich diesem Manne, wenn er mit seinem Kopfe meinem Vater noch ein Jahrzehnt – nur noch drei Jahre verbürgte! – Aber er sagte: »Vielen Dank. Ich gehe hinein.« An der Tür drehte er sich um und fragte, wie zufällig: »Alles Erregende also vermeiden, wie?«

»Ich muß sogar bitten, die auswärtigen Herrschaften nicht mehr vor der Abreise einzulassen.« –

Verfallen saß in seinem altmodischen Waffenrock der alte Fürst im trüben Lichte des großen Raumes vor seinem Schreibtisch, an dem er mehr als zwanzig Jahre lang gesessen. Die Eleganz des Rittmeisters gefiel ihm an dem Eintretenden und fiel ihm eigentlich auf, denn seinen jüngsten Sohn konnte er nie bewegen, Uniform zu tragen, wenn es der Anlaß nicht unbedingt befahl.

– Eigentlich ist er schneidiger, als er's wahr haben möchte, dachte der Fürst, als sich Eduard zu ihm niederbeugte, um ihm die Stirn zu küssen.

– Schöne Stirn, dachte Eduard, gebogen und gefurcht wie eine edle Kalville.«

»Nun?« fragte der Vater. »War alles würdig? Wie hat sich Adalbert gehalten?«

Eduard erstattete Bericht.

»Er ist also nicht als erster an die Gruft getreten,« konstatierte nochmals der Vater. »Wäre noch schöner. Was dieses Berliner Marschallamt sich manchmal leistet! Und Mathilde?«

»Tränenlos.«

»Mein Gott, ich hab' ihn nicht zu dieser Ehe gezwungen. Tauernheim behauptete immer, es würde sänftigend wirken, drüben. Mag sein. Aber ich bin gegen Cousinenheiraten, wo Kinderlosigkeit am Ende noch besser ist als Cretins. Ich dachte mir immer, macht's Heinrich nicht, dann wird Stefan für Nachwuchs sorgen. Nun ist das alles passé. Nur gut, daß das eure Mutter nicht mehr gesehn hat. Ach Eduard, ich bin sehr müde. Nimmst du nicht Platz?«

Eduard, im Innersten bewegt, hätte des Vaters Stirne streicheln wollen, aber er nahm den nunmehr dargebotenen Sessel, gegenüber, und sagte, den Säbel zwischen den Stiefeln, ganz leise klirrend:

»Darf ich gehorsamst bitten, Eure Durchlaucht von nun an nach schwachen Kräften etwas zu entlasten?«

Der alte Herr blickte auf, er sah das blonde gescheitelte Haar, er strich sich über die langen weißen Musikerhaare, er sagte: »Komm, laß das, lieber Eduard. Reden wir doch menschlich, vielleicht ist es das letzte Mal oder bestenfalls das drittletzte. Natürlich wirst du mich entlasten, das heißt, ich werde dich sehr bald mit allem belasten, indem ich mich zu deiner Mutter begebe. Du bist etwas hypermodern, Tauernheim hat schreckliche Angst um die Zukunft, alle sind im Grunde des Todes erschrocken, als sie sahen, Prinz Eduard kommt dran. Ich bin ganz ruhig, denn du bist ja sehr gut. Soll ich dir Lehren geben wie Polonius? Du kennst doch den Rummel. Immer an die Leute denken, aber nicht einundzwanzigstes Jahrhundert spielen und namentlich nicht hier. Demokratisch, natürlich, aber nicht Karl Marx, lieber Eduard, den du ja sehr schätzen sollst, und auch nicht Herwegh. Wir sind doch Liliputaner. Mein Gott, ich brauche doch nicht wie der alte Moor seitenlang zu rezitieren, was du seit zehn Jahren mit angesehen hast.«

Er pausierte, er suchte eine andere Stellung im Fauteuil. »Eins allerdings, lieber Eduard. Du siehst, wie rasch ein Auto den Berg herunterrutscht. Auf zwei Augen darf also die Sache nicht stehn.«

Eduard hatte sich's zugeschworen, er wollte dieses sich verklärende Gemüt nicht mit seinen Plänen beunruhigen. So sagte er nur allgemein:

»Gewiß, Papa, es wird geheiratet werden. Du meinst doch wohl Leonore?«

Der alte Herr lächelte, und nun vollends sah der Sohn den Verfall des Auges, das nicht mehr blitzte, als er sagte:

»Die Frage wäre, wen du meinst?«

»Raison d'Etat, lieber Vater. Wir sprachen ja früher wiederholt.«

»Eduard?«

»Ja, Papa.«

»Wie war es denn auf der Jacht, deren Bild du schicktest. War's nicht aus Messina?«

Eduard spielte mit der Koppel an seinen Knien.

