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Achtes Kapitel

Als Diana, die den Ballsaal nicht betreten und sich sofort nach Hause begeben hatte, in ihren Korridor trat, meldete ihr das Mädchen, Herr Franklin warte seit zehn Minuten.

Im Grunde verdroß sie dieser Besuch. Sie wäre gern allein geblieben, denn wirklich hatte sie es so eingerichtet, den ganzen Abend mit keinem Menschen zu sprechen. Ihr war dies lebende Bild ein Stück geheimen Kultus, und als sie die Göttin darstellte, deren Namen sie trug, ein einziges Mal, nur eine Minute lang, trug sie ihr antikes Empfinden wie eine Dienerin jenen Göttern zu, denen allein sie gehörte. Doch ward ihr solches kaum bewußt, und nur als sie am heutigen Morgen in ihrem weißen Schlafzimmer die Augen geöffnet und eine freundliche Wintersonne wie einen rührenden Boten südlicher Gestade erblickte, hatte sie ihr wie einem Gott eine schweigende Bitte zugeworfen. Als sie abends hinfuhr, dachte sie, in ihrer sachlichen Art, nur, wie wohl die Schärpe sitzen würde, mit welchem Handgriff an seinem Halsbande sie Doreville zum Stillstehn zwingen würde, und als sie heimfuhr, überlegte sie, ob ihre rechte Ferse nicht doch zu hoch gehoben war.

»Sind Sie noch hungrig?« fragte sie Franklin, nach leicht irritierter Begrüßung. »Mary wird gleich da sein, ich weiß nicht Bescheid. Sie kommt mit dem Hunde.«

»Er hat sich gut gehalten.«

»Sah man ihn aber atmen?«

»Alle diese Bilder atmeten, wenn sie das Glas durchprüfte, – außer Ihnen, mein Kind.«

»Ich war aus der Übung, hier im nordischen Winter. So mußte ich eine Woche lang durch Tauchen in meinem Bade wieder lernen, den Atem auszuschalten.«

Sie nahm eine Zigarette und legte sich in ihrem dunklen Straßenkleide auf den niedrigen Diwan, sie war sinnend und ernst.

Franklin, mehr überschauend als bewundernd gestimmt, sah in ihr, wie sie da lag, das Allgemeine, die Entwicklung eines strebenden Mädchens zum schönen Weibe, und mit der Ungerechtigkeit von Menschen, die einer geliebten Knospe das Aufblühen mißgönnen, fragte er sich wieder, ob die Tiefe ihrer geistigen Auffassung, wie er sie ehedem zwischen Kunstwerken kennengelernt, mit solchem ziellosen Wanderleben der Seele nicht zu teuer verkauft worden sei. Seinen eigenen Zwiespalt zwischen Kunst und Welt wollte er nur den Künstlern zugestehn und war, nach Art beweglicher Idealisten, dort intolerant, wo ein anderer Idealismus seine Bahnen suchte.

»Muß man also doch tauchen lernen,« fragte er lächelnd, »um eine Göttin zu sein?«

Sie richtete sich leicht auf, ihre kämpferische Natur war geweckt, sie sagte: »Muß man also doch Pässe visieren, um Herr eines Traumlandes zu sein?«

»Man sucht die Gewalten zu trennen.«

Sie legte sich wieder zurück: »Ich, lieber Franklin, suche sie zu verbinden.«

»Sie waren sehr gut, Diana,« sagte Franklin, »auch mit dem Schwebefuß haben Sie's ausgehalten. Aber Sie waren siebentes Jahrhundert oder sechstes, archaisch an Brust und Haaren, denn diese tragen Sie ja leider geschnitten.«

»Die Sphinx ist noch viel älter,« sagte sie, schnippisch wie ein Mädchen.

»Und trotzdem ist der Sphinx ein Mann,« sagte Franklin, den ihr Ton zum Dozieren reizte.

»Sie sind doktrinär heut abend, und ich –« Sie streckte die Arme.

