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Drittes Kapitel

Langsam las Diana in ihrem Bureau den Brief des Agenten aus Bombay zum zweiten Male durch; denn eine Umständlichkeit, die ihr unenglisch vorkam, verschleierte die Absichten des Schreibenden. Wollte er sich für den neuen Nachrichtendienst verpflichten, den Scherer größten Stiles für Deutschland plante, oder wollte er, mit seinen Andeutungen über konkurrierende Pläne, Berlin auf seine Absichten aushorchen und dann gegen die Firma agitieren?

Diana, der der alltägliche Geschäftsbrief nicht lag und die sich doppelt solange beim Diktat einer stereotypen Mitteilung aufhielt wie ihre Sekretärin, wünschte sich doch möglichst einfache Antworten, und wenn sie im Gespräch von unerwarteten Wendungen des Gegenredners nur angespornt wurde, so fühlte sie sich in der Korrespondenz von persönlichem Stil doch eher irritiert; denn sie vermochte nach Art schlagfertiger und feuriger Naturen besser Auge in Auge, als auf der Lauer, aus dem Hinterhalt geschossener Briefe zu kämpfen. Sie ging, um diesem Engländer auf die Spur zu kommen, an ihre Registratur, suchte sich die vorangegangenen Briefe heraus und las darin, stehend, am Fenster.

So, mit dem Rücken halb zur Tür gewendet, halb vom Schneelicht durch das breite Fenster bestrahlt, im dunklen Jackenkleid an der weißen Wand ihres Bureaus, erschien sie Scherer, als er leise eintrat. Auch er hielt einen Bogen in der Hand, und als er einige Sekunden auf der Stelle zögerte, sah er sich selbst, wie er Diana sah, und schaute, wie erleuchtet, die produktive Kameradschaft ihres Umgangs.

Von Scherer aus einer pseudonymen Sekretärin entdeckt, als die sie sich an einer Lebenswende voriges Jahr vermietet hatte, war Diana rasch zu einer hochdotierten Gehilfin dieses großen Verlegers und Unternehmers aufgestiegen. Während sie seine Pläne durch eingeborene Menschenerkenntnis und durch die Weite eines stufenlosen Weltlebens zu fördern wußte, gab ihr wiederum der heitere Lebensernst des tätigen Mannes Fassung und Stoff, worin sie Intelligenz und Intuition federnd ermüden konnte. Keine erotische Unruhe schien diese wunderlich improvisierte Zusammenarbeit zu stören.

»Nun?« fragte sie ruhig und blickte auf, ohne ihren Platz zu verlassen.

»Ich störe?« fragte er zurück und schaute prüfend durch die große Hornbrille. Von beiden schien keiner gesonnen, als erster mitzuteilen, was ihn beschäftigte. Scherer war zu wenig herrisch oder nervös, um wie ein überarbeiteter Chef einem Beamten mit einer plötzlichen Frage dreinzufahren, vollends Diana pflegte er zu schonen; diese wiederum war in den Begegnungen des Tages zu vorsichtig und überhaupt zu kämpferisch, um ihre Position durch überflüssige Mitteilungen zu schwächen, und so standen auch heute diese beiden starken Naturen in dieser täglichen Begegnung für einen Augenblick wie Gegner voreinander, die sich messen wollen. Nun lächelte die Frau, ließ den Brief sinken, sah Scherer ein wenig mutwillig an. Der Mann ergab sich gern in diesen leichten Zweikämpfen, die in der Luft und wie mit Luft ausgefochten wurden, und sagte, indem er näher kam und sein Papier zeigte:

»Pardon. Entsinnen Sie sich zufällig eines gewissen Said Bey, der Kontrolleur an der anatolischen Bahn war?«

»Gewiß. Aber erst müssen Sie mir sagen, ob man diesen Henry S. Jackson in Bombay –«

»Wer soll das sein?«

»Der zukünftige Vertreter in Indien für Ihren Nachrichtendienst. Kann man dem Manne schlimmstenfalls mehr bieten?«