»Excelsior? Tja. Charmante Wochen.«

»Und bist du nun durchs Ziel gegangen? Ich zweifle ja nicht an deinen Reizen, aber eine kapriziöse Frau, weißt du, zu fünf Männern – und dieser Scherer zählt doch auch als Rivale!«

Der Vater, dem niemand die Zugehörigkeit dieser Frau zu seinem Sohne hätte erweisen können, hatte von der Seefahrt dessen Sieg und Rettung erhofft, denn nach den ihm gewordenen Schilderungen aus Berlin mußte er bisher auf die Berechnung einer klugen Frau schließen, den verliebten Prinzen bis zu einem Eheversprechen zu bringen. Mit dem Unglück und der veränderten Thronfolge wuchs seine Befürchtung, denn nun mit einem Male hing das Geschick des Erblandes daran. Der Sohn, der auf diese Konklusionen des Fürsten schließen konnte, wollte um alles nicht den Herzleidenden erregen, der eine morganatische Ehe nun offenbar weniger als den Hinwegfall ebenbürtiger Kinder und somit den stets sorgsam verhüteten Erbfall des Landes an die Vettern fürchten mochte. Er war entschlossen, sich zu verschweigen, und doch trieb ihn moralische Rücksicht auf Klugheit und Güte des Vaters an, nicht direkt zu lügen. Aber zugleich hatte er sich, in Erwartung dieser Fragen, verschworen, mit Worten nicht zu geloben, was er bald, vor einem Toten, nicht mehr widerrufen könnte. Deshalb erwiderte er zunächst:

»Ja, Scherer ist ein bedeutender Kerl, dabei uneigennützig. Man sollte ihn in Bankfragen zu Rate ziehn.«

– Er weicht aus, dachte der Vater besorgt, und immer in Angst, morgen könnt' es zu spät sein, ging er nun direkt vor.

»Und hat Scherer auch die Sympathien der Dame gewonnen?«

»Ich denke wohl.«

»Eduard?«

»Ja, Papa.«

»Bist du frei?«

»Wie meinst du das wohl?«

»Keinerlei Verpflichtungen?«

»Keine!« sagte Eduard mit formeller Betonung. – Leider noch keine, dachte er daneben.

Der Alte atmete leicht auf.

»Tja, lieber Papa, mit dem Herzen werden doch wohl nicht Erbfolgen gesichert.«

»Ich kann also ruhig sein?«

– Jetzt will er das Versprechen, dachte Eduard, entschlossen. Und ich werd' es dennoch nicht geben! – Aber er lächelte höflich, er sagte:

»Schwer zu garantieren, bester Papa. Heinrich zum Beispiel hatte in drei Jahren keine.«

– Er ist doch ein Diplomat, dachte der Vater, und es ist schade, daß er nun nicht im auswärtigen Dienst bleiben kann. – Nun lächelte auch er und sagte:

»Du wirst, mein' ich, das deinige tun, damit hier – kein Wechsel eintritt?«

Wieder klirrte Eduard ganz leise, indem er den Säbel um ein paar Zoll weiterrückte. Zögernd sagte er:

»Ich – kann, als Edelmann, doch wohl nur für mich gutsagen, und da ich denn berufen sein soll, so will ich, zu meiner Zeit, alle Kräfte ansetzen.«

– Wie die Stunde fliegt, dachte der alte Herr wieder kummervoll, und der Junge weicht in Floskeln zurück! Er muß im Garn stecken, zumindest sein Herz. – Er blickte auf diesen gesenkten Scheitel, die große Platte des Schreibtisches zwischen ihren Köpfen wurde ihm zum Symbol, mit Anstrengung rückte er den Sessel, wie um dem Sohne noch vertrauter zu werden. Nach einer Pause entschloß er sich, er sagte leise:

»Versprich mir, lieber Eduard …« Eduard zitterte, und nun geschah es ohne seinen Willen, daß der Säbel an seinem Knie leise klirrte.

»Was denn, Papa?«

»Daß du dich um ebenbürtige Erben bemühen wirst!« Langsam legte er die adernreiche alte Hand auf den Tisch, zu ihm hinüber, und sie zitterte nicht. Der Sohn hob nicht den Kopf, er sah die alte Hand, deren Finger ein letztes Geschenk erbaten, zugleich ein erstes. Er fühlte die große sorgende Einsamkeit des Sterbenden, der eben zwei Söhne begraben, aber zugleich durchzuckten ihn die Gesichte der Zukunft, wie er sie, seit drei Tagen, nur immer neben Diana sah. Er stand auf, er erfaßte und küßte lange diese Hand, doch er schwieg.

– Ich habe nichts gelobt, dachte der Sohn, während es vor seinem Auge purpurn wogte.

– Er liebt sie, dachte der Vater. Da kann ich ihn nicht binden.

Und schweigend blickten sie einander an, als Eduard nun langsam den blonden Kopf zu dem weißen emporhob. Beide wußten, sie hatten einander verstanden.

Nun dauerte das Schweigen nur noch Sekunden. Dann stand der alte Herr mühsam auf, suchte, ergriff ein Aktenstück, setzte sich wieder, lud den Sohn in seinen Sitz, klingelte. Der Diener trat an die Tür.

»Exzellenz Tauernheim!«

Wieder verging eine halbe Minute schweigend. Mit liebendem Blicke umfaßte der junge Mann die Gestalt des alten Mannes, wie er sich, nach diesen Erschütterungen, wieder vor den Wagen spannte. Dieser blätterte, suchte. Der alte Minister trat ein. Der Fürst sagte:

»Nehmen Sie Platz, lieber Tauernheim. Wir müssen von heut ab alles zu dritt besprechen, damit Prinz Eduard sich orientiert. Hier liegt noch immer dieses Projekt der Neuburger Chaussee. Wie steht denn nun die Sache?«


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