»– Sie möchten einen Jüngeren hier neben sich sehn!«

Sie verband die Hände unter dem liegenden Kopfe, sie sah ihn prüfend an: »Also man hält mich für ein Gänschen oder gar für eine Kuh.«

Er rauchte ruhig fort. »Nur für ein Weib.«

Sie trotzte: »Hm. Und dazu hat man mich vor einer Stunde als Diana immacolata durch die Wälder schreiten sehn!«

»Eine Statue, die sich an Werktagen lebhaft bewegt.«

»Wie manche Dichter, Franklin.«

»Genau. Merken Sie nicht, daß ich gegen mich selber kämpfe, nicht gegen Sie, liebes Kind?«

»Mein Vater ist anders,« sagte sie, um ihm dies Epitheton sacht abzugewöhnen.

»Ihr Vater ist kostbar wie alle Geheimnisse. Deshalb würde er Ihnen auch niemals Wahrheiten sagen.«

Sie rührte sich nicht, doch sie stellte ganz sachlich die Frage: »Und was haben Sie denn nun gegen mein Leben?«

Er blies den Rauch hörbar und entschlossen fort. »Ich wünschte –«

In diesem Augenblicke ging die Tür: die Gräfin Olivia trat mit dem großen Hunde ein.

Unter allen Zuschauern war sie von dem Bildwerk am tiefsten ergriffen worden. In ihrem liebenden Neide auf Dianas freie Jugend war heut ein innig tragisches Entzücken so hoch emporgestiegen, daß sie der Wunsch, ihr Neigung und Dank zu erweisen, zu dem raschen, ihrer Schwere ganz ungewohnten Entschlusse getrieben hatte, sie noch nachts aufzusuchen. Als sie am Ausgang der Halle den großen grauen Hund und mit ihm die alte Mary erkannte, wie sie einen Wagen suchte, hatte sie sie angerufen, – doch erst Marys Beteuerung, sie fände Diana sicher allein und wach, hatte die am Eingang wieder Zögernde bestimmt, mit einzutreten. Jetzt blieb sie so erschrocken stehen, daß sie den Hund, den sie eben übernommen, losließ und dieser durch seine stürmische Begrüßung Diana beinah hinderte, aufzustehn.

Befangen wie bei diesem Eintritt blieb Olivia, zugleich wurde es auch Franklin, und er machte durch sein still bewunderndes Wesen die Fremde nur noch unruhiger. Nur Diana wurde heiterer, sie dachte:

– Soll doch niemand aus seinen Formen gehn: gleich wird er bestraft: die Gräfin für ihren Versuch, nachts sich einen Besuch abzuzwingen, Franklin für seine künstliche Opposition durch dieses blonde Wunder. Und da sie die Lage so erkannte, spielte sie mehr Tempo als sie fühlte, und lächelte Olivia an, während sie, stehend, die Sprünge des Hundes in Schmeicheleien zu beruhigen suchte:

»Wie schön, daß Sie es sind, die ihn bringt! War er nicht brav? Jetzt bekommst du den versprochenen Knochen! Mary! bitte, Tee für uns alle! Sie müssen kalt sein, oder fror nur ich in der Halle, mangels vernünftiger Kleidung? In Preußen müßten Jägerinnen sogar im Bilde Felle tragen! Hier, der gelbe Sessel ist bequemer und steht auch besser zu Ihrem Kleide! Es ist blau wie das südliche Meer!«

»Sie waren sehr schön,« sagte Olivias Alt mit langsamer Schwere, und Diana mußte bei diesem leisen, dunkel brandenden Ton an den Wellenschlag unter Olivias väterlichem Schlosse denken, da unten an der Adria, von dem sie einst erzählt hatte.

»Danke,« sagte sie leise und sah die Gräfin an. Dann fügte sie leicht hinzu: »Sie sind der erste Zuschauer, der mir das sagt; denn der Dichter hier nahm vorläufig nur Gelegenheit, mir die Schönheit des weiblichen Haarschopfes einzuschärfen, den ich nur an andern liebe.«

Es kam der Tee, der versprochene Knochen, Doreville mußte sich ihn erspringen, Zuckerfrage, Sahne oder Rum nahm noch ein paar Augenblicke hin, doch die Luft blieb undurchsichtig. Diana dachte:

– Warum haben sie mich nicht allein gelassen? Ist sie etwa doch nur um Sidneys willen gekommen?

Olivia dachte: – Sie ist rassiger als Sidney, und ich wünschte, ich wäre ein Mann, sie zu lieben. Was will aber dieser alte Jüngling dort von mir?

Franklin dachte: – Wie in einem Sonette sitzen sie sich gegenüber, diese Frauen, aber auch hier wüßte ich so wenig wie bei Tizian, welche von beiden die himmlische Liebe bedeutet und welche die irdische.