»Warum?«

»Seine Referenzen sind gut, und er scheint mit Ihrer Konkurrenz zu kokettieren.«

»Mit unserer Konkurrenz?«

»Ja, mit Ihrer,« sagte sie nochmals, denn sie wollte nie als Teil des Unternehmens gelten, zu dem sich doch jeder Austräger durch den vertraulich eitlen Gebrauch von Wir und Unser zählte. Scherer kannte diese Empfindlichkeit, die aus Stolz und Zurückhaltung zu gleichen Teilen kam, und lenkte mit den Worten, er müßte erst die Vorakten sehen, das Gespräch ab, das er heute um Said Bey keineswegs angesponnen hätte. Indem er nach einem Übergang suchte, – denn zum Plaudern pflegte er ihr Bureau nie zu betreten – überhob ihn dieser Mühe die Glocke des Telephons.

»Ja, ich bin selbst am Apparat,« hörte er Diana sagen und schloß aus den kurz lachenden Zwischenworten, die sie ihrem Gegenüber zuwarf, auf ein privates Gespräch, bei dem er nicht stören wollte. Aber Diana winkte ihm über die Muschel weg, rief nur noch: »Kommen Sie Samstag!« hing ab und sagte: »Nicht doch. Es war nur Prinz Eduard, den Sie ja wohl kennen.«

»Ich sah ihn gestern beim Minister,« sagte Scherer und stellte sich so ans Fenster, daß er Diana ins volle Licht zwang, denn er wollte ihre Züge beobachten.

Sie blieb völlig unbewegt; denn sie erriet seine Absicht, sie dachte: – Wie wenig versteht er im Grunde von Frauen, jedenfalls von mir. Nun bildet er sich ein, mich zu verwirren und denkt nicht, daß man längst alles gruppiert hat. Aber sie sagte, interessiert, um ihn nicht durch gespielte Negligeanc zu reizen: »So? Treffen Sie zuweilen den Prinzen?«

»Er ist seit ein paar Wochen zurück.«

»Und so lang wie früher! Neulich trat er plötzlich in meine Loge, wie Hamlets Vater.« Durch keine Spalte ließ sie Scherer blicken, glatt lief die Kette ihrer Worte fort.

– Schwer zu ergründen, dachte Scherer, der von Dianas Bekanntschaft mit Prinz Eduard nur gelegentlich gehört, doch aber den steten Trieb hatte, ihren privaten Wegen aufzupassen, ohne eigentlich eifersüchtig zu sein. Sie wußte es und hatte sich's zugeschworen, die Ruhe ihres Freundes und Vorgesetzten durch keinerlei töchterliche Konfessionen zu stören. Er aber konnte, als ein Mann, nicht lassen, ihren Typus immer wieder in heimlichen Vergleichen aufzuspüren, und fing deshalb gleich wieder an: »Da war gestern übrigens ein Fremder, der fiel durch Bräune und Gradheit auf, hätte vielleicht auch Ihnen gefallen, obwohl schon grau. Franklin, der Dichter, Konsul, Forscher, wissen Sie?«

»Franklin ist hier?« Diana wurde lebhaft.

»Sie kennen ihn?«

»Das ist ja der Mann mit der schönen Stimme, mit dem ich als Backfisch im British Museum phönizische Gläser studierte. Meines Vaters Schüler, erzählte ich's Ihnen nie?«

In solchen Augenblicken beneidete Scherer den Reichtum dieses jungen Lebens und fühlte seine eigene erfolgreiche Bahn zu grade, ja banal und alltäglich. Diana aber dachte zugleich, wie allein sie im Grunde dastand: wie Scherer bei solchen Empfängen Franklin traf und den langen Prinzen, sie aber, ohne Kreis, ohne Rückwelt, zwar in voller Freiheit, doch immer in der Luft schwebte, morgen vielleicht in fremden Städten, Schichten, Klimaten erwachte, oder doch nächsten Sommer. Beide verglichen und maßen ihre Lebensform, einer am andern, und wußten es nicht.