Und wie aus unendlicher Ferne klang es allen dreien, als sie krampfhaft zueinander sagten:

»War es voll?«

»Kein Stuhl frei.«

»Wie gut für den Zweck!« –

– Ob Franklin ihr Liebhaber werden könnte? dachte Diana. Ihre Stimmen passen gut.

– Ich will Sidney nicht wiedersehn, dachte Olivia.

– Leopard und Löwin, dachte Franklin. Aber sie sagten leise, und wieder klang es ihnen wie aus drei Erdteilen durch ungeheure Megaphone über die Meere gerufen:

»Hatten Sie einen guten Platz?«

»O doch, vielleicht sechste Reihe.«

»So, konnte man überall deutlich sehen?« –

Als sie fort waren, dachte Diana: – Warum ist nicht lieber der lange Prinz gekommen?

Unterm blauweißen Lichte der Bogenlampen, die wie allzu nahe Monde die Wipfel des Tiergartens berührten, gingen die beiden Fremden nebeneinander; denn man wollte in schöner Winternacht die kurze Strecke zu Fuß machen, wozu Franklin riet, um die Augenblicke mit der Gräfin auszudehnen. Schweigen verband sie, und je länger es währte, um so unbefangener ließen beide ihre Gedanken schweifen, bis Franklin mitten aus den seinen zu dieser Fremden sagte: »Und doch ist Dianas Schönheit nur der Mantel, mit dem sie ihre Freiheit schützt!«

Olivias Sinn kreiste um ähnliche Fragen, nun sah sie zu dem großen Menschen mit der tiefen Stimme hinüber, und ihr Blick eröffnete dem Dichter neue Erkenntnisse über ihre Schwermut. Sie sagte: »Aber zugleich ist es ein Zaubermantel, der sie in die Luft entführt. Kennen Sie sie lange?«

»Vor vielen Jahren studierte ich neben ihr bei ihrem Vater in London.«

»Ist er Gelehrter?«

»Er ist gelehrt und überdies ein Weiser.«

»Lebt er allein?«

»Als Weltmann und als Sonderling.«

»Lebt ihre Mutter? Sie sprach nie davon.«

»Sie starb in der Geburt des Sohnes, und deshalb kann der Vater ihn nicht um sich sehn. Sie hieß Helena, aber er hat mir nie von ihr gesprochen, nur einmal hat mir Diana ihr Bild gezeigt.«

Als sie durch das Tor in die Linden einbogen, fiel Franklin ein, wie er die wenigen Minuten im Gespräch um Diana verlor, statt auf Olivia selbst überzulenken, aber da fragte sie plötzlich:

»Glauben Sie wohl, daß sie den Bruder liebt?«

Franklin, arglos gegen sie wie gegen Sidney, sagte nur: »Es wird schon noch etwas aus ihm.«

»Ein Künstler?«

»Ein Mann.«

Olivia dachte eine Sekunde lang zynische Dinge, dann sagte sie: »Das freilich kann ich von meinem Sohne auch hoffen.«

»Sie haben einen Sohn, Gräfin?« fragte Franklin, der sie endlich fassen wollte. »Ein Kind?«

»Ein Knabe von vierzehn.«

»Und Ihnen ähnlich?«

»Dem Vater.«

Franklin fiel des Grafen Tod im Duell ein, und daß eine Liebschaft der Gräfin der Grund gewesen war, er sah die große Frau neben sich schreiten, von ihrem Pelz mehr belastet als behütet, und er stieg die Leiter seiner Phantasie in wenig Augenblicken hinauf, hinab. Und langsam, wie wenn er es noch auf halbem Wege zurückhalten wollte, wagte er das Wort:

»Und dieser Vater war ja, wie man sagte, so liebenswert …«

Sie hatten noch zehn Schritte zu ihrem Hotel, sie dachte: – So sind sie, diese Dichter, diese Bürger. Ah, wären nur nicht die unsrigen so banal, man wiche jenen gerne aus. So aber? Sidney hat hier gestern ein Zimmer genommen. Gewiß, er erwartet mich in der Halle. – »Vielen Dank, guten Abend,« sagte sie kalt in der Türe zu ihrem Begleiter.

Aber der junge Mann wartete nicht auf sie.


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