»– Ihr Brunnen ist tief,« sagte Scherer nach einem Schweigen. »Da zieht man immer neue Seltenheiten ans Licht.«

Sie lachte: »Und da sitzen Sie auf Ihrem Fensterbrett und glauben, man ließe Sie angeln, was Sie mögen!«

»Haben Sie mich je neugierig gefunden?«

»Ich habe Sie immer vornehm gefunden, Herr Scherer.«

– Schade, dachte Scherer. Es bleibt eine Wand zwischen uns, auch wenn es eine Glaswand ist.

– Schade, dachte Diana. Er ist gut und ich wünschte ihm meine Schwester zur Geliebten, wenn ich eine hätte. Sonderbar bleibt dies frauenlose Dasein.

»Wünschen Sie Herrn Franklin zu sehen?« fragte er und schien nur höflich.

»Danke sehr. Er kommt gewiß von selbst zu mir. Wollen Sie ihn dann bei mir treffen?« Sie gab die Frage ganz leicht, wie unbefangen zurück, aber Scherer, der Diana lange genug studiert hatte, spürte ihren Stolz in dieser Gegenfrage, mit der sie sich ihm gesellschaftlich gleichstellte. Diese stummen Wettkämpfe, die dem Weltmann mit seinen vielfältigen Mitteln doch immer wieder alles rauben wollten, was er vor dieser freien Natur besaß, erfrischten Scherer, und das war Dianas unbewußter Zweck, denn vom ersten Tage hatte sie diese auflockernde Wirkung auf sein gemessenes Temperament, auf das zielvolle System seines Lebens gespürt und selbst als produktiv erkannt. So wirkte Diana überall wie ein Gärstoff, wo sich Begegnungen zu Schicksalen vertieften.

Frage und Gegenfrage waren indes in der Luft hängengeblieben, und da Scherer seinen Bogen wieder vornahm, kam sie ihm rasch zuvor und sagte: »Dieser – Said Bey, nach dem Sie fragten, lebte also damals, wie ich unten war, als Kontrolleur der Bahn in voller morgenländischer Untätigkeit in Konia, galt für fromm, konspirierte mit dem französischen Konsul, dessen Frau seine Freundin war …« Sie kniete halb auf einem Stuhl, den sie hin und her wippen ließ, während sie weitersprach. Er hörte kaum. Blick und Gedanken schwankten zwischen ihren schmalgeschwungenen Lippen, die so ruhig und hell sprachen, und ihren feinen Knöcheln, die sich im Spiele des bewegten Stuhles aus ihren niedrigen Schuhen bogen. –

Eine Stunde später ging Diana durch die verlassenen Fußwege des Rauhreif tragenden Tiergartens. Wie große kandierte Attrappen, so stand, so hob jeder Baum das zarte Astwerk hinauf ins blauweiße Winterlicht, kristallen und doch leicht, bewegungslos und dennoch ohne Starrheit, wie berührt von einem Geisterhauche, der ihn zugleich befreit und gebunden, in süßer Frische, erlöst von Winterwind und Schneelast, wie in einem unwirklich blätterlosen Frühling mit zahllos weißen Blüten. Diana, leichten Schrittes, ohne Gedanken, wunschlos, kühl und heiter, wie dieser mittägliche Zauberwald, den sie durchschritt, lächelte vor sich hin, und wie sie sah, daß ein ganz feiner Wind ein paar von diesen zarten Blüten locker von den Bäumen blies, konnte sie nicht anders, mutwillig und mit einem kleinen Anlauf lief sie gegen den nächsten Stamm und ließ sich, in leichtem Anprall, weiß beschneien. Sie blickte empor, kinderhaft mit halboffenem Munde, als wünschte sie im Spiel einen Tropfen mit den Lippen zu fangen. Wie sie dann sich wiederfand, sich putzte, die Mütze zurechtrückte, erschrak sie, denn ein Mensch, drei Schritte entfernt, auf seinen Stock gestützt, schien ihr ruhig zugesehen zu haben.

»Ja, haben Sie – stehen Sie schon lange? Guten Tag, Herr – Guten Tag, Wilhelm!«

Mit großen Augen, die, man sah es, immer staunten, stand der blonde, junge Mann, die langen Glieder in einem langen Ulster und mit großem Hut, ein bißchen ungelenk vor der eng und kurz gekleideten jungen Frau und, verlegen, sogar traurig lächelnd, sagte er, ohne näher zu kommen:

»Ganz heimlich dachte ich mir, Sie könnten heute durch den Tiergarten mir querlaufen, und so hab' ich's auf alle Fälle versucht.«

»Gehen wir, sonst wird man kalt!« und sie setzte sich in ziemlich schnellen Schritt. »Hopp, hopp,« sagte sie neckend und fing einen kleinen Trab an, »sonst träumt man!«

»Aber der Wald träumt ja! Was können Sie dawider tun!« Und er stapfte hinter ihr drein, fing mit der Krücke des Stockes die Schnalle ihres Jacketts und zwang sie nachzugeben. Nun schien auch er beweglicher zu werden und, während sie zog und er ihre Hand fing, sagte er nun in leise bittendem Tone: »Schöne zarte Handschuhe! Die sitzen wohl sehr fest?«

»Angefroren!« rief sie, zog die Hände zurück und hakte sich frei. »Sentimentale Wünsche mitten in Sonne und Rauhreif! Und was treiben Sie?«

»Nichts. Wie immer, nichts,« sagte er und hielt nun in mäßiger Schnelle gleichen Tritt mit ihr. »Aber gestern abend habe ich die schönste Laute meines Lebens gesehen, die zweitschönste, fast wie die aus Pieve di Cadore!«

»Erzählen Sie! Ist sie alt?«

»Alt? Hat Luther nicht so um das siebzehnte Jahrhundert gelebt? Oder war das schon der alte Fritz? Sie wissen ja alles. Kurzum, es ist eine Theorbe: so groß! wie bronzen von Patina, gebaucht wie, ja, wissen Sie, wie diese indische Frucht, von der Sie mir den dreieckigen Kern gezeigt haben, und klingt mit einem vollen Ton, der halb herbe schmeckt, wie der Burgunder, von dem ich Ihnen damals erzählt habe – ja –«

»Hm. Teuer?«

»So teuer wie ein Schloß. Vollkommen unerschwinglich, auch für solche Leute wie Sie. Vielleicht – könnte sie dieser Herr Scherer erstehen, wenn er sich ein Jahr lang einschränkte –«

»Und wo liegt sie?«

»Wo? Bei meinem Antiquar natürlich, unten in der Wilhelmstraße, wo wir damals die blaue Schumann-Tasse fanden, die Sie dann doch verschenkt haben und nicht einmal mir!«

– Was für wunderliche Dichter, dachte Diana. Gestern abend stand dieser alte Franklin im Frack im Salon des Ministeriums und spähte durch die neue politische Welt, ganz oben in der Wilhelmstraße, und ganz unten stand Wilhelm und spähte zwischen alten Lauten umher – und sind doch im Grunde beide Spieler, abwechselnd Herren und Diener ihrer Phantasie. – »Wissen Sie was,« sagte sie dann. »Nächstens lad' ich Sie mit einem Mann ein, der kommt aus Afrika und ist sogar auch ein Dichter wie Sie!«

»Oh, der wird was zu erzählen haben! Wo wohnt er denn? Den möchte ich besuchen! Der war bei den Palmen? Und die Kamele! Und die Negermädchen mit den kleinen festen Brüsten! Und die Reiher! Und dann natürlich die Elefanten! Ja, ich möchte gleich zu ihm gehen! Und Sie?«

»Ich möchte euch beide zusammenspannen – und loslassen – und ihr könntet mich ein Stück durch die Welt ziehen!« rief sie ausgelassen und schüttelte einen Baum über ihm aus.

»Diana! Sie schütteln ja die Träume!« rief Wilhelm und trocknete sich den Hals.

»Euch möcht' ich durcheinanderschütteln, Sie mehr nach oben und den Alten mehr nach unten! Verstehen Sie denn nicht?«

Doch nochmals rief er, als sie ungeduldig den Rasenzaun mit der Fußspitze abschüttelte, halb klagend hinter ihr her: »Sie meinen, in der Welt?«

»In der Wilhelmstraße!« rief sie zurück und nun lachten sie beide.


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